Süße Verlockung für Dr. Brice

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Den Reizen seiner schönen jungen Chefin Virginia kann sich Dr. Gavin Brice nicht entziehen. Doch er hat versprochen, für seine Nichten zu sorgen! Auch wenn Virginias Küsse verlockend süß und erregend sind, ist auf Dauer einfach kein Platz für eine Frau in seinem Leben. Was jetzt?


  • Erscheinungstag 24.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506076
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Unsere Klinik ist mit den modernsten Geräten ausgestattet, und wir haben hier am Bayview Grace einige der besten Chirurgen des Landes.“ Insgeheim knirschte Dr. Virginia Potter mit den Zähnen, doch sie sah die Vorstandsmitglieder und Investoren mit einem gewinnenden Lächeln an.

Diesen Teil ihres Jobs hasste sie, aber als Chefärztin der Chirurgie musste sie sich auch darum kümmern. Statt den Leuten Honig ums Maul zu streichen, hätte sie viel lieber mit dem Rest des Schockteams in der Notaufnahme Leben gerettet. Die tägliche Praxis fehlte ihr. Zwar operierte sie noch, aber längst nicht mehr so oft wie früher.

Aber du hast es doch so gewollt, erinnerte sie sich. Karriere oder Familie. Beides ging nicht. Ihr Vater war das beste Beispiel dafür gewesen. Er hatte seiner Familie mehr Zeit gewidmet als seiner Karriere, und als seine Firma ihren Sitz in den Süden verlegte, war er einer der Ersten, denen gekündigt wurde. Auch wenn es eine Rolle gespielt haben mochte, dass er wegen einer Verletzung nur noch eingeschränkt arbeitsfähig war. Virginia hatte daraus gelernt. Wollte man erfolgreich sein, konnte man nicht beides haben. Vor allem zählte ein Dach über dem Kopf und genug zu essen auf dem Tisch. Das waren Zeichen für Erfolg im Leben.

Andere haben beides – Karriere und Familie. Sie verscheuchte diesen Gedanken entschlossen. Nein, sie wollte keine Familie. Sie konnte es sich nicht leisten, jemanden zu verlieren. Nie wieder wollte sie einen solchen Schmerz riskieren.

„Ich würde mir gern einmal die Notaufnahme ansehen“, riss Mrs. Greenly sie aus ihren Gedanken.

Alles andere, nur nicht dorthin, schoss es Virginia durch den Kopf, aber sie nickte. „Natürlich. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“ Sie verspürte einen dumpfen Druck im Magen. Sie hatte geplant, einen Besuch dort unbedingt zu vermeiden. Es gab so viele unkomplizierte Abteilungen im Bayview Grace. Abteilungen, deren Oberärzte geschliffene Manieren hatten und für Virginias eigenen Seelenfrieden weniger gefährlich waren.

Der Oberarzt der Notaufnahme war der personifizierte schlimme Finger der Klinik.

Während sie die Investoren und Vorstandsmitglieder Richtung Notaufnahme führte, hoffte sie, dass Dr. Gavin Brice keinen Dienst hatte.

Die Chancen standen schlecht. Der Mann arbeitete immer, und sie bewunderte ihn dafür, auch wenn sie sich im Moment wünschte, er wäre nicht so fleißig.

Sie selbst hatte sich dafür eingesetzt, ihn einzustellen. Er hatte einen ellenlangen Lebenslauf, der den Vorstand aber nicht sonderlich beeindruckte. Ein „glamouröser“ Chirurg wäre ihnen lieber gewesen. Nicht einer, der unter gefährlichen und primitiven Bedingungen gearbeitet hatte.

Sie stehen dafür gerade, Dr. Potter. Versagt er, haben Sie versagt.

Die Drohung war eindeutig.

Anfangs war Virginia ziemlich nervös gewesen, denn Dr. Brice einzustellen, konnte auch ihren Job gefährden, doch dann machte sie sich klar, wie dumm dieser Gedanke war. Er hatte für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet und dabei unzählige Erfahrungen gesammelt. Die Überlebensrate seiner Patienten war hoch, eine höhere hatte sie noch nie gesehen.

