Süßes zum Dessert

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Noch nie zuvor hatte die Ärztin Hannah ein Problem damit, die nötige Distanz zu Patienten zu halten. Bei Jake Tippins ist alles anders - als sie ihn operiert, muss sie sich stark beherrschen, um nicht sanft über seinen nackten muskulösen Körper zu streicheln. Diesen Mann will sie - und sei es auch nur für eine Nacht …


  • Erscheinungstag 28.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756253
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Okay, wer von euch hat den Stripper bestellt?“ Hannah Hartwell starrte finster ihre beiden jüngeren Schwestern Mimi und Alison an, während der sagenhaft gebaute Zorro das schwarze Cape von den Schultern riss und Richtung Ledersessel schleuderte. Es verfing sich jedoch zwischen den von der Decke herabhängenden Luftballons, die die Form von Kondomen hatten, und wedelte dort herum wie die Flügel einer Fledermaus. Die Überraschungsparty zum Abschied von ihrem „Junggesellinnendasein“ war wirklich eine … Überraschung gewesen.

Die Musik zu Zorros Striptease wurde lauter, und die Frauen jubelten. Hannah stöhnte. Ihre Schwestern wollten anscheinend nichts von der Show verpassen und ignorierten ihre Frage.

Mimi schob Zorro einige Geldscheine in die hautenge schwarze Hose und wiegte sich zum Takt der spanischen Gitarren. Hannah schloss die Augen ganz fest. Seth Broadhurst, ihr Verlobter, wäre entsetzt, wenn er etwas davon erfahren würde. Er war ein ruhiger, nüchterner Psychiater und nicht zu Scherzen aufgelegt wie die anderen Ärzte in dem Krankenhaus, an dem sie beide arbeiteten. Hannah war dort als Ärztin in der Notaufnahme tätig.

Heute Abend war sie alles andere als in Partystimmung. Sie war erschöpft und brauchte dringend Schlaf. In wenigen Stunden sollte sie heiraten, doch ihre Zukunft hing an einem seidenen Faden, wie Zorros Unterwäsche am Lüster. Hannah winkte ab und stellte die Musik leiser. „Das war toll, Mädchen, und ich bin euch sehr dankbar, aber die Party ist aus!“

Einige ihrer Freundinnen stöhnten, doch sie wünschten ihr alles Gute für die Hochzeit und verabschiedeten sich.

Mimi seufzte, als die Gäste gingen. „Kannst du dich denn nicht ein einziges Mal in deinem Leben treiben lassen, Schwesterchen?“

„Das kann ich schon“, behauptete Hannah. Wenn du ein einziges Mal in deinem Leben verantwortungsbewusst handeln würdest, fügte sie in Gedanken hinzu.

Während Alison den Stripper zur Tür brachte, lachte Mimi bloß, wodurch Hannah sich prompt schrecklich langweilig vorkam. Alison kam zurück und ließ sich neben ihr aufs Sofa sinken.

Mimi wiegte erneut die Hüften zur Musik. „Mann, der Typ hatte echt den größten …“

„Mimi!“ Hannah hielt sich die Ohren zu. Sicher, der Mann hatte tatsächlich tolle Muskeln, ein sexy Becken und den größten …

„Bizeps. Ich wollte sagen, dass er den größten Bizeps hat, den ich je gesehen habe, aber er war auch richtig gut …“

„… proportioniert“, warf Alison ein.

„… bestückt“, vollendete Mimi den Satz und lachte laut.

Hannah sprang vom Sofa auf und sammelte die leeren Flaschen ein. Schalen, Gläser und Tabletts standen auf dem Tisch, Servietten lagen auf dem Queen-Anne-Sessel, Kuchenkrümel klebten auf dem viktorianischen Sofa.

„Du hast den Typen doch auch genossen, Hannah.“ Mimi schenkte sich noch etwas Sekt ein.

„Er war echt nicht schlecht, und wenn man heiratet, ist man deshalb noch lange nicht tot.“ Alison holte den Stringtanga des Strippers vom Lüster. „Willst du den als Andenken an deinen letzten Abend als ungebundene Frau aufheben?“

„Du könntest Seth doch in den Flitterwochen ans Bett fesseln“, schlug Mimi vor und spielte mit den Handschellen, die sie ihrer Schwester geschenkt hatte.

