Sündige Champagnerküsse

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"Ein Glas Champagner, bitte." Die rauchige Frauenstimme neben ihm an der Bar elektrisiert Raffaele Casella ungemein. Heute Nacht will er endlich einmal die Sorgen um die Zukunft seiner Familie vergessen und diese fremde, exotische Schönheit in heißen Stunden der Lust verführen! Was am nächsten Morgen bleibt, sind nichts außer prickelnden Erinnerungen an sinnliche Küsse und sündige Stunden - bis Rafe zu einem Kongress nach Sizilien eingeladen wird, der unter royaler Schirmherrschaft von Prinzessin Kaliana Benhamed stattfindet - seine Königin der Nacht!


  • Erscheinungstag 21.04.2020
  • Bandnummer 2437
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714086
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sie hatte ihre Freiheit gehabt. Eine Freiheit, für die jetzt bezahlt werden musste. Während der letzten fünf Jahre hatte sie dem Druck widerstanden, sich den archaischen Traditionen ihres Heimatlandes zu beugen. Doch jetzt konnte sie ihre Verpflichtungen gegenüber Ardu Safra nicht länger ignorieren.

Es war unausweichlich.

Kaliana Benhamed stand vor dem Büro ihres Vaters. Sie wusste genau, warum er verlangt hatte, dass sie aus London zurückkam. Und damit das neue Leben hinter sich ließ, das sie sich nach der Tragödie vor fünf Jahren ganz allein aufgebaut hatte. Er bestand darauf, dass sie einen Job aufgab, den sie liebte: als Kampagnenmanagerin für Charity Resources.

Bestimmt ahnte er nicht, dass sie sich auch von Claire verabschieden musste. Einer Freundin, die zwar alles über Kaliana wusste, aber sie dennoch wie einen gewöhnlichen Menschen behandelte.

Mit diesem einen Befehl hatte ihr Vater ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, und Kaliana blieb keine andere Wahl, als in ihre Heimat zurückzukehren und sich ihrer Verantwortung zu stellen. Ihre Pflicht zu erfüllen.

Sie richtete sich auf, holte tief Luft und versuchte verzweifelt, das nervöse Flattern in ihrem Magen zu unterdrücken.

Bei dem Gedanken an die bevorstehende Diskussion hämmerte ihr Herz – hart und unerbittlich. Mühsam schluckte sie die Angst runter, denn sie wollte ihren Vater nicht sehen lassen, wie schwer ihr dieses Gespräch fiel.

Heute war sie nicht mehr die Frau von damals … nach dem Trauma … nachdem sie den Mann verloren hatte, den sie liebte. Inzwischen hatte sie für ihre Unabhängigkeit gekämpft und ihre Träume von Liebe und Glück weit von sich geschoben. Hatte ein neues Leben begonnen, das sie nicht so einfach aufgeben wollte.

Nicht einmal ihrem Vater zuliebe, dem Herrscher von Ardu Safra, einem kleinen Wüstenkönigreich am nordöstlichen Rand des afrikanischen Kontinents. Er war ein strenger Vater gewesen, aber fair. Würde er sie wirklich zwingen, einen von ihm ausgewählten Mann als ihren Ehemann zu akzeptieren? Nach allem, was sie schon ertragen hatte?

Sie schloss kurz die Augen und sandte ein letztes Stoßgebet gen Himmel, um die Kraft aufzubringen, die nächsten Minuten zu überstehen. Wenn doch wenigstens ihre Mutter eine modernere Lebenseinstellung vertreten und sich für ihr einziges Kind einsetzen würde! Aber leider stammte auch ihre freundliche, liebevolle Mutter aus einer ganz anderen Zeit.

Kaliana versuchte, ihre verspannten Schultern zu lockern, während sie auf die Wachen zuging, die um den Palast herum stationiert waren. Auf Kalinas Wunsch hin wurde sie zum Arbeitszimmer ihres Vaters gebracht.

