The Payback Affairs - Die Familie Kincaid und das Testament der Liebe (3teilige Serie)

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"Niemals!" Rand Kincaid kann nicht fassen, was sein Vater testamentarisch verfügt hat: Damit "Kincaid Cruise Lines" nicht an die Konkurrenz fällt, muss Rand für zwölf Monate mit Tara Anthony zusammenarbeiten - mit der Frau, von der er sich vor fünf Jahren getrennt hat, weil sie ihn betrogen hat! Als Rand seiner ehemaligen Assistentin wieder begegnet, ballt er die Hände zu Fäusten. Nein, auf ihr sexy Lächeln wird er nicht hereinfallen. Er zwingt sich, den Blick von ihren aufregenden Kurven zu wenden. Dann macht Tara ihm ein Angebot, das zu verlockend ist ...

Wenn es Nacht wird in Miami

Mitch Kincaid hat genaue Vorstellungen von seiner Mrs. Perfect: liebevoll, sexy, ein atemberaubend schöner Körper … und auf keinen Fall Carly Corbin! Denn die kühle Blondine ist garantiert genauso intrigant wie ihre Schwester, deren Affäre mit Mitchs Vater nicht ohne Folgen geblieben ist. Doch ob er will oder nicht: Mitch muss ein Jahr lang mit seinem kleinen Halbbruder - und Carly - in der Familienvilla wohnen, sonst ist das Erbe der Kincaids verloren. Und schon am Tag knistert es heiß zwischen Mitch und Carly. In den Nächten kann er für nichts garantieren …

Und plötzlich warst du wieder da

Gespannt beobachtet Nadia Kincaid ihren neuen Nachbarn durch den Türspion. Zwar sieht sie sein Gesicht nicht, aber er ist blond, groß, breitschultrig, teuer gekleidet … Ob dieser Mann endlich Abwechslung in das langweilige Apartmenthaus bringt? Immerhin muss Nadia es hier noch fast ein Jahr aushalten, so hat es ihr Vater in seinem Testament festgelegt. Vielleicht sollte sie ihren neuen Nachbarn mal zum Essen einladen, bei Kerzenschein und einem Glas Wein könnten sie sich unterhalten … Verträumt lächelt Nadia vor sich hin - bis er sich umdreht und sie Lucas erkennt!


  • Erscheinungstag 09.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508674
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Emilie Rose

The Payback Affairs - Die Familie Kincaid und das Testament der Liebe (3teilige Serie)

Emilie Rose

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2008 by Emilie Rose Cunningham
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 192009 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Thomas Hase

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-459-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

PROLOG

„Ihr Vater hat mit seinem letzten Willen verfügt, dass Sie zu Kincaid Cruise Lines zurückkehren und dort für mindestens ein Jahr die Geschäftsführung übernehmen. Und noch etwas …“ Richards, der Notar und Anwalt der Familie, machte eine bedeutungsvolle Pause und sah Rand Kincaid dabei über seine schmale Brille hinweg an. „Ihr Vater wünschte außerdem, dass Sie Tara Anthony in die Firma zurückholen und sie zu Ihrer persönlichen Assistentin in der Geschäftsleitung machen.“

Die Worte trafen Rand wie ein Keulenschlag. „Zum Teufel, nein!“, polterte er los. „Das kommt überhaupt nicht infrage.“

Richards zeigte sich gänzlich unbeeindruckt von der Reaktion. Er kannte die Familie Kincaid schon lange und war solche Ausbrüche gewohnt, nicht zuletzt durch jenen Everett Kincaid, dessen Testament er gerade eröffnete.

„Für den Fall, dass Sie diese Bedingungen nicht erfüllen“, fuhr er ungerührt fort, „verwirken Sie nicht nur Ihren Erbteil, sondern auch den Ihrer Geschwister Mitch und Nadia. Und das gilt für jeden von Ihnen“, wandte er sich an alle drei Hinterbliebenen. „Wird eine der Auflagen dieses Testaments nicht erfüllt, hat Ihr Vater bestimmt, der Firma Mardi Gras Cruising die gesamte Hinterlassenschaft zum symbolischen Preis von einem Dollar zu verkaufen, sprich: die Kincaid-Firmengruppe, das geschäftliche und private Immobilienvermögen einschließlich des Familienstammsitzes Kincaid Manor sowie das Wertpapierdepot.“

Dieser Mistkerl, dachte Rand. Er sprang von seinem Sessel auf und ging, um sich abzureagieren, ein paarmal in dem großen Esszimmer von Kincaid Manor auf und ab, in dem die Testamentseröffnung stattfand. Rand blickte zu seinem Bruder Mitch und seiner Schwester Nadia hinüber. Besonders Mitch konnte er ansehen, dass er seinen Ärger und seine Enttäuschung nur mit Mühe im Zaum hielt.

Die Geschwister trafen sich an diesem Tag zum ersten Mal wieder. Fünf Jahre lang hatten Nadia und Mitch nichts von Rand gehört. Er hatte weder geschrieben noch angerufen – noch auf ihre verschiedenen Versuche reagiert, mit ihm in Kontakt zu treten. Demzufolge erwarteten sie auch nicht, dass Rand sich auf diese Bedingungen im Testament ihres Vaters einlassen würde. Rand würde der Familie erneut den Rücken kehren, wie er es schon vor fünf Jahren getan hatte. Damals hatte er allerdings auch mit Rücksicht auf Mitch und Nadia das Weite gesucht, denn er wollte nicht, dass die beiden weiterhin zwischen die Fronten des sich verschärfenden Kleinkriegs gerieten, den er jahrelang mit seinem Vater ausgefochten hatte.

Rand befand sich in einer Zwickmühle. Er konnte seine Geschwister dieses Mal nicht im Stich lassen. Mit einem Ruck drehte er sich um und sah den Notar an. „Jeden – nur nicht Tara Anthony.“

Allein ihren Namen auszusprechen brachte ihn zur Weißglut. Diese kaltblütige und berechnende Person! Erst hatte sie ihm ihre Liebe gestanden und gesagt, sie wollte den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen. Und keine drei Wochen später, als sie gemerkt hatte, dass er nicht heiraten wollte, hatte sie ihr Glück kurzerhand bei seinem Vater versucht.

„Es tut mir leid, Rand“, erklärte Richards sachlich, „aber der Verstorbene hat darauf bestanden. Niemand anders als Miss Anthony kommt infrage.“

Rand überraschte das nicht. Es war typisch für den Despoten Everett Kincaid und dessen geradezu krankhaften Drang, alles und alle nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Rand war dabei immer schon sein liebstes Opfer gewesen. Was Rand auch besaß, was ihm lieb und teuer war, Everett hatte es ihm weggenommen oder ihm die Freude daran verdorben – nur um seinem Sohn seine Überlegenheit zu beweisen. Und das hatte Everett nicht nur im Geschäft getan, sondern auch früher im Sport oder später bei den Frauen. Bis er es eines Tages zu weit getrieben hatte …

„Und wenn Miss Anthony den Job ablehnt?“

„… müssen Sie sie davon überzeugen, ihn anzunehmen. Wenn Sie das Erbe behalten wollen, bleibt Ihnen keine Wahl.“

Rand kochte regelrecht vor Wut. „Ich werde das Testament anfechten.“

Richards Miene blieb unbewegt. „Jede Anfechtung führt unweigerlich dazu, dass Sie alle drei Ihr Erbe verlieren.“

Rand verspürte das Bedürfnis, irgendetwas an die Wand zu werfen. Der alte Fuchs hatte kein Schlupfloch übersehen, bevor ihn – wahrscheinlich im Bett einer seiner Geliebten – der Schlag getroffen hatte. Trotzdem war Rand nicht bereit aufzugeben.

Er stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und beugte sich zu dem Notar. „Richards, Sie müssen doch einsehen, dass das unmöglich das Testament eines Mannes sein kann, der seine Sinne beisammen hatte.“

„Er war nicht verrückt“, antwortete Mitch, bevor Richards etwas sagen konnte. „Er war vollkommen klar, sonst hätte ich es gemerkt. Schließlich habe ich jeden Tag mit ihm zusammengearbeitet. Und wenn du hier gewesen wärst, wäre dir auch nichts Ungewöhnliches an ihm aufgefallen.“

Ein leiser Vorwurf schwang in Mitchs letztem Satz mit.

Nadia stimmte ihrem Bruder zu. „Wir wissen alle, wie Dad war: starrsinnig, unsensibel, rücksichtslos – such es dir aus. Nur eines war er ganz sicher nicht: verrückt.“

Rand drehte sich zu seinem Bruder um. „Und warum sagst du nichts dazu, Mitch? Du bist doch eigentlich an der Reihe, Boss der Kincaid Cruise Lines zu werden.“

Resigniert zuckte Mitch die Achseln. „Was soll’s. Dad wollte dich.“

Rand stieß einen verächtlichen Laut aus. „Du warst immer seine erste Wahl. Ich war bloß sein Fußabtreter.“ Er wandte sich an seine Schwester: „Diese Einer-für-alle-Nummer ist doch einfach lächerlich. Sein ganzes Leben hat er damit verbracht, uns gegeneinander auszuspielen.“

„Tja, und nun sieht es so aus, als wollte Dad uns zu guter Letzt doch zusammenbringen“, erwiderte Nadia.

Richards machte sich mit einem Räuspern bemerkbar und schaltete sich in das Gespräch ein: „Ich möchte anmerken, dass Everett Kincaid vor allem in den letzten Monaten seines Lebens eingestanden hat, dass er Fehler gemacht hat. Er hegte aber die große Hoffnung, dass seine Kinder ihm einmal helfen würden, diese Fehler wiedergutzumachen.“

„Wahrscheinlich hatte er Angst, sonst in aller Ewigkeit in der Hölle zu schmoren. Und das zu Recht“, erwiderte Rand gereizt. Trotzdem war ihm klar, dass er in der Falle saß. Sein Vater hatte es wieder einmal geschafft, ihn genau dahin zu bekommen, wo er ihn haben wollte.

Was immer du mit deinen Spielchen bezweckst, alter Mann – dieses Mal sorge ich dafür, dass du nicht damit durchkommst.

Auch wenn das bedeutete, Tara Anthony wiederzusehen.

Rand straffte die Schultern und sah Mitch an. „Ich mache es. Ich übernehme den Chefsessel bei KCL. Und ich werde Tara ein Angebot machen, das sie nicht ausschlagen kann.“

1. KAPITEL

Die Türklingel schrillte durch die hohe Eingangshalle. Tara Anthony, die gerade dabei war, nach einem anstrengenden und eintönigen Arbeitstag ihre Pumps abzustreifen, hielt inne. Einen Augenblick erwog sie, das Klingeln zu ignorieren. Aber es war zwecklos. Sie war gerade erst angekommen, und wer immer vor der Tür stand, musste gesehen haben, wie sie ins Haus gegangen war. Seufzend hielt sie sich am Geländerpfosten fest und zog sich die Schuhe wieder an. Ungeduldig wurde ein weiteres Mal geklingelt.

