Süße Küsse in der Karibik

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Tortenbäckerin Tori wird von Clayton Ramos für die Hochzeit seiner Schwester auf den Bahamas engagiert. Ein Traumjob im Paradies! Wäre da nicht Claytons magische Anziehungskraft. Trotz seines Rufs als unverbesserlicher Herzensbrecher liegt Tori schon bald in seinen Armen …


  • Erscheinungstag 31.10.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536066
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Vielleicht waren die hohen Absätze ein bisschen übertrieben.

Victoria Preston betrat die Küche ihrer Konditorei, die an einer Straßenecke lag. Sie nahm eine Schürze vom Haken und legte sie an, in der Hoffnung, dass ihr untypisches Outfit keine Aufmerksamkeit erregte. Doch ihre Mitarbeiterin sah sie verblüfft an.

„Wow, siehst du scharf aus! Was ist los, Tori?“

Ja, sie hätte Sandaletten mit flachen Absätzen anziehen sollen. Nach Ladenschluss würden ihr die Füße sicher wehtun. Tori mied ihren Blick. „Nichts. Ich wollte mich heute nur mal chic machen.“

Mit hochgezogenen Brauen musterte Shawna sie von Kopf bis Fuß. „Aha.“ Zum Glück ließ sie das Thema dann fallen und nahm einen Sack Mehl, um dieses in die große Industrierührschüssel zu füllen.

Tori konnte ihr die Verwunderung allerdings nicht verdenken. Bevor sie kürzlich von ihrer verschollenen Zwillingsschwester erfahren hatte und mit ihr zusammengekommen war, hätte sie nie geglaubt, dass sie sich einmal für einen Mann besonders hübsch anziehen würde. Sie hatte nie gern Aufmerksamkeit erregt. Von der Existenz ihrer Schwester zu erfahren hatte sie jedoch veranlasst, ihr Leben zu überdenken und mehr zu wagen.

„Danke, dass du die Frühschicht übernimmst“, sagte Tori nun zu Shawna, die nicht nur ihre Assistentin, sondern seit der Highschool auch ihre beste Freundin war.

„Du weißt ja, dass ich lieber früher arbeite.“

„Zum Glück.“ Tori war ihr sehr dankbar, weil sie schon immer eher eine Nachteule gewesen war. Früher aufstehen zu müssen war die einzige Seite an ihrem Beruf, die sie nicht mochte. Alles andere liebte sie: die Freiheit und Unabhängigkeit, die Kreativität, die köstlichen Aromen, die sie ständig umgaben, der Reiz, dass man nie wusste, wer hereinkam, obwohl sie in den letzten drei Jahren natürlich auch viele Stammkunden gewonnen hatte.

„Die Muffins sind im Backofen, das Brot ist im Warmhalteofen, und die Scones kühlen gerade ab“, informierte Shawna sie.

„Du bist ein Schatz. Ich mache jetzt noch mal eine Bestandsaufnahme, denn nachher kommt ein besonderer Auftrag rein.“ Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen, als Tori an den Kunden dachte. Wie albern! Während er vermutlich kaum einen Gedanken an sie verschwendete, verging kaum ein Tag, an dem sie nicht an ihn dachte.

Er hatte am Vorabend angerufen, um anzukündigen, dass er am frühen Nachmittag vorbeikommen würde.

Clayton Ramos. Aber fast alle nannten ihn Clay.

Wie peinlich, dass sie sich für ihn chic gemacht hatte!

„Was für ein Auftrag?“ Forschend blickte Shawna sie an. „Dunkelhaarig und attraktiv?“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

Shawna lachte. „Ich meine, dass du dich an einem ganz normalen Dienstag sonst nicht aufbrezelst.“

Ihre Mitarbeiterin war viel zu aufmerksam für ihren Geschmack. Tori stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn du es unbedingt wissen willst, ich treffe mich nachher mit einem ziemlich wichtigen Kunden.“

„Mit welchem denn?“

Tori gab sich unbeteiligt. „Mr. Ramos hat gestern Abend angerufen und will heute vorbeikommen.“

„Komisch, nicht?“, meinte Shawna mit einem vielsagenden Unterton.

