Süßes Erwachen im Wüstenpalast

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Scheich Azrael al-Sharif ist außer sich! Nicht genug, dass sein Halbbruder die hübsche Engländerin Molly nach Djala verschleppt hat, jetzt ist Azrael auch noch für das Wohlergehen der streitbaren Lehrerin verantwortlich. Doch bevor er ihre Ausreise gestatten kann, flieht Molly in die Wüste. Pflichtbewusst folgt Azrael dem Rotschopf trotz eines aufziehenden Sandsturms. In letzter Minute finden sie in einer einsamen Höhle Zuflucht, und plötzlich tobt in dem Herrscher ein Verlangen genauso gefährlich wie draußen der Wüstenwind …


  • Erscheinungstag 30.07.2019
  • Bandnummer 162019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712365
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

König Azrael al-Sharif von Djalia sprang wütend auf, als er die Schlagzeile in der britischen Zeitung sah.

„Ich glaube, Ihr solltet Euch nicht mit solchen Banalitäten befassen, Euer Majestät“, bemerkte Butrus, die rechte Hand des Königs. „Was interessiert es uns, was andere Länder über uns denken? Wir wissen doch, wie es wirklich ist. Wir sind nicht rückständig. Es ist einfach nur so, dass die Infrastruktur von Djalia vernachlässigt worden ist, während der Diktator an der Macht war.“

Welche Infrastruktur, hätte Azrael fast gefragt, schließlich merkte man seinem kleinen Land, das über riesige Ölreserven verfügte, mehr als deutlich an, dass ein halbes Jahrhundert lang nichts für den Fortschritt getan worden war. Hashem war ein grausamer Herrscher gewesen, der das Foltern und Morden ebenso sehr geliebt hatte wie die Prasserei. Als frisch inthronisierter Monarch war sich Azrael der Hoffnung, die man nach der Schreckensherrschaft Haschems in ihn hatte, schmerzhaft bewusst. Auf ihm lastete große Verantwortung. Und es erboste ihn, wenn andere Länder sich mithilfe ihrer Medien über Djalia lustig machten.

Die Zeitung zeigte das Bild von einem Ochsenkarren auf der Hauptstraße von Jovan, der einzigen Stadt des Landes. Darunter stand die Frage, ob Djalia das rückständigste Land auf der Arabischen Halbinsel sei. Sicher, jemand, der Wolkenkratzer, Shoppingmalls und Luxushotels erwartete, wäre enttäuscht, da es abgesehen von einem Vorzeigeflughafen und einer Prachtstraße zum Palast des Exdiktators nichts Modernes im Land gab. Aber bald schon würde Djalia den Sprung aus dem Mittelalter ins einundzwanzigste Jahrhundert schaffen.

Zum Glück verfügte das Land über genügend Wohlstand, um diesen Wandel zu stemmen, und Ingenieure, medizinisches Personal und Lehrer, kamen aus aller Welt zurück in ihre Heimat Djalia, um bei der Bewältigung dieser Herkulesaufgabe zu helfen. Azrael, dessen ernsthaftes Wesen ihn trotz seiner erst dreißig Jahre respekteinflößend wirken ließ, war froh darüber, dass all diese Menschen zurückkehrten, um beim Aufbau des Landes zu helfen, das ihm mehr bedeutete als sein Leben. Menschen, die wie er an religiöse Toleranz und die Gleichberechtigung der Frau glaubten und in einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft mit Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung leben wollten.

„Du hast recht, Butrus. Ich sollte mich um solchen Unsinn nicht kümmern“, antwortete er. „Wir müssen auf die Zukunft vertrauen.“ Nachdem sein Assistent sich entfernt hatte, betrachtete Azrael erst die Wände seines Arbeitszimmers und dann den Tisch. Er war froh, in dieser Burg aus dem zwölften Jahrhundert zu leben und zu arbeiten. Es war nicht für ihn infrage gekommen, den protzigen Palast des Ex-Diktators zu beziehen. Mittlerweile wurde das Gebäude in das Luxushotel umgewandelt, an dem es dem Land gefehlt hatte. Davon, dass der Palast im Gegensatz zu der Burg über eine Internetverbindung und anderen modernen Komfort verfügte, ließ er sich nicht stören.

