Three Wicked Nights - Eine Nacht ist nie genug - Erotische Liebesgeschichten - 3in1

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  • Erscheinungstag 01.10.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783955769543
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Jo Leigh

Three Wicked Nights - Eine Nacht ist nie genug - Erotische Liebesgeschichten -3in1

1. KAPITEL

„Rate, wie viele James Bonds sich gerade in diesem Raum befinden.“ Jenna Delaney zog ihren Ausschnitt nach oben, während sie beobachtete, wie die Bonds sich miteinander unterhielten. Manche waren klein, manche rundlich, andere blond. Einige hatten Ansätze eines Bierbauchs. Aber sie alle waren eindeutig als der eine, der einzige 007 gekleidet.

Jenna und ihre Freundin Mindy waren perfekt platziert: nahe genug am Silvester-Büfett-Tisch, dass sie alles naschen konnten, was sie wollten, aber trotzdem einen großartigen Ausblick auf den Saal für das Jahrgangstreffen der Boston University hatten. „Zehn? Zwölf?“ Mindy schüttelte den Kopf. „Ich gebe auf. Wie viele?“

„Sie sind alle Bond“, erklärte Jenna. „Jeder einzelne Mann hier. Um sich zu kostümieren, mussten sie sich lediglich einen Smoking leihen. Das ist alles. Es sei denn, sie hatten bereits einen, was es noch einfacher macht. Während ich dumme Nuss einen Haufen Kohle für einen blutroten Momco-Lippenstift und lila-schwarzen OPI-Nagellack in dieser scheußlichen, aber perfekten Farbe ausgegeben habe. Und dann habe ich noch ein Kleid an, das viel zu gewagt ist, nur um das Outfit von Vesper Lynd in Casino Royale zu tragen.“

„Du hast das alles genau recherchiert, ja?“

„Natürlich habe ich das. Alle Bond-Girls haben ihre eigenen Wikis.“ Jenna nahm das Verkleiden ebenso ernst wie ihren Job als Englischlehrerin an einer Mittelschule.

„Du Arme“, sagte Mindy. „Ich habe mein Kostüm wie die Männer ausgewählt. Nichts davon ist neu. Ich habe es mit den Sachen aus meinem Kleiderschrank zusammengestellt.“

Jenna betrachtete die schwarze Bluse und die lange Hose ihrer Freundin. „Das soll ein Kostüm sein?“

Mindy nickte kauend.

„Also wer bist du? Ein Statist?“

„Mach dich nicht lächerlich. Ich bin Judi Denchs ‚M‘.“

Jenna drehte sich um, um sie anzusehen. „Aber sie war nicht rothaarig.“

Mindy grinste schelmisch. „Ich bin M in Verkleidung.“

Jenna lachte.

„Übrigens siehst du sensationell aus.“ Mindy musterte sie eingehend und sah dann auf ihren Ausschnitt. „Na, würdest du, wenn du nicht ständig versuchen würdest, deine Brüste zu verstecken.“

„Was meinst du?“

„Du ziehst schon den ganzen Abend deinen Ausschnitt nach oben. Du zeigst nicht zu viel, du prüde Viktorianerin. Sieh dich um. Hier gibt es Frauen, die beinahe gar nichts mehr tragen. Das Motto der Party sind James-Bond-Filme.“ Mindy zog Jennas Oberteil ein paar Zentimeter nach unten. „Es gibt einen Grund, warum man es tief ausgeschnitten nennt. Warum bist du nicht einfach als Moneypenny gekommen?“

Jenna umklammerte ihr Oberteil. „Das bin ich. Drei Mal, wie du sehr wohl weißt.“

„Genau. Weil wir jedes verdammte Jahr hierherkommen. Überall in Boston gibt es Partys. Ich meine, es ist Silvester und Neujahr, aber jedes Jahr müssen wir zur selben Party. Es ist kriminell, was wir alles verpassen. Es bedeutet nicht, unloyal ihrer Alma Mater gegenüber zu sein, wenn wir auch mal etwas anderes sehen wollen.“

Sie waren Jennas Verlobter und Mindys Ehemann, die beide an der Boston University studiert hatten. „Da hast du nicht unrecht“, Jenna nahm etwas, das aussah wie mit Lachs gefüllter Blätterteig. „Es ist an der Zeit, unser Repertoire zu erweitern. Es ist nur … Payton ist so daran gewöhnt …“

„Pech.“ Mindy sah vielleicht nicht aus wie M, aber im Moment klang sie wie sie. „Ich mag euch beide sehr, aber mir reicht’s. Keine Partys mehr, auf denen wir uns verkleiden müssen. Wenn die Jungs unsere knappen Outfits vermissen, können sie sie anziehen.“

Jenna lachte, bis sie bemerkte, dass sie immer noch ihr Dekolleté mit der Hand bedeckte. Es war ja nicht so, dass ihre Brüste so groß waren, dass sie viel Aufruhr verursacht hätten. Und sie war nie prüde gewesen. Doch dann hatte sie angefangen, Zwölfjährige zu unterrichten. Und mit Payton auszugehen. Nicht, dass er sie prüde gemacht hätte, aber sie gingen zu vielen Veranstaltungen für seine ultrakonservative Buchhaltungsfirma und sie hatte gelernt, sich dementsprechend zu kleiden und zu benehmen. Sie ließ die Hand fallen und richtete sich auf. „Okay, nächstes Jahr schmiedest du die Pläne. Ich bin sicher, Payton ist dabei.“

Mindy hob die Brauen. „Und wenn nicht?“

„Er wird dabei sein. Wo sind die beiden überhaupt?“

Mindy verzog das Gesicht. „Vermutlich stecken sie irgendwo in einer Ecke und diskutieren über die neuesten aufregenden Steuervorgaben.“

Mindys Ehemann Zane war nicht nur zwei Jahre vor Payton auf die Universität gegangen, er war auch Buchhalter in derselben Firma. Jenna mochte das Paar wirklich sehr, aber sie sahen einander nur bei Veranstaltungen wie dieser. Sie lebten in unterschiedlichen Vorstädten und sowohl Mindy als auch Jenna arbeiteten ganztags.

„Hast du den gesehen?“ Mindy nickte in Richtung eines großen, dunkelhaarigen Manns, der am anderen Ende des Büfetts stand.

„Wen? Oh. Hatte ich nicht. Nein. Aber ich … Er … sieht gut aus.“

Mindy nahm sich eine in Schokolade getauchte Erdbeere, jetzt, da sie ein paar Schritte in Richtung der Desserts gegangen waren. „Er sieht gut aus? Das ist, als würdest du sagen, die Mona Lisa ist ein nettes Gemälde.“

„Okay, gut. Er ist umwerfend“, erwiderte Jenna. „Ernsthaft, ich habe in dem Moment aufgehört, dir zuzuhören, als ich ihn gesehen habe.“

„Es sei dir verziehen. Ich meine, er sieht wirklich wie James Bond aus. Besser als Daniel Craig, wenn du mich fragst.“

Jenna nickte, obwohl sie wusste, dass Mindy nicht zu ihr sah. „Er muss ein Schwimmer sein. Richtig? Das ist der Körper eines Schwimmers.“

„Ich weiß es nicht. Ich denke, ein Läufer. Nein. Kampfsport“, sagte sie und ihre Stimme wurde eine Oktave tiefer.

„Hmm. Gut möglich“, erwiderte Jenna mit britischem Akzent.

Mindy lachte. „Ich schicke ihm eine telepathische Nachricht, sein Jackett auszuziehen.“

„Wenn du schon dabei bist, bitte ihn, auch alles andere auszuziehen.“

„Das erscheint mir gierig.“

Nun kicherte Jenna. „Oh verdammt, er ist mit jemandem hier.“

„Wir auch.“

„Natürlich sind wir das. Ich mache nur einen Schaufensterbummel. Oh, seine Freundin ist sehr schön.“

„Ich mochte Blondinen noch nie“, Mindy beäugte Jenna kurz. „Du würdest gut zu ihm passen“, sagte sie. Dann begann sie ihren Teller mit Petit Fours zu beladen.

Jenna lachte. Sie nahm einen Brownie, während sie den Rest der Köstlichkeiten betrachtete und alles ignorierte, das nicht aus Schokolade war.

„Er sieht … gefährlich aus. Danger Bond“, meinte Mindy. „Wenn er nur das verdammte Jackett ausziehen würde. Uns sehen lassen, was er darunter zu bieten hat.“

Jenna sah vom Büfett-Tisch auf und blickte ihre Freundin an, die den Mann unverhohlen anstarrte.

„Es würde mich nicht überraschen, wenn er eine Walther PPK versteckt.“

Mindys Augen leuchteten auf, als sie sich Jenna zuwandte. „Ich nehme den Kommentar über die Viktorianerin zurück. Und gebe dir Extrapunkte für die eleganteste Art, den Witz ‚Ist das ein Revolver in Ihrer Hose?‘ neu zu interpretieren.“

„So bin ich eben. Elegant wie – oh, verdammt, er kommt näher.“

Mindy stupste sie an der Schulter an. „Sieh ihm nicht direkt in die Augen.“

Jenna nickte geistesabwesend. Sie interessierte sich mehr für das traumhafte Kleid, das die Freundin des Mannes trug, als für ihn. Ein paar Sekunden später begriff sie, was ihre Freundin gesagt hatte. Sie sah wieder zu Danger Bond. „Verdammt, ich habe ihm gerade direkt in die Augen gesehen. Er hat mich dabei erwischt. Hör auf, solche Sachen zu sagen.“

„Jenna?“ Mindy piekte sie in die Schulter. „Jenna.“

„Ja, was ist?“

„Payton“, sagte Mindy ein wenig zu strahlend. „Zane. Gott sei Dank seid ihr wieder da. Wir haben schon befürchtet, ihr hättet ein paar Bondgirls gefragt, ob ihr ihre Steuer machen könntet.“

„Ha“, erwiderte Mindys Ehemann ohne jeglichen Humor. „Von Buchhalterwitzen kann ich nie genug bekommen.“

Mindy winkte ab, bevor sie ihren doppelten Scotch entgegennahm. Jennas Blick fiel auf ihre Eheringe. Sie waren von Vera Wang. Diamanten und Saphire auf Weißgold. Gott allein wusste, wie teuer sie gewesen waren.

Dann blickte sie auf ihren eigenen Verlobungsring. Sie und Payton hatten ihn gemeinsam ausgesucht. Der bezaubernde Diamant im Princess-Schliff mit einem drei viertel Karat auf Platin war die perfekte Wahl gewesen. Das Geld, das sie gespart hatten, indem sie vorsichtig waren, hatten sie auf das Konto für ihr Haus getan. Die Hochzeit war für den kommenden Juni angesetzt – falls sie sie nicht wieder verschoben.