„Was denn?“

„Dass Mr. Ramos zufällig an dem Tag kommt, an dem du keine sauberen Sachen mehr hast und in einem Seidenkleid zur Arbeit erscheinen musst.“

Tori lachte. Dann lehnte sie sich an den Tresen und blickte Shawna an. „Okay. Ich möchte so gut wie möglich für einen unserer … vornehmeren Kunden aussehen. Ist das so falsch?“

Shawna zwinkerte ihr zu. „War das jetzt so schwer, es zuzugeben? Deiner besten Freundin gegenüber?“

Manchmal wünschte Tori, diese würde sie nicht so gut kennen. „Nun interpretier nicht so viel hinein. Ich wollte einfach nur ein bisschen professioneller wirken.“

„Na klar.“ Gleichgültig zuckte Shawna die Schultern.

Tori ignorierte es und begann, den Tresen vorzubereiten. Die Stunde vor Ladenöffnung verging immer wie im Flug.

„Ich frage mich, was er will“, bemerkte Shawna.

Darüber hatte Tori sich die ganze Nacht den Kopf zerbrochen. Es gab nur eine plausible Erklärung. „Vielleicht braucht er wieder eine Hochzeitstorte. Er hat noch eine jüngere Schwester.“

Nun stieß Shawna einen aufgeregten Schrei aus. „Dann würden wir beide also zu den wenigen gehören, die von einer bevorstehenden Heirat erfahren. Wie beim letzten Mal.“

„Und wir werden absolut diskret sein. Wie beim letzten Mal“, bekräftigte Tori.

Erst nach zwei Monaten hatte die Berichterstattung nachgelassen, nachdem an die Öffentlichkeit gedrungen war, dass ihre Konditorei die Torte und das Gebäck für eine Hochzeit liefern würde, die der unvergleichliche Clayton Ramos schmiss. Clayton war Stararchitekt und ein weltweit begehrter Junggeselle.

Natürlich hatte die Publicity „Tori’s Pastries“ zu großer Bekanntheit verholfen. Doch die öffentliche Aufmerksamkeit hatte enorm an ihren Nerven gezerrt.

Shawna hingegen hatte das Rampenlicht in vollen Zügen genossen und war sogar mit einigen der Fotografen und Blogger, die über ihre Bäckerei berichtet hatten, ausgegangen. Zweifellos freute sie sich darauf, dass all das sich wiederholte. Ihre nächsten Worte bestätigten es.

„Ich frage mich, ob die Lokalzeitungen diesmal über uns berichten. Das ist alles so aufregend.“

Das war es allerdings. Tori hatte das Gefühl, dass Clays erneutes Auftauchen genauso viel Chaos in ihrem Leben anrichten würde wie letztes Mal.

Noch eine Störung, dann würde er sich an diesem Tag vermutlich überhaupt nicht mehr konzentrieren können.

Clay überlegte, ob er den Termin in der Konditorei verschieben sollte. Doch eigentlich wollte er es nicht. Aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen hatte er sich darauf gefreut. Und das hatte überhaupt nichts mit der selbstbewussten, fröhlichen Inhaberin mit den funkelnden grünen Augen und der Stupsnase zu tun.

Von wegen! Er freute sich darauf, sie zu sehen, und das ergab überhaupt keinen Sinn. Er kannte sie nicht einmal, denn sie hatte in den vergangenen Jahren lediglich einige Torten und Desserts für ihn gemacht.

„Hörst du mir überhaupt zu, Clay?“, drang die Stimme seiner Schwester aus seinem Mobiltelefon. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass sie aufgehört hatte zu reden.

Clay rieb sich die Schläfe. Anscheinend war ihm irgendetwas entgangen. Und wie aufs Stichwort setzte die Dramatik ein.

Gemma war schon immer die theatralischere seiner beiden Schwestern gewesen. Und nun, wenige Wochen vor ihrer Hochzeit war sie besonders von der Rolle.

Seit ihrem Teenageralter war er die einzige Vaterfigur für seine jüngeren Schwestern. Selbst jetzt, als Erwachsene, wandten die beiden sich an ihn, wenn sie Probleme hatten. Schon vor langer Zeit hatte er geschworen, immer für sie da zu sein. Bisher hatte er sein Versprechen auch gehalten. Aber das alles konnte sehr zermürbend sein.

„Natürlich höre ich dir zu“, erwiderte er.

„Meinst du, sie wird Ja sagen?“, fragte Gemma. „Sie wäre mir am liebsten. Und es ist ja nicht so, als würden wir sie diesmal nur um eine Torte bitten.“

„Ich zähle darauf“, versicherte er.

