Süße, bezaubernde Bethany

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Eigentlich ist Dr. Michael Harcus zu der hübschen Heilpraktikerin und Aromatherapeutin Bethany gekommen, um ihr gründlich die Meinung zu sagen. Er hat nämlich genug davon, dass seine Patienten neuerdings lieber zu ihr gehen! Aber als er ihr dann gegenübersteht, geschieht etwas Seltsames: Bethany ist mit ihrer natürlichen und herzlichen Art so liebenswert, dass er in ihrer Gegenwart Herzklopfen bekommt. Natürlich lässt er sich nichts anmerken - doch als er sie kurz danach bei einer Party seiner Schwester wieder trifft, spürt er, dass er sich tatsächlich in seine schöne Konkurrentin verliebt hat ...


  • Erscheinungstag 02.03.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745950
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Michael … Michael, warte einen Moment. Ich muss mit dir sprechen!“

Michael Harcus drehte sich irritiert um, dann sah er seine Schwester Connie auf den Parkplatz des Harbour Medical Centre einbiegen und musste lächeln.

„Du hättest dir die Fahrt sparen können“, sagte er, sobald sich Connie gegen den lebhaften Widerstand ihres Cockerspaniels aus dem alten Landrover gezwängt hatte. „Simon hat mir schon von deinem Barbecue erzählt, aber ich habe andere Pläne für das Wochenende.“

„Pläne?“ Connie fuhr sich durch die blonden Locken, die danach noch wilder aussahen. „Du willst doch wieder nur eine einsame Segeltour unternehmen. Komm lieber zu meinem Barbecue. Es wird dir mehr Spaß machen.“

„Ich würde mich lieber foltern lassen“, scherzte Michael. „Doch im Ernst, Connie, warum gibst du nicht endlich auf?“

„Aufgeben?“ Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen unschuldig an. „Was denn?“

„Deine Versuche, mich zu verheiraten.“

„Das bildest du dir …“

„Connie“, unterbrach Michael sie. „Es gibt auf ganz Orkney keine ledige Frau, die du meinetwegen nicht zu einem Barbecue oder einem Dinner eingeladen hast … mit dem einzigen Erfolg, dass ich immer dicker werde.“

„Unsinn.“ Connie betrachtete ihren kräftigen, einen Meter fünfundachtzig großen Bruder. „Außerdem ist Bethany Seton nicht ledig, sondern geschieden.“

Michael runzelte die Stirn. „Bethany Seton?“

Ach herrje! Sie hatte doch nicht verraten wollen, dass Bethany eingeladen war. „Hast du von ihr gehört?“, fragte sie betont gleichgültig.

Allerdings hatte Michael von ihr gehört. In letzter Zeit sprach jeder, dem er begegnete, von der Pflanzentherapeutin, die vor zwei Monaten in Sorrel Cottage eingezogen war. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie aussah. Langes, unordentliches Haar, selbst geschneiderte Röcke und flache Sandalen. Ganz der neue Stil.

„Jetzt hör mal, Connie“, sagte er gereizt. „Wenn du glaubst, dass ich mit einer Schwindlerin, die auf zweifelhafte Arzneimittel und noch zweifelhaftere Massagen schwört, irgendetwas gemeinsam habe, dann kannst du mir leidtun.“

Einen Moment war Connie verunsichert, dann räusperte sie sich und sagte: „Ich weiß, Michael, dass dir die Sache mit Amy Wylie noch zu schaffen macht, aber …“

„Zu schaffen macht?“, wiederholte er heftig. „Sie könnte noch am Leben sein, wenn dieser Scharlatan vom Festland sie nicht überredet hätte, seine nutzlosen Mittel auszuprobieren.“

„Das ist nicht sicher.“

„Beste Connie, ich bin seit zehn Jahren praktischer Arzt und weiß genau, dass Amy nicht zwei Kinder zurückgelassen hätte, wenn sie mit ihrem Krebs zu mir gekommen wäre, anstatt zu diesem Quacksalber zu gehen.“

„Bethany ist keine Quacksalberin.“

Michael zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Ach nein?“

„Nein“, beteuerte Connie. „Sie hat gültige Zeugnisse, und du würdest sie bestimmt mögen.“

„Offenbar hast du zu lange in der Sonne gelegen!“

„Das hat Simon auch gesagt“, gab Connie zu. „Nur noch sehr viel deutlicher.“

Michael musste lachen. Das passte zu Connies Ehemann. Im Übrigen hatte sich Simon Robson als idealer Partner erwiesen. Er war ruhig, zuverlässig und humorvoll. Alle Zweifel, ob es richtig gewesen war, mit seinem Schwager eine gemeinsame Praxis aufzumachen, hatten sich schon in den ersten Tagen gelegt.

