Süße Überraschung in der Bretagne

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Romantische Buchten, wilde Klippen und ein traumhaftes Schloss - doch Isabel nimmt die Schönheit der Bretagne kaum wahr. Mit klopfendem Herzen nähert sie sich ihrem Ziel, dem Gestüt Beauregard. Unter falschem Namen will sie dort herausfinden, ob ihr Verdacht zu Recht besteht: Hat André Marleaux, Besitzer der exklusiven Pferdezucht, tatsächlich den wertvollen Hengst ihres Vaters gestohlen? Schon bei der ersten Begegnung ist Isabel fasziniert von dem attraktiven Mann. Und mit jedem Tag in seiner Nähe wächst ihre Sehnsucht nach ihm - hat sie sich in den Feind verliebt?


  • Erscheinungstag 01.09.2008
  • Bandnummer 1755
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493479
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Was würde sie auf Château de Beauregard erwarten?

Isabel Clarkson zwang sich, tief durchzuatmen, doch das erhoffte Ergebnis blieb aus. Nervös warf sie einen Blick auf den Kilometerzähler ihres smaragdgrünen Käfers. Vorausgesetzt, dass sie sich noch immer auf dem richtigen Weg befand, würde sie ihr Ziel in weniger als einer halben Stunde erreichen. Allein bei dem Gedanken daran beschleunigte sich ihr Atem.

„Reiß dich um Himmels willen zusammen“, rief sie sich selbst zur Ordnung. „Es geht hier lediglich um einen Job. Kein Grund, in Panik zu verfallen.“

Tatsächlich befand sie sich auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch. André Marleaux, Besitzer eines großen Gestüts in der Nähe von Saint-Brieuc an der bretonischen Côtes d’Armor, suchte nach einer neuen Sekretärin – und genau um diesen Posten hatte sie sich beworben.

Dennoch verhielt es sich nicht so einfach, wie sie es sich selbst einzureden bemühte. Das Gespräch mit Marleaux musste unter allen Umständen positiv verlaufen. Der Plan, den sie sich in den vergangenen Wochen zurechtgelegt hatte, stand und fiel mit der Frage, ob sie diese Stelle bekam. Falls nicht, war alles zu Ende, ehe es richtig begonnen hatte.

Noch knapp zwanzig Kilometer. Isabel hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Seit sie in Roscoff von der Fähre gefahren war, hatte sie sich stets nah an der Küste gehalten, und unter normalen Umständen wäre sie sicherlich in der Lage gewesen, die wildromantische Schönheit ihrer Umgebung zu genießen. Sandstrände und atemberaubende Steilküsten wechselten sich miteinander ab. Es gab einsame Buchten, wo das Meer im Sonnenlicht türkisgrün schimmerte, verträumte kleine Fischerdörfer und zum Landesinneren hin ausgedehnte Wälder und Heidelandschaften. Doch für all das hatte Isabel zurzeit kein Auge.

Stattdessen quälte sie sich einmal mehr mit dem Gedanken an André Marleaux.

Was mochte er für ein Mann sein? Natürlich hatte sie bereits Fotos von ihm in den einschlägigen Klatschmagazinen und Zeitungen gesehen. Immerhin gehörte er zu den begehrtesten Junggesellen Frankreichs, war gut aussehend, elegant und zudem steinreich. Isabel interessierte sich jedoch nicht für sein Geld und sein Aussehen. Sie wollte mehr über den Menschen Marleaux erfahren. War er der kaltherzige und strenge Despot, als den sie ihn sich vorstellte? Wie konnte es anders sein, nach allem, was er ihrem Vater angetan hatte?

