Tiffany Exklusiv Band 106

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ALLES NUR EIN HEISSER TRAUM? von CARA SUMMERS
Auf die Annehmlichkeiten der Großstadt muss Jordan demnächst verzichten. Dafür hat das Landleben auf der Ranch ihrer Schwester andere Vorzüge: zum Beispiel den Cowboy Cash Landry, der eine unwiderstehliche Mischung aus Naturbursche und Verführer ist – und Jordan das Leben rettet, als auf sie ein Anschlag verübt wird …

UNTER FREIEM HIMMEL ... von VICKI LEWIS THOMPSON
Als Citygirl Jeannette dem sexy Naturburschen Zach in die Arme läuft, knistert es heiß. Und was er ihr unter freiem Himmel bietet, ist … verführerisch. Wenn sie bloß nicht in unterschiedlichen Welten leben würden! Jeannette ahnt nicht, wie viel sie mit dem „Cowboy“ gemeinsam hat …

WIE EIN STURZ IN STARKE ARME von KELLI IRELAND
Ein Unglück in den Bergen hat Taylor jedes Selbstvertrauen genommen. Sie will dagegen ankämpfen – und bucht bei dem Experten Quinn Monroe eine Bergtour. Doch der Naturbursche, dessen Körper so warm in kalten Nächten ist, wird für sie eine Herausforderung der besonderen Art …


  • Erscheinungstag 28.03.2023
  • Bandnummer 106
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516105
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cara Summers, Vicki Lewis Thompson, Kelli Ireland

TIFFANY EXKLUSIV BAND 106

PROLOG

Ware House, Long Island.

Jordan warf die Tür des Taxis hinter sich zu und blickte zu der altehrwürdigen Villa vor ihr. Der wolkenverhangene Himmel ließ das von ihrem Ururgroßvater erbaute Anwesen noch düsterer erscheinen als sonst. Mit seinen turmförmigen Erkern und seiner grauen Steinfassade machte es einen geradezu gespenstischen Eindruck.

Das jedenfalls hatte sich nicht geändert. Im Gegensatz zu allem anderen.

Vor sieben Tagen hatte eine Nachricht Jordans Leben verändert. Ihre Mutter, die bekannte Schmuckdesignerin Eva Ware, war bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Tot. Ihre Mutter war tot.

Eine Woche war seitdem vergangen, doch Jordan konnte die Wahrheit noch immer nicht ganz akzeptieren.

Seufzend schloss sie die Augen und zwang sich, tief durchzuatmen. Sie konnte sich jetzt nicht gehen lassen. Es gab viel zu tun. Schließlich trug sie die Verantwortung dafür, dass das Erbe ihrer Mutter fortbestehen würde.

Ein Blick auf ihre Armbanduhr bestätigte ihr, dass sie eine gute halbe Stunde zu früh zur Testamentseröffnung gekommen war. So konnte sie also noch einmal in aller Ruhe ihre Gedanken ordnen. Langsam ging sie vor dem imposanten Eingangsportal auf und ab.

Du schaffst das schon.

Hatte sie es nicht auch geschafft, die Trauerfeier – wenn auch mithilfe von Onkel Carleton und Tante Dorothy – zu organisieren?

Jordan hatte die Unterstützung gleichermaßen dankbar und überrascht angenommen. Ihre Mutter und ihr Onkel hatten sich eigentlich nie verstanden.

Ihrer Mutter zufolge lag die Ursache des Streits im Testament ihres Großvaters. Carleton und Eva hatten beide jeweils zur Hälfte die Ware Bank, Ware House und das übrige Vermögen geerbt. Carleton war damals davon ausgegangen, dass seine Schwester ihren Anteil am Vermögen in die Ware Bank investierte, genau wie er, doch Eva hatte stattdessen darauf bestanden, das Geld in ihre neu gegründete Schmuckdesignfirma zu stecken.

Eine kluge Entscheidung, fand Jordan. Eva Ware Designs war inzwischen eines der exklusivsten Schmuckgeschäfte in New York City.

Eva hatte versucht, die Wogen zu glätten, indem sie ihrem Bruder das Anwesen allein überließ. Onkel Carleton, Tante Dorothy und Jordans Cousin Adam lebten dort, so lange Jordan denken konnte. Doch auch dadurch hatte sich das Verhältnis der Geschwister nicht entspannt. Jedes Mal wenn sie und Eva zu Besuch gekommen waren, waren sie so kühl empfangen worden, dass ihre Mutter stets ein Zimmer in einer Pension in Linchworth gemietet hatte.

Nichtsdestotrotz waren ihr Onkel und Tante bei den Vorbereitungen der Trauerfeier eine echte Hilfe gewesen. Dorothy Ware war überaus geschickt und erfahren, wenn es um die Organisation gesellschaftlicher Ereignisse ging, und als solches musste man Eva Wares Begräbnis bezeichnen.

Leider hatte der Einzige, dessen Anwesenheit Jordan sich wirklich gewünscht hätte, nicht kommen können – Jase Campbell, ihr Mitbewohner und engster Freund.

Sie und Jase hatten sich in Jordans erstem Jahr an der Wharton School der University of Pennsylvania kennengelernt. Jase war ein paar Semester weiter gewesen als sie. Der Zufall hatte es gewollt, dass sie sich für das gleiche Apartment interessierten, und so waren sie kurzerhand zusammengezogen. Daraus war eine echte Freundschaft entstanden, und als Jase vor einem Jahr die Navy verlassen hatte, um in Manhattan eine eigene Sicherheitsfirma zu gründen, da waren sie wieder zu Wohnungsgenossen geworden. Leider war Jase seit dreieinhalb Wochen in Südamerika, um in einem Geiseldrama zu verhandeln. Jordan hatte ihn nicht einmal mit dem Handy erreichen können.

Er wusste noch gar nicht, dass Eva tot war.

Und noch weniger wusste er etwas von der anderen großen Veränderung in Jordans Leben: Sie hatte eine Schwester bekommen.

Das hatte ihr Edward Fitzwalter, der langjährige Anwalt ihrer Mutter, nach der Trauerfeier telefonisch mitgeteilt. Selbst jetzt noch hatte Jordan das Gefühl, sich kneifen zu müssen, um sicher zu sein, dass die vergangene Woche nicht doch nur ein Albtraum gewesen war, aus dem sie gleich erwachen würde.

Sie hatte eine Schwester, der sie nie begegnet war! Madison Farrell. Und die würde heute bei der Verlesung des Testaments dabei sein.

Wenn sie daran dachte, wurde ihr ganz flau im Magen. Sie hatte nur zwei Tage Zeit gehabt, um sich auf die Situation einzustellen. Eigentlich war sie stolz auf ihren effizienten Arbeitsstil und ihre Anpassungsfähigkeit. Aber wie um alles in der Welt stellte man sich darauf ein, dass man plötzlich eine Schwester hatte – eine eineiige Zwillingsschwester – die all die Jahre auf einer Ranch in New Mexico gelebt hatte, bei einem Vater, den man nie gekannt hatte? Und den man auch nie kennenlernen würde, weil er vor einem Jahr gestorben war?

Die ganze Situation erinnerte an einen schlechten Hollywoodfilm. Anfangs hatte sie dem Anwalt nicht glauben wollen. Bis er ihr die Geburtsurkunden zeigte. Sie und Madison waren in Santa Fe zur Welt gekommen. Sie war fast vier Minuten älter als ihre Zwillingsschwester.

Edward Fitzwalter präsentierte ihr außerdem eine Heiratsurkunde. Eva Ware hatte Michael Farrell etwa elf Monate vor der Geburt der Zwillinge geheiratet.

Jordan hatte daraufhin sofort im Internet nach Madison Farrell geforscht und einige Informationen gefunden. Ihre Schwester wurde Maddie genannt und führte nicht nur eine Ranch, sondern war auch eine aufstrebende Schmuckdesignerin. Und sie glich Jordan äußerlich bis aufs Haar. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn während sie das Haar halblang trug, war das von Maddie lang und zu einem Zopf geflochten.

Wie würde ihre Schwester wohl sein? Würden sie etwas gemeinsam haben? Ihrer Website nach zu urteilen, hatte Maddie das künstlerische Talent ihrer Mutter geerbt. Und sie, Jordan, das kaufmännische Talent von ihrem Vater?

Sie seufzte. Anstelle von Antworten hatten ihre Nachforschungen nur immer neue Fragen aufgeworfen. Warum hatten ihre Eltern sie als Babys getrennt? Warum hatte ihre Mutter ihr erzählt, ihr Vater sei kurz nach ihrer Geburt gestorben? Würde ihre Schwester diese Fragen beantworten können?

Jordan versuchte Trauer und Enttäuschung zu ignorieren und blickte zurück auf das Haus. Noch immer erschien es ihr unfassbar, dass ihre Mutter jetzt nicht hier war. Jordan hatte wie immer den Zug genommen und dann ein Taxi. Sie hatte sogar ein Zimmer im Linchworth Inn reserviert, die gleiche Suite, die sie und ihre Mutter immer gebucht hatten.

