Taking Chances - Im Herzen bei dir

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Die schönste Love-Story seit "Love Story"!

Harper wächst unter dem strengen Regiment ihres Marine-Dads auf. Sie zählt die Tage, bis sie aufs College gehen kann, um endlich die Dinge zu erleben, von denen sie bislang nur gehört hat: Flirten, Daten, Küssen. Gleich auf der ersten Party trifft sie Chase, der all das ist, was ihr Vater hasst: sexy, wild, verwegen. Nur mühsam widersteht Harper seinem Bad-Boy-Charme. Obwohl sie sich kurz darauf in seinen attraktiven Mitbewohner Brandon verliebt, scheint ihr Körper jedes Mal vor Verlangen zu vibrieren, sobald Chase in der Nähe ist. Sie ist überglücklich mit Brandon, aber auch ihre Gefühle für Chase werden immer stärker. Ein unvergessliches Wochenende lang gibt sie der Versuchung nach - und plötzlich ist nichts mehr, wie es war …


  • Erscheinungstag 11.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783956495182
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Molly McAdams

Taking Chances – Im Herzen bei dir

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Justine Kapeller

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Taking Chances

Copyright © 2012 by Molly Jester

erschienen bei: William Morrow, New York

Published by arrangement with William Morrow,

an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner Gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN 978-3-95649-518-2

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Breit grinsend schaute ich mich ein letztes Mal in meinem alten Zimmer um. Ich würde es wirklich tun, endlich würde ich mein Leben so gestalten, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Ich war bei meinem Vater aufgewachsen, und ich liebte ihn, aber er hatte keine Ahnung davon, wie man ein Kind erzog. Das Einzige, was er verstand, schien die Verwendung des Wortes „Nein“ zu sein. Ehrlich, ich bin kein ständig quengelnder Teenager, doch genau darauf liefen unsere Gespräche meistens hinaus. Er ist immer in meiner Nähe, spricht kaum mit mir und erwartet, dass ich perfekt bin. Ich kann ihm deswegen keinen Vorwurf machen, gleich nach seinem Highschool-Abschluss war er ins Marine Corps eingetreten, und bei dem, was er tat, war er anscheinend richtig gut. Die Männer in seiner Einheit respektierten ihn, und vor Stolz auf sie strahlte er immer. Er hat mich zu Hause unterrichtet, was so ablief, dass ich jeden Tag mit ihm zur Arbeit gegangen bin und meine Aufgaben in seinem Büro erledigt habe. Schon früh habe ich gelernt, dass es besser ist, nicht nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstehe. Er sah mich dann unter gesenkten Lidern an, zog eine Augenbraue hoch, seufzte und widmete sich wieder seiner Arbeit. Von mir wurde erwartet, bis zum morgendlichen Exerzieren mit allem fertig zu sein, damit ich mit meinem Vater zusammen rausgehen konnte. Doch auch dann sprach er immer noch kein Wort. Meine einzigen sozialen Kontakte waren eigentlich seine Marines. Wenn mich jemand fragen würde, würde ich ohne zu zögern antworten, dass ich von einem Haufen unreifer Jarheads, wie die Marines genannt wurden und die ich vergötterte, aufgezogen worden war und nicht von meinem Dad.

Und jetzt, nachdem ich achtzehn Jahre lang versucht hatte, eine Perfektion anzustreben, die in den Augen meines Vaters unerreichbar war, würde ich endlich lockerlassen. Ich würde die Zeit am College genießen – wie auch immer das genau aussehen sollte – und hoffentlich dabei herausfinden, wer ich selbst war. Natürlich hätte ich auch irgendein College hier in der Nähe besuchen können, aber meinen Dad als streng zu bezeichnen, wäre die größte Untertreibung meines Lebens, und ich wollte auch Dinge ausprobieren, die er mir nie erlaubt hätte.

„Bist du dir ganz sicher, dass du das willst, Harper? Es gibt jede Menge ausgezeichneter Schulen in North Carolina.“

Fest schaute ich ihm in die Augen. „Hundertprozentig sicher, Sir, das muss ich einfach tun.“ Hatte ich schon erwähnt, dass ich ihn nur mit „Sir“ anreden darf?

„Na dann.“ Er blickte an mir vorbei aus dem Fenster. „Hier wird es ohne dich anders werden.“ Damit drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Besser wurde es nicht, ehrlich gesagt war das eines unserer längsten Gespräche seit Monaten. Vier Sätze. Es war erstaunlich, er konnte den ganzen Tag mit seinen Männern sprechen, doch kaum redeten wir miteinander, verschwand er innerhalb von Minuten aus dem Raum.

Mein Handy klingelte und ließ mich lächeln. Meine „Brüder“ waren alles andere als begeistert davon, dass ich nach Kalifornien zog. Seit letzter Nacht bekam ich Anrufe, SMS und Nachrichten auf Facebook, in denen sie mich anflehten, nicht zu gehen. Jetzt, da ich älter war, fast genauso alt wie viele von ihnen, versuchten die Jungs nicht mehr, mich zu erziehen; für sie war ich wie eine Schwester oder Freundin, und sie brachten mir alles bei, was ich über Männer wie sie wissen musste. Ich musste immer darüber grinsen, dass die meisten von ihnen lieber mit mir zusammen waren, als ihre freie Zeit außerhalb der Basis zu verbringen. Aber ich glaube, es hat ihnen gefallen, dass ich nicht zu diesen Mädchen gehörte, die viel zu verzweifelt versuchten, von ihnen beachtet zu werden. Nicht, dass sie diese Art von Aufmerksamkeit nicht gemocht hätten, doch anscheinend stellte ich eine angenehme Abwechslung zu den Frauen dar, die sie sonst so trafen.

J. Carter:

VERLASS MICH NICHT! Ich werde wahnsinnig, wenn du nicht hier bist und mir Gesellschaft leistest.

Ich:

Du kommst schon klar, Carter. Prokowski und Sanders haben auch mehr Probleme damit als der Rest … ihr könnt euch gegenseitig trösten. ;-) Oder du kannst auch immer zu einer der Truppenschlampen gehen. Die sind bessere Gesellschaft für dich, als ich es bin.

J. Carter:

Ich glaube, ich kriege schon beim Gedanken an die Herpes.

Ich:

Ha! Okay. Ich muss los, Sir ist fertig damit, meine Taschen ins Auto zu laden.

J. Carter:

Ich werde dich so was von vermissen, Harper. Hab Spaß, vergiss mich nicht.

Ich:

Niemals.

Jason Carter war zwanzig und gehörte seit etwa einem Jahr zu Sirs Einheit. Er und ich hatten uns schnell angefreundet. Er war mein bester Freund, und während ich auf der Basis war und sie Ausgang hatten, zählte er zu den Jungs, die lieber mit mir abhingen, als mit ihren Freunden Frauen aufzureißen. Ich war immer traurig gewesen, sobald einer von den Jungs zu einer anderen Einheit versetzt wurde oder auf eine andere Basis oder wenn seine Zeit bei den Marines sich dem Ende näherte. Doch ich bin mir ziemlich sicher, es hätte mich umgebracht, falls Carter gegangen wäre. Also wunderte es mich nicht, dass er mich schon zum sechsten Mal in einer Stunde anflehte zu bleiben. Er hätte es nicht besser sagen können, ich würde ihn auch so was von vermissen. Ich sah mich ein letztes Mal im Haus um, in dem ich aufgewachsen war, ehe ich zu Sir in den Wagen stieg. Das Haus würde mir auf keinen Fall fehlen.

Fast zwölf Stunden, zwei Autofahrten und zwei Flüge später stand ich in meinem Zimmer im Wohnheim der San Diego State University. Meine neue Mitbewohnerin war noch nicht angekommen, aber laut den E-Mails, die wir uns in den letzten Wochen geschrieben hatten, lebte sie in der Nähe und würde in ein paar Tagen einziehen. Ich suchte mir eine Seite des Zimmers aus und beeilte mich mit dem Einrichten. Schnell ging ich duschen und ließ mich danach aufs Bett fallen. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es fast zwei Uhr morgens war, und ich stöhnte. Daheim wäre ich schon mit Sir auf der Basis. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, und ich brauchte meinen letzten Rest Energie, um mich unter meiner Decke zusammenzurollen und einzuschlafen.

„Harper? Haaaaarperrrrrr! Wach auf!“

Ich öffnete die Augen gerade weit genug, um ein lächelndes Gesicht zu erkennen, das sich direkt vor mir befand. Mit ausgestreckten Armen sprang ich auf, mein ganzer Körper angespannt.

„Hey, hey! Ich bin es, Breanna!“

„Willst du sterben, oder was? Mach das nie wieder!“ Sie sollte sich lieber freuen, dass ich noch gedacht hatte, ich träume. Bei meinem Vater aufzuwachsen bedeutete, beim Aufwachen immer auf einen Angriff gefasst zu sein.

Sie kicherte und setzte sich auf den Rand meines Bettes. „Tut mir leid, ich versuche schon seit fünf Minuten, dich aufzuwecken.“

Komisch, normalerweise hatte ich einen sehr leichten Schlaf. „Ich habe geglaubt, du kommst nicht vor Sonntag.“

„Bin ich im Grunde genommen auch nicht, mein ganzes Zeug ist noch zu Hause …“ Sie deutete auf ihre leere Seite des Zimmers. „Aber mein Bruder und seine Freunde geben heute Abend eine riesige Party, und ich dachte, ich frage mal, ob du auch Lust hast.“

Meine Erfahrung mit Partys beschränkte sich auf die Erzählungen der Jungs auf der Basis. Ich versuchte, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen, und zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Klar, wann geht’s los?“

„Nicht vor neun oder so, wir haben noch ein paar Stunden. Wollen wir vorher zusammen Abend essen?“

„Abend? Wie spät ist es?!“ Ich griff nach meinem Handy und achtete nicht einmal auf die Uhrzeit. Alles, was ich sah, waren die zwanzig verpassten Anrufe von Sir. „Mist, ich muss daheim anrufen, bei Si… ich meine, meinem Dad. Doch danach mache ich mich fertig, und wir können los.“

Breanna rührte sich nicht von der Stelle, also beschloss ich, sie einfach dort hocken zu lassen. Ich war mir sicher, sobald sie Sir brüllen hörte, würde sie von selbst verschwinden. Mir fiel erst auf, wie spät es war, als ich schon fast auf den Senden-Knopf gedrückt hatte. Schockiert keuchte ich auf. Ich hatte fast sechzehn Stunden geschlafen, er würde mich umbringen. Wie erwartet nahm er beim ersten Klingeln ab und legte gleich mit einem missbilligenden Vortrag los, weil ich ihn nicht hatte wissen lassen, dass ich gut in Kalifornien eingetroffen war und dass mit mir alles in Ordnung war, weil ich nicht ans Handy gegangen war, und was für eine schlechte Idee es gewesen war, mich hierherziehen zu lassen. Ich murmelte an allen passenden Stellen eine Entschuldigung und versuchte, Breannas Grinsen zu ignorieren. Wir sprachen zwar nie miteinander, aber wenn er sauer war, konnte man das auch nicht auf die leichte Schulter nehmen.

„Oh mein Gott, wird Zeit, den Rockzipfel loszulassen, findest du nicht?“

Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus, nachdem das Gespräch endlich zu Ende war. „Na ja, er hat eben nur noch mich.“

„Was ist mit deiner Mutter?“

„Sie ist gestorben.“

Entsetzt schlug Breanna sich die Hand vor den Mund und riss die Augen auf. „Das tut mir so leid! Ich hatte ja keine Ahnung!“

„Mach dir deswegen keine Gedanken“, tat ich ihre Entschuldigung ab, „ich habe sie gar nicht gekannt.“

Sie nickte einfach nur.

„Dafür kenne ich meinen Dad umso besser, und ich bin einfach das erste Mal von ihm weg, deswegen ist er, glaube ich, besorgt. Jetzt, wo er weiß, dass ich am Leben bin, werde ich wohl eine Weile nichts mehr von ihm hören.“

Breanna sagte immer noch nichts. Das passierte jedes Mal, wenn ich jemandem erzählte, dass ich keine Mom mehr hatte. Statt noch einmal zu beteuern, dass sie sich keine Gedanken deswegen machen musste, stand ich auf und zog mich für die Party an. Mein langes kastanienbraunes Haar war glücklicherweise von Natur aus glatt, deswegen war ich schnell fertig. Ich griff nach meiner Handtasche, schaute mich um und direkt in Breannas schockiertes Gesicht.