„Dann solltest du in Zukunft mehr auf ihn hören“, riet er seiner Schwester, „und endlich einsehen, dass ich mit meinem Leben absolut zufrieden bin.“

„Zufrieden damit, in einem großen, leeren Haus herumzusitzen und am Wochenende allein zu segeln? Michael, ich habe mich nie in dein Privatleben eingemischt“, Connie überhörte den Aufschrei des Protests, „aber du wirst nicht jünger …“

„Vielen Dank.“

„Und wenn du nicht aufpasst, entwickelst du dich zu einem griesgrämigen alten Junggesellen. Du bist sechsunddreißig und seit zwei Jahren nicht mehr ausgegangen …“

„Weniger kann man sich wirklich nicht einmischen.“

„Michael!“

„Schon gut, schon gut.“ Michael kapitulierte vor den blitzenden Augen seiner Schwester. „Aber eins solltest du wissen, Connie. Solange ich noch nicht an Krücken gehe, kann ich mir meine Freundinnen selbst aussuchen.“

Connie sah ein, dass er damit recht hatte. Mit seinem dichten goldbraunen Haar, dem markanten Kinn und den breiten Schultern brauchte er sich nicht zu verstecken, doch seit Sarah Taunton Orkney vor zwei Jahren verlassen hatte, war er mit niemandem mehr ausgegangen.

„Michael, was Sarah betrifft …“

„Sprechen wir nicht von Bethany Seton und deinem Barbecue?“

Connie seufzte unwillig, denn Michael hatte plötzlich wieder sein verschlossenes Gesicht. Es war immer dasselbe. Sobald sie mit ihm über Sarah sprechen wollte, stieß sie auf eine Wand des Schweigens.

Für sie war das absolut unverständlich. Soweit sie das Verhältnis der beiden beurteilen konnte, war Sarah keineswegs Michaels große Liebe gewesen. Trotzdem hatte er sich verändert, als sie ihren Public-Relations-Job bei Flotta Oil aufgegeben hatte und in den Süden zurückgekehrt war.

Anfangs hatte niemand etwas bemerkt, doch allmählich fiel allen auf, dass Michael nicht mehr ausging und kaum noch Einladungen annahm. Der Mann, der als notorischer Herzensbrecher bekannt gewesen war, hatte sich langsam, aber sicher in einen Einsiedler verwandelt.

„Michael …“

„Wer, außer dieser Pflanzenspezialistin, ist sonst noch zu deinem Barbecue eingeladen?“

„Warum willst du das wissen, wenn du doch nicht kommst?“, fragte Connie gekränkt. „Außerdem ist es mir egal, was du über Bethany sagst … ich mag sie. Sie hat zwei süße Kinder, die sechsjährige Katie und den zehnjährigen Alistair …“

„Oh Connie …“

„Lass nur“, unterbrach sie ihn schnell und versuchte, dabei zu lächeln. „Es macht mir nichts mehr aus, wirklich nicht. Ich kann Frauen mit Kindern sehen, ohne …“

„Warum willst du nicht noch zusätzliche Tests machen lassen?“

„Weil ich bei mehr Spezialisten war, als ich zählen kann, und weil sie alle dasselbe gesagt haben. Aus einem nicht zu erklärenden Grund bin ich unfruchtbar, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit zweiunddreißig Jahren noch ein Kind bekomme, ist gleich null.“

„Connie, ich …“

„Deshalb ist es mir ja so wichtig, dass du unseren Familiennamen fortsetzt.“

Michael brach in schallendes Gelächter aus. „Das kannst du vergessen, Schwesterherz. Ich bin ein überzeugter Junggeselle.“

„Ein überzeugtes Ekel … das bist du!“

„Aber du liebst mich trotzdem?“

Connie nickte. „Natürlich, und ich möchte, dass du glücklich wirst … so wie Simon und ich.“

„Abgemacht, Connie.“ Michael zwinkerte ihr zu. „Wenn ich jemand wie Simon treffe, werde ich ihn heiraten.“