Ohne Zweifel würde Dr. Brice ein Gewinn für das Bayview Grace sein.

Leider ging er unorthodox vor, und seine Umgangsformen ließen stark zu wünschen übrig. Er hatte keine Geduld mit seinen Assistenzärzten. Und auch mit niemandem sonst. Gavin arbeitete als Mediziner nach seinen eigenen Regeln. Er war der sprichwörtliche Stachel in Virginias Fleisch.

Bitte, hab jetzt keinen Dienst. Bitte nicht.

Der Vorstand und die Investoren betraten die Notaufnahme.

„Aus dem Weg!“

Virginia gelang es gerade noch, Mrs. Greenly zur Seite zu reißen, als eine Rollliege aus einem der Schockräume schoss.

Wenn man vom Teufel spricht

Gavin Brice hockte auf dem Mann, pumpte an einem Ambu-Beutel und brüllte einer Gruppe aufgeregter Assistenzärzte Anweisungen zu. „Pneumothorax! Wir müssen eine Thoraxdrainage legen.“ Er sprang von der Liege und drückte einem der Assistenzärzte den Beatmungsbeutel in die Hand.

Das ist nicht sein Ernst! „Dr. Brice!“, rief Virginia.

Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu, erwiderte aber nichts. „Holen Sie mir eine Drainage, 20er.“ Einer der jungen Ärzte stürzte davon.

„Dr. Brice“, wiederholte Virginia. „Überlegen Sie, was Sie tun.“

Der Arzt kehrte mit der Drainage zurück und reichte sie Dr. Brice, der die Seite des Patienten inzwischen desinfiziert hatte. „Ein Zehner-Skalpell!“

Virginia presste die Lippen zusammen, sauer, weil er sie einfach ignorierte. Sie drehte sich zu den Besuchern um. Die meisten hatten eine ungesunde Gesichtsfarbe. Mrs. Greenly sah aus, als würde sie gleich ohnmächtig werden.

„Dr. Brice!“

„Ich sagte Zehner-Skalpell! Haben Sie wirklich Medizin studiert?“, fuhr er den Assistenzarzt an.

Sie trat an die Rollliege. „Sie können die Thoraxdrainage nicht hier durchführen“, mahnte sie eindringlich. „Bringen Sie ihn in einen der Schockräume oder in den OP.“

„Dr. Potter, sämtliche Räume sind belegt, und ich habe keine Zeit, es in schöne Worte zu kleiden. Wie Sie sehen, hat dieser Mann bei einem Autounfall schwere Quetschungen und einen Pneumothorax erlitten. Wenn ich nicht sofort handle, stirbt er mir unter den Händen weg.“

„Ich glaube wirklich nicht …“

Gavin beachtete sie nicht, als er einen Schnitt in die Brust setzte und den Drainageschlauch einführte. „Na, komm schon, verdammt noch mal!“

Virginia sah zum Monitor. Es dauerte nicht lange, bis sich Blutdruck und Herzfrequenz verbesserten und Flüssigkeit durch den durchsichtigen Schlauch strömte.

„Großartig. Nun brauchen wir nur noch einen freien OP, und zwar pronto.“ Gavin warf ihr einen missbilligenden Blick zu, dann rollte er die Liege zusammen mit dem Traumateam davon.

Zurück blieben blasse Zuschauer und ein blutbespritzter Fußboden.

Virginia massierte sich die Schläfe und wandte sich an den Vorstand und die Investoren. „Also, das ist unsere Notaufnahme. Was halten Sie davon, die Besichtigung hier zu beenden und in den Sitzungsraum zurückzukehren?“

Wahrscheinlich war es das Dümmste, was sie je gesagt hatte, aber sie wusste nicht, wie sie die Situation anders retten sollte. So etwas war ihr in den zwei Jahren als Leiterin der Chirurgie noch nie passiert.

