Süße Träume auf den Bahamas

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Die erfolgreiche Künstlerin Jo hat sich so auf ihren Urlaub auf den Bahamas gefreut. Doch dann taucht dort unverhofft ihr Exmann Clifford auf und bittet sie, ihn nach Tidewater zu begleiten - sein sterbender Vater hätte ihr etwas zu sagen. Und Jo geht mit Clifford. Denn sie hat nie aufgehört, ihn zu lieben …


  • Erscheinungstag 25.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756673
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das konnte er nicht sein. Das durfte er nicht sein. Aber er war es doch. Er kam direkt auf sie zu, gerade so, als hätte er erwartet, sie hier auf der Terrasse vorzufinden.

Verstohlen sah Joanna sich um. Täuschte sie sich? Hatte er vielleicht einen anderen Gast im Visier? Aber nein. Das Hotelcafé war fast leer. Die meisten der Gäste waren offensichtlich versessen darauf, schnell an den Strand zu kommen, um braun zu werden. Sie war die einzige, die noch auf der Terrasse frühstückte. Joannas olivfarbene Haut war schon braun genug, brauner wurde sie nicht.

Onkel Charles, der Bruder von Joannas Vater, hatte oft im Scherz gemeint, sie sei ein Kuckucksei in ihrer ansonsten rein englischen Familie. Mit ihrer dunklen Haut und dem schwarzen Haar ähnelte Joanna in nichts ihrer blonden Mutter und ihrem braunhaarigen Vater. Bei ihr mussten die Folgen einer skandalösen Liaison aus der Vergangenheit ihrer Familie wieder durchgekommen sein.

Bis zu ihrer Heirat mit Clifford Macallister war das jedoch nie ein Problem für Joanna gewesen. Die Ehe und die folgende Scheidung hatten ihr Selbstvertrauen ziemlich erschüttert. Es war ihr jedoch gelungen, die Vergangenheit zu vergessen – bis zu diesem Moment, wie Joanna jetzt nervös feststellte. Der Drang, einfach davonzulaufen, vor der Begegnung zu flüchten, mit der sie nicht gerechnet hatte, war geradezu übermächtig.

Zum Glück konnte Joanna den Impuls unterdrücken. Sie brachte sogar ein leicht ironisches Lächeln zu Stande, als Clifford vor ihrem Tisch stehen blieb. Du lieber Himmel, es gibt nichts, dessen ich mich schämen muss, sagte sie sich, wobei sie in unbewusster Abwehr die Beine übereinander schlug. Ich habe das gleiche Recht, hier zu sein, wie er.

„Hallo, Jo.“

Seine wenig originelle Begrüßung gab ihr Sicherheit.

„Clifford“, erwiderte Joanna kühl, während sie mit dem Henkel ihrer Kaffeetasse spielte. „Wie geht es dir?“

„Gut.“

Und so sieht er auch aus, gestand sich Joanna widerstrebend ein. Gut aussehend im herkömmlichen Sinne war er nie gewesen, doch seine markanten Gesichtszüge wirkten sehr männlich, und in seinen blauen, von dichten dunkelblonden Wimpern umrahmten Augen glühte eine verhaltene Leidenschaft. Sein silberblondes Haar war länger, als es der Mode entsprach, und berührte den offenen Kragen seines Hemdes. Vor allem sein Mund aber zog Joannas Blicke an. Er war schmal, dennoch ungemein sinnlich, und weicher, als sie ihn in Erinnerung hatte.

Er ist kein Mann, den man einfach ignorieren kann, dachte Joanna beunruhigt, obwohl sie sich in den letzten drei Jahren große Mühe gegeben hatte, Clifford für immer zu vergessen.

„Darf ich mich zu dir setzen?“

Ein Gefühl von Panik überfiel Joanna. Nein, wollte sie Clifford schroff zurückweisen, das darfst du nicht. Ich will mir durch deine Anwesenheit nicht die Freude an den Inseln verderben lassen.