Warum? Sie hatte sich eingeredet, sie brauche die Suite, um mit Maddie allein sein und in aller Ruhe reden zu können. Trotz der Unterstützung ihres Onkels und ihrer Tante hatte Jordan nicht den Eindruck, dass sich an ihrem Verhältnis wirklich etwas geändert hatte. Vielleicht machte sie aber nur deshalb alles so wie immer, weil sie einfach nicht akzeptieren konnte, dass ihre Mutter tot war.

Und wie würde Maddie Farrell wohl mit den familiären Verhältnissen zurechtkommen? Dass die Wares einander nicht sehr nahestanden, war noch milde ausgedrückt. Jordan sah ihren Onkel oder ihre Tante so gut wie nie, und Adam auch nur, weil dieser als Designer bei Eva Ware Designs arbeitete.

Ein Sportwagen schoss die Einfahrt hinauf. Wenn man vom Teufel sprach … Adams Wagen kam vor dem Haus zum Stehen.

Sie winkte ihrem Cousin kurz zu und lief die Stufen hinauf. Wenn sie Glück hatte, war sie vor ihm im Haus.

Jordan hörte, wie die Wagentür zugeknallt wurde. „Jordan! Warte! Ich muss mit dir reden!“

Adam Ware klang empört, aber das tat er eigentlich immer, seit sie ebenfalls bei Eva Ware Designs arbeitete.

In diesem Moment öffnete der Butler die Haustür, aber Adam war schon neben ihr. „Was zum Teufel hast du vor?“

Jordan ließ sich ihre Empörung nicht anmerken und lächelte ihren Cousin an. „Ich bin hier, weil das Testament meiner Mutter eröffnet wird.“ Sie wandte sich dem Butler zu. „Guten Tag, Lane.“

Der Butler verbeugte sich und trat zur Seite. „Ms. Jordan, Mr. Adam, die Familie befindet sich bereits mit Mr. Fitzwalter in der Bibliothek.“

„Ist meine Schwester schon da?“, fragte Jordan.

„Nein.“

„Deine Schwester“, schnaubte Adam. „Das ist es, worüber ich mit dir reden will.“ Ungeduldig drängte er sich an Jordan vorbei und zog sie mit sich in einen kleinen Raum.

Jordan unterdrückte einen Seufzer. Seit sie bei Eva Ware Designs arbeitete, war jede ihrer Marketingstrategien von Adam kritisiert worden. Offenbar hatte ihr Cousin in den drei Jahren, die er zuvor allein bei ihrer Mutter angestellt war, darauf spekuliert, eines Tages die Firma zu übernehmen. Wohl deshalb machte Jordans Anwesenheit ihn nervös.

Sie hatte versucht, ihn zu beruhigen. Schließlich seien ihre Talente ja ganz unterschiedlich – er der Künstler, sie die Geschäftsfrau. Doch was auch immer sie sagte oder tat, nichts schien ihm seine Angst nehmen zu können.

Eva hatte die Spannungen zwischen ihnen als eine Art Geschwisterrivalität abgetan und sich nicht weiter darum gekümmert. Doch jedes Mal, wenn Eva ihre Tochter für irgendetwas gelobt hatte, hatte Adam sich bedroht gefühlt.

Der kleine Salon, in den er sie geschubst hatte, war mit antiken Möbeln aus der viktorianischen Ära möbliert. Dunkelrote Samtvorhänge waren zur Seite gezogen worden, um etwas Licht hereinzulassen. Adam drehte sich zu Jordan um. Sie war immer wieder erstaunt, wie gut er aussah. Er hatte von seinem Vater die hohe, athletische Statur geerbt und von seiner Mutter das kastanienbraune Haar, das er fast schulterlang trug.

„Ich verlange eine Erklärung“, sagte er.

„Eine Erklärung wofür?“

„Ich will wissen, was du mit dieser Schwester erreichen willst, die du dir da ausgedacht hast. Vater sagt, Fitzwalter habe ihn angerufen und ihm von einer lange verschollenen Schwester erzählt, die plötzlich aufgetaucht sei.“

„Ich habe den gleichen Anruf von Edward Fitzwalter bekommen.“ Jordan bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Ich glaube, sie ist keineswegs ausgedacht, sondern sehr real. Fitzwalter kann dir die Geburtsurkunde zeigen. Auf Bitten meiner Mutter hat er Kontakt zu Madison aufgenommen und dafür gesorgt, dass sie heute hierherkommt und bei der Testamentseröffnung dabei ist.“

„Warum? Warum sollte Eva diese zweite Tochter erst jetzt präsentieren?“

„Das wüsste ich auch gern.“

„Ich will wissen, was das zu bedeuten hat.“

Jordan sah Adam einen Moment lang forschend an. Er wirkte fast panisch. „Es bedeutet, dass du eine Cousine hast, von der du bis jetzt nichts wusstest.“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das meine ich nicht. Ich will wissen, inwiefern die Existenz dieser Person sich auf meine Position bei Eva Ware Designs auswirken wird.“

„Sehr wenig, würde ich sagen.“ Adam war bestimmt nicht der Einzige, der sich diese Fragen stellte. Wahrscheinlich sprach er nur aus, was seine Eltern dachten. Jordan nahm an, dass seine Eltern sehr viel Druck auf ihn ausübten – besonders seine Mutter –, damit er eines Tages die Leitung von Eva Ware Designs übernehmen würde.

„Soweit ich weiß, hat Maddie genug mit ihrer Ranch und mit ihrer eigenen Schmuckdesignfirma in Santa Fe zu tun.“

„Sie ist Schmuckdesignerin?“, rief Adam ungläubig.

„Schau auf ihrer Website nach.“ Jordan blickte demonstrativ auf die Uhr und ging zur Tür. „Ich denke, wir sollten jetzt zu den anderen in die Bibliothek gehen.“

Adam packte ihren Arm und zwang sie, sich umzudrehen. „Und mehr weißt du nicht?“

Sie sah ihn unverwandt an. „Nein.“ Mit diesen Worten machte sie sich los und verließ den Salon.

Lane, der im Flur gewartet hatte, öffnete eine mit dunklem Holz getäfelte Doppeltür. Der Geruch von Bohnerwachs vermischte sich mit dem Duft von weißen Lilien. Jordan trat ein, dicht gefolgt von Adam.

Jordan blieb einen Moment stehen. Der Raum war riesig. Drei Wände waren von oben bis unten mit Bücherregalen bedeckt. An der vierten Wand befanden sich mehrere schmale, hohe Buntglasfenster. Edward Fitzwalter saß mit dem Rücken zur Fensterfront hinter einem antiken Eichenholzschreibtisch. Dunkelrote Ledersessel standen in einem Halbkreis davor.

Cho Li, der langjährige Assistent ihrer Mutter, hatte einen Sessel am linken Ende des Halbkreises gewählt. Jordan erwiderte sein freundliches Lächeln.

Onkel Carleton und Tante Dorothy saßen in den Sesseln rechts vom Tisch des Anwalts. Adam ging direkt auf sie zu. Er sagte etwas zu seiner Mutter. Wahrscheinlich stattet er Bericht über unser Gespräch ab, dachte Jordan.

Sie war immer wieder aufs Neue verblüfft, was für ein gut aussehender Mann ihr Onkel war. Und wie ruhig. Sie kannte ihn als einen Mann, der nicht viele Worte machte. Ihre Mutter hatte immer behauptet, er sei total auf die Ware Bank fixiert, aber war Eva nicht genauso auf ihre Designfirma fixiert gewesen? Bruder und Schwester hatten sich wohl nichts vorzuwerfen, was ihren „Tunnelblick“ betraf. Ob Maddie auch so war?

Carleton wirkte kühl und undurchdringlich. Wie dachte er wohl über das plötzliche Auftauchen einer Zwillingsschwester? Und ihre Tante? Die war noch schwerer zu durchschauen als ihr Onkel.

Jordan nahm auf einem Sessel links von Fitzwalter Platz.

„Es ist zwei Uhr. Ich denke, wir können anfangen.“ Dorothy Wares Stimme klang wie immer streng und unbeteiligt. Und wie immer sah sie aus, als käme sie gerade von einem Shooting für die Titelseite der Vogue. Jordan war jedoch nicht entgangen, wie krampfhaft sie ihre teure Designerhandtasche umklammerte.

Das Handy des Anwalts klingelte. „Ja, bitte?“

Kurz darauf klappte er das Handy wieder zu. „Ms. Madison Farrell wird gleich bei uns sein. Ihr Wagen ist gerade vorgefahren.“

Jordan fühlte sich hin und her gerissen zwischen Nervosität und Vorfreude. Einerseits wäre sie am liebsten hinausgestürzt, um ihre Schwester zu begrüßen, andererseits konnte sie die Realität immer noch nicht ganz akzeptieren.

Ihre Schwester. In wenigen Sekunden würde sie ihrer Schwester begegnen.

Sie antike Standuhr zählte laut die Sekunden. Die Wares warteten schweigend. Hatten sie alle den gleichen Verdacht wie Adam – dass sie, Jordan, sich die Sache mit der Zwillingsschwester ausgedacht oder die Existenz ihrer Schwester absichtlich geheim gehalten hatte?