„Ihr zwei seid hoffnungslos“, stieß Hannah hervor. „Du rennst doch allem nach, was Hosen anhat, Mimi. Und du, Alison Hartwell, gehst noch zum College und bist viel zu jung für dermaßen verdorbene Gedanken.“

Mimi strich sich durch das lange kastanienbraune Haar. „Befürchtest du, dass dich der gute langweilige Seth nicht so erregen wird wie der Typ vorhin?“

„Du weißt doch, wie wichtig Sex in der Ehe ist“, fügte Alison hinzu.

„Und falls Seth dir nicht genügt …“

„Ich habe nicht behauptet, dass Seth mir nicht genügt!“, protestierte Hannah. Wenn die wüssten, dass sie mit ihrem Verlobten noch keinen Sex gehabt hatte, würden die sich erst recht die Mäuler zerreißen.

Nein, ihre Beziehung mit Seth war perfekt. Bevor sie noch etwas sagen konnte, schellte es an der Tür.

„Bitte, bitte, lass das nicht Seth sein!“ Hannah riss die Kondomballons von der Zimmerdecke und versuchte sie im Schrank zu verstauen. „Schnell, helft mir, das Zeug zu verstecken.“

Alison schob die Handschellen unters Sofakissen, während Mimi die Tür öffnete. Ein müde dreinsehender Zusteller stand vor ihr. Hannah seufzte erleichtert auf.

„Eilsendung von Rose Hartwell“, sagte er. „Ich wäre schon früher hier gewesen, hätte ich keine Panne gehabt.“

Eine fast ehrfürchtige Stille senkte sich über den Raum. Mit siebzig Jahren war Großmutter Rose die Matriarchin des Hartwell-Clans. Nachdem die Mutter der Mädchen fortgegangen war, hatte Grammy ihre Stelle eingenommen, und dafür liebten die Schwestern sie über alles.

„Ist eine von Ihnen Miss Hartwell?“ Der Bote entdeckte die Reste des Kuchens, der einem gewissen männlichen Körperteil nachgeformt war, und runzelte die Stirn.

„Ja.“ Hannah und ihre Schwestern nickten. Alison quittierte den Empfang. Der Mann schaffte einen großen Karton in die Wohnung und ging leise lachend fort.

„Das ist bestimmt die Aussteuertruhe, von der Mom uns erzählt hat“, sagte Mimi. „Traditionsgemäß gibt die Großmutter der Hartwell-Familie jeder Enkelin vor der Hochzeit eine solche Truhe.“

Hannah wollte nicht an ihre Mutter erinnert werden. Sie hatte nachgegeben und Mom zur Hochzeit eingeladen. Aber aus der erhofften Versöhnung wurde nichts, weil ihre Mutter abgelehnt und damit den Graben zwischen ihnen noch erweitert hatte. Hannah verdrängte den Schmerz und betrachtete den Karton. Ihre Großmutter war ziemlich exzentrisch. Was sich wohl darin befand? Hoffentlich nichts Lebendes …

„Schnell, mach auf“, drängte Alison.

Hannah öffnete den Karton. „Wie schön!“, rief sie beim Anblick einer Truhe mit kunstvollen Schnitzereien und Messingbeschlägen.

„Das sind Kopien jener Truhe, die unsere Urahnin aus England mitgebracht hat“, erklärte Mimi.

Hannah strich über die Verzierungen. „Die Truhe wird am Fußende des Betts wunderbar aussehen.“

„Ich will endlich sehen, was Grammy dir schickt!“, rief Alison.

Hannah stieß den Deckel auf und griff nach dem Brief, der zuoberst lag.

Liebste Hannah,

Du warst das erste Wunder in der Familie Hartwell und hast Liebe und Hoffnung verkörpert.

Allerdings erinnerst Du Dich auch an die Probleme. Als Eure Mutter fortging, warst Du alt genug, um zu begreifen, dass sie nicht zurückkommt. Dein kleines Herz blutete, aber Du hast trotzdem Deinen verzweifelten Vater und Deine kleinen Schwestern getröstet. Du hast uns Stärke gezeigt, als wir keine mehr zu haben glaubten.

