Tiffany Exklusiv Band 110

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NIE MEHR SINGLE IN MANHATTAN von KRISTIN GABRIEL
Wegen Claire kommt es zu einer Massenschlägerei in einem Club für Singles in New York. Mitch, Undercover-Agent vom Rauschgiftdezernat, muss sie retten. Nach einer gemeinsamen Nacht weiß Claire nicht, dass Mitch sie zwar ungemein verführerisch findet – aber nicht ausschließen kann, dass sie mit verbotenen Liebesdrogen handelt ...

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Die New Yorker Taxifahrerin Zoe ist überzeugter Single – bis sie mit Nick Giroux eine rasante Affäre beginnt! Aber leider muss der Mann, der sie so in Fahrt bringt, die City bald wieder verlassen. Soll Zoe aus lauter Lust und Liebe durchstarten und ihn begleiten?

MACH DICH FÜR MICH FREI von KATHLEEN O'REILLY
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  • Erscheinungstag 16.09.2023
  • Bandnummer 110
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516143
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kristin Gabriel, Julie Cohen, Kathleen O‘Reilly

TIFFANY EXKLUSIV BAND 110

1. KAPITEL

„Wunderbar!“, rief der Fotograf und hob die Kamera ans Auge. „Jetzt biegen Sie den Rücken durch. Gut. Und nun öffnen Sie ein ganz klein wenig die Lippen. Denken Sie an irgendetwas Erregendes.“

Leider konnte Claire Dellafield nur daran denken, wie peinlich es für eine Anthropologin wie sie war, in einer finsteren Seitenstraße von New York über einer Mülltonne zu hängen. So hatte sie sich ihren ersten Tag in der aufregendsten Stadt der Welt nicht vorgestellt.

Stöhnend richtete sie sich wieder auf und zog sich den Kragen zurecht. „Ehrlich gesagt war ich davon ausgegangen, dass Sie ein paar ganz normale Aufnahmen von mir hier vor dem Nachtklub machen. Irgendetwas, was die Universität mit den Ergebnissen meiner Forschungsarbeit verschicken könnte. Das hier …“, sie wies mit dem Kopf auf die dunkle Gasse, „… das macht doch alles gar keinen Sinn.“

Der Fotograf ließ die Kamera sinken. „Ich bin Evan Wang und nehme von niemandem Anweisungen entgegen. Sie sind das Model, ich bin der Künstler. Sie müssen mir schon vertrauen und tun, was ich Ihnen sage.“

„Ich bin kein Model“, stellte Claire klar. Ob der Fotograf vielleicht seine Aufträge verwechselt hatte? „Ich bin Dozentin für Anthropologie.“

„Genau das ist ja das Problem.“ Evan musterte sie kritisch von allen Seiten. „Aber jeder weiß, dass ich Wunder wirken kann.“

Claire unterdrückte mit Mühe eine heftige Erwiderung. Wäre sie bloß ihrem Instinkt gefolgt und hätte dieses Projekt abgelehnt! Aber das konnte sie sich als frischgebackene Anthropologin nicht leisten. Als das Penleigh College ihr den Vorschlag gemacht hatte, eine Studie weiterzuführen, mit der ihr Vater und das College berühmt geworden war, hatte sie nicht Nein sagen können. „Fremde in der Nacht“ hatte vor fünfundzwanzig Jahren großes Aufsehen erregt, und sicher machte ihr jetzt mancher den Vorwurf, sie würde sich nur an den Erfolg des Vaters anhängen.

Vielleicht war da sogar etwas dran.

Claire hob das lange dichte Haar im Nacken hoch und hoffte auf einen kühlen Luftzug, aber in der Straße stand die Luft. In Penleigh, der kleinen Stadt, in der sie aufgewachsen war und in der sie mit ihrem Vater auf dem Campus in einem gemütlichen kleinen Haus gewohnt hatte, war es nie so heiß gewesen. Vor neun Monaten war er nach langer schwerer Krankheit gestorben, und irgendwie empfand sie es als selbstverständlich, seine Arbeit weiterzuführen. Sie hatte seine Vorlesungen übernommen und hatte jetzt sogar vor, seine berühmte Forschungsarbeit fortzusetzen.

Bei dem Gedanken an den Vater wurden Claire die Augen feucht. Vor fünfundzwanzig Jahren war Marcus Dellafield hier gewesen, wo sie jetzt stand. Allerdings mussten damals keine sexy Aufnahmen gemacht werden, die seiner Untersuchung über das Paarungsverhalten des Menschen beigelegt wurden. Aber auch er hatte seine Untersuchungen hier in der Dschungelbar vorgenommen, früher eine der beliebtesten Singlebar in New York City.

Aber Professor Dellafield hatte nicht nur Daten gesammelt. Er hatte die kleine Claire aus diesem Milieu heraus adoptiert und sie in Penleigh allein aufgezogen. In der Presse war das damals groß herausgekommen – ein Professor, der einem unehelich geborenen Kind ein märchenhaftes Leben bot.

Und Claire hatte sich wirklich immer wie ein einem Märchen gefühlt. Ihr Adoptivvater hatte sie auf seinen Studienreisen mitgenommen und ihr die Welt gezeigt. Sie war in Borneo gewesen und in Tasmanien, hatte Mahlzeiten mit den Maoris in Neuseeland geteilt und mit einem schmalen Boot den Amazonas befahren.

Dieses Leben hatte ihr sehr gefallen und ihrem Vater auch. In den letzten Monaten seiner Krankheit hatte er ihr oft gesagt, dass er nichts bedauere. Er hatte alles erreicht, was er wollte, und sein Leben in vollen Zügen genossen.

Claire wollte es genauso machen. Aber es klappte nicht immer so, wie sie es sich vorstellte. Vielleicht sollte sie endlich dazu übergehen, die eigenen Träume zu verwirklichen. Aber erst einmal musste diese Arbeit abgeschlossen sein.

„Ich habe eine Idee“, bemerkte Evan schließlich. „Wir sollten Ihre unschuldige Ausstrahlung nutzen. Sie wirken wie ein Mädchen aus einer Kleinstadt, das die Welt erobern will.“

„Was?“ Claire sah ihn verblüfft an.

„Ja, natürlich!“ Evan zog eine kleine rote Baskenmütze aus seinem großen gelben Rucksack und reichte sie Claire. „Hier.“

Sie setzte die Mütze auf. „So?“

„Perfekt!“ Er zog die Mütze zurecht, trat dann einen Schritt zurück und sah Claire prüfend an. „Die Bluse stört.“

Sie blickte an ihrer gelben Baumwollbluse herunter, zuckte dann mit den Schultern und zog sie aus. Jetzt trug sie nur noch ihr weißes Tanktop und Kakishorts.

„Sehr viel besser.“ Evan hob die Kamera hoch. „Jetzt lehnen Sie sich bitte da gegen die Tür. Stellen Sie sich vor, die Tür sei ein Mann, an den Sie sich zärtlich schmiegen.“

„Warum das denn?“ Claire drehte sich widerstrebend zu der schäbigen Tür um.

Evan seufzte gequält auf. „Überlassen Sie das mir, ich weiß, was ich tue.“

In diesem Augenblick wurde die Tür von innen aufgestoßen.

„Autsch!“ Claire rieb sich das Schienbein.

„Entschuldigung“, stieß der große dunkelhaarige Mann hervor, der mit einer Kiste voll leerer Bierflaschen aus der Tür getreten war. Sein muskulöser Oberkörper war nackt, das schwarze Haar hatte er aus der Stirn gekämmt, und die klaren blauen Augen bildeten einen aufregenden Kontrast zu seinem dunklen Dreitagebart. Claire starrte ihn an.

„Kann ich mal durch?“, fragte der Mann ungeduldig.

Sie trat schnell zur Seite. Er stellte die Kiste neben die Recyclingtonne und verschwand wieder durch die Hintertür in dem Nachtklub.

„Sir!“, rief Evan ihm hinterher und schlug gegen die Tür.

„Was wollen Sie?“ Der Mann hatte die Tür wieder geöffnet und trug eine zweite Kiste heraus.

„Können Sie uns vielleicht helfen?“, fragte Evan.

„Womit denn?“

„Ich heiße Evan, und dies ist Claire. Wer sind Sie?“

Der Mann blieb überrascht stehen und sah die beiden von oben bis unten an. „Mitch Malone.“

„Okay, Mitch, ich muss endlich mit dem Shooting hier fertig werden. Claire hat Schwierigkeiten, zärtlich zu der Tür zu sein. Wenn Sie vielleicht … ich meine, mit menschlicher Unterstützung ginge es vielleicht einfacher.“

Mitch reagierte nicht auf diese seltsame Anfrage. „Tut mir leid, aber ich muss noch zwanzig Kästen mit Leergut rausstellen.“

„Wunderbar. Genau richtig.“ Evan nahm Claire beim Arm und zwang sie, Mitch anzusehen. „Sie finden ihn doch sexy, oder?“

Sie räusperte sich verlegen, als sie merkte, dass Mitch ihr direkt ins Gesicht sah. Er hatte die blauesten Augen, die sie je gesehen hatte. „Ich, also ich … ja, er scheint nett zu sein.“

„Mitch ist mehr als nett“, sagte Evan beschwörend, „er ist die Erfüllung Ihrer Träume. Zeigen Sie mir, wie sehr Sie ihn begehren. Versuchen Sie, ihn auf sich aufmerksam zu machen, während er die Kästen herausträgt.“

Claire wurde rot und drehte sich empört zu Evan um. „Ist das wirklich notwendig?“

Evan hob abwehrend die Hände. „Keine Widerrede, ich bin hier der Künstler.“

„Ich muss jetzt weitermachen“, sagte Mitch mürrisch und stellte den Kasten ab.

