Stürmisches Wiedersehen in Griechenland

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Er erpresst sie! Sabrina ist empört. Nur wenn sie den arroganten Tycoon Rafael Romano heiratet, ist er bereit, das Waisenhaus auf der idyllischen griechischen Insel zu retten. Ihr Herz hängt an dem kleinen Gebäude, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat. Also lässt sie sich auf seinen unverschämten Vorschlag ein und sagt Ja. Aber Liebe ist ausgeschlossen, und auf keinen Fall wird sie zulassen, dass er ihr erneut zu nahekommt! Wie vor fünf Jahren, als er sie nach einer sinnlichen Liebesnacht in Paris wortlos verließ …


  • Erscheinungstag 28.11.2023
  • Bandnummer 2624
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518949
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Sabrina“, bellte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Was zum Teufel treibst du auf Calista?“

Dasselbe fragte Sabrina sich seit geschlagenen vierundzwanzig Stunden. Doch auch wenn sie selber Zweifel an ihrer Reise auf die griechische Insel hegte, auf der sie zur Welt gekommen und aufgewachsen war, ging der herrische Tonfall ihres Vaters ihr auf die Nerven. Sie wünschte, er würde ihr mehr vertrauen, so wie ihren Geschwistern Tom und Pippa. Doch anders als Sabrina waren sie nun mal seine leiblichen Kinder.

„Äh … Es gibt hier noch eine unerledigte Angelegenheit.“ Sie stellte ihr Telefon auf Lautsprecher und legte es neben sich auf die Treppenstufe. Sie durfte nicht verpassen, ob sich ein Auto näherte. „Es wird nicht lange dauern, Dad. Das verspreche ich dir.“

„Unerledigte Angelegenheit? Wovon redest du?“

Sie saß im Schatten vor dem alten Waisenhaus und versuchte, ihr zerzaustes blondes Haar zu glätten. Sie hatte vergessen, wie heiß es im Sommer auf der kleinen Insel war. Auf dem Festland hatte sie einen Sportwagen gemietet und war letzte Nacht mit einer Fähre nach Calista übergesetzt – die Insel war nicht groß genug für einen eigenen Flugplatz. Am Morgen war sie von ihrem Hotel am Hafen aus mit offenem Verdeck hierhergefahren, und nun hatte ihr üblicherweise sorgfältig frisiertes Haar große Ähnlichkeit mit einem Vogelnest. „Nichts Wichtiges.“ Bei der kleinen Notlüge zuckte sie innerlich zusammen. „Ich erzähle es dir, wenn ich wieder zu Hause bin.“

Die Stimme ihres Vaters wurde tiefer, und die darin liegende Fürsorge erweckte das verunsicherte kleine Mädchen in ihr zum Leben.

„Ich bin es, Sabrina. Mir musst du nichts vormachen. Ich weiß, dass du nicht mehr auf Calista gewesen bist, seit … Sag mir doch einfach, was du vorhast. Dann kann ich selber beurteilen, ob es wichtig ist oder nicht.“

Sabrina stöhnte innerlich auf. Sie liebte ihn, diesen außergewöhnlichen Milliardär, der sie aus dem Waisenhaus gerettet und in den Kreis seiner Familie aufgenommen hatte. Er hatte ihr geholfen, die erfolgreiche Geschäftsfrau zu werden, die sie heute war. Dafür würde sie ihm ewig dankbar sein. Aber er durfte sich nicht immer in ihr Leben einmischen. Obwohl sie auf die dreißig zuging, behandelte er sie noch immer wie ein Kind.

„Tut mir leid, Dad. Du … Ich kann dich kaum noch verstehen. Ich rufe dich später zurück, okay? Ich habe dich sehr lieb.“

Sie beendete das Gespräch. Dann stand sie auf und klopfte sich den Staub von dem weißen Seidenkleid, für das sie sich für dieses schwierige Treffen entschieden hatte.