Wie dem auch sei, bis dahin hätte sie ihren Studienkredit zurückgezahlt und sie würden eine beachtliche Summe beiseitegelegt haben, um eine Anzahlung für ein Haus in Easton zu haben, einem hübschen Vorort, der in der Mitte zwischen ihren Arbeitsplätzen lag. Es gab einen Grund, warum sie beschlossen hatten, die Hochzeit im schönen Garten seiner Eltern zu feiern. Es war für sie beide sehr wichtig, den nächsten Abschnitt in ihrem Leben schuldenfrei zu beginnen.

Sie nahm Payton ihren White Russian ab und gab ihm einen Kuss. „Du solltest etwas essen. Alles hier schmeckt extrem gut.“

„Ich bin sehr dankbar, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, es für uns zu probieren. Hier kann man die Bösewichte kaum von den Helden unterscheiden.“

„Gern geschehen.“

Payton drückte ihr rasch einen Kuss auf die Stirn und wollte sich einen Teller holen. Er kam nicht weit. Die schöne Blondine, die bei Danger Bond war, schnappte nach Luft, als sie ihn sah. „Payton?“

„Faith! Du kommst doch nie zu diesen Treffen.“

Sie war sogar noch schöner, wenn sie lächelte. „Ich wusste nicht, dass du hier bist“, erwiderte sie, setzte ihren Teller ab und nahm ihn fest in den Arm. Jenna und Mindy sahen sich gegenseitig mit hochgezogenen Brauen an.

Die Umarmung dauerte nur ein paar Sekunden zu lang. Das sah Payton so unähnlich, dass Jenna kaum bemerkte, wie Danger Bond zu ihnen trat.

Faith ging einen Schritt zurück. „Das ist Rick. Mein Freund. Wir sind seinetwegen in Boston.“

Payton stellte sich vor. Jenna sah zu, wie die beiden Männer sich die Hände schüttelten. Offensichtlich hatte Faith etwas für gut aussehende Männer mit dunklem Haar übrig. Jenna seufzte angesichts ihrer Dummheit. Es war das Treffen der Ehemaligen an Silvester. Die Leute aßen gutes Essen und tranken viel Alkohol. Also umarmten sie sich. Es bedeutete nichts. Dennoch stellte sie sich neben Payton.

Payton legte den Arm um sie. „Jenna, das ist Faith Quentin. Wir waren Freunde, als wir auf dem College waren.“ Sie schüttelten sich die Hände, und Faith musterte sie gründlich. Jenna fühlte sich überlegen, weil sie Faith im Gegenzug nicht betrachtete. Niemand außer Mindy musste wissen, dass sie die Frau bereits ausgiebig begutachtet hatte.

Danger Bond hielt ihr ebenfalls die Hand hin. „Ich bin auf die Schule auf der anderen Seite des Charles River gegangen, aber Faith lässt mich trotzdem hierher mitkommen. Rick Sinclair.“

Aus der Nähe betrachtet war sein Lächeln großartig, doch es passte nicht ganz zu seinem markanten Kinn und den stechenden blauen Augen. Als Payton Mindy und Zane vorstellte, begriff sie, dass das College am anderen Ufer des Flusses das M.I.T., das Massachusetts Institute of Technology, war.

„Also bist du beim Journalismus geblieben.“ Payton lächelte Faith an. Oder vielleicht hatte er die ganze Zeit gelächelt.

„Ja. Ich hatte Glück. Journalismus ist – warte. Woher weißt du das?“

„Ich …“ Payton schien überrascht zu sein. Er fing sich schnell wieder, so, dass niemand es bemerkte. Außer Jenna. Sie sah den verräterischen Tick, der ihr verriet, dass er nervös war. „Ich muss etwas im Ehemaligen-Magazin gelesen haben“, meinte er leichthin. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du einen National Magazine Award gewonnen.“

Jenna blinzelte. Entweder hatte er Faiths Karriere verfolgt oder er hatte das Ehemaligen-Magazin von vorne bis hinten durchgelesen, etwas, von dem Jenna sicher war, dass er es nicht tat.

„Ja, das hat sie.“ Rick zog Faith für eine schnelle Umarmung an sich. „Sie hatte erst eineinhalb Jahre für Discover gearbeitet. Der NM-Award ist das Zeitschriften-Gegenstück zum Pulitzer-Preis.“

Faith wurde rot und warf ihr perfektes blondes Haar über die Schulter. „Er prahlt nur, weil es in einem Großteil der Artikelserie um ihn ging.“

„Wirklich?“ Zane, der keine Zeit verloren hatte, um seinen Teller zu füllen, trat wieder zu ihnen. „Worum ging es?“

Payton hatte immer noch nichts gegessen. Er musste am Verhungern sein. Jenna wollte gerade anmerken, dass er auf nüchternen Magen trank, aber als Faith sagte: „Klimawandel und die Formation von Superzellengewittern“, sah Payton aus, als habe er nie etwas Faszinierenderes gehört.

Als Payton sie fragte, welche Rolle Rick gespielt hatte, gab Jenna auf. Wenn er mit einem Kater aufwachen wollte, war das seine Sache.

Rick, der offenbar gut mit der Neugier ihres Verlobten zurechtkam, erklärte: „Ich bin Meteorologe beim National Severe Storms Laboratory.“

Faith warf Rick einen Blick zu. Den typischen Blick eines Paares. „Eher ein professioneller Sturmjäger, der zufällig auch einige akademische Grade besitzt.“

Das erregte Jennas Aufmerksamkeit. „Sturmjäger. Das klingt gefährlich.“

Rick zuckte mit den Achseln. „Es kann gefährlich sein, aber es ist auch ein unglaublicher Rausch. Ich glaube, ich habe nicht mitbekommen, was Sie beruflich tun?“

„Sie ist Lehrerin“, warf Payton ein. Noch etwas, das er nur selten tat. Es war wirklich nicht nötig, dass er für sie sprach. „Für Englisch auf der Mittelschule. An einer sehr guten Schule in Scituate.“

Jenna starrte ihn an. Sein Ton und der Hinweis auf South Shore, die eine gute Schule war, wenngleich auch nicht mit Thorndyke Road oder Migos zu vergleichen, zeigten, dass er versuchte, ihren Job glamouröser zu machen. Er war kein bisschen überzeugend. Was war nur heute Abend mit ihm los? Vielleicht hatte er bereits seinen zweiten Whiskey gehabt, bevor er zu ihr zurückgekommen war.

Faith warf ihr ein charmantes Lächeln zu. Rick jedoch sah Payton eine Weile an, bevor er sich an sie wandte. „Dort ist das echte Abenteuer. Was Schüler in diesen prägenden Jahren begeistert, macht den Unterschied. Seit ich vierzehn bin, will ich Tornados studieren. Kinder in diesem Alter sind so leidenschaftlich.“

„Das sind sie“, erwiderte sie. „Ich wollte Lehrerin werden, seit ich dreizehn war.“

Es entstand eine Pause, die gerade lang genug war, um das Thema zu wechseln. Mindy war schrecklich still. Payton brach schließlich das Eis. „Oh, wow, ich muss etwas essen“, erklärte er. Mit einer Hand auf dem Bauch wandte er sich an Jenna. „Soll ich dir etwas mitbringen?“

Sie schüttelte den Kopf. Das war endlich der Payton, den sie kannte. Dann überraschte er sie mit einem Kuss. Nicht das übliche Küsschen. Da war ein bisschen Zunge dabei, und das vor allen Leuten. Sie beendete den Kuss rasch. „Danke, Mr. Bond“, sagte sie und hoffte, dass sie den richtigen Tonfall getroffen hatte.

Payton zwinkerte ihr zu. „Gern geschehen.“ Er wandte sich wieder an die Gruppe. „Also gut. Es war toll, dich wiederzusehen, Faith. Bleibst du eine Weile in der Stadt?“

„Ein paar Tage.“ Faith lächelte erst Rick, dann Payton an. „Ich bin sicher, wir werden uns bald wiedersehen. Es war schön, Sie alle zu treffen.“

Das Paar verschwand schließlich in der Menge.

Sobald sie wieder zu viert waren, machten die Männer sich daran, das Büfett zu studieren, während Jenna an ihrem White Russian nippte. Sie und Mindy standen direkt neben dem Schokoladenbrunnen, aber sie hatte keinen Hunger.

Mindy stieß sie an der Schulter an und flüsterte: „Danger Bond hat deine Ehre verteidigt.“

„Was?“ Jenna lachte. „Nein, hat er nicht.“

„Okay, deinen Beruf. Trotzdem … das war nett.“

Jenna lachte erneut gezwungen. Sie war dankbar, dass Mindy Paytons seltsames Verhalten nicht erwähnt hatte. Sie warf Jenna jedoch einige fragende Blicke zu, besonders, als Faith und Rick noch einmal an ihnen vorbeigingen. Jenna lächelte, als wäre alles in Ordnung. Sie war nicht eifersüchtig.

Aber sie musste zugeben, dass Paytons Verhalten sie vor ein Rätsel stellte. Er hatte nicht erwähnt, dass sie verlobt waren. Den größten Teil der kurzen Begegnung hatte er damit verbracht, Faith anzugrinsen. Aber vielleicht hatte es ihn einfach überrascht, seine alte Freundin zu sehen. Jenna konnte sich vorstellen, dass sie auch nach Worten ringen würde, wenn sie Martin, ihren Freund vom College, auf einer Party treffen würde. Natürlich war das etwas völlig anderes. Sie glaubte nicht, dass zwischen Payton und Faith etwas gelaufen war. Zumindest hatte er es nie erwähnt. Wie dem auch sei, Faith wäre eine Idiotin, wenn sie sich mit anderen Männern herumtreiben würde, wo sie Rick hatte. Er war absolut charmant gewesen.

Payton belegte einen gerade frei gewordenen Platz an einem hohen Bartisch. Sie hätte es vorgezogen, sich hinzusetzen, aber es war angenehm, ihren Drink abzustellen.

„Jetzt, wo ich mich umgesehen habe“, sagte Payton und trank seinen Whiskey aus, „glaube ich nicht, dass es in diesem Hotel eine schönere Vesper Lynd gibt.“

Sie lächelte, wohl wissend, dass er das auch gesagt hätte, wenn sie einen Pullover über ein Alltagskleid gezogen hätte. „Ich habe wirklich nicht gedacht, dass es so viele Vespers geben würde.“ Gerade als sie das gesagt hatte, lief eine weitere vorbei. „Aber ich vermute, es ergibt Sinn. Der Film ist relativ neu.“

„Keine hat es so gut hinbekommen wie du.“

Noch ein Kompliment? Interessant. Payton lobte für gewöhnlich nur im Privaten. Aber er hatte sie auch noch nie in der Öffentlichkeit so geküsst. Es gab keinen Grund, warum er diese Dinge nicht in Gegenwart von Zane und Mindy sagen sollte. Und trotzdem …

„Und deine Augen haben noch nie so verführerisch ausgesehen.“

Okay, das war wirklich zu viel. Was zum Teufel war los mit ihm? Hatte es etwas mit Faith zu tun? Machte er ihr Komplimente, weil er sich schuldig fühlte? Oder war er betrunken? Ebenso wie sie trank er für gewöhnlich nicht viel.