Isabel spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, doch sie kämpfte sie zurück. Jetzt war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas. In nicht einmal mehr zwanzig Minuten stand sie ihrem erklärten Feindbild André Marleaux von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Und sollte sich am Ende herausstellen, dass er tatsächlich für das Leid ihres Vaters verantwortlich war …

Sie lenkte den Wagen in einen schmalen Seitenweg, der von der Küstenstraße abzweigte und sanft, aber stetig anstieg. Nach einer scharfen Kurve tauchte dann mit einem Mal das Schloss vor ihr auf. Isabel atmete scharf ein. Das war es also – das Château de Beauregard, umgeben von einem Park mit altem Baumbestand. Hier lebte André Marleaux, und hier, auf dem weitläufigem Gelände, befand sich auch das Gestüt, das sich unter der Bezeichnung Beauregard einen Namen gemacht hatte.

Das gesamte Anwesen war von einem hohen Zaun umgeben, und ihre Reise endete vorläufig vor einem wuchtigen schmiedeeisernen Tor. Isabel stieg aus ihrem Käfer und schaute sich Hilfe suchend um.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als eine Stimme neben ihr erklang, dann entdeckte sie die Gegensprechanlage, die direkt neben der Pforte angebracht war.

„Haben Sie einen Termin mit Monsieur Marleaux?“, fragte da eine Stimme auf Französisch.

„Ja“, antwortete sie auf Französisch. „Mein Name ist Amy Isabel Winters. Monsieur Marleaux erwartet mich zum Vorstellungsgespräch.“

Ein Summen erklang, und im nächsten Moment schwangen die beiden Flügel des Tores auseinander.

Isabel setzte sich wieder hinters Lenkrad und trat die letzte Etappe ihre Reise an. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, als sie sich dem Château näherte, dabei war der Anblick alles andere als Furcht einflößend. Ganz im Gegenteil sogar.

Die imposante Fassade des zweiflügeligen Gebäudes schimmerte rosafarben im Sonnenlicht. Kunstvolle Steinreliefs zierten die Rahmen von Fenstern und Türen. Eine große, geschwungene Doppeltreppe führte von der mit weißem Kies ausgestreuten Auffahrt bis hinauf zum Eingangsportal des Schlosses, das von zu perfekten Kugeln gestutzten Buchsbäumen in riesigen Kübeln flankiert wurde.

Neben der Treppe befand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem bereits ein schnittiger schwarzer Lexus und ein Hummer-Geländewagen standen. Isabel stellte ihren Käfer neben dem Hummer ab, atmete noch einmal tief durch und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, ehe sie ausstieg.

Hoffentlich ging alles gut.

„Kann ich Ihnen etwas bringen? Einen Kaffee oder vielleicht einen Tee? Ich habe auch frisch gebackenen Obstkuchen, wenn Sie mögen.“

Isabel rang sich trotz ihrer Nervosität ein Lächeln für die freundliche Haushälterin, die sich ihr als Marie vorgestellt hatte, ab. „Nein, danke sehr, ich bin viel zu aufgeregt, um auch nur einen Bissen herunterzubekommen.“

Die rundliche ältere Dame lachte. „Seien Sie völlig unbesorgt, Mademoiselle. Entgegen allem, was über ihn in der Presse berichtet wird, ist unser Monsieur Marleaux ein sehr umgänglicher Mensch. Ich bin sicher, dass Sie ganz wunderbar mit ihm auskommen werden.“

Nachdem die Haushälterin Isabel mit einem letzten aufmunternden Nicken bedacht hatte, ließ sie sie allein. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Raum um den zukünftigen Wirkungskreis der neuen Sekretärin, dachte sie, denn er war wie ein Bürovorzimmer eingerichtet. Es gab einen schweren Schreibtisch aus dunklem, poliertem Massivholz, auf dem sich neben den üblichen Utensilien ein moderner Flachbildmonitor und ein Laserdrucker befanden. In den Aktenschränken und Regalen hinter dem Schreibtisch herrschte ein heilloses Chaos, wie sie auf den ersten Blick erkannte. Kein Wunder, dass Marleaux dringend eine Sekretärin brauchte.