Nachdem er das Gespräch beendet hatte, fand er sich damit ab, dass er sich im Büro auf nichts mehr konzentrieren konnte. Obwohl es noch viel zu früh für den Termin war, konnte er einen starken Kaffee wie den in der Konditorei gebrauchen. Und dazu ein frisches Croissant.

Clay packte seinen Laptop und seine anderen Arbeitsutensilien ein. Als er hinter sich abschloss, dachte er an die Frage seiner Schwester. Gemma hatte recht. Er würde wirklich viel von Ms. Victoria Preston verlangen. Doch er hatte es nicht zuletzt deshalb so weit gebracht, weil er wusste, was er wollte, und alles daransetzte, es auch zu bekommen. Er brauchte ihre Dienste, und er würde sie bekommen.

Er würde der Inhaberin der Konditorei in North End, Boston, ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen konnte.

Als ihr Mobiltelefon in der Schürzentasche klingelte, wusste Tori, wer anrief. Das sagte ihr ihre Intuition. Ihre Zwillingsschwester Eloise nannte dies den sechsten Zwillingssinn. Noch immer konnte Tori kaum fassen, dass sie bis vor Kurzem noch nicht einmal von der Existenz ihrer Zwillingsschwester geahnt hatte. Und nun war diese ein wichtiger Teil ihres Lebens, selbst wenn sie noch in Australien lebte.

Tori setzte sich an einen der Tische im Essbereich, bevor sie den Videoanruf entgegennahm.

Von Eloises Existenz zu erfahren war der Schock ihres Lebens gewesen, aber in ihrem tiefsten Inneren hatte sie es immer gespürt.

„Hallo, Schwesterherz!“ Eloise lächelte ihr von dem kleinen Display entgegen.

Ein Glücksgefühl überkam Tori. „Hallo, Eloise.“

„Er kommt heute also noch?“, fragte Eloise.

Tori lehnte das Telefon gegen den Serviettenspender auf dem Tisch. „Was meinst du?“ Dann kicherte sie, denn sie hatte sie am Vorabend gleich nach ihrem Telefonat mit Clay angerufen und ihr von seinem geplanten Besuch erzählt.

Eloise drohte ihr mit dem Finger. „Tu ja nicht, als wüsstest du nicht, wovon ich rede.“

Tori lachte. „Okay. Entschuldige. Passiert nicht wieder.“

„Das hoffe ich. Wann kommt er denn?“

„In ein paar Stunden.“

„Bist du bereit für ihn?“

Eloises Wortwahl ließ Toris Herz schneller schlagen. „Es ist nur ein Geschäftstermin, Eloise.“

„Das muss es ja nicht sein. Ich habe ein bisschen im Internet über ihn recherchiert. Der Typ ist wirklich heiß. Du musst ihn unbedingt anmachen.“

Nun verdrehte Tori die Augen. „Du kennst mich doch, Eloise.“ Und das stimmte. Ihre Zwillingsschwester kannte sie besser als jeder andere #160;– auch wenn sie sich erst vor wenigen Wochen zum ersten Mal begegnet waren.

„Sie sieht genauso aus wie Sie“, ließ sich plötzlich eine vertraute Stimme hinter ihr vernehmen. Seine Stimme. Tori musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Clayton Ramos direkt hinter ihr stand.

Schockiert sprang sie auf, während ihr das Blut ins Gesicht stieg. Verdammt, was hatte er gehört? Wie peinlich!

Zu ihrem Entsetzen drohte der Stuhl umzufallen. Ganz schnell griff sie danach, doch Clayton hatte dieselbe Idee, sodass sie sich berührten. Gleichzeitig ließ er den großen Eiskaffee, den er in der anderen Hand hielt, fallen, und der Inhalt spritzte ihm ins Gesicht und über sein Hemd.

„Oh nein!“, erklang es von ihrem Mobiltelefon, allerdings mit einem amüsierten Unterton.

Schnell verabschiedete Tori sich von ihrer Zwillingsschwester, bevor sie das Telefon wieder in die Schürzentasche steckte.

Da jetzt alle Anwesenden sie anblickten, wäre Tori am liebsten im Erdboden versunken. Auch Clayton, der beobachtete, wie der Fleck auf seinem ehemals blütenweißen Hemd immer größer wurde, wirkte leicht schockiert.

„Es tut mir so leid!“ Schnell zog sie einige Papierservietten aus dem Spender, um den Schaden zu beheben, vergrößerte diesen allerdings nur.