Die großen Türen schwangen weit auf, und sie ging über den glänzenden Marmorboden zum reich verzierten Schreibtisch am anderen Ende des prunkvollen Arbeitszimmers. Ihr Vater sah von seiner Arbeit hoch und beobachtete sie aufmerksam. Hatte er eine Veränderung in ihrer Haltung bemerkt? Nahm er ihre neu gewonnene Stärke wahr? Merkte er, wie bereit sie war, gegen ihn zu kämpfen? Für ihr Recht, als eigenständige Frau in einer modernen Welt zu leben?

Sie wusste, dass sie irgendwann heiraten musste. Und wenn das passierte, wollte sie das Königreich von Ardu Safra ins 21. Jahrhundert führen. Für ihr Volk ebenso wie für sich. Aber momentan war sie dazu noch nicht bereit.

„Kaliana.“ Seine Stimme klang kühl. Distanziert. Als würde er sich an einen seiner Adjutanten wenden, nicht an seine Tochter. Sein einziges Kind. Und das war gleichzeitig der Kern ihres Problems. Sie war nämlich die einzige Erbin von Ardu Safra. „Endlich kehrst du in dein Land zurück.“

Sein vorwurfsvoller Tonfall spiegelte sich in seinen dunklen, wachsamen Augen wider. Eine stumme Warnung.

„Du hast mir keine andere Wahl gelassen.“ Kaliana blieb stehen und stellte zufrieden fest, dass er verärgert ihr kürzeres Haar betrachtete. Sie liebte ihren Long-Bob, den sie sich als neue Frisur ausgesucht hatte. Nur ein Teil der neuen Kaliana. „Immerhin hast du unmissverständlich deutlich gemacht, dass es sich um keine Bitte, sondern um einen Befehl handelt.“

Der Schock, eine persönliche E-Mail von ihrem Vater zu erhalten, steckte ihr immer noch in den Knochen. Denn sie hatte sofort gewusst, dass ihre Unabhängigkeit in ernster Gefahr war. Es wurde von ihr erwartet, dass sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren endlich heiratete.

Fünf ganze Jahre lang war sie aus ihrem Leben als Prinzessin von Ardu Safra herausgetreten, doch nun war es an der Zeit, ihrem Titel gerecht zu werden. Sosehr ihr das auch widerstrebte.

„Was trägst du da?“ Sein Blick fiel auf ihren eng anliegenden marineblauen Rock und die weiße Bluse in Kombination mit hohen Stöckelschuhen. Das von ihr selbst ausgesuchte Businessoutfit für ihr neues Berufsleben. Natürlich gefiel es ihm nicht, ihre traditionell erzogene Mutter würde es bestimmt ebenfalls ablehnen. Kaliana war in vielerlei Hinsicht eine große Enttäuschung für ihre Eltern.

„Das hier ist sozusagen mein neues Ich, Vater.“ Sie hob trotzig das Kinn, während er sie verärgert anstarrte. Es war wieder einmal klar, dass sie eine komplette Enttäuschung für ihn war. Die Tochter, die Schande über ihn gebracht hatte, weil sie einfach ihre Heimat im Stich ließ. „Was auch immer du von mir erwartest, ich habe mich jedenfalls inzwischen verändert.“

Er stand so schnell auf, dass sein schwerer Stuhl laut über den Marmorboden schabte. Wut blitzte in seinen Augen auf, als er sich auf dem Schreibtisch abstützte. „Ich verlange, dass du deine Pflicht erfüllst!“

Kaliana ballte die Fäuste, um nicht automatisch zurückzuweichen. „Meine Pflicht? Wie meinst du das?“, fragte sie mit dünner Stimme, die so leise war, dass sie ganz fremd klang.

Aber sie durfte ihm ihre Angst nicht zeigen, sonst würde er ihre Schwäche im Handumdrehen ausnutzen.