Wahrscheinlich war das wieder einer dieser Grundstücksmakler, die ihr schon seit geraumer Zeit die Tür einrannten, um ihr das Haus abzuschwatzen, dachte Tara. Das Viertel von Miami, in dem Taras Haus lag, wurde als Wohngegend immer beliebter, und deshalb war Baugrund sehr gefragt. Aber Tara wollte nicht verkaufen. Und sie konnte es auch nicht. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, das Haus zu behalten. Für alle Fälle …

Widerwillig ging sie zur Tür, bereit, den Besucher, wer immer es war, so schnell wie möglich abzuwimmeln, damit sie endlich zu ihrem wohlverdienten Feierabend kam, für den sie sich ein leckeres Eis zum Abendessen und ein entspannendes Vollbad vorgenommen hatte.

Als sie die Tür öffnete und den groß gewachsenen, breitschultrigen und gut aussehenden Mann vor sich sah, blieb ihr der Mund offen stehen.

„Rand“, rief sie fassungslos aus und wich vor Schreck einen Schritt zurück.

Rand Kincaid trug einen taubengrauen maßgeschneiderten Anzug und eine bordeauxrote Seidenkrawatte. Eine leichte Abendbrise fuhr ihm durch das dunkelbraune Haar. Kritisch musterte er Tara von Kopf bis Fuß.

Die widersprüchlichsten Gefühle stürzten auf Tara ein. Scham, Schmerz, ohnmächtige Wut, unverhofft aber auch eine freudige Erregung. Tara war völlig verwirrt. Am meisten irritierte sie, dass sie sich zurückhalten musste, um dem unerwarteten Besucher nicht gleich um den Hals zu fallen.

„Darf ich hereinkommen?“

Seine tiefe männliche Stimme ging ihr immer noch durch und durch. Dabei waren die letzten Worte, die sie von ihm gehört hatte, alles andere als freundlich gewesen. Tara hatte sie noch gut im Ohr: Du hast es wohl ziemlich eilig, was? Versuchst du jetzt dein Glück bei Dad, nachdem du bei mir nicht landen konntest?

Tara schlang sich die Arme um den Leib. Nie mehr im Leben wollte sie an diesen furchtbaren Moment denken.

„Was willst du, Rand?“

Er wirkte ungewohnt steif, fast ein wenig schüchtern, wie er so dastand. Anscheinend war ihm bei diesem Wiedersehen genauso unbehaglich zumute wie ihr. „Es geht um den Letzten Willen meines Vaters“, erklärte er.

„Ich habe davon gehört, dass er gestorben ist. Mein Beileid.“

Rand wirkte nicht gerade erschüttert über den Verlust. „Nun, in seinem Testament wird auch dein Name genannt.“

„Er hat mir etwas hinterlassen?“, wunderte sich Tara. Rand presste die Lippen aufeinander. „Nein, das nicht. Es geht um eine Klausel, die auch dich betrifft. Wird sie nicht

erfüllt, hinterlässt er niemandem von uns etwas.“

Das klang auf eine beinahe lächerliche Art melodramatisch. Tara runzelte die Stirn, denn sie kannte Rand nicht als jemanden, der zu Übertreibungen neigte. Nervös strich sie sich durch die blonden Locken. Ob ihm auffällt, dass meine Haare jetzt kürzer sind?, fragte sie sich. Oder hat er inzwischen so viele Frauen gehabt, dass er sich nicht mehr daran erinnert, wie ich früher ausgesehen habe?

Damals hatte sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt, obwohl sie gehört hatte, dass er, was Frauen betraf, nicht den besten Ruf genoss. Aber sie war mit ihren vierundzwanzig Jahren noch dumm und unerfahren gewesen. Das hatte sich entscheidend geändert. In der Zeit danach hatte sie ihre Mutter langsam und qualvoll sterben sehen, und es kam ihr so vor, als hätten diese bitteren Erfahrungen sie nicht fünf Jahre, sondern Jahrzehnte altern lassen. Sie sollte Rand Kincaid hinauswerfen und endgültig aus ihrem Leben streichen. Aber nun war die Neugier doch stärker.

Tara trat einen Schritt zurück. „Komm herein“, sagte sie.

Als er dicht an ihr vorbeiging und das Haus betrat, merkte sie, dass er immer noch dasselbe Aftershave benutzte wie früher. Erinnerungen wurden wach – schöne, bittere. Nicht einmal drei Monate hatte ihre Affäre gedauert. Dann hatte er sie, Tara, fallen lassen. Nein, das zu behaupten war nicht fair. Er hatte ihr von Anfang an zu verstehen gegeben, dass er an einer dauerhaften Bindung kein Interesse hatte, und letztendlich hatte sie das Ende selbst herbeigeführt. Sie hatte ihn im Überschwang ihrer Gefühle nahezu erdrückt. Sie hatte ihn total überfordert, damals aber einfach nicht anders gekonnt. Er war der Mann ihrer Träume gewesen: witzig, intelligent, sexy, aufmerksam und im Bett einfach überragend.

Tara fragte sich, ob es anders mit ihnen ausgegangen wäre, hätte sie damals den Mund gehalten und einfach ihrer Freude am Sex freien Lauf gelassen, bis sich vielleicht ein wenig mehr Vertrauen zwischen ihnen aufgebaut hätte. Aber dazu war es nun zu spät.

Rand sah sich in der Halle um und warf einen Blick in die angrenzenden Zimmer. „So wohnst du jetzt also? Sieht ganz anders aus als früher in deiner Wohnung“, bemerkte er.

Er hatte also nicht alles vergessen. Kein Grund zum Jubeln, dachte Tara. Was besagte das schon? Natürlich sah es hier anders aus als in ihrer damaligen Wohnung. Hier standen die schweren, alten Möbel, die sie geerbt hatte, und nicht die leichten Korbmöbel, mit denen sie sich in ihrer ersten eigenen Wohnung eingerichtet hatte „Es ist das Haus meiner Mutter. Davor haben meine Großeltern hier gewohnt.“

„Ist deine Mutter zu Hause?“

„Sie ist gestorben.“

„Das tut mir leid. Jetzt kürzlich?“

„Vor einem Jahr.“ Rands Anteilnahme klang ehrlich, und Tara war dankbar dafür. Ihr Schmerz über den Verlust war noch frisch. Dennoch wurde sie allmählich ungeduldig. „Ich nehme nicht an, dass das ein Kondolenzbesuch ist. Könntest du mir also bitte sagen, was du von mir willst? Ich habe heute Abend noch etwas vor.“

Das war geschwindelt. Die Monate seit dem Tod ihrer Mutter waren einsam gewesen und die wenigen Versuche, dieser Einsamkeit zu entkommen, kläglich gescheitert. Sich mit einem Mann zu verabreden kam für sie nicht infrage, nachdem Rand sie verlassen hatte. Ein oder zwei Mal hatte sie es versucht und fühlte sich hinterher leerer und verlassener als zuvor.

Im Wohnzimmer angekommen, blieben sie beide stehen. Die Spannung zwischen ihnen war deutlich zu spüren. „Das Testament meines Vaters“, begann Rand umständlich, „bestimmt, dass ich zu Kincaid Cruise Lines zurückkehren und dort die Geschäftsleitung übernehmen soll.“

„Zurückkehren? Wieso das? Hattest du denn bei KCL aufgehört? Ich dachte, die Firma wäre dein Lebensinhalt.“

„Ich habe fünf Jahre für die Konkurrenz gearbeitet.“ Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.

Tara betrachtete die dunklen Bartstoppeln an seinem Kinn, die seit der morgendlichen Rasur nachgewachsen waren. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sich seine Haut angefühlt hatte, wenn sie ihn gestreichelt und geküsst hatte. Schnell schüttelte Tara die Erinnerung ab.

„Und das ist nicht alles“, fuhr Rand fort. „Mein Vater verlangt in seinem Letzten Willen, dass du für mindestens ein Jahr ebenfalls wieder zu KCL kommst – als meine persönliche Assistentin.“

„Wieso ich? Und wenn ich nun nicht will?“

„Wenn du es nicht machst, werden wir nicht erben. Mitch und Nadia würden dadurch ihren Job, Kincaid Manor und alles andere verlieren.“

Tara erschrak. Nadia war jahrelang ihre Freundin gewesen, wahrscheinlich die beste, die sie jemals gehabt hatte. Als die Beziehung mit Rand auseinandergebrochen war, war auch zwischen ihnen ein Riss entstanden. Und als Everett Kincaid Tara sein „unmoralisches Angebot“ gemacht hatte, hatte sie es einfach nicht mehr gewagt, Nadia oder irgendjemandem in der Familie unter die Augen zu treten.

„Was hat Everett damit bezweckt? Ich verstehe es immer noch nicht. Warum soll ich meinen alten Job als Assistentin der Geschäftsleitung wieder aufnehmen?“

„Wer kann schon verstehen, was in diesem alten Querkopf vorging? Er hat uns schon zu Lebzeiten nach seiner Pfeife tanzen lassen. Wahrscheinlich hat ihm der Gedanke gefallen, das über seinen Tod hinaus fortzusetzen.“ Rands Worte klangen bitter.

„Kann man rechtlich nichts dagegen unternehmen und das Testament anfechten?“

Rand schüttelte den Kopf. „Ich habe ein ganzes Rudel von Juristen darauf angesetzt, die besten, die ich finden konnte. Sie haben es Wort für Wort auseinandergenommen, aber alles ist wasserdicht. Mein Angebot lautet: Wenn du den Job annimmst, zahle ich dir zehntausend Dollar im Monat plus Bonus.“

Mit großen Augen sah Tara ihn an. „Du machst Witze, oder?“

„Keineswegs.“

Das war das Doppelte von dem, was sie früher als Everetts persönliche Assistentin bei KCL verdient hatte. Und mehr als dreimal so hoch wie ihr gegenwärtiges Gehalt.

Nachdem sie damals gegangen war, hatte es vier Monate gedauert, bis sie wieder einen Job gefunden hatte. Sie besaß damals weder Arbeitszeugnis noch Empfehlungsschreiben und hatte auch nicht den Mut gehabt, danach zu fragen. Am Morgen nach Everetts „Angebot“ war Tara einfach nicht mehr zur Arbeit gekommen und hatte auch danach keinen Fuß mehr in die Firma gesetzt – nicht einmal um ihren Schreibtisch auszuräumen. Ihre persönlichen Sachen waren ihr später von einer Nachfolgerin in einem Pappkarton zugeschickt worden.