Ausgerechnet in dem Moment kam Shawna nach vorn und fasste sich erschrocken an die Brust. „Du meine Güte, was ist passiert?“ Offensichtlich musste sie sich das Lachen verkneifen. „Ich hole ein Handtuch.“ Schnell verschwand sie wieder durch die Schwingtür.

„Mr. Ramos, es tut mir schrecklich leid“, bekräftigte Tori. „Ich hatte Sie nur nicht kommen hören. Unsere Verabredung ist ja auch erst später …“

Sanft umfasste Clayton ihr Handgelenk. „Bitte bemühen Sie sich nicht weiter. Es bringt offenbar nichts.“

Da hatte er natürlich recht. Als sie hörte, dass einige Kundinnen leise kicherten, kämpfte sie mit den Tränen. „Es tut mir so schr…“

Daraufhin hob er die andere Hand. „Bitte. Entschuldigen Sie sich nicht wieder. Außerdem war es meine Schuld. Ich hätte Sie nicht erschrecken dürfen. Eigentlich müsste ich Sie um Verzeihung bitten.“

Das war lächerlich. Und trotzdem war sie sprachlos, weil er die Schuld auf sich nahm. Abgesehen von ihrem Vater und ihren Brüdern, war sie nicht vielen Männern begegnet, die so etwas getan hätten.

Nun kehrte Shawna mit einem Frotteehandtuch zurück, das sie ihr zuwarf. Tori hielt es ihm hin, doch Clay nickte nur. Er hatte recht, der Fleck ließ sich so nicht entfernen.

„So viel also dazu, dass ich heute etwas schaffe.“ Er fluchte leise und fügte dann etwas hinzu, das wie Höllentag klang.

„Wie bitte?“, hakte sie nach.

„Ach nichts. Heute ist nur so ein Tag.“

„Es tut mir so …“ Unter seinem durchdringendem Blick verstummte sie.

„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren und mich umzuziehen. Ich komme dann zum geplanten Termin zurück. Ausgerechnet heute ist meine Zeit wahnsinnig knapp.“

„Gehen Sie nicht.“

Er blinzelte und blickte dann an sich hinunter. „Na ja, ich kann hier schlecht völlig durchnässt sitzen.“ Vertraulich beugte er sich zu ihr herüber. „So fühle ich mich nicht wohl.“

„Ich wohne im ersten Stock. Ich kann Ihnen ein Hemd holen.“

Als er sie von Kopf bis Fuß betrachtete, stieg ihr wieder das Blut ins Gesicht. „Danke für das Angebot, aber ich schätze, wir haben nicht dieselbe Größe.“

„Es ist keins von mir.“

Nun zog er die Brauen hoch. „Ihr Freund wäre bestimmt nicht damit einverstanden …“

Diesmal ließ sie ihn nicht ausreden. „Oh nein! So ist es nicht.“

„Nein?“

Warum verschlug es ihr plötzlich die Sprache? Auf keinen Fall sollte er glauben, sie hätte einen Freund. Und das war ein Eingeständnis, wie ihr jetzt bewusst wurde. Tori schüttelte den Kopf. „Ich habe zwei ältere Brüder.“ Drei sogar, wenn sie Josh mitzählte. „Und ich habe einige große T-Shirts von ihnen konfisziert, in denen ich schlafe.“

In seinen Augen flackerte etwas auf. „Ach so.“

„Außerdem muss ich sowieso waschen. Ich tue Ihr Hemd mit in die Maschine, dann ist es in wenigen Stunden trocken.“

Clay schien darüber nachzudenken und nickte schließlich. „In dem Fall nehme ich Ihr Angebot an.“

Tori wandte sich ab, um nach oben zu gehen. Zu ihrer Überraschung folgte er ihr. Allerdings war das kein Wunder, denn vermutlich wollte er sich in ihrer Wohnung umziehen. Also warum schlug ihr Puls bei der Vorstellung schneller?

In einem Anflug von Panik überlegte sie, ob sie den Frühstückstisch abgeräumt hatte. Oder den vom Abendbrot. Wahrscheinlich nicht. Der gestrige Tag war lang und anstrengend gewesen, und sie hatte nur noch die Energie aufgebracht, ihre Schuhe abzustreifen und eine Kleinigkeit zu essen.

Du meine Güte! Was, wenn er sie nun für schlampig hielt? Dann verdrängte sie diesen Gedanken jedoch. Die Zeiten, in denen sie sich von einem Mann beurteilen ließ, waren vorbei.