„W…was ist?“

„Das willst du tragen?“

Schulterzuckend blickte ich auf meine Jeans-Shorts und das schwarz-goldene Militär-Shirt hinab. „Ja?“

„Oh nein.“ Sie sah in meinen Schrank und durchkramte alle meine Sachen. „Okay, wir haben beide Größe S, wie groß bist du?“

„Eins siebenundfünfzig.“ Ja, ich weiß. Ich bin unglaublich klein.

„Ein bisschen kleiner als ich … hmm. Okay, komm mit, wir gehen zu mir nach Hause, damit du dich umziehen kannst.“

„Stimmt irgendwas nicht mit dem, was ich anhabe?“

Sie zog eine perfekt geformte Braue hoch und kniff ihre blauen Augen zusammen. „Sagen wir einfach, ich werde deinen gesamten Kleiderschrank vernichten und morgen mit dir shoppen, weil heute Abend offensichtlich keine Zeit mehr dafür ist. Ich nehme an, wir müssen dabei auch gleich Make-up einkaufen?“

Ich nickte. Um ehrlich zu sein, hatte ich nie das Gefühl gehabt, Make-up zu brauchen. Soll nicht heißen, ich würde mich für total attraktiv halten oder so etwas, ich benutzte es einfach nie. Ich habe von Natur aus ebenmäßige Haut und große graue Augen mit langen dunklen Wimpern. Ich fand immer, alles andere wäre zu viel. Außerdem bin ich mir sicher, Sir hätte einen Anfall gekriegt, wenn ich welches gekauft hätte.

Wir holten uns Sandwiches aus einem Deli, und ehe ich michs versah, war ich komplett geschminkt, und Breanna hielt mir verschiedene Outfits an. Letztendlich entschied sie sich für einen ausgewachsenen und zerrissenen Jeans-Mini, der kaum meinen Hintern zu bedecken schien, und ein schwarzes Top mit Spaghettiträgern.

„Okay, das ziehst du an, aber noch nicht hinschauen!“

„Kommt noch was über das Unterhemd?“

„Unterhemd? Nein, das ist das Oberteil!“ Sie blickte mich an, als wäre ich verrückt, verschwand dann aber ins Badezimmer.

Glücklicherweise war das Top lang, sodass ich den Rock so weit hinunterziehen konnte, bis ich der Meinung war, wenigstens meinen Po verhüllt zu haben. Doch ich war mir absolut sicher, außerhalb des Bades in meinem ganzen Leben noch nie so nackt gewesen zu sein. Wenn meine Mitbewohnerin noch ein Stück größer war als ich, wie, zum Teufel, konnte sie dann so ein Teil tragen?

„Oooh. Schon VIEL besser!“

„Wirklich? Ich komme mir nackt vor.“ Ich versuchte immer noch, den Rock weiter nach unten zu schieben.

„Ha! Nein, du siehst heiß aus, versprochen.“ Sie drehte mich um, bis ich vor dem Spiegel stand.

„Ach du liebe Zeit.“ Sir würde mich umbringen, aber ich musste zugeben, dass es mir irgendwie gefiel. Genau wie ich gedacht hatte, bedeckte der Rock kaum etwas, und das Oberteil hatte einen riesigen Ausschnitt. Ich denke schon, dass mein Busen in Ordnung ist, doch wenn man fast nur Oberteile aus dem einzigen Laden auf der Militärbasis besitzt, hat man kaum die Gelegenheit, etwas davon zu zeigen. Ich wandte mich um, damit ich meine Rückseite betrachten konnte, und lächelte ein wenig, ehe ich mich wieder nach vorn drehte. „Oh mein Gott, schau dir meine Augen an!“

„Ich weiß, sind sie nicht umwerfend?“

„Du bist ein Genie, Breanna.“ Ich musterte meine „Smokey Eyes“ und meine jetzt noch dichteren Wimpern, die meine Augen wie düstere Gewitterwolken aussehen ließen.

„Na ja, es ist auch ziemlich einfach, wenn das Model dein Gesicht und deinen Körper mitbringt. Hast du was dagegen, wenn ich mir für eine Nacht deine Lippen und Augen leihe?“

Ich lachte, war aber wie gebannt von meinem neuen Spiegelbild. „Ich kann ehrlich sagen, dass ich so etwas noch nie getragen habe, und ich bin auch zum ersten Mal geschminkt.“

„Ist das dein Ernst?“, stieß sie entsetzt hervor.

„Mein Dad ist ein Marine. Ich habe Make-up noch nicht einmal angefasst. Verdammt, ich bin sogar noch nie in einem Einkaufszentrum gewesen.“ Ich musste kichern, da sie fassungslos das Gesicht verzog.

„Ich schätze, das bedeutet, du hast nichts dagegen, wenn ich dich morgen mit zum Shoppen nehme?“

„Wenn du mich für eine einfache Party schon so toll stylst, darfst du alle meine Outfits aussuchen.“

Sie quietschte vergnügt und klatschte in die Hände, ehe sie sich umdrehte und nach ihrer Handtasche griff. „Yeah! Okay, und jetzt angeln wir uns ein paar Jungs.“

Verunsichert blieb ich stehen. Ich wusste nicht mal, wie man mit einem normalen Jungen reden sollte, geschweige denn, wie man einen aufriss. „Äh, ich bin nicht gerade geübt im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Also, ich hatte noch nie einen Freund oder so was.“

„Wow, was?!“

„Welchen Teil von ‚Mein Vater ist ein Marine‘ hast du nicht verstanden? Ich glaube, ich habe noch nie mit einem Jungen geredet, der kein Marine war.“

„Okay, Auszeit. Ist das dein Ernst? Hast du schon mal einen geküsst?“ Sie keuchte auf, als ich die Lippen zu einer schmalen Linie zusammenpresste. „Oh Süße, ich verspreche dir, wenigstens das werden wir am Ende des Abends geändert haben.“

Mir brannten die Wangen, während ich Breanna hinaus zu ihrem nagelneuen Wagen folgte, den sie zum Schulabschluss geschenkt bekommen hatte.

„Hey, Bree!“

„Hi, Drew!“ Breanna umarmte einen bereits angetrunken wirkenden Jungen, der uns die Tür öffnete. „Drew, das ist meine neue Mitbewohnerin, Harper. Harper, das ist Drew.“

„Freut mich, dich kennenzulernen“, murmelte ich. Ehe ich wusste, wie mir geschah, wurde ich umarmt und hochgehoben. Ich keuchte auf, widerstand aber dem Drang, nach ihm zu treten.

„Immer schön, Frischfleisch bei uns zu haben“, sagte er zwinkernd, dann ließ er mich wieder runter.

„Ruhig, Tiger, bei ihr ist Zutritt verboten!“ Sie warf ihm einen betont finsteren Blick zu und stieß ihm scherzhaft den Finger in die Brust.

„Och, komm schon, Bree, vermassle einem doch nicht immer die Tour.“

Ich runzelte die Stirn, doch dann hätte ich ihn beinah angelächelt. Er war nicht einmal attraktiv, und er trug eine aufblasbare Puppe unter dem Arm.

„Nein, niemand, der hier im Haus wohnt, darf sie anfassen. Ich weiß, wie ihr alle seid. Also benehmt euch, klar?“

Drew stieß einen unterdrückten Fluch aus und ging dann, um sich seinen Plastikbecher nachzufüllen. Verschwörerisch beugte sich Breanna zu mir herüber, um mir ins Ohr zu flüstern: „Ich will dich nicht anlügen und behaupten, sie wären nicht alle so wie er. Fast jeder Junge, der hier im Haus wohnt, ist genauso schlimm, und die meisten, die heute Abend zur Party kommen, auch. Ich sage dir, wer ungefährlich ist und wer nicht.“

Ich lächelte sie an. „Danke, Bree, dafür schulde ich dir was.“ Nicht, dass ich sie brauchte, um zu wissen, dass man sich von solchen Kerlen fernhielt. Sir ließ mich mit den Marines zusammen sein, weil sie nicht nur wie Brüder waren, sondern auch, weil er wusste, dass ich mich nie in jemanden verlieben könnte, der so mit Mädchen redete.

„Na sicher! Willst du was trinken?“

Damit war ich einverstanden und lief mit ihr zu einer Gruppe, die sich um eines der Fässer versammelt hatte. Nachdem ich mir ein Bier geholt und es halb runtergewürgt hatte, um den bitteren Geschmack so schnell es ging zu überwinden, folgte ich Breanna auf den Hof hinter dem Haus, um mehr Leute kennenzulernen. An die meisten Namen erinnere ich mich nicht mehr, aber man hat mich öfter hochgehoben und herumgetragen, als ich aufzählen möchte. Und jeder Junge, dem wir begegneten, starrte mich an. Breanna versicherte mir, es läge daran, dass ich gut aussah, doch ich wünschte mir bereits, ich hätte Sweatshirt und Jeans angezogen, und verfluchte meinen zierlichen Körperbau. Breanna schien sich wohl damit zu fühlen, wie die Jungs sie berührten und ihre Blicke über uns wandern ließen. Ich verstand einfach nicht, wie sie das machte. Ich fühlte mich nicht mehr schön, sondern genau so, wie Drew mich bezeichnet hatte. Als Frischfleisch. Ich hatte mein zweites Bier halb ausgetrunken, als mich Breanna und ein paar andere auf die Tanzfläche zerrten.

Noch nie im Leben war ich mir so fehl am Platz vorgekommen. Allein dabei zuzuschauen, wie diese Leute sich gegenseitig betatschten, ließ mich erröten. Ich versuchte, es Bree nachzutun, aber ich stolperte einfach zwischen ein paar Personen hin und her, die sich an mir rieben. Ich drehte den Kopf, weil ich herausfinden wollte, mit wem ich da gerade zusammengestoßen war, und blickte in die schönsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Während ich den Rest von ihm musterte, erkannte ich, dass ich ihn dabei gestört hatte, sich gegen eine vollbusige Blondine zu drücken. Schnell versuchte ich, den beiden aus dem Weg zu gehen. Ich zeigte auf die Küche, als Bree probierte, mich aufzuhalten, und schlängelte mich langsam zwischen den knutschenden Pärchen im Wohnzimmer hindurch.

„Was geht, Harper?“

Ich drehte mich um und entdeckte Drew neben mir. „Äh, nichts. Ich musste nur da raus“, erklärte ich und deutete dabei über die Schulter.

„Tanzt du nicht gern?“

Das nannte er tanzen? „Ist nicht so meins.“

Drew stützte je einen Arm neben mir ab, sodass ich an der Küchenanrichte gefangen war, und drängte seinen Körper gegen meinen. „Kann ich dich für irgendwas anderes interessieren?“

Nicht für dich. „Gibt es hier ein Badezimmer, das ich benutzen könnte?“

Sobald ich gefragt hatte, fingen einige der Jungs an zu grölen, und ich wandte mich um, um zu sehen, was los war. Als ich es entdeckte, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Der gleiche Junge, mit dem ich als Letztes auf der Tanzfläche zusammengestoßen war, trank jetzt Kurze aus dem Mund eines Mädchens und ließ zwischen den Schlucken seine Zunge und Lippen über ihren Hals und ihre Brust gleiten. Sowie er mehr Salz auf sie streute, wurde mir auch klar, warum er sie abgeleckt hatte. Nach dem dritten Mal schaute er mir direkt in die Augen und zwinkerte mir zu, ehe er die Lippen um das vierte Glas schloss. Ich schüttelte den Kopf und wartete nicht einmal auf eine Antwort von Drew, ich machte mich einfach selbst auf die Suche nach einer Toilette. Nachdem ich hinter zwei Türen Paare beim Sex gestört hatte, erkundigte ich mich erneut nach einer Toilette. Nachdem ich das Badezimmer endlich gefunden hatte, sperrte ich hinter mir ab und versuchte mich zu beruhigen. Ich hatte vielleicht einige eklige Geschichten von meinen „Brüdern“ gehört, wenn sie versucht hatten, mich zu ärgern, als ich noch jünger gewesen war, aber von etwas zu hören und es dann mit eigenen Augen zu sehen sind zwei ganz verschiedene Dinge.

