Süße Küsse - bittere Zweifel

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Für andere mag er ein Held sein, für sie ist er der Mann, der ihre Familie ins Unglück gestürzt hat. Reporterin Erin Powell hat nur ein Ziel, als sie Kent Terlecki in seinem Büro besucht: Seinetwegen sitzt ihr Bruder im Gefängnis und ihr kleiner Neffe muss ohne Vater aufwachsen - dafür soll Kent bitter büßen! Niemals aber hätte Erin gedacht, dass sie sich Hals über Kopf leidenschaftlich in den überaus attraktiven Gesetzeshüter verliebt! Doch so reizvoll die Stunden mit dem Polizisten auch sind - verrät sie nicht all ihre Prinzipien, wenn sie seine Zärtlichkeiten erwidert?


  • Erscheinungstag 12.05.2012
  • Bandnummer 1836
  • ISBN / Artikelnummer 9783864941504
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Als Erin Powell den Konferenzraum des Polizeikommissariats von Lakewood betrat, fuhren sämtliche Köpfe herum, und alle Gespräche verstummten.

Erin fiel auf, dass alle Anwesenden die schwarzen Uniformen der Polizei von Lakewood, Michigan, trugen. Anscheinend war sie die erste „Bürgerin“, die an diesem Abend zum Seminar der Polizeiakademie erschien.

Mitten zwischen den starrenden Augenpaaren war es ein Blick, der sie wie magisch anzog. Erin war sicher, dass Sergeant Kent Terlecki den Spitznamen „Bullet“ seinen stahlgrauen Augen zu verdanken hatte. Schon einige Male hatte sie den gut aussehenden blonden Mann gefragt, was es mit seinem Spitznamen auf sich habe, doch er hatte ihre Frage stets mit dem gleichen Schulterzucken beantwortet wie alle anderen Fragen, die sie ihm stellte.

Anscheinend kommunizierte er nicht gern mit Reporterinnen oder den Medien allgemein, obwohl er als Polizeisprecher für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war.

Erin ignorierte die abweisenden Blicke und ging mit erhobenem Kinn durch den Raum auf die Polizeibeamten zu, die sich vor dem Podium versammelt hatten. Als sie ihren Notizblock mit Schwung auf einem der vorderen Tische ablegte, klang das Geräusch in dem betretenen Schweigen ganz hohl durch den Saal.

Terlecki kam mit seinen langen Beinen angestelzt, als wolle er ihr polizeilich verbieten, sich hier aufzuhalten.

„Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte Erin leise.

„Der bin ich nicht, auch wenn Sie mich anscheinend dafür halten“, sagte er und hielt ihr vorwurfsvoll die letzte Ausgabe des Lakewood Chronicle unter die Nase.

Mit Befriedigung blickte sie auf den Artikel, den sie über ihn geschrieben hatte. Alle Einwohner von Lakewood sollten wissen, was für ein hinterhältiger Typ Kent Terlecki in Wirklichkeit war.

„Hab ich da etwa einen wunden Punkt getroffen?“, fragte sie und sah ihm herausfordernd in die stahlgrauen Augen. Dummerweise musste sie dafür ein wenig den Kopf heben, denn er war ziemlich groß. Trotzdem ließ sie sich von ihm nicht einschüchtern.

„Wenn wenigstens ein Körnchen Wahrheit drinstecken würde, könnte man auf die Idee kommen, dass es so ist. Aber an der Wahrheit ist Ihnen offenbar nicht gelegen, Miss Powell.“

Erin ignorierte die Spitze und fragte lächelnd: „Wenn Sie mich für eine solche Klatschreporterin halten, wieso lassen Sie mich dann an diesem Seminar teilnehmen?“

Terlecki zerknüllte ärgerlich die Zeitung. „Auch wenn Sie in Ihrem Artikel etwas anderes behaupten, das Seminar findet nicht auf meine Initiative hin statt. Es ist keineswegs ein verzweifelter Versuch, mein Image und das der Polizei von Lakewood aufzupolieren. Weder das eine noch das andere benötigt eine Verbesserung.“

