Striptease

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So aufregend findet Heidi ihren neuen Vermieter Jackson, dass sie bald mehr von ihm will als nur ein Dach über dem Kopf. Doch auch wenn es mit jedem Tag stärker zwischen ihnen knistert, hält Jackson sich aus rätselhaften Gründen zurück. Kann ein heißer Strip seine Leidenschaft entfachen…


  • Erscheinungstag 23.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753283
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jetzt fängt mein neues Leben an, dachte Heidi Fields überglücklich, als sie vor dem hübschen himmelblauen Reihenhaus hielt, dessen Fenster, Türen und Veranda weiß gestrichen waren. Sie bremste so hart, dass ihr Kosmetikkoffer nach vorn rutschte und sie am Hinterkopf traf.

Sie hatte den neuen Geländewagen, den ihre Brüder ihr geschenkt hatten, bis unters Dach voll gestopft, was ihrem Auszug aus Copper Corners, Arizona, zusätzliche Dramatik verlieh.

Indem sie ihr altes Leben hinter sich ließ, nahm sie Abschied von ihren übertrieben um sie besorgten Brüdern und ihrer Stelle bei Celia’s Cut ‚n’ Curl, wo sie nicht nur als Friseuse, sondern auch als Amateurtherapeutin fungiert hatte. Doch das war letztlich unbefriedigend. Sie wollte den Menschen von Angesicht zu Angesicht psychologischen Rat geben, nicht mit Blick in den Spiegel, während sie mit Lockenstab oder Föhn hantierte.

Sie hatte vielen Kunden bei Fragen der Kindererziehung, Ehestreitigkeiten und persönlichen Krisen geholfen. Oft waren Kunden für überflüssiges Nachschneiden gekommen, nur um bei Heidi ihr Herz auszuschütten. Aber sie wollte einen Abschluss, der ihr Können beglaubigte.

Keinesfalls wollte sie wie Celia enden, die sich unter Wert verkaufte und in einem winzigen Friseursalon in einer Kleinstadt gelandet war, statt in Hollywood als Stylistin zu arbeiten, wie es einst ihr Traum gewesen war. Sicher, das Studium würde hart werden, und heutzutage war es schwer, seinen Lebensunterhalt als Psychologe zu verdienen, aber sie, Heidi, würde ihr Bestes geben.

Immerhin war sie schon mal unterwegs. Obwohl müde und verschwitzt nach der dreistündigen Fahrt von Copper Corners nach Phoenix – Ende Juli war es so heiß, dass man auf dem Gehsteig Spiegeleier braten konnte –, war sie glücklich, weil sie durch die getönten Scheiben ihres neuen Wagens auf ihr neues Zuhause blickte.

Das sie sich nicht mehr leisten konnte. Der Gedanke war erschreckend. Ihre Freundin Tina hatte das Haus gemietet, und Heidi hatte vorgehabt, bei ihr zur Untermiete zu wohnen. Aber dann hatte Tina ein verlockendes Jobangebot in L. A. bekommen, das sie unbedingt annehmen musste, wie sie betont hatte. Tina hatte einen Hang zum Theatralischen. Vor drei Wochen war sie weggezogen.

Heidi hatte beschlossen, ihre Nachmieterin zu werden. Sie würde sich eine Untermieterin suchen oder Überstunden in dem neuen Salon machen, wo sie eine Halbtagsstelle ergattert hatte. Momentan besaß sie kein Bargeld. In ihrer Brieftasche befand sich ein Bankscheck, weil sie ihr Sparbuch leer geräumt hatte. Damit würde sie, wenn in drei Wochen das Semester anfing, ihre Studiengebühren bezahlen.

Wenn sie eine billigere Unterkunft finden musste, würde sie sich eben eine suchen. Auf jeden Fall würde sie keinen Tag länger damit warten, ihr neues Leben zu beginnen. Sie hatte viel zu viel Angst, der Mut könne sie sonst verlassen. Ihren Brüdern hatte sie von Tinas Verschwinden lieber nichts erzählt, weil sie Tina mochten und ihr vertrauten und sie sich weniger Sorgen um Heidi machten, wenn sie eine Freundin in ihrer Nähe wussten. Sie war vierundzwanzig, aber sie behandelten sie wie eine Zwölfjährige.