„Ich weiß das zu schätzen“, sagte Clay nun hinter ihr. „Ich bin mit diesem Entwurf schon im Rückstand, und bald beginnt Phase zwei des Projekts.“

„Das ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen.“

„He, machen Sie sich keine Sorgen, okay? Das ist mir nicht zum ersten Mal passiert.“

Tori unterdrückte ein Lachen. „Es kommt also öfter vor?“

„Sagen wir, als mir das letzte Mal jemand ein kaltes Getränk ins Gesicht geschüttet hat, hatte ich es verdient.“ Er lächelte schalkhaft.

Sie führte ihn durchs Lager und nach oben in ihre unverschlossene Wohnung, wo sie ihm den Vortritt ließ. Inzwischen hatte sie sich etwas beruhigt, doch sie wurde sofort wieder nervös, als er sein Hemd auszog.

Offenbar war er es gewohnt, sich in Wohnungen von Frauen zu entkleiden. Angesichts seines Rufs als internationaler Playboy überraschte es sie nicht. Wer galt noch mal als seine neueste Freundin? Ach ja, das österreichische Model. Im vorigen Monat hatte man ihn abgelichtet, als er dessen Apartment in den frühen Morgenstunden verließ.

Nachdem Tori das Hemd entgegengenommen hatte, stand sie einen Moment regungslos da. Schließlich zwang sie sich, den Blick von seiner muskulösen, gebräunten Brust abzuwenden, was ihr allerdings schwerfiel.

„Ich hole Ihnen das T-Shirt“, brachte sie heiser hervor, bevor sie sich abwandte.

Dass er ihre geröteten Wangen nicht bemerkt hatte, war vermutlich Wunschdenken.

Wie, in aller Welt, war er hier gelandet?

Clay stand im Wohnzimmer und blickte sich um. Hier herrschten runde, weiche Formen vor. Mitten im Raum stand ein luxuriöses Sofa auf einem offenbar handgewebten ovalen Teppich. Über einem geschwungenen Kaminsims hing ein ovaler Spiegel. Sein geübtes Auge sagte ihm, dass die Bewohnerin das Zimmer ganz bewusst so eingerichtet und dekoriert hatte.

Victoria Preston mochte keine Ecken und Kanten.

Er hörte sie in einem anderen Raum rumoren. Hätte ihm an diesem Morgen jemand prophezeit, er würde im weiteren Verlauf des Tages mit nacktem Oberkörper und nach Espresso riechend in Ms. Prestons gemütlichem Apartment stehen … Er wusste nicht, was er davon gehalten hätte.

Nun fragte er sich, wie er ihre hübschen Augen hatte vergessen können. Oder den Kontrast zwischen ihren grünen Augen und ihrem kurzen rotbraunen Haar.

Moment mal, Junge.

Tori, wie alle sie zu nennen schienen, war überhaupt nicht sein Typ. Sie war zu nett, zu unaufdringlich. Eine Frau wie sie konnte es nicht gebrauchen, wenn ein Typ wie er ihr wohlgeordnetes, idyllisches Leben auf den Kopf stellte.

Deswegen hatte das Gefühl der Leere, das er verspürt hatte, als er glaubte, sie würde ihm ein Hemd von ihrem Freund leihen, auch keinen Sinn ergeben. Oder die Erleichterung, die ihn überkommen hatte, als sie es richtigstellte. Frauen wie sie waren normalerweise nicht allein, jedenfalls nicht lange. Sie war erfolgreich, klug und attraktiv und konnte sich vermutlich vor Angeboten kaum retten.

Doch das ging ihn nichts an.

Eingehend betrachtete er ihr Apartment. Es passte zu ihr. Abgesehen von dem benutzten Geschirr in der offenen Küche, war es sehr ordentlich und blitzsauber. Und fast überall standen gerahmte Fotos von lächelnden Menschen. In einer Ecke der cremefarbenen Couch saß ein ziemlich mitgenommenes, offenbar älteres Plüschkaninchen.

Es war sehr gemütlich hier. Den Bildern nach zu urteilen, hatte sie anders als er und seine Schwestern eine glückliche Kindheit gehabt.

Ein Foto neueren Datums auf dem Couchtisch fiel ihm ins Auge. Tori mit einer anderen jungen Frau, die ihr Ebenbild war. Sie hatte nur eine etwas andere Haarfarbe und keine Kurzhaarfrisur.

Sie hatte eine Zwillingsschwester.

Das erklärte, warum er auf dem Display ihres Telefons ihr Ebenbild gesehen hatte.