Ich blieb im Bad, bis die Leute anfingen, an die Tür zu hämmern, und huschte dann den Flur hinab. Dabei vermied ich es, in die Räume zu schauen, zu denen ich die Türen bereits geöffnet hatte. Kaum dass ich um die Ecke bog, prallte ich gegen einen muskulösen Oberkörper und landete fast auf meinem Hintern, doch der Typ konnte mich noch rechtzeitig auffangen.

„Das tut mir so leid, ich …“ Ich klappte den Mund zu, als ich hochblickte und wieder in diese tiefblauen Augen schaute.

Er lächelte, und für einen Moment ließ ich mich von seinen perfekten weißen Zähnen und seinen vollen Lippen ablenken. Als er den Kopf zur Seite neigte, sah ich ihn zuerst spöttisch und wenige Sekunden später sexy lächeln. So wie mein Herz anfing zu klopfen, hatte er diesen Verführerblick schon vor Jahren perfektioniert. „Und wer bist du?“

Ich blinzelte, riss den Blick von seinem Mund los und wollte an ihm vorbeigehen, doch er hielt mich immer noch fest.

„Was ist, bist du dir zu fein, um mir zu antworten?“

Ich dachte an die zwei Mädchen, mit denen ich ihn gesehen hatte, und mir fiel zum ersten Mal, seit ich mit ihm zusammengestoßen war, auf, dass eine weitere Blondine den Arm um seine Taille geschlungen hatte. Wow, drei Mädchen in einer halben Stunde. „Scheint so.“

Er und die große Blondine stießen einen verächtlichen Laut aus. Nachdem er meine Arme losgelassen hatte, verschränkte er seine vor der Brust. Dabei zeigte er noch mehr Muskeln und seine Tätowierungen, die an beiden Armen von seinen Schultern bis zum Ellenbogen reichten. Seine Haltung hätte einschüchternd wirken können, wenn sein Gesichtsausdruck nicht so schockiert und gleichzeitig so belustigt gewirkt hätte. „Entschuldige mal, Prinzessin?“

Die Augen zusammengekniffen, schob ich mich an ihm vorbei. „Ganz genau, entschuldige.“

Er ließ mich vorbei, und ich lief wieder nach draußen, wo harmlosere Aktivitäten als drinnen stattfanden. Bree hatte gesagt, dass wir die ganze Nacht bleiben würden, und ich weiß, es ist kindisch, aber ich wollte mich nur noch verstecken. Ich erspähte ein paar Stühle in einer dunklen Ecke des Gartens und ließ mich auf einen fallen. Offensichtlich würde ich kein Fan von Partys werden. Ich zog mein Telefon aus der Tasche und fing an, Carter zu schreiben.

Ich:

Also … ich verstehe echt nicht, was ihr an Partys so aufregend findet.

J. Carter:

Bist du auf einer?

Ich:

Jepp.

J. Carter:

Trinkst du?

Ich:

Ein bisschen.

J. Carter:

… sei bitte vorsichtig. Ich weiß besser als alle anderen, dass du auf dich selbst aufpassen kannst. Aber du hast noch nie Alkohol getrunken. Lass dir von niemandem ein Getränk geben, und lass deins nicht aus den Augen.

Ich:

Okay, Mom.

J. Carter:

Das ist mein Ernst, Blaze. Pass auf dich auf.

Über seinen Spitznamen für mich musste ich lächeln. Ich war bekannt dafür, rot zu werden, deshalb nannten sie mich „Feuersbrunst“.

Ich:

Mach ich. Vermiss euch jetzt schon.

J. Carter:

Wir dich auch. Niemand ist dieses Wochenende losgezogen, weil wir alle zu traurig sind, dass du weg bist.

Ich:

Das bezweifle ich. Wahrscheinlich bist du gerade bei einem Date und hast mich schon fast vergessen.

Wir schrieben uns stundenlang, und als Breanna mich endlich fand, stellte ich fest, dass die Party sich bereits dem Ende zuneigte.

„Harper! Was tust du hier ganz allein? Ich suche schon ewig nach dir.“

„Tut mir leid, ich bin wohl nicht so gut mit allem hier wie du.“

Schnaufend ließ sie sich in den Stuhl neben meinem fallen. „Du gewöhnst dich dran. Wenn du erst mehr Leute kennst, macht es dir auch Spaß. Hast du mit irgendwem geredet?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nachdem ich von dir weg bin, habe ich nur Drew und noch so einen Typen getroffen.“

„Hier waren jede Menge Typen. Soll das heißen, du hast in den letzten Stunden nur zwei bemerkt?“

„Das ist es nicht, er ist nur … auffällig, würde ich sagen.“ Nicht nur, weil er mir einen Spitznamen verpasst hatte, den ich schon mein ganzes Leben trug und hasste, sondern auch, weil er mit Abstand der attraktivste Junge war, den ich je gesehen hatte. Er hatte dieses heiße Bad-Boy-Ding an sich, und leider schien er das auch zu wissen.

„Echt? Wer ist der geheimnisvolle Typ?“

„Anscheinend ist er nicht so geheimnisvoll“, erwiderte ich lachend. „Ich habe ihn mit drei verschiedenen Frauen in nicht einmal dreißig Minuten gesehen. Und er war auch irgendwie ein Ekel.“ Nicht so richtig, doch ich mochte seine arrogante Art nicht.

„Klingt wie ein Typ nach meinem Geschmack!“

Schockiert starrte ich sie an.

„Nur ein Scherz, Harper! Nur ein Scherz! Meine Güte, macht es Spaß, dich aufzuziehen. Na ja, das soll nicht bedeuten, dass meine Hände nicht auch mit ein paar Jungs beschäftigt gewesen wären, aber das war wenigstens innerhalb von vier Stunden.“ Sie grinste und streckte mir im Aufstehen die Hand entgegen. „Komm mit, fast alle sind schon weg.“

„Fahren wir zurück zum Wohnheim?“

„Auf keinen Fall, du Verrückte! Ich fahre nie, wenn ich während der letzten drei Stunden getrunken habe. So lautet die Regel.“

„Okaaay … wo wollen wir dann hin?“

„Na, zuerst finden wir meinen Bruder, und dann schlafen wir bei ihm im Zimmer.“

„Was? Nein! Ich schlafe nicht in seinem Zimmer.“

„Bleib locker, Harp, nur du und ich schlafen dort. Ich bekomme nach diesen Partys immer sein Zimmer.“ Sie zog mich über den Rasen auf die Hintertür zu.

Ich stöhnte und versuchte, mit ihr Schritt zu halten, obwohl ich auf dem Weg fast meine Flipflops verlor.

„YYYEEEAAAH, Bree und das Frischfleisch bleiben heute über Nacht!“ Breanna schlenderte zu Drew und einem anderen Jungen, den ich noch nie gesehen hatte. Sie schenkten Kurze ein und blickten grinsend auf meine Brust.

„Ach was. Wenn das nicht unsere Prinzessin ist.“

Mein ganzer Körper verspannte sich, und ich bemerkte stirnrunzelnd, wie er auf mich zukam. Ich kniff die Augen zusammen und setzte ein falsches Lächeln auf. „Fast hätte ich dich ohne eine Schlampe am Arm nicht erkannt.“

Drew und der andere lachten.

Zu meinem Ohr herabgebeugt flüsterte er rau: „Möchtest du das ändern? Ich habe mein Ziel für die Nacht noch nicht erfüllt.“

Oh Gott, warum musste er so heiß sein? Seine Nähe brachte meinen Körper praktisch zum Vibrieren. Ich lehnte mich zurück und antwortete mit dem unschuldigsten aller Gesichtsausdrücke. „Oh, das tut mir leid, aber ich habe keine Geschlechtskrankheiten, ich bin also nicht dein Typ.“

Drew bekam einen Hustenanfall, und Breanna prustete ihren nächsten Kurzen über die ganze Anrichte. Hustend und spuckend fing sie sich endlich genug, um sich einzumischen: „Chase, von meiner Mitbewohnerin hältst du dich lieber fern. Ich habe den Jungs schon gesagt, sie ist tabu.“

Ich riss meinen Blick von ihm los, um Bree anzuschauen. „Kennst du den?“

Alle fingen an zu lachen, bis auf den Jungen, der neben mir stand. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen, und sein perfekter Mund stand ein Stück offen. Ich nahm an, Frauen erteilten ihm nicht sehr oft eine Abfuhr.

„Das will ich doch hoffen, er ist schließlich mein Bruder.“

Oh. Mist. Sofort breitete sich Hitze auf meinen Wangen aus, und ich wich einen Schritt von ihm zurück. Jetzt, da man es mir gesagt hatte, wusste ich, dass ich es hätte bemerken müssen. Sie hatten die gleichen blonden Haare, die gleichen blauen Augen und das gleiche umwerfende Lächeln.

„Moment. Harper, ist das der Idiot, von dem du erzählt hast?“

Verlegen senkte ich den Blick zu Boden.

„Du meintest, ich bin ein Idiot?“ Chase lachte und drehte sich zur Bar um. „Das sagt diejenige, die mich gerade praktisch eine dreckige Schlampe genannt hat.“

„Sei nicht so gemein zu meinen Freunden, Chase!“ Breanna trank noch einen Kurzen und boxte ihn dann gegen den Arm, auch wenn ich bezweifle, dass er davon etwas bemerkte.

Ohne ein weiteres Wort ging ich zurück zu meinem Stuhl in der dunklen Ecke des Gartens, und dort blieb ich, bis jemand die Musik ausstellte. Normalerweise lasse ich mich nicht so von Männern behandeln, aber ich fühlte mich schrecklich, weil ich dem Bruder meiner Mitbewohnerin etwas so Gemeines an den Kopf geworfen hatte. Ganz zu schweigen davon, dass wir uns gerade in seinem Haus befanden und in seinem Zimmer schlafen würden. Ich vergrub das Gesicht in den Händen, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, und stöhnte leise auf. Ich hätte einfach den Mund halten sollen. Als hätte er gewusst, dass ich an ihn dachte, ließ Chase sich auf den Stuhl neben meinem fallen. Ich ließ eine Hand sinken und schaute ihm in die dunkelblauen Augen.

„Versteckst du dich?“ Da war wieder dieses blöde sexy Lächeln.

„Ist das so offensichtlich?“

Er blickte sich im leeren Garten um und sah dann wieder mich an. „Ein wenig.“ Lässig streckte er die langen Beine aus. „Erzähl mal, was tut eine Prinzessin wie du auf meiner Party?“

Ich war nervös und biss mir auf die Zunge. „Ich habe keine Ahnung, was genau du meinst, aber man hat mich eingeladen.“ Das klang ein wenig barscher, als ich es gewollt hatte, doch ich hatte auch nicht vor, mich deswegen zu entschuldigen.

Sein Lächeln war verschwunden, und er schien sauer zu sein. „Man muss nicht eingeladen sein, um zu einer Party zu kommen, aber falls du es noch nicht bemerkt hast, du passt hier nicht gerade rein, Prinzessin.“ Er verzog das Gesicht.

Mir fiel die Kinnlade herunter. Ich war total perplex, aber er hatte recht: Ich passte nicht hierher. Dennoch war das so was von unhöflich. Wenn ich spitze Bemerkungen machte, konnte man das wenigstens am sarkastischen Tonfall erkennen.

„Wenn wir dich so sehr anwidern, kannst du nächstes Mal gern im Wohnheim bleiben.“ Schnell stand er auf und warf mir noch einen vernichtenden Blick zu, ehe er sich abwandte.

Ganz toll. Ich war kaum einen Tag in Kalifornien und hatte schon richtig viele Freundschaften geschlossen.

„Chase.“ Der Klang meiner Stimme ließ ihn innehalten. „Es tut mir wirklich leid, ich bin zu weit gegangen.“

Er drehte sich um und neigte den Kopf zur Seite. Als er mich einfach immer weiter verwirrt anblickte, fuhr ich fort: „Man hat mich dazu erzogen, nie jemandem nachzugeben, aber was ich gesagt habe, ging zu weit. Es tut mir leid. Ich kenne dich nicht, also sollte ich auch nicht über dich urteilen.“

Er lachte, und ich sah, wie seine Mundwinkel sich ein Stück hoben. Er schüttelte den Kopf, immer noch verwirrt und jetzt auch etwas erstaunt, ehe er um die Hausecke herum verschwand.

Das würde eine lange Nacht werden. Wenn ich irgendeine Ahnung gehabt hätte, wo wir waren, hätte ich versucht, zurück zum Wohnheim zu laufen.