„Wirklich nicht?“ Erin hob spöttisch eine Augenbraue. „Nach der letzten Umfrage im Chronicle glauben die Einwohner von Lakewood, dass die Arbeit der Polizei zu wünschen übrig lässt.“

„Diese Umfrage wurde nicht korrekt durchgeführt. Es gab ja gar keine Option, ‚keine Verbesserung notwendig‘ anzukreuzen.“

Erin schnaubte. „Klar, dass Sie das gewählt hätten.“

Terlecki musterte sie vorwurfsvoll. „Statt über mich herzuziehen, hätten Sie lieber über den Zweck des Seminars schreiben sollen.“

„Ach ja? Was ist denn genau der Zweck?“ Sie hatte sich für die Teilnahme angemeldet, weil sie hoffte, interne Informationen über die Polizei, und speziell über Terlecki, zu bekommen, die sie in ihren Artikeln verwenden könnte.

„Lieutenant Patrick O’Donnell hat die Polizeiakademie vor drei Jahren ins Leben gerufen, um interessierten Bürgern Einblick in unsere Arbeit zu geben. Die Teilnehmer lernen die verschiedenen Ressorts kennen und erfahren, welchen Herausforderungen wir täglich in unserem Job begegnen.“

Erin nervte es ungemein, dass Terlecki alles, was er sagte, in druckreifer Form vorbrachte. Um ihn zu ärgern, zog sie eine Augenbraue hoch und fragte in spöttischem Ton: „Welchen Herausforderungen begegnen Sie denn so?“

Er seufzte. „Ihnen zum Beispiel, Miss Powell.“

„Aha, wenn es nach Ihnen ginge, wäre ich also heute Abend nicht hier?“

Der Sergeant beugte sich so weit vor, dass ihre Köpfe sich beinahe berührten. Dann murmelte er: „Wenn es nach mir ginge …“

Erin sog zitternd den Atem ein, während ihr Puls sich beschleunigte und ihr die Hitze zu Kopf stieg. Warum hatte die Nähe dieses Mannes jedes Mal eine solche Wirkung auf sie?

„Ja, was wäre dann?“, fragte sie mit gepresster Stimme.

Sie sah, wie seine Pupillen sich weiteten und das Grau seiner Iris verschluckten, sodass seine Augen ganz dunkel wirkten. „Dann würde ich …“

„Ich möchte ja nicht stören, aber würden Sie mich bitte mal durchlassen“, sagte eine junge Frau.

„Sie stören nicht, der Kurs hat ja noch nicht begonnen“, erwiderte Terlecki höflich. Mit einem kurzen Nicken wandte er sich von Erin ab und gesellte sich wieder zu seinen Kollegen.

„Da habe ich wohl gerade was verpasst“, seufzte die junge Frau und schickte Terlecki einen begehrlichen Blick hinterher, bevor sie sich hinsetzte.

Erin stieß verärgert den Atem aus und suchte sich einen Platz, der möglichst weit von der jungen Frau entfernt war. Sie selbst war diejenige, die etwas verpasst hatte. Und zwar herauszufinden, was Sergeant Kent Terlecki tun würde, wenn es nach ihm ginge. In Anbetracht der bissigen Artikel, die sie über ihn schrieb, konnte sie leider nur böse Vermutungen anstellen …

Am liebsten würde er dieser Frau den Hals umdrehen! Verärgert warf Kent die zerknüllte Zeitung auf den Podiumstisch, an dem er später mit seinen Kollegen sitzen würde. Noch standen die Beamten davor und unterhielten sich, während der Saal sich allmählich mit den Teilnehmern füllte.