Die benommen wirkenden Besucher nickten und verließen die Notaufnahme. Nur Mr. Edwin Schultz, der schmallippige Vorstandsvorsitzende, blieb noch. Auch er ein Stachel in ihrem Fleisch. Seiner Meinung nach war Bayview Grace wirtschaftlich denkbar schlecht aufgestellt, weshalb er gern für harte Einsparungen plädierte.

„Hätten Sie eine Minute Zeit für ein Gespräch unter vier Augen, Dr. Potter?“

„Natürlich“, erwiderte sie und war versucht, ihm eine lange Nase zu machen, als er ihr den Rücken zuwandte. Sie öffnete die Tür zu einem gerade nicht genutzten Raum, machte Licht und bat Mr. Schultz einzutreten. Dann schloss sie die Tür hinter sich und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust.

„Was war das gerade?“, begann er ungehalten.

„Dr. Brice hat einem Patienten das Leben gerettet.“

Mr. Schultz runzelte die Stirn. „Musste das mitten in der Notaufnahme sein? Vor den Augen der Investoren und anderer Patienten?“

„Es war nicht geplant, falls Sie das andeuten wollen.“ Virginia zählte stumm bis zehn.

„Das habe ich nicht gesagt, Dr. Potter.“ Er schnaubte empört, zog ein Taschentuch heraus und wischte sich damit über die schweißglänzende Glatze. Danach faltete er es penibel zusammen und steckte es zurück in die Brusttasche. „Allerdings sollten Sie mit Dr. Brice ein Gespräch über angemessene Orte für medizinische Behandlungen führen.“

Nur zu gern hätte sie ihm mit drastischen Worten erklärt, dass ein Menschenleben immer vorging und manchmal eben kein freier Schockraum zur Verfügung stand. Aber sie wollte nicht umsonst so hart dafür gearbeitet haben, die jüngste Chefärztin am Bayview Grace zu werden. Ein sicherer Job, das allein zählte.

„Ich werde mit Dr. Brice reden, sobald er aus dem OP ist.“

„Tun Sie das bitte. Und nun sollten wir uns um die Investoren kümmern, denn wenn sie nicht das nötige Geld investieren, werden wir die Notaufnahme schließen müssen.“

„Schließen?“ Alarmiert starrte sie ihn an.

„Ich hatte eigentlich vor, später mit Ihnen darüber zu sprechen, aber das Krankenhaus macht Verluste. Viele Vorstandsmitglieder sind der Meinung, dass eine privatisierte Klinik mehr Gewinne bringt. Die Notaufnahme ist die Abteilung mit dem größten Ausgabeposten.“

„Wir sind ein anerkanntes Traumazentrum!“ Vor allem, weil sie sich die letzten zwei Jahre dafür krumm gemacht hatte.

Mr. Schultz seufzte. „Ich weiß. Aber wenn wir die notwendigen Gelder nicht bekommen, bleibt uns keine Wahl.“

„Und was denken Sie, Mr. Schultz?“

„Wir sollten die Notaufnahme schließen.“ Damit verließ er den Raum.

Virginia fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Was tue ich hier eigentlich? Als Chirurgin hätte sie ihm am liebsten die Meinung gegeigt, hatte aber stattdessen wie immer geschwiegen, weil in ihrem Kopf die mahnenden Worte ihres Vaters widerhallten.

Bringe niemals den gegen dich auf, der das Sagen hat. Ein sicherer Job bedeutet finanzielle Sicherheit.

Virginia wollte ihren Job behalten. Sie wollte kein ärmliches Leben führen, so wie sie es als Kind erleben musste. Das wünschte sie niemandem.

Sie würde den Kopf hoch tragen und dafür sorgen, dass die Investoren nicht absprangen. Und dazu musste sie Dr. Brice in den Griff bekommen. Seine Fähigkeiten in allen Ehren, aber die Klinik und die Mitarbeiter durften nicht darunter leiden.

Wenn sie nur gewusst hätte, wie sie das anstellen sollte …

„Wo ist die Familie?“, erkundigte sich Gavin bei der Schwester am Tresen.