„Haarrrrrpppeeeerrrr!“ Ich blickte hoch und entdeckte, wie Breanna aus der Hintertür getorkelt kam. „Harper, komm rein, alle sind weg!“

Als ich näher kam, hakte sie sich bei mir ein und führte mich zurück ins Wohnzimmer. „Und, hast du heute Abend irgendwen geküsst?“ Sie zog beide Augenbrauen hoch; sie schien Schwierigkeiten damit zu haben, sie auch oben zu behalten.

„Nein“, murmelte ich.

Der gleiche Junge, mit dem sie Kurze getrunken hatte, als ich gegangen war, brüllte aus der Küche: „Dabei kann ich helfen!“

Ich schüttelte den Kopf und wollte schon antworten, da kam Breanna mir zuvor: „Nein, nein, nein, ich habe euch doch gesagt, sie ist für euch tabu!“

„Ach komm, Bree, was soll das?“

Sie beugte sich vor und flüsterte laut: „Weil sie unberührt ist. Vollkommen. Unberührt.“

Ich öffnete den Mund und fasste nach ihrem Handgelenk, als sie mir mit dem Finger auf die Lippen klopfen wollte. „Breanna!“

Schnell riss sie die Hand zurück und legte den Finger auf die eigenen Lippen. „Pscht! Harper, verrat es ihnen nicht!“

Dafür war es ein wenig zu spät. Ich war total gedemütigt worden. Ich wollte wütend auf sie sein, aber sie konnte kaum noch stehen, und ich bezweifelte, dass sie sich am nächsten Tag noch an irgendetwas erinnern würde. Als ich aufsah, entdeckte ich vier Jungen, die dastanden und mich mit großen Augen anstarrten. Schließlich brachen sie in lautes Gelächter aus. Irgendwer musste mich dringend umbringen. Sofort. Nein, zuerst musste ich da raus. Dann musste mich jemand umbringen.

Einer der Typen, die ich noch nicht kannte, wischte sich Tränen aus den Augen. „Oh mein Gott! Prinzessin, ist das ihr Ernst?“

Wie schön, dass sie schon alle meinen liebsten Spitznamen übernommen hatten. Hatte ich etwas an mir, das schrie „Ich liebe Spitznamen“? Ich konnte nicht einmal antworten, mir schnürte sich die Kehle zusammen, und ich dachte schon, ich würde zum ersten Mal seit Jahren richtig weinen. Nachdem ich mich von Breannas Arm losgemacht hatte, schritt ich auf direktem Weg zur Eingangstür und wollte versuchen, den Weg zum Campus zurückzufinden. Abrupt blieb ich stehen, denn Chase versperrte den Flur, der zur Eingangstür führte. Er war der Einzige im Raum, der nicht lachte. Stattdessen hatte er die Lippen fest zusammengepresst und funkelte seine Schwester wütend an.

„Aus dem Weg. Bitte.“

Er bewegte sich, aber nur, um mich an den Schultern zu berühren und zurück ins Wohnzimmer zu schieben. Was hatte er vor? Ich stemmte die Fersen in den Teppich und wollte wieder in die andere Richtung verschwinden.

„Fass mich nicht an!“, zischte ich.

„Vertrau mir einfach“, flüsterte er mir ins Ohr und dirigierte mich an den anderen vorbei, die immer noch über Brees Ausrutscher lachten.

Als wir zu einem Flur kamen, den ich an diesem Abend noch nicht betreten hatte, rief einer der Jungs aus der Küche: „Sieht so aus, als würde Chase sich um dein Problem kümmern, Prinzessin!“ Daraufhin brachen alle erneut in hysterisches Gelächter aus.

Chase blieb eine Sekunde lang stehen, fluchte leise und zog mich dann wieder hinter sich her. Nachdem wir das Ende des Korridors erreicht hatten, blieb er vor einer Tür stehen und nahm einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, mit dem er aufschloss und mich dann ins Zimmer drängte. Als das Licht anging, blinzelte ich, bis ich merkte, dass wir uns in einem Schlafzimmer befanden. Entsetzt keuchte ich auf und versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien. Wenn ich mich nur ein Stück drehen könnte, läge er in Sekundenschnelle auf dem Boden. Aber Chase hielt mich so fest, dass ich mich überhaupt nicht rühren konnte.

„Nein! Lass mich los!“

„Nicht wenn du nicht aufhörst zu versuchen, mich zu schlagen!“

Ich hörte auf, blieb jedoch angespannt. Fast eine volle Minute wartete er, bis er meine Arme losließ. Kaum dass er es endlich getan hatte, wandte ich mich von ihm ab und wich zurück.

„Beruhige dich, Prinzessin.“ Er seufzte genervt. „Ich werde dir schon nichts tun.“

„Ich wünschte wirklich, du würdest aufhören, mich so zu nennen“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er verdrehte die Augen und trat an eine Kommode. Nachdem er mir ein Paar Basketball-Shorts zugeworfen hatte, lief er zurück zur Tür. „Zieh die an, ich komme gleich wieder.“

„Warum?“

„Wolltest du in deinem Rock schlafen?“ Er biss sich auf die Unterlippe, und sein Blick schien an meinen Beinen festzukleben. „Das würde mir nichts ausmachen, ich dachte nur, für dich wäre es unbequem.“

„Breanna hat gesagt, ich teile mir nur mit ihr ein Zimmer, und wenn das nicht geht, möchte ich lieber zurück ins Wohnheim.“

„Ich kann dir versichern, dass sie im Badezimmer pennen wird. Ich gebe dir eine Minute zum Umziehen, dann bin ich wieder da.“

„Ich schlafe hier nicht, wenn du auch da bist.“

„Hör zu. Du bist echt heiß, allein schon deswegen werden sie hinter dir her sein. Zusammen mit den paar Sätzen, die du bisher von dir gegeben hast und an denen ich erkennen kann, wie sarkastisch und süß du sein kannst, ist das eine verdammt verlockende Kombination. Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass sie liebend gern ändern würden, was sie gerade eben über dich erfahren haben. Wenn du also nichts dagegen hast, würde ich gern dafür sorgen, dass es nicht passiert.“

Er schlug die Tür hinter sich zu, und keine drei Sekunden später konnte ich hören, wie er die anderen in der Küche anbrüllte und Breanna erklärte, dass sie sich in dieser Nacht um sich selbst kümmern konnte. Ich stand in seinen Basketball-Shorts und Brees Spaghettiträger-Top da, als er zurückkam und hinter sich abschloss.

„Das war gemein, sie ist deine Schwester. Sie sollte heute auch hier schlafen.“

Fassungslos starrte er mich an. „Ist das dein Ernst? Du verteidigst sie noch, nach dem, was ihr gerade rausgerutscht ist?“

Ich zuckte mit den Schultern und legte meinen Rock auf einen Stuhl, ihm den Rücken zugekehrt, damit er nicht sehen konnte, wie meine Wangen schon wieder flammend rot wurden. „Sie ist betrunken. Wahrscheinlich hat sie es nicht mal gemerkt.“

„Das ist keine Entschuldigung.“ Seine Stimme war sanft, während er die Bettdecke aufschlug. „Komm, Harper, leg dich hin.“

Die Art und Weise, wie er meinen Namen aussprach, ließ mich erschauern, und ich musste mich anstrengen, den Blick von seinem mittlerweile nackten Oberkörper abzuwenden, während ich unter die Decke krabbelte. Selbst der kurze Blick auf seine muskulöse Brust und seine Bauchmuskeln brachte mein Herz zum Rasen. Nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte, fühlte ich, wie die Matratze unter seinem Gewicht nachgab, und setzte mich auf.

„Was machst du da?“

„Was meinst du?“

„Du kannst nicht hier zusammen mit mir schlafen!“

Leise lachte er. „Das ist mein Bett, ich bin mir ziemlich sicher, da kann ich tun, was ich will.“

Ich wusste, dass er mich nicht sehen konnte, und warf ihm dennoch einen finsteren Blick zu. Entschlossen schob ich die Decke von mir, griff nach einem Kissen und legte mich damit auf den Boden.

„Komm zurück ins Bett, Prinzessin.“

Verärgert über meinen Spitznamen schwieg ich. Ich spürte förmlich, wie sein Blick sich in meinen Rücken bohrte, und nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich Chase seufzen und das Bett quietschen. Ich wollte um eine Decke bitten, war allerdings zu stur. Und plötzlich befand ich mich mitten in der Luft.

„Du liebe Zeit! Lass mich runter!“

Er ließ mich auf die Matratze plumpsen und stieg über mich hinweg.

„Chase! Nein!“

„Sei mal locker, ich bleibe auf meiner Seite. Wir können sogar ein Kissen in die Mitte legen, wenn du dich dann besser fühlst.“

Ich grummelte und rutschte bis an den Rand. Da ich noch nie bei einem Jungen im Bett gelegen hatte, ließ mich Chases Nähe regelrecht am ganzen Körper zittern. „Ich schwör’s dir, wenn du mich anfasst, mache ich hier einen auf Loreena Bobbit.“

Er brauchte nicht lange, bis ihm einfiel, dass diese Frau ihren gewalttätigen Mann brutal kastriert hatte. Er drückte sich ein Kissen aufs Gesicht, um sein dröhnendes Lachen zu dämpfen. „Oh mein Gott! Prinzessin! Du bist mein neues Lieblingsmädchen!“

„Das sollte kein Witz sein.“

Sein Körper bebte noch immer, während er näher an mich heranrutschte und begann, meinen Arm zu streicheln. „Eines schönen Tages wirst du darum betteln, von mir angefasst zu werden.“

Ich wusste nicht, ob ich vor Lust oder Ekel erschauerte, aber ich blaffte ihn dennoch an und schlug seine Hand weg. „Das ist mein Ernst, Chase. Ich bin nicht wie die ganzen Mädchen, mit denen ich dich heute Nacht gesehen habe.“

„Das ist noch untertrieben.“ Er rollte sich zurück auf seine Seite des Bettes und seufzte. „Versuch zu schlafen, Prinzessin. Wir sehen uns morgen.“

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen riss ich die Augen auf, als ich merkte, wie mich etwas festhielt. Beim Hinabsehen entdeckte ich Tätowierungen auf einem muskulösen Unterarm, der eng um meine Taille geschlungen war, und erinnerte mich, dass ich die letzte Nacht im Bett von Chase verbracht hatte. Ich sprang so schnell unter seinem Arm und aus dem Bett heraus, dass mir der Kopf schwirrte. Mein Herz fing wieder an zu rasen, als ich Chases nackten Oberkörper betrachtete. Seine Tattoos reichten ihm bis zu den Schultern, und aus irgendeinem Grund wollte ich sie mit den Fingern nachzeichnen und meine Hände über seine definierten Brust- und Bauchmuskeln gleiten lassen. Du liebe Zeit, war dieser Mensch unglaublich schön.

Chase setzte sich auf und fluchte, bis er merkte, wer ich war. „Jesus, Prinzessin! Deinetwegen hab ich fast einen Herzinfarkt bekommen! Ich dachte, ich hätte ein Mädchen hier bei mir.“ Er ließ sich zurück ins Kissen fallen und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht.

Das brachte mich schlagartig in die Wirklichkeit zurück. „Chase?“

„Hmm?“

„Tut mir leid, dass es dir anscheinend nicht aufgefallen ist, aber ich bin ein Mädchen.“

Er senkte die Hände und musterte mich von oben bis unten. Meine Wangen waren knallrot, als er den Blick endlich wieder hob. „Ist mir letzte Nacht aufgefallen, darauf kannst du dich verlassen.“ Offensichtlich musste ich ihn angesehen haben wie ein Auto, denn er setzte schnell hinzu: „Ich meinte, ich dachte, ich hätte ein Mädchen die Nacht hier verbringen lassen.“

„Ähm …?“

„Jemand, mit dem ich Sex hatte, Prinzessin. Ich dachte, ich hätte ein Mädchen gevögelt und es hier schlafen lassen.“

„Oh.“

Er grinste. „Tut mir leid, war das zu viel für deine Ohren?“

„Nein, ich verstehe nur nicht, was daran so schlimm wäre.“

Tief seufzend stützte er sich auf einen Ellenbogen und sah mir direkt in die Augen. „Mädchen, die ich vögle, haben in meinem Zimmer nichts zu suchen. Das hier ist der einzige Ort, der mir allein gehört, und den werde ich bestimmt nicht mit denen teilen.“

„Dann schläfst du mit den Frauen und wirfst sie danach raus?“ Ich wollte lieber nicht einmal fragen, wo er mit ihnen schlief.