Doch stattdessen sagte sie: „Warum nicht?“

„Danke.“ Lässig zog Clifford einen der kunststoffbezogenen Stühle heran, setzte sich rittlings darauf und verschränkte die Arme auf der Lehne. Dann ließ er den Blick über den von Palmen beschatteten Strand schweifen. „Schön, nicht wahr?“

„Wunderschön“, stimmte Joanna zu, während sie auf die See hinausschaute. Zwar befanden sie sich nicht in der Karibik, aber das blaugrüne Wasser, das die sonnenbeschienenen Bahamainseln umspülte, war genauso warm und einladend und ein Eldorado für Segler und Unterwassersportler. „Ich bin immer gern hier.“

„Deine Familie hat eine Villa hier, nicht wahr?“ Fragend blickte Clifford Joanna an.

„Nicht mehr“, sagte sie schnell und mied seinen Blick. „Wie auch immer, es ist nicht wichtig. Deswegen bist du bestimmt nicht hier.“

„Nein“, bestätigte Clifford. „Ich bin deinetwegen hier.“

„Du hast gewusst, dass ich hier bin?“, staunte Joanna.

„Ja, klar.“

„So klar ist das nicht.“ Joanna presste die Fingernägel in die Handinnenflächen. „Ich dachte, du würdest Ferien hier machen und die Begegnung wäre ein Zufall.“

Clifford betrachtete sie kühl. „Das wäre ein höchst ungewöhnlicher Zufall. Findest du nicht?“

Joanna holte tief Luft. „Dann gehst du wohl besser. Oder ich gehe.“

Sie wollte aufstehen und so tun, als hätte sie Clifford nie getroffen. Wenn sie sich fest in den Arm kniff, würde sie vielleicht aufwachen und feststellen, dass sie alles nur geträumt hatte. Was würde sie darum geben.

Aber sie war schon einmal weggelaufen. Ein zweites Mal wollte sie das nicht tun. Clifford konnte sie nicht mehr verletzen. Jetzt nicht mehr. Wenn sie ihm zeigte, wie sehr er sie verwirrte, würde sie ihm nur einen Gefallen tun.

Mühsam beherrschte sie sich, nahm ein Croissant aus dem Brotkorb, der vor ihr stand, und begann es mit Butter zu bestreichen.

Joanna spürte, wie Clifford ihr dabei zusah. So war es früher auch gewesen. Immer hatte sie auf seine Anwesenheit reagiert, auch wenn sie gar nicht wusste, dass er da war. Er hatte eine Art, sie mit einer Intensität anzuschauen, die sie nie gleichgültig ließ. Auch jetzt nicht. Was ging in ihm vor? Was wollte er? Und woher wusste er, dass sie hier war?

„Nervös?“, fragte er schließlich.

Joanna unterdrückte eine heftige Erwiderung. „Ich bin neugierig“, räumte sie ein. „Woher weißt du, dass ich hier bin?“

„Von Grace.“ Das war Cliffords angeheiratete Tante. „Wir haben noch Kontakt miteinander, musst du wissen. Nur weil sie auch Engländerin ist, kannst du nicht automatisch davon ausgehen, dass sie auf deiner Seite steht.“

Joanna schluckte. Grace, dachte sie grimmig, das hätte ich mir denken können. Blut ist dicker als Wasser, und offensichtlich halten die Familienbande bei den Macallisters, auch bei den angeheirateten, besonders gut.

„Denk nicht schlecht von ihr“, bat Clifford. „Unter den gegebenen Umständen hatte sie kaum eine andere Wahl.“

Doch Joanna hörte ihm nicht zu. Verflixt, Grace, dachte Joanna verärgert. Sie ließ das Croissant liegen und schenkte sich stattdessen noch eine Tasse Kaffee ein. Grace weiß besser als jeder andere, dass ich in den vergangenen drei Jahren alles getan habe, um Clifford zu vergessen. Wie kann sie ihm da verraten, dass ich hier bin? Es sind meine ersten Ferien nach fast zwei Jahren harter Arbeit. Es sollte eine Belohnung dafür sein, dass ich vor dem Termin fertig geworden bin. Die Bilder für die Ausstellung sind vollendet. Jetzt wollte ich einmal richtig ausspannen. Und nun dies.