Du bist tüchtig und klug, zuverlässig und verantwortungsbewusst, aber leider auch viel zu vorsichtig. Vergiss nicht zu träumen, meine liebe Hannah. Lerne, Chancen zu ergreifen, zu lachen und Freude zu haben. Ich wünsche Dir Glück, wahre Liebe und einen Mann, der Dir alle erdenklichen Freuden schenkt, die ein Partner einem bieten kann.

In ewiger Liebe

Grammy Rose

P.S.: In der Truhe findest Du etwas Altes, etwas Neues, etwas Geborgtes und etwas Blaues.

Hannah wischte die Tränen von den Wangen, legte den Brief aus der Hand und griff vorsichtig nach einer Porzellanpuppe im Hochzeitskleid. Etwas Neues – eine neue Puppe für ihre Sammlung.

Erinnerungen an ihren neunten Geburtstag überkamen sie. Schon als Kind hatte sie Puppen gesammelt. An dem Tag hatte sie eine schöne Märchenpuppe bekommen, „Dornröschen“. Die Freude wurde jedoch zerstört, weil ihre Mutter das Eheleben nicht länger ertrug. Hannahs alberne Kindheitsträume platzten, als ihre Mutter hinter sich die Tür schloss. Danach hatte sie ihre Puppen weggeräumt und nie wieder hervorgeholt. Hatte ihre Großmutter das vergessen?

Sie unterdrückte die schmerzlichen Erinnerungen und stieß gegen etwas Hartes. Ein ganz gewöhnlicher Feldstein lag unter dem duftigen Kleid der Puppe. Hannah griff nach dem beigefügten Zettel. „Lass Dir den Mann, den Du heiratest, keine Last sein“, las sie vor. „Wieso schreibt Grammy so etwas?“

„Vielleicht hält sie Seth für so aufregend wie einen Stein“, scherzte Mimi.

„Sehr komisch. Seth ist der solideste und zuverlässigste Mann, den ich kenne. So einen braucht diese Familie.“ Unter einer Lage Seidenpapier verbarg sich die nächste Überraschung. „Du lieber Himmel, Grammys Brautkleid! Ist das schön!“

„Etwas Geliehenes“, sagte Mimi, während sie das Kleid bewunderten.

Die Säume des weißen Spitzenkleides und der Ausschnitt waren mit kleinen Perlen bestickt. Hannah stellte sich ihre Großmutter bei deren eigener Hochzeit in diesem Kleid vor. „Das ist ganz reizend, aber Grammy weiß doch, dass ich bereits ein Hochzeitskleid habe!“

„Sie wird wohl schon vergesslich“, meinte Mimi lachend.

„Was mache ich jetzt?“, fragte Hannah. „Seth hat mir beim Aussuchen des Kleides geholfen.“

„Dann ziehst du es an, und dieses hier hebst du für deine eigene Tochter auf.“

Hannah nickte und holte ein hellblaues Strumpfband aus der Truhe. Die Mädchen lachten, als sie es über das Bein schob.

„Und jetzt noch etwas Altes“, sagte Mimi.

Mit angehaltenem Atem holte Hannah eine Samtschatulle aus der Truhe und lächelte ihren Schwestern aufgeregt zu.

„Ob das der bewusste Ring ist?“, fragte Mimi.

„Was für ein Ring?“, erkundigte sich Alison.

„Der Ring, von dem Grammy uns erzählt hat, als wir noch klein waren“, erklärte Hannah. „Ein antiker Perlenring mit winzigen goldenen Blättchen auf jeder Seite.“

„Zu diesem Ring gibt es eine Legende“, warf Mimi ein. „Wenn eine Frau ihn in der Nacht vor der Hochzeit trägt, träumt sie von dem Mann, den sie heiraten soll.“

Langsam öffnete Hannah die Schatulle. „Es ist tatsächlich Grammys Perlenring! Lieber Himmel, er ist noch schöner, als ich ihn in Erinnerung habe!“ Ehrfürchtig strich sie über die zierliche Fassung. „Ihr glaubt doch nicht an diese Legende?“

„Wir nicht, aber Grammy Rose“, entgegnete Mimi. „Sie trug den Ring in der Nacht vor ihrer Hochzeit und träumte von Großvater.“

„Steckst du ihn heute vor dem Schlafengehen an, Hannah?“, fragte Alison aufgeregt.