„Ja, ja, das ist okay.“ Evan machte schnell ein paar Aufnahmen, während Mitch wieder ins Haus ging. „Und nun, Claire, wenn er gleich wieder herauskommt, zeigen Sie, was Sie können. Das Ganze muss sinnlich aussehen, sexy.“

Claire trat zur Seite, als Mitch an ihr vorbeiging und wieder einen Kasten abstellte. Es war einfach eine lächerliche Situation, und es tröstete sie auch nicht, dass Mitch überhaupt keine Notiz von ihr zu nehmen schien. Sie versuchte, sinnlich auszusehen, und lehnte sich in einer aufreizenden Pose gegen den Türpfosten.

„Gut, sehr gut.“ Evan drückte unentwegt auf den Auslöser, während Mitch ungerührt an ihr vorbeiging.

Was sie besonders ärgerte, war ihre eigene Unfähigkeit, an Mitch vorbeizusehen. Der Mann war halb nackt, und seine Haut glänzte feucht. Sie hatte auf ihren Reisen schon viele gut gebaute Männer gesehen, aber irgendetwas faszinierte sie an der Art und Weise, in der Mitch Malone sich bewegte. Er hatte eine raubtierhafte Geschmeidigkeit, mit der verglichen alle anderen Männer hölzern wirkten. Ihr wurde heiß.

„Nicht schlecht.“ Evan legte einen neuen Film ein. „Jetzt noch ein paar Bilder in der Unschuldspose. Werfen Sie mal die Baskenmütze in die Luft, heiter und unbefangen.“

Sie war froh, diese peinliche Situation bald beenden zu können, und warf die Mütze hoch in die Luft.

„Gut. Und nun noch einmal. Diesmal versuchen Sie, die Mütze zu fangen.“

Claire hob die Mütze auf und hörte, dass die Tür wieder geöffnet wurde. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Mitch den nächsten Kasten abstellte. Um ihm zu zeigen, wie gleichgültig er ihr war, warf sie die Mütze wieder hoch, ohne ihn anzusehen. Aber um sie aufzufangen, musste sie ein paar Schritte rückwärts gehen und landete in Mitchs Armen.

„Hoppla!“ Er fasste sie bei den Hüften. „Alles in Ordnung?“

Sie holte tief Luft und war sich der Situation allzu deutlich bewusst. Seine Hände lagen auf ihren Hüften, mit dem Rücken berührte sie seine nackte Brust. „Ja, alles in Ordnung.“

Er ließ sie los, bückte sich und hob die Baskenmütze auf. „Sie haben was verloren.“

„Danke“, stieß sie leise hervor.

2. KAPITEL

Eine Stunde später hatte Claire Evan Wang und Mitch Malone beinahe vergessen. Das Taxi hielt am Central Park West, und als Claire ausstieg, um den Fahrer zu bezahlen, schlug ihr Herz schneller vor Aufregung. Sie sah an dem hohen Gebäude mit den Art déco-Verzierungen empor, während der Mann ihre Koffer aus dem Kofferraum holte.

Ihre Patentante Petra Gerard wohnte hier, und Claire freute sich, sie wieder zu sehen. Aber zuerst musste sie an dem jungen Mann vorbei, der auf einem Liegestuhl in dem kleinen Glasfoyer saß. Er trug Badeshorts mit blauen Tupfen und hatte eine verspiegelte Sonnenbrille auf der Nase.

Als sie ihre schweren Koffer durch die Glastür zerrte, sah er noch nicht einmal hoch. Er hatte Kopfhörer aufgesetzt und wippte mit dem Fuß im Takt.

Erst als sie schwer atmend stehen blieb, hob er den Kopf. „Das Passwort“, knurrte er. „Sonst kann Sie leider nicht durchlassen.“

„Wer sind Sie denn?“ Claire musterte den schmächtigen jungen Mann. Auf dem linken Oberarm hatte er eine Tätowierung, die aussah wie ein kleiner Schnauzer.

„Franco Rossi, Schauspieler und momentan hier Portier.“ Er schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn und musterte Claire prüfend.

Sie hatte beide Koffer auf dem polierten Marmorboden abgesetzt. „Ich möchte zu Petra Gerard. Sie erwartet mich.“

„Ah, Petra!“ Franco lächelte. „Die mag ich besonders gern. Sie schwebt oft in höheren Sphären, nicht wahr?“

Das war noch untertrieben. Petra war Künstlerin und am normalen Leben nicht besonders interessiert. Sie war lebhaft und exzentrisch und hatte früher am Penleigh College Kunst unterrichtet. Mit Marcus Dellafield hatte sie enge Freundschaft verbunden. Nach der Pensionierung war sie nach New York gezogen und war in ihrer zweiten Karriere als Bildhauerin ausgesprochen erfolgreich.

„Könnten Sie ihr bitte sagen, dass ich da bin? Ich heiße Claire Dellafield.“

„Nur zu gern, Claire“, sagte Franco sanft, „wenn Sie mir den Flug zu den Bermudas bezahlen. Petra ist vor einer Woche abgereist, und ich weiß nicht, wann sie wiederkommen wird.“

Claire sah ihn entsetzt an. „Sie ist auf den Bermudas? Das kann doch nicht sein. Sie wollte mich mit Mr. McLain bekannt machen, dessen Apartment ich den Sommer über mieten will.“

Franco seufzte und verdrehte die Augen. „So wie jeder hier in der City. Da oben hat sich bereits eine Menge Menschen versammelt und wartet auf die Versteigerung.“

„Was für eine Versteigerung?“

„Petra hätte Sie über die Details informieren sollen, aber sie hat sich wahrscheinlich auf Tavish verlassen. Er hat ihr hoch und heilig versprochen, so etwas nicht wieder zu tun.“ Franco beugte sich vor und sah sich verschwörerisch um. „Tavish McLain versteigert seine Wohnung jeden Sommer“, flüsterte er, obgleich kein Mensch zu sehen war. „Letztes Jahr hätten sich eine blonde Balletttänzerin und ein Madonna-Verschnitt beinahe um die Wohnung geschlagen. Tavish hat eine Vorliebe für Blondinen, müssen Sie wissen.“

Claire lehnte sich erschöpft an die gläserne Eingangstür. Wo sollte sie hin? Ein Hotelzimmer den Sommer über konnte sie sich nicht leisten. Vielleicht war es nicht gefährlicher, im Central Park zu zelten als in der afrikanischen Savanne, wie sie es häufiger mit ihrem Vater getan hatte.

Franco machte eine ungeduldige Handbewegung. „Sie stehen mir in der Sonne. Ich versuche, hier ein bisschen braun zu werden.“ Er hob den Kopf, als eine Frau die Tür aufstieß, und seufzte gequält auf. „Hier kommt schon wieder jemand. Wie soll ich mich erholen, wenn es hier zugeht wie im Taubenschlag?“

Claire warf der Frau einen schnellen Blick zu. Sie war hübsch. Und blond. Sicher genau McLains Typ. Also musste sie schneller sein. Sie drehte sich zu Franco um. „Ich muss sofort mit Tavish McLain sprechen.“

„Das Passwort, bitte.“

„Können Sie mir nicht einen Tipp geben?“

„Ich warte …“

„Tattoo“, versuchte es die Blonde mit einem Blick auf Francos Tätowierung.

„Nicht ganz. Sind Sie wegen des Apartments hier?“

„Ja“, sagten beide Frauen wie aus einem Mund.

„Das ist der schönste Tag des Jahres für Tavish McLain“, sagte Franco und lehnte sich wieder genüsslich zurück. „Auf diesen Tag freut er sich das ganze Jahr. Von Frauen umgeben zu sein ist für ihn das Größte.“

„Wir würden gern dazugehören“, sagte die Blonde.

„Na gut.“ Franco beugte sich wieder vor und zwinkerte den beiden Frauen zu. „Auf eine mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an. Aber ich erwarte, dass Sie sich irgendwie erkenntlich zeigen.“

Die Blonde stürzte vor zu dem Fahrstuhl, während Claire kurz neben Franco stehen blieb. „Können Sie mir nicht einen Tipp geben, wie ich Tavish auf meine Seite bringen kann?“

Franco blickte sie abschätzig von oben bis unten an. „Im Grunde steht er auf Blondinen. Aber vielleicht können Sie den Ausschnitt ja ein bisschen herunterziehen und mit den Hüften wackeln. Vielleicht klappt das.“

Claire sah an sich herunter. Mitch Malone war von ihrem Äußeren nicht sehr beeindruckt gewesen. Das sollte ihr natürlich ganz egal sein, für den waren Frauen wahrscheinlich sowieso nur Spielzeug. Er war ganz sicher nicht ihr Typ.