Andrew Richard Templeton, Ordensträger des British Empire, würde wütend sein, weil sie einfach aufgelegt hatte. Sie hasste es, ihn zu enttäuschen. Aber im Augenblick konnte sie seine überfürsorgliche Art nicht gebrauchen. Seine gutgemeinte Entschlossenheit, sie vor den Unwägbarkeiten des Lebens zu beschützen, würde ihr Selbstvertrauen nur unterminieren, und für die vor ihr liegende Verhandlung konnte sie davon gar nicht genug gebrauchen.

Vorausgesetzt natürlich, es erschien jemand, mit dem sie verhandeln konnte …

Während um sie herum die Zikaden sangen, legte Sabrina den Kopf in den Nacken und sah an dem verlassenen Waisenhaus empor.

Mittlerweile überdeckten üppig gewachsene Bougainvillen in leuchtenden Farben die rissigen, weiß getünchten Außenwände. Dem Schrägdach, auf dem ihre Freunde und sie sich früher manchmal gesonnt hatten, fehlten einige Ziegel. Als sie die Treppe hinunter in die Senke ging, in die sich das Haus schmiegte, sah eine Eidechse sie träge an, bevor sie im Zickzack über die heiße Mauer lief und in einem Meer prachtvoller roter Blüten verschwand.

Blaue Farbe blätterte von der Eingangstür, die leicht schief in den Angeln hing, jedoch geschlossen war. An der Tür hing ein offiziell aussehendes Schriftstück. Sabrina überflog die wenigen Zeilen in griechischer Schrift. Es war eine Warnung, die darauf hinwies, dass das Gebäude bald abgerissen würde.

Tränen traten ihr in die Augen, und sie hielt sich nur mit Mühe davon ab, wüste Flüche auszustoßen. Stattdessen begnügte sie sich mit einem unterdrückten Aufschluchzen. „Wie kannst du es wagen? Ich werde es nicht zulassen.“

Auf einem handgemalten Schild über der Tür stand Waisenhaus Calista.

Hierher hatte man sie gebracht, als sie eine völlig verunsicherte Waise gewesen war, ganz allein auf der Welt nach dem Tod ihrer alleinerziehenden Mutter und viel zu ängstlich, den Kopf zu heben, damit niemand ihr narbenüberzogenes Gesicht sah.

Doch trotz aller Ängste war dieser Ort zu ihrem Zuhause geworden. Und da sie wegen ihres Aussehens niemand gewollt hatte, bis sie mit sechzehn Jahren schließlich doch noch adoptiert worden war, hatte er sich tief in ihr Herz gegraben.

Hier hatte sie wild getobt, sich in Bücher vertieft, die Knie beim Fangenspielen aufgeschlagen und den besten Freund der Welt gefunden.

Sie drückte die Klinke und stellte fest, dass die Tür unverschlossen war. Das ehemalige Waisenhaus befand sich einige Kilometer entfernt vom Inselhafen. Niemand würde herkommen, um ein leer stehendes Gebäude auf dem Land zu plündern.

Sabrina ging durch die vertrauten Räume, die schon lange leer standen. Ihre hohen Absätze – völlig ungeeignet für dieses Gelände, aber bestens dazu geeignet, ihr die zusätzlichen Zentimeter zu verleihen, die sie für das Treffen heute brauchte – klackten auf dem ausgetretenen Steinboden. In jedem Türrahmen blieb sie stehen, um sich das Lachen und die Teenager-Gespräche in Erinnerung zu rufen, die noch immer in ihrem Kopf widerhallten.

Sie schüttelte den Kopf, als sie erneut von Wut gepackt wurde. Sie würde nicht zulassen, dass das alte Waisenhaus abgerissen wurde, egal, was es auch kosten würde. Stattdessen musste es renoviert werden. Sie konnte schon die nüchterne Analyse ihres Vaters hören. Geldverschwendung, würde er sagen, und wahrscheinlich hätte er sogar recht. Aber darum ging es nicht immer. Manchmal musste man seinem Herz folgen.

Doch das hatte nicht sie zu entscheiden, und genau das war das Problem.