Lieutenant Patrick O’Donnell blickte von seinen Karteikarten hoch, auf denen er sich gerade noch ein paar Notizen machte, und deutete mit einem Kopfnicken zu Erin Powell hinüber. „Was macht die denn für ein Gesicht?“, fragte er Kent. „Hast du ihr etwa irgendwann das Herz gebrochen?“

Kent schnaubte. „Ich bezweifle, dass sie überhaupt eins hat.“

Paddy, wie seine Freunde ihn nannten, lachte in sich hinein. „Was hältst du eigentlich wirklich von ihr?“

Wenn Kent das bloß wüsste. Sie war verdammt angriffslustig, und gleichzeitig faszinierte sie ihn. „Ich glaube, ich muss mal meinen Verstand untersuchen lassen. Wie konnte ich mich nur damit einverstanden erklären, dass sie als Teilnehmerin zugelassen wird?“

Paddy musterte seinen Freund mit schmalen Augen. „Ich habe dich extra rechtzeitig gefragt. Ich hätte ihr liebend gern die Teilnahme verweigert.“

Obwohl Sergeant O’Donnell inzwischen befördert worden war und andere Aufgaben hatte, war das Seminar nach wie vor sein Steckenpferd, und er hatte sich bereit erklärt, auch diesmal wieder die Leitung zu übernehmen.

„Tut mir leid, dass sie immer so vernichtende Artikel über die Polizei von Lakewood schreibt“, brummte Kent.

Paddy zuckte die Achseln. „Du kannst doch nichts dafür. Du hast doch keinen Einfluss darauf, was sie schreibt.“

Nein, das hatte er nicht, obwohl er es immer wieder versuchte. Jedes Mal fand sie an seinen Presseberichten über Unfälle oder Schießereien etwas auszusetzen und warf ihm vor, die wahren Tatsachen vor der Öffentlichkeit zu verbergen. „Dich hat sie noch nie lobend erwähnt, obwohl du es verdient hättest“, sagte Kent.

Wieder lachte Paddy in sich hinein. „Ich bin froh, wenn sie mich in Ruhe lässt, glaub mir.“

„Ehrlich gesagt war das der Grund, warum ich damit einverstanden war, dass sie teilnimmt“, gab Kent zu. „Ich wage nicht daran zu denken, wie sie über dich hergezogen hätte, wenn du ihre Anmeldung abgelehnt hättest.“

Er blickte zu Erin hinüber und sah, dass sie etwas in ihren Block schrieb. Vermutlich verfasste sie gerade wieder neue Verleumdungen gegen ihn.

Während sie sich über ihren Block beugte, fiel ihr eine Haarlocke ins Gesicht, die sie sich mit einer mechanischen Handbewegung hinter das linke Ohr strich. Es war eine sehr anmutige Bewegung, und Kent konnte die Augen nicht von ihr wenden.

Eigentlich gefiel ihm alles an ihrem Äußeren – ihr volles braunes Haar, ihre rehbraunen Augen, ihre schlanke Figur mit den Kurven genau an den richtigen Stellen. Wie konnte jemand, der so hübsch war, eine solch gemeine Hexe sein?

„Mir ist ziemlich egal, was sie über mich schreibt“, versicherte Paddy. „Sie scheint sich ohnehin mehr auf dich zu konzentrieren.“

„Ja, leider.“ Seit Erin Powell vor einem Jahr als Reporterin beim Chronicle angefangen hatte, war Kent häufig Gegenstand ihrer Artikel gewesen. Sie war jung und ehrgeizig und versuchte anscheinend, sich mit ihrem polemischen Stil einen Namen zu machen. Kent bemühte sich daher, das Ganze nicht allzu persönlich zu nehmen. Obwohl er den Verdacht nicht loswurde, dass es sehr wohl persönlich gemeint war.

Wieder blickte er zu ihrem Tisch hinüber. Das junge Mädchen, das zuvor seinen Disput mit Erin unterbrochen hatte, winkte ihm zu, während Erin ihn mit einem feindseligen Blick bedachte. „Ich habe keine Ahnung, was ich dieser Frau getan habe“, sagte er kopfschüttelnd.