Er kam auch ohne diese angenehmen, aber unnötigen Extras aus. Für einen Menschen, der einen Teil seines Lebens in einem Nomadenzelt und genauso viel Zeit als Soldat in der Wüste verbracht hatte, waren solche Annehmlichkeiten überflüssiger Luxus. Außerdem war Hashems Palast für die Bevölkerung zum Sinnbild der egomanischen Verschwendungssucht des Ex-Diktators geworden. Azrael musste beweisen, dass er anders war – selbst wenn sein Vater als Hashem-Gegner hingerichtet worden war.

Es klopfte an der Tür, die direkt darauf geräuschvoll aufgerissen wurde. Butrus stand im Türrahmen, leichenblass und mit bestürzter Miene. „Es tut mir leid, dass ich Euch wieder störe, aber Euer Bruder hat etwas Entsetzliches getan. Es wird einen großen Skandal geben, wenn wir nicht sofort handeln.“

Einen Tag vorher

Molly war glücklich. Gerade kam sie von einem Besuch bei ihrem Großvater im Pflegeheim zurück. Dort hatte weihnachtliche Stimmung geherrscht, mit Adventssängern und leckeren Mince Pies und Bewohnern, die es zu schätzen wussten, dass sie auf diese Weise unterhalten wurden. Molly hatte nur gelächelt, als ihr Großvater sie für ihre verstorbene Mutter Louise gehalten hatte. Maurice Devlin war dement und brachte Daten, Ereignisse und Personen durcheinander, wenn er nicht gerade einen seiner wenigen hellen Momente hatte. Gerade hatte ihr Großvater eine alte Geschichte darüber erzählt, wie er einmal einen Weihnachtsbaum für seine kleine Tochter geschlagen hatte, und Molly war froh darüber, dass er sie als eine Verwandte erkannt hatte und zufrieden war.

Winterwood war ein sehr gutes Pflegeheim. In den zwei Jahren, die Maurice bereits in dem Heim lebte, war er äußerst fürsorglich behandelt worden. Unglücklicherweise war es sehr teuer, aber Molly war sich bewusst, dass es wichtig für den alten Mann war, in einer gewohnten Umgebung zu bleiben. Neue Gesichter und ein plötzlicher Ortswechsel würden ihn nur durcheinanderbringen. Darum hatte Molly alles dafür getan, dass er so lange wie möglich dort bleiben könnte. Doch während sie dasaß und seine knorrige Hand hielt, war sie sich der besorgniserregenden Tatsache bewusst, dass die Erlöse aus dem Verkauf der letzten Schmuckstücke ihrer Mutter fast verbraucht waren. Traurigerweise verdiente Molly nicht genug, um sich selbst über Wasser zu halten und zusätzlich die monatlich fälligen Beträge an das Heim zu zahlen. Und das, obwohl sie Tag und Nacht arbeitete.

Doch sie sagte sich, dass sie schon eine Lösung finden würde. Molly war sehr praktisch veranlagt. Momentan hatte sie drei Jobs. Tagsüber kellnerte sie. An mindestens zwei Abenden pro Woche putzte sie in einem Bürogebäude für das Reinigungsunternehmen ihrer Freundin Jane. Und dann gab sie an den Wochenenden in der Botschaft von Djalia einem arabischen Prinzen Englischstunden – Stunden, für die sie wesentlich mehr bekam als für die restliche Arbeit zusammen. Vielleicht sollte sie ihm vorschlagen, eine Stunde mehr zu nehmen, doch sie war nicht gerade scharf darauf, mehr Zeit mit Tahir zu verbringen.

Obwohl sie ihm zugutehalten musste, dass er umgehend damit aufgehört hatte, ihr Blumen und Geschenke zu schicken, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass seine Aufmerksamkeiten nicht angebracht waren. Außerdem hatte er die Geschenke zurückgenommen und sich wortreich entschuldigt. Er hatte auch nie versucht, sie anzufassen, aber seine Flirterei und seine Art, sie anzusehen, nervten sie trotzdem, und sie war erleichtert gewesen, als er ihrem Vorschlag zugestimmt hatte, künftig eine Botschaftsangestellte zu den Stunden hinzuzuziehen.