Hannah betrachtete den goldenen Reif, die Diamantsplitter in den goldenen Blättern und die perfekte Perle. „Ich weiß es nicht. Diese Legende ist mir irgendwie unheimlich.“

„Unsinn, ich finde sie romantisch“, schwärmte Alison.

„Da Seth dir nicht einmal einen Verlobungsring geschenkt hat, kannst du den hier ruhig anstecken“, meinte Mimi.

„Ich wollte keinen Verlobungsring“, stellte Hannah klar. „Wir wollten beide vernünftig sein und entschieden uns für schlichte goldene Eheringe.“

„Also, ich möchte zu meiner Verlobung schon einen Ring“, erklärte Mimi. „Einen riesengroßen Diamanten.“

„Los, Hannah, steck ihn an“, drängte Alison. „Wir wollen sehen, wie die Perle an deinem Finger wirkt.“

Hannah zögerte. „Ich werde mich erst fürs Bett fertigmachen. Ihr könnt aufräumen, damit die zukünftige Braut ihren Schönheitsschlaf bekommt.“

Mit dem Kleid ihrer Großmutter über dem Arm ging sie ins Schlafzimmer. Morgen änderte sich alles, wenn sie Seth heiratete und endlich das abgesicherte Leben führte, das sie sich stets gewünscht hatte. Sie würde zu einer Broadhurst, einem Mitglied einer der prominentesten Familien der Gegend, und entledigte sich endlich des ziemlich schrägen Hartwell-Images.

Ihr Vater Wiley, ein Gebrauchtwagenhändler, war für schrille Werbung bekannt. Als Kind hatte Hannah die verrückten Ideen gemocht, doch später waren sie ihr unangenehm gewesen. Sie waren sogar einer der Gründe, aus denen ihre Mutter fortgegangen war.

Behutsam legte Hannah das Brautkleid auf das Sofa in der Zimmerecke, setzte die Puppe daneben und stellte die Ringschatulle aufs Nachttischchen. Danach putzte sie sich die Zähne, zog das Nachthemd an und bewunderte erneut den Ring. Die Legende war natürlich unsinnig, aber vielleicht sollte sie ihn trotzdem anstecken. Möglicherweise träumte sie dann doch von ihrem zukünftigen Ehemann.

Ach nein, das war nichts weiter als eine Geschichte.

Sie schaltete das Licht aus, legte sich ins Bett und schloss die Augen, doch sie konnte nicht schlafen. Ob sie wohl eine gute Ehefrau sein würde? Oder war sie ihrer Mutter ähnlicher, als sie dachte?

Im Mondschein betrachtete sie den Ring. Aberglaube war ihr fremd, doch weshalb sollte sie keinen Verlobungsring tragen? Was schadete das schon? Lächelnd steckte sie ihn an, streckte sich aus und deckte sich zu. Mal sehen, ob an der Legende etwas dran war, ob sie von dem Mann träumen würde, der für sie bestimmt war …

Sie schloss die Augen. Und tatsächlich, sofort sah sie Seth Broadhursts Gesicht vor sich …

Er betrachtete sie durchdringend und voller Verlangen, und ein geradezu animalischer Laut entrang sich seiner Kehle. Leise stöhnend schmiegte Hannah sich an ihn und erbebte unter seinen Berührungen.

Er war ihr Schicksal, der Mann, den sie heiraten und dem sie ihr Herz, ihren Körper und ihre Seele schenken würde – für immer und ewig.

Aufreizend sanft streichelte er ihre Wange und küsste sie hingebungsvoll, und mit diesen Küssen erinnerte er sie an den Schwur, den sie vor wenigen Stunden geleistet hatten. Nie würde sie seine von Herzen kommenden Worte vergessen, die er ihr ins Ohr raunte, während er sie über die Schwelle ihres Zuhauses trug.

Das Mondlicht fiel auf sein dichtes dunkles Haar und sein lächelndes Gesicht. Hannah ließ den Blick über seine breiten Schultern und den flachen Bauch gleiten. Als er sich umdrehte, um sich ganz zu entkleiden, bemerkte sie ein kleines halbmondförmiges Muttermal an der Hüfte.