Paddy folgte seinem Blick. „Vielleicht ist sie ja wirklich eine alte Liebe von dir, die du sitzen gelassen hast.“

Wieder schüttelte Kent den Kopf. Eine so schöne, begehrenswerte Frau hätte er garantiert nicht vergessen. Doch mit ihr auszugehen kam nicht infrage. Eher würde er einen der Polizeihunde daten; die waren weniger bissig …

Erin wurde zunehmend ungeduldiger. Sie hatte eigentlich nicht viel von diesem Seminar erwartet, außer dass die Referenten jede Gelegenheit nutzen würden, die Arbeit der Polizei in den höchsten Tönen zu loben. Dennoch hatte sie sich vorgenommen, so viel wie möglich von dem Seminar zu profitieren.

Obwohl sie ihre Fragen an alle Polizeibeamten richtete, die auf dem Podium saßen, war es jedes Mal Terlecki, der antwortete – oder auch nicht.

Nachdem der Polizeichef seinen Vortrag gehalten hatte, gab es eine kleine Pause. Erin nutzte die Gelegenheit und folgte ihm hinaus auf den Korridor. „Chief Archer“, rief sie.

Frank Archer hielt mitten in der Bewegung und blickte sich über seine breite Schulter zu ihr um. „Ja, Miss Powell, was kann ich für Sie tun?“

„Würden Sie mir bitte ein paar Fragen beantworten?“

Archer lächelte sie charmant an. „Noch mehr Fragen? Mir scheint, Sergeant Terlecki hat bereits alle Ihre Fragen beantwortet.“

„Nicht die Fragen, die ihn betreffen.“

Der Polizeichef musterte Erin prüfend. „Was würden Sie denn gerne über den Sergeant wissen?“

„Zum Beispiel warum er den hohen Posten als Pressesprecher bekommen hat.“

Archers Lächeln erstarrte. „Weil er ein hervorragender Mitarbeiter ist, Miss Powell.“

„Und was gab den Ausschlag für seine Beförderung? Wie viele Unschuldige mussten dafür hinter Gitter?“ Ihr Bruder war sicher nicht der einzige.

Sie sah, wie der Chief die Zähne zusammenbiss. „Sie wissen wirklich gar nichts über den Sergeant, Miss Powell.“

Doch, sie wusste mehr, als alle vermuteten. Terlecki würde sie allerdings nie mit ihrem Halbbruder in Verbindung bringen, selbst wenn er sich an Mitchell erinnerte, denn sie hatten verschiedene Nachnamen.

„War er nicht vor seiner Beförderung Fahndungsbeamter?“

„Miss Powell, der Sergeant ist …“

„… der Richtige, um Ihre Frage zu beantworten“, vollendete Kent den Satz und gesellte sich zu ihnen.

Der Chief seufzte. „Kent, sag ihr doch bitte …“

Terlecki hinderte seinen Chef mit einem Kopfschütteln am Weiterreden. Gleichzeitig bat er ihn mit einer Geste, sich zu entfernen.

„Was wollen Sie mir denn sagen?“, fragte Erin, während Terlecki sie am Handgelenk fasste und den Korridor hinunterzog.

„Nicht das, was Sie gerne hören würden.“

Sie versuchte vergeblich, ihre Hand zu befreien. „Denken Sie wirklich, dass Sie mich so in den Griff bekommen?“, fragte sie mit Blick auf ihr Handgelenk.

Wortlos zog er sie in ein leeres Büro und schloss die Tür. Erst dann ließ er ihr Handgelenk los. „Ich habe nicht vor, mir eine Anklage wegen Amtsmissbrauchs einzuhandeln, Miss Powell. Ich dachte nur, Sie wollten Ihr Interview vielleicht nicht in aller Öffentlichkeit führen.“

Sie leckte sich nervös die Lippen. „Interview?“

„Ja, Sie wollten doch den Chief über mich ausfragen.“ In seiner tiefen Stimme klang ein anzüglicher Ton mit, als ob sie ein persönliches Interesse an ihm hätte.