Eines der Dinge, die sie am meisten an Payton schätzte, war, dass er berechenbar war. Für viele Frauen mochte das kein attraktiver Charakterzug sein, aber für sie schon. Sie liebte ihn für seine Beständigkeit. Dafür, dass ihre gemeinsame Zukunft sich ohne Hindernisse und Tränen entfalten würde. Trotzdem, drei Komplimente hintereinander? „Worüber hast du mit Zane so lange geredet, als ihr zur Bar gegangen seid? Arten, wie man eine sichere Sache anwirbt?“

Alle lachten und Paytons Schultern entspannten sich, als er antwortete: „Ich habe George und Cora eine Weile nicht gesehen. Haben sie gesagt, wohin sie wollen?“

Mindy meldete sich endlich zu Wort. „Sie tanzen unten. Wir treffen uns mit ihnen, sobald Zane fertig gegessen hat. Wollt ihr mitkommen?“

Payton schüttelte den Kopf. „Da unten ist es zu laut und zu voll. Ich werde wahrscheinlich hierbleiben.“

Es war lächerlich, aber Jennas Brust zog sich wieder zusammen. Er und Faith waren Freunde gewesen. Wenn sie mehr gewesen wären als das, hätte Payton es ihr erzählt. Sie war auf dem Wellesley College gewesen. Martin war zwei Jahre lang ihr Freund gewesen. Es hatte auch ein paar andere gegeben. Payton wusste von ihnen. Genauso, wie sie von Paytons Freundinnen vor ihr wusste. In der Zeit, in der sie und Payton zusammen waren, war Eifersucht nie ein Thema gewesen.

Sie sah auf ihre Uhr, dann wandte sie sich an Mindy. „Jetzt ist es halb elf. Wie wäre es, wenn ihr uns eine SMS schreibt, falls ihr beschließt, früher zu gehen? Sonst treffen wir uns in einer Stunde beim Aufzug im zweiten Stock, bevor der Countdown beginnt, ja?“

„Ich glaube, es wäre einfacher, wenn wir uns hier treffen“, meinte Payton. „Wir wissen bereits, wo es ist, und soweit ich gehört habe, macht das Ehemaligentreffen-Komitee hier um Mitternacht etwas Besonderes.“

Mindy und Zane stimmten zu, bevor sie gingen, aber vorher warf Mindy Jenna ein seltsames Lächeln zu.

„Weißt du was, Liebling?“, meinte Jenna und suchte Paytons Blick. „Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, nächstes Jahr Silvester woanders zu feiern.“

So wie Payton sie ansah, hätte sie ebenso gut fragen können, ob er mit ihr Verbrechen begehen wollte.

„Sicher“, sagte er, wenig überzeugend. „Warum nicht? Wir können darüber reden. Wie wäre es, wenn ich noch mal versuche, mir einen Weg zur Bar zu bahnen? Wir haben noch viel Zeit. Solange ich vor Mitternacht zurück bin.“

Nichts an seinem Gesicht, das eifriger wirkte, als sie es je zuvor gesehen hatte, stimmte. Und warum hatte er sie nicht gebeten, mitzukommen? Sie kannte ihn zu lange, um so überrascht zu werden. Als er sich den Weg durch die Feiernden bahnte, wurde ihr schwer ums Herz.

Waren sie jedes Jahr wegen Faith zu diesem Wiedersehenstreffen gekommen?

2. KAPITEL

Ricks Handy vibrierte. Irgendein Tölpel rempelte seinen Rücken an und das Einzige, was ihn auf den Füßen hielt, war die Menge der sich windenden, frenetisch feiernden Partygäste in einem Saal, der so voll war, dass er sich wünschte, er und Faith wären nie zu diesem Wiedersehenstreffen gekommen. Aber sie hatte ihn darum gebeten und er hatte gerade mit seiner Freundin Samantha geredet, die wollte, dass Rick ihr Prototyp-Apartment in Boston ausprobierte, also hatte er nicht lange überlegen müssen. Er fragte sich nun, ob Faiths Interesse daran, zu dieser Party zu gehen, etwas persönlicher war, als sie ihn hatte glauben lassen. Es hatte ihr sichtlich gefallen, Payton zu treffen. Egal, es machte nichts. Er und Faith hatten Spaß. Und es würde noch besser werden.

Er zog das Handy heraus, während Faith sich auf der Tanzfläche an ihm rieb. Es war ein Anruf von der Arbeit und er konnte es sich nicht leisten, ihn nicht anzunehmen. Es hatte keinen Sinn, ihr das zu sagen, nicht bei der lauten Musik, aber er hielt das Handy hoch, bis sie es bemerkte und nickte.

Er war dankbar für den Anruf. Er tanzte gerne, aber die Band war laut genug, um Tote aufzuwecken. Er musste ein wenig manövrieren, aber schließlich erreichte er einen überfüllten Gang, wo ihn ein Zeichen auf die Toiletten aufmerksam machte.

Sobald er sich darin befand, wurde es ruhiger. Dennoch summten seine Ohren trotz der Ohrstöpsel, die er nun herausnahm und in seine Tasche steckte. Nicht in die Tasche, in der sich die Überraschung des heutigen Abends befand. In die andere. Dann drückte er die Kurzwahl.

„Frohes neues Jahr, du Blödmann.“ Sogar in dem widerhallenden Toilettenvorraum, in dem zwei Handtrockner liefen, erklang die spöttische Bemerkung mit dem jamaikanischen Akzent seines Mitarbeiters laut und klar.

„Antwan, wenn du mich nur angerufen hast, um mich zu belästigen, werde ich deinen iPod so umprogrammieren, dass er nur noch ABBA spielt.“

„Du bist der Teufel in Menschengestalt“, antwortete Antwan. „Ich sitze hier und beobachte das Wetter auf der ganzen Welt, während du abfeierst. Aber da ich ein netter Kerl bin, werde ich dir trotzdem sagen, dass es in der Innenstadt von Boston nach zwei Uhr morgens schwierig aussieht. Viel Schnee, also solltet du und Faith schnell in das tolle Apartment verschwinden, sobald sie Ja gesagt hat.“

Rick griff in seine andere Tasche und zog einen 1,4-Karat-Verlobungsring heraus. „Danke, Mann. Sonst noch irgendwelche Orte, an denen es Probleme gibt?“

„Was kümmert es dich? Du willst sie doch immer noch fragen, ob sie dich heiraten will, richtig?“

„Ja. Direkt nach dem Kuss. Es wird nicht wieder so wie … du weißt schon.“

Das letzte Mal, als er ihr einen Antrag hatte machen wollen, hatte er den Ring in der Tasche seiner Jeans versteckt. Es war an ihrem Geburtstag gewesen. Sie waren in einem Heißluftballon gefahren, was damals eine gute Idee gewesen zu sein schien. Die ersten zehn Minuten ihres besonderen Flugs? Fantastisch. Danach? Zum Einschlafen. Die Stimmung war unwiederbringlich verloren gewesen.

Natürlich hätte ihn nichts davon abhalten können, ihr den Antrag zu machen, wenn er es wirklich gewollt hätte, wie Antwan bemerkt hatte. Aber sein Freund dachte auch, dass er ein Idiot war, ihr einen Antrag zu machen. Antwan mochte Faith recht gerne, aber er meinte, er könne keine Funken fliegen sehen. Er war einfach zu romantisch. Ein gemeinsamer Sinn für Humor und Bequemlichkeit würde noch lange andauern, wenn die Flitterwochen vorbei waren.

„Ich bin sicher, diesmal wird dich nichts aufhalten.“

„Richtig. Also …“

„Halt dich zurück, Ricky. Ich bin noch nicht fertig. Buch deinen Flug früh am Samstagmorgen. Das ist die einzige Pause, die ich sehe, bevor Boston von einer Reihe übler Stürme getroffen wird. Möglicherweise Rekord-Schneemenge.“

„Nun, das ist ärgerlich. Ich habe morgen fürs Abendessen reserviert …“

„Das kannst du möglicherweise einhalten, aber ich würde mich nicht darauf verlassen.“

„Na, herzlichen Dank.“

„Ja, weil ich persönlich den Polarwirbel geschaffen habe, nur um dir den Urlaub zu vermiesen.“

„Ich wusste es.“

Antwan lachte. „Du machst ihr den Antrag und es ist Silvester. Zumindest habt ihr ein paar Nächte. Also mach was draus. Und klebt nicht vor dem Wetterkanal, ja?“

Okay, nun war Antwan einfach nur noch nervtötend. Rick und Faith lebten seit über drei Jahren zusammen, und sie sahen immer den Wetterkanal, bevor sie ins Bett gingen. Es war eines der vielen Dinge, die sie gemeinsam hatten. Sie verstand die Anforderungen seiner Arbeit und zuckte mit keiner Wimper, wenn er beim ersten Anzeichen für eine Superzelle mit seinem Team von Sturmjägern aufbrach. Meistens brach sie dann ebenfalls auf. Nicht als Teil seines Teams, sondern um ihre Reportagen zu machen.

Sie war nach Norman gezogen, um in der Nähe des National Weather Center zu sein. Sie hatten sich kennengelernt, als sie ihn interviewt hatte, und er hatte sofort gewusst, dass sie beide gut zusammen wären.

„Wie dem auch sei“, sagte Antwan, dem man anhörte, dass er grinste. „Warum redest du in irgendeiner Toilette mit mir, wenn du bei deiner Verlobten sein könntest?“

„Sie ist noch nicht meine Verlobte. Und woher weißt du, dass ich in der Toilette bin?“

„Nichts hat so viel Klasse wie eine Klospülung im Hintergrund, mein Freund. Wir sehen uns am Montag.“

„Ja. Danke, Kumpel. Frohes neues Jahr.“

Nachdem er aufgelegt hatte, sah sich Rick den Diamanten erneut an. Klare Linien und makellose Schönheit, so wie Faith. Sie trug nicht viel Schmuck. Das hätte auch nicht gepasst. Wenn sie nicht gerade einen Auftrag hatte, trainierte sie jeden Tag zu Hause in ihrem Fitnessraum oder schwamm im Freizeitzentrum. Und wenn sie klettern oder tauchen gingen, war Schmuck keine gute Idee. Aber einen Verlobungsring würde sie tragen. Wahrscheinlich.

Er hatte einen an Jennas Finger bemerkt. Er fragte sich, warum der gute alte Payton nicht erwähnt hatte, dass sie seine Verlobte war. Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als eine schwere Hand auf seine Schulter fiel. Er wirbelte herum, stieß die Hand weg und war bereit, den Idioten umzuhauen, der ihn angefasst hatte – bis er seinen Atem roch.