Plötzlich wurde sie schrecklich wütend und sprang auf. An Adams Paranoia hatte sie sich gewöhnt, aber das hier war einfach lächerlich. Und in diese Atmosphäre des Misstrauens würde jetzt ihre Schwester ganz ahnungslos hineintaumeln. Jordan ging auf die Tür zu.

Als diese sich öffnete, blieb sie stehen. Plötzlich war es, als wären sie und Maddie allein im Raum. Nichts hatte sie auf dieses überwältigend starke Gefühl der Verbundenheit vorbereitet.

Sie stand ihrem Spiegelbild gegenüber.

Nun ja, nicht ganz, aber Maddie Farrell hatte die gleichen violetten Augen wie sie, die gleichen Gesichtszüge. Nur das Haar trug sie anders, nämlich genau wie ihre Mutter, lang und zu einem Zopf geflochten.

Wie oft hatte sie versucht, ihre Mutter zu einem modernen Haarschnitt zu überreden.

Auch was ihre Kleidung betraf, hatten Maddie und Jordan offenbar einen sehr unterschiedlichen Geschmack, aber Jordan gefiel der lässige Stil. Maddie trug Hosen und dazu ein besticktes Jackett.

Es stimmte also alles, was Fitzwalter gesagt hatte. Jordan hatte wirklich eine eineiige Zwillingsschwester. Sie stand vor ihr.

Und sie wirkte ein wenig hilflos. Jordan eilte auf sie zu und nahm Maddies Hände in ihre. Plötzlich wurde sie von einem unerwarteten Glücksgefühl erfasst. „Willkommen“, flüsterte sie.

Dann drehte sie sich zu den anderen um. „Onkel Carleton, Tante Dorothy, Adam und Cho, das ist meine Schwester, Madison Farrell.“

Cho stand auf und verbeugte sich. „Es ist mir ein Vergnügen, Evas zweite Tochter kennenzulernen.“

Es folgte ein Moment des Schweigens, bis Carleton sich aus seinem Sessel erhob. „Wir bitten Sie um Verständnis, Madison. Der Schock über den Tod meiner Schwester und die Nachricht, dass sie eine zweite Tochter hatte, die all die Jahre in Santa Fe versteckt gehalten wurde … nun, wir versuchen immer noch, das alles zu begreifen. Ich fürchte, bis zu diesem Augenblick hat niemand von uns so recht geglaubt, was Edward uns erzählt hat. Dorothy, Adam und ich heißen Sie herzlich willkommen in Ware House.“

Jordan lächelte ihrem Onkel dankbar zu. In bestimmten Situationen konnte man sich auf ihn verlassen. Dann drückte sie Maddies Hand, führte sie zu einem der Sessel und flüsterte: „Wenn das hier vorüber ist, können wir reden.“

1. KAPITEL

Es war sechs Uhr morgens, als das Taxi am JFK-Flughafen vor dem Terminal hielt. Jordan und Maddie stiegen aus. Lächelnd drehte Maddie sich zu ihrer Schwester um. „Jordan, ich kann doch allein einchecken.“

„Ich weiß.“ Jordan ging voraus durch die Drehtüren. „Du hältst mich wahrscheinlich schon für einen Kontrollfreak, und wahrscheinlich rede ich auch zu viel. Aber es gibt immer noch ein paar Sachen, die ich dir erzählen muss. Ich gehe bis zur Sicherheitskontrolle mit.“

Nach der Testamentverlesung hatte Jordan ihre Schwester in das kleine Hotel in Linchworth gebracht, wo sie den größten Teil der Nacht aufgeblieben waren und geredet hatten. Als Maddie dann irgendwann eingeschlafen war, hatte Jordan noch lange über den Letzten Willen ihrer Mutter gegrübelt.

Eva hatte ihrem langjährigen Assistenten Cho Li eine Geldsumme vermacht, ihrem Bruder Carleton ihre gesamten Anteile an der Ware Bank. Beides war Jordan völlig normal und vernünftig erschienen.

Aber dann hatte der Anwalt den Teil verlesen, der ihr und Maddies Leben auf den Kopf stellen würde.

Den Rest meines Vermögens, also mein gesamtes Wertpapier- und Bargeldvermögen, meine Firma Eva Ware Designs, mein Anteil an Ware House auf Long Island und mein Apartment in New York City vermache ich zu gleichen Teilen meinen beiden Töchtern Jordan und Madison. Ich hoffe sehr, dass sie die Firma gemeinsam leiten werden. Allerdings stelle ich eine Bedingung. Sie müssen ihre Rollen tauschen, das heißt, sie müssen jeweils an die Stelle der anderen treten, und zwar für drei aufeinanderfolgende Wochen, beginnend innerhalb der nächsten zweiundsiebzig Stunden, nachdem dieses Testament verlesen wurde. Sollten sie sich weigern, diese Bedingung zu erfüllen, oder sollten sie nicht drei Wochen lang durchhalten, dann erhält mein Bruder Carleton meinen Anteil an Ware House. Alles andere, auch die Firma und mein Apartment, soll verkauft und der Gewinn gleichmäßig unter all meinen Verwandten aufgeteilt werden.

Jordan war zunächst einfach nur schockiert gewesen. Selbst ihr Onkel hatte seine starre Maske für einen Moment fallen gelassen. Dorothy hatte Adam etwas zugeflüstert, wonach dieser aufgesprungen war und sich mit beiden Händen auf Fitzwalters Schreibtisch aufgestützt hatte. Das müsse ein Irrtum sein, hatte er fassungslos gerufen. Eva habe vorgehabt, ihn zum Chefdesigner zu machen.

Doch es war kein Irrtum.

Anfangs hatte Maddie gezögert, und Jordan konnte es ihr nicht verübeln. Einfach so die Rollen zu tauschen würde nicht einfach sein, und das war noch milde ausgedrückt. Aber Jordan hatte erklärt, dass andernfalls Eva Ware Designs, die Firma, der ihre Mutter ihr ganzes Leben gewidmet hatte, verkauft werden würde. Das konnte Jordan einfach nicht zulassen.

„Ich weiß, ich habe dich dazu gedrängt, das zu machen“, sagte Jordan, als sie vor der Rolltreppe zur Sicherheitskontrolle standen.

„Ich tue nichts, was ich nicht tun will“, erwiderte Maddie. „Ich bin seit der Highschool ein Fan von Eva Ware.“ Sie schob die Brauen zusammen. „Mein Vater wusste das und hat mir nie ein Wort gesagt.“

„Mom hat auch nie ein Wort über dich und unseren Vater verloren. Daran muss ich immer wieder denken.“

Maddie sah Jordan in die Augen. „Ich weiß, am Anfang war ich ein bisschen zögerlich, aber ich sehe ein, dass wir Evas Firma nicht einfach aufgeben können. Mir geht es mit der Ranch genauso.“

Maddie hatte Jordan anvertraut, dass sie in der Hinsicht Probleme hatte. Seit dem Tod ihres Vaters vor einem Jahr musste sie hart kämpfen, damit die Ranch nicht in die roten Zahlen rutschte. Darüber hinaus hatte es in letzter Zeit mehrere Fälle von Vandalismus gegeben – eingeschnittene Zäune, streunende Rinder – und in jüngster Zeit sogar einen Versuch, ihre Pferde zu vergiften. Und seit sechs Monaten wurde sie von einem hartnäckigen Makler verfolgt, der unbedingt wollte, dass sie die Ranch zum Verkauf anbot.

Maddie nahm Jordans Hände. „Wir müssen ja nur drei Wochen durchhalten.“

Jordan erwiderte den Druck von Maddies Händen. „Du passt auf dich auf und bleibst abends nicht zu lange im Büro?“

„Versprochen. Ich werde immer bei Geschäftsschluss nach Hause gehen“, versicherte Maddie.

Vor einem Monat hatte es einen Einbruch in der Schmuckboutique gegeben. Die Polizei hatte die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen, und Maddie war doch nicht an die Gefahren des Lebens in Manhattan gewöhnt.

„Mir wird viel wohler sein, wenn Jase wieder da ist“, sagte Jordan.

„Ich habe auch ein bisschen Angst um dich“, gestand Maddie. „Schließlich wirst du erst einmal allein auf der Ranch sein. Ich mache drei Kreuze, wenn Cash Landry und mein Vormann wieder vom Viehmarkt zurückgekehrt sind.“

Zum Glück hatten sie beide einen starken Mann als besten Freund.

Cash Landry gehörte zu Maddies Leben, so lange sie denken konnte. Er war wie ein Bruder für sie – und manchmal überfürsorglich. Ganz ähnlich hatte Jordan ihr Verhältnis zu Jase Campbell beschrieben.

„Cash ist vielleicht schon wieder da, wenn du übermorgen nach Santa Fe fliegst“, sagte Maddie.

„Da wir gerade davon reden: Hast du das Ticket für den Rückflug?“

Maddie lächelte. „Ja, ja.“

Jordan atmete tief ein und wieder aus. „Wir schaffen das.“

„Keine Sorge“, erwiderte Maddie. „Ich habe ja die leichtere Rolle zu spielen. Ich brauche nur in dein Apartment zu ziehen und in einem Schmuckdesignstudio zu arbeiten. Du musst drei Wochen auf einer Ranch überleben.“

„Das schaffe ich. Ich lerne schnell.“

„Ich muss los.“ Maddie ließ Jordans Hände los.