Isabel konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie hatte sich Marleaux als regelrechten Ordnungsmenschen vorgestellt – ein Irrtum, wie es schien. Als ihr im nächsten Augenblick aber auch schon wieder einfiel, warum sie hier war, verblasste ihr Lächeln schlagartig. Mit bang klopfendem Herzen setzte sie sich auf einen der Besucherstühle, die an der dem Schreibtisch gegenüberliegenden Wand standen.

Von ihrer Position aus blickte sie direkt auf die große Bahnhofsuhr, die zwischen zwei großen Bogenfenstern hing. Und anstatt die herrliche Aussicht über die Parkanlagen zu genießen, saugte sich ihr Blick förmlich an den Zeigern der Uhr fest. Konnte es wirklich sein, dass Zeit so langsam verstrich?

„Mademoiselle Winters?“

Isabel, die nicht bemerkt hatte, dass die Tür zum Büro geöffnet worden war, zuckte zusammen. An der Tür stand das zweifellos attraktivste männliche Wesen, das sie je gesehen hatte. In seinen verwaschenen Jeans und dem schlichten kurzärmeligen Hemd hätte sie ihn beinahe nicht erkannt. Marleaux sah so anders aus als auf den Bildern der Hochglanzmagazine. Sein dichtes schwarzes Haar erschien ihr viel länger, aber wahrscheinlich kämmte er es zu offiziellen Anlässen einfach nur streng zurück. Seine durchtrainierte Gestalt kam durch die engen Jeans und das schmal geschnittene Shirt perfekt zur Geltung. Am eindrucksvollsten aber waren seine leuchtend blauen Augen, mit denen er sie jetzt musterte.

„Ich möchte Sie ja nur ungern unterbrechen, denn es schmeichelt mir durchaus, von einer schönen Frau angestarrt zu werden“, sagte er amüsiert, „allerdings sollten wir vielleicht zunächst einmal die Formalitäten hinter uns bringen. Wenn ich Sie also in mein Büro bitten darf, Mademoiselle Winters.“

Isabel hatte in den letzten Tagen alles Mögliche versucht, um sich an den falschen Nachnamen zu gewöhnen, den sie sich – neben einigen anderen Kleinigkeiten wie Zeugnissen und Referenzen – von ihrer besten Freundin Amy ausgeliehen hatte. Verärgert stellte sie fest, dass sie noch immer den Impuls verspürte, sich suchend nach ihrer Freundin umzusehen, wenn jemand nach Miss Winters fragte.

Glücklicherweise bereitete ihr wenigstens der Vorname keine Schwierigkeiten, denn davon besaß Amy gleich zwei, und einer davon lautete ebenfalls Isabel – so wurde sie zwar von niemandem gerufen, aber das wusste André Marleaux ja nicht.

Dennoch. Es wurde Zeit, dass sie diese Sache endlich in den Griff bekam. Ihr Plan durfte keinesfalls an so einer dummen Kleinigkeit scheitern.

Marleaux ging voran in sein Büro, und Isabel folgte ihm. „Bitte, nehmen Sie doch Platz“, sagte er, und sie nahm sein Angebot dankbar an, denn sie hatte weiche Knie. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Marleaux würde gewiss niemanden einstellen, der schon beim ersten Anzeichen von Stress beinahe zusammenbrach; und sie musste diesen Job bekommen – unbedingt.

Sie holte tief Luft und rang sich ein Lächeln ab. „Vielen Dank, dass Sie mich zu diesem Gespräch eingeladen haben, Monsieur Marleaux.“

Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich bitte Sie, das versteht sich bei Ihren Referenzen doch ganz von selbst. Ihr Lebenslauf ist geradezu einschüchternd. Ich muss allerdings gestehen, dass ich zunächst Bedenken hatte, eine Engländerin für diese Stelle überhaupt in Betracht zu ziehen.“

„Und die haben Sie inzwischen überwunden?“

„Allerdings! Verraten Sie mir, wo Sie gelernt haben, so exzellent Französisch zu sprechen?“