„Wo ist Sammy-Jean?“ Joanna sah sich um. „Du hast sie doch geheiratet, oder? Sammy-Jean Macallister! Oh ja, das klingt sehr viel besser als Joanna Macallister“, meinte sie spöttisch.

Clifford presste die Lippen zusammen. „Darauf antworte ich nicht.“

Zu ihrer Verwunderung – und Freude – merkte Joanna, dass Clifford unter seiner Sonnenbräune rot geworden war. Die Hände, die auf der Stuhllehne ruhten, hatte er zu Fäusten geballt.

„Ich bin nicht hergekommen, um über Sam zu reden“, erklärte er schroff. Er blickte Joanna an. „Mein Vater liegt im Sterben.“

Joanna schluckte. Sie hatte Ryan Macallister immer für unbesiegbar gehalten. Dass er genauso sterblich war wie alle anderen, war ihr nie in den Sinn gekommen. Er war nie ihr Freund gewesen.

„Ist das für mich von Bedeutung?“

Clifford musterte sie grimmig. „Er will dich sehen.“

„Er will mich sehen?“ Ihre Stimme klang fast schrill.

„Das hat er gesagt.“

„Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Warum nicht?“

„Warum nicht?“, wiederholte Joanna fassungslos. „Du lieber Himmel, er mag mich doch gar nicht.“

„Vielleicht mag er dich, vielleicht auch nicht.“ Clifford nahm den Löffel, der unbenutzt vor ihm lag, und drehte ihn zwischen den Fingern. „Wie auch immer, er sagt, er will dich sehen. Und damit hat es sich.“

„Das hättest du wohl gern! Wenn du glaubst, ich würde auf meine Ferien verzichten, nur um einen alten Mann zu besuchen, der mir nie auch nur Guten Tag gesagt hat, wenn er es vermeiden konnte, hast du dich gewaltig geirrt.“

„Bist du wirklich so hart?“ Clifford verzog verächtlich die Lippen. „Ma meinte gleich, du würdest nicht kommen, aber ich wollte ihr nicht glauben.“

„Tu es besser.“ Joanna stand auf. „Ich wünschte, ich könnte sagen, es war mir ein Vergnügen, Clifford. Aber lügen war noch nie meine Stärke.“

„Verdammt!“ Clifford stieß seinen Stuhl zurück und versperrte Joanna den Weg.

„Findest du das nicht reichlich lächerlich, Clifford?“ Nervös blickte sie zu ihm auf. „Was willst du damit erreichen? Du kannst mich nicht zwingen mitzukommen.“

„Ach nein?“

Es klang nicht überzeugend. Joanna spürte, dass Clifford unsicher war. Das gab ihr ein erregendes Gefühl des Triumphes.

„Ich denke, du gehst mir besser aus dem Weg.“ Gelassen begegnete sie seinem Blick. „Was kannst du mir noch antun? Du hast ja schon alles ausprobiert.“

„Du …“ Clifford unterdrückte einen Fluch.

„Nun entschuldige mich bitte. Ich möchte gehen.“ Mit den Fingerspitzen berührte sie Cliffords Brust und schob sich an ihm vorbei. Er ließ sie gehen, und Joanna kam es so vor, als hätte sie einen Tiger in die Falle gelockt. Es versetzte sie derart in Hochstimmung, dass sie sich vor Freude kaum fassen konnte. Hüftschwingend schritt sie über die Terrasse davon.