Connie wollte etwas erwidern, unterließ es dann jedoch. Dann stampfte sie zornig mit dem Fuß auf. „Also weißt du … nein, du bist unmöglich!“ Sie machte auf dem Absatz kehrt. „Außerdem muss ich gehen. Dir kann es ja egal sein, aber wenn ich mich nicht beeile, bekommen meine Gäste morgen Abend nur Bratwürste zu essen.“

„Connie, warte!“

Den Gefallen tat sie ihm nicht. Sie verließ den Parkplatz, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, und während Michael ihr nachblickte, verschwand sein Lächeln. Connie meinte es gut, das wusste er, nur …

Vor sehr langer Zeit hatte er sich einmal als Ehemann und Familienvater gesehen. Vor sehr langer Zeit war er so verliebt gewesen, dass er alles für eine Frau aufgegeben hätte. Das war in Aberdeen gewesen, wo er im Krankenhaus sein letztes praktisches Jahr absolviert hatte. Aber eines Abends war er nach Hause gekommen und hatte nur noch eine verlassene Wohnung vorgefunden.

Natürlich hatte ein Brief auf dem Tisch gelegen, mit einem unmissverständlichen Inhalt. Lorraine hatte genug davon, dass er jeden Abend todmüde ins Bett fiel. Genug davon, dass er ständig arbeitete, genug davon, dass nie Geld da war, genug von allem, was mit Michael Harcus zusammenhing.

Danach hatte er die Freundinnen immer schneller gewechselt. Sobald eine ernstere Absichten erkennen ließ, zog er sich zurück, bis Sarah Taunton ihm einige bittere Wahrheiten sagte.

„Ich weiß nicht, welche Frau dich so bindungsscheu gemacht hat“, erklärte sie, während sie ihre Sachen packte, „und ich will es auch nicht wissen. Ich verlasse dich, ehe ich etwas wirklich Dummes tue, denn du hältst es doch für dumm, sich zu verlieben, oder? Du genießt die Jagd, die Eroberung, aber jede Bindung ist dir ein Gräuel. Ich hätte Mitleid mit dir, wenn ich nicht wüsste, dass dein Herz schon lange tot ist. Natürlich hast du ein Organ, das man ‚Herz‘ nennt und das Blut durch deinen Körper pumpt, aber ein Herz, das für andere schlägt, sich um sie sorgt und für sie da ist … nein, das hast du schon lange nicht mehr.“

Sarahs Worte fielen Michael wieder ein, während er in sein Auto stieg, um nach Hause zu fahren. Er wusste noch, wie wütend er damals gewesen war. Erst allmählich hatte er die Botschaft begriffen und sich geschworen, keine flüchtigen Beziehungen mehr anzufangen, und wenn er darüber zum Einsiedler werden sollte.

„Dr. Harcus … Dr. Harcus!“

George Abbot winkte vom Rand der Albert Street, und Michael hielt sofort an. George, ein ehemaliger Fischer, litt seit fünf Jahren unter Arthritis in den Knien, aber weder Schmerztabletten noch entzündungshemmende Mittel, die Michael verschrieben hatte, schlugen an. Zum Schluss hatte er sich schweren Herzens für ein Kortisonpräparat entschieden, und nach Georges strahlendem Gesicht zu urteilen, schien es zu wirken.

„Sie sehen wohl aus, George“, meinte Michael, nachdem er die Fensterscheibe heruntergekurbelt hatte. „Das Kortison scheint Ihnen zu bekommen.“

„Ich nehme es nicht mehr, Doktor“, antwortete George. „Anfangs ja, aber dann nicht mehr.“

„Ich habe doch ausdrücklich gesagt, dass Sie die ganze Packung …“

„Das stimmt schon, doch die nette Kleine hat mir etwas anderes verschrieben.“

Michael zog die Augenbrauen hoch: „Die nette Kleine?“

„Mrs. Seton … die Pflanzentherapeutin drüben in Evie. Oh, nichts Schlimmes“, fuhr George schnell fort, als er Michaels gefährlich veränderten Gesichtsausdruck bemerkte. „Die Kohlblätter sind vielleicht etwas ungewöhnlich …“

„Die Kohlblätter?“

„Ich muss sie erst bügeln und dann mir heiß auf die Knie legen. Zuerst fand ich das auch verrückt, aber es hilft, und die Kräuter, die sie mir zusätzlich gegeben hat, wirken Wunder.“