„Tun Sie’s nicht“, beschwor ihn der Betrunkene. Er sah aus, als wäre er fünfzig oder sechzig. „Leben Sie einfach mit ihr zusammen. Und schaffen Sie sich keine Kinder an. Die saugen Sie aus. Frohes neues Jahr.“

Der Mann ging in eine der Kabinen, als Rick den Ring zurück in seine Tasche steckte. Er hatte nie daran gedacht, Faith zu heiraten, bis zwei seiner Kollegen Kinder bekommen hatten. Sie waren in seinem Alter und beide schienen nun glücklicher zu sein. Seitdem war der Grundstein gelegt.

Außerdem klang eine Zukunft mit Kindern gar nicht so schlimm, wenn er Faith in seinem Leben hatte. Sie war ein Abenteuerjunkie wie er. Sie hatten beide großes Interesse an Meteorologie. Und sie war die Art Frau, die er brauchte. Unabhängig. Ehrgeizig. Schön. Er hatte noch nie eine Frau kennengelernt, mit der er so problemlos zurechtkam. Also ja, auch wenn Faith jetzt noch keine Kinder wollte, würde sie doch wahrscheinlich irgendwann ihre Meinung ändern. Er war auch noch nicht bereit dafür. Aber er hatte sich dem Gedanken geöffnet.

Faith einen Heiratsantrag zu machen, war der logische nächste Schritt. Aber das würde er ihr nicht sagen. Sie würde nur lachen und ihm erklären, dass sein gesamtes Leben unlogisch war. Und er hätte ihr zugestimmt.

Als er sich die Hände wusch, dachte er wieder über den Kerl nach, den Faith umarmt hatte. Es war ein voller Körperkontakt gewesen. Wenn er es nicht gesehen hätte, hätte er es nicht geglaubt. Sie war eigentlich nicht der Typ, der andere umarmte.

Vielleicht hatte sie sich verpflichtet gefühlt, sich an ihn zu pressen? Eine alte Schuld, die sie begleichen musste? Nein. Sie hatte gelächelt, als hätte sie gerade eine seltene linksdrehende Superzelle entdeckt.

Warum machte er sich Sorgen? Faith interessierte sich für nichts außer ihre Arbeit und, na ja, ihn. Und Payton sah nicht so gut aus wie er. Rick betrachtete sich im Spiegel, um sicherzugehen. Verdammt, er konnte es nicht sagen. Er glich eher einem Bösewicht als Bond. Faith nannte ihn gerne gefährlich sexy. Aber ernsthaft, wer nannte sein Kind Payton? Doch komischer Name oder nicht, er hatte es geschafft, sich eine sexy Verlobte zu angeln.

Rick setzte seine Ohrstöpsel wieder ein und ging zurück, um Faith zu finden. Es waren nur noch zwanzig Minuten bis Mitternacht.

Jenna war wieder alleine. Payton war gerade mit einem Mitglied seiner Studentenverbindung auf einen letzten Drink gegangen und sie erwartete nicht, ihn bis kurz vor Mitternacht wiederzusehen.

Wenn es nach Jenna gegangen wäre, wären sie und Payton mit Zane und Mindy gegangen. Die beiden hatten vernünftigerweise beschlossen, nach Hause zu gehen.

Stattdessen hatte Jenna es geschafft, wieder direkt vor dem Desserttisch zu landen. Sie würde niemals in ihr Hochzeitskleid passen, wenn sie so weitermachte.

Ach, verdammt.

Sie wählte ein köstlich aussehendes Teil. Es war ein Brownie mit Käsekuchen und einem Schokoladenmousse-Topping.

Sie hatte gerade den zweiten Bissen genommen, als Danger Bond den Raum betrat. Sein Blick wanderte direkt dorthin, wo sie stand. Natürlich.

Sekunden später gesellte sich Faith zu ihm und Jenna wirbelte herum. Nun blickte sie die kahle Wand an. Nichts Verdächtiges dort.

Himmel, warum hatte Payton sie hier alleingelassen? Warum waren sie nicht schon nach Hause gegangen? Sie war müde und schlecht gelaunt. Und sie musste ihren Teller abstellen. Aber natürlich gab es keinen Tisch in der Nähe. Der nächste befand sich bei Faith und Rick, und da sie sich nicht in deren Nähe begeben würde, durchquerte Jenna den gesamten Saal, wo sie einen großen Tisch in einer recht einsamen Ecke fand.

Alles war in Ordnung, bis sie zu ihrem Lieblingspärchen blickte …

Aber sie waren nicht dort, wo sie sie zuletzt gesehen hatte. Stattdessen standen sie genau vor ihr. Nun, nicht genau, aber sie waren nahe genug, um eine unauffällige Flucht zu verhindern.

Ein tiefer Atemzug ermöglichte es ihr, den Raum nach Payton abzusuchen. Aber sie konnte die Gedanken an Rick nicht verdrängen. Und wenn sie ehrlich war, die an Faith auch nicht. Sie trug keinen Verlobungsring. Sie hatte Rick ihren Freund genannt. Die kamen und gingen, wie sie sehr wohl wusste. Aber Rick war sicher jemand, der sich längerfristig band. Eine schöne Frau wie Faith konnte jeden haben. Ein sexy Sturmjäger war eher ihre Liga als ein Buchhalter.

Verdammt. Jenna machte sich wegen Faith Sorgen, aber das war idiotisch, weil Payton sie nie verlassen würde. Sie hatten ihre gesamte Zukunft geplant. Sie hatten schon Namen für ihr erstes Kind ausgesucht.

Was stimmte nicht mit ihr? Es musste der Alkohol sein. Sie hatte zwei White Russian gehabt und Payton brachte ihr einen dritten. Zum Glück nahmen sie den Zug nach Hause, aber wenn sie ihre Haltestelle erreichten, musste einer von ihnen nüchtern sein, um Paytons Auto zu ihrer Wohnung zu fahren.

Faith setzte sich in Bewegung und Jenna beobachtete sie, bis sie den Saal verließ. Dann ging Rick in Richtung des Büfetts, sodass Jenna sich aus ihrer Ecke wagen konnte. Als sie die Uhr in der Nähe der Tür sah, blieb sie abrupt stehen. Payton war bereits seit einer ganzen Weile verschwunden. Vielleicht hatte ihn das Trinken auf leeren Magen eingeholt? Sie hoffte, es ging ihm gut. Und dass er nicht immer noch an der Bar war.

Bei dem Gedanken wurde ihr übel … doppelt verdammt, denn ihr erster Gedanke war gewesen, dass Faith ebenfalls zur Bar ging und die beiden sich über den Weg liefen. Diese Nacht musste jetzt enden. Neujahr war ihr egal. Nächstes Jahr würde sie nicht einmal in die Nähe dieses Hotels kommen. Vielleicht würde sie zu Hause bleiben, einen Film ansehen und Popcorn essen. Ja, das klang toll.

Sie behielt für die nächsten fünf Minuten die Tür im Auge, doch das einzig Interessante war Rick, der den Saal verließ. Zwei weitere Minuten, in denen sie auf und ab ging, dann war sie wirklich besorgt. Sie rief Payton auf dem Handy an. Wieder und wieder. Aber sie wurde direkt zur Mailbox umgeleitet.

Sie musste ihn finden. Der Saal war voll, aber sie schaffte es schnell zur Tür hinaus. Und dann sah sie Rick. Alleine. Er starrte mit versunkenem Gesichtsausdruck den Gang hinunter.

Jenna folgte seinem Blick. Der Gang war voller Leute, also hatte sie erst nur ein schreckliches Gefühl, was ihn hatte erstarren lassen, aber dann bekam sie die Bestätigung. Eine Lücke war in der Menge entstanden. Als wolle sie das Letzte, was Jenna zu sehen erhoffte, umrahmen. Payton und Faith umarmten sich so fest, dass Jenna vergaß, wie man atmete.

Aber es wurde noch schlimmer. Himmel, wie konnte es so viel schlimmer werden?

Als sie sich voneinander lösten, war es nur, um einen halben Schritt zurückzutreten. Gerade genug, sodass Jenna erkennen konnte, dass Payton … glücklich aussah. Anders glücklich. Nichts, was sie je in all ihren gemeinsamen Jahren gesehen hatte.

So glücklich, dass er sie vergessen hatte.

„Was zum …?“ Sie erschrak und bemerkte, dass Rick nur ein paar Zentimeter von ihr entfernt stand. Er sah sie an und dann wanderte sein Blick zurück zu dem Pärchen im Gang. Er sah fassungslos aus.

„Sie sind nur Freunde“, sagte sie zu ihm. „Das hat er mehrmals gesagt. Freunde.“

Er schien überrascht zu sein, sie neben sich zu sehen, aber er sah rasch wieder zu Faith und Payton. „Das hat sie mir auch erzählt.“

Payton strahlte weiterhin, auch als er ihre Getränke auf der nächsten Oberfläche abstellte, die zufällig ein Geländer war, das zu schmal für die Gläser war, aber offensichtlich waren ihm die Drinks und Jenna egal, denn er redete pausenlos, brachte eine andere Frau zum Lachen, brachte sie dazu, ihre Hand – beide Hände – auf ihr Herz zu legen.

Sie kannte ihn seit fünf Jahren und kannte ihn doch überhaupt nicht.

„Wer glaubt er eigentlich, wer er ist?“

Sie drehte sich zu Rick um. Er sah aus, als wolle er Payton zu einem kleinen Haufen zusammenschlagen, und sie fand, dass das eine gute Idee war.

„Zum einen ist er mein Verlobter.“

„Hören Sie, ich will hier keine Szene machen, aber ich schwöre bei Gott, wenn er sie noch mal anfasst …“

„Ich weiß. Ich meine, ich weiß nicht. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Normalerweise ist er … nett. Er hat mich keines Blickes gewürdigt, seit Ihre … Freundin versucht hat, ihn in ihre Haut zu absorbieren.“

Rick schüttelte den Kopf. „Das haben Sie auch gesehen, ja?“ Er seufzte laut. „Ich habe einen verdammten Ring in meiner Tasche. Ich fühle mich wie der größte Idiot auf Erden.“

„Wir müssen etwas tun. Es sind nur noch ein paar Minuten.“

„Etwas tun? So, wie ihm den Kopf wegzuhauen?“

„Es ist zu voll hier. Sie könnten jemand anderen treffen.“

„Ich ziele ziemlich gut.“

„Ähm, hat sie so etwas schon einmal gemacht?“, wollte Jenna wissen.

„Nein. Verdammt, sie hat mich so beiläufig darum gebeten, zu diesem Treffen hier zu gehen. Als wäre es keine große Sache.“

„Ich weiß. Ich meine, vielleicht haben sie herausgefunden, dass sie lange verloren geglaubte … Geschwister sind?“

Rick warf ihr einen Blick zu, der ihre letzte Hoffnung vernichtete. „Haben Sie je Ihren Bruder so berührt?“ Er knurrte förmlich, auf eine Danger-Bond-typische Weise. Es war unglaublich sexy.