Joanna spürte, wie Clifford sie mit Blicken verfolgte. Sie war froh, dass nichts an ihr ihm verriet, welches Trauma sie durch ihn einmal erlebt hatte. Dank strenger Diät und harter Arbeit war sie jetzt wieder so schlank wie eh und je. Ihre langen Beine kamen in den Bermudashorts, die sie zu der knappen Weste trug, wundervoll zur Geltung. Und ihr Haar, das sie jetzt länger trug als früher und im Nacken mit einer Silberspange zusammenhielt, hatte seidigen Glanz.

Doch sobald sie durch die Glastüren gegangen war, die den inneren Bereich des Hotelrestaurants von der Terrasse trennten, verließ Joanna das Hochgefühl wieder. Nun, da sie ihr Ziel, Clifford einen Strich durch die Rechnung zu machen, erreicht hatte, drückte sie das Gewissen. Sie war nicht so hart und gefühllos, wie Clifford dachte. Es stimmte zwar, dass Ryan Macallister sie nie als Cliffords Frau akzeptiert hatte, aber er war ein alter Mann, und er lag im Sterben, wenn man Clifford glauben durfte.

Unschlüssig blieb sie im Foyer stehen und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Ursprünglich wollte sie sich ein Buch holen und sich in die Sonne setzen. Doch die Begegnung mit ihrem Exmann hatte Joanna völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.

Nun, ihren Badeanzug brauchte sie in jedem Fall. Also schob sie alle Gedanken an Clifford beiseite und fuhr mit dem Lift nach oben. Ihr Zimmer, das im vierten Stock lag, direkt unter den Penthousewohnungen, hatte einen Wohn- und Schlafbereich und einen großen Balkon mit Blick auf den Atlantik.

Während Joanna sich umzog, fragte sie sich unwillkürlich, wo Clifford abgestiegen war. Offensichtlich war er gestern Abend von Charleston hierher geflogen. Es konnte durchaus sein, dass er hier im Hotel wohnte. Aber wahrscheinlich hatte er sich nur für eine Nacht ein Zimmer genommen. Bestimmt hatte er gehofft, sie dazu überreden zu können, noch heute mit ihm zurückzufliegen.

Seufzend betrachtete Joanna sich im Spiegel, ohne so recht zu merken, wie gut ihr der trägerlose Badeanzug stand. Vielleicht sollte sie sich heute Morgen einfach auf dem Balkon sonnen. Ihre Zimmernummer kannte Clifford bestimmt nicht, und wenn doch, würde er wohl kaum zu ihr heraufkommen.

Nein, ich werde nicht weglaufen, befahl Joanna sich energisch. Hatte sie sich nicht eben erst bewiesen, dass sie durchaus in der Lage war, Clifford Widerstand zu leisten? Notfalls konnte sie es noch einmal tun. Davon abgesehen würde Clifford wohl kaum noch länger bleiben, wenn ihm klar wurde, dass sie meinte, was sie sagte. Schließlich war es Anfang Mai. In dieser Jahreszeit gab es für ihn zu Hause viel zu tun. Und wenn sein Vater ernsthaft krank war …

Nein, darüber wollte sie nicht nachdenken. Sie wollte sich nicht einem Mann gegenüber schuldig fühlen, der sie und ihre Überzeugungen immer gehasst hatte. Um zu bekommen, was er wollte, hatte er sogar seinen eigenen Sohn vernichtet.

Joanna zog sich gerade ein übergroßes T-Shirt über den Kopf, als das Telefon klingelte. Hastig steckte sie die Arme in die Ärmel und zog das T-Shirt glatt. Sie hatte eine Hand schon am Hörer, zögerte jedoch abzunehmen. Wenn es nun Clifford war? Sie war sich nicht sicher, ob sie jetzt schon zu einer neuerlichen Konfrontation mit ihm bereit war. Sie brauchte Zeit, sich gegen ihn zu wappnen.