Sein Einfluss auf sie war in den letzten fünf Jahren nach und nach schwächer geworden, da ihr neues Leben bewiesen hatte, dass sie ohne den Titel Prinzessin Kaliana von Ardu Safra erfolgreich sein konnte. Sie hatte eine Führungsposition ergattert, ein Zuhause eingerichtet und Freunde, auf die sie zählen konnte – alles, ohne ihren königlichen Titel preiszugeben.

Nur Claire kannte die Wahrheit. Für ihren Arbeitgeber, ihre Kollegen und ihre Freunde war sie einfach nur Kaliana Benhamed. Und die Tatsache, dass sie all das allein erreicht hatte, irritierte ihren Vater offensichtlich sehr.

„Hochzeit.“ Er schleuderte ihr das Wort entgegen, das sie am wenigsten von ihm hören wollte. „Die Ehe ist deine Pflicht, Kaliana. Deine Pflicht als Prinzessin von Ardu Safra. Deine Pflicht als meine Tochter und einzige Erbin unseres Königreichs.“

Sie ballte die Hände fester zusammen, und ihre Nägel gruben sich in die verschwitzten Handflächen. „Das passt nicht zu dem Leben, das ich jetzt führe, Vater.“

„Das Leben, das du jetzt führst?“, wiederholte er mit finsterer Miene. „Ich habe dir lediglich erlaubt, dich vorübergehend einer Fantasie vom bürgerlichen Leben hinzugeben.“

„Das ist keine Fantasie, Vater, es ist jetzt mein Alltag. Ich habe es mir genauso ausgesucht.“

Er seufzte und sah sie mit einem etwas weicheren Gesichtsausdruck an, was sie an den Vater erinnerte, der er früher einmal gewesen war. Der sie geliebt hatte, obwohl er auf einen Sohn gehofft hatte. Er war ein freundlicher, entspannter Mensch gewesen – bis die Bürde, ein winziges, finanziell schlecht aufgestelltes Königreich zu erben und zu regieren, diesen Mann verändert hatte. „Ich verstehe, warum du gehen musstest. Darum habe ich nichts gesagt, als du uns den Rücken gekehrt und deine königlichen Pflichten ignoriert hast.“

„Dann musst du doch auch verstehen, warum ich nicht heiraten kann. Niemals.“

„So einfach ist das nicht, Kaliana. Unser Königreich ist in Gefahr. Unser Volk ist es auch. Und der einzige Ausweg ist, dass du heiratest.“

Die Resignation in seiner Stimme schockierte sie. Der wütende Herrscher von gerade eben war verschwunden. Und jetzt appellierte er – ziemlich erfolgreich – an ihr Gewissen. Offenbar war die Lage wirklich ernst.

„Und wen soll ich heiraten, Vater? Alif, der Mann, den ich geliebt habe, ist tot!“ Ein stechender Schmerz durchfuhr sie, als sie sich erinnerte, wie ihr Verlobter wenige Wochen vor ihrer Hochzeit bei einem tragischen Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war.

„Nassif hat um deine Hand angehalten.“ Die Worte ihres Vaters verdrängten ihre Erinnerung.

„Nassif?“ Kaliana dachte zuerst, sie hätte sich verhört. Wie konnte ihr Vater glauben, dass sie jemanden wie Nassif als Ehemann akzeptieren würde?

„Alifs grausamer und boshafter Onkel? Das kannst du doch wohl nicht ernst meinen?“ Ihre Kehle war so trocken, als wäre sie den ganzen Tag in der Hitze durch die Wüste gewandert, ohne einen Schluck Wasser zu trinken. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie atmete tief durch, um die Kontrolle über dieses Gespräch zurückzugewinnen. „Ich kann nicht. Ich kann das einfach nicht machen.“

„Die Ehe mit Nassif wird unsere Länder vereinen, so wie es vor fünf Jahren hätte geschehen sollen, als du mit Alif verlobt warst.“ Ihr Vater hatte wieder hinter seinem Schreibtisch Platz genommen, und der weiche Ausdruck in seinen Augen war verschwunden. Sie hatte dummerweise gehofft, ihr Vater würde sich ehrlich freuen, seine Tochter nach fünf Jahren endlich wiederzusehen. Damit hatte sie wohl falschgelegen.