Sabrina holte tief Luft. Es war reiner Zufall gewesen, dass sie davon erfahren hatte, dass das alte Waisenhaus abgerissen werden sollte. Niemand hätte ahnen können – nicht einmal sie selbst –, wie heftig sie auf diese Neuigkeit reagieren würde.

So freundlich und großzügig Andrew Templeton auch war, hatte Sabrina in der Beziehung zu ihrem Adoptivvater doch immer etwas gefehlt. Sein legendärer Reichtum war kein Ersatz gewesen für die enge Bindung, die auf dieser Insel zwischen ihrer Mutter und ihr geherrscht hatte. Vielleicht empfand sie deshalb noch so viel für dieses baufällige alte Haus mit seinen verlassenen Zimmern und den gemütlichen Ecken. Es zu verlieren war, als würde sie auch ihre Mutter noch einmal verlieren.

Plötzlich blieb sie wie versteinert stehen, hob den Kopf und lauschte.

Was sie hörte, war nicht der Motor eines Autos.

Ihr Herz begann zu hämmern.

Es war ein Hubschrauber. Was nur eines bedeuten konnte.

Sabrina eilte die Treppe hinauf, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Nach der E-Mail, die seine persönliche Assistentin ihr vor drei Tagen geschickt hatte, hatte sie angenommen, er würde einen seiner Lakaien zu diesem Treffen schicken.

Aber kein Lakai würde mit einem Helikopter einfliegen.

Oben fiel helles Sonnenlicht durch ein schmutziges Fenster. Als Kind hatte sie sich auf die Zehenspitzen stellen müssen, um hinausschauen zu können. Jetzt stand sie hier in ihren schicken Stilettos und sah, wie der Helikopter sich dem Boden näherte. Die Rotoren wirbelten Blätter auf und ließen eine immer größer werdende Spirale aus Staub aufsteigen. Sein Firmenlogo prangte an der Seite, doch die Scheiben waren getönt, sodass es unmöglich war zu sehen, wer sich an Bord befand. Dann landete der Hubschrauber, und noch bevor die Rotoren zum Stillstand kamen, wurde die Tür geöffnet und ein Mann sprang heraus.

Sabrina schnappte nach Luft. Ihr Herz befand sich im freien Fall.

Sie presste die Hände an die Fensterscheibe und starrte hinaus, zu ihm. Sie konnte nicht glauben, dass er wirklich selber zum Waisenhaus gekommen war.

War ihm nicht klar gewesen, dass sie persönlich an diesem Treffen teilnehmen würde? Oder hatte er angenommen, sie würde in Begleitung ihrer Assistenten auftauchen? Dabei war sie absichtlich alleine hergekommen, weil sie ihre Vergangenheit nicht vor ihren Mitarbeitern ausbreiten wollte.

Jetzt war auch er hier. Ohne Begleitung, genau wie sie.

Ihre letzte desaströse Begegnung lag fünf Jahre zurück. Damals waren sie beide auf einem Wohltätigkeitsball in Paris gewesen – es war das erste Mal, dass sie sich wiedergetroffen hatten, nachdem sie adoptiert worden war. Schüchtern und aufgeregt zugleich hatte Sabrina ihren ehemals besten Freund begrüßt, aufgeregt, weil sie ihn wiedersah, und ihr Herz hatte wie verrückt geklopft. In all den Jahren hatte sie seinen kometenhaften Aufstieg in der Geschäftswelt aus der Ferne mitverfolgt, aber nie gewagt, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Denn sie hatte gewusst, wie sehr es ihn verbittert hatte, dass sie mit sechzehn adoptiert worden war und ihn zurückgelassen hatte. Auf ihre Briefe hatte er nie reagiert, weshalb also sollte er sie mit offenen Armen willkommen heißen?

Doch er hatte sie zur Begrüßung umarmt, und in der Freude darüber, ihn wiederzusehen, hatte sie ihre Befürchtungen vergessen. Der Abend in Paris erschien ihr die beste Gelegenheit, ihre Freundschaft wiederzubeleben und herauszufinden, was aus ihnen geworden war, seit sie das Waisenhaus verlassen hatten und erwachsen geworden waren. Also hatten sie, nachdem der Ball geendet hatte, irgendwo gemütlich spät zu Abend gegessen und waren anschließend zusammen in ihr Hotel gegangen.