Doch dann besann Joanna sich anders. Wahrscheinlich war es ihre Mutter, die wissen wollte, ob alles in Ordnung war. Ihre Eltern waren nicht besonders glücklich darüber gewesen, dass sie allein Ferien machen wollte. Schon allein die lange Reise von London zu den Bahamas hatte sie nervös gemacht. Seit ihre Ehe mit Clifford in die Brüche gegangen war, waren sie Joanna gegenüber besonders fürsorglich geworden.

Joannas Stimme klang angespannt, als sie sich meldete.

„Jo? Jo, Liebes, bist du es?“ kam es nicht minder nervös durch die Leitung. „Du lieber Himmel, ich kann dich ganz deutlich hören. Bist du wirklich tausend Meilen weit weg?“

Erleichtert wischte sich Joanna die feuchte Hand am T-Shirt ab. Doch zugleich stieg Unmut in ihr auf. „Ja, ich bin es, Grace. Ich sitze hier und warte, wie du es erwartet hast.“

„Oh Jo!“ Grace klang jetzt ängstlich. „Ich weiß, was du denkst, aber versetz dich mal in meine Lage. Ryan ist immerhin mein Schwager. Als … als Clifford mich fragte, wo du bist, musste ich es ihm sagen.“

Joanna schwieg. Sie war sich Grace’ familiärer Verantwortung wohl bewusst. Trotzdem nahm sie es Grace übel, dass sie ihren Aufenthaltsort verraten hatte, ohne sich vorher mit ihr zu besprechen. Grace’ Ehe mit Ryan Macallisters Bruder Luke war genauso gescheitert wie Joannas und Cliffords. Doch da Grace und Luke Macallister zwei Söhne hatten – Evan und Luke Junior –, war Grace vom Wohlwollen der Macallisters abhängig. Wenn sie ihre beiden Söhne weiter regelmäßig sehen wollte, konnte sie es sich nicht leisten, Clifford zu verärgern. Das hätte bei dem Familiensinn der Macallisters sofort zum Abbruch der Beziehungen geführt.

„Jo? Jo, bist du noch da?“, fragte Grace besorgt.

Ich habe selbst Schuld, dachte Joanna. Ich hätte mir gleich nach der Scheidung von Clifford einen anderen Agenten suchen sollen. Aber sie kannte Grace seit fast zehn Jahren. Grace hatte Joannas Talent erkannt, lange bevor ihre Aquarelle populär geworden waren. Durch Grace hatte sie auch Clifford kennen gelernt. Allerdings hatte Grace ihr damit, aus heutiger Sicht, keineswegs etwas Gutes angetan. Trotzdem, Joanna hatte Grace gern, und sie hatte ihr viel zu verdanken. Es wäre nicht fair, von ihr zu erwarten, dass sie die Beziehung zu ihren Kindern wegen Joanna gefährdete.

„Ja, ich bin noch da, Grace“, seufzte Joanna. „Na schön, ich verzeihe dir. Du hattest wohl keine andere Wahl. Aber du hättest mich warnen können. Ich traute meinen Augen nicht, als Clifford hier plötzlich auftauchte.“

Grace war überrascht. „Du hast Clifford gesehen?“

„Ja, natürlich.“ Joanna runzelte die Stirn. „Was hast du denn gedacht?“

„Ich weiß nicht“, kam es vage. „Als wir miteinander telefonierten, hatte ich den Eindruck, Clifford wollte Tidewater zu diesem Zeitpunkt nicht gern verlassen.“

„Offensichtlich hat er seine Meinung geändert.“

Grace zögerte. „Wirst du mit ihm zurückfliegen?“

„Nein.“

„Nein? Aber Jo, Ryan liegt im Sterben.“

„Ja, und?“

„Er hat Krebs. Clifford sagt, die Ärzte würden ihm höchstens noch ein paar Wochen geben. Jo, es ist Cliffords Vater. Empfindest du denn kein Mitgefühl? Ich weiß, ihr beide hattet Differenzen miteinander, aber …“