Kalianas Knie wurden weich, weil Schmerz und Kummer ihr die Kraft raubten. Die Pläne ihres Vaters versetzten sie in Panik. Vor allem, weil sie wusste, dass er aus echter Verzweiflung handelte. „Aber Nassif ist doch viel älter als ich.“

„Das ist wahr“, sagte er langsam, und seine Antwort auf ihren Einwand klang halbherzig. „Jetzt, wo seine Frau gestorben ist, will er dich eben zum Altar führen …“

Sie wich zurück und presste beide Hände an die pochenden Schläfen. „Nein. Ich werde ihn nicht heiraten.“

Übelkeit stieg in ihr hoch, und das Bedürfnis, sich einfach umzudrehen und wegzurennen, wurde fast unwiderstehlich. Aber sie konnte nicht fliehen. Irgendwo tief in ihr war das Pflichtgefühl verwurzelt, das ihre Mutter ihr von klein auf so energisch eingepflanzt hatte. Die Verantwortung, die ihre königliche Stellung mit sich brachte. Kaliana war es ihrer Familie und ihrer Heimat schuldig.

Tief im Inneren hatte sie immer gewusst, dass ihr Vater ihr eine Gnadenfrist gelassen hatte, um den Schmerz ihres gebrochenen Herzens zu heilen. Aber jetzt war dieser Aufschub vorbei. Es war Zeit für sie, das Richtige zu tun. Die Pflicht zu erfüllen, die ihr von Geburt an vorherbestimmt war.

Aber eine Ehe mit Nassif? Sie zitterte vor Ekel. Es war schlimm genug, jemanden heiraten zu müssen, aber den widerwärtigen Onkel ihres ehemaligen Verlobten?

Das war undenkbar!

Ihr Vater beobachtete sie, ohne etwas zu sagen. Er rührte sich nicht einmal, als sie ihn mit Tränen in den Augen ansah. Ihn stumm anflehte, sie zu verstehen. Sie hoffte inständig, er würde jemand anderes finden, der ihrem Land nützlich sein konnte.

Was wäre eigentlich, wenn sie sich jemand anderen aussuchen würde?

Angespornt durch diese neue Idee, diesen verzweifelten Lösungsweg, ging sie einen Schritt auf ihren Vater zu. „Ich kann Nassif nicht heiraten, Vater.“

„Ardu Safra steht vor dem finanziellen Ruin. Während du in London warst, ist es hier wesentlich schlimmer geworden.“

„Warum hast du mir das nicht erzählt?“

„Ich habe mit der Verbindung zu Alif gerechnet, um die Dinge in Ordnung zu bringen.“ Die Schärfe seiner Worte verbarg nur schwer seine Panik und den Ernst der Lage.

„Es gab schon damals Probleme?“, fragte sie betroffen. Sie war in London glücklich und frei gewesen, während ihre Mutter und ihr Vater diese Last getragen hatten?

„Ja. Und jetzt muss ich dich darum bitten, diese Ehe mit Nassif einzugehen.“ Sein Tonfall klang hart und entschlossen.

„Vater, nein. Nicht Nassif.“

„Er ist ein sehr reicher Mann.“ Ihr Vater sah sie Hilfe suchend an, was Kaliana tief in ihr Herz traf. „Und er ist bereit, in Ardu Safra zu investieren.“

Sie schüttelte protestierend den Kopf, aber der verkniffene Mund ihres Vaters warnte sie davor, jetzt zu widersprechen.

„Diese Ehe wäre unsere finanzielle Rettung, wie sie dieses Land schon vor fünf Jahren gebraucht hätte.“ Sie kannte diese feste Entschlossenheit in seiner Stimme. Er würde am Ende bekommen, was er wollte. In gewisser Weise.

Schließlich wollte er Ardu Safra retten, indem er sie mit einem reichen Mann verheiratete. Aber musste dieser Mann Nassif sein?