Pling! Der Fahrstuhl hielt. Claire griff schnell nach den Koffern und schleppte sie zum Aufzug. Die Blonde half ihr, den schwersten Koffer hineinzuhieven.

„Danke“, sagte Claire, als die Türen sich schlossen. „Ich bin Claire Dellafield.“

„Und ich A.J. Potter.“ Die Blonde musterte Claire prüfend. „Wir sind wohl Konkurrentinnen, was?“

Claire seufzte. „Ich kann nicht mitbieten, ich habe viel zu wenig Geld.“

„Wollen wir uns nicht zusammentun? Dann haben wir doch größere Chancen.“

Mit einer Fremden zusammenwohnen? „Ich weiß nicht recht.“

„Kluges Kind. Man hat Sie wohl vor der großen bösen Stadt gewarnt?“ A.J. griff in ihre Handtasche. „Ich habe gerade gehört, dass die Versteigerung ganz schön brutal ablaufen kann, und ich will die Wohnung haben. Denken Sie über mein Angebot nach.“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich, sie waren im sechsten Stock angekommen. Claire zerrte ihre Koffer in den überfüllten Flur. Zwei weitere Apartments lagen in diesem Stockwerk, aber es war eindeutig, welches Apartment McLain gehörte. Vor der geöffneten Tür drängten sich die Menschen.

„Ich fürchte, mit Hüftenwackeln wird es nicht getan sein“, murmelte Claire vor sich hin. Ein Hund knurrte, und sie drehte sich um. Vor einer der Wohnungstüren stand eine Frau mit rosafarbenem Haar in einem rosafarbenen Kaftan und trug einen rosafarbenen Pudel auf dem Arm.

„Ruhig, Cleo“, flüsterte die Frau dem Pudel zu. „Dieser böse Mr. McLain fährt bald weg. Dann hast du jemand anderen, der mit dir Gassi gehen kann.“

Claire und A.J. quetschten sich durch die Tür, gerade als das erste Gebot abgegeben wurde. Die meisten der Frauen waren blond, und Claire setzte verzagt die Koffer ab. Da hatte sie überhaupt keine Chancen.

Als Claire hochblickte, sah sie eine große Brünette auf sich zukommen. Immerhin war sie offensichtlich nicht die Einzige hier, die nicht blond war.

Die Brünette musterte A.J. kurz, dann sah sie Claire wieder an. „Das ist ja hier der helle Wahnsinn.“

Claire nickte. „Ganz anders, als ich es erwartete.“ Sie wies auf ihre Koffer. „Ich wollte hier heute einziehen. Wo soll ich jetzt bloß hin?“

Die braunhaarige Frau trug ein Päckchen unter dem Arm. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich arbeite in einem Hotel. Sie müssen nicht auf der Straße schlafen. Und ein heißes Bad können Sie bei mir auch nehmen.“

Claire sog unauffällig die Luft ein. Roch sie etwa noch nach der Mülltonne? Aber von der Barmherzigkeit einer Fremden wollte sie auch nicht abhängig sein. „Aber ich kann nicht …“

„Ich bringe Sie in einem der Zimmer unter, die nicht vermietet werden können“, sagte die schlanke Brünette und senkte die Stimme. „Das kostet nichts.“

Offensichtlich wollte diese Frau etwas gegen den schlechten Ruf der New Yorker tun. „Warum wollen Sie das für mich tun? Sie kennen mich doch gar nicht.“

„Weil ich in der Lage bin, Ihnen zu helfen. Wir Frauen müssen zusammenhalten, das hat mir meine Mutter eingebläut. Und ich fühle mich dabei gut.“

A.J., die die Unterhaltung verfolgt hatte, lachte los. „Letzteres trifft auch auf mich zu, obgleich ich keine Hotelzimmer zu vergeben habe.“

Die Brünette lächelte sie an. „Ich bin Samantha Baldwin.“

„A.J. Potter.“ Die beiden Frauen schüttelten sich die Hand. „Sie hörten sich ein bisschen wie eine Puffmutter an, die die arme junge Frau in Ihr Etablissement locken will. Ich fürchte, ich habe die Kleine auch schon verschreckt.“

„Das ist nicht wahr“, protestierte Claire. „Ich habe nur nicht so viel Freundlichkeit hier in New York erwartet.“

Sie dachte an Mitch und sein unhöfliches Benehmen heute Nachmittag, und sofort stieg ihr die Röte wieder in die Wangen. Er schien sie überhaupt nicht wahrgenommen zu haben. Als Schönheit hatte man sie noch nie bezeichnet, aber kein Mann war bisher vor ihr schreiend davongelaufen. Sie war schlank und durchschnittlich groß – größer als A.J., aber kleiner als Samantha. Eigentlich hatte sie ihr langes braunes Haar mit Strähnchen aufhellen wollen, aber dann hatte sie dazu keine Zeit gehabt, weil sie gleich die Vorlesungen ihres Vaters übernommen hatte. Ihre Augen, deren Farbe an braune Topase erinnerte, waren wohl das Auffallendste an ihr, und sie hatte sich oft gefragt, ob sie sie wohl von ihrer Mutter geerbt hatte. Sie blickte auf den Smaragdring, den sie auf dem rechten Ringfinger trug. Ihr Vater hatte grüne Augen gehabt, und er hatte ihr den Ring an ihrem sechzehnten Geburtstag geschenkt. Sie waren auf einer Studienreise in Südamerika gewesen, und sie hatte sich in einen seiner Studenten verliebt, der sie aber überhaupt nicht beachtet hatte.

Das mit der mangelnden Beachtung schien allmählich zur Regel zu werden.

Ob irgendetwas mit ihr nicht in Ordnung war? Diese Frage hatte sie sich bisher noch nie gestellt. In Penleigh war sie nicht viel ausgegangen, aber sie hatte das immer auf die Krankheit des Vaters geschoben. Jeder wusste, dass sie ihn nicht allein lassen konnte.

Vielleicht gab es vollkommen andere Gründe. Claire zog unwillkürlich die Augenbrauen zusammen. Dies war nun wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt, um sich über ihr Liebesleben Gedanken zu machen. Sie sollte sich auf ihr Forschungsprojekt konzentrieren und versuchen, eine neue Herangehensweise an das Thema zu finden. „Fremde in der Nacht“ war die erste Untersuchung über menschliches Paarungsverhalten nach der sexuellen Revolution der siebziger Jahre gewesen. Danach waren viele ähnliche Studien gemacht worden, und Claire konnte sich nicht vorstellen, dass das Feld nicht schon längst abgegrast war. Das hatte sie auch dem Professor der Anthropologischen Fakultät gesagt, aber er hatte nur abgewinkt.

Wie sollte sie vorgehen? Erst einmal musste sie eine Unterkunft finden.

Vielleicht sollte sie Samanthas Angebot annehmen und in ein Hotelzimmer ziehen. Wenn Petra dann von den Bermudas zurückkam, könnte sie bei ihr wohnen. Nur leider wusste sie nicht, wann das sein würde. So wie sie Petra kannte, konnte das in der nächsten Woche oder im nächsten Jahr sein.

„Wie heißen Sie?“

Claire hob überrascht den Kopf. Beide Frauen sahen sie an. Sie hatte vollkommen vergessen, worüber sie sich gerade unterhalten hatten. „Claire Dellafield. Warum?“

Samantha wies mit dem Zeigefinger auf sie. „Wir gründen einen Mieterklub. Wollen Sie mitmachen?“

Claire erhob sich von ihrem Koffer, auf dem sie sich erschöpft niedergelassen hatte. „Sie meinen, wir wohnen zusammen?“

„Geistig scheint sie ja in Ordnung zu sein“, sagte Samantha. „Rauchen Sie?“

Claire schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich kann es bestimmt lernen.“

Samantha lachte. „Also Unterhaltungswert hat sie.“

Claire sah die beiden Frauen an. Ihr wurde klar, dass sie das erste Mal in ihrem Leben mit Frauen zusammenleben würde, die etwa so alt waren wie sie selbst. Sosehr sie ihren Vater auch geliebt hatte, sie hatte immer wieder mal das Gefühl gehabt, dass ihr Leben bereits vorgezeichnet war, ohne dass sie selbst viel Einfluss gehabt hätte. Jetzt betrat sie sozusagen Neuland. Das war aufregend und beängstigend zugleich.

„Wie viel Miete können Sie aufbringen?“, fragte A.J.

Claire dachte an ihren letzten Bankauszug. „800.“

„Das sind 4.600.“ A.J. atmete erleichtert aus. „So hoch ist die Miete sicher nicht.“

Die Tür öffnete sich, und alle blickten zum Eingang. Zwei Männer traten in den Raum.

„Tavish!“, riefen einige laut.

„Jetzt kommt es drauf an, Mädels“, stieß A.J. leise hervor.

Claire sah, wie einige der Blondinen ihre Blusen straffer zogen, während Tavish in die Mitte des Raumes trat. Er erinnerte sie an einen Medizinmann, den sie mal in Südamerika gesehen hatte. Der hatte ein grünes Gewand angehabt, etwa in der Farbe von Tavishs Lederweste. Beide hatten den gleichen gestelzten Gang, so als hielten sie sich für den Mittelpunkt des Universums.