„Nein, ich vögle Frauen … und schmeiße sie dann raus.“

Kopfschüttelnd ging ich zur Tür. „Du bist ein Schwein.“

Er lachte einmal freudlos und sah mir nach.

Als ich im Wohnzimmer ankam, entdeckte ich Breanna mit einem der Hausbewohner am Küchentisch. Sobald sie mich sahen, verstummte ihr Gespräch. Ich hatte nicht gewusst, dass ich mich noch unwohler fühlen konnte, aber es schien so.

Zerknirscht sah Bree mich an, stand von ihrem Stuhl auf und zog mich ins Wohnzimmer. „Harper, es tut mir so leid. Brad hat mir gerade alles erzählt.“ Am Ende brach ihre Stimme. „Ich schwöre, ich würde nie absichtlich etwas tun, um dich zu demütigen. Ich weiß, wir haben uns gerade erst kennengelernt, aber ich habe mich wirklich darauf gefreut, mit dir zusammenzuwohnen, und ich fasse nicht, dass ich dich so verletzt habe, nachdem wir uns gerade erst getroffen haben.“

„Ist schon gut, ehrlich. Ich habe genug Geschichten gehört, um mir zu denken, dass du nicht wusstest, was du tust.“

„Das ist nicht in Ordnung! Du solltest mich hassen.“

Ich nickte und sah zu Brad hinüber, der mich angrinste. „Na ja, ich habe nicht vor, irgendeinen von diesen Typen jemals wiederzusehen, es hat also keinen Sinn, dich mit mir zusammen leiden zu lassen.“ Ich versuchte, die Situation mit einem Lächeln zu entschärfen.

Auch wenn ich immer noch gedemütigt war, hatte es mir noch nie gelegen, lange wegen etwas sauer zu sein, und ich wollte in diesem Augenblick bestimmt nicht damit anfangen. Ich war hergekommen, weil ich ein neues Leben anfangen wollte, und auch wenn ich anscheinend fünf Schritte rückwärtsgegangen war, war ich immer noch entschlossen, daraus die beste Erfahrung meines Lebens zu machen. Peinlicher Moment oder nicht, es war nicht so, als hätte ich in dem Augenblick viele Möglichkeiten gehabt. Entweder konnte ich mich vor den anderen verstecken oder den Kopf hochhalten und einfach weitermachen.

Sie sah immer noch bedrückt aus, und es fing langsam an, mir unangenehm zu werden. „Na ja, wenigstens hält mich niemand für ’ne Schlampe.“

Das entlockte ihr ein Lächeln, das zu einem leisen Lachen wurde. „Du bist so ein positiver Mensch, für den die Gläser immer halb voll sind, was?“

„Auf jeden Fall.“

Sie umarmte mich fest, ehe sie zurück zu ihrem Becher Kaffee ging, und sagte: „Lass mich dir wenigstens ein neues Outfit kaufen.“

„Okay, einverstanden. Aber bist du sicher, dass du heute dazu in der Lage bist? Ich hätte gedacht, du kommst kaum hoch nach letzter Nacht.“

„Süße, fürs Shoppen bin ich immer zu haben. Zieh dich um, ich bin fertig, wenn du es auch bist.“

Ich ging zurück in Chases Zimmer und fand es leer vor. Nachdem ich schnell seine Basketball-Shorts ausgezogen hatte, zog ich Brees Rock wieder an. Doch ehe ich ihn ganz hochgezogen hatte, ging die Tür auf, und Chase kam herein.

„Es ist wirklich schade, dass du niemanden diesen kleinen sexy Körper sehen lässt.“

Augenblicklich lief ich knallrot an. Schnell zog ich den Rock hoch und drehte mich zu ihm um.

„Beruhig dich, du hast nichts, was ich nicht schon gesehen hab.“ Er neigte den Kopf zur Seite und hob eine Augenbraue, bis sie unter seinen verwuschelten blonden Haaren verschwand. „Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, deinen auch noch zu sehen.“

„Leck mich.“ Ich schob mich an ihm vorbei zur Tür.

„Soll das eine Einladung sein?“

„Nicht einmal annähernd.“

Er packte mich an der Taille und zog mich gegen seine Brust, bevor er mir zuflüsterte: „Eines Tages wird es so weit sein, Prinzessin, das verspreche ich dir.“

Ich sah ihn noch einmal finster an. „Ich werde nie verzweifelt genug sein, dich zu wollen.“ Okay, das war gelogen. Mein Atem beschleunigte sich bereits, nur weil ich seinen muskulösen Körper an meinem spürte.

„Das werden wir ja sehen“, gab er lächelnd zurück.

Breanna und ich lagen auf unseren Betten im Wohnheim, nachdem wir einen epischen sechsstündigen Shopping-Trip hinter uns gebracht hatten. Wie versprochen hatte ich sie alle meine Outfits aussuchen lassen, und sie hatte für eines von ihnen bezahlt. Jetzt, da wir fertig waren, bereute ich, so viel Geld ausgegeben zu haben, aber ich hatte auch fünfzehn verschiedene Oberteile, vier paar Jeans, ein paar extrakurze Shorts und Röcke, drei sexy, aber süße Kleider und fünf Paar Schuhe gekauft. Nachdem wir damit fertig waren, ging es weiter zu Victoria’s Secret, und ich wurde die ganze Zeit immer verlegener, während wir durch den Laden gingen und sie mir ganz neue Schlüpfer, BHs und Nachtwäsche aussuchte. Als Letztes besuchten wir noch Sephora, wo wir mir quasi einen eigenen Make-up-Tresen zusammenkauften, nachdem Bree versprochen hatte, mir beizubringen, wie man das alles benutzte.

„Ich bin todmüde.“

„Aber das war es wert! Jetzt bist du endlich bereit fürs College.“

Mit einem Blick auf die Müllsäcke, in denen sich fast alle meine alten Klamotten befanden, fing ich an zu lachen und ließ mich zurück auf das Kissen fallen. „Ich glaube, du hast recht.“

„Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass du dich unter süßen Jungs wohler fühlst, und alles ist perfekt. Was ist dein Typ?“

Dein Bruder. „Äh, ich weiß nicht, ob ich einen Typ habe.“

„Dann hast du keine Vorlieben? Haarfarbe, Augenfarbe, Hautfarbe? Sportler, Streber, Musiker?“

Cooler Surfer, mit aschblondem zerzausten Haar, unfassbar blauen Augen und dem atemberaubendsten Lächeln, das ich je gesehen habe, und dann noch mit Tattoos übersät. Einen davon, bitte? „Nö, keine. Wir werden ganz von vorn anfangen müssen.“

Allein beim Gedanken an Chases Tattoos musste ich mir auf die Unterlippe beißen und mir vorstellen, wie ich mit dem Finger ihre Umrisse nachfuhr. Er war genau die Art von Junge, die Sir gehasst hätte, also fühlte ich mich natürlich sofort zu ihm hingezogen.

„Hey, Bree?“

„Ja?“

„Es gibt da etwas, das will ich irgendwie schon eine Wei… ach, weißt du, nein, vergiss es.“

Sie setzte sich auf und wippte auf den Knien. „Nein, so nicht! Jetzt musst du es mir verraten. Was willst du machen?“

„Na ja, so einiges. Aber alles auf einmal wäre wahrscheinlich keine so gute Idee. Ich sollte es langsam angehen lassen und besser darüber nachdenken.“

„Ich warte, Harper.“

Ich seufzte und rutschte bis an die Wand heran. „Ich möchte ein paar Piercings.“

„Pfft, ich hätte mit etwas Aufregenderem gerechnet.“ War ja klar, dass sie das nicht beeindruckte. Immerhin hatte sie in jedem Ohr vier Löcher.

Stirnrunzelnd sah ich sie an.

„Okay, okay. Was für Piercings willst du?“

„Ähm, ich weiß nicht, wie man sie nennt. Aber hier … und hier.“ Ich zeigte mit dem Finger auf meine Oberlippe und dann auf mein Ohr.

„Oh, niedlich! Das an der Lippe nennt man Monroe, und das am Ohr ist ein Tragus. Ich will auch schon so lange die Lippe gepierct haben! Sollen wir das irgendwann zusammen machen lassen?“

Ich sah auf den Boden, ehe ich ihr einen schrägen Blick zuwarf. „Könnten wir vielleicht jetzt gleich gehen? Nachdem ich achtzehn Jahre nie machen konnte, was ich wollte, bin ich jetzt irgendwie ungeduldig.“

„Harper, ich bin mir ziemlich sicher, wir werden beste Freundinnen werden.“ Ohne ein weiteres Wort sprang sie von ihrer unbezogenen Matratze auf und steuerte auf die Tür zu. Das sollte wohl heißen, es ging los.

Ich war wirklich froh, dass sie sich in der Gegend auskannte, denn sie fuhr direkt zu einem Tattoostudio, und nachdem wir uns kurz mit dem Piercer unterhalten hatten, saßen wir auch schon in seinem Zimmer und suchten uns die Stecker aus, ehe ich auch nur darüber nachdenken konnte, ob es vielleicht doch keine so gute Idee war. Überraschenderweise war ich nicht einmal nervös, bis ich auf seinem Stuhl saß und er mir mit Punkten die Einstichstellen markierte. „Oh mein Gott, Breanna, ich brauche deine Hand.“

Sie lachte und kam zu mir geschlendert.

„Lach nicht, du bist als Nächste dran.“ Das brachte sie zum Schweigen.

„Okay, jetzt einmal tief einatmen“, sagte der Piercer, „unnnnnd wieder aus.“ Nachdem er mit meinem Ohr fertig war, packte er eine neue Kanüle aus und machte mit meiner Lippe weiter. „Noch mal tief einatmen … und wieder aus.“

Mir standen Tränen in den Augen, aber es war zum Glück vorbei. Ich sah in den Spiegel und fing an, breit zu lächeln. Ich liebte die neuen Piercings einfach.

„Oh mein Gott, die sind perfekt für dich! Ahh. Jetzt freue ich mich richtig auf meins!“ Bree hatte sich ebenfalls für ein Tragus-Piercing entschieden, wir bekamen also beide zwei, aber sie hatte gemeinsam mit dem Piercer entschieden, dass ihr bei ihrer Mundform eines an der Unterlippe besser stehen würde.

Nach weiteren zehn Minuten war auch sie beinah fertig und bereute ihren Spott, als sie im letzten Augenblick doch noch nach meiner Hand griff und zudrückte, bis ich dachte, sie schnitte mir für immer die Blutzufuhr ab. Wir bezahlten und rannten zum Auto, um uns noch ein letztes Mal in den Spiegeln an der Sonnenblende zu bewundern, ehe wir abfuhren.

