Tiffany Exklusiv Band 64

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  • Erscheinungstag 31.07.2018
  • Bandnummer 0064
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752972
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

RhondaNelson, JoLeigh, CindiMyers

TIFFANY EXKLUSIV BAND 64

1. KAPITEL

Blake Webber schwenkte das Glas mit dem Drink hin und her, während er ungläubig auf den Bildschirm blickte. Dort gab sich gerade ein in goldenes Licht getauchtes Pärchen sexueller Ekstase hin. Die Beine der Frau waren um die Hüften des Mannes geschlungen, ihr langes blondes Haar fiel ihr weit über den nackten Rücken. Sie warf den Kopf in den Nacken und formte mit dem Mund ein perfektes „Oh“, als hätte sie gerade den Orgasmus ihres Lebens. Dazu erklang aus den Boxen die sonore Stimme des Erzählers.

„Lassen Sie die tantrische Energie fließen. Sie werden spüren, wie die Macht des Tantra Ihren Körper durchflutet, während sich männliche und weibliche Energie verbinden. Eine Welle höchster Verzückung wird Sie und Ihren Partner zu einer neuen Ebene sexuellen Genusses aufsteigen lassen. Sie werden ein neues Bewusstsein erlangen und absolute Harmonie mit Ihrem Partner und dem Rest der Welt empfinden. Synchrones, kontrolliertes Atmen ist wichtig …“

Das reichte! Blake drückte den Ausschaltknopf der Fernbedienung. Selbst auf seinem beeindruckenden Großbildschirm mit exzellentem Soundsystem konnte ihn diese Tantra-Geschichte nicht überzeugen.

Allerdings wurde das Thema zunehmend beliebter, und vielleicht verbarg sich dahinter ja die Story, die er brauchte, um der Konkurrenz mal wieder eine Nasenspitze voraus zu sein. Er zählte bereits zur Oberliga der Chicagoer Enthüllungsjournalisten, aber dauerhaft mitspielen konnte da nur, wer am laufenden Band Artikel über Trends schrieb, die die anderen noch gar nicht richtig wahrgenommen hatten. Außerdem wollte er nicht einer von mehreren guten Enthüllungsjournalisten sein, sondern der beste. Er strebte den Pulitzerpreis an. Versonnen lächelte er vor sich hin. Diese Geschichte würde ihm gewiss keinen Pulitzerpreis einbringen, aber sie könnte eine Zwischenstation auf dem Weg dahin sein.

Sein journalistischer Instinkt hatte ihn noch nie getrogen. Blake hatte ein todsicheres Gespür für eine gute Story. Dieser Begabung verdankte er seine hochdotierte Stelle beim „Chicago Phoenix“ und seinen Ruf, den Finger am Puls der amerikanischen Gesellschaft zu haben.

Auch diesmal hatte er das Gefühl, wieder einmal etwas Spannendem auf der Spur zu sein. Doch zum ersten Mal in seiner Karriere blieb aus unerfindlichen Gründen der Forscherdrang aus, der ihn sonst in solchen Momenten überkam.

Er schob seine Unlust darauf zurück, dass ihm die Recherchen in diesem Fall einiges abverlangen würden. Natürlich war dieser Umstand in seinem Job praktisch normal, und er hatte sich davon auch nie abschrecken lassen. Sein Traumberuf brachte es nun einmal mit sich, dass er sich hin und wieder in Situationen begab, die er privat tunlichst meiden würde. Vielleicht waren seine Eltern deshalb der Ansicht, seine hervorragende Ausbildung wäre verschwendet. Sie hatten sogar lauthals protestiert, als er sich für die Journalistenlaufbahn entschied, und hofften bis heute, er würde irgendwann zur Vernunft kommen und eine „richtige“ Karriere anstreben.

Nun, darauf konnten sie lange warten.

Blake war entschlossen, sich in der rauen Welt des Enthüllungsjournalismus durchzusetzen, ganz gleich, was er dafür auf sich nehmen musste. Er identifizierte sich voll mit seinem Beruf. Er war der Mann, der Fakten ans Tageslicht zerrte und sie der amerikanischen Öffentlichkeit präsentierte. Er sagte den Leuten auf den Kopf zu, was los war, und ermutigte sie, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Er hatte sich schon in den schrecklichsten Spelunken herumgetrieben, sich die merkwürdigsten Verkleidungen zugelegt, von denen einige bis an die Grenze des Zumutbaren gegangen waren. Noch heute erschauderte Blake bei dem Gedanken an das Transvestitendebakel. Bei den Recherchen hatte er sich mit den merkwürdigsten Typen anfreunden müssen, um an Informationen heranzukommen. Aber er hatte es getan.