Was natürlich der Fall war, aber nicht so, wie sein männliches Ego es ihm vielleicht suggerierte.

„Ich …“ Sie stockte und merkte, wie sie rot wurde.

„Warum wollen Sie mir die Fragen denn nicht selbst stellen?“ Seine Augen blitzten amüsiert.

„Sie gehen ja nie darauf ein“, erinnerte sie ihn.

„Weil sie nicht sachlich sind, sondern meist unverschämt.“

Erin biss sich auf die Lippen, um ihren Ärger zu unterdrücken. „Es ist meine Sache, wie ich meine Fragen stelle. Und es ist auch meine Sache, zu entscheiden, was die Öffentlichkeit erfahren soll.“

„Die Öffentlichkeit?“ Er zog spöttisch die Augenbraue hoch. „Ich glaube nicht, dass es die Leute interessiert, wie ich zu meinem ‚hohen Posten‘ gekommen bin.“ Er trat noch dichter vor sie hin. „Warum interessiert es Sie denn, Miss Powell?“

Obwohl seine Nähe ihr weiche Knie verursachte, wich sie keinen Millimeter zurück. „Weil ich Journalistin bin, Sergeant.“

„Überflüssig, mich daran zu erinnern.“ Er fand ihre Funken sprühenden Augen äußerst attraktiv.

„Als Journalistin hat man eben einen gewissen Instinkt“, fuhr sie ungerührt fort. „Und ich wittere eine Story hinter Ihrer plötzlichen Beförderung.“

„Wie meinen Sie das?“

„Na, wie sind Sie denn zu dieser Stellung gekommen?“

Er rückte ihr so nahe, dass sein Dienstabzeichen beinahe ihre Schulter berührte. „Was wissen Sie denn von Stellungen, Miss Powell?“, fragte er anzüglich.

Erschrocken wich sie zurück. „Sergeant!“

„Ich meine natürlich Stellungen … bei der Polizei“, erklärte er, als hätte er nicht einen Heidenspaß daran, an ihrer Fassade zu kratzen. Manchmal konnte sein Job ziemlich aufregend sein. Die Frau war zwar eine Nervensäge, aber langweilig war sie auf keinen Fall. „Was dachten Sie denn, was ich meine?“

„Bei Ihnen weiß man das nie so genau. Sie drehen Ihr Fähnchen doch immer nach dem Wind.“

„Wenn Sie so denken, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass ich Ihre Fragen nicht beantworte.“

„Da Sie offensichtlich auch diesmal nicht vorhaben, das zu tun, werde ich jetzt gehen.“ Sie drängte sich an ihm vorbei zur Tür und trat in den Flur hinaus. In dem Vorraum vor dem Konferenzraum standen bereits alle Teilnehmer wartend am Aufzug.

„Sehen Sie, was Sie angerichtet haben“, empörte sie sich, als er ebenfalls aus dem Zimmer kam. „Jetzt habe ich den zweiten Teil verpasst.“

„Nur für heute“, erinnerte er sie. „Wir haben ja noch etliche Wochen vor uns.“

„Wollen Sie mich nicht aus dem Seminar werfen?“

„Das würde ich liebend gerne tun.“

„Davon bin ich überzeugt. Aber Sie haben mir ja erzählt, dass Sie nicht für die Teilnehmerauswahl verantwortlich sind.“

Noch nie hatte ihm jemand derart keck widersprochen. Nicht einmal die renitenten Betrunkenen, die er früher, als er nachts auf Streife fuhr, aufgegriffen hatte.