Michael verzog die Lippen. „Tatsächlich?“

„Ich möchte nicht, dass Sie mich für undankbar halten, Doktor.“ Ein ängstlicher Ausdruck erschien auf dem wettergegerbten Gesicht des alten Fischers. „Doch es ist nun einmal so. Ihre Tabletten haben nie geholfen, während Mrs. Seton … Ich habe es seit Jahren nicht mehr zu Fuß bis zur Albert Street geschafft.“

Zähneknirschend kurbelte Michael die Scheibe wieder hoch. Es wurde höchste Zeit, nach Evie hinüberzufahren und Mrs. Bethany Seton einen Besuch abzustatten. Einen netten nachbarschaftlichen Besuch, wie Connie gesagt hätte. Leider musste er sowohl auf „nett“ wie auf „nachbarschaftlich“ verzichten. Bethany Seton trug den Kopf etwas zu hoch. Jemand musste ihn ihr zurechtrücken, und er, Michael, war genau in der richtigen Stimmung dazu.

„So ein verfluchter Mist!“, rief Bethany Seton, als ein Strahl schmutzigen Wassers aus dem Abflussrohr spritzte und den Fußboden überschwemmte.

„Mummy! Du hast gerade etwas ganz Schlimmes gesagt!“

Mummy würde gern noch viel Schlimmeres sagen, dachte Bethany, während sie sich hinkniete, um den Schaden zu betrachten. Mummy würde den Idioten, der „Kleine Pannen leicht behoben“ geschrieben hatte, am liebsten eigenhändig erwürgen. Ein verstopftes Küchenbecken zu reinigen hatte darin kinderleicht gewirkt, und was war das Ergebnis? Sie hatte jetzt nicht nur ein verstopftes Becken, sondern auch noch einen überschwemmten Fußboden.

„Alistair, könntest du Mr. Duncan anrufen? Der Zettel mit der Nummer liegt auf dem Schreibtisch.“

„Ich tue es“, protestierte Katie. „Ich habe beim Becken geholfen und darf jetzt auch anrufen.“

„Du bist noch zu klein“, erklärte Alistair mit der ganzen Würde seiner zehn Jahre. „Du würdest alles falsch machen.“

„Stimmt nicht!“

„Stimmt doch!“

„Mummy, sag ihm, dass ich nicht …“

„Katie, würdest du Alistair bitte telefonieren lassen, bevor das ganze Haus unter Wasser steht?“

Katies Lippen begannen verdächtig zu zittern, dann lief sie schnell aus der Küche. Alistair folgte ihr mit empörter Miene.

Oh nein, dachte Bethany, so habe ich es doch nicht gemeint. Aber es würde neue Kosten geben. Immer, wenn sie gerade hoffte, es endlich geschafft zu haben, gab es neue Rechnungen. Klempner waren teuer. Zwanzig Pfund pro Stunde war etwa der Durchschnittslohn, natürlich ohne Material.

Tränen traten Bethany in die Augen, aber sie wischte sie schnell weg. Selbstmitleid würde die Probleme nicht lösen und sie keinen Schritt weiter bringen.

Ob Mr. Duncan ihr erlauben würde, die Rechnung in Raten zu bezahlen? Vielleicht ließ er sich auch von ihr massieren und verzichtete dafür auf sein Geld? Nein, das war keine gute Idee. Männer bekamen immer einen so merkwürdigen Blick, wenn man von Massagen sprach. Diesen Blick, bei dem man an billige Hotelzimmer und Peitschen schwingende Lederdamen denken musste.

„Mummy … Mr. Duncan ist da!“, rief Katie aus ihrem Schlafzimmer.

Himmel, das war schnell. Entweder hatte Mr. Duncan in der Nachbarschaft gearbeitet, oder er besaß Flügel.

„Er kommt nicht in einem Laster, sondern in einem riesengroßen Auto!“

Also keine Flügel, sondern ein riesengroßes Auto. Na wunderbar, da konnte sie auf die zwanzig Pfund Durchschnittslohn getrost noch fünf Pfund aufschlagen!

Bethany legte seufzend den Wischlappen aus der Hand und ging zum Fenster. Ein imponierender Mann, dieser Robert Duncan. Connie hatte ihn als den besten Klempner von Orkney gerühmt, aber vergessen hinzuzufügen, dass er auch groß und kräftig war und ausgesprochen gut aussah.