Natürlich war Molly, die kaum Erfahrungen mit Männern hatte, klar, dass sie den jungen Prinzen zu streng beurteilte. Sie hatte ihr Studium im ersten Jahr abgebrochen, um nach Hause zurückzukehren und sich um ihren Großvater zu kümmern. In den darauffolgenden vier Jahren hatte sie kaum ein Privatleben gehabt und war – abgesehen von einem nicht weiter erwähnenswerten Freund – mit niemandem ausgegangen. Trotz allem hatte sie es in der Zeit geschafft, ein Zertifikat für das Unterrichten von Englisch als Fremdsprache zu erlangen. Und sie hatte die Opfer, die sie gebracht hatte, um sich um ihren Großvater zu kümmern, nie bereut. Maurice hatte seinen wohlverdienten Ruhestand aufgegeben, um sie als Jugendliche bei sich aufzunehmen.

Ihre Mutter war gestorben, als Molly vier Jahre alt gewesen war. Ein paar Jahre später hatte ihr Vater wieder geheiratet. Seine zweite Frau hatte sich an Mollys Existenz gestört, und weil ihr Vater nichts unternommen hatte, um seine Tochter vor den Misshandlungen seiner neuen Angetrauten zu beschützen, war es für Molly zu Hause immer unerträglicher geworden. Sie hatte ihren Großvater um Hilfe gebeten, und er hatte sie bei sich aufgenommen. Nach dem Tod ihres Vaters war dessen gesamtes Vermögen an ihre Stiefmutter gegangen. Den Schmuck ihrer Mutter hatte Molly nur bekommen, weil ihre Mutter es in ihrem Testament ausdrücklich so verfügt hatte.

Wie bei jedem Besuch in der Botschaft Djalias staunte Molly über den altmodischen Charme der Einrichtung. Sie gab ihre Stunden in einem Bankettsaal, in dem – sehr zu ihrer Beruhigung – ein breiter Tisch sie von Prinz Tahir trennte. Die Tür blieb offen, und die Anstandsdame war im Flur postiert, in dem das Porträt eines sehr attraktiven Mannes hing. Molly nannte ihn bei sich Mr. Märchenprinz, weil er es ohne Probleme mit einem männlichen Supermodel hätte aufnehmen können. Sie mochte gar nicht daran denken, wie oft Mr. Märchenprinz schon in ihren Träumen aufgetaucht war. Eine Bedienstete brachte wie immer unter ständigen Verbeugungen Kaffee auf einem Tablett. Molly sah verlegen beiseite; das Botschaftspersonal behandelte Tahir mit aberwitziger Ehrerbietung. Eine solche Dienstbeflissenheit war Molly nicht geheuer, doch ihr war klar, dass hier ein völlig anderer Umgang gepflegt wurde. Als Angehöriger der Herrscherfamilie wurde Tahir ohne Frage verehrt und bewundert, auch wenn er nicht aus Djalia kam.

Der Prinz war ein gutes Stück größer als sie, und es war ihr nie gelungen, herauszufinden, wie alt er war. Er sah aus wie Anfang zwanzig. Sicher ging er mit seiner Figur eines Rugbyspielers und seinem kantigen Gesicht bei vielen Frauen als attraktiv durch, aber Molly war er zu unreif.

„Du siehst wieder so hübsch aus heute“, sagte Tahir zu ihr.

„Wir wollten doch Alltagskonversation üben, Euer Hoheit“, erinnerte ihn Molly. „Da ist es nicht angebracht, zu persönlich zu werden.“

Er errötete und kniff die braunen Augen zusammen. „Entschuldige“, sagte er. „Ich hätte sagen sollen … was hast du heute gemacht?“

„Ja, das ist schon viel besser“, antwortete Molly lächelnd und sagte, dass sie ihren Großvater besucht habe.

„Du kannst froh sein, einen solchen Menschen zu haben“, erwiderte Tahir. „Mein Großvater war ein Unmensch.“

„Auch diese Information ist ein wenig zu persönlich, wenn Sie sich mit jemandem unterhalten, den Sie nicht gut kennen“, antwortete Molly leicht irritiert.

„Ich würde dich ja gern besser kennenlernen“, erwiderte Tahir ein wenig frustriert.

„Ich bin nicht Ihre Freundin, sondern Ihre Lehrerin“, erklärte Molly. „Erzählen Sie doch mal, was Sie seit unserer letzten Stunde gemacht haben.“

„Nichts“, antwortete Tahir und sah fast ein wenig schuldbewusst die Tischplatte an, während eine Bedienstete sich lautlos näherte, Kaffee eingoss und eine Tasse samt Untertasse neben Mollys Ellenbogen platzierte.