„Stellen Sie sich mal eben vor mich“, sagte Samantha plötzlich.

Claire und A.J. traten vor, und Claire hörte, wie ein Reißverschluss aufgezogen wurde. Sie wandte sich hastig um. „Was machen Sie da?“

Flüsternd erzählte Samantha den beiden von dem Wunderrock, während sie ihn schnell anzog.

„Das ist doch Unsinn!“ A.J. sah Samantha skeptisch an. Claire empfand genau das Gleiche. Vielleicht sollte sie lieber nicht mit Samantha zusammenziehen.

Samantha strich den Rock über den Hüften glatt. „Ich glaube doch auch nicht daran, aber ein Versuch kann nicht schaden.“

Claire musste zugeben, dass der Rock perfekt saß. Der Stoff glänzte leicht, aber etwas Magisches konnte sie nun wirklich nicht daran entdecken.

„Folgen Sie mir, meine Damen.“ Samantha ging mit langen wiegenden Schritten auf Tavish zu.

A.J. sah Claire an und zuckte dann mit den Schultern. „Es kann ja nichts schaden.“

„Genau.“ Claire folgte Samantha. „Und wenn es nicht klappt, können wir immer noch zu Plan B übergehen.“

„Was für ein Plan B?“, fragte A.J.

„Wir lassen Tavish an den Füßen aus dem Fenster hängen, bis er uns das Apartment untervermietet.“

A.J. lächelte. „Dabei kann ja nichts schief gehen. Wenn wir ihn fallen lassen, wird das Apartment frei.“

Aber erstaunlicherweise tat der Rock seine Wirkung. Claire konnte kaum glauben, was sie sah. Tavish blieb der Mund offen stehen, als er Samantha erblickte. Dann wedelte A.J. mit einem Scheck über 2.000 Dollar herum.

Tavish lächelte beinahe verklärt. „Dann wollen Sie also doch die ganze Miete im Voraus zahlen?“ Er steckte den Scheck ein. „Eine bessere Mieterin kann man sich nicht vorstellen, was, Roger?“

Irgendetwas stimmte hier nicht. „Aber wieso?“, warf Claire schnell ein. „Ich dachte, das war nur für … Autsch!“ Jemand hatte sie in den Arm gekniffen.

„Mieterinnen, würde ich sagen.“ Samantha wies auf A.J. und Claire. „Das sind meine Mitbewohnerinnen.“

Claire lächelte angestrengt und rieb sich den Arm. Tavish gab ihnen wirklich das Apartment, und sie brauchten nur 2.000 Dollar für den ganzen Sommer zu bezahlen. Sie starrte bewundernd auf den Rock.

Während A.J. und Samantha sich um den Vertrag kümmerten, half Claire, die enttäuschten Anwärterinnen aus dem Apartment zu lotsen, bevor Tavish es sich noch anders überlegen konnte. Als sie wieder auf ihre neuen Freundinnen zutrat, hörte sie gerade noch, wie einer der Makler sagte: „Cleo ist ein Pudel, der in Apartment 6B wohnt. Der muss Gassi geführt werden.“

„Kein Problem“, sagte A.J. schnell, unterschrieb und gab den Kugelschreiber an Claire weiter.

„Wie hast du das nur geschafft?“, rief A.J. kurze Zeit später und umarmte Samantha.

„Der Rock hat es geschafft“, murmelte Claire leise vor sich hin. Sie war mit ihrem Vater viel in der Welt herumgekommen und wusste, dass manche Kulturen bestimmte Objekte oder Pflanzen wegen ihrer magischen Fähigkeiten verehrten. Aber bisher hatte sie noch nie den Beweis gesehen.

Sie musste heute Abend unbedingt nachsehen, ob sie im Internet etwas über diesen Rock finden konnte. Vielleicht konnte sie herauskriegen, woher der Rock kam. Dann kam ihr plötzlich eine Idee. Sie könnte doch die Wirkung verschiedener Liebeszauber in unterschiedlichen Kulturen untersuchen. Das wäre dann wirklich ein Forschungsprojekt, das mit dem ihres Vaters nichts zu tun hatte.

Doch keine Universität würde ihr für eine solche Studie Geld geben, wenn sie mit dem jetzigen Projekt keinen Erfolg hatte. Erst musste sie die Arbeit zu „Fremde in der Nacht“ beenden. Und Samantha musste ihr unbedingt den Rock leihen.

Claires Haut prickelte, als sie sich ihr weiteres Vorgehen ausmalte. Wenn die Reaktion auf den Rock nur halb so eindeutig ausfiel, dann hätte sie sicher keine Schwierigkeiten, Versuchspersonen für ihr Projekt zu finden. Und sie könnte den Rock auch selbst auf die Probe stellen. Wie er zum Beispiel auf einen Mann wie Mitch Malone wirkte, der sie vor ein paar Stunden völlig links liegen gelassen hatte.

3. KAPITEL

Als Mitch Malone am nächsten Tag vor dem St. Luke Hospital stand, dachte er wieder mal darüber nach, ob er den Rat seiner Großmutter nicht hätte beherzigen sollen. Sie hatte ihm geraten, Pfarrer statt Polizist zu werden, denn sie machte sich Sorgen um ihn. Allerdings war Mitch bisher nichts Ernsthaftes passiert.

Das sah bei seiner Partnerin Elaine O’Brien leider ganz anders aus.

Mitch hatte immer wieder einen Grund vorgeschoben, weshalb er Elaine hier nicht besuchen konnte. Vor einer Woche war sie eingeliefert worden, und seitdem hatte er jeden Tag angerufen. Aber sie hilflos im Krankenhausbett liegen zu sehen …

Seinetwegen.

Wieder und wieder hatte er diesen schrecklichen Vormittag vor seinem inneren Auge Revue passieren lassen. Sie hatten eine Verabredung mit einem V-Mann, der ihnen wichtige Informationen in Bezug auf Vandalay übergeben wollte. Man verdächtigte Dick Vandalay, den Besitzer der Dschungelbar, mit illegalen Drogen zu handeln, vor allem mit geschmuggelten Potenzmitteln.

Die Dschungelbar, ursprünglich eine der bekanntesten Singlebars, hatte in den letzten Jahren finanzielle Schwierigkeiten gehabt. Heutzutage gab man Anzeigen auf oder wandte sich an entsprechende Dienste im Internet, wenn man einen Sexpartner suchte. Also hatte Vandalay sich schon etwas Besonderes einfallen lassen müssen.

Um ihn festnehmen zu können, fehlte der Polizei jedoch noch der letzte schlüssige Beweis. Man wusste, dass das Zeug im Nachtklub vertrieben wurde, hatte aber keine Ahnung, wer es lieferte. Vandalay war bisher nichts nachzuweisen.

Der V-Mann hatte versprochen, Vandalay an diesem Vormittag des 1. Juni eine Falle zu stellen. Mitch hatte sich verspätet, weil er mit einer Frau zusammen gewesen war, die er am Abend zuvor kennengelernt hatte. Sie hatte den Wecker abgestellt. Mitch schüttelte den Kopf. Wie hatte ihm so etwas nur passieren können?

Elaine hatte dann schließlich nicht länger warten wollen und hatte sich auf den Weg gemacht, um den V-Mann zu treffen. Der musste es allerdings mit der Angst bekommen haben, denn als Mitch schließlich an dem Treffpunkt auftauchte, lag Elaine am Fuß der Treppe. Sie hatte eine Gehirnerschütterung und einen Hüftbruch.

Allmählich ging es ihr besser, aber sie wusste noch nicht, dass sie wahrscheinlich nie wieder im Außendienst eingesetzt werden konnte. Sie würde von dem Hüftbruch eine leichte Behinderung zurückbehalten und in Zukunft nur noch am Schreibtisch arbeiten können. Mitch traute sich nicht, ihr das zu sagen, denn sie liebte die Ermittlungsarbeiten vor Ort. Auch jetzt arbeitete sie vom Krankenhausbett aus und informierte ihn täglich über alles, was sie in Erfahrung gebracht hatte.

Er atmete tief durch. Er war wirklich ein Feigling, und es wurde Zeit, dass er Elaine endlich besuchte. Er ging schnell durch den Eingang, dessen Türen sich automatisch geöffnet hatten. Dahinten war ein kleiner Laden. Gut, er sollte Elaine unbedingt eine Kleinigkeit mitbringen. Aber was? So etwas war für ihn immer ein Problem gewesen. Als er fünfzehn war, hatte er seiner ersten Freundin eine zahme Ratte zum Valentinstag geschenkt. Sie hatte die Ratte schreiend fallen gelassen, und ihre Eltern hatten einen Kammerjäger bestellen müssen, um das Tier wieder einzufangen. Die Rechnung hatten sie an Mitchs Großmutter geschickt.

Mitch sah sich in dem Laden um. Was sollte er nehmen? Eine Clownsfigur aus Porzellan? Ein Puzzle? Ein Buch mit Denksportaufgaben?