Ihre Eltern waren gestorben, als Heidi gerade sechs und ihre Brüder dreizehn und sechzehn waren. Obwohl sie bei ihrer Tante und ihrem Onkel aufgewachsen waren, hatten Michael und Mark sich wie ihre Ersatzeltern aufgespielt, daher sahen sie nicht ein, weshalb Heidi die Geborgenheit von Copper Corners verlassen sollte. Sie hatte zwei Jahre das nahe gelegene Community College besucht. Was brauchte sie mehr? Ihre Brüder, Kleinstadtmenschen durch und durch, hatten beide keine Universitätsausbildung.

Mike, Copper Corners Bürgermeister, hatte angeboten, sie als Sekretärin einzustellen, und Mark, der Immobilienmakler, wollte sie zur Maklerin ausbilden. Vor allem aber wollte er nicht, dass sie von zu Hause wegging.

Doch genau das war es, was sie mit aller Macht anstrebte. Sie wollte endlich ihre eigene Wohnung und ein Privatleben – genauer, ein Liebesleben, das diesen Namen verdiente. Kein flüchtiger Sex mehr mit Männern, die von der körperlichen Erscheinung und der Position ihrer Brüder in dem kleinen Ort eingeschüchtert waren.

Sie überzeugte die beiden, dass sie alles ganz genau geplant hatte, und sie akzeptierten es schließlich. Auf keinen Fall würde sie jetzt einen Rückzieher machen. Das Problem mit der Miete würde sie allein lösen.

Die Straße war leicht abschüssig, deshalb riss sie das Lenkrad scharf nach rechts, sodass die Reifen gegen den Bordstein stießen. Wäre es nicht schrecklich, wenn ihr Wagen rückwärts in den Verkehr oder gegen ein Haus oder einen Baum rollte? Ein solcher Fehler konnte alles ruinieren.

Sie liebte das Auto, ein Abschiedsgeschenk ihrer Brüder. Ein Fahrzeug, das viel Sicherheit bot und bestens bei Tests abgeschnitten hatte, wie sie ihr feierlich erklärten. Am liebsten hätten sie sie auch noch in einen Kampfanzug gesteckt und hierher begleitet. Heidi hatte das Geschenk nicht annehmen wollen, aber schließlich doch nachgegeben, weil ihre Brüder unbedingt etwas für sie tun wollten.

Bei dem Gedanken an die erdrückende Liebe der beiden musste sie lächeln. Sie liebte sie auch und verspürte schon ein wenig Heimweh. Doch gleichzeitig war sie froh, endlich frei zu sein.

Sie betrachtete ihr neues Zuhause. Tina hatte per E-Mail Fotos geschickt, aber auf denen hatte es nicht so toll ausgesehen wie in Wirklichkeit. Sicher, die Farbe war mit der Zeit ausgeblichen, aber wen kümmerte es? Es war ihr Zuhause, und sie liebte es bereits.

Die Nachbarhäuser sahen genauso heruntergekommen aus. Unkraut überwucherte die Gärten mit den verwitterten Kinderspielzeugen – rechts eine Schaukel, links ein Planschbecken, in dem Grashalme schwammen. Beide Veranden waren voller Sachen – Fahrräder, Zeitungsstapel, vergessene Kaffeebecher, Bierdosen und unzählige Pflanzen. Offenbar verbrachten die Menschen viel Zeit dort.

Nicht viel anders als in Copper Corners, wo die Leute abends auf den Veranden saßen, um zu plaudern und Bier zu trinken. Letztlich waren die Menschen überall gleich, ob in der Großstadt oder in der Kleinstadt.

Die Kids zum Beispiel, die auf der Straße hinter ihr Basketball spielten. Genau wie in Copper Corners hatte Heidi langsam fahren müssen, damit sie aus dem Weg gehen konnten.

Sie strich sich die Haare aus der Stirn und nahm die Tüte mit den Leckereien von Cactus Confections, die sie der Maklerin Deirdre Davis geben wollte als Dankeschön, dass sie sich am Samstag mit ihr traf. Cactus Confections, berühmt in Copper Corners, machte Marmelade, Sirup und Süßigkeiten aus Kaktusfeigen.

Deirdre musste eigentlich da sein, aber für den Fall, dass sie ihre Mailbox nicht abgehört hatte, zog Heidi ihr Handy aus dem Außenfach ihrer Handtasche.