Kein Wunder, dass er es sich leisten kann, einen leuchtend roten Mercedes zu fahren, dachte Bethany gehässig, während sie sein markantes Kinn und sein goldbraunes Haar registrierte. Offensichtlich kam niemand auf den Gedanken, seine Rechnungen zu beanstanden – die Männer nicht, weil sie seine Größe fürchteten, und die Frauen nicht, weil sie von ihm träumten.

Sie selbst, eine dreiunddreißigjährige geschiedene Frau, die mit ihren Kindern praktisch von nichts lebte, würde sich durch ein anziehendes Gesicht nicht beeindrucken lassen. Wenn Mr. Duncan seine Rechnung schickte, würde sie sie mit der Lupe überprüfen, ehe sie auch nur einen Penny bezahlte.

2. KAPITEL

Der Anblick von Sorrel Cottage versetzte Michael in Erstaunen. Vor einigen Wochen, als er zum letzten Mal in Evie gewesen war, hatte das Cottage schon schlimm ausgesehen, aber jetzt wirkte es beinahe verfallen.

Der Garten war eine Wildnis, auf dem Kiesweg zum Haus wucherte Unkraut und hätte das rot-weiße Dreirad nicht vor der Tür gelegen, wäre man kaum auf den Gedanken gekommen, dass hier jemand wohnte.

Einen Moment zögerte er an der Tür. Es gab eine Klingel, die so verrostet war, dass sie vermutlich nicht mehr funktionierte, und auch der Klopfer machte keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Da die Tür offen stand, betrat er kurz entschlossen den Flur, wo ihm ein langhaariges Hundeungetüm von zweifelhafter Rasse laut bellend entgegensprang.

„Keine Angst, er tut Ihnen nichts!“, rief eine Stimme, als Michael unwillkürlich zurückwich. „Gut Freund, Tiny … gut Freund!“

Tiny wirkte nicht so, als verstünde er den Sinn dieser Worte, aber zu Michaels Erstaunen hörte er sofort auf zu bellen und setzte sich hin.

„Er ist wirklich die Sanftmut selbst“, fuhr die Stimme fort. „Trotz seiner furchterregenden Erscheinung kann er niemandem etwas zuleide tun.“

Wie zur Bestätigung dieser Worte, begann Tiny mit dem Schwanz zu wedeln, aber seine Bemühungen waren vergeblich, denn Michael hatte nur noch Augen für die Frau, die in einem farbverschmierten Overall und Gummistiefeln auf ihn zukam.

Zuerst stellte er fest, dass er mit dem Haar unrecht gehabt hatte. Es war zwar lang, aber nicht unordentlich, sondern zu einem dicken Zopf geflochten, der über den Rücken fiel. Auch die Farbe stimmte nicht, denn statt Kastanienbraun hatte er ein unbestimmtes Blond erwartet. Am meisten aber irritierten ihn die Augen – die größten grauen Augen, die er jemals gesehen hatte.

Wäre er romantisch veranlagt gewesen, hätte er diesen Moment als Schicksalsmoment bezeichnet, doch zu diesen schwärmerischen Menschen gehörte er nicht. Als er bemerkte, dass das anfängliche Lächeln der Frau einem zunehmenden Ausdruck der Unsicherheit wich, nahm er sich rasch zusammen.

„Mrs. Seton?“, fragte er in der heimlichen Hoffnung, sich zu irren.

„Ja, das bin ich“, antwortete sie, wobei ihr Lächeln zurückkehrte. „Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.“

Michael runzelte die Stirn. „So schnell? Mrs. Seton, ich …“

„Hier entlang, bitte“, fuhr sie fort und ging voran, vorbei an einem Berg von Gummistiefeln, Tennisschlägern und ausgesondertem Spielzeug. „Ich hoffe, dass es nur eine Luftblase ist, aber …“

„Mrs. Seton?“ Michael merkte, dass er durch Wasser watete, und sah nach unten. „Ihr Fußboden steht unter Wasser.“

„Ich habe versucht, die Verstopfung selbst zu beseitigen. In dem Buch wirkte alles so einfach, aber …“ Bethany zuckte die Schultern. „Wie Sie sehen, war es das nicht.“

„Ich war schon immer dafür, derartige Dinge den Fachleuten zu überlassen“, meinte Michael. „Sonst bezahlt man am Ende das Doppelte.“

Das klang äußerst ungünstig, doch das Becken musste gereinigt werden, und zwar schnell. Sollte sie Mardi bitten, weniger Stunden zu arbeiten? Nein. Die Beschäftigung einer Assistentin mochte ein Luxus sein, aber ohne Mardi musste sie ständig die Sprechstunde unterbrechen, um Anrufe entgegenzunehmen. Sparen ja, aber nicht an der falschen Stelle.