„Kann ich Ihnen helfen?“ Eine kleine weißhaarige Dame stand vor ihm und sah ihn durch ihre Bifokalbrille freundlich an.

„Ich suche ein kleines Geschenk für eine Kollegin.“

Sie wies auf eine Verkaufstheke hinter sich. „Wir haben eine große Auswahl an Potpourris.“

„Sie meinen diese Beutel mit toten Blumen?“

„Sie duften ganz herrlich“, sagte die Verkäuferin lächelnd und drückte ihm ein Säckchen in die Hand.

Er roch daran. „Ja, sehr angenehm. Aber was macht man damit?“

„Sie können die Blüten in eine Schale legen, dann duftet das ganze Zimmer danach.“

Er blickte stirnrunzelnd auf das Preisschildchen. Zwanzig Dollar für etwas, das er in seinem Garten zusammenharken konnte? „Ich glaube, das ist nicht ganz das Richtige.“

„Wir haben auch ein paar schöne Schmuckstücke.“ Die alte Dame wies in eine andere Richtung. „Vielleicht ein Armband?“

Seine letzte Freundin hatte diese Ohrringe, die im Dunkeln leuchteten, nicht leiden können. Und er hatte geglaubt, das sei das ideale Geschenk. Er sah sich suchend um. Da, diese kleine Schachtel, das war genau richtig.

Mitch zeigte darauf. „Das da möchte ich.“

Die Verkäuferin runzelte die Stirn. „Sind Sie sicher?“

Er grinste. „Absolut.“

Zehn Minuten später stand er vor der Tür von Elaines Krankenzimmer. Wie er diesen Geruch von Krankenhäusern hasste. Vielleicht hätte er ihr doch das Duftzeug kaufen sollen. Er drehte sich um, hielt dann aber in der Bewegung inne. Er wusste, er wollte den Besuch nur hinauszögern. Entschlossen hob er die Hand und klopfte an die Tür.

„Herein.“

Er stieß die Tür auf. Elaine saß in einem Stuhl am Fenster. Sie war zehn Jahre älter als er, aber die Sommersprossen ließen sie jünger erscheinen. Sie hatte das aschblonde Haar in einem Pferdeschwanz zusammengefasst und sah dünner aus als noch vor einer Woche.

Mitch zwang sich zu einem Lächeln.

Ihre grünen Augen leuchteten auf, als sie ihn in der Tür stehen sah. „Hallo, Partner!“

„Du liegst ja nicht mehr im Bett.“

„Ich versuche, möglichst oft aufzustehen. Ich bin eine sehr ungeduldige Kranke.“

„Du siehst gut aus.“ Dann hielt er ihr das Päckchen hin. „Ich habe dir was mitgebracht.“

„Wenn es doch ein Sechserpack Bier wäre“, sagte sie und seufzte.

„Aber Alkohol ist hier doch sicher nicht erlaubt?“

Sie lächelte. „Seit wann hältst du dich immer an die Vorschriften, Malone?“

„Okay, bei meinem nächsten Besuch werde ich ein paar Dosen Bier reinschmuggeln.“

„Versprochen?“ Sie wickelte das Päckchen aus.

„Versprochen.“ Er wartete gespannt auf ihre Reaktion.

Sie starrte auf die Schachtel. „Ein Wasserball.“

„Aufblasbar. Ich dachte, du könntest ihn hier gegen die Wand schlagen. Eine gute Übung. Soll ich ihn aufblasen?“

„Gern.“ Sie warf ihm die Schachtel zu.

Er nahm den zusammengefalteten Ball aus der Schachtel, öffnete das Ventil und fing an zu pusten.

„Was gibt es Neues bei unserem Fall?“

Er hob den Kopf. „Ich arbeite undercover in der Dschungelbar.“

Sie riss die Augen auf. „Ich dachte, der Chef hat diese Idee verworfen.“

„Das war vor deiner Verletzung.“

Sie nickte. Sie konnte genau verstehen, was in ihm vorging. Wenn einem Kollegen im Dienst etwas zustieß, dann musste alles darangesetzt werden, den Fall zu lösen. Dieser Meinung war auch ihr Chef.

Mitch hatte sogar vorübergehend den Frauen abgeschworen, weil er sich nicht ablenken lassen wollte. Das fiel ihm nicht leicht, und als gestern diese scharfe Kleine vor dem Hinterausgang der Dschungelbar auf ihn gefallen war, hatte er sich zusammennehmen müssen, um sie wieder loszulassen. Ihr dünnes Top hatte eng angelegen, und man brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was sich darunter befand. Trotzdem war er nicht schwach geworden.

„Hallo, Mitch!“

Er machte die Augen auf. „Verzeihung.“

Elaine beobachtete ihn lächelnd. „Wie heißt sie denn?“

„Wer?“

„Deine momentane Flamme.“

„Im Augenblick bin ich solo.“ Er hob den Ball wieder an die Lippen und blies ihn prall auf. Dann schloss er das Ventil.

„Wie kommt das denn?“, zog Elaine ihn auf. „Die Frauen liegen dir doch zu Füßen, seit du die ersten Schritte gemacht hast. Ich habe einen wunderbaren Mann und bin deshalb immun gegen deine Ausstrahlung, aber ich kenne deine Wirkung auf das weibliche Geschlecht.“

Und sie hatte dafür bezahlen müssen, nur wegen dieses verdammten Weckers. Er warf Elaine den den Ball zu. „Ich dachte, wir wollten uns über den Fall Vandalay unterhalten.“

Sie fing den Ball. „Bisher sind wir noch nicht sehr weit gekommen. Aber das kann sich ändern, weil du jetzt dort arbeitest.“

Mitch nickte. „Wir brauchen nur Vandalays Lieferanten zu identifizieren. Dann können wir den Mann festnageln und den Fall abschließen.“

Das hörte sich so einfach an, aber Mitch wusste genau, was für eine schwierige Aufgabe vor ihnen lag. Er war in den Straßen von New York aufgewachsen und hatte mit sechs den ersten Drogendealer kennengelernt. Ein Jahr später wurde er als Kurier eingesetzt. Seine Eltern waren die besten Kunden des Dealers, und als sie verhaftet wurden, kam er zu seiner Großmutter mütterlicherseits. Dort blieb er auch, als seine Eltern gegen Kaution freikamen und verschwanden.

Er hatte sie nie wieder gesehen.

Mitch vermutete, dass sie tot waren, und er wusste, dass seine Großmutter ihm durch ihr energisches Eingreifen das Leben gerettet hatte.

„Ich werde tun, was ich kann“, versprach Elaine. „Wenn ich bloß erst wieder richtig draußen arbeiten kann.“

Vielleicht würde das nie wieder der Fall sein. Mitch sah sie nicht an. Er wusste nur, er musste den Fall möglichst bald abschließen. Schon um sein Gewissen etwas zu erleichtern.

„He!“ Sie ließ den Ball an seiner Stirn abprallen. „Worüber denkst du denn immer nach?“

Er stand auf. „Entschuldige, Elaine, es war eine harte Woche. Einer der Barkeeper der Dschungelbar hat gekündigt, und so muss ich doppelte Schichten schieben, bis Vandalay Ersatz einstellt.“

„Ja, ja, die Freuden der verdeckten Ermittlungen.“ Elaine griff nach einer Akte. „Hier ist übrigens die Liste der anderen Angestellten. Sie sind alle überprüft worden und sind absolut sauber.“

Er nickte und sah auf die Uhr. „Ich sollte jetzt lieber gehen. Die Bar macht in einer knappen Stunde auf.“

Elaine verlagerte das Gewicht und presste die Lippen zusammen. Offenbar hatte sie große Schmerzen. „Gut. Und halt mich auf dem Laufenden.“

„Selbstverständlich.“ Er winkte ihr zu und ging. Im Flur atmete er einmal tief durch. Bisher hatten die Nachforschungen noch nichts gebracht. Aber er musste die Schwachstelle finden, und wenn es ihn umbrachte.

Auch wenn er dafür Frauen wie der Kleinen heute Nachmittag aus dem Wege gehen musste.

Zwei Wochen nach ihrem Einzug in die Wohnung stöckelte Claire vorsichtig auf hohen schwarzen Sandaletten in das Wohnzimmer. A.J. hatte sie ihr geliehen, denn heute Abend wollte sie ihren ersten Streifzug durch die Dschungelbar machen, auf der Suche nach Versuchspersonen für ihr Projekt.

„Donnerwetter!“ A.J. nickte anerkennend. „Franco hat recht, Rosa steht dir ausgezeichnet.“

Franco hatte den drei Frauen vor ein paar Tagen eine Farbberatung geschenkt. Claire, so hatte er gemeint, dürfe in Zukunft nur noch Rosa, Türkis und Jadegrün tragen.

Claire sah an sich herunter. Zu der rosafarbenen kurzen Jacke trug sie den schwarzen Zauberrock von Samantha. Außerdem hatte sie sich von ihr noch ein Paar goldene Ohrringe geliehen.

„Fehlt noch irgendwas?“, fragte Claire und drehte sich einmal um die eigene Achse.