Als sie ihren Fehler erkannt und gemerkt hatte, dass er nicht mehr der Junge war, den sie auf Calista gekannt hatte, war es zu spät gewesen. Der Schaden war angerichtet.

Er sah schlanker aus als in Paris, das dunkle Haar war zurückgekämmt, seine schwarzen Jeans wirkten leger, waren aber maßgeschneidert und sein weißes Hemd blitzte makellos rein. Außerhalb der Reichweite der Rotoren blieb er stehen. Als würde er ihren Blick spüren, hob er den Kopf und sah zum Waisenhaus, während er sein Jackett aufknöpfte.

„Rafael …“, flüsterte sie.

Durch den aufwirbelnden Staub hindurch trafen sich ihre Blicke mit einer Wucht, die ihr den Atem verschlug. Sofort fühlte sie sich in den Moment im Krankenhaus zurückversetzt, als der Arzt ihr mitfühlend mitteilte, dass ihre Mutter tot und sie nun alleine sei. Sabrina wurde von derselben Furcht gepackt wie damals … dem Grauen des Verlassenwerdens.

Ihre Sicht war verschwommen, als hätte sie zu lange in die Sonne geblickt. Orientierungslos stolperte sie einen Schritt nach hinten.

Dann drehte sie sich um und floh.

Der Helikopter hatte kaum den Boden berührt, als Rafael heraussprang und auf das Waisenhaus zuging. Im Gehen knöpfte er sein Jackett auf, als die vertraute calistanische Hitze ihn empfing. Er warf einen kurzen Blick auf das Gebäude, das er als Kind immer als Gefängnis empfunden hatte. Abrupt blieb er stehen, denn hinter einem Fenster im Obergeschoss entdeckte er ein blasses Gesicht.

Sabrina war schon da. Ein Geist in dem abbruchreifen alten Haus.

Natürlich könnte es sich auch um jemand anderes handeln, aber als sie sich bewegte, wusste er es genau. Die ungekünstelte Art, mit der sie sich das blonde Haar nach hinten schob, leuchtend und wogend wie ein Weizenfeld im Sonnenlicht. Sein Magen zog sich zusammen, als er daran dachte, wie es ausgebreitet auf dem Kopfkissen gelegen hatte, während sie ihn mit einem Lachen in den Augen ansah …

Verdammt!

Er biss die Zähne zusammen, bevor er eine ausdruckslose Miene aufsetzte und weiterging.

Warum zum Teufel nur hatte er die verrückte Entscheidung getroffen, um die halbe Welt zu reisen, damit er persönlich bei diesem Treffen dabei sein konnte? Seine persönliche Assistentin hatte recht gehabt, als sie die Idee gefährlich und reine Zeitverschwendung genannt hatte.

„Lassen Sie mich das regeln, Sir“, hatte Linda nüchtern gesagt und ihm Sabrinas Brief aus der Hand genommen, um ihn selbst zu lesen. „Das sieht nach Ärger aus. Andrew Templetons Tochter? War sie nicht diejenige auf dem Wohltätigkeitsball in Paris?“

Als seine Assistentin seinen Gesichtsausdruck bemerkte, wechselte sie geschickt die Taktik und griff nach dem Telefon.

„Ich bitte Christopoulos, sich um sie zu kümmern. Er lebt ohnehin auf Calista und hat bei dem Kauf des Waisenhauses gute Arbeit geleistet.“

Niemand sonst hätte es gewagt, so mit Rafael umzugehen. Aber Linda war fünfundfünfzig Jahre alt, spitzzüngig, verheiratet und hatte Kinder, von denen eines fast in seinem Alter war. Rafael war einer der jüngsten milliardenschweren Unternehmer in New York und wusste daher ihre Erfahrung und manchmal auch ihren Mutterinstinkt zu schätzen.