Genau genommen störte ihn bei dieser Tantra-Geschichte auch nicht so sehr, was er sich dafür zumuten musste, sondern vielmehr die Tatsache, dass er nicht allein an der Sache arbeiten konnte. Er arbeitete am liebsten allein, doch in diesem Fall war ein Soloauftritt vollkommen ausgeschlossen. Er brauchte einen Partner, und zwar einen weiblichen. Schließlich konnte er schlecht mit einem männlichen Kollegen zum Workshop über tantrischen Sex erscheinen.

Blake blätterte noch einmal in der bunten Hochglanzbroschüre von „Tantric Love“. Dieses Institut wollte er genauer unter die Lupe nehmen. Sein journalistischer Instinkt sagte ihm, dass mit dem Tantra-Workshop etwas nicht stimmte. In der Broschüre wimmelte es nur so von Dankesschreiben glücklicher Paare, die schworen, der Workshop hätte ihre Ehe gerettet und bei ihrem Liebesleben Wunder gewirkt. Besonders die Frauen schienen überwältigt von dem, was ihnen ein verlängertes Wochenende beschert hatte, und schrieben von multiplen Orgasmen und sogar von weiblicher Ejakulation.

Das war wohl der Plan, dachte Blake und stieß einen verächtlichen Laut aus. Die ganze Technik war darauf ausgelegt, die weibliche Befriedigung zu steigern, was an sich recht spannend klang. Zumal die Männer sich währenddessen wohl darauf konzentrieren sollten, ihre Ejakulation zu unterdrücken, um längeren und innerlich befriedigenderen Sex zu haben. Ein bisschen wie Duschen ohne Wasser, dachte Blake.

An der Westküste waren tantrische Wochenendkurse beinahe so modern wie Surfen, und auch an der Ostküste ließ sich ein klarer Trend in diese Richtung erkennen. Unlängst hatte ein beliebter Musiksender eine Umfrage unter Achtzehn- bis Vierundzwanzigjährigen veranstaltet, die nach ihren sexuellen Vorlieben gefragt wurden. Wie sich herausstellte, stand tantrischer Sex ganz oben auf der Liste.

Die Zeit war also reif für eine Story darüber, und Blake würde sie schreiben. Er spürte diesen besonderen Kitzel, so wie jedes Mal, wenn er eine vielversprechende neue Idee hatte. In diesem Fall würde er sich wohl oder übel eine Menge New-Age-Gefasel von alternden Hippies in ungefärbten Hanftogas anhören müssen, die sich an diesem Humbug dumm und dusselig verdienten. Er sah sich das Foto von den Veranstaltern an: Dr. Edgar Shea und seine Frau, Dr. Rupali Shea, lächelten so verzückt, als wäre ihre Ehe der Himmel auf Erden.

Blake kaufte ihnen den Quatsch nicht ab.

Mal ehrlich, welcher Mann verzichtete freiwillig auf seinen Orgasmus, um Erleuchtung zu finden? Blake trank den Rest seines Scotchs in einem Zug aus. Nein, solche Männer gab es nicht. Sex ohne Orgasmus? Das war ja wie Eisschokolade ohne Schokolade. Was hatte man davon?

Sicher, ohne Ejakulation hielt die Erektion länger. Aber wer musste sich deswegen Sorgen machen, wenn er nicht zufällig zu den wenigen Unglücklichen gehörte, die innerhalb der ersten zwei Sekunden schon kamen? Solange man die Partnerin nicht enttäuschte – was seiner Meinung nach von unverzeihlicher Faulheit zeugte –, bestand überhaupt kein Grund, sich um den Höhepunkt zu bringen. Wo war das Problem, wenn man sich den Hauptgewinn holen wollte?

Es gab kein Problem. Tantrischer Sex war um 3000 vor Christus in Indien erfunden worden, und damals war die Technik vielleicht eine Reaktion auf echte Nöte gewesen. Heute jedoch war sie nichts weiter als eine von vielen Methoden, mit denen man verzweifelte Ehepaare um ihr sauer verdientes Geld brachte. Gierige Geschäftsleute hatten sich daraus ein Konzept geschneidert, mit dem sie das Ganze zu einem Allheilmittel erklärten.

Und er, Blake, würde den Schwindel aufdecken. Nur brauchte er dazu eine Partnerin.

Die möglichen Kandidatinnen, die ihm auf Anhieb einfielen, kamen alle nicht infrage. Seine weiblichen Bekanntschaften waren es gewöhnt, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu genießen, und gerade bei einem solchen Workshop würde keine von ihnen weniger als das fordern. Doch hier handelte es sich um eine geschäftliche Veranstaltung und nicht um ein heißes Wochenende mit exquisitem Essen und fantastischem Sex. Absolute Konzentration war Pflicht, wenn er eine glaubwürdige Geschichte abliefern wollte.

Blake hatte gern Sex – schließlich war er ein normaler, gesunder Mann. Wenn er sich also tagelang in die tantrischen Sextechniken einweisen lassen wollte, konnte er schlecht riskieren, sich vom praktischen Teil ablenken zu lassen. Das oberste Gebot lautete Objektivität, weshalb er eine Frau brauchte, die die Sache ebenso professionell anging wie er. Er durfte sich auf gar keinen Fall zu ihr hingezogen fühlen.