O Gott.

Etwas stimmte mit ihrem Gehirn nicht. Hatte sie gerade wirklich weiche Knie wegen des Mannes bekommen, der ihren Verlobten verprügeln wollte? Alkohol war die einzige Antwort, auch wenn sie sich so nüchtern wie ein … nüchterner Mensch fühlte. „Ich weiß nicht. Vielleicht könnten Sie ihn einmal hauen. Einmal wäre nicht zu viel.“

Nick zog etwas aus seiner Tasche und einen Moment lang hatte Jenna Angst, es könnte eine Pistole oder ein Messer sein.

Es war natürlich der Ring, und er war umwerfend. „Er ist wunderschön.“

„Das dachte ich auch. Ich dachte, das würde sie auch denken. Aber dann hat sie ihn getroffen … Ist er berühmt? Faith hat nicht gesagt, womit er seinen Lebensunterhalt verdient.“

Sie seufzte. „Er ist Buchhalter.“

„Sie machen Witze.“

„Ich kann nicht wegsehen. Sie machen einfach …“ Sie machte eine vage Handbewegung.

Rick schaute sie gar nicht an. Er war groß genug, um über die Köpfe der Leute zu sehen. „Mist. Sie ist eine respektierte Journalistin. Sie hat Preise gewonnen. Sie spezialisiert sich auf Naturkatastrophen.“

„So wie die, die sich da gerade vor uns abspielt?“, fragte Jenna. Der Schock ließ etwas nach. Genauer gesagt wurde der Schock von einem Schmerz verdrängt, der fatal sein könnte.

„Ja, nur dass nichts daran natürlich ist“, erwiderte er und steckte den Ring zurück in seine Tasche. „Tolle Art, das neue Jahr zu beginnen, oder?“

„Ich versuche, mir zu überlegen, was er sagen könnte, um das in Ordnung zu bringen.“ Wenn sie nur mit Mindy und Zane gegangen wären …

„Hey …“ Rick legte ihr eine Hand auf den Arm. „Alles okay? Sie sehen schrecklich blass aus.“

„Mir geht es gut, danke“, sagte sie und versuchte, zu atmen. „Und damit meine ich, dass es mir überhaupt nicht gut geht. Obwohl ich bezweifle, dass ich in Ohnmacht fallen werde.“

„Zehn …“

Die Nummer erklang so laut, dass es die große Menge verstummen ließ.

„Neun …“

„Mist“, sagte Rick noch einmal. Er trat einen Schritt auf Jenna zu. „Wenn sie …“

„Acht …“

„… wenigstens versuchen, in letzter Sekunde zurückzukommen.“ Er sah Jenna an. „Sie hat nicht einmal den Gang hinuntergesehen. Nicht einen Blick.“

„Fünf, vier …“

Die Leute bewegten sich, die Menge schien sich zu teilen und gewährte ihr für ein paar Sekunden einen weiteren freien Blick auf das glückliche Paar. Wenn Payton nach rechts sah, würde er sie neben Rick stehen sehen. Aber er hatte nur Augen für Faith.

„Um Gottes willen“, meinte Rick. „Sie hätten nur um eine Ecke gehen müssen. Wir hätten nie erfahren, warum sie den Countdown verpasst haben.“

„Vielleicht wollten sie …“ Sie küssten sich nicht, aber sie hätten es ebenso gut tun können.

Bei drei sah Rick Jenna erneut an und sie hatte noch nie so viel Mitgefühl für jemanden verspürt.

Sie tat ihr Bestes, um nicht zu weinen, aber sie konnte nicht wegsehen.

„Eins! Frohes neues Jahr!“

Payton lehnte sich näher zu Faith. So nahe, dass es nur zu einem führen konnte. Eine Sekunde, nachdem Paytons Lippen die von Faith berührten, legte Rick seine Hand um Jennas Nacken und zog sie in ihren eigenen Mitternachtskuss.

In dem Moment, als sein Mund den ihren berührte … Feuerwerk.

3. KAPITEL

Rick zog Jenna enger an sich und küsste sie erneut. Er stieß in ihren Mund, als würde der Lärm um sie herum ihn anspornen. Sogar durch seinen Smoking konnte er spüren, wie sie ihre Finger in ihn hineingrub, ihre Lippen und ihre Zunge waren so wild, als wären sie Waffen, und die Wut und die Hitze zwischen ihnen wurde mit jeder Sekunde gefährlicher.

Er hoffte, sie sahen zu. Dieser Idiot Payton musste sehen, was er verloren hatte. Noch nie hatte Rick etwas Derartiges erlebt. In seinem Hinterkopf flüsterte eine Stimme, dass nichts davon real war. Bald würde er aufwachen und der Betrug würde nur ein Albtraum gewesen sein.

Jenna biss ihn in die Unterlippe und das brach den Bann. Es war real. Rache, geboren aus Demütigung und Schmerz, und es war ihm egal.

Er sog scharf die Luft ein, als Jenna sich an ihn presste, gegen seinen hart werdenden Schwanz. Er drängte sich ihr entgegen, doch als sein Hoden begann sich zusammenzuziehen, löste er sich von ihr. Nicht mehr weit. Er hielt ihre Schultern fest und sie sah … nun, sie sah wunderschön, aber fertig aus.

Tränen hatten ihr Make-up verschmiert und in ihrer Unterlippe war eine kleine Kerbe. Obwohl ihre Pupillen geweitet waren, konnte er die Verzweiflung darin sehen. Er wusste, dass sie die Zeit zurückdrehen wollte. Wollte, dass diese bizarre Wendung Sinn ergab.

„Willst du hier weg?“

Sie nickte. „Irgendwo anders hin.“

Als er den mit Menschen gefüllten Gang entlangsah, hatten die Turteltauben endlich aufgehört, sich zu küssen, und erinnerten sich daran, mit wem sie hier waren. Payton sah betroffen aus. Faith einfach nur schuldbewusst.

Rick war sich nicht sicher, ob sie sie bemerkt hatten. Aber als die beiden begannen, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, nahm Rick Jennas Hand und drängte sich zur Treppe.

Als sich die Tür hinter ihnen schloss, hielt er kurz inne. „Ich weiß nicht, ob du es gesehen hast, aber sie sind in unsere Richtung gekommen.“

Ihr Handy klingelte und sie zog es aus ihrer winzigen Handtasche. Sie schüttelte den Kopf und ihr trauriges Lächeln, als sie es ausschaltete, berührte ihn. Er zog das Lächeln vor, das er am Büfett gesehen hatte, als die Welt noch in Ordnung war. Er bezweifelte, dass er es so bald wieder sehen würde.

Sein Handy klingelte ebenfalls. Wie Jenna schaltete er es aus. Nur im Moment? Möglich. Er konnte Faith nicht einfach so verlassen. Ihre Leben waren verknüpft. Und soweit er wusste, hatten sie sich nur geküsst. Das machte ihn wieder wütend.

„Dann komm“, sagte er. Sie gingen die Treppe hinunter. Verblüffenderweise bewegte sich die Schlange vor der Garderobe rasch.

Aber nicht schnell genug, um Jenna abzulenken. Ihre Schultern waren hochgezogen, als könnte sie sich dahinter verstecken. Wenn er etwas zu sagen hätte, könnte er sie für die nächsten Stunden beschäftigen, damit sie keine Zeit mehr hatte, so auszusehen. „Du kommst aus Boston. Wohin?“

Sie blinzelte und sah überrascht aus, als er ihr ihren Wollmantel hinhielt. „Ich weiß nicht“, erwiderte sie. „Ich komme nur selten in die Innenstadt oder zum Hafen.“

„Das ist okay.“ Er schlüpfte schnell in seinen Mantel. „Ich weiß, wo eine Party steigt.“

Ihre Hände zitterten, als sie die Handschuhe überzog. Er zog seine eigenen über und nahm dann ihre Hand. Sie eilten durch die Menge der Feiernden und er fragte sich, wie viele Herzen um Schlag Mitternacht wohl gebrochen worden waren.

In dem Moment, als sie draußen in der Kälte waren, zog Rick sie enger an sich. Es war eisig und eine lange Schlange stand vor den Taxis, also mussten sie den Zug nehmen. Zum Glück fuhr der gleich gegenüber.

Im Bahnhof war die Stimmung festlich, aber Jenna begann wieder in sich zusammenzusinken.

„Okay. Ich weiß, das ist ein Klischee, aber nur, weil deine Augen geleuchtet haben, als du erwähnt hast, dass du Lehrerin bist. Was ist dein Lieblingsbuch?“

Die Frage schien ihre Verzweiflung zu besiegen und sie überraschte ihn mit dem Lächeln, das er für verloren gehalten hatte. „Ich strahle, nicht wahr?“, antwortete sie. „Ich weiß, es ist nicht glamourös, aber es gefällt mir, die Kinder mit der Magie der Bücher vertraut zu machen. Ich glaube wirklich, dass es das Leben zum Besseren verändert, wenn man liest.“

O ja. Das gefiel ihm schon besser. „Da stimme ich zu. Aber du wirst dich nicht davor drücken, meine Frage zu beantworten.“

„Ich werde das oft gefragt, aber ich weiß nie, was ich sagen soll. Ich habe kein Lieblingsbuch. Ich habe lesen gelernt, als ich vier war. Damals war ein Alphabetbuch mein Lieblingsbuch.“

„Was war, als du … fünfzehn warst? Als die Hormone eingesetzt haben?“

Ihr Zug fuhr ein und sie stiegen schnell in ein Abteil ein, wobei es ihnen nichts ausmachte, dass sie stehen mussten. „Mal sehen, ob ich mich erinnern kann. Ähm …“ Sie senkte einen Moment die Wimpern und er bekämpfte den Drang, die Spuren ihrer Tränen fortzuwischen. „– es war All-American Girl von Meg Cabot.“

„Meins auch.“

Sie lachte.

Er wollte sie küssen. Und Payton k. o. schlagen.

In dem Moment, als sie Copley Square erreichten, veränderte sich etwas. Das Licht, das ein paar Sekunden zuvor in ihren Augen geleuchtet hatte, verglomm. Rick führte sie in eine etwas dunklere Ecke. Er sah ihr in die traurigen, verwirrten Augen, als er seine Handschuhe in seine Manteltaschen steckte. „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen“, sagte er und wischte mit seinem Daumen die nassen Spuren von ihren Wangen.