„Werden deine Eltern sauer?“

„Was? Auf keinen Fall. Hast du meinen Bruder gesehen? Sie lieben seine Tattoos, die Piercings werden ihnen kaum was ausmachen. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie nie sauer auf mich werden, egal, wie sehr ich’s auch versuche.“ Sie lachte. „Lass mich raten, dein Daddy wird richtig angepisst?“

„Ha! Ja, ich bin mir fast sicher, er würde sie rausreißen. Zum Glück fahre ich erst in zehn Monaten wieder nach Hause!“

„Zehn Monate?! Was machst du in den Winterferien?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Hierbleiben. Das wird auch nicht viel anders, als bei ihm zu sein. Wir verbringen nicht viel Zeit miteinander, auch wenn wir uns im gleichen Haus befinden.“

„Manno, Harper, du hattest echt eine total deprimierende Kindheit, oder?“

„Nicht wirklich, ich meine, was anderes habe ich ja nie gekannt. Ich dachte, das wäre normal, bis wir vor ein paar Wochen angefangen haben, uns E-Mails zu schreiben.“ Ich glaube, ich sollte aufhören, über meine Vergangenheit zu reden, weil ich damit alle immer nur zu deprimieren scheine. „Also … Abendessen?“

Sie lächelte und drehte sich zu mir um. „Du kannst Gedanken lesen, Mitbewohnerin. Komm, wir holen ein paar Burger, und dann können wir heute Nacht bei mir zu Hause schlafen. Morgen bringen wir dann mein ganzes Zeug ins Wohnheim.“

3. KAPITEL

Nach der Orientierungswoche hatten die Kurse am darauffolgenden Montag angefangen, und die erste Woche war wie im Flug vergangen. Breanna und ich mochten unsere Professoren sehr, und es sah zum Glück auch so aus, als würden sie nicht zu viel von einem verlangen. Ich hatte keinen der Jungs aus Chases Haus wiedergesehen, aber das war meine eigene Schuld, weil ich ihnen aus dem Weg gegangen war. Bree aß immer mit ihnen zu Mittag, und auch wenn ich mir die ersten drei Tage eine Ausrede hatte einfallen lassen, war ich es langsam satt, allein in meinem Zimmer zu essen. Ich hätte es nie laut zugegeben, aber nachdem Bree am Morgen zu ihrem ersten Kurs gegangen war, hatte ich mich dreimal umgezogen und mir besonders viel Mühe mit meinem Make-up gegeben. Allein schon bei dem Gedanken daran, Chase wiederzusehen, zitterte ich am ganzen Körper, und ich musste erst noch einen ganzen Kurs durchhalten – zum Glück hatte ich an dem Tag nur einen, und es war der letzte der Woche. Gerade als die Stunde zu Ende war, bekam ich eine Textnachricht von meiner Mitbewohnerin, die sichergehen wollte, dass ich auch wirklich kommen würde, weil sie mir bereits einen Platz reserviert hatte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Hey, hey! Was geht, Prinzessin?“

„Prinzessin! Wo bist du mein ganzes Leben lang gewesen?“

Ich verkniff mir ein Aufstöhnen und lächelte den Jungen zu, als ich mich auf den Platz neben Bree sinken ließ und versuchte, mir meine Enttäuschung darüber, dass Chase nicht dabei war, nicht anmerken zu lassen. Gerade als ich damit fertig war, mir Vorwürfe zu machen, weil ich extra Zeit dafür verschwendet hatte, perfekt auszusehen, tauchten zwei Hände neben meinem Teller auf. Ich spürte, wie sich eine harte Brust gegen meinen Rücken presste, und fühlte warmen Atem am Ohr.

„Hast du dich vor mir versteckt, Prinzessin?“ Er musste lachen, als er spürte, wie ich erschauerte.

„Warum, hast du mich vermisst?“

„Natürlich. Du bist doch mein Lieblingsmädchen, weißt du nicht mehr?“ Er rieb die Nase an meinem Hals und ließ mich beinah dahinschmelzen wie Butter in der Sonne.

Ich seufzte dramatisch und wich vor ihm zurück. „Leider kann ich nicht behaupten, dass du mein Liebling bist.“

„Bist du dir da sicher?“ Er tippte mit dem Finger auf meinen Arm, der von einer Gänsehaut überzogen war.

„Chase! Hör auf, sie zu nerven, und setz dich hin.“

Ich blinzelte zu Breanna hinüber und erinnerte mich plötzlich, dass wir noch mit anderen Leuten am Tisch saßen. Chase nahm einige Stühle von mir entfernt Platz, sodass ich froh war, wieder klar denken zu können. Ich sah mich am Tisch um und entdeckte Chases vier weitere Mitbewohner, zwei Mädchen, von denen ich wusste, dass sie die Freundinnen von Brad und Derek waren, und ein weiteres, das ich noch nie gesehen hatte, das mich aber feindselig anstarrte. Nachdem ich ihr einen finsteren Blick zugeworfen hatte, fuhr ich mit der Inventur des Tisches fort. Neben Chase saßen zwei weitere Jungen, die ich auf der Party gesehen hatte, deren Namen ich aber nicht kannte, und ihnen gegenüber beobachtete mich ein Paar grauer Augen. Ich senkte den Kopf und sah auf meinen Salat hinunter, dann zählte ich bis fünf, ehe ich den Blick langsam wieder hob, nur um den Typen in ein Gespräch mit Chase vertieft zu sehen. Den Kopf ein wenig weiter hebend, damit ich besser sehen konnte, bemerkte ich sein kurz geschorenes Haar, sein warmes Lächeln und ein einzelnes Grübchen in seiner rechten Wange, als er so schallend lachte, dass der ganze Tisch es hörte. Er war etwas größer als Chase, und so wie sich sein T-Shirt über Brust und Schultern spannte, hätte ich gewettet, dass seine Muskeln perfekt waren. Lieber Gott, und ich dachte, Chase wäre der attraktivste Junge, den ich je gesehen hatte. Dieser Mensch war … einfach nur … wow.

„Hast du etwas gesehen, das dir gefällt?“ Interessiert folgte Bree meinem Blick.

„Was? Nein.“

„Ja klar, deswegen kaust du wie verrückt auf deiner Lippe rum. Er sieht dich gerade wieder an.“

Ich hob den Kopf so schnell, dass der geheimnisvolle Fremde grinsen musste, als unsere Blicke sich begegneten. Ich spürte, wie mir die Wangen brannten, und zwang mich, den Blick zu senken und Bree anzusehen.

„Woher wollen wir wissen, dass er nicht dich ansieht?“

„Ha! Wusste ich doch, dass du ihn anstarrst.“ Sie grinste und nahm einen riesigen Bissen von ihrem Burger.

„Wow, wie attraktiv von dir.“

Sie versuchte, trotz der riesigen Menge in ihrem Mund zu reden. „Du bist nur neidisch, weil du dir nicht auch einen geholt hast.“

Ich sah auf meinen Salat hinab und verzog das Gesicht. Mein Magen machte gerade so viele Purzelbäume, dass ich bezweifelte, überhaupt etwas essen zu können. „Weißt du, wie er heißt?“, flüsterte ich in ihre Richtung. Ehe sie antworten konnte, mischte Drew sich ein.

„Also, Prinzessin, wieso haben wir dich so lange nicht zu sehen bekommen? Es ist fast zwei Wochen her, oder? Ich fühle mich so ungeliebt.“

Ich lachte und verdrehte die Augen. „Oh, tut mir leid, ist deiner Freundin schon die Luft ausgegangen?“

Am ganzen Tisch brach Gelächter aus, und Derek klopfte ihm auf den Rücken, während er versuchte, nicht sein Getränk durch Mund und Nase zu prusten. Ein paar der Jungs fingen an, sich über „Mindy, die Puppe“ lustig zu machen, und ich war froh, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen.

Bree beugte sich wieder zu mir und flüsterte: „Er heißt Brandon, er wohnt auch mit den Jungs zusammen, aber er war nicht auf der Party.“

„Dann kennst du ihn gut?“ Ich wollte ihn so gern wieder ansehen, aber auch nicht riskieren, erneut dabei erwischt zu werden, ihn anzustarren.

„Nicht so richtig, er ist erst im dritten Jahr und hat bis zum letzten Semester im Wohnheim gewohnt. Ich habe ihn erst letzte Woche beim Mittagessen kennengelernt.“

„Erst im dritten Jahr?“, fragte ich verwirrt.

„Ja, die anderen sind alle in der Abschlussklasse.“

„Oh.“ Ich sah zu ihr hoch, deutete aber mit meinem Blick auf Brandon. „Läuft da irgendwas …?“

Sie lächelte und stieß mich an, ehe sie sich wieder gerade hinsetzte. „Ich hab schon auf ein paar andere Jungs ein Auge geworfen.“

Ich nickte und erinnerte mich, dass sie die ganze Woche in unserem Zimmer über ein paar Jungs geredet hatte, die mit ihr die gleichen Kurse besuchten. Als ich meinen Namen hörte, hob ich den Kopf und entdeckte, dass Chase, die Gabel auf halbem Weg zum Mund und den Kiefer fest zusammengepresst, Brandon mit Blicken zu töten schien, während der sich mit einem der Jungen ihm gegenüber unterhielt. Als Chase damit fertig war, ihn im Geiste auf Millionen verschiedene Arten zu ermorden, richteten sich seine Augen auf mich, und sein ganzes Gesicht schien sich zu entspannen. Er nickte mir kaum merklich zu und aß weiter.

„Heute Abend steigt ’ne Party, kommt ihr?“

Bree stieß einen verächtlichen Laut aus. „Meinst du das ernst, Zach? Wann bin ich schon mal nicht dabei gewesen?“

„Prinzessin?“

Bree antwortete für mich. „Natürlich kommt sie auch.“ Dann flüsterte sie mir zu: „Es wird ganz anders als die erste. Wahrscheinlich sind nicht mal zwanzig Leute da. Die großen Partys sparen sie sich für freitagnachts auf.“

„Na schön“, murmelte ich.

„Ich freu mich drauf, wieder mit dir in einem Bett zu schlafen, Prinzessin.“

Ich warf Chase einen tadelnden Blick zu, und er sah Brandon an. Sogar ich konnte erkennen, dass er ihn herausfordernd betrachtete.

„Danke, aber ich schlafe lieber mit einer aufblasbaren Puppe.“

Finster sah er mich an, und ich hatte Mühe, seinem Blick standzuhalten. Ist es schlimm, dass ich an nichts anderes denken konnte als daran, wie seine Lippen sich auf meinen anfühlen würden? Ehe ich zu lange darüber nachdenken konnte, kam das Mädchen, das mich vorhin so böse angesehen hatte, um den Tisch herum und setzte sich auf seinen Schoß. Sie presste den Mund auf seinen Hals und ließ die Lippen hinauf zu seinem Kiefer wandern. Sofort umfasste er ihre Hüften, ließ mich dabei aber keine Sekunde aus den Augen.

„Ich lege mich gern mit dir ins Bett, Chase.“ Ihre piepsige Stimme löste einen Brechreiz in mir aus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht einmal mit fünf so gesprochen habe.

Während sie ihn weiter abschleckte, wagte ich einen Blick in Brandons Richtung und bemerkte, dass er mich eingehend betrachtete. Es war nicht unangenehm, und es dauerte nicht annähernd so lange, wie ich es gern gehabt hätte. Ich hätte stundenlang dasitzen und ihn ansehen können. Ich war es nicht gewohnt, Gefühle für einen Jungen zu haben, und jetzt konnte ich nicht aufhören, zwischen ihm und Chase hin- und herzuschauen. Schmetterlinge im Bauch bei dem einen, heiße Schauer bei dem anderen. Fast musste ich lachen, als mir aufging, wie dumm es war, irgendetwas für Chase zu empfinden. Die Brünette auf seinem Schoß war der lebende Beweis dafür. Und von Brandon wusste ich überhaupt nichts. Bis auf sein Lachen hatte ich noch nicht einmal seine Stimme gehört. Mann, wie lächerlich, der eine war eine Schlampe, und mit dem anderen hatte ich noch kein einziges Wort gewechselt.

Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, nahm ich meine Tasche und war schon ein paar Schritte gegangen, als eine rauchige Stimme meinen Namen rief. Ich blieb nicht stehen, drehte mich aber um und entdeckte, wie Brandon um den Tisch herum auf mich zukam und wie Chase den Kopf der Brünetten von sich wegdrückte und uns nachsah. Sie ließ sich nicht beirren und machte einfach an seinem Hals weiter.

Nachdem er mich eingeholt hatte, streckte er die Hand aus. „Wir kennen uns noch nicht, ich bin Brandon Taylor.“

Lieber Gott, diese Stimme könnte mich noch am kältesten Tag des Jahres wärmen. „Harper Jackson, freut mich sehr.“

Lächelnd hielt er mir die Tür auf. „Mich auch. Du scheinst die anderen gut zu kennen, auch wenn wir uns jetzt zum ersten Mal sehen. Man hat mir erzählt, du bist Brees Mitbewohnerin?“

„Äh, ja. Das bin ich, aber ich kenne die alle eigentlich nicht sehr gut. Vor heute habe ich kaum zehn Minuten mit ihnen geredet.“

„Wirklich?“ Seine Mundwinkel fingen an zu zucken. „Dann machst du wohl in sehr kurzer Zeit einen sehr großen Eindruck.“

„Oh, Eindruck habe ich auf jeden Fall auf sie gemacht“, murmelte ich.