Als sie schließlich eine neue Arbeitsstelle gefunden hatte, war Tara in dieses Haus gezogen. Die Arbeitszeiten waren flexibel, und so konnte sie besonders während der furchtbaren Zeit der Chemotherapie für ihre Mutter sorgen. Nach deren Tod hatte Tara häufiger mit dem Gedanken gespielt, sich einen neuen Job zu suchen. Kürzlich hatte sie einen neuen Chef bekommen, einen arroganten Widerling, der Taras flexible Arbeitszeiten so interpretierte, dass sie ihm vierundzwanzig Stunden an sieben Tagen in der Woche zur Verfügung stehen sollte.

Andererseits schockierte sie der Gedanke, wieder mit Rand zusammenzuarbeiten, ihm jeden Tag zu begegnen – nach der Vorgeschichte, die sie beide hatten … Energisch schüttelte Tara den Kopf. „Tut mir leid, aber ich bin nicht interessiert.“

„Fünfzehntausend“, sagte Rand, ohne zu zögern.

Tara verschlug es die Sprache. Das war eine unverschämt hohe Summe. Ihr zitterten die Knie. Carol Anthony hatte in ihrem Friseursalon nicht übermäßig viel verdient. Für Kranken- und Rentenversicherungen hatte das Geld nicht gereicht. Dadurch hatte Tara nach ihrem Tod nicht nur das Haus und dessen Einrichtung, sondern auch einen Haufen Schulden geerbt, die vor allem durch die astronomischen Rechnungen der Ärzte und Krankenhäuser zusammengekommen waren. Die ersten Mahnungen waren schon eingetrudelt. Rands Angebot bedeutete eine realistische Chance, diesen Schuldenberg abzutragen.

Die Versuchung war gewaltig. Aber warum musste es gerade Rand Kincaid sein? Tara seufzte. „Es ist nicht wegen des Geldes, Rand …“

„Ich weiß, was du sagen willst“, unterbrach er sie unwirsch. Taras Blick fiel auf seine schmale Hüfte und seinen breiten Brustkorb, als er die Hände in die Seiten stemmte. „Wir brauchen uns nichts vorzumachen. Ich weiß, dass du es nicht für mich tun würdest. Aber dann tu es wenigstens für Nadia und Mitch. Sie haben es nicht verdient, dass man sie vor die Tür setzt. Nenn deinen Preis.“

Sie zögerte. Ihr Verstand sagte ganz eindeutig Nein. Aber da war noch etwas anderes: die Erinnerung daran, wie schön ihre Liebe gewesen war, wie gut sie zusammenpassten, sei es im Bett oder auch sonst, wie Rand ihr das Gefühl gegeben hatte, etwas Besonderes für ihn zu sein. Es kam nicht von ungefähr, dass sie von einem gemeinsamen Glück geträumt hatte.

Tara war nie damit fertig geworden, auf welch rüde Art er die Verbindung zu ihr abgebrochen hatte. Aber bevor sie richtig darüber nachdenken konnte, hatte sich der Zustand ihrer Mutter dramatisch verschlechtert. Carols Husten war immer quälender geworden. Dann kam die niederschmetternde Diagnose: Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Von diesem Zeitpunkt an hatte die Krankheit ihrer Mutter Taras Leben bestimmt. Hoffnung und Verzweiflung drehten sich nur noch ums Überleben. Tag für Tag waren schwerwiegende Entscheidungen zu treffen gewesen, und wie ein düsterer Schatten begleitete die Angst, ihre Mutter zu verlieren, Tara auf Schritt und Tritt. Da blieb kein Platz mehr dafür, an sich selbst oder einen Mann zu denken.

Als ihre Mutter nach einem vier Jahre langen kräftezehrenden Kampf schließlich starb, kamen zur Trauer auch noch Schuldgefühle. Tara fühlte sich leer und ausgebrannt und war gerade noch imstande, ihre Alltagsroutine zu bewältigen – arbeiten, essen, schlafen, Rechnungen bezahlen. Dieser banale, täglich wiederkehrende Ablauf war es, der ihr ein wenig Halt gab und an den sie sich mit der Verzweiflung einer Ertrinkenden klammerte. Was darüber hinausging, machte ihr Angst. Hinter jeder noch so geringen Veränderung witterte Tara die Gefahr einer neuen Krise. Vor allem darin lag der Grund dafür, dass sie es noch in ihrem Job aushielt, obwohl ihr diese Arbeit täglich verhasster wurde. Tara hatte es noch nicht einmal geschafft, die Kleider ihrer Mutter auszuräumen und einem wohltätigen Verein zu spenden. Selbst das Bett und den Nachtschrank hatte sie nicht zurück ins Schlafzimmer gestellt. Beides stand noch im Esszimmer, wohin sie das Krankenlager verlegt hatten, als die Mutter der ständigen Pflege und Aufsicht bedurfte. Seitdem das Bett verlassen war, hatte Tara dieses Zimmer nicht mehr betreten.

Nun stand sie unversehens wieder Rand gegenüber. Nervös nagte sie an der Unterlippe. Konnte sein plötzliches Auftauchen so etwas wie ein Weckruf für sie sein, eine Gelegenheit, aus ihrem Tal der Tränen wieder aufzutauchen? Unwillkürlich blickte sie zum Foto ihrer Mutter hinüber, das in einem Silberrahmen auf dem Kaminsims stand.

„Lebe dein eigenes Leben, Tara, versprich es mir. Du hast schon zu lange darauf verzichten müssen“, waren die letzten Worte ihrer Mutter gewesen. Zwei Dinge hätte Tara aus dem tapferen Überlebenskampf dieser Frau lernen sollen: dass die Gegenwart zu kostbar war, um Vergangenem nachzutrauern und dass es selbst in der größten Verzweiflung Dinge gab, um die es sich zu kämpfen lohnte. Vor allem was das Kämpfen betraf, hatte Tara kläglich versagt. Sie hatte Grund, daran zu zweifeln, ob sie wirklich alles in ihrer Macht Stehende für ihre Mutter getan hatte. Diese schrecklichen Zweifel würden sie bis an ihr Lebensende verfolgen. Und auch um Rand hatte sie nicht richtig gekämpft. Sie hatte kopflos die Flucht ergriffen, anstatt ihn dazu zu bringen, ihr zuzuhören, was wirklich im Schlafzimmer von Everett Kincaid vorgefallen war.

Rand sah sie die ganze Zeit unverwandt an und wartete. Mit keiner Regung verriet er, was er dachte, während Tara mit ihren Zweifeln kämpfte, hin- und hergerissen zwischen der Angst, eine einmalige Chance zu verpassen, und der, erneut ihr Herz zu verlieren und dafür bestraft zu werden.

Tara wandte sich von Rand ab, beobachtete aber heimlich sein Gesicht im Spiegel an der Wand gegenüber. Sie sah, wie er sie musterte, wie seine Augen funkelten, während sein Blick auf ihrem Körper ruhte. Als Rand bemerkte, dass er beobachtet wurde, wandte er rasch den Blick ab. Aber sie hatte genug gesehen. Er hatte nicht verbergen können, dass sie ihn nicht kalt ließ. Der Sex war immer gut gewesen. Vielleicht war das ein Anfang. Wenn sie es dieses Mal fertigbrachte, ihren Mund zu halten, und ihn nicht gleich mit ihren Gefühlen verschreckte … Allein der Gedanke, wieder mit Rand zu schlafen, nahm ihr den Atem. Es war eine merkwürdige Ironie des Schicksals, dass sie ihm jetzt das gleiche Angebot machen konnte, das Everett einst ihr unterbreitet hatte: Zieh in mein Haus, teile alles mit mir – wirklich alles –, und ich nehme dir deine Sorgen ab. Tara merkte, dass sie feuchte Hände bekam. Sie war entschlossen, es zu wagen.

„Okay“, sagte sie, „ich komme zu Kincaid Cruise Lines zurück. Aber nur unter zwei Bedingungen.“

„Und die wären?“

„Erstens bekomme ich von dir vorab ein Empfehlungsschreiben mit einem erstklassigen Zeugnis.“ Wenn dieses Experiment fehlschlug und sie sich wieder einen neuen Job suchen musste, wollte sie nicht noch einmal mit leeren Händen dastehen.

„Vorab? Wer garantiert mir, dass du dich mit dieser Empfehlung nicht schon vorher aus dem Staub machst?“

„Ich. Ich gebe dir mein Wort.“

Rand rieb sich das Kinn. „Gut, angenommen. Und die andere?“

Nervös fuhr sich Tara mit der Zungenspitze über die Lippen. „Die andere Bedingung bist du selbst, Rand. Ich möchte, dass du für die Dauer dieses Jahres Tisch und Bett mit mir teilst – und zwar ausschließlich mit mir.“

Erschrocken fuhr Rand zurück. „Das ist völlig inakzeptabel“, antwortete er.

Seine Reaktion enttäuschte Tara. Sie hatte keine Begeisterungsstürme erwartet, aber mit schierem Entsetzen hatte sie auch nicht gerechnet. Die starke Anziehung, die sie aufeinander ausübten, war ihr einziger Trumpf. Wenn der nicht stach, war das ganze Unternehmen zum Scheitern verurteilt, und sie würde am Ende wieder als Verliererin und mit einem gebrochenen Herzen dastehen. Tara seufzte. „Dann kann ich dir auch nicht helfen.“

Rand runzelte die Stirn. „Was soll das werden?“, fragte er misstrauisch. „Ist das wieder so ein Versuch, mich in deine Fänge zu locken? Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich keine dauerhaften Bindungen eingehe.“

Das wusste Tara nur zu genau. Sie musste die Chance bekommen, seinen Panzer zu durchbrechen, mit dem er sich umgeben hatte, und dazu musste sie klug und geduldig zu Werke gehen. Sie setzte ein gelangweiltes Lächeln auf und meinte: „Wieso dauerhaft? Wie ich es verstanden habe, ist hier von einem Jahr die Rede. Wenn ich für dich arbeite, ist abzusehen, dass die Tage lang werden. Ich habe sowieso kaum noch ein Privatleben, geschweige denn so etwas wie ein Liebesleben, und ich möchte nicht auf alles verzichten, wenn du verstehst, was ich meine. Man kann über unsere Zeit damals ja denken, was man will. Aber unser Sex war immer gut.“

Rand verstand. Der bloße Gedanke, mit Tara ins Bett zu gehen, erregte ihn. Er atmete tief durch.

Tara blieb seine Reaktion nicht verborgen. „Wann soll es losgehen?“, fragte sie.

„Das kannst du nicht von mir verlangen“, brachte Rand gepresst hervor. Es war eine verrückte Situation. Kein normaler Mann hätte etwas gegen die Aussicht haben können, mit einer so schönen Frau wie Tara ins Bett zu steigen. Er sah sie an. Die neue Frisur gefiel ihm. Auch wenn er den schönen, langen goldblonden Locken nachtrauerte, der kinnlange Schnitt ließ ihren Nacken und die Schultern frei und wirkte ausgesprochen sexy. Er lud geradezu dazu ein, mit beiden Händen durch diesen wilden Schopf zu fahren.