„Können Sie gleich anfangen?“, fragte sie. „In einer Stunde erwarte ich nämlich einen Patienten.“

„Anfangen?“, fragte Michael verständnislos. „Womit?“

„Mit der Reinigung des Beckens natürlich.“

„Des Beckens?“

Allmächtiger! Der Mann mochte mancher Frau schlaflose Nächte bereitet haben, aber er war außergewöhnlich begriffsstutzig.

„Deswegen habe ich Sie gerufen, Mr. Duncan. Die Überschwemmung ist nur eine Zugabe.“

Endlich begriff Michael. „Mrs. Seton, ich bin Michael Harcus … Dr. Michael Harcus vom Harbour Medical Centre in Kirkwall.“

Bethanys Augen wurden noch größer, dann begann sie zu lachen. „Dann ist dies ein Freundschaftsbesuch? Bitte, nehmen Sie Platz … nein, hier lieber nicht. Kommen Sie mit ins Wohnzimmer.“

„Mrs. Seton …“

„Darf ich Ihnen Kaffee anbieten? Oder lieber Tee?“

„Mrs. Seton …“

„Ich schwatze dummes Zeug, ich weiß, und ich lasse Sie nicht zu Wort kommen.“ Bethany sah ihn mit einem erwartungsvollen Lächeln an. „Was wollten Sie sagen?“

Michael konnte nicht anders, er musste das Lächeln erwidern. Die Strafpredigt, die er sich während der Fahrt zurechtgelegt hatte, war plötzlich überholt. Diese Bethany Seton war ganz anders, als er erwartet hatte. Mochte sie auch zwei Kinder haben, sie wirkte immer noch zart und verletzlich, auf eine Weise, die ihm zu Herzen ging. Lag das an ihrer zierlichen Figur – sie mochte etwa einen Meter achtundfünfzig groß sein –, waren es die Schatten unter den Augen oder die Traurigkeit darin, die von Unglück und Kummer sprach? Michael wusste es nicht, und er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass dieselbe Frau George Abbot geraten hatte, die Kortisontabletten abzusetzen und sich heiße Kohlblätter auf die Knie zu legen.

„Ich würde mein Erscheinen nicht unbedingt als Freundschaftsbesuch bezeichnen, Mrs. Seton“, sagte er. „Eher als eine gut gemeinte Warnung. Hören Sie auf, meine Patienten abzuwerben.“

„Abzuwerben?“ Anscheinend verstand sie ihn wirklich nicht. „Welche Patienten? Von wem sprechen Sie?“

„Von George Abbot, dem ehemaligen Fischer, und seiner Arthritis. Sie haben ihm geraten, die Kortisontabletten abzusetzen.“

„Nie im Leben würde ich einem fremden Patienten …“

„Sie haben ihm ein albernes Märchen über die Heilkraft von Kohlblättern aufgebunden und …“

„Einen Augenblick“, unterbrach Bethany ihn. Ihre blassen Wangen hatten sich gerötet. „Erstens würde ich niemals einem Patienten raten, die von seinem Arzt verschriebenen Medikamente abzusetzen, und zweitens ist Pflanzentherapie kein albernes Märchen. Die Menschen benutzen seit Jahrtausenden Pflanzen, um Krankheiten zu heilen …“

„Und am Ende an diesen Heilmitteln zu sterben. Rosmarin kann zu Fehlgeburten führen, Fenchel kann epileptische Anfälle auslösen …“

„Wohingegen uns die herkömmliche Medizin missgebildete Kinder, Tablettensüchtige und Immunschwache beschert hat. Ich schlage vor, Dr. Harcus, dass Sie sich an die Fehlerquellen Ihrer eigenen Fachrichtung erinnern, ehe Sie meine attackieren.“

„Ich bin nicht hergekommen, um über Fachrichtungen zu diskutieren“, erwiderte Michael und versuchte, Tiny auszuweichen, der sich lebhaft für den Inhalt seiner Jackentaschen zu interessieren schien.