Sie schniefte, bewegte sich aber nicht. „Du warst es nicht. Jedes Mal, wenn ich daran denke, wie er …“ Sie erschauerte. „Ich habe bereits mein Hochzeitskleid ausgesucht.“

„Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat. Jeder, der dich betrügen würde, ist ein Idiot.“

Jenna versuchte zu lächeln. „Wenn du in meiner Klasse wärst, würdest du eine Eins für deine Mühe bekommen.“

„Nein, ich würde durchfallen.“ Rick grinste, als er ihr fragendes Gesicht sah. „Zu scharf auf die Lehrerin.“

„Faith ist die Idiotin“, meinte Jenna, lachte leise und lehnte sich näher.

Oder vielleicht taten sie es beide. Er würde sie nicht küssen, auch wenn er es wollte. Aber er hatte nichts dagegen, dass sie ihn küsste.

Sie strich mit ihren Lippen über seine und flüsterte: „Danke.“

Er nahm ihre Ellbogen und zog sie noch näher. Sie folgte willig, die Lippen geöffnet, ihr warmer Atem eine Einladung, der er nicht widerstehen konnte.

Alles andere verschwand. Der Lärm, die Lichter, die Menge. Sie waren wieder an jenem Ort, in dieser anderen Realität. Innerhalb einer Stunde waren sie von Fremden zu dem hier geworden.

Jenna betrat das Mandarin Oriental Hotel und war froh, dass Rick den Arm um sie gelegt hatte. Es fühlte sich natürlich anders an. Sie hatte sich an Payton gewöhnt und wie sie zusammenpassten. Das hier war … beunruhigend. Weil sie sich wohlfühlte. Als ob der Unterschied zu ihr passte. Wahrscheinlich war sie angeheitert. Und wütend und bis ins Mark verletzt.

Aber das erklärte nicht, was sie gefühlt hatte, als er sie geküsst hatte. Es war … Nein. Sie wollte nicht zu viel darüber nachdenken. Oder über das Tanzen, das wie eine Szene aus einer romantischen Komödie gewesen war.

Aber es waren seine Küsse, die sie schwindelig machten. Das letzte Mal, dass sie einen anderen Mann als Payton geküsst hatte, war beinahe fünf Jahre her.

Nein. Darüber nachdenken kam nicht in Frage. Es würde nur noch mehr Tränen mit sich bringen und das war bis jetzt nicht hilfreich gewesen. Und es wäre Rick gegenüber nicht fair. Er war ein Engel gewesen und hatte es trotzdem geschafft, wie Danger Bond auszusehen.

Er sorgte sich nicht nur um sie, weil er ein netter Kerl war. Natürlich hatte es ihm geholfen, nicht an Faith und den Ring in seiner Tasche zu denken. Nicht, dass sie seine Freundlichkeit nicht zu schätzen wusste, aber sie beide rannten, so schnell sie konnten, um die Mitternacht, die gekommen und vergangen war, hinter sich zu lassen.

„Ist es nicht zu spät für eine Party?“, fragte sie und sah sich in der umwerfenden Lobby um, die geschmackvoll mit weißen Lichtern und einem mindestens viereinhalb Meter hohen Weihnachtsbaum geschmückt war. „Wird sie nicht schon vorbei sein?“

„Nein. Sie füllen das Büfett die ganze Nacht nach, bis etwa fünf Uhr morgens, wenn sie das Frühstück bringen.“

„Mir gefällt dieses Hotel“, meinte sie und versuchte, fröhlicher zu sein. „Falls es Waffeln zum Frühstück gibt, bleibe ich.“

Rick brachte sie direkt zum Lift und ihr wurden zwei Dinge bewusst. Trotz der ungewöhnlichen Umstände war er immer noch ein Fremder. Und sie folgte ihm vertrauensselig … auf sein Zimmer, soweit sie wusste.

Sie stiegen in den Aufzug, und als die Tür sich schloss, fragte sie: „Übernachtest du hier?“

Rick lächelte. „Nein. Es gibt hier wirklich eine Party.“

„Oh, gut. Gehen wir uneingeladen hin?“

„Wäre das ein Problem?“

In jeder anderen Nacht? Ja. Heute? Jenna schüttelte den Kopf. „Überhaupt keins.“

Mit einem sinnlichen Grinsen lehnte er sich herüber und sie hielt den Atem an, da sie sicher war, dass er sie küssen würde. Aber der Lift hielt, und als die Tür sich öffnete, richtete er sich auf und sie war atemlos und enttäuscht. Warum? Das war nicht sie. Alles seit Mitternacht war nicht sie.

Sicher, Rick war attraktiv. In dem Moment, als sie und Mindy ihn gesehen hatten, waren sie zu verträumten Teenagern geworden.

Als sie an die zweideutigen Witze über Rick dachte, während sie zum Festsaal gingen, wurde sie rot. Natürlich waren weder sie noch ihre Albernheit am Verlauf der Dinge schuld gewesen, aber wie verrückt war es, dass die Sache sich so entwickelt hatte? „Alles okay?“, fragte er und da war sein Arm wieder, um ihre Schultern gelegt, um sie zu beruhigen.

Sie nickte und akzeptierte endlich, dass sich in der näheren Zukunft nichts wie ihr normales Leben anfühlen würde. Es würde entweder zu wundervoll sein, um real zu sein, oder ein Schlag in die Magengrube, wenn sie an Payton dachte.

Sie wünschte, sie wäre mehr wie Rick. Er war auch verletzt, aber er schien sich nicht näher damit zu befassen.

Er schien genau zu wissen, wo die Party war, also waren sie vielleicht doch keine ungeladenen Gäste. Während er ihre Mäntel abgab, sah sie sich im Saal um, weil sie hoffte, ein Banner zu sehen, das ihr verriet, wer die Party gab. Und dort war es, ein Banner mit dunkelgrauen Rechtecken und das kleine „i“ in Rot.

Ricks Universität. Der Saal war wesentlich größer als der der Boston University. Und luxuriöser. Das Büfett war über eine Stunde nach Mitternacht noch befüllt, und es gab drei Bars, alle besetzt, und an keiner gab es eine schrecklich lange Schlange.

„Ein Drink?“, fragte Rick, „Essen?“

„Zuerst ein Drink“, antwortete sie. „Ich muss etwas benebelter sein als jetzt.“

Er nickte. „Ja, für mich fühlt sich auch alles daneben an. Als hätte man einen Autounfall. Oder stünde in einem Tornado.“

„Ja“, erwiderte sie seufzend, obwohl die Tornadobemerkung sie ein wenig zum Lächeln brachte. „Natürlich verstehst du es … du solltest jetzt verlobt sein, und ich war so gut wie gar nicht für dich da.“

Er schüttelte den Kopf. „Mach dir keine Sorgen um mich. Vielleicht wird es mir morgen leidtun, aber heute habe ich das Gefühl, dass ich gerade noch mal davongekommen bin.“

„Wirklich?“ Wie konnte das möglich sein? Man brachte keinen Verlobungsring zu einer Feier mit, ohne sich um Erfolg zu sorgen. Oder vielleicht taten Männer das nicht. Was wusste sie schon? Sie hatte gedacht, sie würde sich niemals um Paytons Hingabe ihr gegenüber Sorgen machen. Andererseits war sie selbst kein strahlendes Vorbild der Reinheit in diesem Debakel. Rick das erste Mal zu küssen war verzeihlich, aber all die Küsse seither? Ihn küssen zu wollen? Wenn es am Ende dieser … Sache eine Versöhnung geben sollte, müsste sie ihr eigenes Verhalten eingestehen, obwohl sie nie mit Rick zusammengekommen wäre, hätte Payton nicht –

Sie zwang sich, zu atmen und die Tränen wegzublinzeln. „Trotzdem tut es mir sehr leid. Ich hoffe, du leidest nicht zu sehr.“

„Ich glaube nicht, dass es zu schlimm wird, obwohl ich einen Haufen Fragen habe.“

Sie nickte, während sie bemerkte, dass sie sich bereits in der Schlange für die Drinks befanden, aber sie konnte sich nicht erinnern, dorthin gegangen zu sein. „Payton ist nicht … Er ist ein beständiger Mann. Er ist immer da, wo er sein soll. Er trinkt nicht, außer zu besonderen Anlässen, spielt nicht, nimmt keine Drogen. Er ist ein Fels. Immer verlässlich. Immer da, wo … Oh, das habe ich schon gesagt. Aber ehrlich, er ist derjenige, den ich anrufen würde, wenn mir heute Abend etwas passieren würde.“

Rick musterte sie eine Weile. „Ich bin nicht wie er. Nicht, dass man mich nicht im Notfall anrufen könnte, damit ich helfe. Aber wenn ich nicht arbeite, bin ich alles andere als ein Fels. Eigentlich klettere ich an ihnen hinauf. Ich jage Stürme und ich bin auch Fallschirmspringer. Auf der Plus-Seite verbuche ich, dass ich versuche, da zu sein, wo ich sein soll, ich trinke nicht viel, abgesehen von der offensichtlichen Ausnahme an Silvester. Und du solltest wahrscheinlich wissen, dass Payton zu schlagen immer noch ganz oben auf meiner Prioritätenliste steht.“

Jenna wusste, dass er scherzte, aber sie zweifelte nicht daran, dass er, wenn es die Umstände erforderten, durchaus zuschlagen könnte. Und das war nicht nur cool, das war höllisch sexy.

Eine weitere Erinnerung daran, dass dies nicht ihr Leben war.

4. KAPITEL

In der Zeit, die verstrichen war, seit sie Rick bei der BU-Party gesehen und ihn tatsächlich getroffen hatte, war Jennas Fantasie mit ihr durchgegangen. Nun, nachdem sie Zeit mit ihm verbracht hatte, war klar, dass sie ihn unterschätzt hatte. Er war ganz sicher ein Bad Boy mit stahlblauen Augen. Aber er brachte sie auch zum Lachen und zum Lächeln. War für sie da.

„Vergiss ihn. Vergiss Faith. Was trinken wir?“

„Normalerweise begnüge ich mich mit ein oder zwei Bier, aber heute Nacht trinke ich Scotch. Und du?“

„White Russian. Viel Sahne. Ich bin ein Fliegengewicht und trinke immer die Mädchendrinks.“

„Ich kenne viele Männer, die White Russian trinken.“

„Lügner.“

„Okay. Ich kenne sie nicht persönlich. Aber ich bin sicher, es gibt sie.“

Sie lächelte. Erneut. Ein kleines Wunder. „Warum habe ich den Eindruck, dass du das oft sagst?“

„Was? Dass ich recht habe?“

Sie nickte. „Ich vermute, dass es stimmt.“

„Warum sagst du das?“ Rick musterte sie erneut. Es hätte aufdringlich und unangenehm sein müssen. Das war es nicht. „Abgesehen von der Katastrophe um Mitternacht und den erschreckend unglaublichen Küssen, weißt du nicht viel von mir.“

„Ähm, diverse akademische Grade?“, erwiderte sie. „Das war ein ziemlich guter Hinweis.“

„Ich wüsste nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat, aber ich sage oft, dass ich recht habe. Das macht mich unausstehlich, oder?“

„O bitte. Du bist sexy, klug und nett. Warte.“ Die Schlange bewegte sich. Sie nicht. „Reden wir über denselben Kuss?“

„Was? Ich glaube, ich bin beleidigt.“

„Oh, okay. Vergiss es. Dieser Kuss. Natürlich.“

„Wenn du eine Erinnerung daran brauchst …“

Was Jenna brauchte, war ein Drink. Erschreckend unglaublich? Ja, das war eine ziemlich gute Beschreibung. Sie schloss die Lücke zwischen ihr und dem Mann vor ihr. Da sah sie, dass man an der Bar bar zahlen musste, und suchte in ihrer Handtasche nach Geld.