Und dennoch gab es gewichtige Gründe, die dagegen sprachen. Rand war, wollte er dem Urteil seiner Familie glauben, das getreue Abbild seines Vaters. Dessen abschreckendes Beispiel hatte er zur Genüge vor Augen. Seine Mutter war an ihrer Liebe zu diesem Mann zugrunde gegangen.

Rand selbst hätte beinahe ebenfalls ein Leben zerstört. Serita, seine frühere Freundin, hatte nur etwas mehr Glück gehabt als seine Mutter. Man fand sie gerade noch rechtzeitig, nachdem sie eine Überdosis Schlaftabletten genommen hatte. Kurz vorher hatte Rand sich von ihr getrennt.

Tara beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. „Ist es, weil ich damals gesagt habe, dass ich eine Familie und Kinder mit dir haben will? Weil ich von Liebe gesprochen habe? Das kannst du getrost vergessen. Ich habe das nur aus der Laune eines Augenblicks heraus gesagt.“

„Nur aus einer Laune heraus? Du warst schon dabei, den Kindern Namen zu geben.“

Sie hatten miteinander geschlafen, und da war es über sie gekommen. Tara war so berauscht von dem Erlebnis gewesen, dass sie einfach drauflosgeplappert und Rand mit all dem konfrontiert hatte, was sie sich erträumte. Für Rand war es das Signal gewesen, sie zu verlassen. Er hatte Angst davor gehabt, dass Tara dasselbe Schicksal erlitt wie Serita oder seine Mutter.

Danach hatte Rand sich Vorwürfe und Sorgen um Tara gemacht. Bis er sie drei Wochen später nach Mitternacht aus dem Schlafzimmer seines Vaters kommen sah. Da hatte er sich geschworen, nie wieder auf diese Frau hereinzufallen.

„Es tut mir übrigens leid, dass ich damals meinen Mund nicht halten konnte. Aber du bist wirklich gut im Bett. Da kann es schon mal passieren, dass man plötzlich nicht mehr weiß, was man redet. Wie auch immer: Meine Bedingungen stehen. Übrigens ist es mir egal, ob wir hier wohnen oder in deinem Appartement, wenn dir das lieber ist.“

„Ich werde nicht mit dir Mann und Frau spielen – weder hier noch sonst wo“, erwiderte er entschieden.

„Dann, denke ich, ist unser Gespräch zu Ende. Ich bringe dich an die Tür.“

Rand hielt sie am Arm fest, als sie an ihm vorbeigehen wollte. Bei der Berührung durchzuckte es ihn wie ein elektrischer Schlag. Es war genau wie damals, als er sie zum ersten Mal angefasst und ihre samtweiche Haut gespürt hatte. „Außerdem besitze ich das Appartement nicht mehr. Ich bin nach Kalifornien gezogen.“

Erstaunt hob Tara die Brauen. „Du bist umgezogen? Das wusste ich gar nicht.“

„Du wusstest das nicht? Du wusstest nicht, dass ich KCL den Rücken gekehrt und beim größten Konkurrenten meines Vaters an der Westküste angefangen habe?“ Er fragte sich, ob sie ihn auf den Arm nehmen wollte. „Das muss hier einen riesigen Aufstand gegeben haben. Der kann dir doch unmöglich entgangen sein.“

„Ich wusste es nicht, weil ich Kincaid Manor und das Büro nach dieser Nacht nicht mehr betreten habe.“

„Du meinst nach der Nacht, in der ich gesehen habe, wie du aus dem Schlafzimmer meines Vaters gekommen bist.“

„Ja.“ Tara schlug die Augen nieder.

„Und warum bist du fortgegangen? Wollte mein Vater dich nicht heiraten?“

Tara befreite sich aus seinem Griff. „Davon war nie die Rede“, sagte sie gekränkt. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst.“

Nichts wäre Rand lieber gewesen, als dieses Haus so schnell wie möglich zu verlassen und es nie wieder zu betreten. Aber es stand zu viel auf dem Spiel. Er blickte in Taras Augen, obwohl er sicher sein konnte, auch dort keine Antwort zu finden. Diese strahlend blauen Augen, von denen er einmal geglaubt hatte, dass sie nicht trügen konnten. Was für ein Idiot er gewesen war.

Taras Bedingungen waren absurd. Dennoch hatte Rand keine andere Wahl, wenn er Mitch und Nadia nicht um ihr Erbteil bringen wollte. Er konnte seine Geschwister nicht ein zweites Mal im Stich lassen.

„Na schön“, sagte er endlich. „Aber um es noch einmal klarzustellen: Es geht allein um Sex. Keine Ringe, keine Versprechungen, keine Geschenke. Und vor allem kein Wort über Kinder.“

Tara musste einmal schlucken, bevor sie begriff, dass er ihre Bedingungen akzeptiert hatte. Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Rand sah diese Bewegung nun schon zum zweiten Mal, und augenblicklich erwachte die Lust in ihm. Er verfluchte sich dafür – und Tara, die es immer noch vermochte, diese Lust in ihm zu wecken. Er gehörte eigentlich nicht zu denen, die zweimal denselben Fehler begehen. Aber er hatte keine Wahl.

„Wenn du mir fünfzehntausend im Monat zahlst, brauche ich nicht mehr von dir“, bestätigte Tara. Das klang forsch, aber ihr Lächeln wirkte unsicher.

Rand riss sich zusammen, um ihr nicht länger auf den Mund zu starren. „Ich brauche zwei Wochen. Ich habe zu Hause noch ein paar Dinge zu regeln. Am sechzehnten dieses Monats bin ich zurück. Dann beginnt das Jahr.“

Er konnte nur hoffen, dass er diese Entscheidung nicht irgendwann bereuen würde.

2. KAPITEL

„Was soll das Theater, Rand? Du vergeudest nur unsere Zeit.“

Rand legte seinen Laptop auf den Schreibtisch, von dem aus noch vor Kurzem sein Vater die Kincaid Cruise Lines geleitet hatte, und drehte sich zu seinem Bruder Mitch um, der ihm gefolgt war. Verwundert sah er ihn an, denn er hatte einen freundlicheren Empfang erwartet.

„Ich weiß nicht, wovon du redest“, sagte er zu Mitch.

„Davon, dass du dich gar nicht erst hier niederzulassen brauchst, wenn du doch nicht vorhast, Dads Testamentklausel zu erfüllen und ein Jahr durchzuhalten. Was sollen die Mätzchen? Wenn wir die Reederei und alles andere verlieren, dann wenigstens kurz und schmerzlos. Dann machen wir eben einen sauberen Schnitt, und jeder weiß, woran er ist. Dann braucht Nadia auch nicht mehr in ihrem Penthouse in Dallas zu sitzen und die Wände anzustarren.“

Die Bedingung, die Everett Kincaids Testament Nadia auferlegte, war besonders hart. Der Verstorbene hatte verfügt, dass sie das eine Jahr, das er auch Rand als Frist gesetzt hatte, nicht arbeiten durfte. Nadia traf damit das wohl grausamste Los, denn ohne die Ablenkung durch eine Arbeit war sie den Erinnerungen an ihren Mann und ihr Kind ausgeliefert, die sie jüngst durch einen Unfall verloren hatte. Rand empfand diesen Passus in Everett Kincaids Testament schlicht als sadistisch, und das war ein weiterer Grund für ihn, seinen Vater zum Teufel zu wünschen.

„Hör zu, Mitch. Ich habe nicht umsonst einen einträglichen Job aufgegeben, der mir viel Freude gemacht hat, und meine Wohnung in Kalifornien verkauft. Ich werde hier bleiben, bis die dreihundertfünfundsechzig Tage um sind. Sollten wir das Erbe verlieren, dann jedenfalls nicht durch meine Schuld.“

Ungläubig sah Mitch ihn an. „Und woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel, nachdem du dich fünf Jahre lang weder um die Familie noch um das Geschäft gekümmert hast?“

„Dieses Mal kommt er mit seinen Spielchen nicht durch. Dafür sorge ich.“

Mitch schien nicht überzeugt.

Rand griff in die Hosentasche und holte ein kleines Taschenmesser heraus. Er klappte es auf, die Klinge blitzte auf, und im nächsten Moment hatte er die Spitze in eine seiner Fingerkuppen gedrückt.

„Was treibst du da?“, fragte Mitch.

Rand drückte auf den Finger, und ein dicker roter Tropfen quoll hervor. „Wenn du es mir nicht glaubst, kann ich es auch mit Blut unterschreiben.“

„Lass den Quatsch, Rand. So etwas haben wir früher gemacht. Diese Kinderspiele bringen uns auch nicht weiter. Hier geht es um ein paar Hundert Millionen Dollar, falls du das vergessen hast.“

„Das habe ich keineswegs vergessen.“

Rand sah sich in dem großen, spartanisch eingerichteten Büro nach einem Taschentuch um, konnte aber keines entdecken. Also steckte er den Finger kurz in den Mund und presste dann den Daumen auf den Schnitt. Das Taschenmesser ließ er auf den Schreibtisch fallen. In diesem Augenblick betrat Tara das Büro.

Sie trug ein schlichtes Sommerkostüm in einem gelben Pastellton und hatte ihre Locken straff nach hinten zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden. Aber auch in dieser betont korrekten Aufmachung wirkte sie ausgesprochen sexy und verfehlte ihre Wirkung auf Rand nicht. Ihm gefiel es noch besser, wenn sie ihre Lockenpracht offen trug. Ärgerlich rief er sich zur Ordnung. Er hatte momentan andere Sorgen.

Tara war die Aktion mit dem Taschenmesser nicht entgangen. Sie trat auf Rand zu und sagte: „Zeig mal her. Soll ich den Erste-Hilfe-Kasten holen?“ Dabei warf sie einen kritischen Blick auf den blutenden Finger. „Ich geh ihn suchen.“

Nachdenklich blickte Mitch ihr hinterher, als sie wieder hinausging. „Ist sie der Grund, warum du uns damals verlassen hast?“, fragte er dann.

Rand winkte ab. „Ich bin sicher, Dad hatte eine passende Erklärung dafür parat.“

„Was hat er damit zu tun? Er hat kein Wort über euren Weggang verloren, weder über deinen noch über Taras.“

Rand wunderte sich. Sein Vater hatte selten eine Gelegenheit ausgelassen, um ihm eins auszuwischen. „Sagen wir es mal so: Er hat es mit seinem Konkurrenzverhalten mir gegenüber ein wenig zu weit getrieben.“

„Was meinst du damit?“

Rand hatte keine Lust, darauf zu antworten. Ihm selbst war die ganze Geschichte unangenehm. „Also, was genau willst du von mir, Mitch? Eine Garantie? Gut, du bekommst sie. Ich garantiere dir, dass ich bis zum Schluss durchhalte.“

Mitch warf seinem Bruder einen skeptischen Blick zu. „Es ging das Gerücht, du wärst mit Tara durchgebrannt.“

Das bedeutete immerhin, dass offensichtlich niemand etwas von Taras doppeltem Spiel ahnte, dachte Rand. „Seit wann gibst du denn etwas auf Gerüchte?“, konterte er.