Ihr Herz schlug vor Aufregung schneller. Sollte sie es wagen, es ihm zu sagen? Seinen Zorn riskieren? Und seine Missbilligung? „Nein. Ich kann das nicht tun.“

„Stell dir doch nur mal die Schande vor, der deine Mutter ausgesetzt sein wird“, versuchte er zu argumentieren. Ihr war klar, dass er sie damit emotional erpressen wollte.

„Hier geht es nicht um Mutter“, sagte sie abwehrend und starrte ihn wütend an. In ihr reifte die Überzeugung, dass sich ihr Problem lösen ließ. Wie eine Sonne, die über den dunklen Bergen der Wüste aufging. Mit jeder Minute wurde diese Kraft größer und stärker.

„Und die Leute von Ardu Safra? Wirst du danebenstehen und zulassen, dass sie in Armut und Hunger leben, weil du deine Pflicht nicht tust? Weil du keine Ehe eingehst, um den Wohlstand in unser Königreich zurückzubringen?“

Verdammt, er hatte alle Trümpfe in der Hand. Und er spielte seine Karten gut aus. Zu gut.

Zögernd schüttelte sie den Kopf.

„Wie werden deine Wohltätigkeitsorganisationen reagieren, wenn sie erfahren, wer du wirklich bist? Dass du dem Land deiner Geburt den Rücken gekehrt hast? Deinem Volk?“ Er stand wieder auf, und seine Drohung, ihre wahre Identität preiszugeben, gab ihr den Rest.

„Das ist nicht fair.“ Wie hatte sie daran glauben können, das Leben sei jemals fair?

„Du musst jemanden heiraten, Kaliana. Und zwar einen Mann, der große Reichtümer besitzt. Der in der Lage ist, an deiner Seite zu herrschen, wenn die Zeit gekommen ist.“ Er machte eine kurze Pause und ließ ihr Zeit, über seine Worte nachzudenken. „Dies ist dein Land. Es ist dein Volk.“

Das war’s, es gab keinen Ausweg! Aber ihr Entschluss stand fest: Sie würde sich einen eigenen Ehemann aussuchen.

„Dann werde ich jemand anderen finden“, erwiderte sie trotzig. „Ich werde einen Mann finden, der Ardu Safra die nötigen wirtschaftlichen Mittel zur Verfügung stellen kann.“

Ihr Vater sah sie finster an, aber bevor er ihre Idee abschmettern konnte, sprach sie schnell weiter. „Ich kann und will Nassif nicht heiraten.“

Sie erwartete, dass er wütend werden würde. Aber sein Zorn blieb aus. Ihr Vater starrte sie einfach bloß fassungslos an.

Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. „Glaubst du wirklich, du kannst einen Mann finden, der reicher ist als Nassif und gleichzeitig bereit wäre, dich zu heiraten und der Ehemann einer echten Prinzessin zu sein?“

„Ja, Vater, das tue ich.“ Die Verzweiflung verlieh ihr neue Kräfte. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie ihr Ziel jemals erreichen sollte.

„Sehr gut, in dem Fall werde ich mich so oder so auf eine Hochzeit vorbereiten.“

„Wie bitte?“

„Am Tag deines sechsundzwanzigsten Geburtstags wirst du verheiratet sein!“

„Aber das ist schon Anfang Oktober. Nur noch vier Monate?“

Er nickte ernst. Sie wollte protestieren, aber das machte keinen Sinn. Sie konnte es ihrem Vater deutlich ansehen, und sie wusste ja genau, in welcher Zwangslage er steckte.

Sie konnte das schaffen. Sie musste es tun.

„Bis September bleibt dir Zeit“, verkündete ihr Vater feierlich. „Such dir bis dahin einen geeigneten Ehemann, sonst heiratest du Nassif an deinem Geburtstag.“

1. KAPITEL

Anfang Juni

Raffaele Casella konnte seinen Frust kaum kontrollieren.