„Du hast die Aufzeichnungen, die ich für dich gemacht habe?“, fragte Jordan.

„Hier drin.“ Maddie klopfte auf ihre Umhängetasche.

„Und ich habe deine Notizen. Und wir telefonieren ja jeden Tag. Wenn du Fragen hast, kannst du mich jederzeit anrufen.“

„Ganz recht.“

Zum Abschied umarmten sie sich und hielten einander ganz fest.

„Ich hab dich lieb“, sagte Maddie.

„Ich dich auch.“

Schließlich drehte Maddie sich um und ging in Richtung Rolltreppe.

Jordan sah ihrer Schwester nach, bis sie verschwunden war.

Jordan blickte sich in ihrem Schlafzimmer um. Ihr Koffer war gepackt. Sie hatte jetzt noch fast eine Stunde Zeit, bis das Taxi kommen würde, das sie zum Flughafen bringen sollte.

War es vielleicht doch ein Fehler gewesen, ihre Schwester zu diesem Rollentausch zu überreden? Entnervt ging sie zum Fenster und beobachtete den endlosen Verkehr. Jordan hasste es, wenn sie sich ihrer selbst nicht sicher war. Normalerweise zweifelte sie nie an einmal gefassten Entscheidungen.

Doch Maddie und sie waren nicht die sorglosen Kinder aus „Ein Zwilling kommt selten allein“. Sie waren erwachsen, sie hatten Verantwortung. Sie selbst hatte wirklich überhaupt keine Ahnung davon, wie man eine Ranch führte, vor allem nicht, wenn diese in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Aber so lange sie dort wäre, wollte sie wenigstens einen Blick in die Bücher werfen und versuchen, einen Plan aufzustellen, um ihrer Schwester aus der Klemme zu helfen.

Ihre Schwester auf einer Schmuckdesignausstellung zu vertreten, wo Kunden ihre Bestellungen für das kommende Jahr aufgeben würden, das wäre sicher das geringste Problem. Dafür hatte Jordan schon einen Plan. Sie würde so tun, als wäre sie Maddie. Sie hatte sich sogar schon ein Haarteil gekauft, damit würde sie aussehen, als hätte sie sich das Haar hochgesteckt, anstatt es zu einem Zopf zu flechten. Bestimmt würden die potenziellen Kunden lieber mit „Maddie Farrell“ sprechen als mit einer ihnen unbekannten Jordan Ware.

Ja, das würde sie schaffen, daran hatte Jordan keinen Zweifel. Und Cho Li wäre eine große Hilfe für Maddie bei Eva Ware Designs. Trotzdem, das Leben im „Big Apple“ war für Maddie etwas völlig Neues.

Wenn ihre Mutter ihnen doch mehr als drei Tage Zeit gegeben hätte, um sich auf den Rollentausch vorzubereiten.

Jordan fühlte sich irgendwie schuldig. Vom ersten Moment an hatte sie dieses merkwürdige Bedürfnis gehabt, Maddie zu beschützen. Konnte das daran liegen, dass sie die Ältere von ihnen war? Sie wünschte, sie könnte eine rationale Erklärung für dieses Gefühl von Verbundenheit finden, das sie seit der ersten Begegnung mit Maddie empfand.

Unruhig ging Jordan im Zimmer auf und ab. Was für eine Wahl hatte sie denn gehabt? Wenn sie und Maddie nicht die Rollen tauschten, würde Eva Ware Designs verkauft und das ganze Geld gleichmäßig unter allen aufgeteilt werden.

Das konnte Jordan einfach nicht zulassen. Sie und Maddie taten das einzig Richtige.

Sie nahm eine gerahmte Fotografie vom Nachttisch. Jase hatte das Foto am Tag ihres College-Abschlusses gemacht. Es zeigte sie mit Talar und Mütze, und ihre Mutter stand neben ihr.

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“

Es war nicht das erste Mal, dass sie ihrer Mutter diese Frage stellte.

„Und warum um alles in der Welt hast du die Firma, für die du gelebt hast, einfach so aufs Spiel gesetzt? Wie konntest du davon ausgehen, dass Maddie und ich uns auf deine Bedingungen einlassen würden?“

Jordan hatte so eine Ahnung. Ihre Mutter war nicht nur eine brillante Designerin gewesen, sondern auch eine sehr gute Menschenkennerin. Bestimmt hatte sie geahnt, dass Jordan den Gedanken, drei Wochen auf einer Ranch zu leben, verlockend finden würde. Und dass sie neugierig auf das Leben wäre, das ihre Schwester führte. Und nur indem sie eine Weile auf der Ranch lebte, hätte sie eine Chance, etwas über den Vater zu erfahren, von dem sie getrennt worden war.

Aber wie hatte Eva Ware bei Maddie genauso sicher sein können? Hatte sie deren Leben heimlich verfolgt? Hatte ihr Vater heimlich ihr, Jordans, Leben verfolgt? Fragen über Fragen. Irgendwie fühlte Jordan sich sehr verloren, so als ob sie innerhalb einer Woche zwei Elternteile verloren hätte.

„Warum habt ihr geheiratet und euch dann gleich wieder getrennt? Und warum habt ihr Maddie und mich getrennt?“

Zorn stieg in ihr auf, wenn sie an die Frage dachte, die sie am meisten beschäftigte – die Frage, auf die sie verzweifelt eine Antwort suchte.

„Warum habt ihr uns all die Jahre getrennt?“

Es war einfach unfassbar. Und jetzt gab es niemanden mehr, den sie fragen könnte. Sowohl Mike Farrell als auch ihre Mutter waren tot.

Jordan stand auf und packte die Dinge, die noch am Fußende des Betts lagen, in ihre Aktenmappe: einen Stadtführer für Santa Fe und Umgebung und einen braunen Umschlag mit all den Notizen, die Maddie über die Leute gemacht hatte, die ihr auf der Ranch und in Santa Fe begegnen könnten.

Jordan hatte für Maddie dasselbe getan, allerdings viel ordentlicher und mit Fotos versehen.

Schließlich nahm Jordan noch ein paar Taschenbücher aus dem Bücherregal – lauter Western. Sie hatte ihrer Schwester gar nicht erzählt, dass sie schon ihr Leben lang für Ranches und Cowboys schwärmte.

Sie war nicht mehr sicher, wie es angefangen hatte. Vielleicht mit dem Überraschungsgeschenk, das sie mit sechs Jahren zu Weihnachten bekommen hatte: eine Miniatur-Ranch mit allem, was dazugehörte, Haus, Ställe, Scheune, Zäune, Pferde und Rinder. Danach hatte sie ihr Puppenhaus nicht mehr beachtet, sondern nur noch mit dieser Ranch gespielt. Nicht lange danach hatte ihre Mutter endlich nachgegeben und ihr erlaubt, Reitstunden zu nehmen.

Nur Eva hatte gewusst, dass Jordan sich ihr ganzes Leben gewünscht hatte, einmal auf einer Ranch zu leben.

Es war ein Traum.

Und jetzt würde er wahr werden.

2. KAPITEL

Jordan brachte den Leihwagen unter dem Vordach der Ranch zum Stehen. Sie hatte tatsächlich nur eine knappe Stunde vom Flughafen bis hierher gebraucht. Das hier war also Maddies Zuhause.

Es hätte ihr Zuhause sein können.

Dieser Gedanke ließ sie nicht mehr los, seit sie in Santa Fe aus dem Flugzeug gestiegen war. Sie hätte auch hier aufwachsen können anstatt in Manhattan. Dann wäre diese endlose Weite, dieses Gefühl von Freiheit, ihr Leben gewesen und nicht nur ein schöner Traum. Und sie wäre mit ihrem Vater aufgewachsen.

Im Gegensatz zu Eva hätte ihr Vater hätte die Begeisterung für Pferde mit ihr geteilt. Doch sie hatte nie die Chance bekommen, ihn kennenzulernen. Warum?

Jordan unterdrückte den Anflug von Melancholie. Für so etwas hatte sie jetzt keine Zeit.

Wie sehr sich diese Welt hier von Manhattan unterschied. Auf der Fahrt zur Ranch hatte sich zu beiden Seiten der Straße unter wolkenlosem Himmel eine endlose Ebene erstreckt. Die Sonnenbrille hatte ihre Augen kaum gegen das grelle Sonnenlicht schützen können.

Die Hügel, die sich am Horizont abzeichneten, schienen in weiter Ferne, aber am Ende hatte sie sie doch erreicht. Langsam war sie der Serpentinenstraße gefolgt, rechts die steile Felswand, links der teilweise erschreckend tiefe Abgrund.

Eine grandiose Landschaft, die Jordan nur aus Filmen kannte.

Nachdem sie die Hügel überquert hatte, war die Straße wieder schnurgerade und eben verlaufen. Schon von Weitem hatte sie das Ranchhaus erkennen können – ein einstöckiges, aber weiträumiges Anwesen aus Stein, Glas und Holz. Jetzt, da der Wagen im Schatten des Vordachs stand, konnte sie auch die dazugehörigen Gebäude genauer betrachten.