„Nein, ich spreche selber mit ihr.“ Er hatte Papiere auf seinem Schreibtisch unterzeichnet und die innere Stimme, die ihn vor einem Treffen mit Sabrina warnte, ignoriert. „Bitte sorgen Sie dafür, dass der Jet betankt wird und Johannes den Flug nach Athen vorbereitet. Dort soll ein Firmenhubschrauber bereitstehen und mich nach Calista bringen.“

„Bei allem Respekt, Sir …“

„Die Entscheidung ist gefallen.“ Er spielte mit seinen Manschettenknöpfen und dachte nach. „Außerdem muss die Villa Rosa für meinen Besuch vorbereitet werden.“

„Planen Sie länger fortzubleiben?“

„Vielleicht.“

Dabei hatte Rafael zu diesem Zeitpunkt kaum gewusst, was er eigentlich vorhatte. Alles, was er wusste, war, dass dies die einzige Gelegenheit war, Sabrina Templeton wiederzusehen.

Es gab etwas, das er ihr sagen musste – eine sehr private Angelegenheit, die nicht am Telefon oder per E-Mail besprochen werden konnte –, und er hatte es lange genug vor sich hergeschoben. Er hatte keine Ahnung, wie Sabrina reagieren würde, doch er schuldete seiner Freundin aus Kindheitstagen, es ihr persönlich und schonend beizubringen.

Davon abgesehen war er ganz Lindas Meinung. Angesichts der Geschichte, die Sabrina und ihn verband, lauerten in einem Wiedersehen große Gefahren. Doch nun, da sich die Vorstellung in seinem Kopf eingenistet hatte, gab es kein Zurück.

„Sir, Ihr Terminkalender ist diesen Monat ziemlich voll. Ich bin nicht sicher, ob diese Reise sehr gelegen kommt.“

„Dann sagen Sie meine Termine ab. Ich werde auch einen Wagen benötigen. Bitte kümmern Sie sich darum. Und rufen Sie in meinem Stall auf Calista an. Einige der Pferde sollen zur Villa Rosa gebracht werden.“ Als er Lindas überraschten Blick sah, lächelte Rafael sie an. „Jetzt kommen Sie schon, erst gestern haben Sie selbst gesagt, ich bräuchte eine Auszeit.“

„Dabei dachte ich eher an ein Wochenende in den Hamptons, nicht an einen längeren Aufenthalt auf einer griechischen Insel. Außerdem habe ich Fotos von dieser Villa auf den Felsen gesehen …“ Linda verdrehte die Augen. „Sehr zentral gelegen wirkt sie ja nicht, es sei denn, man ist ein tibetanischer Mönch. Gibt es da überhaupt fließend Wasser?“

Rafael hatte seine Assistentin angegrinst. „Die Villa war früher tatsächlich ein Kloster. Ich habe sie vor drei Jahren renovieren lassen. Jetzt gibt es dort einen Pool, ein Fitnessstudio und Wasseranschlüsse in der Küche. Niemand muss mehr morgens zum Brunnen laufen, um frisches Wasser zu holen.“

Er lachte, als Linda theatralisch erschauderte.

„Entspannen Sie sich. Ich werde nach Calista fliegen, mit …“ Er schaffte es kaum, ihren Namen auszusprechen, ohne seinen Gefühlsaufruhr zu verraten. „Mit Miss Templeton reden. Und nach ein paar Wochen Sonne, Meer und Schnorcheln komme ich wieder zurück.“

Vielleicht brauche ich auch länger als das, um mich von einem Wiedersehen mit Sabrina zu erholen, dachte er grimmig.

„Was ist mit der monatlichen Vorstandssitzung?“

„Ich bin sicher, der Vorstand kommt auch einmal ohne mich zurecht.“

Rafael hatte mit den Schultern gezuckt und war rastlos aufgestanden und ans Fenster getreten. Er blickte über Manhattan. Seit er New York vor fast zehn Jahren zu seiner neuen Heimat erkoren hatte, liebte er diesen Anblick. Wolkenkratzer glitzerten im Sonnenlicht, ein Wald aus Stahl und Glas, wohin er auch sah. Wenn er den Hudson River sah, musste er immer daran denken, dass auch Manhattan eine Insel war, wenn auch sehr viel anders als die, auf der er aufgewachsen war.