„Wessen Familie?“ Sie blickte nicht einmal vom Monitor auf.

Gavin unterdrückte seinen Frust. Er wusste, er sollte netter zu den Schwestern sein. Er brauchte sie. „Die von Mr. Jones.“

Endlich sah sie ihn an. „Im Wartezimmer. Mrs. Jones und ihre drei Söhne. Sind nicht zu übersehen.“

„Danke, Schwester …“

Sie verdrehte die Augen. „Sadie.“

„Ja, richtig … Sadie.“ Gavin fluchte stumm, während er sich die OP-Kappe vom Kopf riss und sie in den nächsten Abfallbehälter warf. Nach sechs Wochen sollte er den Namen der Schwester eigentlich kennen. Leider konnte er sich Namen schlecht merken.

Bis auf einen.

Virginia.

Schon auf den ersten Blick hatte sie ihn unglaublich fasziniert. Dunkelbraune Augen, seidig schimmernde dunkle Haare, die sie elegant hochgesteckt trug. Eine Frau wie aus einem Hochglanzmagazin, beherrscht und gleichzeitig verlockend feminin. Doch dann sprach sie über die Regeln und Vorschriften, über all das, was er falsch machte, und sein Verlangen kühlte ab wie nach einer kalten Dusche.

Kein Wunder, dass sie insgeheim die Eiskönigin genannt wurde. Zurückhaltend und abweisend war sie. Die Sachlichkeit in Person.

Die Frau war eine exzellente Chirurgin, wie er bei den wenigen Operationen mit ihr feststellen konnte, aber ständig musste sie ihn auf irgendein Fehlverhalten hinweisen.

Das ist nicht hygienisch. Die Rechtsabteilung wird Sie darauf ansprechen. Die Klinik könnte deswegen verklagt werden.

Bei seiner Arbeit in Entwicklungsländern war alles Notwendige stets in Reichweite gewesen, und wenn nicht, hatte er sich mit dem beholfen, was es gab. Niemand hatte sich je beschwert, geschweige denn ihn gerügt. Es stand ihm frei zu tun, was er wollte, wenn es um Menschenleben ging. Deswegen war er Notfallchirurg geworden!

Hätte er die Wahl gehabt, er wäre längst in Virginias Büro marschiert, hätte gekündigt und sich wieder bei Ärzte ohne Grenzen gemeldet.

Aber er wurde in San Francisco gebraucht. Lily und Rose brauchten ihn.

In dieser einengenden, reglementierten Umgebung arbeitete er nur ihretwegen. Nicht dass er ihnen daraus einen Vorwurf machte – sie konnten nichts dafür, dass ihre Mutter gestorben war. Und wenn er ehrlich war, so hatte er die beiden gern bei sich. Er wollte alles richtig machen und ihnen die Liebe und Geborgenheit bieten, die er nie bekommen hatte.

Gavin blieb an der Stationszentrale stehen, um etwas in Mr. Jones’ Krankenakte einzutragen.

„Sie wissen doch, dass es der Vorstand war, den Sie vorhin geschockt haben, oder?“, bemerkte Sadie.

Erzähl mir was Neues. Gavin gab nur einen knurrenden Laut von sich. Dann kapierte er. „Ich vermute, Dr. Potter möchte ein Wörtchen mit mir reden?“

„Bingo.“ Sadie stand auf und ging davon.

„Wann?“

„Vor zehn Minuten“, rief sie über die Schulter.

Verdammt.

Nun, Virginia würde warten müssen. Zuerst musste er Mrs. Jones sagen, dass ihr Mann wieder gesund werden würde. Was er einer Thoraxdrainage vor den Augen des Vorstands verdankte.

Familie Jones würde Gavin auf ewig dankbar sein. Die Leute, die die Klinik leiteten, würden ihm wieder mit Maßregelungen kommen. Und die eisige Frau Dr. Potter wartete nur darauf, ihm klarzumachen, dass er sich auf dünnem Eis bewegte.