Zu ihrer Rechten befand sich eine lang gestreckte Baracke, darin mussten die Ställe sein. Maddie hatte bestimmt ein eigenes Pferd.

Neben dem Stall stand ein einfaches, zweigeschossiges Haus, sicher die Schlafbaracke der Rancharbeiter. Zur Linken und etwas näher am Wohnhaus befand sich ein einstöckiges Haus, das aussah wie das Wohnhaus, nur kleiner. Sicher Maddies Designstudio.

Langsam ließ Jordan den Blick über das Weideland hinter den Gebäuden gleiten. Es erstreckte sich fast bis zum Horizont, erst ganz flach, dann sanft ansteigend. Ein wehmütiges Gefühl befiel Jordan. War sie neidisch, dass ihre Schwester all das als ihr Zuhause bezeichnen konnte und sie selbst nicht?

Lächerlich. Sie liebte doch ihr Leben in New York City.

Jordan holte tief Luft, öffnete die Autotür und stieg aus. Die Hitze traf sie wie ein Fausthieb, und sie verlor fast das Gleichgewicht, als ihre Absätze halb im Sand versanken. Sie hielt sich an der Autotür fest, zog die Schuhe aus und warf sie ins Auto. Zum Glück hatten Maddie und sie verabredet, sich gegenseitig ihre Kleiderschränke zur Verfügung zu stellen. Mit ihren normalen Outfits würde Jordan in dieser Umgebung nicht weit kommen.

Sie nahm ihre Aktenmappe vom Sitz, drehte sich um – und verharrte staunend. Die Hügel, durch die sie gerade gefahren war, leuchteten orangerot auf im Licht der untergehenden Sonne.

Barfuß ging Jordan um das Auto herum und hievte ihren Koffer aus dem Kofferraum. Dann ging sie zum Haus. Eine breite Veranda mit Geländer erstreckte sich über die gesamte Vorderseite. Bevor sie die Stufen hinaufging, blieb Jordan einen Moment stehen, um ihr vorübergehendes Heim zu betrachten. Es hatte eine kunstvoll geschnitzte Eingangstür und riesige Fenster. Wer immer dieses Haus entworfen hatte, musste die Aussicht lieben.

Und wer würde das nicht? Jordan blickte über die Schulter zu den leuchtenden Hügeln. Es lag ein Frieden über dieser Landschaft, der ihr zu Herzen ging. Lag es daran, dass sie schon immer von einem Leben auf einer Ranch geträumt hatte? Aber ein Traum war nur ein Traum. Sie war in der Großstadt aufgewachsen – und damit an Hektik und Lärm und ständige Betriebsamkeit gewöhnt.

Trotzdem, etwas an diesem Ort berührte sie in ihrem tiefsten Inneren.

Ob ihre Mutter das geahnt hatte?

Darüber könnte sie auch noch später nachdenken.

Jordan runzelte die Stirn über sich selbst und ging die Stufen hinauf. Dieses Grübeln sah ihr eigentlich gar nicht ähnlich. Der Schlüssel befand sich an dem Versteck, das Maddie ihr genannt hatte – unter einem der irdenen Blumentöpfe. Jordan seufzte. In Manhattan würde kein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hatte, seinen Schlüssel an einem so offenkundigen Versteck hinterlegen.

Jordan steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Als sie die Tür aufstieß, wurde ihr plötzlich bewusst, weshalb sie so zögerlich und nachdenklich war.

Was immer sie hinter dieser Tür finden würde, was immer sie hier auf dieser Ranch erleben würde, es würde ihr Leben verändern.

Drastisch verändern.

Also dann, sagte sie sich und trat durch die Tür. Aber was sie dann empfand, war so überraschend, dass sie fast rückwärts wieder hinausgegangen wäre. Zu Hause. Sie hatte das Gefühl, zu Hause zu sein.

Zwei Stunden später stand Jordan vor den riesigen, bis zur Decke reichenden Fenstern im Wohnzimmer und beobachtete ein Gewitter, das in der Ferne tobte. Die Fensterfront bot wirklich eine grandiose Aussicht, und der Anblick der Blitze erinnerte sie an das Feuerwerk, das jährlich am Unabhängigkeitstag im Hafen von Manhattan veranstaltet wurde.

Es war fast zehn, also ein Uhr nachts in Manhattan. Jordan fühlte sich immer noch ganz aufgekratzt. Nachdem sich ihre anfängliche Aufregung ein wenig gelegt hatte, war sie wie ein Kind im Süßwarengeschäft von Zimmer zu Zimmer gegangen. Es gab drei Schlafzimmer – eines hatte sicher Mike Farrell gehört, eines war offenbar das Gästezimmer, und das dritte gehörte offensichtlich Maddie. Der begehbare Kleiderschrank war gefüllt mit ihren Kleidern.

Jordan hatte ihre verschwitzten Sachen ausgezogen, geduscht und frische Unterwäsche aus ihrem Koffer geholt. Maddie zog in der Hinsicht anscheinend weiße Baumwolle vor. Sie selbst hatte da einen ganz anderen Geschmack. Davon abgesehen hatte sie sich jedoch aus Maddies Garderobe bedient. Danach hatte sie die meiste Zeit in einem sehr gemütlichen Raum verbracht, der wohl als Arbeitszimmer oder Bibliothek diente. Alles, was sie dort gefunden hatte, hatte allerdings neue Fragen aufgeworfen.

Warum? Warum hatten ihre Eltern Maddie und sie getrennt? Warum waren Eva und Mike auseinandergegangen? Jordan war entschlossener denn je, Antworten auf diese Fragen zu finden. Wo hatten ihre Eltern sich kennengelernt? Wo hatten sie gelebt, als Jordan und Maddie zur Welt kamen? Hier auf der Ranch? Wenn ja, dann könnte jemand hier in der Nähe leben, der sich an Eva Ware erinnerte.

Fragen über Fragen. Frustriert tappte Jordan zur Küche. Sie war sehr modern, Gefrierschrank und Speisekammer gut gefüllt. Wer kochte hier wohl? Maddie? Noch eine Frage, die sie ihr unbedingt stellen musste.

Sie öffnete die Kühlschranktür. Maddie hatte sogar daran gedacht, ihn mit Käse, Trauben und Wein zu bestücken.

Jordan versuchte ihr schlechtes Gewissen zu ignorieren, öffnete die Flasche und füllte ein Glas. Dann legte sie Briekäse und Salzcracker auf einen Teller.

Sie hatte nicht einmal daran gedacht, für ihre Schwester etwas Essbares zu hinterlassen. Jase Campbell war normalerweise derjenige, der sich darum kümmerte. Wenn er nicht da war, griff sie zum Telefon und bestellte etwas.

Hier ging das wohl nicht so einfach. Jordan nippte an ihrem Wein, nahm Teller und Glas und schlenderte zurück zum Fenster. Die Blitze schienen näher zu kommen, und jetzt hörte sie auch leisen Donner.

Gut, dass sie keine Angst vor Gewittern hatte.

Doch zu ihrer Entspannung trug das nicht bei. Bestimmt würde sie nicht einschlafen können, wenn sie noch länger das Naturschauspiel beobachtete. Also Plan B: Vorhin in der Bibliothek hatte sie festgestellt, dass in diesem Haus jemand ihre Vorliebe für Westernromane teilte, und neben den Büchern eine riesige Auswahl alter Cowboyfilme entdeckt.

Ein perfekter Abschluss für einen aufregenden Tag. Jordan stellte Teller und Glas auf dem Couchtisch ab, zündete die dicke weiße Kerze an, die dort stand, und griff nach der Fernbedienung des riesigen Flachbildfernsehers. Endlich. Sie lehnte sich zurück und ließ den Film starten. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, als die vertraute Filmmusik ertönte.

Als die Donnerschläge immer lauter wurden, stellte Jordan einfach die Lautstärke höher, nahm noch einen Schluck Wein und strich Käse auf einen Cracker. Und dann ließ sie sich hinwegtragen in die Welt der Cowboys und Ranchers.

Endlich hatte der Sturm etwas nachgelassen. Cash Landry bog auf den Highway ein. Der Himmel war schwarz wie Tinte, und es goss immer noch wie aus Kübeln. Die Sicht war schlecht, doch vor etwa einer Stunde war das Gewitter Richtung Osten abgezogen.

Leider musste man damit rechnen, dass Teile der Straße überschwemmt waren. Nicht der ideale Zeitpunkt, um unterwegs zu sein, aber er musste unbedingt nachschauen, ob bei Maddie alles in Ordnung war. Mac McAuliffe, ihr Vormann, wohnte mit seiner Familie mehrere Meilen entfernt. Und seit dem Tod ihres Vaters lebte Maddie also ganz allein auf der Ranch.

Und das gefiel Cash überhaupt nicht. Schon gar nicht, wenn er nicht einmal telefonischen Kontakt zu ihr hatte, so wie in den letzten zehn Tagen. Seine Eltern waren mit Mike Farrell eng befreundet gewesen, und er und Maddie waren zusammen aufgewachsen. Er war drei Jahre älter als sie, und so hatte er schon früh die Rolle des Beschützers übernommen. Wenn er selbst unterwegs war, übernahm sein Vormann Sweeney die Aufgabe, täglich nach Maddie zu schauen. Und als Sweeney ihm gemeldet hatte, dass Maddie scheinbar nicht da war, hatte Cash sich gerade genug Zeit für eine Dusche genommen und war sofort losgefahren.