Die Handtasche selbst war zu fest unter den Sitz gequetscht, deshalb ließ sie sie dort und entschied sich stattdessen, den Ficus vom Beifahrersitz mitzunehmen, dessen Zweige sich unter dem Wagendach bogen. Sie würde die Garage aufmachen, damit sie hineinfahren und ihre Sachen gleich von dort ins Haus bringen konnte.

Sie klemmte sich die Tüte mit den Leckereien unter den Arm, stemmte den schweren Blumentopf auf die Hüfte und ging zur Haustür. Ihre Muskeln protestierten gegen die Anstrengung, daher stellte sie die Pflanze ab, sobald sie die Veranda erreicht hatte. Dann zog sie ihr Top herunter, das Celia als Abschiedsgeschenk bestickt hatte. Es zeigte zu viel Bauch und war für Heidis Geschmack zu knapp, mit Wellensaum und einem von Celia selbst entworfenen Efeumuster bestickt. Heidi hatte es tragen müssen, weil Celia darauf bestanden hatte, an der Straße zu stehen und ihr zum Abschied zu winken. Das Top symbolisierte genau die süße Unschuld, die sie hinter sich lassen wollte. Aber es war so lieb gemeint, dass Heidi es trotzdem anbehalten hatte.

Ein strahlendes Lächeln im Gesicht und die Tüte mit den Süßigkeiten in der Hand, drückte sie auf den Klingelknopf und wartete darauf, dass sich die Tür zu ihrer Zukunft öffnete.

Nichts passierte.

Vielleicht war Deirdre noch gar nicht da. Heidi drehte sich um, aber kein Auto fuhr vor. Zwei junge Männer standen auf der anderen Straßenseite und sahen herüber. Rasch wandten sie den Blick ab. Vermutlich war es ihnen peinlich, dass sie die neue Nachbarin angestarrt hatten. Noch etwas, worin sich Phoenix, die Hauptstadt von Arizona, und das Provinznest Copper Corners nicht unterschieden.

Heidi winkte, dann klingelte sie noch einmal, diesmal länger.

Sie wurde belohnt mit dem Geräusch sich nähernder Schritte. Heidi trat zurück, lächelte und hielt die Tüte mit den Leckereien bereit.

„Immer mit der Ruhe“, murmelte eine männliche Stimme.

Die Tür ging auf, und ein großer Mann erschien, der beim Öffnen der Tür anscheinend zornig gewesen war, dessen Züge aber bei Heidis Anblick sanfter wurden. Oh, wen haben wir denn da? dachte sie. Sein unverhohlenes männliches Interesse erregte sie ein wenig. Das war auch eins von den Dingen, die sie wollte – mit einem Mann ausgehen, dessen Sozialversicherungsnummer, Lebenslauf und Trinkgewohnheiten ihre Brüder nicht kannten.

Das attraktive, markante Gesicht des Mannes zeigte Spuren von Schlaf, und seine langen schwarzen Haare standen in alle Richtungen ab. Seine kaffeebraunen Augen blickten verwirrt. Er sah aus wie ein Bär, den man zu früh aus dem Winterschlaf geweckt hatte. Er trug ein schwarzes ärmelloses T-Shirt, dazu graue Jerseyshorts, die aufregend tief auf seinen Hüften saßen.

Ein sinnliches Kribbeln mischte sich in ihr Misstrauen. Wieso schlief dieser Kerl um elf Uhr vormittags in ihrem Reihenhaus?

„Ja?“, fragte er.

„Ich bin Heidi Fields. Deirdre Davis wollte mir hier den Schlüssel übergeben.“

„Den Schlüssel?“ Er fuhr sich übers Kinn.

„Ja, den Schlüssel zu diesem Haus – 3210 East Alexander. Richtig?“, erklärte Heidi betont selbstbewusst, um ihre Unsicherheit zu überspielen. „Ich habe es gemietet.“

Er stutzte und fuhr sich erneut mit seinen kräftigen Fingern über das stoppelige Kinn. „Ich wohne hier.“

„Sie tun was?“

„Das ist mein Haus. Ich bin Jackson McCall.“

McCall. Der Hausbesitzer. Tina hatte gesagt, er sei nett – er habe ihre Miete reduziert, weil sie ihm erlaubte, einige Werkzeuge in der Garage unterzustellen.