Auf dieses Thema mochte Isabel nur ungern näher eingehen. Henri war nun wirklich der letzte Mensch, an den sie im Augenblick denken wollte. Abgesehen von den guten Sprachkenntnissen, die sie ihm zweifellos zu verdanken hatte, verknüpfte sie ansonsten durchweg nur schlechte Erinnerungen mit ihm. „Vielen Dank“, sagte sie daher ausweichend. „Ich nehme an, Sprachen liegen mir einfach.“

„Sie sind sehr bescheiden. Das kann man von Personen mit Qualifikationen wie den Ihren leider nur sehr selten behaupten.“

Isabel schluckte. Seine Komplimente verursachten ihr Unbehagen. Ihr war ohnehin schon nicht wohl dabei, Leistungen als ihre eigenen zu verkaufen, die sie in Wahrheit nicht vollbracht hatte. Doch was hatte sie schon für eine Wahl? Als würde ein Mann von André Marleaux’ Position jemanden wie sie zu seiner Sekretärin machen! Eine Anwältin, gerade frisch mit dem Studium fertig und mit wenig praktischer Berufserfahrung. Sie musste dem Himmel danken, dass Amy sich bereit erklärt hatte, bei dieser Sache überhaupt mitzumachen. Ohne die Hilfe ihrer Freundin säße sie jetzt nicht hier, dessen war sie sich absolut bewusst. Trotzdem gefiel es ihr nicht, sich so verstellen zu müssen, denn normalerweise verabscheute sie Unehrlichkeit in jeglicher Form.

Aber es gab Dinge, die einfach getan werden mussten – und sie musste diese Anstellung unbedingt bekommen.

„Eines wollte ich Sie schon die ganze Zeit fragen, Isabel“, sagte André, nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten und sie ihm mitgeteilt hatte, dass ihr Rufname nicht Amy war. „Wie kommt es, dass Sie sich ausgerechnet auf diese Stelle beworben haben? Jemand wie Sie wird doch mit Sicherheit überall mit Kusshand eingestellt.“

Isabel schluckte. Dass er ihr diese Frage stellen würde, war bereits abzusehen gewesen. Sie wurde in jedem Ratgeber für Vorstellungsgesprächen intensiv besprochen, und sie hatte sich auch schon ein passendes Sprüchlein zurechtgelegt, doch jetzt – totaler Blackout.

Ihr brach der kalte Schweiß aus. Nun galt es zu improvisieren, und zwar schnell. „Ich …“, begann sie, verzweifelt bemüht, sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. „Wissen Sie, ich denke, es liegt an den Pferden. Daheim in Falmouth bin ich praktisch mit ihnen aufgewachsen und …“ Sie zuckte mit den Schultern und wagte ein scheues Lächeln. „Tja, hier bin ich.“

„Ja, hier sind Sie“, wiederholte Marleaux nachdenklich.

Täuschte Isabel sich, oder flackerte da für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich Misstrauen in seinen blauen Augen auf? Es war so schnell vorüber, dass sie nicht sicher sein konnte. Dennoch schalt sie sich eine Närrin, ihm überhaupt von Falmouth erzählt zu haben. Er brauchte ja bloß einen Blick in ihren Lebenslauf zu werfen, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmte. Amy war in Exeter aufgewachsen, und so stand es auch in sämtlichen Lebensläufen, die Isabel bei ihrer Bewerbung eingereicht hatte.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, während Marleaux schweigend in ihren Unterlagen blätterte. Die Sekunden schienen sich zu kleinen Ewigkeiten auszudenken, bis er schließlich aufblickte und mit einem Lächeln zu ihr sagte: „Herzlichen Glückwunsch, Mademoiselle Winters, Sie haben die Stelle.“

Kopfschüttelnd trat André an das Fenster seines Arbeitszimmers und blickte hinaus auf den Park, der jetzt, zu Beginn des Sommers, in den prachtvollsten Farben erstrahlte. Er liebte den Garten zu dieser Jahreszeit. Ganz besonders am frühen Morgen, wenn Millionen winziger Tautropfen wie kleine Regenbogen im Sonnenlicht glitzerten, und am Abend kurz vor der Dämmerung, wenn über allem der rötliche Schein des schwindenden Tages lag.