„Warum vertreten Sie mich nicht bei den wichtigsten Meetings? Sie kennen meine Ansichten zu den meisten Dingen.“

Linda wirkte geschmeichelt, zögerte jedoch. „Und der neue Deal? Sie können nicht abstreiten, dass wir da gerade auf ein ziemlich großes Hindernis gestoßen sind. Dabei könnten wir Sie wirklich gut am Verhandlungstisch gebrauchen.“

Bei diesem Einwurf mahlte Rafael mit den Zähnen. Sie steckten mitten in schwierigen Akquise-Verhandlungen mit einem Unternehmen, das von einer erzkonservativen Familie gegründet worden war. Die Gespräche waren jedoch ins Stocken geraten, seit einer der wichtigsten Aktionäre Anstoß an Rafaels zahlreichen Affären mit schönen Frauen genommen hatte, die er als dekadent und skandalös bezeichnet hatte.

„Sagen Sie ihnen einfach, ich würde an einer Lösung arbeiten.“

Mit diesen Worten war er in sein Jackett geschlüpft und zur Tür gegangen, in Gedanken ganz woanders – auf der staubigen Insel seiner Kindheit, wo er und Sabrina zusammen getobt hatten, vereint durch die Bande ihrer tiefen Freundschaft.

Jetzt stand er hier, vor dem Waisenhaus, wo für ihn alles begonnen hatte … die erdrückende Zeit nach dem brutalen Tod seiner Eltern und sein langer Aufstieg aus den Abgründen der Armut.

Rafael betrachtete das Haus mit wachsender Abscheu. Er hatte dieses Gebäude so sehr gehasst, dass er es in seiner Fantasie schon Tausende Male abgerissen hatte.

Dann hatte plötzlich das Schicksal entschieden. Der Direktor des Waisenhauses hatte ihn unerwartet kontaktiert, weil er sich Spenden für eine Renovierung des Gebäudes erhoffte. Rafael hatte die Gelegenheit genutzt und gleich das ganze Gebäude gekauft. Er wollte es abreißen lassen und den dort lebenden Kindern eine neues Zuhause bauen. Ein Neustart sowohl für die Waisen als auch ihn selbst.

Irgendwie hatte Sabrina von seinen Plänen erfahren und Einwände erhoben. Viel zu spät natürlich. Der Deal war unter Dach und Fach. Die Kinder waren bereits umgezogen, und der Abriss sollte in wenigen Wochen beginnen.

Der teils flehende, teils drohende Ton ihres Briefes hatte ihn nicht kaltgelassen. Ihr Schweigen während der vergangenen fünf Jahre war äußerst vielsagend gewesen: Paris hatte sie ihm nicht vergeben. Und doch waren ihre Gefühle für das Waisenhaus so stark, dass sie aus der Deckung gekommen war und ihn schließlich doch kontaktiert hatte. Es schien ihm die passende Gelegenheit, das zu tun, was er schon vor Langem hätte tun sollen, nämlich ihr zu erzählen, was er herausgefunden hatte.

Da Sabrina in London lebte und Rafael in New York, war ihm der Vorschlag, sich am Waisenhaus zu treffen, wie ein vernünftiger Kompromiss erschienen.

Jetzt bereute er den Entschluss.

Seine körperliche Reaktion allein darauf, sie am Fenster gesehen zu haben, verriet ihm deutlich, dass er nicht über sie hinweg war. Es auch nie sein würde. Nicht nach dieser einzigartigen Nacht in Paris. Doch er redete sich ein, dass er mit Sabrina Templeton fertigwerden würde. Er musste nur immer ans Geschäft denken. Nicht an das tiefe Begehren, das er immer verspürte, wenn er an sie dachte.

Die Haustür war nur angelehnt. Er betrat den vertrauten Flur. Er war leer.