„Differenzen! Grace, wir waren miteinander verfeindet. Ryan Macallister verdient kein Mitgefühl. Er ist hinterhältig und böse.“

Grace seufzte. „Du hasst ihn richtig, nicht wahr?“

„Du etwa nicht?“

„Nein, hassen tue ich ihn nicht. Oh, ich weiß schon, was du sagen willst. Hätte Ryan nicht so eine große Sache daraus gemacht, dass ich etwas unabhängiger sein wollte, hätte Luke nie den Mut oder die Kraft aufgebracht, mir ein Ultimatum zu stellen. Aber, Jo, letztlich war es doch Luke, der mich zu einer Entscheidung gezwungen hat. Ryan hat den Stein vielleicht ins Rollen gebracht, aber Luke hat die Sache ausgeführt.“

„Ja, aber …“

„Lass mich ausreden, Jo. Du sollst wissen, dass ich nie bedauert habe, Tidewater verlassen zu haben. Sicher, die Jungen fehlen mir, aber sie waren keine kleinen Kinder mehr, als ich ging. Ich habe ein gutes Leben. Ich führe die Galerie und bin Rays Partnerin geworden. Wir beide haben mehr miteinander gemein, als ich es je mit Luke hatte. Luke war anders. Er war aufregend. Meine Beziehung mit Ray ist mehr … intellektuell, wenn du verstehst, was ich meine. Ich empfinde keine Bitterkeit. Ich habe alles, was ich brauche. Ich kann es mir leisten, Mitgefühl zu haben.“

„Ich nicht.“

„Ja, das verstehe ich“, räumte Grace ein. „Ich hatte wohl vergessen, wie sehr du Clifford liebst.“

„Liebtest“, stellte Joanna richtig. „Du hattest vergessen, wie sehr ich Clifford liebte. Jetzt liebe ich ihn nicht mehr. Meine Liebe starb, als sie Nathan umbrachten. Oder hast du ihn auch vergessen?“

Stille.

„Nein, natürlich habe ich Nathan nicht vergessen“, sagte Grace schließlich. „Tut mir leid, Jo. Selbstverständlich musst du tun, was du für das Beste hältst.“

Merkwürdigerweise bekam Joanna jetzt Gewissensbisse. Nein, nicht wegen Ryan Macallister, aber vielleicht war sie doch ein bisschen zu hart mit Grace gewesen.

„Wie laufen denn die Vorbereitungen für die Ausstellung?“, wechselte Joanna das Thema. „Glaubst du, sie wird genügend Interesse finden?“

„Fragst du das im Ernst, Joanna? Die wichtigsten Kritiker haben die Einladung zur Eröffnung schon vor Tagen angenommen. Sogar Howard Jennings hat mir hoch und heilig versprochen zu kommen.“

„Oh! Gut.“

Joanna versuchte ein wenig Enthusiasmus zu zeigen, dass der Redakteur und Moderator eines monatlich im Fernsehen erscheinenden Kulturmagazins interessiert war, aber die Bedeutung der Ausstellung schien sich für sie irgendwie verflüchtigt zu haben. Trotz allem, was sie gesagt hatte, ging Joanna das Bild von Cliffords im Sterben liegenden Vater nicht aus dem Kopf. Sie war Grace unendlich dankbar, als die sagte, sie müsse das Gespräch jetzt beenden, und auflegte.

Doch die Hoffnung, nun bräuchte sie sich auch nicht mehr mit den Macallisters zu beschäftigen, erfüllte sich nicht. Erinnerungen an Clifford, an seinen Vater und an Tidewater stiegen in ihr auf und ließen sie nicht los. Verärgert griff Joanna nach ihrer Strandtasche und verließ das Zimmer.

Die Sonne vertrieb alles Dunkle und Beunruhigende. Sie brannte so heiß, dass es einfach unmöglich war, intensiv nachzudenken. Hier am Swimmingpool war es heißer als am Strand, wo von der See her eine frische Brise wehte und für ein wenig Kühle sorgte. Doch Joanna war froh über die lähmende Wirkung, die die Hitze auf sie ausübte.