Um ehrlich zu sein, machte er sich große Sorgen um Maddie. Es hatte in den letzten Monaten immer wieder Vandalismus auf ihrer Ranch gegeben, und in letzter Zeit häuften sich die Fälle. Vor Kurzem war sogar das Pferdefutter vergiftet worden. Seitdem ließ Cash immer Heu von seiner eigenen Ranch zu Maddie hinüberbringen.

Cash bremste ab und lenkte den Wagen auf die Zufahrt zur Farrell Ranch. Als er hörte, wie das Wasser von unten gegen die Karosserie schwappte, verlangsamte er die Fahrt.

Wer immer das Heu vergiftet hatte, hatte sich ganz nah am Wohnhaus befunden. Viel zu nah. Das ließ Cash keine Ruhe. Also hatte er sich entschlossen, mehrmals pro Woche im Gästezimmer zu schlafen. Das löste nicht wirklich das Problem, aber vielleicht würde wer auch immer hinter diesen Vorfällen stand Maddie eine Zeit lang in Ruhe lassen.

Cash hatte einen Verdacht, wer der Verursacher von Maddies Problemen sein könnte: Daniel Pearson, ein Immobilienmakler, der Maddie seit sechs Monaten verfolgte. Er war ganz scharf auf den Auftrag, die Ranch zu verkaufen. Cash wusste, Maddie wollte nicht verkaufen, doch Pearson war äußerst hartnäckig.

Cash hatte sich erkundigt. Kein Rancher weit und breit hatte Probleme mit Vandalismus, nur Maddie. Er hatte in den letzten Tagen gründlich nachgedacht und glaubte, eine Lösung für Maddies Probleme gefunden zu haben.

Er und Maddie könnten sich verloben.

Er hatte zwar nicht vorgehabt, sich in nächster Zeit zu binden. Ihm gefiel sein Leben, so wie es war. Und Maddie ihres auch, da war er ziemlich sicher.

Aber es wäre ja nur der Form halber. Nur eine Scharade, damit Maddie endlich ihre Ruhe hätte.

Sein und Maddies Vater hatten zwar ihr Leben lang davon geträumt, Maddie und ihn zu verkuppeln und damit die beiden Ranches zu vereinen, doch sie hatten vergessen, ihn und Maddie in ihre Pläne mit einzubeziehen. Selbst als Teenager war es nie auch nur annähernd zu Intimitäten zwischen ihnen gekommen. Vielleicht weil er in Maddie immer nur eine gute Freundin oder so etwas wie eine kleine Schwester gesehen hatte.

Es würde sich jedoch keiner ihrer Nachbarn wundern, wenn sie sich verloben würden. Die meisten würden denken, dass Mike Farrell und Jesse Landry doch recht behalten hatten. Es dürfte auch nicht schwierig werden, Maddie von der Idee zu überzeugen. Er müsste ihr nur die Gründe erklären und sie dann ein bisschen unter Druck setzen. Im Lauf der Jahre hatte er erkannt, dass man Maddie manchmal zu ihrem Glück zwingen musste. Besonders seit sie so auf ihr Schmuckdesign fixiert war.

Cash kniff die Augen zusammen, als die Ranch in Sicht kam. Das Flutlicht, das normalerweise Wohnhaus und Stallungen von außen beleuchtete, war ausgeschaltet. Auch keins der Fenster war beleuchtet. Offenbar hatte sich während des Gewitters der Strom abgeschaltet.

Wahrscheinlich war Maddie eingeschlafen. Er wollte sie eigentlich nicht aufwecken, allerdings musste er unbedingt mit ihr über die Verlobung sprechen.

Cash parkte direkt vor dem Haus. Da bemerkte er einen schwachen Lichtschein. Wahrscheinlich hatte Maddie eine Kerze angezündet. Sie hatte schon immer schreckliche Angst vor Gewittern.

Falls sie schlief, wollte er sie nicht wecken, also klopfte er nicht an, sondern suchte nach dem Schlüssel unter dem Blumentopf. Als er ihn nicht fand, schrillten sämtliche Alarmglocken auf. Er hätte Maddie längst sagen sollen, dass sie ein besseres Versteck für den Schlüssel finden musste.

Seine Anspannung wuchs, als er bemerkte, dass die Haustür nicht einmal verriegelt war. Auch darüber würde er mit Maddie reden müssen. Er ging leise durch das Haus und fand sie schließlich im Wohnzimmer. Sie lag auf der Couch, hatte die Beine ausgestreckt und einen Arm auf die Stirn gelegt. Im Kerzenschein sah er den Teller mit Käse und Trauben und die halb leere Flasche Chardonnay.

Er musste lächeln. Sie hatte sich also während des Gewitters mit einem Glas Wein beruhigt. Erst als er näher trat und sich vorbeugte, merkte Cash, dass etwas an Maddie anders war als sonst. Aber was?

Er betrachtete sie eingehender. War es ihre Kleidung – besser gesagt das Fehlen derselben? Ihr Morgenmantel hatte sich geöffnet. Darunter trug sie ein Top aus Seide und Spitze, das den Ansatz ihrer Brüste freigab. Der dazu passende Slip ließ ihre schlanken Beine besonders lang wirken. Unglaublich: Ihre Zehennägel waren rot lackiert.

Cash verspürte ein Prickeln am ganzen Körper. Verwirrt blickte er auf ihre Hand. Auch ihre Fingernägel waren rot lackiert, sehr sexy. Ihm wurde heiß, und er stellte sich vor, wie diese Finger über seine nackte Haut glitten.

Irritiert schüttelte er den Kopf, um dieses Bild zu verscheuchen. Was war los mit ihm? Er kniff die Augen zusammen. Ihr Haar war auch anders. Sie hatte es schneiden lassen. Der lange Zopf, den sie getragen hatte, so lange er denken konnte, war weg. Ihr honigfarbenes Haar lag ausgebreitet auf dem Kissen, als ob gerade ein Mann mit den seidigen Strähnen gespielt hätte.

Als ihm bewusst wurde, dass er selbst gern damit spielen würde, ballte Cash unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Was war passiert, während er fort gewesen war? Hatte sich Maddie eine Stilberatung gegönnt?

Aber wieso hatten lackierte Fingernägel und ein anderer Haarschnitt eine solche Wirkung auf ihn?

Als er den Blick endlich von Maddies Haar losriss, blieb er prompt an ihren Brüsten haften. Sie trug keinen Büstenhalter, und er konnte sehen, wie sich ihre Knospen unter der dünnen Stoffschicht abzeichneten.

Diesmal reagierte sein Körper nicht nur mit einem Prickeln.

Was zur Hölle war mit ihm los? Er war doch immer noch derselbe Mann. Oder etwa nicht? Aber etwas hatte sich geändert. Was? Er konnte sich nicht erinnern, jemals so stark auf eine Frau reagiert zu haben. Dabei hatte er sie nicht einmal berührt.

Das würde er auch nicht. Es war schließlich Maddie. Er war gekommen, um sich zu vergewissern, dass sie in Sicherheit war, und das war sie. Er würde sie also in ihr Bett tragen. Dann würde er sich im Gästezimmer aufs Ohr legen.

Cash zögerte. Er wünschte, er hätte die Situation besser im Griff. Schließlich beugte er sich vor und hob Maddie von der Couch.

Jordan versuchte, nicht aus dem Traum aufzuwachen. Sie war mit Gregory Peck zusammen, dem hoch gewachsenen, sensiblen Cowboy, der gerade ein Duell ausgefochten hatte, um ihr Leben zu retten. Sie waren zu ihr nach Hause geritten, glücklich, dass endlich alle Hindernisse aus dem Weg geräumt waren, die zwischen ihnen standen. Sie waren die Stufen zur Veranda hinaufgegangen, und dann hatte er sie auf die Arme genommen und über die Schwelle getragen.

Sie hörte das Geräusch seiner Schritte auf dem Dielenboden, spürte die Kraft in seinen Armen. Es war das erste Mal, dass er sie berührte, und sie fühlte sich wie berauscht, so intensiv waren ihre Empfindungen. Ganz deutlich spürte sie seine Hände und die harten Muskeln an seinem Körper.

Wie unglaublich echt dieser Traum wirkte. Sein Hemdkragen fühlte sich rau an, und die Haut in seinem Nacken war feucht. Und er roch so wundervoll – nach Leder und Pferden und Seife. Sie schmiegte das Gesicht an seinen Hals. Als er stehen blieb, hob sie die Hand und berührte seine Wange. Dann konnte sie nicht länger widerstehen und bedeckte sein Kinn mit kleinen, zarten Küssen. Sie musste ihn einfach küssen.

Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, drehte er den Kopf, sodass er ihre Lippen mit seinen berühren konnte. Einen Moment lang zögerte sie, und sie spürte, dass auch er zögerte. Sie war versucht, die Augen zu öffnen, um in seinem Blick zu lesen. Aber sie wusste doch, was er dachte, oder? Und wenn sie jetzt die Augen öffnete, dann verschwand er womöglich.