Als sie an der Reihe waren, bezahlte sie die Drinks. Rick ließ es einfach zu, was sie zu schätzen wusste. Aber was sollte es, dass er beinahe perfekt war? Ja, er hatte wunderschöne blaue Augen, die ihr Verderben androhten, wenn immer er sie ansah, und die Art, wie er sie küsste, ließ sie vergessen, dass ihre ganze Welt zusammengebrochen war. Und ja, er war so nett gewesen und hatte sie so sehr unterstützt, wie sie nur hoffen konnte, aber …

„Weißt du was? Du hast recht.“ Sie folgte ihm zu einem kleinen, nicht besetzten Tisch, wo sie sich einander gegenüber hinsetzten.

„Womit habe ich diesmal recht?“, wollte er wissen.

„Oh.“ Sie hatte vergessen, was sie gedacht hatte. „Nein, nein, du hast recht. Es wäre ganz leicht für sie gewesen, dafür zu sorgen, dass wir sie nicht sehen können. Aber sie standen in einem Gang, direkt vor dem BU-Saal. Als wären sie so ineinander verloren, dass …“ Nachdem sie ein paar große Schlucke genommen hatte, stellte sie ihren Drink ab. „Ich würde das nie tun.“

„Nein“, antwortete er. „Das würdest du nicht.“ Er nippte an seinem Scotch, sah den Tanzenden zu und dann wieder zu ihr. „Obwohl du nicht ganz unrecht hast. Es ist möglich, dass sie nur für ein paar Minuten den Kopf verloren haben. Dass sie zu viel getrunken haben und die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind.“

„Ist das normal für Faith?“, fragte Jenna. „Verliert sie für ein paar Minuten den Kopf und küsst andere Männer?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

Sie seufzte. „Payton auch nicht. Nur, dass er es getan hat, und so wie er sie angesehen hat, hat er überhaupt nicht an mich gedacht. Es gab keinen anderen Ausgang aus dem Saal. Das Erste, was ich gesehen habe, warst du, als du den Gang hinuntergestarrt hast. Es war voll, aber ich habe nur ein paar Sekunden gebraucht, um zu kapieren, was los ist.“ Sie verzog das Gesicht bei der Erinnerung daran. „Es tut mir leid, ich versuche, loszulassen, aber … mein Vater ist ein Schwindler und ich will das nicht in meinem Leben.“

„Ein Schwindler?“

„Er hat nur Unfug im Kopf. Er war schon immer ein Vertreter, die Art, die viel reisen muss, aber was er am liebsten tat, war Dinge erfinden, die ihm Milliarden Dollar einbringen würden. Das haben sie nie. Aber er wusste, wie man die Damen bezaubert. Meine Mutter eingeschlossen. Das Einzige, was er nicht tun konnte, war, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Meine Mom musste schließlich zwei Jobs, manchmal sogar drei, annehmen. Sie war die ganze Zeit erschöpft. Ich habe gelernt, mich um mich selbst zu kümmern. Was nichts Schlechtes ist. Aber …“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Ah. Die Art von Schwindler.“

„Ich weiß, ich bin ein Klischee auf zwei Beinen, weil ich Payton gewählt habe, das genaue Gegenteil von meinem Vater. Aber es ist mir egal. Ich hasste es, dass mein Dad so oft weg war. Und dass ich nur das Gefühl hatte, wir sind eine Familie, wenn er nach Hause kam. Aber das war nicht oft. Die einzige Zeit, in der ich wirklich das Gefühl hatte …“

Sie holte tief Luft und beschloss dann, die ganze Wahrheit zu sagen. Es war ja nicht so, als würde sie Rick je wieder treffen. „Die einzige Zeit, in der ich mich wirklich geliebt fühlte, war, wenn er zu Hause war. Wenn wir alle zusammen waren.“

„Was war mit deiner Mutter?“

„Auf ihre Weise war sie eine gute Mutter. Sie hat getan, was sie konnte. Falls es sie gestört hat, dass er viel unterwegs war, hat sie sich trotzdem nicht beklagt. Wenn er zu Hause war, war er das Zentrum des Universums. Ich liebe meine Mom. Wirklich. Aber sie hat zugelassen, dass er seinen Kopf in den Wolken trug, obwohl er sich um eine Familie kümmern musste.“

Rick nippte an seinem Drink und Jenna fühlte sich wegen dieses letzten Ausbruchs dumm.

„Leben sie in Boston?“, wollte er wissen und ihr Blick wanderte zurück zu ihm. Seine blauen Augen ließen sie die Frage für eine Minute vergessen.

„Nicht mehr. Sie sind vor vier Jahren nach Santa Fe gezogen. Er verbringt seine Zeit immer noch unterwegs und sie akzeptiert die Krümel, die er ihr zuwirft. Ich weiß, ich sollte das nicht sagen.“

„Warum nicht? Ich bin der ideale Zuhörer. Der völlig Fremde. Im null Komma nichts werde ich verschwunden sein.“

„Stimmt. Willst du mir von dir und Faith erzählen?“

Er nickte. „Weißt du, wie wir uns kennengelernt haben? Sie war eine freiberufliche Journalistin, die sich auf die Erdatmosphäre und den Klimawandel spezialisiert hatte. Ich machte meinen Job schon seit ein paar Jahren. Nachdem sie mich interviewt hatte, wurden wir Freunde. Wir gingen in dasselbe Fitnessstudio und wir klettern beide gern, fahren Fahrrad und laufen. Der Sex war toll und wir sind uns nicht auf die Nerven gegangen. Also ist sie bei mir eingezogen.

Sie wusste, dass ich viel arbeiten würde, dass ich Sturmjäger bin und dass all meine Freunde auch Meteorologen sind. Sie musste überall dorthin, wo die Schlagzeilen waren, also war sie selbst viel unterwegs. Wir hatten keine Probleme. Eigentlich haben wir nie über unsere Beziehung gesprochen.“

„Was hat sich verändert?“

„Hm?“

„Es muss sich etwas sehr für dich verändert haben, wenn du heiraten wolltest.“

„Sollte man meinen. Aber ich dachte nur, wir seien jetzt lange genug zusammen und …“ Er zuckte mit den Achseln. „Kinder. Der Gedanke, welche zu bekommen. Das will ich. Aber noch nicht jetzt.“

„Also wolltest du eine Anzahlung leisten?“

Er sog die Luft ein und sie wollte ihre Worte zurücknehmen.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Jenna. „Ignorier das, bitte. Ich hätte nicht nach ihr fragen sollen. Es ist offensichtlich, dass ich im Moment zu nichts zu gebrauchen bin. Das ist schrecklich, weil du so wunderbar warst.“

„Mach dir deswegen keine Sorge. Du liegst vollkommen richtig. Das war genau das, was ich getan habe. Aber jetzt möchte ich mir Gedanken darüber machen, was als Nächstes kommt. Faith und ich verstehen uns. Haben wir immer. Und ja, ich gebe es zu, mit unserem chaotischen Leben war unsere Beziehung bequem.“ Er seufzte. „Das war nicht das erste Mal, dass ich versucht habe, Faith einen Antrag zu machen“, erklärte er. „Offensichtlich habe ich mich nicht sehr bemüht. Heißluftballons eignen sich nicht für Heiratsanträge. Aber ich dachte, Silvester wäre eine gute Idee.“ Er zuckte mit den Achseln.

Jenna bekam einen Kloß im Hals, als sie auf den schmalen Diamantring an ihrer linken Hand sah.

Sie und Payton waren kein bisschen wie Rick und Faith. Allerdings waren sie wohl auch bequem. Er lebte nicht in Kalifornien oder arbeitete in der Nachtschicht. Aber sie hatten über ihre Beziehung gesprochen. Jeder Schritt war sorgfältig überlegt gewesen. Sie war diejenige, die entschieden hatte, dass sie nicht zusammenleben würden, bevor sie verheiratet waren, aber Payton hatte sie unterstützt. Sie liebte ihn. Er war genau der Mann gewesen, den sie immer gewollt hatte.

Obwohl sie im Moment keine Ahnung hatte, was sie wollte.

„Dieser erste Kuss“, sagte Rick mit einem liebevollen Lächeln. „Ich meine unseren. Das war unerwartet.“

„Ja“, stimmte sie zu. „Völlig unerwartet. Um ehrlich zu sein, du hast mir buchstäblich den Atem geraubt.“

Er sah wieder nachdenklich aus. Das stand ihm wahnsinnig gut. Sie hätte schwören können, dass die Hälfte der Frauen in diesem Saal ihn in Gedanken gerade auszog.

Aber sie machte sich Sorgen, dass sie das Falsche gesagt hatte. „Glaubst du, es macht das Küssen erregender, wenn man es jemandem heimzahlen möchte?“

„Erregend, ja?“ Er schwoll nicht gerade an wie ein stolzer Gockel, aber sein Lächeln war unglaublich selbstzufrieden. „Wahrscheinlich. Ja. Glaubst du, wenn ich dich jetzt küssen würde, wäre es dann immer noch Rache?“

Sie trank ihren White Russian aus und spürte diesen Rausch, den sie gesucht hatte. „Ja. Ich denke, Rache wird für eine Weile eine große Rolle spielen.“

„Damit habe ich kein Problem.“

Jenna lachte. „Weißt du was? Ich auch nicht.“

„Dann sollten wir lieber etwas zu essen holen.“

„Wie bitte? Du hast Hunger? Jetzt?“

„Nicht besonders“, erwiderte er. „Aber du hast gerade einen Haufen Alkohol in dich hineingekippt. Hast du außer Schokolade sonst noch etwas gegessen?“

Woher wusste er das? Hatte er sie vorhin beobachtet? „Wahrscheinlich hast du recht mit dem Essen. Ich bin nämlich ein bisschen betrunken.“

Er half ihr aufzustehen und sie betrachteten ihr zweites Büfett in dieser Nacht. Es war ein sehr gutes, mit frischen Krabben und Hummer. Jenna nahm sich ein paar Austern. Rick nahm sich ebenfalls welche.

Sie fanden wieder einen Tisch. Beide tranken sie nun Wasser und das Essen war köstlich.