„Hast du an Verhütung gedacht?“ A.J. grinste. „Schließlich geht es dir doch um das menschliche Paarungsverhalten.“

„Ich bin nur passiver Beobachter“, sagte Claire schnell, „kein aktiver Teilnehmer.“

„Apropos Paarungsverhalten.“ Samantha lachte. „Mrs. Higgenbotham hat Cleos Terminkalender rübergebracht, damit wir das Gassigehen damit koordinieren können. Zwei Mal in der Woche muss der Pudel zum Therapeuten wegen sexueller Probleme.“

„Außerdem hat der Hund einen Prozess laufen“, sagte A.J. „Ich vertrete ihn vor Gericht. Mrs. H. wollte sie gern decken lassen, aber Cleo hat kein Interesse an Rüden und hat einen ihrer Verehrer an einer besonders empfindlichen Stelle gebissen.“ Sie sah Claire an. „Vielleicht solltest du diese Strategie beherzigen, falls irgendein Mann dir heute zu nahe kommen will.“

„Ich glaube nicht, dass es da irgendwelche Probleme geben wird.“ Claire griff nach ihrer Handtasche. „Ich werde sehr schnell deutlich machen, weshalb ich da bin.“

Samantha blickte sie nachdenklich an. „Wäre es nicht besser, wenn keines deiner Beobachtungsobjekte wüsste, weshalb du da bist?“

„Nein, das ist nicht nötig. Ich mache nur allgemeine Beobachtungen, was die Bar betrifft, und will das typische Verhalten der regelmäßigen Kunden festhalten. Ich muss Menschen finden, die bereit sind, sich später mit mir zu treffen und mir Fragen zu beantworten über die übliche Dauer ihrer Beziehungen, die Aspekte der körperlichen und geistigen Anziehung, über verbale und nicht verbale Kommunikation und so weiter.“

„Aha.“ Samantha sah nicht aus, als ob es sie brennend interessierte. „Was ich noch sagen wollte, ich habe Kate Gannons E-Mail-Adresse herausfinden können. Ich habe sie neben deinen Computer gelegt.“

„Wer ist Kate Gannon?“, fragte A.J.

„Ihr gehörte der Rock vor Samantha.“ Claire hängte sich die Tasche über die Schulter. „Ich muss für mein nächstes Forschungsprojekt wissen, woher der Rock ursprünglich kommt und was es mit ihm auf sich hat.“ Sie atmete tief durch. „Aber erst einmal muss ich dieses hier hinter mich bringen.“

„Lass dir nichts gefallen“, meinte A.J. als Claire sich zur Tür wandte.

„Du musst uns alles genau erzählen, wenn du wiederkommst“, rief Samantha hinter ihr her.

Hoffentlich gab es überhaupt etwas zu erzählen. Claire hatte Zweifel, ob der Rock tatsächlich seine Wirkung entfalten würde, wenn sie ihn anhatte. Wenn nun alle Männer sie übersahen wie Mitch Malone? Und die Fortführung der Studie in einem totalen Reinfall endete?

Als sie unten aus dem Fahrstuhl trat, pfiff Franco anerkennend. „Sei ruhig, mein Herz!“, schrie er und schlug sich mit der Hand auf die Brust. „Verdammt, Mädchen, deinetwegen könnte ich direkt bedauern, schwul zu sein.“

„Dann bist du also mit meinem Aussehen zufrieden?“, fragte Claire und drehte sich einmal um die eigene Achse.

„Vollkommen. Eins fehlt allerdings noch.“ Franco hob eine kleine Einkaufstüte auf, die neben ihm stand. „Hier.“

Claire zog einen rosafarbenen Seidenschal heraus. „Oh, Franco, der ist wunderschön.“

„Das Tüpfelchen auf dem i“, meinte Franco zufrieden, nahm ihr den Schal aus der Hand und drapierte ihr ihn locker um den Hals. „Perfekt. Ich fühle mich wie die gute Fee, die Aschenputtel auf den Ball schickt.“

Claire beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. „Danke, liebe Fee.“

„Nun aber los, mein Kind.“ Franco schob sie aus der Tür. „Und komm mir nicht ohne Prinz nach Hause.“

Mitch ahnte Böses.

Er stand in der Nähe des Haupteingangs der Dschungelbar und suchte mit den Augen langsam den Raum ab. Er füllte sich zusehends, schneller als die Abende zuvor. Wie immer kamen etwa doppelt so viele Männer wie Frauen. Die Ventilatoren an der Decke waren nach dreißig Jahren allmählich bräunlich grau geworden; die Luft war schon jetzt verbraucht.

Die Dschungelbar war nur schwach erleuchtet, sodass man die Gesichter der Besucher nicht genau erkennen konnte, und die Musik war zu laut, als dass eine echte Unterhaltung möglich war. Einige Gäste tanzten, und die Barkeeper hatten gut zu tun.

Mitch hatte das Gefühl, als sei die Menge heute besonders rastlos und nervös. Allerdings war das fast an jedem Freitag so. Nach einer langen Arbeitswoche hatten viele das Bedürfnis, Dampf abzulassen. Dick Vandalay, der Mann, den er beobachten sollte, stand hinter dem Tresen und wies einen neuen Barkeeper ein. Der junge Mann sah aus, als würde er zusammenbrechen, wenn Vandalay ihn noch einmal anschrie.

Jemand fluchte laut, und Mitch blickte zur Tanzfläche hinüber. Dort war eine wilde Rauferei im Gange, und als Mitch sich einen Weg durch die Menge bahnte, sah er, dass sich zwei Frauen in den Haaren lagen. Der Mann, um den sie offenbar kämpften, stand grinsend am Rand der Tanzfläche.

„Aufhören!“, sagte Mitch laut und riss die beiden auseinander.

„Halten Sie sich da raus!“, sagte der Mann. „Es fing gerade an, mir Spaß zu machen.“

Die beiden Frauen schlugen um sich, aber Mitch hielt sie so weit voneinander entfernt, dass sie sich nicht gegenseitig verletzen konnten.

„Wenn Ihnen so etwas Vergnügen macht“, stieß Mitch zwischen zusammengebissenen Zähnen vor, „dann sollten Sie woanders hingehen.“

Der Mann machte einen Schritt auf ihn zu. „Wollen Sie etwa …“

Bei dem drohenden Tonfall ließen die beiden Frauen voneinander ab und starrten Mitch an. Mitch ließ sie los und stellte sich vor den Mann. „Wenn Sie schlau sind, dann gehen Sie jetzt lieber.“

Aber er wusste, dass der Mann nicht nachgeben würde. Machotypen wie dieser waren ihm zu oft begegnet, als er noch quasi auf der Straße lebte. Sie konnten einfach nicht anders. Mitch blickte kurz zum Tresen. Vandalay nickte ihm zu.

Aus dem Augenwinkel sah Mitch, dass eine kräftige Faust auf ihn zugeschossen kam. Schnell duckte er sich, und der Hieb ging ins Leere. Mitch versetzte dem Mann einen gezielten Schlag mit der Handkante gegen die Kniekehlen, sodass der große Kerl zu Boden ging.

Mitch hatte schon früh gelernt, sich mit den Fäusten zu verteidigen, und die Ausbildung bei der Polizei hatte ein Übriges getan. Er hoffte nur, dass der Mann klug genug war aufzugeben, bevor er gezwungen war, ihn ernsthaft zu verletzen.

Die Hoffnung erfüllte sich nicht.

Als Mitch den Mann schließlich k. o. geschlagen und in ein Taxi verfrachtet hatte, waren die beiden Frauen bereits wieder mit zwei neuen Männern auf der Tanzfläche.

Donna Cummings, eine blonde Kellnerin, die ständig Kaugummi kaute, schob sich neben ihn. „Du siehst aus, als könntest du einen Drink gebrauchen, Mitch.“

Er rieb sich die Fingerknöchel. „Mir ist mehr nach einem freien Abend zumute. Aber ein Drink wäre auch nicht schlecht. Das Übliche, vielleicht gleich einen Doppelten.“

Sie grinste. „Ein gespritzter Traubensaft, kommt sofort.“

Mitch ging zu seinem Platz an der Tür zurück. Es sah so aus, als würde es wieder eine lange Nacht werden. Lieber würde er die alten Filme von Clint Eastwood sehen, die heute im Fernsehen gebracht wurden. Stattdessen musste er sich hier mit Leuten abgeben, die verzweifelt und einsam waren und sich nach Liebe sehnten.

Er selbst hatte es früher nicht anders gemacht, hatte am liebsten die Bars nach willigen Frauen durchgekämmt. Erst im letzten Jahr hatte sich das geändert. Diese Art von Leben hatte den Reiz für ihn verloren.

In den ersten zwei Wochen hier in der Dschungelbar hatte er sich vor mehr oder weniger versteckten Angeboten kaum retten können. Aber inzwischen wussten die weiblichen Gäste, dass er hier nur seinen Job tat. Donna allerdings, die kürzlich geheiratet hatte, versuchte immer wieder, ihn zu verkuppeln.

„Hier.“ Sie gab ihm ein Glas. „Hast du die Blonde an der Bar gesehen? Die ist doch süß.“

„Zu dünn für meinen Geschmack“, wehrte er ab.