„Was genau ist eigentlich Ihre Aufgabe als Öffentlichkeitsreferent?“, fragte sie. „Schadensbegrenzung?“

„Das ist eine Ver…“

„Sind Sie bloß hier, um mir einen Maulkorb zu verpassen? War es Absicht, dass ich die zweite Hälfte des Seminars nicht mitbekommen habe? Wurde da etwas besprochen, was ich nicht erfahren sollte?“ In gewohnter Reportermanier feuerte sie ihre Fragen auf ihn ab, ohne ihm Zeit zum Antworten zu lassen.

„Sie können gerne nachfragen, was Sie verpasst haben“, erwiderte Kent. „Ich nehme Sie dahin mit, wo die meisten jetzt hingehen.“

„Da bin ich ja mal gespannt.“

„Aber seien Sie nett zu den Leuten, ja?“

„Im Leuchtturm gibt es eine Bar?“, wunderte sich Erin, während Kent ihr die Tür aufhielt. Nur wenige der Anwesenden bemerkten ihr Kommen, die meisten unterhielten sich angeregt, während im Hintergrund eine charmant altmodische Jukebox spielte.

„Ja, Bar und Grillrestaurant.“ Der Geruch von gebratenem Fleisch und Pommes frites schlug Erin entgegen, während sie Kent durch den Raum folgte. An einem langen Tisch neben den Spielautomaten saßen einige von Kents Kollegen mit einer Gruppe von Seminarteilnehmern zusammen.

„Wieso wusste ich nichts von diesem Lokal?“, fragte sie sich laut. Seit einem Jahr lebte sie in Lakewood und hatte keine Ahnung, dass sämtliche Polizeibeamte nach Feierabend unten im Leuchtturm am Michigansee zu finden waren.

„Es ist nicht unbedingt so, dass man Ihnen freiwillig Dinge anvertraut“, bemerkte Kent.

„Und wieso haben Sie mich dann mit hierhergenommen?“

Er lächelte leise. „Was dachten Sie denn, wo ich Sie hinbringe? Raus auf den Pier?“

„Zum Beispiel. Und von dort direkt in den See. Dazu hätten Sie große Lust, geben Sie es zu.“

„Versuchen Sie schon wieder, mir etwas anzudichten, Miss Powell?“

Ihr Geplänkel wurde von Zurufen der Anwesenden unterbrochen.

„Hallo, Erin“, riefen einige, und ein älteres Ehepaar, das angeblich wegen des Nervenkitzels an dem Seminar teilnahm, winkte ihr zu. „Sieh mal, wir dürfen sogar bei den Polizisten sitzen“, rief die Frau.

Auch die anderen Seminarteilnehmer strahlten vor Genugtuung, dazuzugehören. Erin beneidete die Leute um dieses Gefühl. Sie würde sicher nie dazugehören. Die meisten Einwohner von Lakewood missbilligten ihre Artikel über das Polizeirevier.

Das junge Mädchen, das zuvor ihre Unterhaltung mit Terlecki unterbrochen hatte, fasste Erin am Arm und zog sie auf den freien Stuhl neben sich. „Was geht eigentlich zwischen euch beiden ab?“, fragte sie neugierig, während sie Terlecki, der gerade mit seinen langen Beinen zur Bar stiefelte, mit schwärmerischem Blick hinterhersah.

„Äh …“ Erin wollte Zeit gewinnen und überlegte fieberhaft, wie das Mädchen hieß. „Amy, hallo. Da ist gar nichts zwischen uns.“

Erins Tischnachbarin zur Rechten, eine Seminarteilnehmerin, schnaubte verächtlich.

Amy kicherte. „Siehst du, alle denken das, weil ihr während des Seminars plötzlich verschwunden seid. Und dann seid ihr zusammen hier aufgetaucht.“

„Komm, wir spielen eine Runde Darts“, sagte die Frau von rechts und zog Erin vom Stuhl hoch. Sie wirkte sehr jugendlich, aber nach den feinen Linien auf ihrer hellen Haut zu urteilen, war sie mindestens doppelt so alt wie Amy. Ihr langes blondes Haar war mit feinen Silberstreifen durchzogen.