Am liebsten hätte er alles hingeworfen. Aber das ging nicht. Kein anderes Krankenhaus in San Francisco hatte ihn einstellen wollen. Er konnte eben keinen glatten Lebenslauf vorweisen, nachdem er jahrelang als Notfallarzt in Krisengebieten auf der ganzen Welt gearbeitet hatte.

Nie hatte er die Titelseiten von Wissenschaftsmagazinen geschmückt oder ehrgeizige Forschungsprojekte vorzuweisen gehabt. Schlagzeilen waren alles, was zählte, und das machte ihn wütend.

Wären da nicht die Mädchen, er hätte längst gekündigt.

Aber er konnte sie nicht entwurzeln. Sie sollten nicht das gleiche unstete Leben führen wie Casey und er, weil ihre Eltern beide beim Militär waren und von einem Stützpunkt zum anderen versetzt wurden. Da blieb kaum Zeit, beständige Freundschaften zu schließen.

Inzwischen hatte er Verständnis für seine Eltern. Er respektierte es, dass sie dem Land dienten und ihre Pflicht taten. Er lebte ähnlich – mit dem Unterschied, dass er sich genau deshalb keine Familie anschaffte. Gavin liebte seinen Lebensstil und seine Arbeit und hatte nicht vor, jemals sesshaft zu werden. Er wollte bis zu seinem Tod das tun, was er jetzt tat. So wie es sein Vater gehalten hatte.

Arbeiten, bis er tot umfiel.

Allerdings hatte sich vor sieben Monaten alles geändert, nachdem Casey ihn zu sich gerufen hatte. Seine Schwester wünschte sich ein geregeltes, stabiles Leben für ihre beiden Töchter, und genau das würde er ihnen bieten.

Gavin nahm Mr. Jones’ Krankenakte und machte sich auf den Weg zum Wartezimmer.

Virginia konnte noch ein paar Minuten warten, und das mit dem Vorstand, das würde er regeln. Jetzt war Mrs. Jones wichtiger.

Er ist eine gute Werbung für die Klinik.

Allmählich fiel Virginia nichts mehr ein, wie sie Dr. Brice noch vor dem Vorstand loben sollte. Keiner von ihnen war Arzt. Keiner von ihnen verstand etwas von Medizin.

Virginia rieb sich die Schläfen, um die bohrenden Kopfschmerzen hinter ihren Augen zu vertreiben.

Es war schwierig gewesen, aber sie hatte es geschafft, die Wogen wieder zu glätten, indem sie Dr. Brice’ beachtliche Patientenüberlebensrate ins Feld führte. Die wahrscheinlich auf seine unorthodoxe medizinische Vorgehensweise zurückzuführen sei.

Aber was brachte das, wenn der Vorsitzende entschlossen schien, die Notaufnahme zu schließen und Bayview Grace in eine Privatklinik zu verwandeln?

Die Vorstellung, nur noch Reiche zu behandeln, war ihr unerträglich.

Als sie sich für ein Medizinstudium entschied, dann nicht aus dem Grund, nur denen zu helfen, die es sich leisten konnten. Sie war für ihre Assistenzarztzeit und Facharztausbildung bewusst ans Bayview Grace gegangen, weil das Krankenhaus über einen gut gefüllten Pro-bono-Topf verfügte, der es ermöglichte, Bedürftige umsonst zu behandeln. Und es hatte kostenfreie Sprechstunden gegeben.

Die kostenfreie Sprechstunde war vor zwei Jahren abgeschafft worden. Als Virginia Chefärztin wurde, versuchte sie, diese Entscheidung rückgängig zu machen, aber das hätte bedeutet, Geld aus dem Pro-bono-Topf zu entnehmen.

Mr. Schultz hatte Bedauern vorgeheuchelt, aber Virginia glaubte ihm kein Wort. Dem Mann leuchteten die Dollarzeichen buchstäblich aus den Augen.

Bei dem Gedanken an die vielen Menschen, die im Bayview Grace um Hilfe gebeten hatten, verspürte sie einen dumpfen Druck im Magen. Der Pro-bono-Topf schmolz dahin, und sie wünschte, sie könnte mehr tun. Aus eigener leidvoller Erfahrung wusste sie genau, was es bedeutete, wenn man sich die einfachste medizinische Versorgung nicht leisten konnte.