Selbst auf dem Rückflug von Sizilien nach London hatte er sich nicht wieder in den Griff bekommen. Die Irritation darüber, was sein Vater ihm eröffnet hatte, nagte an ihm. Der alte Mann war nach seiner Krebsdiagnose besorgniserregend ruhig geblieben und hatte die ernste Situation, in der sich die Familie jetzt befand, tonlos geschildert.

Der Name Casella könnte vom Erdboden verschwinden. Und damit der gesamte Besitz – Land und Reichtum –, der von einer Casella-Generation an die nächste weitergegeben worden war.

Denn leider hatte Raffaeles Zwillingsbruder Enzo gerade erst erfahren, dass er unfruchtbar war. Diese Nachricht brachte nicht nur seine Ehe mit Emma in Gefahr – es war auch für die Familie ein Desaster, dass er demzufolge keinen Casella-Erben zeugen konnte.

Ihr Vater war in Panik geraten und hatte sich sofort an Rafe gewandt, um ihm die Verantwortung für die nächste Generation aufzulasten. Jetzt war er der Einzige, der sicherstellen konnte, dass das Vermögen in der Familie blieb.

Entsetzt hatte Rafe während der Diskussion mit seinem Vater und Enzo darum gekämpft, seine Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Immerhin war sein Vater ernsthaft krank, und Rafe hatte sein Leben lang versucht, es dem Alten recht zu machen, war aber stets gescheitert. Enzo, der erstgeborene Zwilling, war der Sohn, dem diese Ehre immer zuteilgeworden war.

Selbst dann, als er Rafe brutal verraten hatte und damit eine Familie auseinanderriss, die bereits schwer unter einer Tragödie zu leiden hatte.

Der Name Casella würde aussterben, wenn Rafe nicht heiratete und keine Kinder bekam. Das war die bedrohlichste Krise, mit der die Familie seit drei Generationen konfrontiert war.

Der Druck lastete schwer auf ihm, denn eine Ehe war kein Punkt auf seinem Lebensplan. Ebensowenig wie Kinder. Doch er hatte keine andere Wahl. Entweder das oder er musste dabei zusehen, wie seine Cousine Serafina und ihr gieriger Ehemann Giovanni Romano sich alles unter den Nagel rissen, was die Casella-Dynastie aufgebaut hatte.

Das konnte Rafe nicht zulassen, denn ein Teil dieses Erbes bedeutete ihm mehr als alles andere: das Stück Land seiner Mutter. Der Ort, an dem er und Enzo zusammen mit Franco, einem Freund aus Kindertagen, einst glücklich gewesen waren.

Es war ein Ort voller Erinnerungen an seine geliebte Mutter. Erinnerungen, die er seit ihrem Tod gehütet hatte – damals, als er und Enzo noch Teenager gewesen waren.

Allein schon für diese Olivenhaine würde Rafe alles tun. Auch heiraten. Selbst Vater werden. Er musste dafür sorgen, dass Pietra Bianca in seinem Besitz blieb. Für Rafe ging es in erster Linie darum, das Andenken seiner Mutter zu erhalten.

Der Gedanke an Giovanni frustrierte Rafe. Seufzend bestellte er sich einen zweiten Whisky und blendete die leisen Töne der sanften Klaviermusik aus, die durch die Bar des exklusiven Londoner Hotels klangen.

Giovanni Romano durfte Pietra Bianca niemals in die Finger bekommen!

Rafe trank die feurige Flüssigkeit in einem Zug aus und knallte das leere Glas auf die Theke. Während der letzten hitzigen Worte, die er und sein Bruder gewechselt hatten, hatte Enzo deutlich gemacht, dass er trotz allem von Rafe erwartete, das Vermögen von Casella zu retten.

„Verdammt noch mal, Vater“, murmelte Rafe und starrte vor sich ins Leere. „Und verdammt noch mal, Enzo!“

Im Geiste stellte er sich vor, wie Serafina und Giovanni das Casella-Vermögen für sich beanspruchten. Nein, das durfte niemals passieren! Gereizt gab er dem Barkeeper ein Zeichen und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen, wie der daraufhin ein weiteres Glas Whisky einschenkte.