„Ich bin sicher, dass das nicht stimmt“, erwiderte Molly und dachte, dass sie das Geld, welches sie für diesen Unterricht bekam, mehr als verdient hatte, denn es war so gut wie unmöglich, dem launischen Tahir etwas beizubringen. „Immerhin sind Sie mitten in London. Hier gibt es eine Menge zu sehen.“

„Ich bin ja nicht als Tourist hier, sondern um mein Englisch zu verbessern“, erwiderte Tahir.

„Aber wenn Sie ein wenig ausgingen, würden sich mehr Gelegenheiten ergeben, die Sprache zu lernen“, antwortete Molly und griff nach der Kaffeetasse.

„Ich habe keine Freunde, mit denen ich etwas unternehmen könnte“, entgegnete er und sah sie verdrossen an. „Ich habe ja gefragt, ob du mit mir ausgehst, aber du hast Nein gesagt.“

Molly wollte sich nicht darüber ausbreiten, dass der höchste Diplomat der Botschaft ihr davon abgeraten hatte, sich mit Prinz Tahir zu verabreden, da es für ihn zu gefährlich war, sich ohne Bodyguards in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die Anwesenheit von Leibwächtern wiederum würde zu viel Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Man befürchtete wohl, dass es in London Sympathisanten des gestürzten Diktators gab, die versuchen könnten, der königlichen Familie Schaden zuzufügen. Abgesehen davon war Molly froh darüber, dass sie keine Ausflüge mit Tahir unternommen hatte, bevor sie gemerkt hatte, dass er einen Narren an ihr gefressen hatte. Denn gemeinsame Unternehmungen hätten sein Interesse womöglich noch befeuert, und dieses Interesse beruhte nicht auf Gegenseitigkeit.

Molly nippte an ihrem Kaffee. Normalerweise war er sehr bitter, doch heute war er entsetzlich süß. Tahir starrte sie an und dachte gar nicht daran, seinen Kaffee anzurühren. Stattdessen fing er zu ihrer Verwunderung an, von seinen Eindrücken aus London zu erzählen. Erfreut darüber, dass er sich endlich mal ein wenig anstrengte, wollte sie ihm antworten, aber irgendwie konnte sie sich gerade überhaupt nicht konzentrieren und fühlte sich sonderbar bedröhnt.

Ihr Kopf fühlte sich schwer an, und sie wurde unendlich müde; sie stützte ihr Kinn auf die Hand. „Irgendwie bin ich sehr müde“, sagte sie und bemerkte, dass sie eigenartig undeutlich sprach. „Irgendetwas stimmt nicht mit mir …“

„Es ist alles in Ordnung“, beschwichtigte Tahir sie.

Unter Aufbietung ihrer gesamten Willenskraft legte sie beide Hände flach auf den Tisch und stemmte sich hoch. Ihre Tasse glitt mitsamt der Untertasse von der Tischkante und landete geräuschvoll auf dem gefliesten Fußboden. Molly betrachtete die Scherben mit einem Desinteresse, welches sich genauso fremd anfühlte wie die eigenartige Schwere ihrer Glieder. „Ich bin krank … ich brauche Hilfe“, flüsterte sie in einem Anflug von Angst.

„Ich helfe dir“, versicherte Tahir und eilte zu ihr. „Alles wird gut. Versprochen.“

„Ich will nicht, dass Sie mir helfen …“, brachte Molly mit belegter Stimme hervor. Selbst das Geradeaussehen war unendlich anstrengend. Ihr fielen die Augen zu, und sie sackte auf den Tisch.

Als Molly aufwachte, fühlte sie sich sehr wohl. Doch nachdem sie sich umgesehen hatte, riss sie erschrocken die Augen auf: Sie befand sich in einer ihr vollkommen unbekannten Umgebung.

Das Bett, in dem sie lag, stand in einem Raum mit nackten Steinwänden, die eindeutig mittelalterlich aussahen. Als sie sich aufsetzte, bemerkte sie, dass sie ein weißes weites Baumwollnachthemd trug, das nicht ihr gehörte, und sie sprang aus dem Bett, um zum Fenster zu gehen. Gelähmt vor Schreck, starrte sie hinaus. Vor ihr lag eine Wüste, eine echte Wüste mit Sanddünen, wie auf Bildern von der Sahara.