Seltsam. In den vergangenen drei Jahren hatte er ihr gelegentlich Aufträge erteilt und dabei Small Talk mit ihr gemacht, doch er konnte sich nicht entsinnen, von einer Schwester gehört zu haben. Vielleicht hatte sie diese aber auch erwähnt, und er hatte schlichtweg nicht zugehört. Wie oft hatte man ihm schon vorgeworfen, dass er mit den Gedanken woanders war?

Du bist immer völlig abgehoben … hältst dich immer für etwas Besseres.

In dem Moment kehrte Tori ins Wohnzimmer zurück und verscheuchte diese grausame Erinnerung. Eine von zu vielen.

Tori reichte ihm ein weiches T-Shirt #160;– grau mit einem „FDNY“-Print.

„Danke. Einer von Ihren Brüdern ist also Feuerwehrmann in New York?“

„Er ist Rettungssanitäter.“

„Aha.“ Clay zog das T-Shirt an. Es lag eng an und roch nach ihr #160;– eine Mischung aus Beeren, Zitrus und einer würzigen Note. Zimt oder Nelken.

„Ihr Hemd ist schon in der Maschine“, informierte sie ihn.

„Danke.“ Er deutete auf das letzte Foto. „Sie haben nie eine Schwester erwähnt.“

Nun atmete sie tief ein. „Ja, weil ich bis vor Kurzem nicht wirklich wusste, dass …“ Offenbar um Worte ringend, senkte sie den Blick. „Das ist eine lange Geschichte, und ich muss jetzt wieder nach unten und Shawna entlasten. Wir sind heute Mittag ein bisschen unterbesetzt.“

„Natürlich“, erwiderte er schnell. „Ich wollte Sie nicht aufhalten. Oder neugierig sein.“

„Nein, das ist es nicht.“ Als sie lächelte, wirkte ihr Gesicht völlig verändert. „Ich würde es Ihnen gern irgendwann mal erzählen. Es ist eine ziemlich verrückte Geschichte.“

„Dann freue ich mich darauf, sie zu hören.“

Und das meinte er ernst, was ihn selbst überraschte.

2. KAPITEL

Albernerweise war Tori erleichtert, als Clay das T-Shirt anzog. Mit nacktem Oberkörper sah er einfach zu gut aus. Doch sie verhielt sich wie ein Teenager, der zum ersten Mal verknallt war.

Was aber war daran so schlimm? Es war nur eine harmlose Fantasie. Clay war mit Schauspielerinnen und Tänzerinnen zusammen, verdammt! Außerdem stand ihr zurzeit überhaupt nicht der Sinn nach einer Beziehung. Nicht nachdem sie so hart daran gearbeitet hatte, über ihre letzte hinwegzukommen. Ihre letzte und ihre einzige.

Endlich war sie an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht ständig über die Schulter blickte oder sich gegen die nächste Herabsetzung wappnete.

Momentan war sie völlig zufrieden mit ihrem Singledasein. Tatsächlich war es ihr schon seit Jahren nicht mehr so gut gegangen, nicht seit jenem ersten Rendezvous mit Drew, als sie siebzehn und völlig naiv gewesen war.

Allerdings fiel es Tori schwer, sich vorzustellen, dass sie einem Mann wie Clay eine Abfuhr erteilte #160;– sollte ein Wunder geschehen und er sie um eine Verabredung bitten.

Nun räusperte er sich und riss sie aus ihren Gedanken.

„Ich lasse Ihnen Ihr Hemd bringen, sobald es trocken ist“, informierte sie ihn, bevor sie sich abwandte.

Zu ihrer Überraschung legte er ihr die Hand auf den Arm, woraufhin es sie sofort heiß durchzuckte. „Haben Sie noch kurz Zeit?“ Als sie ihn ansah und blinzelte, fuhr er fort: „Nun, da wir allein sind, könnten wir vielleicht mein Anliegen besprechen.“

Mühsam schluckte sie. „Ja?“

„Wir waren sehr zufrieden mit der Torte, die Sie damals für die Hochzeit meiner Schwester Adria gemacht haben.“

„Danke.“

„Meine andere Schwester Gemma heiratet nun in wenigen Wochen.“

„Verstehe. Sie möchten also wieder eine Torte in Auftrag geben?“

„In gewisser Weise ja.“

Was sollte das heißen? Und warum wollte er unter vier Augen mit ihr sprechen? „Wann findet die Hochzeit denn statt? Und wie viele Schichten soll die Torte haben?“

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