Ihre Schwester Shyanne war deswegen gestorben.

Um ihren Eltern keinen Kummer zu machen, hatte Shyanne vor den Eltern geheim gehalten, dass sie schwanger war. Für Arztrechnungen war eben kein Geld da. Also stellte niemand fest, dass bei dieser Schwangerschaft etwas nicht stimmte. Virginia war in ihrem ersten Studienjahr und zufällig zu Hause, weil Semesterferien waren, doch auch sie erkannte nicht die Symptome dafür, dass der Fetus sich nicht in der Gebärmutter, sondern im Eileiter entwickelte. Noch heute machte sie sich schwere Vorwürfe.

Shyanne starb auf dem Weg ins Krankenhaus, innerlich verblutet, nachdem der Eileiter rupturiert war.

Vor allem deshalb opferte Virginia einen Großteil ihrer Freizeit Patienten, die sich keinen Arzt leisten konnten. Und vor allem deshalb wollte sie verhindern, dass die Notaufnahme des Bayview Grace geschlossen wurde.

Es klopfte, und ehe sie antworten konnte, stand der Mann im Zimmer, der ihre Kopfschmerzen verursachte.

Musste der Kerl so verdammt sexy aussehen? Groß, breite Schultern, rotblondes Haar, smaragdgrüne Augen. Selbst die Narbe an der Wange, die sein tiefes Grübchen noch verstärkte, tat seiner männlichen Attraktivität keinen Abbruch. In ihr regte sich die junge Frau mit ihren Sehnsüchten, die Virginia schon lange hinter einer kühlen, professionellen Fassade verbarg. Gavin Brice war der sprichwörtliche bad boy, und sie hatte schon immer eine Schwäche für solche Männer gehabt. Trotz der Warnung ihrer Mutter, sich nicht mit ihnen einzulassen.

Allerdings hatten Virginia und ihre Schwester den mütterlichen Rat befolgt. Shyanne verliebte sich in einen Jungen aus gutem Hause. Seine Familie gehörte zur Oberschicht von De Smet in South Dakota. Als er erfuhr, dass sie schwanger war, machte er sich mit einem Football-Stipendium aus dem Staub, schrieb sich zum Studium in einem anderen Bundesstaat ein und überließ Shyanne ihrem Schicksal.

„Sie wollten mich sprechen, Dr. Potter?“

„Ja. Bitte nehmen Sie Platz.“ Sie zupfte an ihrem Blusenkragen und deutete auf den Sessel vor ihrem Schreibtisch. Als Gavin Brice näher kam, stieg ihr ein dezenter Duft in die Nase. Nach sauberer Männerhaut und herbem Rasierwasser. Plötzlich kribbelte es in ihrem Bauch. Sie atmete einmal durch und faltete ihre Hände auf der Schreibunterlage. „Der Vorstand hat mich gebeten, mit Ihnen zu reden.“

Kurz spielte ein Lächeln um seine Lippen, als er sich setzte. „Wieder?“

„Ja. Überrascht Sie das?“

„Nicht wirklich, nach den Gesichtern von einigen der Vorstände heute.“

„Finden Sie das lustig?“

Gavin neigte den Kopf leicht zur Seite. „Ein wenig.“

Virginia unterdrückte ein Seufzen. „Es ist mir gelungen, die Wogen zu glätten.“

Was ihn nicht sonderlich zu beeindrucken schien. „Was der Vorstand gutheißt oder nicht, ist mir herzlich egal. Und es interessiert mich auch nicht, ob ich bei den Damen und Herren in dem Ruf stehe, auf barbarische Art Medizin zu praktizieren.“

„Ich wüsste nicht, dass irgendjemand den Ausdruck ‚barbarisch‘ benutzt hat, Dr. Brice.“

Er grinste. „Sagen Sie Gavin zu mir.“

Damit hatte sie nicht gerechnet. Für einen Moment war Virginia verunsichert.