„Ich fürchte, hier liegt ein Irrtum vor.“ Heidi bemühte sich um eine feste Stimme. „Tina ist die Mieterin, aber sie ist ausgezogen, und Deirdre hat mir versprochen, ich könne die Nachmieterin werden.“

„Das war der Irrtum: Deirdre zu glauben. Das war übrigens auch mein Fehler, denn sie ist mit drei Monatsmieten Ihrer Freundin verschwunden. Ich hoffe, Sie haben ihr keine Anzahlung gegeben.“

„Für Kaution und Reinigung“, erwiderte Heidi. „Und die ersten beiden Monatsmieten.“ Sie hatte keinen Vertrag unterschrieben. Deirdre war so nett gewesen. So zwanglos. Genau wie die Leute in Copper Corners.

„Mist!“, stieß McCall hervor.

Offenbar tat sie ihm leid, weil Deirdre mit ihrem Geld verschwunden war. Und jetzt war der Hausbesitzer eingezogen? Trotz der drückenden Hitze lief Heidi ein kalter Schauer über den Rücken.

„Sie brauchen sich nicht dumm vorzukommen“, sagte Jackson. „Schließlich war ich derjenige, der sie beauftragt hat. Sie hatte in Las Vegas Pech gehabt und brauchte Geld, also vertraute ich ihr und gab ihr den Job.“ Er zuckte die Schultern. „Kommen Sie rein.“

Was sollte sie jetzt machen? Gedankenverloren trat sie ein. Drinnen roch es nach pizzagetränkter Pappe, abgestandenem Bier, Staub und Mann. Jackson McCall war offenbar schon eine Weile hier.

Mit einem kurzen Rundblick erfasste sie ein Durcheinander aus Kleidungsstücken, Schuhen, Zeitungen und Fast-Food-Resten, einem Knäuel Videojoysticks, einem großen Fernseher und drei glänzenden Automotoren an einer Wand.

Seltsam, aber nicht so seltsam wie der Rest der Wohnung, in der das Grundmotiv Brüste zu sein schien, umrahmt von den dazugehörigen fast nackten Frauen. An der Wand hing eine Hommage aus Samt an ein Playboy – Foto von Marilyn Monroe, außerdem Poster von Frauen in Bikinis. Es gab eine Stehlampe in Form einer Nackten aus Gips, und die Glasplatte des Cocktailtisches lag auf den pinkfarbenen Brustspitzen einer weiblichen Brust.

Beruhige dich, ermahnte Heidi sich im Stillen. Du hast schon mal Brüste gesehen. Aber nicht so üppige. Und der Mann, dem diese Busen-Sammlung gehörte, wohnte in dem Reihenhaus, in das Heidi eigentlich einziehen sollte.

„Freut mich, Sie kennen zu lernen.“

Sie erschrak, dann sah sie, dass er ihr die Hand hinhielt. Sie klemmte die Tüte unter den Arm und schüttelte ihm die Hand. „Ja, freut mich auch.“ Sie war so durcheinander, dass sie gar nicht registrierte, wie angenehm fest sein Händedruck war, bis er ihre Hand wieder losließ. „Wenn Sie nicht bleiben, kann ich dann Ihr Nachmieter werden?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Oh, ich bleibe.“ Er lächelte mitfühlend. „Tut mir leid.“

„Aber das ganze Geld, das ich Deirdre gegeben habe … was soll ich denn jetzt machen?“ Draußen hörte sie einen Motor aufheulen und quietschende Reifen. Da hatte es jemand eilig. Dabei hatte sie auf eine ruhige Gegend gehofft.

Aber hier würde sie ohnehin nicht wohnen, es sei denn, sie konnte Jackson McCall dazu bewegen, auszuziehen. Und sie hatte kein Geld für eine andere Wohnung. Der Job bei Shear Ecstasy war wegen des Studiums eine Halbtagsstelle und nur zur Deckung der Lebenshaltungskosten gedacht.

Ansonsten war alles, was sie besaß, draußen vor dem Haus geparkt, das von einem Mann bewohnt wurde, der auf Brüste fixiert war und auf dessen Sofalehne alte Chips klebten. Heidi drehte sich um und spähte hinaus. Hätte sie ihren Wagen von hier aus nicht sehen müssen? Vielleicht hatte sie ein Stück weiter unten geparkt.