Fragend sah er mich an, aber ich schüttelte nur den Kopf, damit er nicht weiter nachhakte. Wir blieben stehen, als wir an die Gabelung kamen, die mich zu meinem Wohnheim und ihn zu seinem Seminarraum führen würde. Ich drehte mich zu ihm um und genoss schamlos den Anblick seiner abgetragenen Jeans, die tief auf seinen schmalen Hüften saß, und seines gut sitzenden schwarzen T-Shirts, ehe ich mich wieder seinem Gesicht zuwandte. Beim Rausgehen war mir nicht aufgefallen, wie groß er war, aber er überragte mich um mindestens einen Kopf. Seine Größe und seine Muskeln weckten in mir den Wunsch, mich in seine Arme zu schmiegen. Immerhin hatte ich den Eindruck, als würde ich perfekt dorthin passen. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe und sah dabei zu, wie er mit seinen wolkengrauen Augen langsam meine zierliche Figur musterte. Es fühlte sich nicht an wie auf der Party, als die Jungs mich wie eine heiße Mahlzeit angesehen hatten. Unter seinem Blick fühlte ich mich schön, und es brachte mich zum Beben, dass er ihn auf mich gerichtet hatte. Zum Beben? Reiß dich zusammen, Harper, du bist ihm gerade erst vor zwei Sekunden begegnet.

„Komm, Prinzessin, gehen wir.“ Chase packte mich am Arm und wollte mich fortzerren.

„Chase! Hör auf!“ Ich entriss ihm meinen Arm und sah ihn wütend an. „Was ist dein Problem?“

„Ich bringe dich und Bree zum Haus, und du musst noch fürs Wochenende packen, also los.“ Erneut griff er nach mir, aber ich wich seiner Hand aus.

„Fürs Wochenende, was?“

„Ihr schlaft bei mir, geh packen.“

Ich kniff die Augen zusammen und drehte mich zu Brandon um. „Na schön, warte kurz.“

„Harper.“

„Verschwinde, Chase. Wir treffen uns gleich im Zimmer. Geh Bree suchen.“

Er stellte sich dichter hinter mich, also seufzte ich nur und schenkte Brandon ein mittelmäßiges Lächeln. „Tut mir leid, anscheinend muss ich gehen. Sehen wir uns heute Abend?“ Ich weiß nicht, warum ich überhaupt fragte, immerhin wohnte er dort.

Ein sexy Lächeln erhellte seine Miene, als er schnell die Hand ausstreckte, um mir über den Arm zu streichen. „Bis dann.“ Nachdem er Chase knapp zugenickt hatte, drehte er sich um und ging.

Steif marschierte ich an Chase vorbei und sah ihn auf dem ganzen Weg zu meinem Zimmer nicht an. Er stand im Türrahmen, während Bree und ich fürs Wochenende packten, was ich unangenehm fand, weil ich Bree so nicht fragen konnte, welche Outfits ich tragen sollte. Ich warf einfach alles zusammen, was sie beim Einkaufen besonders gut gefunden hatte, dazu Unterwäsche, Shorts zum Schlafen, Make-up und alles, was ich im Badezimmer hatte. Erst dann sagte ich wieder etwas zu ihm.

„Sei ein Schatz und trag die für mich, ja?“ Wut schwang in meiner Stimme mit, und er schien das auch noch lustig zu finden.

Ich versuchte, mich an ihm vorbeizuschlängeln, aber er hielt mich an der Taille fest und zog mich dicht an sich. Sein warmer Atem streifte mein Ohr, als er flüsterte: „Für dich tue ich doch alles, Liebling.“

Mein Herz fing heftig an zu pochen, und mir zitterten die Knie. Eine Sekunde zu lang blieb ich in seinen Armen, und das merkte er. Ich stieß ihn von mir, sobald ich das selbstgefällige Grinsen auf seinem Gesicht entdeckte. „Mensch, du kotzt mich echt an.“

„Moment mal, hast du gerade ‚kotzt‘ gesagt? Ich bin mir nicht sicher, ob das noch meine Prinzessin ist.“ Er lachte, als ich ihn nur wütend anfunkelte und dann zum Parkplatz davonstürmte.

Sobald wir im Haus angekommen waren, begann Bree auch schon mit irgendeinem Jungen in Chases Zimmer zu telefonieren, und Chase und ich waren allein. Da ich mich nicht mit ihm abgeben wollte, griff ich mir die Fernbedienung, machte es mir auf dem Sofa bequem und suchte nach irgendetwas anderem, das meine Aufmerksamkeit beanspruchen konnte. Ich sah absichtlich kein einziges Mal in seine Richtung. Seufzend zappte ich noch ein paarmal durch alle Programme, ohne etwas Interessantes zu finden, und schaltete dann einfach irgendwelche Nachrichten an. Sir wäre so stolz auf mich gewesen.

Ich hasste es, dass ich wusste, wann Chase mich ansah und wo im Raum er sich gerade befand. Warum musste meine Haut wegen so eines Jungen wie ihm zu kribbeln anfangen? Nicht, dass es mir nicht gefiel. Schließlich war er, um ehrlich zu sein, alles, an das ich die letzten zwei Wochen hatte denken können. Aber ich hatte von den Leuten an der Schule schon alles über seinen Ruf und seine vielen One-Night-Stands gehört, und laut den Geschichten, die seine Schwester mir erzählt hatte, sollte ich mit jemandem wie ihm wirklich nicht zusammen sein wollen. Er war immer wieder mit verschiedenen Frauen zusammen, ich wusste, dass das, was in der Mensa passiert war, für ihn vollkommen normal war, und laut Bree hatte er seit vier Jahren keine Beziehung gehabt, weil das „einfach nicht sein Ding war“. Anscheinend sahen die Mädchen es als Ehre an, überhaupt mit ihm zusammen gewesen zu sein, und ich hätte es gehasst, eine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten zu sein. Er kam zur Couch herüber, und ich versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen, als er meine Beine hochhob, sich hinsetzte und sie dann zurück in seinen Schoß legte. Es gab keinen Grund, ihn merken zu lassen, wie sehr seine Nähe mich aus der Fassung brachte.

„Wie ich sehe, übt meine Schwester bereits einen schlechten Einfluss auf dich aus.“

Nicht, dass ich ein tiefschürfendes Gespräch erwartet hätte, aber damit hatte ich nicht gerechnet. „Will ich überhaupt wissen, wovon du redest?“

„Davon.“ Er beugte sich vor und legte mir den Zeigefinger auf die Lippen. Verflucht seien die blöden Schauer, die mich immer durchliefen, wenn er mich berührte.

„Wieso, gefällt es dir nicht?“

„Das habe ich nie behauptet, es ist verdammt heiß.“ Langsam ließ er den Finger meinen Hals hinabgleiten, ehe er sich grinsend aufsetzte. „Ich bin nur enttäuscht, weil du dich jetzt schon von ihr zu Sachen überreden lässt. Ich hätte nicht gedacht, dass du jemand bist, der so leicht nachgibt.“

Schnell zog ich die Knie an die Brust, damit wir uns nicht länger berührten. „Nicht, dass dich das etwas anginge, aber ich war es, die die Piercings wollte und damit angefangen hat. Ich wusste nicht, dass sie auch welche will, und ich würde mich bestimmt von niemandem zu so etwas überreden lassen. Schön zu wissen, dass du so viel von mir hältst.“ Damit stand ich auf und ging zu seinem Zimmer, nur um vor verschlossener Tür zu stehen. Ich wollte nicht zurückgehen und mich ihm stellen müssen, aber wie ein Idiot auf dem Flur herumstehen wollte ich auch nicht. Ich hörte sein Handy klingeln und dann, wie seine Stimme sich entfernte, als er nach draußen ging. Erst dann entschied ich mich, wieder auf die Couch zuzusteuern. Ich hatte mich kaum hingesetzt, als er auch schon neben mir stand und mir das Telefon entgegenstreckte.

„Ist für dich.“ Er hatte die Lippen fest zusammengepresst, und ich bemerkte, dass sein Kiefer vor Anspannung zuckte.

„Ha…hallo?“

„Tut mir leid, dass ich Chase dazu benutzen musste, aber ich wollte mit dir reden.“

Ich sah auf das Telefon und entdeckte Brandons Namen auf dem Bildschirm. Lächelnd hielt ich es mir wieder ans Ohr und machte es mir auf dem Sofa bequem. „Das macht nichts, wie geht es dir?“

„Ich habe ein paar Stunden Zeit vor meinem letzten Kurs, möchtest du vielleicht einen Kaffee mit mir trinken?“

Ich wollte so etwas sagen wie Ja, bitte! Nichts täte ich lieber, als dir die nächsten paar Stunden beim Lächeln zuzusehen! Stattdessen entschied ich mich für die schlichtere Variante. „Klingt gut. Sollen wir uns irgendwo treffen, oder …“ Wusste er, dass ich kein Auto hatte?

„Ich bin gerade auf dem Weg nach Hause, in fünf Minuten bin ich da.“

„Bis dann.“ Ich lächelte und reichte das Telefon an Chase zurück, dessen Miene wie versteinert war. Schnell rannte ich zurück zu seinem Zimmer und hämmerte fest an die Tür, bis Bree aufschloss.

„Brandon kommt gleich, und wir gehen zusammen Kaffee trinken!“, quietschte ich fast.

„Ich rufe dich zurück!“ Sofort legte sie auf und zeigte mit dem Finger auf mich. „Ich wusste es!“

„Du wusstest, dass er anruft?“

„Nein, ich wusste, dass du ihn magst!“

Ich verdrehte die Augen. „Bree, ich kenne ihn doch gar nicht.“

„Aber du würdest gern?“

„Äh, du hast ihn schon gesehen, oder?“ Er war beinah übertrieben gut aussehend und hatte dieses gewisse Etwas, das die Schmetterlinge in meinem Bauch wild durcheinanderflattern ließ. „Und dieses Lächeln! Oh mein Gott …“

„Schätzchen, du bist schon so was von verknallt.“

„Mist, Bree, ich bin so nervös. Ich weiß nicht, wie man mit Jungen redet.“

„Mit Chase und den anderen schaffst du es doch ganz gut …“

„Schon, aber das ist, weil ich sie größtenteils nervig finde. Brandon ist das bisher nicht, und außerdem sieht er unglaublich gut aus.“ Ich lächelte, als sie mir den Ellenbogen in die Rippen stieß.

„Versuch einfach, ihn genau wie die anderen zu sehen. Sie mögen dich alle, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er schon total in dich verschossen ist, also musst du dir überhaupt keine Gedanken machen!“

„Wenn du meinst. Sehe ich okay aus?“

„Ja, natürlich! Ich wollte es dir schon beim Mittagessen sagen, du siehst fantastisch aus!“

Ich lachte darüber, dass ich mich noch am Morgen für Chase zurechtgemacht hatte und auf einmal aufgeregt war, weil ich mit Brandon Kaffee trinken ging. Und mit „aufgeregt“ meinte ich nervös bis zum Platzen.

„Was ist so lustig?“

Upps. „Nichts.“

Das kaufte sie mir nicht ab.

„Es ist nur so, dass ich noch nie mit jemandem ausgegangen bin“, log ich, „deswegen bin ich ganz aufgeregt wegen des Kaffeetrinkens. Ich komme mir blöd vor, weil ich schon achtzehn bin und noch nie ein richtiges Date hatte.“

„Ich hab so das Gefühl, dass das nicht lange so bleiben wird.“ Genau in dem Augenblick hörten wir Brandon nach mir rufen. „Wir sehen uns, wenn du zurück bist!“

Ich atmete tief durch, ehe ich das Zimmer verließ, um ihn zu treffen. Hitze stieg mir in die Wangen, als er mich anlächelte. Mussten alle hier ein so perfektes Lächeln und so schöne Zähne haben? Glücklicherweise hatte ich die Zähne meiner Mutter geerbt, sie sahen von Natur aus so aus, als hätte ich jahrelang eine Spange getragen.

„Bist du so weit?“

Ich nickte und neigte den Kopf, um die Röte auf meinen Wangen zu verstecken. Leider war das auch so ein Ding, das ich von meiner Mutter geerbt hatte – schnell zu erröten. Ich folgte ihm nach draußen und sprang auf den Beifahrersitz seines schwarzen Jeeps, der aussah, als wäre er perfekt für Geländefahrten geeignet. Viel Gelegenheit zum Reden gab es nicht, wenn ich nicht ständig meine Haare im Mund haben wollte, also saß ich still da, bis wir auf den Parkplatz einbogen. Ich wollte die Tür öffnen, hielt aber inne, als Brandons Hand meine berührte.

„Warte“, sagte er breit grinsend, ehe er aus dem Wagen sprang und auf meine Seite joggte, um mir die Tür zu öffnen.