Niemals hätte sie sich die Leidenschaft erträumt, mit der sie die Ehe vollzogen. Dieser Mann verströmte Kraft. Bei ihm konnte sie sich darauf verlassen, dass er sie beschützte. Und als sie sein scharf geschnittenes Gesicht betrachtete, wusste sie, dass sie beide von jetzt an zueinander gehörten und …

Hannah erwachte bebend. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Das Bett war zerwühlt, der Perlenring schimmerte im Mondschein, doch das Kissen neben ihr war leer. Frustriert stellte sie fest, dass sie die Leidenschaft nur geträumt hatte.

Sie berührte den Ring, während ihr die Legende durch den Kopf ging.

Aufstöhnend vergrub sie den Kopf in den Händen. Was sollte sie tun? Sie hatte tatsächlich von einem Mann geträumt – allerdings war Seth, ihr Verlobter, nicht der Mann in ihrem Traum gewesen.

2. KAPITEL

„Ich kann Seth heute nicht heiraten.“ Hannah holte tief Atem, doch das Hochzeitskleid schnürte ihr die Luft ab. Das musste es sein. Es gab schließlich keinen anderen Grund dafür, dass sie sich plötzlich schwindlig fühlte.

Wenige Minuten vor ihrer Trauung bekam sie plötzlich kalte Füße.

Zu allem Überfluss hatte ihr Vater eine für ihn typische Idee gehabt. Zeitungsreporter und ein Fernsehteam sollten die Zeremonie festhalten. Also musste sie einfach heiraten. Klaviermusik erfüllte die Kirche, während die Gäste die Plätze einnahmen.

„Natürlich heiratest du Seth.“ Mimi, die Brautjungfer, deutete auf ihr hellgrünes Kleid. „Ich trage dieses scheußliche Chiffonfähnchen schließlich nicht umsonst. Darin sehe ich zwanzig Pfund schwerer aus, als ich ohnehin bin.“

„Du bist nicht dick“, widersprach Alison. „Du hast eine perfekte Figur, um die dich die meisten Frauen beneiden.“

„Ja, du hast wenigstens Busen.“ Hannah betrachtete ihre eher klein geratenen Brüste, bei denen nicht einmal der neue BH viel half. „Ich bin mir nicht mehr sicher, was Seth und mich angeht“, vertraute sie ihren Schwestern an. „Wenn er nun nicht der Richtige ist? Grammy Rose hat Seth zu Weihnachten kennengelernt. Vielleicht hat sie mir deshalb den Ring geschickt.“

„Das ist doch verrückt“, behauptete Mimi.

„Du weißt, dass Seth für dich der Richtige ist. Hier drinnen.“ Alison deutete auf ihr Herz.

Leider wusste Hannah es eben nicht. Die kindischen Träume von Liebe und Romantik hatte sie längst begraben. Die Ehe mit Seth sollte auf Freundschaft und Respekt basieren. Darauf hatten sie sich schon vor Monaten geeinigt, als handelte es sich um eine geschäftliche Vereinbarung.

Hannah schluckte schwer. Der Verstand sagte ihr, dass es dumm wäre, Seth nicht zu heiraten, der ihr das geordnete und abgesicherte Leben bot, von dem sie immer geträumt hatte. Doch ihr Gefühl – und ihr Körper – verlangte nach mehr, nach der heißen Leidenschaft und der heftigen Vereinigung mit dem Mann aus dem Traum. Und ihr Herz verwirrte sie noch mehr, weil es ihr einredete, dass dieser Mann ihre Zwillingsseele war.

Was für ein Unsinn. Sie und Seth waren doch die verwandten Seelen, oder etwa nicht?

Prompt bekam sie Kopfschmerzen. Sie und Seth waren … Freunde. Und sie hätten auch fast miteinander geschlafen, hätte sie sich nicht zurückgehalten, weil sie bis nach der Hochzeit warten wollte. Aber vielleicht hatte sie auch nur deshalb nicht eingewilligt, weil es zwischen ihnen nicht knisterte und funkte. Was sollte eine Ehe ohne Leidenschaft und wahre Liebe?

„Letzte Nacht habe ich geträumt, wie mich ein Fremder liebt“, gestand Hannah. „Wieso träume ich von einem anderen Mann, wenn ich doch Seth heirate?“

„Weil Seth nicht der Typ ist, der erotische Fantasien auslöst“, erklärte Mimi.