Wie zum Kuckuck war sie aus der Botschaft von Djalia in London nach …? Und dann fiel ihr der zu süße Kaffee wieder ein, ihre sonderbare Müdigkeit und wie sie zusammengebrochen war. Man hatte ihr etwas ins Getränk getan. Oder war es abwegig, so etwas anzunehmen? Molly war eine sehr bodenständige Person, und die Vorstellung, dass man sie unter Drogen gesetzt und entführt haben könnte, erschien ihr doch eher etwas abwegig, sie war schließlich keine Figur in einem Roman. Aber da war ja nicht nur der merkwürdig süße Kaffee gewesen, sondern obendrein Tahir, der sie so sonderbar angesehen und versichert hatte, dass alles gut sei. Molly atmete tief durch.

„Miss Carlisle?“, hörte sie eine sanfte Frauenstimme sagen. Molly wirbelte herum. Eine junge Frau im langen Kleid stand im Türrahmen und musterte sie schüchtern. „Ich bin Gamila und soll Ihnen sagen, dass Sie in Sicherheit sind“, erklärte die Fremde. „Kein Englisch“, fügte sie schuldbewusst hinzu.

„In Sicherheit?“, flüsterte Molly. Ihr wurde langsam klar, dass sie sich das hier nicht einbildete und auch nicht träumte. „Wo bin ich?“

Doch die junge Frau öffnete nur die Tür zu einem Badezimmer, über dessen Existenz Molly so froh war, dass sie darauf verzichtete, die Fremde weiter mit Fragen zu bedrängen, welche sie offenbar ohnehin nicht verstand.

Molly ging ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Es gab eine unbenutzte Zahnbürste, Seife und alles andere Notwendige. Hatte Tahir sie entführt? Und wenn ja, wo war sie jetzt? War er etwa ein Verrückter? Ein Triebtäter? Hatte sie die ganze Zeit lang einen gefährlichen Mann unterrichtet?

Erfüllt von den schlimmsten Vermutungen, ließ sich Molly ein Bad ein. Eine Dusche gab es nicht, was sie ein wenig wunderte, da das Badezimmer ganz neu eingerichtet zu sein schien. Wieder und wieder sagte sie sich, dass sie in Sicherheit sei. Immerhin hatte irgendjemand Gamila geschickt, um ihr diese Botschaft zu überbringen. Doch in dieser völlig fremden Umgebung fühlte sich Molly alles andere als sicher.

Sie war im Ausland und hatte nicht einmal einen Pass dabei. Weil sie nie ins Ausland reiste, besaß sie ein solches Dokument überhaupt nicht. Ihr Vater war kein Freund von Reisen in andere Länder gewesen, und sie hatte nie genug Geld gehabt, um auf eigene Faust zu verreisen. Aber sie träumte davon, im Ausland zu leben und zu arbeiten, was auch der Grund dafür war, dass sie sich als Lehrerin für Englisch als Fremdsprache fortgebildet hatte. Mein Großvater war ein Unmensch, hatte Tahir gesagt. Vielleicht hätte sie ein wenig genauer auf das achten sollen, was Tahir ihr erzählt hatte, denn offensichtlich hatte Tahir etwas mit seinem Vorfahren gemein. Nur ein Unmensch betäubte eine Frau und verschleppte sie ins Ausland.

An der Wand hing ein langes Kleid, das dem von Gamila glich. Da ihre eigene Kleidung nirgends zu sehen war und Molly sich in dem dünnen Nachthemd nackt vorkam, zog sie das Kleid an. Allerdings erst, nachdem sie daran geschnuppert hatte, um sicherzugehen, dass es wenigstens neu roch. Dummerweise fand sie keine Unterwäsche, und Molly hasste es, ohne BH herumzulaufen, weil sie ziemlich große Brüste hatte. Kaum, dass sie in die Pubertät gekommen war, hatte sie um die Hüfte und den Busen herum kräftig zugelegt, und sie war nicht froh über ihre weiblichen Kurven. Vielleicht hätten sie ihr besser gefallen, wenn sie größer gewesen wäre, aber für eine Person von gerade einmal einem Meter sechzig waren sie ihrer Meinung nach zu üppig geraten.