„Deirdre und Ihr Geld sind über alle Berge. Wenn Sie einen anderen Makler oder sonst jemanden anrufen möchten, nur zu.“ Er deutete auf das Innere seiner Wohnung. „Ich werde uns inzwischen Kaffee kochen.“

„Nein, danke. Ich muss … nur mal schnell nachsehen …“ Sie wich zur Tür zurück und wollte sich die Panik nicht anmerken lassen. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Noch immer hielt sie die Tüte mit den Leckereien für Deirdre unter dem Arm. Diese Betrügerin!

Draußen auf der Veranda schnappte sie sich ihre Topfpflanze und taumelte die Stufen hinunter.

„Wollen Sie wirklich keinen Kaffee?“, rief Jackson ihr von der Tür hinterher. „Sie können bestimmt ein Bier vertragen. Wohnungssuche macht durstig.“

Sie drehte sich zu ihm um und überlegte, ob sie nicht wenigstens Kaffee trinken sollte. Dann bemerkte sie sein Gesicht – sie tat ihm leid. Verflixt, er fand sie bedauernswert. Ja, sie war auf sich gestellt. Aber sie würde es irgendwie schaffen. Sie würde nicht gleich beim ersten Problem, das sich ihr in den Weg stellte, aufgeben.

„Nein, aber trotzdem danke.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln, verlagerte die Pflanze auf ihre Hüfte und wandte sich wieder ab, um schnell in ihren Wagen zu steigen, wo sie sich einen Moment lang ihrer Panik hingeben würde, ehe sie überlegte, wie es weiterging.

Aber wo war ihr Wagen? Der glänzende neue Outback war nirgends zu sehen. Die Basketballspieler waren auch verschwunden, sodass die Straße unheimlich still dalag.

Heidi verließ der Mut. Hastig schaute sie nach links und rechts. Nirgends eine Spur von Chrom und Stahl.

„Ach du meine Güte!“

„Was ist denn los?“ Jackson kam die Stufen herunter.

„Mein Wagen ist weg!“ Konnte er womöglich doch die Steigung hinuntergerollt sein? Sie stellte die schwere Pflanze ab, ließ die Tüte fallen und rannte ein paar Meter den Gehsteig entlang, bis sie die Kreuzung sehen konnte.

Keine Spur von ihrem Wagen.

Dann fiel ihr etwas Schreckliches ein: Sie hatte den Schlüssel stecken lassen. In Copper Corners war das nichts Besonderes, dort schlossen die Leute nicht einmal ihre Häuser ab. Außerdem hatte sie vorgehabt, gleich in die Garage zu fahren, sobald Deirdre sie hineingelassen hätte.

Wenn sie doch nur die Zeit zurückdrehen und ihre Schlüssel abziehen könnte, wie jeder vernünftige Mensch es getan hätte!

„Was für ein Wagen war es?“, erkundigte Jackson sich und holte sie damit in die Realität zurück.

„Ein Subaru Outback. In Silber. Neu. Mit steckendem Schlüssel“, fügte sie zerknirscht hinzu. „Wie kann ein Wagen am helllichten Tag innerhalb von zwei Minuten gestohlen werden?“

„In der Stadt ist es nirgendwo sicher genug, dass man den Wagenschlüssel einfach stecken lassen kann.“

„Ich wollte gleich in die Garage fahren.“ Mit Entsetzen fiel ihr ein, was sie außerdem noch im Wagen gelassen hatte – ihre Handtasche. Die Diebe hatten also nicht nur ihren nagelneuen Wagen und alles, was sie besaß, sie hatten dazu noch ihren Führerschein, ihre einzige Kreditkarte und, was das Schlimmste war, ihren Bankscheck, der ihr ganzes Vermögen darstellte.

„Hier waren ein paar Jungs“, stammelte sie benommen, „die haben Basketball gespielt.“ Sie zeigte zu dem Basketballkorb ein Stück die Straße hinunter. „Die müssen gesehen haben, was passiert ist.“ Sie wollte die Straße überqueren.