„Gavin …“, begann sie schließlich. „Wenn Sie sich bei uns nicht wohlfühlen, gibt es vielleicht etwas, das wir für Sie tun können, um dem abzuhelfen?“

„Nein. Offen gesagt, bin ich nur bei Ärzte ohne Grenzen wirklich glücklich.“

Interessant. „Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?“

„Natürlich, aber es kann sein, dass ich nicht darauf antworte.“

Touché. „Warum haben Sie die Organisation verlassen und sich bei uns beworben?“

Gavins Lächeln verblasste, und er presste die Lippen zusammen. Würde er antworten? Bisher war er sehr zurückhaltend gewesen. Er unterhielt sich kaum einmal mit anderen privat und aß stets allein.

„Ich werde hier gebraucht.“

Das war alles. Keine Erklärung. Nichts.

„Sie wirken etwas verwirrt“, bemerkte er, nun wieder in amüsiertem Ton.

„Sie irren sich.“ Wem willst du eigentlich etwas vormachen? „Na gut, vielleicht ein bisschen.“

„Das tut mir leid. Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.“

„Haben Sie auch nicht, Dr. Brice.“

„Gavin.“

Ihre Wangen wurden warm. „Gavin. Ich möchte Ihnen nur helfen, auch wenn dies nicht der Job ist, den Sie eigentlich wollen.“

„Vielen Dank.“

„Wofür?“

„Dass Sie mir Hilfe anbieten. Aber ich brauche wirklich keine.“

„Der Vorstand muss die Interessen der Klinik schützen. Natürlich haben bei Ärzte ohne Grenzen andere Umstände geherrscht als hier. Sie mussten unter erschwerten Bedingungen arbeiten, schnelle Entscheidungen treffen.“

„Müssen das nicht alle Notfallmediziner?“

Virginia lächelte. „Ja, aber in einem Krankenhaus wie diesem sollten gewisse Regeln und Vorschriften eingehalten werden. Der Vorstand hatte heute das Gefühl, dass Ihr Verhalten unangemessen war.“

Er schnaubte. „Das Leben eines Menschen zu retten ist unangemessen?“

„Es gibt Regeln, und der Vorstand muss die Interessen der Klinik schützen.“

„Sie wiederholen sich.“

„Das ist offenbar notwendig.“ Virginia verschränkte die Arme vor der Brust. „Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?“

„Im Prinzip schon.“ In seinen Augen stand wieder diese Verachtung, und er schüttelte schwach den Kopf.

Virginia verstand ihn sehr gut, aber welche Wahl blieb ihr denn?

Gavin erhob sich. „Als Arzt muss ich in erster Linie die Interessen meiner Patienten schützen, Dr. Potter. Und ich werde meine ärztlichen Methoden nicht ändern.“

„Ich versuche, Ihnen zu helfen.“ Langsam ärgerte sie sich über ihn.

Er zog seinen Pager aus der Tasche und blickte aufs Display. „Danke für Ihre Bemühungen, aber ich werde in der Notaufnahme gebraucht.“

Verblüfft sah Virginia ihm nach. Was war hier eigentlich abgelaufen? Sie ließ sich in ihrem Sessel zurücksinken, mit dem frustrierenden Gefühl, dass Gavin Brice sie hatte auflaufen lassen.

Virginia massierte sich die Schläfen. Ihre Spannungskopfschmerzen nahmen zu. Merkte er denn nicht, dass sie versuchte, ihm den Übergang zu einem normalen Krankenhaus ein wenig leichter zu machen? Eins hatte diese Unterhaltung mit Sicherheit ergeben: Dr. Gavin Brice war ein ziemlich arroganter Kerl.

2. KAPITEL

Verdammt.

Gavin warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er war spät dran, und Lily würde ihm die Hölle heißmachen. Bereits zum dritten Mal hatte er sein Versprechen nicht halten können, sie zum Ballettunterricht zu bringen. Wieder musste Rosalie einspringen.