Auch wenn sich kein bisschen Schokolade auf ihrem Teller befand, genoss sie jeden Bissen. Nachdem sie sich in der Toilette rasch frisch gemacht hatte, wartete sie auf Rick, der ihre Hand nahm und sie auf die Tanzfläche zog.

Sie kannte den Song nicht. Es war ihr egal. Sie tanzten auch nicht richtig. Sie wiegten sich hin und her und bewegten dabei kaum die Füße. Sie ließ ihren Kopf an seiner Schulter ruhen. Nein, seiner Brust. Rick war größer als Payton und er roch gut.

„Payton hat mich mehr geliebt“, meinte sie.

Er hörte auf, sich zu bewegen. „Wie bitte?“

Sie lehnte sich zurück, weit genug, um ihn anzusehen. „Ich dachte immer, er liebt mich mehr als ich ihn. Zumindest wollte ich das so. Ich habe das nie jemandem gesagt. Aber ich wollte die Oberhand behalten.“

„Wegen der Beziehung deiner Eltern?“

„Ja“, erwiderte sie, überrascht, dass er den Grund so schnell erkannt hatte. So offensichtlich der Grund auch war, sie hatte eine Weile gebraucht, um ihn zu erkennen. Sie wiegte sich wieder hin und her und atmete sein würziges Aftershave ein. Es erinnerte sie an den Herbst. An Blätter und Gras und einen Sturm, der sich zusammenbraute.

„Ich bin nicht in Faith verliebt“, erklärte Rick. „Ich liebe sie. Obwohl ich sehr enttäuscht und wütend bin über das, was sie getan hat.“ Sein Körper hatte sich angespannt und Jenna drückte sanft seine Schulter. Er zog sie fester an sich und ihre Brüste drückten sich an seinen Brustkorb. „Ich dachte wohl, die leidenschaftliche, langfristige Liebe würde sich schließlich einstellen. Und Freunde zu sein, ist keine schlechte Basis für eine Ehe.“

„Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber nur, wenn beide Seiten zustimmen.“ Sie fühlte sich ein wenig schläfrig … vermutlich von der Musik und Ricks warmem Körper. „Die beiden haben uns heute vor den Bus geschubst.“

Sie tanzten langsam weiter, bis die Musik sich veränderte und Katrina and the Waves „I’m walking on Sunshine“ zu singen begannen.

„Vielleicht kannst du deine Beziehung noch retten. Vielleicht liest du deine SMS. Ich meine, ihr seid in Boston. Ihr werdet vermutlich im selben Hotelbett schlafen.“

„Nun, das ist eine Art, es zu betrachten.“

„Und die andere?“

Er lächelte sein Danger-Bond-Lächeln. „Du und ich gehen zusammen in das Apartment.“

Rick tat es beinahe leid, dass sie die MIT-Feier verlassen hatten. Ohne die ständige Ablenkung war es zu einfach, zu sinnieren. Aber er wusste, dass Jenna erschöpft sein musste, und nicht nur, weil es zwei Uhr morgens war.

In der Lobby war nicht mehr viel los, weil jeder in der Kälte zu stehen und auf ein Transportmittel zu warten schien. Die mit Abstand längste Schlange war die für Taxis.

„Was meinst du?“, fragte er. „Wollen wir uns anstellen?“

Sie waren immer noch im Hotel, in der Nähe des Haupteingangs. Jenna hatte ihr Handy hervorgezogen und ausgehend von der Anzahl an Benachrichtigungen hatte Payton die letzten zwei Stunden nicht damit verbracht, Faith zu küssen.

„Ich habe neunzehn SMS und sechs Sprachnachrichten, von denen ich keine lesen oder abhören werde. Na ja, vielleicht ein paar. Aber ich habe vor, ihm eine Nachricht zu schreiben, dass ich neue Pläne für den Rest des Morgens habe.“

„Klingt gut. Also, da ich auch ein paar von Faiths Nachrichten überprüfen werde, sollten wir uns vielleicht in diese riesige Schlange einreihen.“

Jenna zitterte schon mal vorbeugend. „Hat dieses zweite Schlafzimmer eine Heizdecke? Oder einen Kamin?“

„Es wird alles gut“, erwiderte er. „Das verspreche ich. Außerdem wird das Taxi beheizt sein.“ Widerwillig schaltete er sein Handy ein. Er hatte ebenfalls einen Haufen ungelesener und nicht abgehörter Nachrichten. Die ersten und die letzten drei Nachrichten zu überprüfen, sollte ihm alle nötigen Informationen verschaffen. Wenn Faith wirklich festsaß, würde er sie hier nicht alleine lassen, auch wenn es die peinlichste Taxifahrt aller Zeiten werden würde. Er wollte nicht über die Zimmerverteilung nachdenken, aber er würde sein Bestes tun, um die Nacht für sie alle drei so angenehm wie möglich zu machen. „Ich habe zwölf SMS und neun Sprachnachrichten.“

Sie ging einen Schritt in Richtung Ausgang und blieb dann stehen. „Hm. Was, wenn nicht alle davon Entschuldigungen sind?“

„Was meinst du?“

„Die Art, wie sie sich angesehen haben? Vielleicht haben sie ihren Seelenverwandten gefunden. Vielleicht schreiben sie uns, um uns den Laufpass zu geben.“

„Das bezweifle ich. Sie sind uns hinterhergelaufen, vergessen?“

„Richtig.“ Sie nickte, während sie zur Auffahrt vorausging.

Die Kälte war wie ein unerwarteter Schlag. Leider hatte er über dieses Gefühl heute einiges gelernt. Aber sie fanden das Ende der Warteschlange und er öffnete seine erste SMS.

Es tut mir so leid!

Die zweite war sehr direkt und um null Uhr dreizehn getippt worden.

Wo bist du?

Eine halbe Stunde nach Mitternacht veränderte sich der Ton.

Ich fange an, mir Sorgen zu machen.

Wahrscheinlich machte ihn das zu einem schrecklichen Menschen, aber anstatt sich schuldig zu fühlen, war er froh. Er wischte weiter, bis er die letzten drei SMS fand. Aber die erste von ihnen enthielt alles, was er wissen musste:

Ich bin bei Payton und kann die Nacht in seiner Wohnung verbringen

Er schaltete das Handy aus. Dann sah er Jenna an. Sie schrieb eine SMS, daher konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht sehen. Sagte sie Payton, er solle sich zum Teufel scheren? Nahm sie seine Entschuldigung an?

Als sich ihre Blicke wieder trafen, steckte sie das Telefon zurück in ihre Handtasche und zog ihre Handschuhe an. „Wir haben uns kaum vorwärtsbewegt. In diesem Tempo werden wir nächstes Silvester noch hier stehen.“

Es schien ihr gut zu gehen.

„Wir könnten es mit Uber versuchen.“ Er hatte den App-Taxiservice bereits genutzt, aber noch nie an einem Feiertag.

„Stimmt. Ich denke, wir werden so schneller etwas finden. Aber ich finde, wir sollten laufen.“

Er lachte laut auf. „Du machst Witze, oder? Das Apartment ist nicht hier um die Ecke. Der Weg wäre im Frühling eine Herausforderung, und falls du es nicht bemerkt haben solltest, es schneit.“

Jenna schüttelte den Kopf. „Was für eine Art Wetterjäger bist du? Also, es ist kalt draußen. Wir gehen schnell.“

Es kam Rick in den Sinn, dass ihre impulsive Idee, zum Bankenviertel zu laufen, gar nicht so verrückt war. Sie hatten beide viel zu verarbeiten und er kannte keinen besseren Weg, um den Kopf frei zu bekommen. „Okay. Versuchen wir’s. Wir können immer noch auftauen, wenn wir im Apartment sind.“

Sie begann, so schnell loszulaufen, wie ihre dämlich hohen Schuhe es ihr erlaubten. Und das war ziemlich schnell. Es dauerte tatsächlich ein paar Sekunden, bis er sie eingeholt hatte. Als er es tat, drehte sie sich so abrupt um, dass er beinahe in sie hineinlief.

Sie ergriff sein Revers und zog ihn noch näher. „Wessen dumme Idee war das? Es ist eisig hier. Wir schaffen es nicht einmal bis zur nächsten Ecke, geschweige denn zu deinem noblen Apartment.“

Er lachte, dann küsste er ihre sehr kalten Lippen. Aber es war nur ein kleiner Kuss, während er seinen Mantel ganz aufknöpfte. In dem Moment, als er den letzten Knopf gelöst hatte, zog er sie an sich. Dann schloss er den Mantel und schuf so einen warmen Kokon. „Besser?“

„Oh ja“, murmelte sie an seinem Kragen. „Wie willst du Uber anrufen? Vergiss nicht, ich werde dich nicht loslassen.“

Unfähig zu widerstehen, neigte er sich nach unten und manövrierte sie ein wenig auf Distanz. Eine Distanz, die einen sanften Kuss auf die Stirn zu einem feurigen, schonungslosen Kuss werden ließ.

Alles verschwand. Die Straße, die Kälte, die Pfiffe und das Hupen. Es gab nur Jenna, die die Stöße seiner Zunge erwiderte, bis ihnen beiden schwindelig vor Lust war.

Und dann …

„Wollt ihr nicht lieber drinnen weitermachen? Ihr seid auf einer öffentlichen Straße.“

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Uber anzurufen und zu frieren, während sie warteten.

5. KAPITEL

„Du kannst dir dieses Apartment nicht vorstellen“, versprach Rick. „Zu sagen, es sei auf dem neuesten Stand der Technik, beschreibt es nicht. Vielleicht wird die Technologie in vier oder fünf Jahren normal sein. Im Moment ist es noch ein Prototyp.“

„Wie hast du das Glück gehabt, es zu bekommen?“, wollte sie wissen und rutschte näher an ihn, als das Uber-Taxi um eine Ecke bog. „Jedes Zimmer in der Stadt muss ausgebucht sein.“

„Ich teste es für meine gute Freundin Samantha, die es designt hat. Wir sind zusammen aufs MIT gegangen.“

„Lebt Samantha sonst hier?“

Rick schüttelte den Kopf. „Aber es wird dir gefallen. Das zweite Schlafzimmer ist riesig und es hat ein eigenes Bad, das, na ja, das du selbst erleben musst.“

„Oh“, antwortete sie. „Also ist es dir lieber, wenn ich das andere Schlafzimmer nehme?“

Autor

Jo Leigh
<p>Seit Jo Leigh 1975 bei der großen Filmgesellschaft 20-Century-Fox als Lektorin in der Abteilung für Comedys einstieg, ist sie im Filmgeschäft zu Hause. Sie war für die Mediengesellschaften CBS, NBC und verschiedene andere große Produktionsfirmen tätig, wobei sie zunehmend Drehbücher konzeptionierte und bearbeitete. Kein Wunder, dass bei so viel Sachkenntnis...
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