„Warten Sie.“ Jackson hielt sie am Arm fest. „Ich kenne die Jungs nicht, aber die haben jede Menge nächtlicher Besucher. Da herrscht ein Kommen und Gehen, und ich glaube nicht, dass sie Baseballkarten verkaufen. Wir rufen lieber die Polizei.“

„Aber sie müssen etwas gesehen haben. Sie haben beobachtet, wie ich ankam. Ich habe ihnen sogar zugewinkt.“

„Die haben wahrscheinlich Ihren Wagen inspiziert. Kommen Sie. Wir rufen die Polizei an.“ Er erinnerte sie an ihre Brüder, die auch immer gleich alles für sie übernehmen wollten.

Aber sie musste selbst handeln, deshalb zückte sie ihr Handy und wählte 911. Es war der erste Notruf ihres Lebens, und das allein wegen ihrer Dummheit.

In der glühenden Sonne auf dem Gehsteig und unter Jackson McCalls wachsamem Blick schilderte sie mit zitternder Stimme dem Mann in der Zentrale, was passiert war. Als sie erklärte, dass Handtasche und Geld im Wagen waren, verzog Jackson das Gesicht. Offenbar hielt er sie für eine komplette Idiotin.

Womit er völlig recht hatte.

Der Mann in der Zentrale forderte sie auf, zu bleiben, wo sie war, und auf die Ankunft der Polizisten zu warten. Heidi beendete das Gespräch und schob das Handy in ihre Tasche. „Ich bin an das Kleinstadtleben gewöhnt“, sagte sie, um Jacksons Bild von ihr ein wenig geradezurücken. „Ich habe damit gerechnet, dass Deirdre mich in die Garage fahren lässt. Das hätte gut funktioniert, nur dass Deirdre nicht … sondern Sie … und ich … ach, was soll’s. Ich bin ja so blöd!“

„Vergessen Sie’s. Kommen Sie rein, Sie müssen Anrufe erledigen.“

Das stimmte. Sie musste ihre Kreditkarte sperren lassen und herausfinden, ob sie den Bankscheck für ungültig erklären lassen konnte. Die Autoversicherung anzurufen hätte keinen Sinn, weil sie keine Diebstahlversicherung abgeschlossen hatte. Ihren Brüdern hatte sie vorgeschwindelt, sie habe eine Vollkaskoversicherung, weil sie nicht wollte, dass die beiden für alles aufkamen. Sie hatte vorgehabt, ihren Versicherungsschutz zu erweitern, sobald sie es sich leisten konnte.

Das war kurzsichtig gewesen, wie sie jetzt erkannte. Aber vielleicht würde sie ihren Wagen ja zurückbekommen. Möglicherweise handelte es sich nur um ein Missverständnis.

Sie fühlte sich immer noch benommen und aller Dinge beraubt, sogar des Grundes ihres Hierseins. Sie zwang sich, sich zu bewegen, stolperte jedoch schon bei den ersten Schritten.

Jackson fing sie auf und stützte sie, indem er ihr eine Hand auf den Rücken legte. Dabei berührten seine Finger ihre nackte Haut. Heidi dachte, dass sie auf ihren eigenen Beinen stehen sollte, aber die spielten momentan nicht mehr mit, daher ließ sie sich von Jackson führen.

Er hob die Tüte auf und hielt sie ihr hin.

„Für Sie“, sagte Heidi und bemühte sich zu lächeln. „Mein Mitbringsel. Kaktusfeigensüßigkeiten – meine Heimatstadt ist dafür berühmt.“

„Kaktusfeigen und Bier. Hört sich nach Mittagessen an. Kommen Sie, ich serviere es.“ Offenbar versuchte er, sie aufzuheitern.

Sie wollte etwas erwidern, doch als sie die mit Brüsten geschmückte Bude wieder betrat, die eigentlich ihr schönes neues Zuhause werden sollte, verließ sie der Mut.

Jackson schnappte sich die Pflanze und führte Heidi ins Haus. In der Küche zog er ihr einen Stuhl heran. Er stellte den Ficus in eine Ecke und warf die Tüte mit den Süßigkeiten auf den Tisch.

Heidi setzte sich und registrierte, dass die Uhr an der Wand zu einer Bierwerbung für eine deutsche Biermarke gehörte. „Wenn Sie Zeit haben“, stand unter einer Barfrau mit, natürlich, großen Brüsten. Heidi hatte Zeit. Es war erst elf, und sie hatte alles verloren.