Sie hatte sich eine Liege abseits vom Swimmingpool ausgesucht, weil sie nicht den Eindruck erwecken wollte, sie würde sich nach Gesellschaft sehnen. Eine Frau allein erregt schnell die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts, das hatte sie oft genug erfahren. Joanna wollte sich aber auf keinen Ferienflirt einlassen. Zu Hause nahm sie Einladungen zum Essen und ins Theater hin und wieder an. Doch dort wussten ihre Begleiter meistens, dass sie an keiner ernsten Beziehung interessiert war, und wenn einer von ihnen doch eine intimere Bekanntschaft anstrebte, trennte sie sich schnell von ihm. Joanna mochte Männer, aber nur auf Abstand. Sie war einmal sehr verletzt worden, und sie hatte keine Lust, die Erfahrung zu wiederholen.

Umso mehr irritierte es sie nun, als jemand die Liege neben ihr belegte. Durch halb geschlossene Lider erblickte sie braune muskulöse Beine und einen strammen Männerpo in dunkelblauer Badehose.

Verflixt! Joanna schloss die Augen und tat, als würde sie den Mann nicht bemerken. Mindestens fünfzig Sonnenliegen standen um den Pool herum. Bestimmt hatten es sich auf einigen von ihnen auch Frauen bequem gemacht, die sich geschmeichelt fühlen würden, würde dieser Mann ihnen seine Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Warum suchte er sich nicht eine von ihnen aus? Joanna wollte sich entspannen und nicht Annäherungsversuche abwehren.

Sacht strich ein Finger über ihren Arm. Erschrocken öffnete Joanna die Augen und setzte sich auf. Was für eine Frechheit! War es zu viel verlangt, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte?

Verärgert zog sie die Sonnenbrille herunter, die sie sich ins Haar geschoben hatte, und blickte auf den Mann neben sich. Sie war fassungslos. Nicht irgendein Papagallo lag auf der Liege neben ihr, sondern Clifford.

„Hallo“, sagte er leichthin.

„Was machst du hier, Clifford? Ich dachte, du hättest die nächste Maschine nach South Carolina genommen.“

Clifford streckte die Beine aus und legte die Hände unter den Kopf. „Wie du siehst, bin ich noch hier.“

„Ich werde es mir nicht anders überlegen, weißt du.“

„Habe ich das von dir verlangt?“ Er schaute zu ihr auf. „Entspann dich, Jo. Es ist viel zu heiß, um den Adrenalinspiegel ansteigen zu lassen.“

Joanna presste die Lippen zusammen, legte sich wieder hin und versuchte, ihre Ruhe wieder zu finden. Doch das Gefühl des Wohlbehagens wollte sich nicht wieder einstellen. Sie war nervös und gereizt, Cliffords Nähe irritierte sie.

Sein Arm war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Joanna betrachtete ihn verstohlen. Er wies eine winzige Tätowierung von einer giftigen Schlange auf, die Clifford sich als kleiner Junge hatte machen lassen und für die sein Vater ihn gründlich verprügelt hatte. Ansonsten war sein Arm makellos, braun gebrannt, glatt, kaum behaart und mit einem dünnen Film Schweiß bedeckt.

Unwillkürlich reagierte ihr Körper auf Clifford. Der Anblick seiner nackten, leicht behaarten Brust mit den flachen Brustwarzen erregte Joanna. Ihr Blick glitt über die feine Linie blonder Härchen, die unter dem Gurtband seiner Badehose verschwanden.

Du lieber Himmel! Joanna drehte sich um und blickte zum Swimmingpool hinüber. Was war nur mit ihr los? Cliffords nackter Körper war nichts Neues für sie. Sie hatte über zwei Jahre mit Clifford gelebt, hatte ihn in allen erdenklichen Posen gesehen, halb nackt und ganz nackt. Er hatte einen schönen schlanken Körper. Er war das Prachtexemplar eines amerikanischen Mannes. Nur leider stimmte das schöne Äußere nicht mit dem Inneren überein.