Rafe nahm das Glas und hob es zu seinem Spiegelbild hinter der Theke. Auf seine Zukunft. Seine Ehe. Seine Vaterschaft. Die Dinge, die er nie wollte und die jetzt seine einzige Option waren.

Das blanke Entsetzen, das ihn gepackt hatte, als sein Vater seine Erwartungen deutlich aussprach, wurde auch vom Whisky nicht schwächer.

Sein Vater hatte immer nur Enzo als wahren Erben betrachtet und erwartet, dass sein erstgeborener Sohn heiratete und eine neue Generation hervorbrachte. Rafe war wie üblich nur die Zweitbesetzung gewesen. Ein zusätzliches Ass im Ärmel, um das imposante Erbe zu sichern.

Eine Karte, die sein Vater jetzt ausspielen musste, nachdem Enzos Ehe und Familienplanung im Begriff war, so spektakulär zu scheitern. Eine Scheidung schien unausweichlich. Die arme Emma!

Rafe versuchte, sein Mitgefühl zu verdrängen. Sie war seine erste Liebe gewesen, aber inzwischen war sie Enzos Frau. Enzos und Emmas Verrat hatte Rafe viel tiefer getroffen, als er zugeben mochte.

Er ließ den Whisky im Glas kreisen und grübelte vor sich hin. Natürlich hatte er keine Lust zu heiraten. Keine Lust auf emotionale Komplikationen. Und wo sollte er sich überhaupt eine Frau suchen? Noch dazu eine, die ihm prestigeträchtige Vorteile brachte und ihm den Sohn schenkte, den sich die Casella-Familie erhoffte!

Blieb ihm wirklich keine andere Wahl, als eine Zweckehe zu akzeptieren, die von seinem Vater eingefädelt wurde?

„Champagner!“ Die heisere Stimme der Frau, die zu ihm an die Bar kam, erregte seine Aufmerksamkeit und riss ihn aus seinen trüben Gedanken.

Ihr Akzent faszinierte ihn, und er musterte sie neugierig in den Spiegeln hinter der Bar – dankbar für die Gelegenheit, sich von seinen Problemen ablenken zu können.

Die Fremde war genauso attraktiv wie ihre Stimme. Und sie umgab ein Hauch von Raffinesse. Sie strahlte eine Zuversicht und Sympathie aus, die ihn in ihren Bann zogen. Plötzlich wollte er mehr als nur einen verstohlenen Blick in den Spiegel. Viel mehr. Er wollte sie kennenlernen. Sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen.

Ein Kribbeln schoss durch seine Adern, und er musste widerwillig zugeben, dass sie die aufregendste Frau war, die er seit langer Zeit gesehen hatte. Groß und schlank, bildhübsch, und sie trug eine eng anliegende blassgoldene Seidenbluse mit aufgekrempelten Ärmeln, die vorn ziemlich tief blicken ließ.

Ihr dunkles schulterlanges Haar war zurückgebunden, wodurch ihre lebhaften braunen Augen betont wurden. Das dunkle Augen-Make-up ließ sie verrucht aussehen, genauso wie ihr sexy Schmollmund.

Sie war absolut hinreißend.

Es war lange her, seit er sich mit einer schönen Frau amüsiert hatte, vielleicht packte ihn deshalb das Verlangen so unerwartet heftig. Außerdem musste er dieses Thema bald ad acta legen, denn auch wenn er sich keine Ehe wünschte, kamen Verrat oder Untreue für ihn überhaupt nicht infrage.

Schließlich wusste er nur zu gut, wie sich das anfühlte.

Rafe nickte dem Barkeeper zu, der zügig zwei Gläser und eine Flasche Champagner brachte und sie auf die Theke zwischen Rafe und die Frau stellte. Mit einem kurzen Blick auf das Etikett überzeugte sich Rafe davon, dass ihm in gewohnter Weise der beste Tropfen serviert wurde, dann rückte er näher an die hübsche Fremde heran.