„Nein, Sie sind hergekommen – ungebeten eingedrungen, wäre richtiger gesagt –, um mir vorzuwerfen, dass ich Patientenabwerbung betreibe“, erklärte Bethany hitzig. „Ich zerre die Menschen nicht von der Straße in mein Haus, Dr. Harcus. Sie kommen freiwillig zu mir. Soll ich sie wegschicken, weil engstirnige Ärzte wie Sie behaupten, dass ich ihnen nicht helfen kann?“

„Ich glaube gern, dass Sie ihnen helfen können“, erklärte Michael mit beißendem Spott. „Besonders, wenn es sich finanziell für Sie lohnt.“

Ihre grauen Augen blitzen zornig auf, aber es gelang Bethany, ruhig weiterzusprechen. „Ob Sie es glauben oder nicht – und ich gehe davon aus, dass Sie es nicht glauben –, für mich gibt es wichtigere Dinge als ein ansehnliches Bankkonto. Wenn ich jemandem nicht helfen kann und merke, dass etwas nicht stimmt, schicke ich ihn regelmäßig zu seinem Arzt.“

Michael zog die Augenbrauen hoch. „Und wie wollen Sie merken, ob etwas nicht stimmt, Mrs. Seton? Benutzen Sie Tarotkarten, oder blicken Sie in eine Kristallkugel?“

Bethany weigerte sich, ihre guten Manieren zu vergessen und das spöttische Lächeln mit einer Ohrfeige zu beantworten. „Ich bin ausgebildete Pflanzen- und Dufttherapeutin, Dr. Harcus, mit einer Auszeichnung in Naturheilkunde von der Middlesex University. Ja, ich dachte mir, dass Sie das überraschen würde“, fuhr Bethany fort, als sie Michaels erstauntes Gesicht sah. „Mich als Betrügerin und Quacksalberin hinzustellen sagt mehr über Sie als über mich aus.“

„Mrs. Seton …“

„Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie die Haustür beim Hinausgehen schließen würden, Dr. Harcus. Offen stehende Türen locken anscheinend unerwünschte Besucher an.“

Michael wollte etwas entgegnen, unterließ es aber und ging mit zusammengepressten Lippen zur Küchentür.

„Sind Ihnen noch andere Beschuldigungen eingefallen?“, fragte Bethany, als er stehen blieb und nacheinander in beide Jackentaschen griff.

„Mein Handy … es ist weg.“

„Wollen Sie damit sagen, dass ich es gestohlen habe?“, fragte Bethany entgeistert.

„Nicht Sie, sondern Ihr Hund. Er schnüffelte ständig an meinen Taschen herum.“

„Mein Hund ist kein Dieb, Dr. Harcus. Er würde nie …“

„Mummy, ich habe gesehen, wie Tiny es in den Garten getragen hat. Ich glaube, er wollte es vergraben.“

Die Übermittlerin dieser Nachricht war ein kleines Mädchen mit großen grauen Augen und kastanienbraunem Haar. Katie Seton, entschied Michael. Mit den Augen und dem Haar konnte es niemand anders sein.

„Sicher ist er nicht weit damit gekommen“, sagte Bethany schnell. „Ich hole es zurück.“

Na großartig, dachte Michael, als er Bethany im Garten verschwinden sah. Anstatt rechtzeitig auf seinem Boot zu sein, saß er hier auf unbestimmte Zeit fest, während Bethany Seton im Garten hinter ihrem Hund herjagte.

„Sie sehen gar nicht wie ein Klempner aus.“

Michael drehte sich um und sah einen blonden Jungen neben Katie stehen, der ihn mit großen grauen Augen misstrauisch betrachtete.

„Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich keiner bin“, antwortete er mit einem erzwungenen Lächeln. Schließlich konnten die Kinder nichts dafür, dass ihre Mutter verrückt war. „Ich bin Dr. Harcus, und du musst Alistair sein.“

Autor

Maggie Kingsley
Maggie Kingsley ist in Edinburgh, Schottland geboren. Als mittlere von 3 Mädchen wuchs sie mit einem schottischen Vater und einer englischen Mutter auf. Als sie 11 Jahre alt war, hatte sie bereits 5 unterschiedliche Grundschulen besucht. Nicht weil sie von ihnen verwiesen wurde, sondern der Job ihres Vaters sie durch...
Mehr erfahren