Tja, als Vater gab er nicht die beste Figur ab. Was ihn nicht wunderte, schließlich war er nicht der Vater von Lily und ihrer kleinen Schwester Rose, sondern der Onkel. Nach dem Krebstod ihrer Mutter kümmerte er sich um die beiden Mädchen und war nun nicht mehr der coole Onkel Gavin, der ihnen Postkarten von den aufregendsten Orten der Welt schickte.

Jetzt ersetzte er ihnen Mutter und Vater gleichzeitig und war nicht besonders gut darin. In den letzten Monaten hatte die achtjährige Lily ihn ständig daran erinnert. Mum hat das immer anders gemacht.

Rose war vier und unglaublich niedlich, aber sie sprach nicht. Nie.

Die beiden waren der Grund, warum er sich hier in San Francisco einen Job gesucht hatte. Er wollte den Mädchen ein Zuhause geben, Sicherheit und Beständigkeit. Etwas, das seine verstorbene Schwester Casey und er als Kinder niemals gehabt hatten.

Und seine Nichten brauchten Geborgenheit mehr denn je. Rose war noch ein Baby gewesen, als ihr Vater früh starb, und nun war ihnen auch die Mutter genommen worden.

Gavin wusste, er musste verlässlich sein, sonst könnte er die Mädchen an die Großeltern väterlicherseits verlieren. Er hatte Casey versprochen, dass er dies niemals zulassen würde. Drei Monate waren seit ihrem Tod vergangen, und obwohl er sich niemals hatte binden wollen, so würde er die Kinder für nichts in der Welt hergeben.

Auch wenn er in seiner Rolle ein ziemlicher Versager war.

Eine kühle Brise wehte von der Bucht her, und fröstelnd zog er die Jacke enger um sich. Selbst im August konnte es hier manchmal frisch sein. Gavin hatte sich an das gemäßigte Klima noch nicht gewöhnt.

Er ging zu dem grauen Minivan, den er von Casey geerbt hatte. Sein Motorrad stand einsam und verlassen unter einer Plane in der Garage, denn mit einem Motorrad konnte man schlecht Kinder zum Ballett fahren, zur Kunstschule oder zum Pfadfindertreffen.

Während er den Parkplatz überquerte, entdeckte er Virginia auf dem Weg zu ihrem schnittigen schwarzen Wagen. Einen Moment blieb er stehen, um sie zu beobachten. Sie war so kontrolliert und bewegte sich mit der ihr eigenen beeindruckenden Eleganz, auch wenn sie immer noch angespannt wirkte.

Ihr dunkles Haar hatte sie hochgesteckt, keine Strähne fiel heraus. Sie benutzte kein Make-up, was sie auch nicht nötig hatte bei den schokoladenbraunen Augen und den rubinroten Lippen. Heute trug sie einen Bleistiftrock mit einer weißen Bluse, dazu High Heels, die ihre schlanke weibliche Figur bestens zur Geltung brachten.

Sie stieg in ihren Wagen, und als sie sich setzte, bot sie ihm ungewollt einen aufregenden Anblick auf ihre Oberschenkel.

Gavins Pulsfrequenz stieg schlagartig. Wenn eine Frau den Namen Schneewittchen verdiente, dann Dr. Virginia Potter. Was ist mit dir los? fragte er sich. Du hast Rose wohl zu viele Märchen vorgelesen!

Virginia fuhr los, und Gavin rieb sich das Gesicht. Es wurde Zeit, dass er Feierabend machte.

Als er vor dem rosa Haus seiner Schwester hielt, das nur zwanzig Minuten vom Krankenhaus entfernt lag, stieß er einen Seufzer aus. Musste es ausgerechnet rosa sein?

Im Wohnzimmer über der Garage brannte Licht, das hieß, dass die Mädchen schon von der Ballettstunde zurück waren. Am Straßenrand stand Rosalies Wagen. Das Garagentor öffnete sich, und er fuhr seinen Wagen hinein, direkt neben seine Harley.

Ich weiß ja, Baby, du fehlst mir auch.

Autor

Amy Ruttan
Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...
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