Als sie aus dem Bad kam, erwartete Gamila sie mit einem Frühstückstablett. Molly betrachtete es misstrauisch. Tahir hatte ihr etwas in den Kaffee getan. Wieso sollte sie darauf vertrauen, dass das Essen nicht vergiftet war? Also schüttelte sie den Kopf, obwohl sie einen Bärenhunger hatte, und ging – in der Hoffnung, dass es genießbar war – zurück ins Bad, um Leitungswasser aus dem Zahnputzbecher zu trinken. Gamila, die das Ganze verwundert beobachtete, stellte das Tablett ab und verließ den Raum.

Molly ging zum Fenster und sah wieder hinaus. Die Sonne stand bereits etwas tiefer und ließ die Sanddünen in einem warmen goldenen Ton erstrahlen, wodurch sie erstaunlich schön aussahen. Es wurde Zeit, dass sie herausfand, wo sie war und wann sie wieder nach Hause fliegen könnte. Gerade, als sie mutig und voller Elan das Zimmer verlassen wollte, klopfte es, und sie öffnete die Tür.

„Ich …“, sagte sie nur, bevor es ihr die Sprache verschlug. Vor ihr stand Mr. Märchenprinz, dessen Porträt sie im Flur der Botschaft so bewundert hatte.

In einem schneeweißen Gewand mit einem rot-weiß karierten Tuch auf dem Kopf sah er in Natura noch viel besser aus als auf dem Bild. Es war, als wäre ein Filmstar von der Leinwand in ihr Leben getreten. Molly hielt gebannt den Atem an und ging ein paar Schritte rückwärts, bis sie mit den Beinen an das hölzerne Bettgestell stieß.

„Miss Carlisle? Ich bin Azrael, Tahirs Halbbruder“, erklärte der Mann. „Ich bitte Sie für das, was passiert ist, vielmals um Verzeihung und verspreche Ihnen, dass Sie so schnell wie möglich zurück nach Hause gebracht werden.“

Ein wenig beruhigt durch die bescheidene Ansprache des Mannes, machte Molly einen Schritt auf ihn zu. Er war mindestens eins achtzig groß und hatte unglaublich schöne Augen, die dunkelgolden hinter dichten schwarzen Wimpern glänzten.

„Sie sprechen Englisch“, hörte sie sich sagen.

„Das tue ich“, antwortete Azrael. Er war sehr angetan von ihr, was ihm nicht gefiel, da er nichts mit seinem Halbbruder gemein haben wollte, der einer Frau etwas so Unverzeihliches angetan hatte. Aber Tahir hatte einen besseren Geschmack, als Azrael gedacht hätte. Aus irgendeinem Grund hatte er eine Blondine mit den typischen im Westen beliebten Vorzügen erwartet.

Doch damit hatte die Frau, die vor ihm stand, nichts zu tun. Ihre Haut war glatt und hell wie Seide. Ihr volles Haar glänzte in einem ungewöhnlichen Rotton, und ihre Augen hatten exakt dieselbe Farbe wie die berühmten Smaragde seiner verstorbenen Mutter. Sie war eine Schönheit, eine wirklich außergewöhnliche Schönheit. Dass sie ihm so gut gefiel war unangemessen, äußerst unangemessen, wenn man die Umstände bedachte, und Azrael zwang sich, seine körperliche Reaktion auf sie so gut wie möglich zu unterdrücken.

„Wann kommt die Polizei?“, fragte Molly.

Nichts wäre geeigneter gewesen als ihre naive Frage, um Azrael an das Dilemma zu erinnern, in dem er sich befand. Momentan gab es keine Polizei in Djalia, da Hashems korrupte Staatsdiener allesamt entlassen worden waren. Zurzeit wurde eine große Anzahl junger Männer und Frauen ausgebildet. Aber wenn er sagte, dass es keine Polizei gab, würde das negativ auf sein Land zurückfallen.

„Ich hoffe, dass wir diese unglückliche Angelegenheit ohne die Behörden regeln können“, antwortete er ehrlich und sah sie fest an. Er musste sein Land vor einem Skandal bewahren. Wenn jemand erfuhr, was vorgefallen war, konnte es passieren, dass Djalia vor aller Welt als ein Land dastand, das von ignoranten, frauenraubenden Wilden bevölkert war.