„Komm schon, Rand. So abwegig war das nicht. Immerhin seid ihr beide an ein und demselben Tag spurlos verschwunden.“

Tara kam mit dem Verbandszeug zurück. „Ich … ich habe etwas gefunden“, meinte sie und stellte einen kleinen Plastikkasten auf den Schreibtisch, dem sie Pflaster und Schere entnahm.

Rand haderte mit sich. Sein einst so vertrautes Verhältnis zu seinem Bruder hatte schwer gelitten. Aber das musste Rand sich selbst ankreiden. Er konnte nicht erwarten, dass er hier auftauchte und alles noch so war wie früher.

Einiges hatte sich allerdings in der Tat nicht verändert. Das merkte er, als Tara seine Hand nahm, um ihn zu verarzten. Wie weich und zart sich ihre Hand anfühlte … Als sie sich über ihn beugte, während sie die Schnittwunde desinfizierte, merkte er wieder, wie gut ihr Haar roch.

„Soll ich dem Personal Bescheid sagen, dass sie deine Zimmer in Kincaid Manor herrichten?“, fragte Mitch.

Rand fiel ein, dass Mitch nichts von seinem Arrangement mit Tara wusste – glücklicherweise –, und er tauschte einen flüchtigen Blick mit ihr. „Danke, ich weiß schon, wo ich bleibe. Außerdem hast du ja Gesellschaft.“

Auch Mitch war in Everett Kincaids Testament mit Pflichten bedacht worden. Ihm fiel es zu, die Vaterrolle für einen einjährigen Jungen zu übernehmen, der das Ergebnis einer späten Liebschaft des Seniors war. Rand hatte erst durch die Testamentseröffnung von der Existenz dieses Familienzuwachses erfahren. Das Kind und seine Nanny waren bereits in Kincaid Manor eingezogen.

Tara war fertig und ließ Rands Hand los. „In der Personalabteilung sitzt der erste Bewerber für Nadias Stelle als Direktorin des Controllings, die neu besetzt werden muss. Wer führt das Vorstellungsgespräch?“, fragte Tara und blickte von einem zum anderen.

„Bring ihn zu mir in den Konferenzraum“, antwortete Rand und sah zu seinem Bruder. „Wir treffen uns da in fünf Minuten. Du kennst Nadias Aufgaben besser als ich, deshalb kannst du auch besser beurteilen, wer geeignet ist.“

Wieder verfluchte er im Stillen seinen Vater, der ihn in die missliche Lage gebracht hatte, die Position des obersten Chefs einzunehmen, die eigentlich Mitch zustand. Als Finanzchef wäre Mitch, wenn es keinen stellvertretenden Geschäftsführer mehr gab, der logische Nachfolger des Seniors an der Spitze gewesen. „Wir führen das Gespräch zusammen, als Team“, sagte Rand.

Mitch nickte und entfernte sich aus dem Büro. Auch Tara wandte sich zur Tür.

„Tara“, hielt Rand sie zurück. Sie drehte sich zu ihm um. Er hob den verbundenen Finger in die Luft. „Danke schön.“

„Gern geschehen.“ Sie zögerte, bevor sie sich wieder umwandte. „Bist du damals meinetwegen weggegangen?“

Ihre Stimme klang traurig, als sie das fragte. Aber Rand wollte sich davon nicht beeindrucken lassen. Sie ist tatsächlich eine verdammt gute Schauspielerin, dachte er. Zu schade, dass sie bei mir ihr Talent verschwendet.

„Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, sagte er. „Ihr hättet schon gut zueinander gepasst, mein Vater und du.“

Tara zuckte bei diesen bitteren Worten merklich zusammen. „Was ich noch fragen wollte …“ Sie verstummte.

„Was denn, Tara?“, fragte er ungeduldig.

Sie ließ den Kopf sinken. „Ach, nichts. Gibt es sonst noch etwas?“

Rand ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er hatte das Büro seines Vaters, das jetzt sein Arbeitsplatz werden sollte, schon immer abstoßend gefunden. Alles hier war kalt und unpersönlich – nur Glas, Chrom und der nackte Marmorboden. Daran änderte auch der überwältigende Ausblick nichts, den man durch die riesige Fensterfront auf die Biscayne Bay hatte. Der Raum war nichts als ein sinnentleertes Statussymbol – ganz im Sinne von Everett Kincaid, der zu sagen pflegte: „Einem wirklichen Chef sieht man nie an, dass er arbeitet.“ Das war absolut nicht Rands Stil.

„Ja“, antwortete er auf Taras Frage. „Ich brauche ein paar vernünftige Möbel hier: einen richtigen Schreibtisch, Regale, ein paar Sideboards, einen anständigen, lederbezogenen Schreibtischsessel und bequeme Stühle für die Besucher. Und, bitte, aus Holz, damit hier etwas Leben hereinkommt. Mit diesem sterilen Zeug kann ich nichts anfangen. Hier sieht es aus wie auf einer öffentlichen Herrentoilette. Ein schöner Teppich wäre auch nicht schlecht. Außerdem könntest du mir den Systemadministrator herschicken, damit ich mit meinem Laptop Zugriff zum Firmenserver bekomme.“

„Jawohl, Sir“, antwortete Tara und verzog dabei keine Miene.

„Und noch etwas. Ich brauche die aktualisierten Finanzberichte aller Linien sowie eine vollständige Liste unserer Führungskräfte und Abteilungsleiter.“

Tara machte kehrt und ging zur Tür. Mit der Klinke in der Hand drehte sie sich noch einmal um, sah Rand aber bloß stumm und fragend an.

„Was gibt’s noch, Tara? Spuck es aus.“

„Wann ziehst du bei mir ein?“

Ach ja, der andere Teil dieser absurden Farce. Rand fragte sich, was sie sich von diesem Schachzug versprach. Die Geschichte mit dem Ersatz für ein fehlendes Privatleben kaufte er ihr nicht ab. Was sonst konnte dahinterstecken, als sich einen reichen Mann zu angeln? Aber das kann sie sich abschminken, dachte er.

„Heute noch, heute Abend.“ Trotz seiner Vorbehalte musste Rand sich zu seiner Schande eingestehen, dass er diesen Abend schon ungeduldig herbeisehnte. Es war unglaublich, dass sie wie früher solch eine Anziehung auf ihn ausübte. „Ich möchte mein eigenes Schlafzimmer“, fügte er hinzu.

„Aber …“

„Keine Angst, Tara. Du wirst schon bekommen, was du willst. Aber ich schlafe nicht in deinem Bett, und wir spielen hinterher nicht das glücklich verliebte Paar. Ich lebe nur deshalb mit dir unter einem Dach, weil du das so gewollt und mir keine andere Wahl gelassen hast.“

Tara nickte stumm. Sie war blass geworden. Rasch verließ sie sein Büro.

Die Gespräche ringsherum erstarben, als Tara die Cafeteria betrat. Alle sahen sie an. Einige vertraute Gesichter erkannte sie in der Menge wieder. Viele aber waren ihr neu und unbekannt. Tara rang sich ein Lächeln ab.

Kurz darauf nahmen die Anwesenden ihre Gespräche wieder auf. Tara fragte sich, ob jetzt wohl die letzten Neuigkeiten über sie ausgetauscht wurden. Mitchs Worte fielen ihr ein: Immerhin seid ihr beide an ein und demselben Tag spurlos verschwunden.

Sie hatte tatsächlich keine Ahnung davon gehabt, was sich nach ihrem Abgang bei KCL getan hatte. Ihren neuen Job hatte sie nicht in der Touristikbranche gesucht. Den Wirtschaftsteil und die Reisebeilagen der Zeitung überblätterte sie geflissentlich, um zu vermeiden, irgendwo auf den Namen Kincaid zu stoßen. So war ihr selbst die Todesanzeige von Everett entgangen. Nun hatte sich der Kreis sogar noch geschlossen. Wenn schon ihr gemeinsamer Weggang für Gesprächsstoff gesorgt hatte, würde ihr gemeinsames Auftauchen das erst recht tun. Man konnte sich vorstellen, wie die Gerüchteküche brodelte. Wenn auch noch durchsickerte, dass sie unter einem Dach lebten, würde sie wohl überkochen. Das hatte Tara nicht bedacht, als sie Rand ihre Bedingungen stellte.

Sie fühlte sich genau wie damals elektrisiert, sobald Rand nur in ihrer Nähe war, und sie hoffte inständig, dass es ihm wenigstens ein bisschen ähnlich ging. Anzeichen dafür waren vorhanden. Es musste ihr gelingen, allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Zusammengehörigkeitsgefühl neu zu beleben. Sie sehnte sich nach Nähe und Wärme, die es für sie nur bei Rand zu geben schien. Zum ersten Mal seit Jahren gab es an diesem Tag etwas, das sie dem Abend entgegenfiebern ließ.

Tara durchquerte die Cafeteria und stellte sich ans Ende der Schlange derer, die auf ihr Essen warteten. Der KCL-Konzern war traditionell sehr großzügig, was Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen anging. Tara hatte früher gern hier gearbeitet.

Wieder bemerkte sie, wie es um sie herum still wurde. Sie blickte sich um und sah, dass Rand die Cafeteria betreten hatte. Manch neugieriger Blick wechselte zwischen ihm und ihr hin und her. Rand erblickte sie und kam auf sie zu. Tara versuchte sich auf ihre Bestellung zu konzentrieren. Hunger hatte sie nicht mehr.

„Mein Schreibtisch ist weg“, bemerkte er, als er dicht hinter ihr stand. Sie konnte sein Aftershave riechen, und das Herz schlug ihr bis zum Hals.

Tara trat einen Schritt vor und wandte sich halb zu ihm um, um ein wenig Abstand zu gewinnen. „Ich habe während der Vorstellungsgespräche das Büro ausräumen lassen. Die neue Einrichtung wird um zwei Uhr geliefert“, gab sie sachlich Auskunft. „Der Laptop ist beim Systemadministrator.“

„Gut.“

„Nur gut? Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt.“

Rand fand ihre Reaktion ein wenig übertrieben. Aber er merkte daran, dass die fünf Jahre das junge, unbedarfte Mädchen von einst hatten reifer und selbstbewusster werden lassen. Als sie sich kennenlernten, hatte Tara ihr Glück gar nicht fassen können, vom Schalter für die Kreuzfahrt-Reservierungen in die Chefetage geholt zu werden.

„Vielen Dank, Miss Anthony. Ihre Leistungen sind wirklich äußerst bemerkenswert“, korrigierte sich Rand mit unüberhörbar ironischem Unterton in der Stimme.