„Sabrina? Ich habe dich durchs Fenster gesehen und weiß, dass du hier bist!“ Er drehte sich um die eigene Achse. „Wo versteckst du dich?“

Stille umgab ihn.

Frustriert lief er die Treppe hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm. Jede Minute in diesem gottverlassenen Gebäude war eine zu viel. Je eher es dem Erdboden gleichgemacht wurde, desto besser. Sein Herz hämmerte, seine Handflächen waren feucht. Erinnerungen verfolgten ihn mit jedem Schritt. Ältere Jungen, die ihn verhöhnten, Steine nach ihm warfen und ihn verprügelten … Er hatte sich immer gewehrt, egal wie viele sie waren.

Auch oben war von Sabrina nichts zu sehen. Doch er hörte ein leises Scheppern – als wäre ein Besen umgefallen. Ein grimmiges Lächeln umspielte seinen Mund. Er ging wieder nach unten.

Unter der rückwärtigen Treppe befand sich ein kleiner Alkoven, in dem früher die Putzgeräte aufbewahrt wurden. Dahinter lag ein winziger Raum, gerade groß genug, dass man sich darin verstecken konnte. Damals hatte ein schmutziger Vorhang davor gehangen, doch er war durch ein Türchen ersetzt worden, das jetzt geschlossen war.

Rafael zögerte und holte tief Luft. Als er noch ein Kind gewesen war, hatte sein Vater ihn häufig in einem dunklen Hohlraum unter dem Fußboden eingesperrt, um ihn zu bestrafen. Bis heute hasste Rafael Aufzüge und mied enge Räume.

Er öffnete die kleine Tür, ging in die Hocke und starrte ins Dunkel. Aufnehmer und Putzeimer waren verschwunden, doch er konnte einen Besen sehen, der so schief angelehnt stand, als sei er in Eile aufgehoben worden. Schließlich entdeckte er die Spitzen zweier sehr eleganter Schuhe und hörte ein leises Keuchen.

„Sabrina.“ Er streckte eine Hand aus, vorsichtig, als versuchte er, ein ängstliches Tier aus seinem Versteck zu locken. „Komm da raus“, bat er auf Griechisch. Zurück auf der Insel, auf der er geboren worden war, verfiel er automatisch in seine Muttersprache. „Das ist doch kein Ort für dich.“

Als Kind hatte Sabrina sich oft hier versteckt, wenn der Spott zu unerträglich geworden war. Sie hatte den Vorhang zugezogen und gelauscht, während die Betreuer das ganze Haus nach ihr absuchten. Als ihr bester Freund hatte Rafael immer gewusst, wo sie sich versteckt hielt, und sobald die Luft rein war, hatte er sich zu ihr gesellt und sie dazu überredet, wieder hervorzukommen.

Im Waisenhaus waren sie beide die Außenseiter gewesen. Sabrina mit ihrem narbenbedeckten Gesicht und dem grüblerischen Schweigen, Rafael mit seinem aufbrausenden Temperament und dem kriminellen Vater.

Wenn die anderen Kinder ihnen das Leben schwer gemacht hatten, hatte Rafael immer versucht, die Aufmerksamkeit von Sabrina abzulenken, hatte sich geprügelt und Dinge kaputt gemacht. „Wie der Vater, so der Sohn“, hatten manche der Betreuer gespottet. Rafael hatte sie ignoriert; er hatte nichts mit seinem hinterlistigen, brutalen Vater gemein. Als aber einer der älteren Jungen sich einmal respektlos über Rafaels Mutter geäußert hatte, ihn damit aufgezogen hatte, wie sie gestorben war, hatte er rot gesehen.

Nach diesem ganz besonderen Kampf hatte es eine Woche Stubenarrest gegeben.

Sabrina hatte ihn heimlich besucht und ihm Essen durchs Fenster zugesteckt.

Sie waren unzertrennlich gewesen.

Auch wenn es zwischen ihnen nichts als Freundschaft gegeben hatte.

Bis zu dieser Nacht in Paris …

„Geh weg, Rafe.“

Sie sprach so leise, dass er sie kaum verstand.