Sie fühlte ein Knäuel unter ihrem Po und zog karierte Boxershorts hervor.

Jackson warf die Boxershorts gleichgültig in den Flur. Stand dort der Schmutzwäschekorb? Heidi konnte es nur hoffen. Er musste sich in der Küche ausgezogen haben. Kochte er etwa nackt? Den Abwasch machte er anscheinend nicht, weder nackt noch angezogen, denn in der Spüle und auf den Arbeitsflächen stapelte sich schmutziges Geschirr. Leere Ravioli- und Suppendosen bedeckten jede freie Fläche. Wenn er sich so ernährte, konnte sie ihm nur wünschen, dass er täglich Vitamine nahm.

„Bier, Limonade oder Kaffee?“, Er öffnete die Kühlschranktür. Der angenehme Duft reifer Früchte – Pfirsiche? – wurde sofort verdrängt vom Gestank vergammelnden Gemüses. „Puh. Irgendwas ist da drin gestorben.“ Er ging in die Hocke und nahm einen Plastikbeutel mit schimmeligem Salat heraus. „Das sieht aus wie irgendein Pelztier.“ Er ging zur Spüle, öffnete den Unterschrank und beförderte den Salat in den überquellenden Mülleimer. Bierdosen und Pappteller fielen auf den Boden. Er fluchte und schloss schnell wieder die Unterschranktür.

„Ich bringe Ihren Tagesablauf durcheinander“, sagte Heidi. „Bitte machen Sie das, was Sie normalerweise tun. Ich erledige meine Anrufe und warte.“

„Normalerweise würde ich noch schlafen, aber jetzt bin ich ja wach. Also werde ich uns beiden Kaffee kochen. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause …“ Er hielt inne, als ihm klar wurde, was er gesagt hatte.

Sie hatte auch ihr Zuhause verloren, zusammen mit ihrem Wagen, ihrer Kleidung, ihrem Computer, Kosmetik- und Hairstyling-Utensilien im Wert von mehreren hundert Dollar und ihren gesamten Ersparnissen.

Sie schluckte und kämpfte gegen die Tränen an. Vergebens, denn sie liefen ihr die Wangen herunter. Sie wischte sie ab und schluchzte. Damit Jackson nicht sah, wie sie in Tränen zerfloss, sprang sie auf und wollte hinauslaufen.

Doch er hielt sie fest. „Weinen Sie ruhig, Heidi. Ihnen wurde der Boden unter den Füßen weggezogen, also ist das doch ganz normal.“ Er nahm sie tröstend in die Arme.

Einen kurzen Augenblick lang genoss sie es, seine breite Brust an ihrer Wange und seine Finger auf ihrem Rücken zu spüren, während sie seinen Duft einatmete. Aber damit zögerte sie nur das Unausweichliche hinaus. Sofort löste sie sich wieder von ihm.

„Sicher, es ist ein Schock. Aber mir wird schon etwas einfallen, um damit fertig zu werden.“ Angesichts der Tragweite ihrer Probleme versagte ihr die Stimme.

„Sie können hier bleiben“, bot Jackson an, „bis Sie weiterwissen.“

Sie erstarrte. Hier bleiben? Ihre erste Reaktion war Erleichterung. Schließlich hatte sie genau das vorgehabt. Dies sollte ihre Wohnung sein. Aber sie durfte Jackson nicht zur Last fallen, egal wie aufrichtig sein Angebot war. „Danke, aber ich werde mir ein Hotelzimmer nehmen.“

„Wovon wollen Sie das bezahlen?“

Ein gutes Argument. Sie besaß weder Bargeld noch eine Kreditkarte.

„Kennen Sie jemanden in Phoenix?“

„Meine neue Chefin. Ich arbeite in einem Frisiersalon. Nur halbtags, da ich eigentlich Studentin bin.“ Eine Studentin ohne Geld für die Studiengebühren. Und sie wollte nicht, dass „Kann ich auf einem Ihrer Frisierstühle übernachten?“ ihre ersten Worte waren, wenn sie zu Blythe ging.