Bis an die Kasse folgte er ihr wie ein Schatten. Als Tara bezahlen wollte, schob er seinen Firmenausweis, der hausintern gleichzeitig als Zahlungsmittel diente, an ihr vorbei der Kassiererin zu. „Beide Essen gehen auf meine Rechnung“, sagte er, wobei er auf beide Tabletts deutete.

„Du brauchst mir mein Essen nicht zu bezahlen“, protestierte Tara.

„Ich tu es aber.“

Die Frau an der Kasse schob ungerührt den Ausweis durch den Kartenleser und reichte ihn Rand zurück.

Tara ging auf einen noch unbesetzten Tisch zu, den sie erspäht hatte. Rand folgte ihr weiterhin auf Schritt und Tritt. Ein leichtes Unbehagen machte sich bei ihr bemerkbar, als sie sich setzten und Rand mit seinem Stuhl an sie heranrückte. „Was soll das eigentlich werden, Rand?“, fragte sie ungeduldig.

„Ist es nicht das, was du wolltest? Dass jeder uns zusammen sieht? Hat es eigentlich deinen Stolz verletzt, dass ich mich von dir getrennt habe?“

Die Frage machte sie ratlos. Forschend blickte sie ihn an, ob sie in seinem Gesicht noch eine Spur des Charmes entdecken konnte, den sie an ihm einmal so geliebt hatte, fand aber nichts davon. Seine Züge waren hart und undurchdringlich. Schon früher hatte es von ihm geheißen, er wäre zwar ein blendend aussehender Mann, aber vollkommen gefühllos. Tara hatte sich ihren Teil dabei gedacht. Sie wusste es besser. Sie hatte sein herzliches Verhältnis zu Mitch und Nadia erlebt, und sie hatte seine Leidenschaft und Hingabe an sich selbst erfahren, besonders wenn sie miteinander geschlafen hatten.

Sollte er sich in der Zwischenzeit so verändert haben? Tara konnte es nicht glauben. Aber er hatte gerade seinen Vater verloren. Er hatte eine neu aufgebaute Existenz aufgeben müssen, um hierher zurückzukehren und eine Aufgabe zu übernehmen, die er sich nicht selbst ausgesucht hatte. Das musste man ihm zugutehalten.

„Ich lege es weiß Gott nicht darauf an, jemandem unter die Nase zu reiben, was mit uns läuft. Damals wusste keiner von uns, und heute braucht es auch keiner zu erfahren.“

„Mein Vater wusste es, jeder wusste es. Und gegenwärtig werden wir in der Personalabteilung unter derselben Adresse geführt. Auch das wird sich herumsprechen.“

Noch etwas, was Tara bei ihrem Deal mit Rand übersehen hatte. „Und wenn dein Vater es wusste, heißt das noch gar nichts. Er hatte seine eigenen Möglichkeiten, sich Informationen zu beschaffen.“

„Das stimmt. Er hatte überall Spione.“

„Oh bitte, Rand. Du warst doch sonst nicht so paranoid. Everett war ein netter Mensch. Er kannte viele Leute und hat ihnen zugehört, und dabei hat er eben eine Menge erfahren. Außer bei seinen Konkurrenten war er überall beliebt.“

„Ja, weil er sich Wohlwollen erkaufte“, entgegnete Rand bitter.

„Das stimmt nicht. Everett hatte ein Herz für andere. Die Firma ist das beste Beispiel. Es gibt einen firmeneigenen Kindergarten, medizinische Betreuung, ein Fitnesscenter mit qualifizierten Trainern, und diese Cafeteria kann es mit jedem Vier-Sterne-Restaurant aufnehmen. Oder denk an die Personalrabatte für die Kreuzfahrten. Welcher normale Angestellte könnte sich sonst eine Kreuzfahrt leisten?“

Tara legte sich die Stoffserviette auf den Schoß und platzierte das Besteck neben ihrem Teller, obgleich ihr augenblicklich nicht danach zumute war, etwas zu essen. Rands Gegenwart machte sie nervös. Es fühlte sich an, als hätte sie einen Knoten im Magen.

Fast bedauernd schüttelte Rand den Kopf. „Er hat dich ganz schön an der Nase herumgeführt. Mein Vater hat nicht das Geringste aus reiner Nächstenliebe getan. Es gibt nichts, was er nicht kalkuliert hätte. An allem und jedem haftete in seinen Augen ein Preisschild. Auch all die Beispiele, die du aufgezählt hast, dienten letztlich nur ihm. Ein Betrieb, der seinen Mitarbeitern ein gewisses Maß an Leistungen bietet, hat weniger Ausfälle durch Krankheitstage und eine geringere Fluktuation. Zufriedene Mitarbeiter sind produktiver. Unterm Strich zahlt sich das aus.“

Was er sagte, klang auf eine deprimierende Weise einleuchtend. „Du bist ganz schön zynisch geworden.“

„Überhaupt nicht. Das ist schlicht und einfach Business. Ich habe fünf Jahre lang die Wayfarer Cruise Lines geleitet. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe all das dort selbst eingeführt und damit genau diese Ergebnisse erzielt.“ Er griff nach seinem Besteck und machte sich über sein perfekt auf den Punkt gebratenes Steak her. „Ich kannte meinen Vater. Vermutlich besser als du.“

Das war nicht zu bestreiten. Sollte Rand recht haben und ich selbst mich so in Everett täuschen?, überlegte Tara. Sie war davon überzeugt gewesen, dass der Seniorchef ihr seinen Antrag gemacht hatte, weil ihm etwas an ihr lag. Sicherlich auch, weil er jemanden um sich haben wollte. Vor allem hatte er versprochen, Taras Mutter die besten Spezialisten zu besorgen – und zu bezahlen –, die man bekommen konnte. Rand war der Meinung, dass Everett sie, Tara, nur als Mittel zum Zweck benutzte, zu dem Zweck, seinen Sohn zu demütigen. Das waren Rands Worte gewesen, als sie ihm damals unversehens in die Arme gelaufen war. Sie war gerade aus Everetts Schlafzimmer gekommen.

„So, das ist dann ab jetzt dein Zimmer.“

Rand trat mit Tara in ein fast quadratisches, recht geräumiges Zimmer und stellte die beiden Koffer, die er mitgebracht hatte, neben dem gemütlich aussehenden Bett ab. Nicht schlecht, dachte Rand. Jedenfalls wohnlicher als ein Zimmer in einem Hotel.

Tara hängte den Kleidersack in den Schrank. Als er mit seinem Porsche angekommen war, war sie ihm entgegengegangen und hatte ihm beim Ausladen geholfen.

„Es ist das größte Schlafzimmer im Haus. Du kannst es gestalten, wie du magst. Da nur meine Mutter und ich im Haus gelebt haben, ist dir die Umgebung vielleicht etwas zu feminin.“

Das stimmte. Auf die Dauer waren die zarten Pastelltöne nichts für ihn. Aber Rand hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sein Aufenthalt hier nicht allzu lange dauern würde. Eines nicht allzu fernen Tages würde Tara einsehen, dass er nicht anbeißen würde und diese ganze Farce völlig unsinnig war.

„Wo war denn dein Vater?“, fragte er.

„Mein Vater hat uns verlassen, als ich sieben war.“

Er blickte sie erstaunt an. „Davon hast du mir nie etwas erzählt.“

„Ich wollte dich nicht mit Familiengeschichten langweilen“, meinte sie und schaute etwas verlegen auf ihre Schuhspitzen. „Außerdem hast du mich nie danach gefragt.“

Wohl wahr. Rand hatte das Thema Familie wie alles allzu Persönliche bewusst aus ihrer früheren Beziehung herausgehalten. Zum einen hatte es damit zu tun, dass er nicht gern an seine eigenen Schwierigkeiten mit seinem Vater erinnert werden wollte. Aber es gab noch einen anderen Grund. Da Tara jeden Tag mit seinem Vater zusammenarbeitete, bestand die Gefahr, dass sie einmal unbedacht über etwas, was er ihr anvertraut hatte, eine Bemerkung fallen ließ, und auch deshalb war er sehr zurückhaltend mit Äußerungen über sich selbst gewesen.

„Waren deine Eltern geschieden?“ Bei der Frage dachte Rand an seine Eltern. Er hätte sich gewünscht, dass die beiden sich beizeiten hätten scheiden lassen. Viel wäre ihnen erspart geblieben. Wahrscheinlich hätte seine Mutter nicht angefangen zu trinken und hätte später nicht diesen vermeintlichen Unfall gehabt. Rand war überzeugt, dass sie sich das Leben genommen hatte, und er machte sich bis zum heutigen Tag Vorwürfe, es nicht verhindert zu haben.

„Nein, das ging gar nicht. Mein Vater ist buchstäblich verschwunden. Er ist eines Tages zur Arbeit gefahren, und seitdem wurde er nicht mehr gesehen. Weder er noch sein Wagen sind irgendwo aufgetaucht, und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Mom und ich sind dann hierher zu meinen Großeltern gezogen. Es war schwer für sie, denn in diesem Haus hatte sie meinen Vater kennengelernt, und alles steckte voller Erinnerungen an ihn. Wir haben das Haus behalten“, fuhr Tara fort. „Mom meinte immer, dass Dad uns dann leichter finden könnte, wenn er doch eines Tages zurückkehren würde.“

„Nachdem er rund zwanzig Jahre verschwunden war und nie mehr von sich hatte hören lassen?“

Tara zuckte die Schultern. „Wer weiß, was ihm zugestoßen ist. Vielleicht hat er das Gedächtnis verloren oder so etwas. Es spielt auch keine Rolle. Mom hat mir aufgetragen, das Haus zu behalten, und den Wunsch werde ich ihr erfüllen.“

Rand schüttelte verständnislos den Kopf. „Das Badezimmer ist …?“

„… dort.“ Tara zeigte auf eine Tür.

„Gibt es einen Internetanschluss im Haus?“

„In jedem Raum. Ich habe ein drahtloses Netz installieren lassen, damit ich überall im Haus arbeiten kann.“

„Und wo ist dein Schlafzimmer?“

„Gegenüber.“

„Willst du es mir zeigen?“

Tara ging voran. Als er sie von hinten betrachtete, fiel ihm auf, dass sie in den fünf Jahren schlanker geworden war. Er hatte ihre etwas üppigeren Kurven immer geliebt, aber diese Taille und diese Hüfte gefielen ihm auch nicht schlecht.

Das große Himmelbett in Taras Schlafzimmer nahm fast den ganzen Raum ein. Rands Puls beschleunigte sich, als er es sah und sich vorstellte, mit ihr darin zu liegen. Er wollte nicht an diese Dinge denken, aber er kam einfach nicht dagegen an. Ach was, da wir schon einmal hier sind, warum fangen wir nicht gleich an?, fragte er sich.

Tara schien zu ahnen, was in ihm vorging. Bevor sie sich jedoch zurückziehen konnte, fasste Rand sie am Ellenbogen, zog sie an sich und küsste sie auf den Mund.