Er wiederholte seine Bitte, entschiedener dieses Mal. „Parakalo“, fügte er mit brüchiger Stimme hinzu, bitte.

„Nein“, flüsterte sie.

Ihre Zurückweisung erinnerte ihn an den Tag, an dem sie ihn zurückgelassen und Andrew Templeton, ihren neuen Vater, angelächelt hatte, der sie fortbrachte. Dabei hatte Rafael sich für sie gefreut, weil er gewusst hatte, dass sie es bei einer reichen Familie leichter haben würde. Er hatte ihr Dutzende Briefe geschrieben in der Hoffnung, etwas über ihr neues Leben in England zu erfahren.

Sie hatte keinen einzigen beantwortet.

„Sei kein Feigling“, sagte er mit rauer Stimme und schob die schmerzhafte Erinnerung beiseite. „Du hast darum gebeten, mich hier mit dir zu treffen, und hier bin ich.“ Er beugte sich vor und streckte trotz seiner Klaustrophobie einen Arm in das dunkle Loch, um nach ihr zu tasten. „Also hör auf dich zu verstecken und darüber nachzugrübeln, wie hart dein Leben war. Meines war sehr viel härter.“

„Ach.“

Sie klang wütend und kam auf allen vieren aus ihrem Versteck gekrochen, eine erhitzte und entrüstete Göttin mit zerzaustem blondem Haar.

Sie richtete sich auf und schlug die Hand weg, die er ihr hinhielt. In dem leeren, widerhallenden Flur standen sie einander gegenüber. Ihre Brüste hoben und senkten sich in dem weißen Kleid, das auf dem ländlichen Calista völlig deplatziert war. Die teure Seide war mit Staub überzogen. Trotz des Wiedersehens in Paris war es noch immer ein Schock für Rafael, ihr kühles, ovales Gesicht so glatt und unversehrt zu sehen. Keine Spur mehr von den Narben, die er als Kind gekannt und geliebt hatte. Die Schönheitschirurgen hatten ganze Arbeit geleistet.

„Wie kannst du es wagen!“, fuhr sie ihn an. In den eleganten Stilettos, die ihre schmalen Fußgelenke und die langen Beine betonten, war sie fast so groß wie er.

Oh ja, Sabrina war erwachsen geworden.

„Gerade du solltest wissen …“

Ihre Stimme erstarb, als ihre Blicke sich trafen.

2. KAPITEL

Sabrina hatte ganz vergessen, was Rafaels Gegenwart in ihr auslöste. Obwohl es jetzt, da sie erwachsen waren, vor allem körperliche Anziehungskraft war. Sehr körperlich sogar. Seine ausgeprägten Wangenknochen, die muskulöse Brust und die breiten Schultern, die langen, athletischen Beine und seine arrogante Körperhaltung …

Doch es war mehr als sinnliches Begehren. Sie waren Freunde gewesen – zwei einsame Kinder, die einander Trost geschenkt hatten. Aber in Paris hatte diese Freundschaft sich auf einmal in etwas noch tiefer Gehendes verwandelt. Der Schmerz in ihrem Inneren war plötzlich wieder an die Oberfläche zurückgekehrt und hatte sich mit Rafaels verbunden. Und als sie sich in jener Nacht geliebt hatten …

Es war wie eine Offenbarung gewesen. Als sei das fehlende Teil einer zersprungenen Vase wiederaufgetaucht, die endlich wieder zusammengesetzt wurde, um nie mehr auch nur einen Tropfen Wasser entweichen zu lassen.

„Hallo, Sabrina“, sagte er in dem weichen Akzent der Insel, den sie beide als Kinder gesprochen hatten. „Schön, dich wiederzusehen.“

Er machte eine kurze Pause, bevor er fragte: „Was wissen?“

„Wie bitte?“ Sie war völlig aus dem Gleichgewicht und versuchte, sich ihre körperliche Reaktion auf ihn nicht anmerken zu lassen.

„Du hast gesagt: Gerade du solltest wissen …, aber den Satz nicht beendet.“

Autor

Jane Holland
Mehr erfahren