Gefährliche Kombination! Er sah aus wie ein Model und benahm sich wie ein Gentleman. Ich hob eine Augenbraue und lächelte. „Vielen Dank.“

„Ist doch selbstverständlich.“ Er strich mir die Haare hinters Ohr und erwiderte mein Lächeln, während er mich eingehend betrachtete. „Vielleicht sollte ich das Verdeck wieder zumachen.“

Entsetzt sah ich ihn an und riss die Augen auf.

„Oh! Nein, ich meinte nicht, dass es schlimm ist. Im Gegenteil, ich schwöre.“

Plötzlich fand ich den Straßenbelag äußerst faszinierend.

Brandon legte mir die Hand unters Kinn und hob es an. „Harper, es tut mir leid, wie das geklungen hat. Du warst schon das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe, aber ich schwöre dir, so wie dein Haar jetzt aussieht …“ Er verstummte, und seine Augen fingen an zu lodern. „Ich muss dir bestimmt die Männer vom Leib halten.“

Er hatte gesagt, ich wäre schön. Ich lächelte ihn breiter an und stopfte das Haargummi zurück in meine Handtasche. „Das bezweifle ich, aber danke.“

Brandon schüttelte den Kopf und führte mich zum Eingang, eine Hand in meinem Rücken. Ich wollte, dass er mich mit diesen großen Händen anfasste, wollte ihre Wärme auf mir spüren. Aber er ließ immer eine kleine Lücke und führte mich nur. Wir holten unsere Getränke und gingen wieder hinaus, um uns auf die Terrasse zu setzen, ehe wir wieder miteinander redeten. Es war schön, dass er nicht krampfhaft versuchte, Konversation zu machen, außerdem gab mir das etwas Zeit, meine Nerven zu beruhigen.

„Also, erzähl mir etwas von dir“, fing er an.

„Was willst du wissen?“

„Alles.“ Er hob einen Mundwinkel, bis sein Grübchen schwach zu erkennen war.

Ich zuckte mit den Schultern. „Da gibt es nicht viel zu erzählen, mein Leben ist bisher ganz schön langweilig gewesen.“

Er lachte leise, ehe er nachhakte: „Okay, also: Familie?“

„Ich bin bei meinem Vater aufgewachsen und habe keine Geschwister. Er hat mich mein ganzes Leben zu Hause unterrichtet, wahrscheinlich damit er mich im Auge behalten konnte.“

„Moment mal, du bist zu Hause unterrichtet worden?“

„Ja …?“

„Tut mir leid, du siehst nur überhaupt nicht so aus, wie ich mir solche Leute vorstelle.“

Ich lachte. Und fragte mich, ob er das auch gedacht hätte, wenn er wüsste, wie ich noch vor ein paar Wochen ausgesehen hatte. „Das soll wohl ein Kompliment sein?“

„Wo war deine Mom?“, erkundigte er sich lächelnd und überging damit charmant meine Frage.

„Sie ist bei meiner Geburt gestorben.“ Ich hatte erwartet, dass es ihm unangenehm wäre und er anfangen würde, sich überschwänglich zu entschuldigen, stattdessen wurde sein Blick weicher, und sein Mund verzog sich kaum merklich zu einem noch herzlicheren Lächeln.

„Mein Vater ist auch nicht mehr bei uns. Er saß in einem der Flugzeuge, die ins World Trade Center geflogen sind.“

Mein Herz zog sich zusammen. Ich habe nie verstanden, warum die Leute Mitleid mit mir hatten. Natürlich tat es weh zu wissen, dass ich meine Mutter nie kennengelernt hatte, aber so blieb es mir auch erspart, sie zu verlieren. Sie war schon fort. Aber so etwas? Ich könnte Brandons Leid nie nachvollziehen, und ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte, es zu versuchen, aber ich wollte es lindern. Was ich allerdings genau wusste, war, dass er mein Beileid jetzt nicht gebrauchen konnte, also streckte ich einfach meine Hand über den Tisch aus und legte sie auf seine. Er beschrieb kleine Kreise auf meinem Daumen, die meine ganze Hand zum Lodern brachten.

„Erzähl mir von ihm.“

Er sah zu mir hoch, und bei seinem Anblick stockte mir der Atem. Wenn man einen so männlichen Menschen als schön beschreiben konnte, dann war sein Gesichtsausdruck genau das.

„Er war unglaublich. Hat hart gearbeitet, war aber immer zum Abendessen bei uns zu Hause. Hat meiner Mutter jedes zweite Wochenende Blumen mitgebracht und nie eines unserer Turniere verpasst. Er hat mir beigebracht, wie man Football spielt und surft. Er hat dafür gesorgt, dass wir wussten, wir können alles haben, solange wir nur hart genug dafür arbeiten. Als ich noch kleiner war, wollte ich immer genauso werden wie er. Alle haben ihn geliebt, er war ein großartiger Mann.“

„Klingt auch so. Ich bin mir sicher, er wäre sehr stolz auf dich.“

Er lächelte, lehnte sich im Stuhl zurück und sah mich eindringlich an.

„Was?“

„Das hat mir noch nie jemand gesagt. Normalerweise sagen mir die Leute, wie leid es ihnen tut, und es ist ihnen unangenehm. Es ist peinlich, und ehrlich gesagt habe ich es ziemlich satt.“

„Macht es dir etwas aus, dass ich gefragt habe?“

„Überhaupt nicht. Es ist schön, über ihn zu reden. Spricht dein Dad jemals über deine Mom?“

„Ähm, eigentlich nicht. Gerade genug, um mich wissen zu lassen, dass ich ihn zu sehr an sie erinnere. Für mich hat das nie einen Sinn ergeben. Er hat mich immer im Auge behalten, zum Beispiel indem er mich zu Hause unterrichtet hat, aber er hat immer klar und deutlich gesagt, wie wenig er mich wollte.“ Schnell schloss ich den Mund, ehe ich noch mehr sagen konnte. Als er nicht um eine weitere Erklärung bat, atmete ich erleichtert aus.

„Na ja, Pech für ihn.“

„Kommst du hier aus der Gegend?“

„Ich stamme aus Arizona, südlich von Phoenix. Die Familie von meinem Dad wohnt aber nicht weit von hier, deswegen hat es mich auch hergezogen.“

„Siehst du sie viel, wenn du hier zur Schule gehst?“

Er zuckte mit den Schultern und neigte den Kopf zur Seite. „Normalerweise einmal im Monat. Was ist mit dir?“

„Mein Dad war schon vor meiner Geburt im Marine Corps. Er ist in Camp Lejeune stationiert.“

„Und was bringt dich an die SDSU?“ Er beugte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch.

„Willst du eine ehrliche Antwort?“

„Natürlich.“

„Ich wollte so weit wie möglich von zu Hause weg, und ich liebe das Meer und den Strand. Und außerdem ist es nicht sehr weit von einem Stützpunkt entfernt, und nur deswegen war Sir einverstanden.“

„Ich bin jedenfalls froh, dass du hier bist, Harper.“

In meinem Bauch begann es zu kribbeln. „Ich auch“, brachte ich leise hervor.

Wir blieben die nächsten eineinhalb Stunden dort und redeten über alles – von unseren Lieblingsfilmen über Essen, über die Schule bis hin zu unseren Sehnsüchten. Mit Brandon konnte man sich gut unterhalten, und ich hatte das Gefühl, dass Breanna recht hatte. Ich war bereits in ihn verknallt. Und zwar heftig!

4. KAPITEL

Als ich zurück im Haus war, übernahmen Breanna und ich Chases Zimmer, um uns für den Abend zurechtzumachen. Ich entschied mich für ein Paar Hotpants aus Jeans und ein schwarzes T-Shirt, das eine Schulter frei ließ und das ich einfach liebte. Ich wählte einen neutralen Lidschatten und legte Eyeliner und etwas Mascara auf, ehe ich meine Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Bree trat zu mir und brachte meine Haare wieder etwas durcheinander, ehe sie meinen Look absegnete.

„Bist du aufgeregt, das Wochenende mit Brandon zu verbringen?“

Mein Herz raste, und ich lächelte wie ein Idiot, wenn ich nur seinen Namen hörte. Dann sah ich meine linke Hand an, die immer noch kribbelte, weil Brandon sie auf dem ganzen Rückweg zu Chases Haus gehalten hatte. „Ja! Ich hoffe nur, er denkt nicht, dass irgendetwas passiert, nur weil ich hier übernachte.“

„Du meinst passiert passiert, oder habe ich was nicht mitbekommen?“

„Nein, ich bin mir ziemlich sicher, du liegst richtig.“

„Es ist nicht so, als würdest du bei ihm schlafen. Wir übernachten dieses Mal beide hier.“

Ich nickte, sah zur Tür und dann wieder zurück zu ihr. „Meinst du, die anderen verraten es ihm?“

„Verraten ihm was?“

„Dass ich noch Jungfrau bin?“ Den letzten Teil flüsterte ich, weil ich nicht wusste, ob er schon wieder zu Hause oder wo sein Zimmer war.

Sie stieß einen verächtlichen Laut aus und griff nach ihrem Parfüm, um uns beide einzunebeln. „Und wenn schon. Es ist genauso, wie du gesagt hast: Wenigstens bist du keine Schlampe, und glaub mir, wenn ich dir eins sage, Harper … Jungs gefällt es zu wissen, dass ein Mädchen nicht leicht zu haben ist.“

Wir hörten, wie die Stimmen im Wohnzimmer lauter wurden, also warfen wir noch einen schnellen Blick in den Spiegel und gesellten uns zu den anderen. Bree behielt recht. Es waren nur ungefähr zwanzig Leute da, und sie alle standen im Augenblick um die Bar, wo Zach einen riesigen Drink hinunterkippte. Ich sah mich um, entdeckte Chase, der den Kopf am Hals irgendeines Mädchens vergraben hatte, und Brandon, der aus einem der Flure kam. Wir lächelten uns gegenseitig breit an, als er sich neben mich stellte.

„Hey, Schönheit.“

Mein Herz sprang mir fast aus der Brust. „Wie war dein Kurs?“ Ich stieß ihm sanft den Ellenbogen in die Seite.

„Lang, aber ich bin froh, für diese Woche fertig zu sein.“

„Ich auch, es wird schön, immer drei Tage zum Entspannen frei zu haben.“

Er nickte und beugte sich dichter zu mir herab. „Und ihr beide seid das ganze Wochenende hier?“ Ich entdeckte den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen.

„Wenigstens bis Samstag.“ Ich versuchte, mich nicht an ihn zu lehnen, als ich den Duft seines Rasierwassers wahrnahm. Zwar wusste ich nicht, welches Parfum es war, aber es passte perfekt zu ihm.

„Kann ich dich was fragen?“ Er warf einen Blick über die Schulter, ehe er mir wieder in die Augen sah.

„Natürlich.“

„Läuft da was zwischen Chase und dir?“

Ich lehnte mich zurück und schaute ihm ins Gesicht. War das sein Ernst? „Nein … warum?“

Brandon senkte den Blick. „Nur so. Ich war nur neugierig.“

Mein Lächeln verblasste. „Brandon. Was ist passiert?“

„Nichts.“ Er stand einen Augenblick da und hielt meinem Blick stand, ehe er nachgab. „Nachdem ich dich hier abgesetzt hatte, hat er angerufen und mir gesagt, ich soll die Finger von dir lassen.“

„Was?“

„Ja, er hat gesagt, du bist vergeben, und mich schon wieder daran erinnert, dass du in seinem Bett geschlafen hast und es dieses Wochenende wieder tun wirst.“

Vergeben? Wohl kaum. Ich deutete auf Chase, der seinem Mädchen gerade die Zunge in den Hals steckte, und lachte. „Sag du es mir, sieht es so aus, als würde da irgendetwas laufen?“ Ich ging weiter ins Wohnzimmer hinein, und er folgte mir. „Und was das Schlafen in seinem Bett angeht, er meinte, er müsste mich vor den anderen ‚beschützen‘, und ich schwöre dir, da ist nichts gelaufen.“

„Schläfst du dieses Wochenende wieder bei ihm?“ Er klang nicht wütend oder besitzergreifend, nur neugierig.

„Wahrscheinlich, aber Bree wird auch da sein. Er wird nicht einmal im gleichen Zimmer sein.“ Das hoffte ich jedenfalls.

„Und du bist sonst mit niemandem zusammen?“

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