Im Moment jedoch schienen seine Augen geradewegs durch die idyllische Szenerie hindurchzublicken, denn er war mit Gedanken woanders. Die ganze Zeit überlegte er nun schon, was ihm an seiner neuen Sekretärin, die er vor knapp einer Stunde eingestellt hatte, nicht gefiel.

An ihrem Aussehen lag es gewiss nicht: Isabel Winters gehörte zu den attraktivsten Frauen, die ihm in den vergangenen Jahren über den Weg gelaufen waren. Nicht im landläufigen Sinne schön, besaß sie das gewisse Etwas. Das lange, tizianrote Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern. Ihre Gesichtszüge waren fein geschnitten und regelmäßig, und ihre Augen schimmerten in einem außergewöhnlichen Grünton. Ihre Kleidung, schlicht, aber elegant, konnte die wohlgeformten Kurven, die sich darunter verbargen, nicht verstecken. Mademoiselle Winters war in der Tat äußerst attraktiv. Nicht, dass er auf solche Dinge achtete …

Mit einem Seufzen wandte er sich vom Fenster ab. Wem versuchte er hier eigentlich etwas vorzumachen? Er fühlte sich sehr wohl von ihr angezogen. Die Spannung, die die Luft zwischen ihnen zum Knistern brachte, war ihm von der ersten Sekunde an aufgefallen. Und ihr schien es ganz ähnlich zu ergehen. Jedenfalls schloss er das aus der schüchternen Art, die sie ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein, denn schließlich reagierten die meisten Menschen auf den Stress eines Vorstellungsgesprächs mit Unruhe und Nervosität.

Ihre Referenzen ließen jedoch nichts zu wünschen übrig. André hatte sich schon einige Bewerberinnen angesehen, doch keine konnte mit ihr mithalten. Isabel besaß die perfekte Qualifikation für den Job. Ganz davon abgesehen brauchte er wirklich dringend jemanden, der Ordnung in das Chaos brachte, das seine letzte Sekretärin hinterlassen, und zu dessen Vergrößerung er im Verlauf des vergangenen Jahres wahrscheinlich noch beigetragen hatte. Er benötigte Hilfe, so viel stand fest. Und Isabel stellte ganz eindeutig die beste Wahl für ihn dar. Warum zweifelte er dann immer noch, ob es richtig gewesen war, sie einzustellen?

Du fürchtest dich vor der unbestreitbaren Anziehungskraft, die diese Frau auf dich ausübt, beantwortete er sich die Frage selbst.

André begann ruhelos auf und ab zu wandern. Die Entscheidung, entweder Isabel zu kündigen oder sich seiner Vergangenheit und der unerfreulichen Angelegenheit mit Angélique zu stellen, fiel ihm weit schwerer, als er zunächst angenommen hatte. Etwa zwei Monate lang redete er sich jetzt schon ein, über alles hinweg zu sein. Nun zeigte sich, wie wenig das stimmte. Über gar nichts war er hinweg. Nicht im Geringsten.

Und trotzdem. Er hatte Zeit genug gehabt, sich seine Wunden zu lecken und sich zudem über einige Dinge klar zu werden. So lehrte ihn die Erfahrung mit Angèlique, so schmerzhaft sie auch gewesen sein mochte, wenigstens eine wertvolle Lektion – nämlich Privates und Geschäftliches stets strikt voneinander zu trennen. Wenn er es jetzt auch noch schaffte, das Erlernte anzuwenden, dann besaß Angèliques Verrat an ihm schließlich doch etwas Gutes.