„Du bist aber auch schwierig“, sagte Donna. „Warum versuchst du nicht, eine nette Frau zu finden, die dich wirklich glücklich machen kann?“

„Frauen sind wie Kartoffelchips“, sagte er grinsend. „Eine ist nicht genug.“

„Tu doch nicht so, Mitch Malone. Du gehörst sicher zu diesen romantischen Männern, die sich nach wahrer Liebe sehnen und von einer Frau mehr wollen als nur ihren Körper.“

Er schüttelte den Kopf. „Falsch, Donna. Mich interessiert nur der weibliche Körper. Deshalb arbeite ich doch hier. So viele knapp bekleidete Frauen wie hier kriege ich selten auf einmal zu sehen.“

Donna verschränkte die Arme vor der Brust. „Und warum nimmst du dann nie eine mit nach Hause?“

„Ich würde ja gern, aber meine Wohnung ist ein finsteres Loch.“

Sie lachte. „Als ob das den Frauen nicht ganz egal wäre. Sei ehrlich, insgeheim bist du ein Romantiker.“

„Vielleicht. Übrigens, ich habe gehört, dass man hier was kriegen kann, wenn es mit der Liebe mal nicht so klappt. Ein paar Leute, mit denen ich gesprochen habe, besorgen sich hier ihre Potenzmittel.“

Sie riss die Augen auf. „Was? Wer hat das gesagt?“

„Ich kenne keine Namen.“ Er grinste. „Wie ist es, könnte dein neuer Ehemann nicht mal eine Auffrischung in dieser Hinsicht gebrauchen?“

Sie sah ihn empört an, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf. „In dieser Beziehung kann ich mich nicht beklagen.“

„Freut mich für dich.“ Mitch sah sich in der Bar um. Wie konnte er an Informationen kommen, ohne Verdacht zu erregen? „Vielleicht sollte ich das Zeug mal probieren, um zu sehen, wie es wirkt.“

„Ist das nicht gefährlich?“

„Anstrengend, das ja, aber nicht gefährlich.“

„Aber es ist illegal. Und für so etwas ins Gefängnis zu gehen, lohnt sich wirklich nicht.“ Sie wandte sich um und ging zurück hinter den Tresen.

In Gedanken strich Mitch Donna von der Liste der Verdächtigen. Sie hatte nicht angebissen. Sosehr es ihm zuwider war, mit ihr und den anderen Angestellten der Bar nicht aufrichtig zu sein, er musste inkognito bleiben, wenn er bei seiner Aufgabe Erfolg haben wollte.

Was sein Privatleben anging, versuchte er jedoch, so ehrlich wie möglich zu sein. Er hatte erzählt, dass er sozusagen auf der Straße aufgewachsen war und später bei seiner Großmutter gelebt hatte, weil seine Eltern ihn verlassen hatten, als er neun Jahre alt war. Er hatte zugegeben, dass er mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und vorübergehend in einer Besserungsanstalt gelandet war. Allerdings verschwieg er, dass sein damaliger Boxtrainer Polizist war und ihm eine ganz neue Karriere ermöglicht hatte.

Mitch schreckte hoch, als er Glas splittern hörte. Ein Bierkrug lag in Scherben auf dem Fußboden. Plötzlich wurde es still, nur die Musikbox plärrte im Hintergrund. Die Tanzfläche war wie leer gefegt. Fast alle starrten auf die Eingangstür. In der Tür stand eine junge Frau, die Mitch irgendwie bekannt vorkam.

Er schluckte. Sie hatte langes dunkles Haar, große braune Augen und eine schlanke Figur, doch das hatten viele. Und dennoch starrte sie jeder an. Mitch blickte auf den kurzen schwarzen Rock. Der Stoff wirkte geradezu durchsichtig, und die langen schlanken Beine wirkten nackt. Es durchfuhr ihn heiß.

Kein Zweifel, es war die Frau, die er am Hinterausgang der Bar gesehen hatte, mit diesem verrückten Fotografen. Ihr Name fiel ihm nicht ein, er konnte sich kaum an seinen eigenen erinnern.

Als sie auf ihn zukam, wusste er, was das zu bedeuten hatte. Er würde Schwierigkeiten bekommen.

4. KAPITEL

Der schwarze Rock schmiegte sich an ihre Hüften. Claire spürte die geheimnisvolle Macht, die von ihm ausging. Ihr gefiel, dass ihre Beine länger wirkten und ihre Hüften schmaler. Als sie hochblickte, sah sie direkt in Mitchs Augen, die begehrlich leuchteten. Sie lächelte. Das Blau seiner Augen wirkte noch intensiver als neulich.

Leider war sein Oberkörper heute Abend nicht nackt. Er trug ein schwarzes T-Shirt, das über den Schultern leicht spannte. Die schwarze Jeans saß ihm eng um die schmalen Hüften. Er brauchte keine Zauberkleidung, um sie anzutörnen.

Er ließ sie nicht aus den Augen, als sie näher kam, und sein Blick umfing sie wie warmer Honig.

„Hallo“, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen. Sie musste sich daran gewöhnen, fremde Männer anzusprechen, sonst würde sie mit ihrer Arbeit nicht weiterkommen. „Ich bin Claire Dellafield.“

„Claire“, sagte er leise, und sie wusste, er würde den Namen nie wieder vergessen. Seine große Hand umschloss ihre, und sie fühlte die Wärme bis in die Zehenspitzen. Ganz offensichtlich rief der Rock eine biochemische Reaktion hervor.

Bisher hatte sich die Wirkung bei Mitch und bei dem Taxifahrer gezeigt, der sie sogar bis in die Bar begleitet hatte.

„He, Mädchen, warte!“, rief er ihr hinterher.

Glücklicherweise gab es einen Ort, an den er ihr nicht folgen konnte.

Sie lächelte Mitch an. „Können Sie mir bitte sagen, wo die Damentoilette ist?“

Er sagte nichts, sondern wies nur mit dem Daumen hinter sich.

„Danke“, sagte sie leise und verschwand in der Richtung, in die er gezeigt hatte.

Sie musste unbedingt diesen hartnäckigen Taxifahrer loswerden. Die ganze Fahrt über hatte er versucht, mit ihr anzubändeln. Offenbar hatte der Rock auch seine Nachteile.

Dort war die Damentoilette. Sie machte schnell die Tür auf und drückte sie sofort wieder hinter sich zu. Hoffentlich hatte der Taxifahrer die Verfolgung aufgegeben.

Aber sie hatte ihn unterschätzt.

Die Tür wurde aufgeschoben, und der Fahrer schob den Kopf durch den Spalt. „Willst du dich vor mir verstecken?“

Claire drehte sich empört um. „Sie haben sich wohl in der Tür geirrt. Dies ist die Damentoilette.“

„Komm, wir können bei mir zu Hause weiterspielen“, sagte er und trat durch die Tür. „Du darfst dich bei mir im Bett verstecken.“

„Ich denke nicht daran. Ich bin hier, um zu arbeiten.“

Er musterte sie lüstern von oben bis unten. „Das kannst du doch auch bei mir tun. Ich zahle jeden Preis.“

„Halten Sie mich etwa für eine Prostituierte?“

„Nein, ich halte dich für die schärfste Frau, die ich je getroffen habe.“ Wieder kam er einen Schritt näher. „Und ich will dich die ganze Nacht.“

Claire griff schnell in die Handtasche und umklammerte das Pfefferspray, das A.J. ihr für den Notfall mitgegeben hatte. „Ich zähle bis drei. Wenn Sie bis dahin nicht verschwunden sind, werden Sie es bereuen.“

„Inwiefern? Willst du mich verprügeln?“

„Eins …“

Er befeuchtete sich kurz die Lippen. „Du bist verdammt scharf, Mädchen.“

„Zwei …“

Er hob eine Augenbraue. „Willst du etwa die Unnahbare spielen? Da kann ich ja nur lachen! Eine Frau wie du und in diesem Rock …“

„Dies ist meine letzte Warnung.“ Sie zog die Dose aus der Tasche und zielte sorgfältig.

Die Tür wurde aufgestoßen, und Mitch stürzte herein. Er blickte auf das Pfefferspray in Claires Hand und dann auf den Mann, der unmittelbar vor ihr stand. „Hoffentlich störe ich nicht.“

Claire schüttelte den Kopf. „Er wollte gerade gehen.“

„Ich gehe nirgendwo hin ohne dich“, sagte der Taxifahrer fest.

Mitch verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will, dass Sie hier verschwinden. Und zwar sofort.“

„Und wenn ich nicht gehe?“

Mitch kniff die Augen kurz zusammen. „Dann werden Sie meine Faust zu spüren bekommen.“

Claire trat zwischen die beiden Männer. Irgendwie fühlte sie sich für die ganze Situation verantwortlich, denn irgendwie hatte das alles mit dem Rock zu tun. „Bitte, ich will keine Schwierigkeiten.“

„Zu spät“, sagte Mitch nur und trat einen Schritt näher.