„Möchtest du etwas trinken?“

„Ich … was hast du gesagt?“, fragte sie verwirrt.

„Ich habe dich gefragt, ob du etwas trinken möchtest.“ Clifford stützte sich auf einen Ellbogen, zog ein Bein an und drehte sich halb zu ihr um. „Eine Kellnerin macht gerade die Runde um den Swimmingpool. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf eine Erfrischung.“

„Oh!“ Joanna schluckte und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. „Ja, eine Limonade wäre jetzt gut. Aber ich besorge sie mir selbst. Bemühe dich nicht!“

„Das ist keine Mühe.“ Clifford richtete sich auf, und als die mit einem Bikini bekleidete Kellnerin zu ihnen kam, stand er auf. Cliffords Höflichkeit wurde sehr wohl registriert, wie Joanna verdrossen feststellte.

„Du hättest nicht aufzustehen brauchen“, meinte sie gereizt, nachdem die Kellnerin gegangen und er sich wieder hingesetzt hatte.

„Das weiß ich. Aber es kostet nichts, höflich zu sein.“

„Wärst du auch aufgestanden, wenn es ein Mann gewesen wäre?“

Clifford lächelte und zeigte dabei regelmäßige weiße Zähne. „Ich denke schon. Was ist los, Jo? Stört dich was?“

Noch erregt von ihren sinnlichen Fantasien, rutschte Joanna unbehaglich auf ihrer Liege hin und her. Da ihr keine scharfe Erwiderung einfiel, mit der sie Cliffords spöttische Selbstsicherheit untergraben konnte, wandte sie den Blick von ihm ab und beobachtete das Spiel eines jungen Paares im Swimmingpool. Wahrscheinlich machten die Teenager zum ersten Mal Ferien zusammen. Das Mädchen umarmte ihren Freund mit einer Vertrautheit, die auf lange Nächte voller Liebe und Zärtlichkeit schließen ließ. Joanna erinnerte sich, dass sie und Clifford sich auch einmal so geliebt hatten. In jenen langen südlichen Nächten bevor alles schief ging.

2. KAPITEL

Mit zwei großen Gläsern Limonade und viel Eis darin kehrte die Kellnerin zurück. Clifford nahm sich eins und hielt das andere Joanna hin. Sie wollte nichts von ihm annehmen, aber es wäre kindisch gewesen, den Drink zurückzuweisen. Also setzte sie sich in den Schneidersitz, nahm das Glas entgegen und leerte es in großen Zügen. Danach streckte sie sich wieder auf der Liege aus.

Clifford saß immer noch seitwärts auf seiner Liege, die Beine leicht gespreizt. Joanna fühlte seinen Blick auf sich. Es irritierte sie, aber sie sagte sich, dass seine Anwesenheit sicher andere davon abhalten würde, sie zu belästigen.

„Du siehst gut aus“, sagte Clifford unvermittelt.

Joanna sah zu ihm auf. „Danke. Du auch. Sammy-Jean scheint etwas richtig zu machen.“

Seine Züge verhärteten sich einen Moment lang, ehe er antwortete. „Du bist immer eine schöne Frau gewesen, aber jetzt bist du noch schöner als damals, als wir geheiratet haben.“

„Dann muss ich auch etwas richtig machen“, entgegnete Joanna knapp, verärgert, dass sie über seine Worte errötete. „Wie auch immer du darüber denken magst, so schlecht lebt es sich gar nicht in London. Unser Wetter ist vielleicht nicht so gut wie bei euch, aber es hat auch seine Vorteile.“

Clifford hob die Augenbrauen und blickte dann auf seinen Drink. „So wird es wohl sein“, sagte er schließlich. „Grace würde dir bestimmt zustimmen.“

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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