Das durfte nicht passieren. Sie musste ihn festhalten. Sie hielt sein Gesicht fest und flüsterte: „Schon gut. Ich will, dass du mich küsst.“

Als er es tat, verdrängte sie alle anderen Gedanken und gab sich ganz ihren Empfindungen hin. Sein Mund fühlte sich so gut an. Anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Aber wundervoll. Ein Feuerwerk von Empfindungen explodierte in ihrem Körper.

Noch nie war ein Traum so real erschienen. Und noch nie war die Realität so intensiv gewesen.

Als er sich von ihr löste, bekam sie Angst. Sie würde es nicht ertragen, wenn …

„Maddie, ich …“

Diese Stimme. Es war fast, als ob er sie gestreichelt hätte. Einen Sekundenbruchteil wurde ihr bewusst, was er gesagt hatte, doch ihr verzweifeltes Verlangen ließ sie den Gedanken sofort wieder verdrängen. „Ich will mehr.“ Sie brauchte das jetzt. „Schlaf mit mir.“

Er ließ sie aufs Bett gleiten und legte sich zu ihr. Dann küsste er sie. Sie liebkoste seine Unterlippe und ließ sich ganz in den Traum hineinfallen.

Sie mussten den Kuss immer wieder unterbrechen, um sich von ihren Kleidern zu befreien. Jedes Mal wenn ihre Lippen sich wieder trafen, wurde der Kuss noch leidenschaftlicher. Fieberhaft erkundeten sie einander. Sie konnten nicht genug bekommen, mussten einander berühren, streicheln, liebkosen, in Ekstase versetzen.

Irgendwo in einem fernen Winkel seines Bewusstseins war Cash sich darüber klar, dass er das nicht tun sollte. Er sollte nicht in Maddies Bett liegen und Sex mit ihr haben. Sie hatte Wein getrunken. Er hatte die halb leere Flasche gesehen. Und sie war verängstigt wegen dem Gewitter.

Cash war eigentlich nicht impulsiv. Es entsprach nicht seiner Natur, einfach alle Bedenken über Bord zu werfen. Aber das hier war anders als alles, was er bis jetzt erlebt hatte. Sie war so anders. Im dem Moment, als er vor ihrer Couch gestanden hatte, hatte er die Kontrolle über die Situation verloren.

Keine Frau hatte ihn jemals so schnell und so sehr erregt.

Die Berührung ihrer Lippen hatte wie ein Stromstoß gewirkt. Nie in seinem Leben hätte er sich vorgestellt, dass Maddie so exotisch duften, sich so unglaublich gut anfühlen würde. Mit jedem Kuss entdeckte er etwas Neues, Wunderbares an ihr. Und jetzt konnte er nicht mehr zurück. Er wollte mehr. Und er würde es sich nehmen.

Seine Hände schienen plötzlich einen eigenen Willen zu haben. Sie glitten über Maddies Körper, abwechselnd zärtlich und fordernd. Gleichzeitig spürte er ihre Hände überall auf seinem Körper.

Sie schienen es beide unglaublich eilig zu haben, wie Kinder, die nicht abwarten konnten, bis sie bekamen, was sie wollten, und zwar, bevor es ihnen womöglich ein anderer wegschnappte. Cash war so erregt, dass er es schließlich nicht länger ertragen konnte. Ohne weiter nachzudenken, legte er sich auf Maddie und drang in sie ein.

Sie schlang Arme und Beine um ihn und passte sich seinen Bewegungen an. Sofort fanden sie zu einem harmonischen Rhythmus. Als sie beide den Höhepunkt fast erreicht hatten, verharrten sie, als ob sie den Augenblick für immer festhalten wollten. Als ob sie Angst hätten, einander zu verlieren. Doch dann ergaben sie sich ihrer Lust und ließen sich davontragen, bis sie beide Erfüllung fanden.

3. KAPITEL

Langsam, ganz langsam fand Cash in die Realität zurück. Am schwierigsten zu akzeptieren war die Tatsache, dass da eine Frau in seinem Bett lag. Sie schmiegte sich mit dem Rücken an ihn. Ihr Haar kitzelte ihn am Kinn, und bei jedem Atemzug konnte er ihren exotischen Duft wahrnehmen.

Maddie?

Innerhalb einer Sekunde stürmten die Fakten auf ihn ein. Das war gar nicht sein Bett, sondern Maddies. Niemals hätte er damit gerechnet, einmal darin zu landen.

Cash öffnete die Augen. Ihr Atem ging regelmäßig, sie schien noch zu schlafen. Er selbst war daran gewöhnt, im Morgengrauen aufzustehen, doch draußen war es offenbar schon hell.

Jetzt erst merkte er, dass er einen Arm um Maddie gelegt hatte und sie an sich drückte, als habe er Angst, sie könnte ihm entwischen.

Cash runzelte die Stirn. Konnte das der Grund sein, weshalb er so merkwürdig geträumt hatte? Er hatte vor einem Traualtar gestanden und Maddie entgegengeblickt, die in einem weißen Kleid durch den Mittelgang auf ihn zugeschritten war.

Nein. Das hatte er bestimmt nur geträumt, weil er in den letzten Tagen so viel über Maddies und seine Verlobung nachgedacht hatte.

Jetzt, da sie ein Paar waren, erschien der Plan, sich zu verloben, natürlich erst recht sinnvoll.

Aber das war doch lächerlich. Er und Maddie waren seit Kindertagen gute Freunde. Sie würde immer für ihn da sein, so wie er immer für sie da sein würde. Daran hatte sich doch bestimmt nichts geändert.

Sie bewegte sich.

Cash blieb ganz still liegen, als sie sich seufzend noch ein wenig enger an ihn kuschelte. Mm, sie roch so gut. So anders. Merkwürdig, er konnte sich nicht erinnern, dass Maddie jemals so geduftet hatte. Seine Hand lag noch immer auf ihrer Brust, und er spürte, wie sich die Knospe gegen seine Handfläche drückte. Sofort war er erregt. Er wollte sie. Er begehrte sie mit dem gleichen Verlangen, das ihn in der Nacht fast um den Verstand gebracht hatte.

Er hatte noch nie so guten Sex gehabt, und er hatte ihn mit Maddie gehabt. Hätte er nicht schon längst merken müssen, dass ihre Beziehung sich verändert hatte? Er hatte nichts bemerkt, absolut nichts. Einen Moment lang war er versucht, ihr Haar zur Seite zu schieben und ihren Nacken zu küssen. Aber bestimmt würde er es nicht dabei belassen können. Er hatte ja schon einmal erlebt, wie sie ihn um seine Selbstkontrolle bringen konnte. Bevor sie jedoch noch einmal Sex haben würden, müssten sie miteinander reden. Cash wollte unbedingt sicher sein, dass sie es genauso wollte wie er.

Vorerst musste es ihm genügen, sie einfach im Arm zu halten.

Jordan erwachte so plötzlich, als ob jemand in ihrem Körper einen Schalter umgelegt hätte. Deshalb war sie sich auch sofort bewusst, dass sie nicht allein im Bett lag.

Wirklich ganz und gar nicht allein. Die Hand eines Mannes lag auf ihrer Brust, und an ihrem Po spürte sie ganz deutlich seine Erektion. An ihrem nackten Po. Panik stieg in ihr auf. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, und überlegte fieberhaft. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie auf der Couch gelegen und einen ihrer Lieblingsfilme angeschaut hatte, mit Gregory Peck und Jean Simmons.

Doch diese Hand auf ihrer Brust war sehr real, und sie verursachte ihr ein wohliges Prickeln. Was sie in der Nacht empfunden hatte, hatte sie noch nie mit einem Mann erlebt. Hatte sie sich deshalb eingeredet, es sei nur ein Traum?

Jordan neigte eigentlich nicht dazu, sich selbst etwas vorzumachen, und sie war stolz darauf. Und überhaupt war diese Erektion viel zu deutlich zu spüren, um nicht real zu sein.

Einen Moment lang schloss Jordan die Augen. Na schön, sie hatte also in ihrer ersten Nacht in Maddies Haus mit einem Fremden geschlafen. Wie hatte es dazu kommen können? Nun ja, sie war ziemlich gestresst, sie hatte schon immer gern von Cowboys geträumt, und sie hatte Wein getrunken.

Vielleicht würde sie ja in hundert Jahren darüber lachen können. Im Moment jedoch wollte sie nur irgendwie diese Situation bestehen, und das bedeutete, sie musste herausfinden, wer der Mann hinter ihr war.

Sie schob seine Hand zur Seite und rutschte ein Stück von ihm weg, bevor sie sich umdrehte – und direkt in seine grauen Augen blickte. Wieder stieg Panik in ihr auf. Er war eindeutig nicht Gregory Peck. Aber er war dunkelhaarig, und er sah richtig gut aus, mit hoch stehenden Wangenknochen und kantigem Kinn. Und wenn der Rest von ihm so aussah, wie er sich in der Nacht angefühlt hatte, dann war er ein echtes Prachtexemplar seiner Spezies.

Und er roch so gut, so – männlich. Einfach unwiderstehlich.