„Ich kann mich nicht erinnern, Sie eingeladen zu haben, sich mir anzuschließen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich zu ihm um, stützte einen ihrer schlanken Arme auf die Bar und blockte damit jegliche höfliche Einführung, die er hätte machen können, ab.

Ihr starrer Blick zeigte ihm deutlich, dass er dieser schlagfertigen, raffinierten Frau vor ihm niemals gewachsen sein würde. Unauffällig betrachtete er die langen, gebräunten Beine unter dem engen knielangen Rock und die sexy goldenen Sandalen an ihren zarten Füßen. Die Nägel waren knallrot lackiert.

Diese Frau strahlte ein unerschütterliches Selbstbewusstsein aus. Sie war stark. Unabhängig. Und mit so einem Körper könnte sie Rafes Nächte zu einem heißen Vergnügen machen. Nur leider würde eine Frau wie sie sicherlich keiner arrangierten Ehe zustimmen.

Dabei war sie genau sein Typ! Er wusste instinktiv, dass diese Frau in jeder Hinsicht gut zu ihm passen würde.

„Sie werden schnell feststellen, dass Sie eingeladen sind, sich mir anzuschließen“, konterte er trocken.

Aus ihren Augen schossen regelrecht Funken, und Rafe spürte direkt eine wilde Lust in seiner Leistengegend. Er biss die Zähne zusammen und unterdrückte ein Stöhnen. Diese Art von Bedürfnis hatte er seit Langem nicht mehr gespürt. Andererseits war sie eine willkommene Ablenkung.

„Und wie kommen Sie zu diesem Schluss? Sie haben bisher offensichtlich Whisky getrunken“, bemerkte sie kühl und neigte ihren Kopf zur Seite. Ihre Diamantohrringe glitzerten.

Er lächelte, weil ihm gefiel, dass sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte. „Das ist wahr.“

„Und ich war diejenige, die Champagner bestellt hat.“ Ihr Akzent vertiefte sich.

Er hatte noch nie eine Frau wie sie getroffen. In den letzten sechs Jahren hatte er es sowieso bewusst vermieden, sein Leben mit weiblicher Gesellschaft zu verkomplizieren. Stattdessen hatte er seine Firma für alternative Energien aufgebaut, um nicht mit seinem Vater und Enzo im Familiengeschäft zusammenarbeiten zu müssen. Und zwar weit weg von seiner Heimat. Sizilien barg zu viele schlechte Erinnerungen. Hier in London oder in seinem New Yorker Domizil wurde er nicht ständig an die unerträglichen Seiten seiner Vergangenheit erinnert.

Und er musste sich nicht dauernd aufs Neue beweisen.

Dann hatte die Krankheit seines Vaters alles verändert. Er war gezwungen, nach Sizilien zurückzukehren. Zurück in das Leben seines Zwillingsbruders, der damals Rafes Zukunft zerstört hatte.

Die beiden einzigen Frauen, die Rafe etwas bedeutet hatten, waren ihm genommen worden. Zuerst seine Mutter, dann Emma. Verdammt, er hatte Emma an seinen eigenen Bruder verloren. Was für ein Hohn, dass Rafe jetzt auf diese Weise in die Beziehung zwischen Emma und Enzo hineingezogen wurde.

Genervt schob Rafe seine Sorgen beiseite. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Selbstmitleid. Nicht, wenn diese Frau genau das war, was er gerade brauchte. Eine Ablenkung, in der er sich verlieren wollte – mit Haut und Haaren.

Autor

Rachael Thomas
Vor über zwanzig Jahren wählte Rachael Thomas Wales als ihre Heimat. Sie heiratete in eine Familie mit landwirtschaftlichem Betrieb ein und konnte in ihrem neuen Zuhause endlich Wurzeln schlagen. Sie wollte schon immer schreiben; noch heute erinnert sie sich an die Aufregung, die sie im Alter von neun Jahren empfand,...
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