Doch Molly ließ sich offenbar nicht beeindrucken. „Tut mir leid, aber ich bestehe darauf, dass die Polizei eingeschaltet wird. Ich will, dass Ihr Bruder – oder Halbbruder, was immer er ist, angeklagt und bestraft wird.“

Erstaunt darüber, dass sie sich von seiner ehrfurchteinflößenden Ausstrahlung so gar nicht einschüchtern ließ, atmete er geräuschvoll aus. „Die Polizei wird nicht eingeschaltet“, wiederholte er.

„Ich bin unter Drogen gesetzt und entführt worden. Das muss doch geahndet werden“, erwiderte Molly aufgebracht.

„Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich Ihrer Forderung nicht Folge leisten kann. Mein Bruder ist nicht mehr in Djalia und kann dementsprechend nicht strafrechtlich verfolgt werden“, konterte Azrael, nachdem er sich für einen Strategiewechsel entschieden hatte.

„Das glaube ich Ihnen nicht“, erwiderte Molly und verblüffte damit Azrael, dem es noch nie passiert war, dass man an seinen Worten zweifelte, umso mehr. „Sie wollen ihn nur vor den Konsequenzen seinen Tuns schützen.“

„Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht der Fall ist“, antwortete Azrael wahrheitsgemäß. Gerade hätte er Tahir am liebsten den Wölfen zum Fraß vorgeworfen, aber das war ja leider nicht möglich.

„Sie können mir meine Rechte nicht verwehren“, entgegnete Molly, der die Zornesröte in die Wangen stieg.

Azrael stierte sie mit versteinerter Miene an. „Ich kann …“

„Können Sie nicht!“, schrie Molly wütend. „Sie können mir meine Rechte nicht verweigern. Es gibt Rechte zum Schutz von Frauen, die international Gültigkeit haben …“

„Aber nicht in Djalia“, erwiderte Azrael wahrheitsgemäß, doch ohne Stolz.

„Ich wurde unter Drogen gesetzt und entführt …“

„Aber Tahir wurde direkt nach der Landung seines Flugzeugs abgefangen und Sie wurden in Sicherheit gebracht. Ihnen ist nichts passiert.“

„Aber ich hätte das Opfer eines sexuellen Übergriffs werden können!“, rief Molly.

„Das bezweifele ich. Tahir hat viele dumme Angewohnheiten, aber ein Vergewaltiger ist er nicht. Er dachte, dass Sie vielleicht doch Gefallen an ihm finden würden, wenn er Sie herbringt und mit teuren Kleidern und Schmuck überhäuft“, zitierte Azrael seinen Bruder spöttisch. „Er ist furchtbar verliebt in Sie, aber er hätte Ihnen nie wehtun können.“

„Ihrer Meinung nach ist es also in Ordnung, dass er mich unter Drogen gesetzt und entführt hat?“

„Nein, natürlich ist das nicht in Ordnung“, rief Azrael aufgebracht. „Was er getan hat, war falsch und kriminell, das steht außer Frage. Trotzdem werden wir die Polizei nicht einschalten.“

„Das ist nicht Ihre Entscheidung“, entgegnete Molly, deren grüne Augen funkelten wie Juwelen und deren kupferfarbene Locken bei jeder ihrer energischen Bewegungen wippten.

„Doch, das ist meine Entscheidung“, erwiderte Azrael ruhig. „Und in Djalia wird gemacht, was ich sage.“

„Dann ist Djalia wohl ein sehr rückständiges Land“, gab Molly zurück.

Azrael erstarrte. „Ich werde über diese Angelegenheit erst wieder mit Ihnen sprechen, wenn Sie sich beruhigt und über alles noch einmal nachgedacht haben.“

„Darauf, dass ich mich beruhige, nachdem man mich in die Wüste verschleppt hat, können Sie lange warten!“, schrie Molly, als er sich anschickte, wegzugehen. „Wagen Sie es nicht, jetzt hier wegzugehen!“

„In Ihrer Verfassung ist es unmöglich, vernünftig zu sein und …“

„Wie vernünftig würden Sie denn sein, wenn man Sie unter Drogen gesetzt und entführt hätte?“, rief Molly ihm hinterher und trat gegen die Tür, die geräuschvoll ins Schloss gefallen war, wobei sie sich schmerzhaft die Zehen stieß. Fluchend hopste sie durch den Raum, während sie immer noch vor Wut schäumte.

Autor

Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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