„Okay, okay.“ Der Taxifahrer hob abwehrend die Hände und ging rückwärts in Richtung Tür. „Ich geh ja schon. Aber ich werde draußen auf dich warten, Baby.“

„Vielen Dank für die Warnung!“, rief Claire ihm hinterher. Dann sah sie Mitch an, der sie mit gerunzelter Stirn betrachtete. „Was ist los?“

„Lassen Sie das nächste Mal Ihre Beziehungsprobleme bitte draußen.“

Weshalb war er denn so verärgert? Hatte der Rock bereits seine Wirkung verloren? „Ich habe keine Beziehung mit diesem Kerl. Er ist mein Taxifahrer.“

„Haben Sie vergessen zu bezahlen?“

„Er wollte kein Geld. Und er wollte mich am liebsten auch nicht aus dem Auto lassen.“ Sie ging um ihn herum in Richtung Tür. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen …“

Aber Mitch trat direkt vor sie hin und versperrte ihr den Weg. Er stand so dicht vor ihr, dass sie die kleine Narbe an seinem Kinn sehen konnte. Ein leichter Duft nach After Shave umgab ihn. Seine Größe hätte sie einschüchtern müssen, aber sie wusste instinktiv, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte. Einen kurzen Moment lang dachte sie, er würde noch näher kommen, und bei dieser Vorstellung prickelte ihre Haut.

Claire legte den Kopf in den Nacken und sah ihn an.

Er erwiderte den Blick und trat dann schließlich zur Seite. „Viel Spaß noch.“

„Danke.“ Sie verließ schnell die Damentoilette und atmete erst mal tief durch. Irgendwie hatte sie da drinnen plötzlich keine Luft mehr bekommen. Vielleicht wegen dieses penetranten Luftverbesserers, vielleicht auch wegen des begehrlichen Glitzerns in Mitchs blauen Augen. Dann spürte sie seinen warmen Atem im Nacken.

„Wenn Sie gehen wollen, dann sagen Sie mir bitte Bescheid. Ich werde mich um das Taxi kümmern.“

Sie drehte sich zu ihm um. „Danke, aber das ist nicht nötig.“

„Ich bestehe darauf.“ Ohne ihre Reaktion abzuwarten, drehte er sich um und ging.

Claire blickte ihm hinterher. Noch nie hatte ein Mann so auf sie reagiert. Es war unglaublich. Vor zwei Wochen hatte er sie noch nicht einmal wahrgenommen.

Aber sie war nicht hier, um Mitch Malone zu beeindrucken. Sie musste sehen, dass sie Freiwillige für ihr Projekt fand. An der Bar saßen einige Männer. Sollte sie es mit denen versuchen? Hinter dem Tresen stand ein grauhaariger Mann und scheuchte den jungen Barmann herum, der schon ganz verzweifelt aussah.

Wie sollte sie vorgehen? Sie hatte die Aufzeichnungen ihres Vaters sehr sorgfältig gelesen. Marcus Dellafield hatte eine Reihe von Gästen angesprochen und dann schließlich zehn ausgewählt, auf die sich die Studie im Wesentlichen stützen sollte. Seine Testpersonen waren alles Frauen gewesen. Claire hatte vor, sich diesmal auf Männer zu konzentrieren.

Sie kletterte auf den letzten freien Barhocker. Sofort wandten die Männer an der Theke ihr die Gesichter zu.

„Frag die Dame, was sie trinken möchte“, bellte der grauhaarige Mann den verunsicherten Barkeeper an.

Der junge Mann kam sofort auf Claire zu. „Was kann ich Ihnen bringen?“

„Ein Glas Wein“, sagte sie, um die Situation für ihn nicht zu erschweren. „Merlot, bitte, wenn Sie haben.“

Der junge Mann sah den Grauhaarigen hilflos an. „Haben wir Merlot?“

„Selbstverständlich!“ Er wies auf eins der unteren Regale. „Die zweite Flasche von rechts.“

Der Barkeeper stellte eine Flasche auf den Tresen.

„Das ist doch Pinot Grigio, du Idiot!“

„Kein Problem, ich trinke Pinot Grigio sehr gern“, versicherte Claire schnell und lächelte den jungen Mann an. „Sie können wohl Gedanken lesen.“

„Ein Glas für die Dame“, befahl der Grauhaarige und wandte sich dann an Claire. „Sie sind wohl neu in der Stadt?“

„Woher wissen Sie das?“

„Sie sind einfach zu nett. Außerdem kann ich einen Touristen auf drei Meilen erkennen. Schließlich habe ich diese Bar schon seit dreißig Jahren.“

„Dreißig Jahren? Dann müssten Sie eigentlich meinen Vater kennen, Marcus Dellafield. Er hat hier vor fünfundzwanzig Jahren die Untersuchungen für eine soziologische Studie mit dem Titel ‚Fremde in der Nacht‘ gemacht. Ich bin seine Tochter Claire.“

Der Grauhaarige wurde auf einmal sehr freundlich. „So, so, das ist ja eine Überraschung. Natürlich erinnere ich mich an Marc. Ich bin Dick Vandalay, der Besitzer dieses Etablissements.“

Marc? Sie hatte nie gehört, dass jemand Marc zu ihrem Vater sagte. Irgendwie passte das nicht zu seinem gesetzten Auftreten. Aber damals war ihr Vater natürlich noch ein junger Mann gewesen – ein sehr gut aussehender, den Fotos nach zu urteilen. Tränen traten ihr in die Augen, und sie trank schnell einen Schluck Wein.

„Ich habe von Marc schon länger nichts mehr gehört.“ Der Mann sah sich in der Bar um. „Ist er mit Ihnen gekommen?“

„Er ist vor neun Monaten gestorben“, sagte sie leise.

Er schob ihr eine Papierserviette zu. „Tut mir leid, Mädchen.“

„Es geht schon wieder.“ Sie lächelte kurz. „Ich freue mich, endlich den Mann kennenzulernen, von dem ich so viel gehört habe.“

„Marc war ein prima Kerl“, sagte Dick. Dann warf er seinem neuen Barmann einen wütenden Blick zu. „Tequila gehört doch nicht in eine Bloody Mary!“ Er ging schnell zum anderen Ende des Tresens. „Du willst mich wohl ruinieren.“

Dazu gehörte nicht viel. Claire sah sich vorsichtig in dem Raum um. Die Eichentheke hatte tiefe Kerben, die Decke wies große Wasserflecken auf, und der rote Teppich war mehr als schäbig. Dieses Lokal hatte nichts mehr von der schicken Bar zu tun, die ihr Vater beschrieben hatte.

Aber das war vielleicht gar nicht uninteressant im Hinblick auf ihre Folgeuntersuchung. Ein Vergleich zwischen damals und heute wäre sicher interessant. Claire schlug die Beine übereinander und bemerkte, dass der Mann neben ihr sie unentwegt anstarrte.

„Hallo“, sagte sie freundlich. „Sind Sie oft hier?“

„Nicht häufig genug, denn sonst hätte ich Sie schon mal gesehen.“

„Ich heiße Claire Dellafield.“ Sie zog eine Visitenkarte aus der Handtasche. „Gehen Sie regelmäßig Gast in diese Bar?“

„Ich komme jeden Abend her“, sagte er grinsend.

„Wären Sie daran interessiert, an einer wissenschaftlichen Studie über menschliches Paarungsverhalten teilzunehmen?“

„Mit Ihnen? Immer.“

„Wunderbar.“ Sie holte einen kleinen Block und einen Kugelschreiber heraus. „Wie heißen Sie?“

„Albert Ramirez.“

Sie schrieb den Namen auf. „Nun brauche ich noch Ihre Telefonnummer, damit ich Sie wegen eines Interviewtermins anrufen kann. Meine Handynummer steht auf der Visitenkarte, falls Sie mich in der Zwischenzeit erreichen wollen.“

Er starrte auf die Karte und runzelte die Stirn. „Sie sind Anthropologin?“

„Ja. Und ich danke Ihnen, dass Sie bereit sind, mit mir zu arbeiten.“

Er musterte begehrlich ihre Beine. „Ich habe zu danken.“

Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass er sich von der Zusammenarbeit mehr versprach, aber noch bevor sie ihn aufklären konnte, lehnte sich ein anderer Mann am Tresen vor. „Ich stelle mich auch als Freiwilliger zur Verfügung.“

„Ich auch“, sagte eine tiefe Stimme, und plötzlich war Claire umringt von Männern.

Sie holte einen Stapel Visitenkarten heraus. Das wäre schon mal geschafft, dachte sie.

Autor

Kristin Gabriel
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Julie Cohen
Ich schrieb meinen ersten Roman mit 11 Jahren. Er war über eine Hexe, die einen teuflisch gut aussehenden bösen Zauberer besiegen musste. Es war eine Kopie bekannter Romane von denen noch zahlreiche andere folgten, die alle schrecklich waren. Meine meiste freie Zeit verbrachte ich lesend mit allem was ich zwischen...
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Kathleen Oreilly
<p>Kathleen schrieb ihren ersten Liebesroman im Alter von 11, welcher, zu ihrem ungebrochenen Erstaunen, laut in ihrer Klasse in der Schule vorgelesen wurde. Nach 20 Jahren ist sie jetzt stolz Karriere als Romanautorin gemacht zu haben. Kathleen lebt mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern in Texas.</p>
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