Erin folgte ihr nur zu bereitwillig, denn so entging sie Amys neugierigen Fragen. Obwohl sie beim Darts völlig aus der Übung war. Mit ihrem älteren Bruder hatte sie früher oft gespielt, aber das ging nun leider nicht mehr – dank Kent Terlecki, der Mitchell für ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, ins Gefängnis gebracht hatte. Ihr Bruder würde doch nie im Leben mit Drogen handeln!

„Wundert mich, dass du überhaupt mitgekommen bist“, sagte die Frau. Sie zog die Pfeile aus der Dartscheibe und trat ein paar Schritte zurück. „Noch dazu mit Sergeant Terlecki.“

Erin drehte der Frau den Kopf zu, überrascht von der unterschwelligen Feindseligkeit in deren Stimme. „Tut mir leid, ich habe deinen Namen vergessen.“

„Marla. Marla Halliday.“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause, als ob Erin ihren Namen kennen müsse. Dann fügte sie hinzu: „Mein Sohn ist auch bei der Polizei – Sergeant Billy Halliday.“

Den Namen hatte Erin noch nie gehört, bei ihren Nachforschungen war er nicht aufgetaucht. Aber wenigstens verstand sie jetzt das Verhalten der Frau.

„Oh.“

„Genau: oh. Wenn du das Dezernat attackierst, dann attackierst du damit nicht nur Sergeant Terlecki, sondern auch alle anderen hart arbeitenden Polizeibeamten.“

„Ich bin mir sicher, dein Sohn ist ein guter Beamter, aber …“

„Das genau ist dein Problem, meine Liebe. Du bist dir immer sicher. Selbst wenn die Tatsachen offensichtlich andere sind.“ Marlas zarter Teint färbte sich rot. „Allerdings ist Billy kein Held, im Gegensatz zu Sergeant Terlecki.“

„Du hältst Terlecki für einen Helden?“

„Wieso, glaubst du, nennt man ihn ‚Bullet‘?“

„Keine Ahnung. Erzählst du es mir?“

„Hey, Mrs Halliday“, sagte Kent und gesellte sich zu ihnen. Mit einem Seitenblick auf Erin fügte er hinzu: „Bei der müssen Sie aufpassen. Die löchert alle mit ihren Fragen.“

„Hier nicht, hier ist Dartspielen angesagt.“ Marla zwinkerte Kent mit ihren blauen Augen zu. „Willst du anfangen, Erin?“

Erin wählte eine Farbe aus und nahm die Pfeile in die linke Hand. Dann wandte sie sich der Zielscheibe zu – und sah, dass jemand ihr Foto genau in die Mitte geheftet hatte.

Nicht jemand. Das war er gewesen.

Und der sollte ein Held sein?

2. KAPITEL

Nur mit Mühe konnte Kent ein Lachen unterdrücken, als er den schockierten Ausdruck auf Erins Gesicht sah. Er stellte sich hinter sie, umfasste ihre Hand mit dem Pfeil und bestimmte die Zielrichtung.

„Sehen Sie? Genau zwischen die Augen.“

„Meine Augen“, murmelte sie. Der zweite Pfeil traf das Foto am Nasenrücken, und Erin krümmte sich innerlich.

„Kinn und Ohren machen je fünf Punkte, Mund und Wangen zehn und …“

„Ich hab schon verstanden“, unterbrach sie ihn, machte sich von ihm los und trat beiseite.

Kent hatte gar nicht bemerkt, dass Billys Mutter inzwischen zum Tisch zurückgegangen war. Vielleicht war es doch gut, dass er nicht mehr im Einsatz war. Seine Wahrnehmung war längst nicht mehr so scharf wie früher.