Und Isabel Winters stellte geradezu die perfekte Feuerprobe für ihn dar. Wenn er es schaffte, ihr zu widerstehen, war er für alle Zeit geheilt.

Einen Punkt gab es da allerdings noch in Bezug auf Isabel Winters, der ihm einfach nicht mehr aus den Kopf ging. Vorhin beim Vorstellungsgespräch hatte sie ihre Kindheit erwähnt. Der Name eines Ortes war gefallen, der etwas in ihm zum Klingen brachte. Dummerweise konnte er sich jetzt aber weder an den Namen des Ortes erinnern, noch daran, in welchem Zusammenhang er ihn schon einmal gehört hatte. Doch das würde er schon noch herausfinden, und zwar mit Hilfe seines alten Freundes Mathieu Lejeune, der ein wahrer Spezialist darin war, Informationen jedweder Art zu beschaffen.

2. KAPITEL

„Wow!“ Isabel konnte nicht sagen, was genau sie erwartet hatte, aber diese Unterbringung übertraf alles. Sie als Zimmer zu bezeichnen stellte fast eine Beleidigung dar. Suite war da schon der angemessenere Ausdruck.

Begeistert ließ sie sich rücklings auf das breite Bett fallen. Schon als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt, einmal in einem echten Himmelbett zu schlafen. Und jetzt wurde dieser Traum endlich Wirklichkeit!

Aber auch der Rest ihrer Unterkunft ließ, wie sie bald darauf feststellte, keine Wünsche offen. Angefangen von dem marmorverkleideten Badezimmer mit den goldenen Armaturen und der riesigen Badewanne, über den durch eine Schiebetür vom Schlafbereich abgetrennten Wohnraum, der sowohl über elegante, komfortable Sofas als auch über eine moderne Hi-Fi-Anlage verfügte, bis hin zu dem begehbaren Kleiderschrank, in dem mehr Kleidungsstücke Platz fanden, als sie je im Leben besessen hatte, war alles einfach perfekt.

Zwar begeistert über den Luxus ihrer neuen Umgebung, ermahnte sie sich schnell, nicht zu vergessen, warum sie hier war. Den ersten Schritt ihres Planes hatte sie erfolgreich in die Tat umgesetzt: Als Andrés neue Sekretärin hatte sie freien Zugang zum Château und den umliegenden Ländereien. Denn genau diese Bewegungsfreiheit brauchte sie, um ihr weiteres Vorhaben durchführen zu können.

Nachdem sie die Suite erkundet hatte, trat sie hinaus auf den großen, halbrunden Balkon, von dem aus man eine fantastische Aussicht über den gesamten Park bis hin zu den Klippen hatte, die auf einer Seite die Grenze des Anwesens bildeten. In genau entgegengesetzter Richtung befand sich das Gestüt.

Unwillkürlich spürte sie, wie ihre innere Anspannung zunahm. Der Pferde wegen nahm sie das alles hier überhaupt auf sich. Genauer gesagt wegen eines ganz bestimmten Pferdes, dem Stolz des Gestüts ihres Vaters: Diablo.

Der nachtschwarze Araberhengst war vor fast genau zwölf Wochen aus seinem Stall verschwunden. Spurlos. Zwar hatte die Polizei umgehend die Ermittlungen aufgenommen, aber keine konkreten Hinweise herausgefunden.

Für das Gestüt bedeutete der Verlust von Diablo einen großen wirtschaftlichen Schaden. Erst vor Kurzem hatte Isabel von einem guten Freund ihres Vaters erfahren, dass der Hengst sozusagen das gesamte Kapital von Dewmeadow Stables in sich vereinte. Doch es war nicht der finanzielle Schaden, der Isabel so sehr schmerzte. Derjenige, der für die Entführung Diablos verantwortlich war, hätte um ein Haar noch viel mehr zerstört.