„Maddie, ist alles in Ordnung?“

Maddie? Einen Moment lang war Jordan zu geschockt, um zu denken.

Maddie? Natürlich, er glaubte, sie sei Maddie. Sie hatte auf Maddies Couch gelegen und hatte Maddies Frotteemantel angehabt. Und vielleicht ein bisschen zu viel von Maddies Wein getrunken. Aber wer …

„Erwartest du eine Entschuldigung?“

„Nein“, brachte sie mühsam heraus. Vielleicht würde Maddie ja eine erwarten?

„Verhütest du? Ich meine, ich habe kein …“

„Ich nehme die Pille.“ Gott sei Dank.

Er kniff die Augen zusammen. „Und es ist wirklich alles in Ordnung?“

In Ordnung. Oh, natürlich. Sie lag mit einem Mann im Bett, den sie nicht kannte, mit dem sie heißen Sex gehabt hatte und den sie immer noch begehrte, obwohl er glaubte, mit ihrer Schwester geschlafen zu haben. Jordan nickte.

„Gut. Ich muss dir nämlich etwas sagen.“

„Warte.“ Sie drückte zwei Finger auf seine Lippen. Sie musste ihm unbedingt sagen, wer sie war.

Er schob ihre Hand zur Seite. „Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich glaube, im Hinblick auf dein Vandalismusproblem ist es am besten, wenn wir uns verloben.“

„Nein.“ Jordan sprang auf, rannte zum Kleiderschrank und holte ein Paar Jeans heraus. „Wir können uns nicht verloben.“

„Warum nicht?“

„Weil ich nicht Maddie bin.“ Sie hüpfte erst auf einem Fuß, dann auf dem anderen, während sie sich die Jeans anzog.

Sekunden vergingen. Jordan spürte, wie der Mann sie mit Blicken abtastete. Noch nie waren ihr die Blicke eines Mannes so unter die Haut gegangen. Sie öffnete eine Schublade, zerrte ein T-Shirt heraus und zog es sich über. Diese Art von Gespräch wollte sie nicht führen, während sie nackt war.

„Wer bist du dann?“ Er klang ganz ruhig.

Langsam drehte sie sich zu ihm um. „Ich bin Jordan Ware, Maddies Zwillingsschwester.“

Sein Blick war so intensiv, dass sie das Gefühl hatte, er könne durch sie hindurchschauen.

„Maddies Zwillingsschwester?“

„Richtig.“

Er kniff die Augen zusammen. „Maddie hat keine Zwillingsschwester.“

Jordan stemmte die Hände in die Hüften. „Doch, hat sie. Das haben wir selbst erst vor ein paar Tagen erfahren. Und dass wir tatsächlich verwandt sind, ist ja wohl offensichtlich.“

Wieder vergingen Sekunden, bevor er antwortete. Er schien die Sache wesentlich ruhiger aufzunehmen als sie.

„Ich wusste doch, dass irgendetwas an dir anders ist.“ Er schüttelte ein Kissen auf und lehnte sich dagegen.

„Ich habe dir gesagt, wer ich bin. Wer bist du?“ Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, da wurde es ihr klar. Er war bestimmt …

„Cash Landry.“

„Der Nachbar.“ Jordans Knie zitterten. „Maddie hat gesagt, ihr wärt nur Freunde.“

„Das waren wir auch. Ich meine, das sind wir auch.“

Jordan deutete auf das Bett. „Was wir letzte Nacht getan haben, geht für mich weit über Freundschaft hinaus.“

„Stimmt.“

Wütend lief Jordan zwischen Bett und Frisierkommode auf und ab. „Sie sagt, du wärst wie ein Bruder für sie. Ich dachte, eure Beziehung wäre so wie die zwischen mir und Jase.“

„Wer ist Jase?“

Er hatte nur eine Frage gestellt, und doch klang es irgendwie wie eine Drohung. „Jase Campbell und ich wohnen zusammen. Wir sind Freunde, seit wir zum ersten Mal eine Wohnung geteilt haben, damals hatte ich gerade am College angefangen. Aber zwischen uns ist nichts …“. Wieder deutete sie aufs Bett, „… ich meine, wir haben nie miteinander geschlafen.“

„Maddie und ich auch nicht.“

„Bis letzte Nacht.“

„Aber wie es aussieht, habe ich gar nicht mit Maddie geschlafen. Ich habe mit dir geschlafen. Und ich möchte es wieder tun.“

Er klang sehr entschlossen. Jordan schüttelte energisch den Kopf. „Auf keinen Fall.“ Das Dumme war nur, insgeheim stimmte sie ihm völlig zu. Und sie hatte das Gefühl, dass er sie mühelos durchschaute.

„Du dachtest, du hättest mit Maddie geschlafen, und dann hast du sie gefragt, ob sie dich heiratet.“

„Nein, ich habe sie gebeten, sich mit mir zu verloben.“

„Egal! Jedenfalls macht das alles noch schlimmer. Ich habe meine Schwester erst vor ein paar Tagen kennengelernt, und jetzt habe ich mit dem Mann geschlafen, der sich mit ihr verloben will. Gut gemacht, Jordan!“

„Wo ist Maddie?“

„Sie ist in New York City. Wir haben die Rollen getauscht. Es ist eine lange Geschichte.“

„Ich mag Geschichten.“

Als Cash Anstalten machte, aufzustehen, lief Jordan panisch zur Tür. „Du bleibst, wo du bist. Ich gehe in die Küche und mache uns Kaffee. Dann bekommst du deine Geschichte.“

Cash bückte sich nach seinen Jeans. „Hört sich gut an.“

Jordan nahm sich vor, nicht hinzugucken. Nichtsdestotrotz hatte sie, bis sie die Tür erreicht hatte, genug gesehen. Ein heißer Schauer überlief sie. Sie begehrte diesen Mann.

Als sie barfuß hinauseilte, spürte sie, dass er ihr amüsiert nachblickte.

Cash drehte den Wasserhahn zu und griff nach dem Handtuch. Die kalte Dusche hatte ihm geholfen, wieder einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen. Solange er mit Jordan in einem Raum gewesen war, war er mehr als einmal versucht gewesen, sie einfach zu packen und aufs Bett zu werfen.

Er trocknete sich ab und zog sich an. Er hatte extra dieses Badezimmer gewählt, weil es zu Mike Farrells Zimmer gehörte und er nicht Gefahr lief, Jordan zu begegnen. Schließlich wollte er in Ruhe nachdenken.

Er hatte eine Menge Fragen, wie zum Beispiel, wer sie wirklich war, warum sie und Maddie die Rollen getauscht hatten und warum die beiden sechsundzwanzig Jahre nichts voneinander gewusst hatten.

Seine Bereitschaft, ihr zu glauben, dass sie tatsächlich Maddies eineiige Zwillingsschwester war, überraschte ihn selbst. Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hatte er auch nur die geringste Andeutung gehört, dass es eine Schwester geben könnte. Ihm war erzählt worden, Maddies Mutter sei gestorben, als Maddie noch ein Baby war.

Ob seine Eltern etwas von der Zwillingsschwester gewusst hatten? Seine Mutter war schon lange tot. Bestimmt hatte sie Bescheid gewusst. Und sein Vater auch. Aber es war nie ein Wort darüber gesprochen worden.

Wozu diese Geheimnistuerei? Und wer hatte das Geheimnis endlich gelüftet und warum?

Als er das Badezimmer verließ, hörte er im anderen Badezimmer Wasser laufen. Es blieb ihm also noch ein wenig Zeit, bevor er Jordan wieder begegnen würde. Gut.

Cash schlenderte ins Wohnzimmer, das nahtlos in die Küche überging, und steuerte die Kaffeemaschine an. Die Kanne war noch halb voll, und Jordan hatte daran gedacht, einen Becher für ihn auf den Tresen zu stellen. Dankbar füllte er ihn bis fast zum Rand und nahm einen kräftigen Schluck.

Er hätte gleich merken müssen, dass sie nicht Maddie war, schon wegen des Haarschnitts. Solange er Maddie kannte, hatte sie ihr Haar immer lang getragen, meistens zu einem Zopf geflochten, manchmal auch zu einem Knoten hochgesteckt. Sie machte nicht gern viel Aufhebens um ihr Aussehen, vielleicht weil sie unter Männern aufgewachsen war. Maniküre und Pediküre waren kein Thema für sie.

Jordan sah aus, als würde sie recht viel Zeit auf ihr Aussehen verwenden. Wahrscheinlich hatte sie regelmäßig einen Termin im Nagelstudio. War Jordans Wirkung auf ihn so stark, dass gestern Abend seine Wahrnehmung getrübt war?

Autor

Cara Summers
Mehr erfahren
Vicki Lewis Thompson

Eine Karriere als Liebesroman – Autorin hat Vicki Lewis Thompson viele wunderbare Dinge eingebracht: den New York Times Bestsellerstatus, einen Fernsehauftritt, den Nora – Roberts – Lifetime – Achievement Award, Tausende Leser und viele gute Freunde. Ihre Karriere hat ihr ebenso Arbeit eingebracht, die sie liebt. Sie hat mehr als...

Mehr erfahren
Kelli Ireland
Mehr erfahren