„Und ich kriege Sie doch“, sagte Erin, „ob Sie die Wahrheit zugeben oder nicht.“

„Warum?“ Diese Frage nagte seit einem Jahr an ihm.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Warum ich Sie kriege oder warum Sie die Wahrheit nicht zugeben?“

„Ich frage mich, wieso ich immer die Zielscheibe für Ihre giftigen Artikel bin.“

„Haben Sie Angst, Sergeant?“ In ihren Augen war ein belustigtes und gleichzeitig triumphierendes Funkeln.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe das nie persönlich genommen, sondern nehme an, dass ich für das ganze Polizeirevier stehe.“

„Fühlen Sie sich als Märtyrer?“

„Um Himmels willen, nein.“

„Oh, Sie sind natürlich ein Held. Das meint jedenfalls Mrs Halliday.“

Das, was die anderen als heldenhaft empfanden, war purer Instinkt gewesen. Und der wurde schließlich von einem Polizisten erwartet. Kent war überzeugt, dass jeder seiner Kollegen an seiner Stelle genauso gehandelt hätte. „Nein, ich bin kein Held.“

„Das weiß ich längst.“

Er presste den Kiefer so fest zusammen, dass seine Zähne knirschten. „Dann ist es also doch eine persönliche Sache.“

„Sie leiden an Verfolgungswahn.“ Ihr Blick schweifte ab.

„Ich habe gehört, was Sie zu meinem Chef gesagt haben. Dass ich meinen Posten bekommen hätte, weil ich unschuldige Leute hinter Gitter gebracht hätte. Wie kommen Sie bloß auf diese Idee?“

Natürlich hatten viele der Täter, die er inhaftiert hatte, behauptet, unschuldig zu sein, aber es hatte immer erdrückende Beweise gegeben.

Sie zuckte die Achseln. „Wie hätten Sie sonst diese hohe Festnahmequote erreicht?“

„Weil eine ganze Menge Leute Straftaten begehen, Miss Powell. Und mein Job ist es, Verbrecher zu fassen.“

„Jetzt nicht mehr. Sie sitzen nur noch am Schreibtisch.“

Damit hatte sie seinen wunden Punkt getroffen. Er hatte nie mit jemandem darüber gesprochen, aber manchmal kam er sich ziemlich überflüssig vor.

Das kurze Aufblitzen in ihren Augen zeigte ihm, dass sie ihn durchschaute. „War es etwa nicht Ihr Bestreben, befördert zu werden?“

Einen Schreibtischjob hatte er nicht angestrebt. Aber das würde er ihr gewiss nicht auf die Nase binden. „Ich weiß, was Sie von mir denken, auch wenn es unbegründet ist. Wollen Sie auch wissen, was ich über Sie denke?“

„Das ist nicht schwer zu erraten.“ Sie deutete auf die Dartscheibe.

Er schüttelte den Kopf. „Das war nicht meine Idee. Jemand anders muss das Foto angeheftet haben.“ Wahrscheinlich, um ihm einen Gefallen zu tun. Und er musste zugeben, dass es ihm irgendwie Genugtuung bereitete.

„Es ist mir ganz egal, was Sie von mir denken, Sergeant.“

„Ich sage es Ihnen trotzdem.“

„Offiziell oder inoffiziell?“

„Alles, was ich Ihnen sage, wird offiziell, das wissen Sie selbst am besten.“

„Weil die Öffentlichkeit ein Recht hat, Bescheid zu …“

„Was weiß die Öffentlichkeit eigentlich über Sie?“, unterbrach er sie. „Dass Sie rücksichtslos Ihre Karriere verfolgen und nicht davor zurückschrecken, Leute zu denunzieren?“

Erin schüttelte den Kopf. „Die Person, die Sie da beschreiben, klingt eher nach Ihnen. Sie kennen mich überhaupt nicht, Sergeant.“

„Dann sind wir ja quitt.“

Autor

Lisa Childs
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