Sie könnte ihre Brüder anrufen. Aber gleich am ersten Tag? Drei Stunden nach ihrer Abreise? Sie besaß nicht einmal genug Geld für eine Busfahrkarte zurück, falls sie bereit wäre, aufzugeben. Was sie nicht war. Sie schluckte erneut. Ihre Kehle war wie ausgedörrt.

Es klingelte an der Tür. „Das ist die Polizei“, sagte sie und schob ihre Entscheidung auf. „Vielleicht haben sie meinen Wagen schon gefunden.“ Sie brauchte Jacksons zweifelnde Miene nicht zu sehen, um zu wissen, dass sie träumte. Aber an irgendetwas musste sie sich schließlich klammern. Ihr neues Leben war gescheitert, bevor es richtig angefangen hatte.

2. KAPITEL

Jackson beobachtete, wie Heidi in den Flur lief. Ihr niedlicher wippender Po irritierte ihn ein wenig. Er hörte, wie sie die Tür öffnete und hoffnungsvoll fragte: „Haben Sie meinen Wagen gefunden?“

Er konnte die gemurmelte Antwort nicht verstehen, aber Heidis „Oh“ klang so niedergeschlagen, dass es ihm nahe ging. Ihr Wagen war mittlerweile entweder in seine Einzelteile zerlegt oder auf halbem Weg nach Mexiko.

Heidi konnte problemlos für ein paar Tage bei ihm bleiben. Wahrscheinlich hatte die Kleine eine Familie, die sie abholen würde. Obwohl die trotzige Art, wie sie manchmal das Kinn reckte, darauf schließen ließ, dass einige Überzeugungsarbeit nötig sein würde, um sie zu einem Hilferuf an die Familie zu bewegen.

Sie führte die Polizisten ins Wohnzimmer, wo Jackson stand, und räumte das Sofa frei, als wohne sie bereits hier.

„Wollten Sie nicht Kaffee kochen, Jackson?“, fragte sie mit aufregend heiserer Stimme wie die Frau aus der Fernsehserie „Cheers“

„Klar. Sicher.“ Er würde sie überreden müssen, zu bleiben – zu ihrem eigenen Besten. Manchmal ließ er die Mädchen aus dem „Moons“ bei sich wohnen, wenn sie Ärger mit ihren Freunden oder Vermietern hatten. „Du musst immer den Helden spielen.“ Das hatte Kelli, seine Ex, über ihn gesagt. „Du bist immer für alle da, gehörst aber zu niemandem.“

Was hatte es für einen Sinn, gegen seinen Charakter anzukämpfen? Wenn Leute Hilfe brauchten, half er. Punkt.

Doch momentan sollte er sich vielleicht lieber zurückhalten. Sein Radiosender – sein großer Traum – war nach sechs Monaten Pleite gegangen. Dabei hatte er alles verloren, was er besaß. Die gesamte Erbschaft seiner Eltern war weg. Er war mindestens genauso dumm gewesen wie Heidi, als sie ihre Autoschlüssel stecken ließ.

Zur Schadensbegrenzung und Kostenreduzierung hatte er sein Haus in Scottsdale verkauft und war in sein Reihenhaus gezogen – angeblich eine lohnende Immobilieninvestition. Von wegen.

Aber darüber würde er jetzt nicht nachdenken. Jetzt würde er erst mal Kaffee kochen für die arme Kleine, die gleich von den Cops erfahren würde, dass die Chancen, ihren Wagen zurückzuerhalten, äußerst gering waren.

Als er sich über die Kaffeemaschine beugte, nahm er Heidis Duft an seinem T-Shirt wahr, dort, wo sie ihr Gesicht an ihn gepresst hatte. Es war ein blumiger Duft, bei dem ihm ganz warm ums Herz wurde. Erst hatte sie sich an ihn geschmiegt, doch dann hatte sie ihn gleich wieder von sich geschoben – nicht so, als sei er ihr zu nahe getreten, sondern als wage sie nicht, sich von ihm trösten zu lassen.

Autor

Dawn Atkins
Obwohl es immer Dawn Atkins’ größter Traum war, Autorin zu werden, war sie nicht sicher, ob sie wirklich den Funken Genialität besaß, den es dazu braucht. So wurde sie zunächst Grundschullehrerin und fing dann allmählich an, für Zeitungen und Zeitschriften Artikel zu verfassen. Schließlich gab sie ihre Arbeit an der...
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