Alison warf Mimi einen warnenden Blick zu. „Hannah, jeder träumt mal wirres Zeug. Das hat nichts zu bedeuten.“

„Glaubt ihr, ich mache einen Fehler?“, fragte Hannah.

„Heiraten ist grundsätzlich ein Fehler“, entgegnete Mimi nüchtern.

„Nur weil Mimi gegen die Ehe ist, heißt das nicht, dass du nicht glücklich wirst“, versicherte Alison und reichte Hannah den Brautstrauß aus weißen Lilien und rosafarbenen Satinbändern.

„Aber was ist mit dem Traum und der Legende?“ Hannahs Brust zog sich zusammen. „Ich sollte doch von dem Mann träumen, den ich heirate.“

„Vielleicht wolltest du auf diese Weise noch schnell eine Affäre erleben, bevor du dich an Mr. Langeweiler bindest“, meinte Mimi mit anzüglichem Lächeln.

Alison warf Mimi einen zweiten warnenden Blick zu und strich die Spitze am Ausschnitt des Hochzeitskleides glatt. „Nichts als alberner Aberglaube.“

Hannah war trotzdem nicht überzeugt. Mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie noch den Kuss im Traum. Sie durfte Seth nicht verletzen, indem sie ihn heiratete, ohne ihn wirklich zu lieben. Noch heute erinnerte sie sich an die letzten Worte ihrer Mutter. „Ich habe dich nur geheiratet, Wiley, weil ich schwanger war. Zu einer richtigen Ehe gehört aber mehr!“

Meinetwegen haben meine Eltern geheiratet, dachte Hannah. Sie war zwar nicht schwanger, aber wollte sie Seth trotzdem aus den falschen Gründen heiraten? Wegen der Sicherheit und nicht aus Liebe? „Sagt Seth, er soll zu mir kommen!“

„Aber es bringt Unglück, wenn er dich vor der Trauung sieht“, wandte Alison ein.

„Das macht nichts. Ich muss mit ihm sprechen.“

Mimi lief los, und Alison fächelte Hannah Luft zu. Kurz darauf kam Seth herein.

Das Gesicht des Mannes aus ihrem Traum schob sich vor Seth’. Es verschwand wieder, und Hannah starrte Seth an und fragte sich, wieso er ihre erotische Fantasie nicht anregte. Sollte eine Frau nicht vor Leidenschaft beben, wenn der Mann ihrer Träume sie küsste? Sollte sie nicht unter seinen Berührungen innerlich erglühen? Vielleicht hatte ihre Mutter bei ihrem Dad diese Leidenschaft vermisst.

Hannah konnte Seth nicht heiraten und so den Fehler ihrer Mutter wiederholen.

„Was ist denn, Hannah?“, fragte Seth. „Hast du etwas vergessen?“

Sie legte ihm die Hände um den Nacken und küsste ihn heftig. Gleich würde sie vor Leidenschaft beben. Gleich würde sie innerlich erglühen. Nur noch wenige Sekunden, und dann würde jener Zauber wirken, von dem sie schon als Mädchen geträumt hatte.

Sie küsste ihn heftiger.

Wo blieb denn die bebende Leidenschaft, wo das innerliche Glühen? Nichts passierte, und innerlich wurde sie nicht einmal lauwarm.

Als sie den Kuss beendete, schnappte Seth nach Luft. Das klang nicht nach wildem Begehren, auch nicht nach Leidenschaft und nicht mal nach Überraschung.

„Ich … ich muss etwas wissen, Seth“, flüsterte sie und war der Panik nahe. „Hast du ein Muttermal auf deinem … deinem Po?“

Er riss die Augen auf und wich einen Schritt zurück. „Wie bitte?“

„Halbmondförmig?“ Sie deutete auf seine linke Hüfte. „Da, auf der linken Backe?“

„Nein“, antwortete Seth, sichtlich schockiert. „Was ist los mit dir, Hannah? Du benimmst dich seltsam.“

Autor

Rita Herron
Schon im Alter von 12 schrieb Rita Herron ihre ersten Krimis. Doch sie wuchs in einer Kleinstadt auf – noch dazu in bescheidenen Verhältnissen – und konnte sich eigentlich nicht vorstellen, das „echte“ und einfache Leute wie sie Autoren werden könnten. So dauerte es viele Jahre, bis sie den Weg...
Mehr erfahren