Schon bei der ersten Berührung kam es ihm vor, als wäre er nach einer Zeitreise in der Vergangenheit gelandet. Alle Erinnerungen waren mit einem Schlag wieder lebendig. Der Duft ihrer Haut, der süße Geschmack ihrer vollen Lippen, ihr weicher Körper, gegen den er sich presste – all das weckte in ihm dieselbe Leidenschaft wie damals, sosehr er auch versuchte, diese Gefühle und Erinnerungen zurückzudrängen und einen klaren Kopf zu behalten. Rand drang mit der Zunge in ihren Mund und versuchte auf jede Art, ihr Feuer zu entfachen, denn in ihm brannte es bereits lichterloh. Er war mehr als bereit, seinen Teil ihres Handels zu erfüllen.

Tara lag die ersten Sekunden stocksteif in seinen Armen. Als er dann begann, den Kuss zu vertiefen und ihre Lippen auffordernd zu liebkosen, stieß sie ihn von sich. Rand ließ los, und sie fuhr sich mit der Hand über den Mund.

Rand wunderte sich. Sie wollte Sex, also sollte sie ihn bekommen – nicht mehr und nicht weniger. Wer sollte aus dieser Frau schlau werden? Umbekümmert lockerte er seine Krawatte und knöpfte sich das Hemd auf.

Mit weit aufgerissenen Augen sah Tara ihn an. „Was tust du da?“

„Wir tun es. Jetzt. Dafür bin ich doch hier, oder?“

Sie biss sich auf die Lippe. „Ich finde das jetzt etwas überstürzt.“

Rand unterbrach seinen Striptease. „Und wann wäre es dir recht? Nach dem Abendessen vielleicht?“

„Ich denke, wir sollten uns erst wieder … etwas annähern.“

Obwohl sie ihn zurückwies, entging ihm nicht, dass ihr Atem schneller ging und sich ihre Brustwarzen unter dem Stoff ihres Oberteils abzeichneten. Ihre Wangen glühten förmlich.

Er trat dicht an sie heran. „Tara, du willst es. Ich sehe es dir an. Du hast diesen Deal vorgeschlagen, also bekommst du von mir, was du verlangst.“ Verdammt, dachte er, und ich will es auch – und wenn es hundert Mal eine Falle ist.

„Ganz so ist es nicht“, widersprach sie. „Wenn es mir darauf angekommen wäre, Sex mit irgendwelchen Wildfremden zu haben, hätte ich ganz sicher irgendeinen Typen aufreißen können.“

Der bloße Gedanke, dass sie sich irgendeinem anderen Mann hingeben könnte, versetzte Rand in Rage. Schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Zärtlich berührte er mit den Fingerspitzen ihren Oberarm und spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam.

Hastig trat sie einen Schritt zurück. „Ich werde mich jetzt um das Essen kümmern.“

Sie wollte an ihm vorbei hinausgehen, aber er versperrte ihr in den Weg. „So stellst du dir das also vor? Du pfeifst, und ich komme. Ich bin kein Hund, Tara, und auch nicht dein Gigolo.“

Sie schluckte sichtlich. „Ich hatte mir vorgestellt, dass es bei uns beiden vielleicht so etwas wie gefühlvollen Sex geben könnte, so wie es früher einmal war.“

„Früher? Du meinst, bevor du mit meinem Vater geschlafen hast?“, platzte er heraus.

„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nicht mit ihm geschlafen habe.“

„Du vergisst, dass ich genau weiß, wie du aussiehst, wenn du gerade aus dem Bett kommst. Wie deine Wangen dann glühen … Allein der Knutschfleck an deinem Hals sprach Bände.“

Tara machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich ab. „Ach, glaub doch, was du willst.“ Dann warf sie Rand einen Blick zu, der so traurig war, dass es ihn tief berührte. „Es war einmal sehr, sehr schön mit uns. Ist dir das gar nichts mehr wert?“

Es war auch mal so, dass er sich hatte für dumm verkaufen lassen. „Ich pflege einen Fehler nur ein Mal zu machen“, erwiderte er.

Sie zuckte zusammen. „Du wirst mich nie dazu bringen, zu glauben, dass das mit uns ein Fehler war.“

Rand hielt es für an der Zeit, diese Diskussion zu beenden. Er war immer noch von ihr abhängig und durfte nicht riskieren, dass sie vor Ablauf des Jahres alles hinwarf. Dafür stand zu viel auf dem Spiel.

Gut, wenn Tara ein langes Vorspiel braucht, soll sie es bekommen. Aber Gefühle werde ich diesmal nicht investieren, schwor er sich.

3. KAPITEL

Tara sträubten sich die Nackenhaare. Sie brauchte sich gar nicht umzudrehen, denn sie wusste auch so, dass Rand hinter ihr stand.

Sie war so vertieft in ihre Arbeit gewesen, dass sie ihn nicht hatte hereinkommen hören. Er musste nach seinen üblichen Besprechungen am Dienstagmorgen durch den hinteren Eingang in sein Büro zurückgekehrt sein, denn an ihrem Schreibtisch war er nicht vorbeigekommen.

„Kann ich etwas für dich tun?“, fragte sie.

„Nein.“

„Was willst du dann?“

„Ich schau dir bei der Arbeit über die Schulter.“

Sein warmer Atem, der ihren Nacken streifte, rief ein angenehmes Kribbeln in ihr hervor.

„Ich bin gerade dabei, dir einen Link zu schicken, damit du einen leichteren Zugriff auf die Firmenarchive hast.“ Sie schob ihren Schreibtischstuhl ein Stück zurück, sodass er ausweichen musste, wenn er nicht wollte, dass sie ihm über seine italienischen Schuhe fuhr.

„Das zu lesen macht mir aber wesentlich mehr Spaß, wenn ich dir dabei über die Schulter sehe.“ Rand setzte sich auf die Schreibtischkante und lächelte sie an. Sie kannte dieses Lächeln, und wieder erfasste sie diese innere Unruhe. Rand sah elegant aus wie immer. Er trug einen perfekt sitzenden dunklen Maßanzug und dazu eine schwarz-grau gestreifte seidene Krawatte.

Sein Benehmen war an diesem Tag anders, weniger aggressiv und nicht so reserviert wie zuvor. Tara fühlte sich unsicher, denn sie konnte sich nicht vorstellen, was das zu bedeuten hatte. Es kam ihr vor, als wäre er auf etwas aus. Trotz seines gewinnenden Lächelns lag etwas wie kalte Berechnung in seinen Augen. Ein ähnlich unbehagliches Gefühl hatte sie schon bei seinem Kuss am Abend zuvor gehabt. Eigentlich war an dem Kuss nichts auszusetzen gewesen, und doch hatte er berechnend gewirkt. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre sie sicher mit ihm ins Bett gegangen, denn sie sehnte sich danach, ihn zu spüren.

Wir tun es! Mein Gott, wie schrecklich das klang. Das war es bestimmt nicht, was sie wollte. Sie wollte wieder das Leuchten in Rands Augen sehen, das sie von früher kannte, sehen, wie seine Augenfarbe von Dunkelbraun ins Grünliche wechselte, wenn die Lust und die Leidenschaft ihn davontrugen.

Tara gab sich einen Ruck. „Wenn du nichts zu tun hast, kannst du ja das Empfehlungsschreiben für mich aufsetzen, das du mir versprochen hast.“

„Das ist schon fertig.“

„Bekomme ich eine Kopie?“

Rand stand auf und schlenderte gemächlich in sein Büro, als hätte er alle Zeit der Welt und nicht einen randvollen Terminkalender. Sein Verhalten irritierte sie. Sie hatte Rand anders kennengelernt. Vor fünf Jahren war er, wenn es um das Geschäft ging, hundertprozentig darauf konzentriert, und wenn sie zusammen waren, gab es für ihn nichts weiter als sie beide, ihre Zärtlichkeiten, ihre Leidenschaft. Jetzt hingegen schien Rand alles zu vermischen. Die klaren Trennungslinien zwischen Arbeit und Privatleben verschwammen. Tara hatte Schwierigkeiten, damit umzugehen.

Sie warf einen Blick in den Terminkalender. In zehn Minuten standen die nächsten Vorstellungsgespräche an. Da Everett Nadia aus der Firma ins Privatleben verbannt hatte, musste ihre Stelle so bald wie möglich neu besetzt werden. Von den Kandidaten, die die Personalabteilung ihnen am Vortag geschickt hatte, hatte noch keiner überzeugt.

Taras Bemühungen, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren, wurden kurz darauf wieder unterbrochen. Rand kehrte mit einem Schriftstück aus seinem Büro zurück, das er auf ihrem Schreibtisch unterschrieb und ihr über die polierte Tischplatte zuschob. Es war das Empfehlungsschreiben, das Tara verlangt hatte.

„Das ist vordatiert“, fiel ihr sofort auf.

„Was glaubst du denn? Dass ich dir ein Zeugnis in die Hand gebe, mit dem du gemütlich hier herausspazieren kannst, wann es dir passt? Ich muss mich absichern.“

„Du hast mein Wort. Genügt dir das nicht? Traust du überhaupt niemandem mehr?“

„Hier geht es nicht um Vertrauen. Dafür steht zu viel auf dem Spiel, zumal es auch die Interessen von Mitch und Nadia sind, die ich wahren muss.“

Rand stand dicht neben ihr, und Tara empfand wieder diesen Zwiespalt. Einerseits fühlte sie sich von ihm bedrängt und eingeengt. Gleichzeitig schlug ihr Herz schneller und lauter. Sie wagte nicht, den Kopf zu heben und ihm ins Gesicht zu sehen.

„Ich wollte dich noch bitten, eine Cocktailparty für die Direktoren unserer Schifffahrtslinien zu organisieren. Am besten Ende der Woche. Halt dir den Termin frei. Ich möchte, dass du dabei bist.“

„Hältst du es für klug, wenn wir uns außerhalb des Büros miteinander sehen lassen?“

„Du hast doch darauf bestanden, die Einzige an meiner Seite zu sein.“

Das hatte sie in der Tat. Wenn sie es recht bedachte, war die Sache wirklich halb so dramatisch. Auch für Everett hatte sie bei verschiedenen Anlässen die Rolle der weiblichen Begleitung gespielt.