Isabel ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte mit den Tränen. Oh Vater …

Der Privatdetektiv, den sie mit der Suche nach Diablo beauftragt hatte, nachdem die Ermittlungen der Polizei im Sande verliefen, fand heraus, dass die vielversprechendste Spur Diablos nach Frankreich führte – genauer gesagt an die Côtes d’Armor. Seine Recherchen ließen vermuten, dass André Marleaux irgendwie in die ganze Angelegenheit verwickelt war, denn immerhin gehörte ihm das einzige Gestüt in der Region. Wo könnte man besser ein fremdes Pferd verstecken, das unentdeckt bleiben sollte, als hier?

Isabel drängte die Tränen zurück. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um in Sentimentalitäten zu verfallen. Sie musste sich voll und ganz auf das konzentrieren, was nun vor ihr lag. Ein letztes Mal atmete sie tief durch, dann entschloss sie sich, ihr Gepäck aus dem Wagen zu holen. Das würde sie ablenken und ihr dabei helfen, wieder einen freien Kopf zu bekommen. Wenigstens hoffte sie das.

Ein paar Minuten später war sie draußen bei ihrem Wagen und mühte sich mit ihrer großen Reisetasche ab, die sich keinen Millimeter rührte, so fest sie auch daran zog.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Als Marleaux’ Stimme hinter ihr erklang, richtete Isabel sich unwillkürlich auf und stieß sich den Kopf an der geöffneten Kofferraumklappe ihres Käfers.

„Autsch! Verdammt!“

„Ich habe Sie erschreckt. Das tut mir leid. Ich wollte Ihnen lediglich meine Hilfe anbieten.“

Isabel wurde rot, als ihr klar wurde, dass sie gerade in Gegenwart ihres Chefs laut geflucht hatte. Was war bloß in sie gefahren, sich ausgerechnet vor Marleaux so gehen zu lassen?

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, sagte sie rasch. „Es ist ja nichts passiert, und außerdem können Sie nichts dafür, dass ich so schreckhaft bin.“

Er lächelte. Musste er das eigentlich immer tun? Sein Lächeln verursachte bei Isabel sofort weiche Knie. „Dann lassen Sie es mich wenigstens wiedergutmachen“, sagte er, hievte die schwere Reisetasche, die sich verklemmt hatte, aus dem Kofferraum und stellte sie auf dem Boden ab.

„Lieber Himmel“, stieß er überrascht hervor. „Was haben Sie denn da drin? Man könnte meinen, Sie transportieren Steine von zu Hause. Neigen Sie vielleicht zu übersteigertem Heimweh?“

Sein gequälter Gesichtsausdruck brachte sie unwillkürlich zum Lachen. Ihre innere Anspannung verflog. „Nun, ich kann Ihnen versichern, dass sich in dieser Tasche ausschließlich Garderobe befindet.“

„Garderobe?“ Er verdrehte die Augen.

„Trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich schätze, es ist nicht unbedingt selbstverständlich, dass der Chef seiner neuen Angestellten das Gepäck aufs Zimmer trägt.“

Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben, denn ein Schatten legte sich auf seine Miene, der jedoch sofort wieder verschwand. „Das ist es wohl auch nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach ein ziemlich ungewöhnlicher Chef.“

Er griff erneut nach dem Henkel der Tasche, und in derselben Sekunde bückte Isabel sich, um ihren Rucksack aufzuheben. Nur ganz kurz streiften sich ihre Arme, doch das reichte bereits aus – ein Prickeln überlief Isabel, und ihre Wangen wurden heiß. Hastig schaute sie weg, damit er ihre Verlegenheit nicht bemerkte.

Autor

Penny Roberts
<p>Hinter Penny Roberts steht eigentlich ein Ehepaar, das eines ganz gewiss gemeinsam hat: die Liebe zum Schreiben. Schon früh hatten beide immer nur Bücher im Kopf, und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Und auch wenn der Pfad nicht immer ohne Stolpersteine und Hindernisse war – bereut haben...
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