„Wo soll das stattfinden?“, fragte Tara. „Auf Kincaid Manor?“

„Dort auf keinen Fall.“

„Dein Vater hatte solche Empfänge immer …“

„Ich bin nicht mein Vater. Merk dir das bitte.“

Tara blieb nichts anderes übrig, als den Rüffel einzustecken. Trotzdem verletzte sie der rüde Ton, den Rand anschlug. „Warum bist du eigentlich so widerlich zu mir? Bezweckst du damit, dass ich auf meinen Teil unserer Vereinbarung verzichte?“

Er fasste sie unters Kinn und strich ihr mit dem Zeigefinger sanft über die Wange. „Warum sollte ich das wollen? Hast du nicht selbst gesagt, dass es Dinge zwischen uns gibt, die äußerst angenehm sein können?“

Unter dem Vorwand, das Zeugnis, das sie von ihm bekommen hatte, in die Schublade legen zu wollen, zog sich Tara rasch aus seiner Reichweite zurück. Sein widersprüchliches Verhalten machte sie immer unsicherer. Erst dieser schon beleidigende Ton, in dem er mit ihr sprach, dann wiederum unternahm er Annäherungsversuche, die Tara allerdings nicht überzeugend fand, denn sein Gesicht verriet, dass er dabei distanziert blieb.

Sicherlich schaffte er es, sie zu erregen, wann immer er wollte. Dazu war er ein viel zu erfahrener Liebhaber. Aber wenn nicht mehr dahintersteckte als bloß eine perfekte Technik … Nein, das war nicht ihr Rand. So wollte sie ihn nicht haben. Tara wurde klar, dass sie um das, was sie einmal gehabt hatten, würde kämpfen müssen.

Rand blickte auf seine Uhr. „Der nächste Bewerber wartet“, meinte er. „Übrigens: Wir beide gehen heute Abend zusammen essen. Zieh dir etwas Hübsches an, damit ich ein wenig in Stimmung komme.“ Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ den Raum.

Fassungslos über seine neuerliche Unverfrorenheit, sah Tara ihm hinterher. Dann aber behielt ihre Selbstachtung doch die Oberhand. Gut, sie würde ihn in Stimmung bringen. Er sollte sich noch wundern.

Der Blick, mit dem Rand sie empfing, bekräftigte Tara in ihrem Beschluss, von nun an mit allen Tricks zu kämpfen. Wie Rand angekündigt hatte, gingen sie an diesem Abend zum Essen aus. Er wartete schon unten in der Halle, als Tara die Treppe herunterkam. Sie errötete, als ihre Blicke sich trafen.

Die Art, wie er sie ansah, hatte auf sie die Wirkung eines Glases Champagner. Unten auf dem Treppenabsatz angekommen, machte sie vor ihm eine graziöse Drehung, deutete auf das Kleid, das sie trug, und fragte: „Kommt dir das irgendwie bekannt vor?“

„Nein, wieso?“, entgegnete Rand gespielt gleichgültig.

Ein leichtes Beben seiner Nasenflügel strafte ihn jedoch Lügen. Er erinnerte sich nur zu genau an dieses Kleid, und Tara war seine verräterische Reaktion nicht entgangen. Sie entschädigte sie für die Stunde, die sie an der alten Nähmaschine ihrer Mutter verbracht hatte, um das Cocktailkleid zwei Nummern enger zu machen. Seitdem sie damals ihren Job bei KCL aufgegeben hatte, hatte sie nicht mehr das Geld, um sich neue Garderobe zu kaufen. Und nachdem die Affäre mit Rand vorbei gewesen war, hatte sie auch keine Notwendigkeit dafür gesehen.

„Ich habe es an dem Abend getragen, an dem wir zum ersten Mal miteinander geschlafen haben.“ Tara konnte es sich nicht verkneifen, ihn mit der Nase darauf zu stoßen. Rand tat so, als hätte er es überhört. „Ich musste es nähen. Weißt du noch? Du warst so wild, dass du es mir, als du den Reißverschluss nicht finden konntest, buchstäblich vom Leib gerissen hast.“

Rand schwieg beharrlich weiter, sah aber derart gebannt auf das Oberteil ihres Kleids, dass Tara seine durchdringenden Blicke fast körperlich spürte. Sie merkte, wie sich ihre Brüste vor Erregung spannten und sich die Spitzen aufrichteten, und stellte sich vor, dass er mit seinen Röntgenaugen sehen konnte, dass sie – wie damals – keinen BH darunter trug.

„Können wir gehen?“, fragte er knapp. Seine Stimme klang ein wenig heiser.

In Tara erwachten erneut die Lebensgeister. Sie schöpfte neue Hoffnung, dass ihr Plan, ihn zu verführen und auf diese Weise zurückzugewinnen, doch aufging. Offensichtlich war noch Glut unter der Asche. So kühl, wie er tat, war Rand keineswegs. „Von mir aus kann es losgehen“, meinte sie unternehmungslustig.

Rand musste zugeben, dass er seine Kontrahentin unterschätzt hatte. Den ganzen Abend behielt Tara die Oberhand und führte ihn wie den Bären am Nasenring durch die Manage. Mit dem Kleid hatte es angefangen. Dann waren es unzählige kleine Berührungen, Blicke, Bemerkungen gewesen, die immer wieder Erinnerungen in ihm wachriefen und die ihm so einheizten, dass er seine Erregung kaum noch beherrschen konnte.

Rand nahm sich vor, dass es höchste Zeit war, die Zügel wieder in die Hand zu nehmen, als sie nach einem überraschend harmonischen Abend wieder im Haus ankamen. In der Halle war es angenehm kühl. Durch die Fenster des Wohnzimmers schien der Mond herein. In dem Licht schimmerte Taras blondes Haar wie Schnee in der Sonne. Tara wollte die Deckenbeleuchtung einschalten, aber Rand hielt sie zurück. Dann schlang er den Arm um sie und zog sie an sich. Es ist nur Sex, das sagte er sich immer wieder, während sein Herz heftiger zu schlagen begann.

„Rand …“, wollte Tara protestieren.

Mit einem Kuss brachte er sie zum Schweigen. Er wollte nicht reden. Sie schmeckte nach dem Tiramisu, das sie zum Nachtisch gegessen hatte. Und sie schmeckte nach Tara. Er fluchte stumm, weil diese Erinnerungen anscheinend nie abreißen wollten.

Einen Moment lang leistete Tara Widerstand, doch im nächsten Augenblick sank sie an seine Brust und schmiegte sich an ihn. Sein Verlangen nach ihr war übermächtig. Mochte sie ihm mit ihren Mädchenträumen Angst eingejagt haben, mochte sie ihn mit seinem Vater betrogen haben, es hatte trotzdem nie aufgehört.

Er streichelte ihren nackten, warmen Rücken. Nachdem er die Hände tiefer hatte gleiten lassen, packte er Tara und presste sie hart an sich, sodass sie erregt aufkeuchte. Sehnsüchtig berührte er ihren schlanken Körper, bis er zu ihren Brüsten gelangte, die er mit beiden Händen umschloss. Deutlich spürte er durch das Kleid hindurch ihre harten Brustspitzen, während er ihr einen weiteren leidenschaftlichen Kuss gab.

Sie zog sich zurück und rang nach Atem, aber Rand ließ ihr kaum Zeit dazu. Mit den Lippen suchte er schon ihre empfindliche Stelle seitlich an ihrem Hals. Ihre Haut war seidig und zart und verströmte einen köstlichen Duft. Genauso war es vor fünf Jahren gewesen, als sie sich geliebt hatten, als ob es kein Morgen gäbe. Aber daran wollte Rand jetzt nicht denken.

Zaghaft schob sie die Hände unter sein Jackett und glitt in der nächsten Sekunde spielerisch mit den Fingernägeln über seinen Rücken. Sie lehnte sich zurück, sah Rand an und genoss seine Reaktion offensichtlich. Ihre Lippen glänzten feucht. Ihr Atem kam stoßweise. Mit einer schnellen Bewegung streifte sie ihm die Jacke von den Schultern.

Rand blieb auf der Hut. Forschend betrachtete er sie und wollte in ihren Augen lesen, was sie im Schilde führte. Da sie im Schatten stand, drehte er sich mit ihr um, sodass das schwache Mondlicht auf ihr Gesicht fiel. Tara hielt jedoch den Blick gesenkt, und ihre dichten Wimpern enthüllten ihm nichts.

Dann hob sie den Kopf, griff nach dem seitlichen Reißverschluss ihres Kleides und zog ihn herunter. Zwei Schulterbewegungen genügten, und schon rutschten die Träger herunter. Der schwarze Stoff glitt lautlos zu Boden, sodass Tara nur noch in einem Slip und ihren hochhackigen Pumps vor ihm stand.

Er hielt den Atem an. Nicht nur an das Kleid erinnerte er sich genau, auch an diese Schuhe, die ihn damals schon um den Verstand gebracht hatten. Er hatte das Gefühl, keine Sekunde länger warten zu können. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle genommen. Doch er bezwang sein Verlangen und atmete tief durch, um sich wieder in den Griff zu bekommen.

Sanftes Mondlicht umschmeichelte ihre Kurven, und er stellte fest, dass sie noch schöner geworden war. Auch wenn er ihre femininen Rundungen früher sehr gemocht hatte, jetzt war sie einfach unwiderstehlich.

Als er nach seiner Krawatte griff, hielt Tara ihn zurück. „Lass mich das machen.“ Federleicht strich sie mit den Fingerspitzen über seinen Hals, während sie den Knoten lockerte. Und sobald das erledigt war, begann sie, ihm das Hemd aufzuknöpfen.

Sie trat näher, streifte das Hemd von seinen breiten Schultern und bedeckte seinen Hals und die Brust mit sanften Küssen. Ihm rauschte das Blut in den Ohren, und er biss die Zähne zusammen. Mit der Zunge reizte sie seine Brustwarzen.

Und als sie anfing, zärtlich daran zu knabbern, wäre es beinahe um ihn geschehen gewesen. Er drückte ihre Taille fester.

Reiß dich zusammen, um Himmels willen, rief er sich zur Ordnung. Kleine Schweißperlen traten ihm auf Stirn und Oberlippe. Er durfte auf keinen Fall die Selbstbeherrschung verlieren. Kurz entschlossen hob er Tara hoch und trug sie zur Treppe. Selbst auf dem Weg dorthin hörte sie nicht auf, sein Begehren anzufachen. Er spürte, wie sie die Brüste an seinen Oberkörper schmiegte. Ihr Duft berauschte ihn. Sie küsste sein Ohrläppchen und reizte ihn mit der Zungenspitze. Habe ich ihr das beigebracht?, fragte er sich, verwarf den Gedanken aber schnell.

Als sie in ihrem Schlafzimmer ankamen, brannte dort auf einem kleinen Tisch eine Lampe mit einem Tiffany-Schirm, die ein farbenfrohes Muster an die Wände warf. Schwungvoll riss Rand die Decke weg und schleuderte sie ans Fußende.

Autor

Emilie Rose
Ihre Liebe zu romantischen Geschichten hat Emilie bereits im Alter von zwölf Jahren entdeckt. Zu der Zeit las sie einen Liebesroman nach dem anderen, sodass ihre Mutter die Bücher bald unter den Sofakissen versteckte, sobald Emilie ins Wohnzimmer kam.

Dabei verbrachte sie damals viel Zeit in der freien Natur, wenn sie...
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