Genau drei Sekunden später fiel ihm die perfekte Kandidatin ein. Allein bei ihrem Namen zuckte er schon zusammen. Savannah Reeves, seine Erzfeindin beim „Chicago Phoenix“.

Die bloße Vorstellung, bei der Story seinen Namen neben dem von Frau Allwissend ertragen zu müssen, war Furcht einflößend. Diese Frau hatte eine Zunge, die scharf genug war, um jede Rasierklinge in den Schatten zu stellen. Entsprechend konnte ein verlängertes Wochenende mit ihr ein wahrer Albtraum werden, doch Blake hatte keine Alternative.

Er musste die Story haben. Mit dieser Story würde sich sein Leben verändern, das hatte er im Gefühl. Er konnte zwar nicht sagen, was genau sich dadurch an seinem Leben verändern sollte, aber dass es so war, daran bestand für ihn kein Zweifel.

Leider musste er dafür Zeit mit einer Frau verbringen, die den Sinn ihres Lebens darin zu sehen schien, ihm auf die Nerven zu gehen. Wie dem auch sei, er musste das Opfer bringen. Außerdem konnte er mit ihr umgehen. Eigentlich konnte er mit jeder Frau umgehen, das musste ihm der Neid lassen. Ein Lächeln, ein nettes Kompliment, und sie waren Wachs in seinen Händen.

Nur bei Savannah Reeves versagte sein Charme auf ganzer Linie.

Blake betrachtete nachdenklich das leere Glas in seiner Hand. Ein einziges Mal hatte er es bei Savannah versucht. Sie hatte ihm einen Blick aus ihren strahlend blauen Augen zugeworfen, der waffenscheinpflichtig sein müsste, und ihn ausgelacht. Was für eine Erniedrigung! Er wurde heute noch rot, wenn er sich daran erinnerte. Und er hatte sich gehütet, diesen Fehler zu wiederholen. Seitdem vermied er es, ihr in die Quere zu kommen. Nicht dass er ihr direkt aus dem Weg ging – diese Genugtuung gönnte er ihr nun auch wieder nicht – aber er legte es nicht darauf an, mit ihr sprechen zu müssen. Sie machte ihn nervös.

Trotzdem ließ sie sich bestimmt keine tolle Story entgehen, bloß weil sie dabei mit ihm Zusammenarbeiten musste. Savannah war ihre Karriere entschieden zu wichtig. Seit sie vor etwas über einem Jahr in die Redaktion gekommen war, hatte sie es immer wieder geschafft, ihm die besten Geschichten vor der Nase wegzuschnappen. Und er musste zugeben, dass sie wirklich gut in ihrem Job war. Vor Savannah war er beim „Chicago Phoenix“ konkurrenzlos gewesen. Davon konnte jetzt gar keine Rede mehr sein. Doch sosehr ihr hintergründiges Lächeln und ihre ätzend scharfen Bemerkungen ihn auch irritierten, im Grunde taten sie ihm gut. Die Rivalität stachelte seinen Ehrgeiz an, und er wurde besser und besser.

Blake klopfte mit der aufgerollten Broschüre auf seinen Schenkel und überlegte. Nein, er hatte keine andere Wahl. Für diese Recherche kam ausschließlich Savannah infrage. Egal, wie sehr er sich davor fürchtete, er musste sie bitten, ihn nach Kalifornien zu begleiten und dort die Rolle seiner Partnerin zu spielen. Er lächelte grimmig. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie begeistert sie über seinen Vorschlag sein würde.

Im Allgemeinen fühlte sich Blake zu ziemlich jeder Frau hingezogen, die das richtige Alter und eine halbwegs passable Figur aufzuweisen hatte. Na schön, das klang recht oberflächlich, aber so war er nun mal. Außerdem fing er nicht mit jeder Frau, die er attraktiv fand, eine Beziehung an. Was Beziehungen betraf, war er wählerisch. Deshalb hatte er bisher nur wenige gehabt und sich zumeist auf kurze Affären beschränkt. Schließlich wollte er nicht auf alles verzichten.

Ungeachtet seiner recht aktiven Libido war er sicher, bei der umwerfenden Savannah Reeves reichte ein Blick oder ein unterkühltes Lächeln, um jede Erregung zunichte zu machen. Savannah war relativ klein, hatte pechschwarzes kurzes Haar und sah immerzu auf betörende Weise zerzaust aus, so als käme sie direkt aus dem Bett. Sie trug kaum Make-up, was sie bei ihrem cremefarbenen Teint, den leuchtend blauen Augen und den dichten schwarzen Wimpern auch nicht nötig hatte. Sie war fraglos wunderschön, aber davon durfte er sich nicht ablenken lassen.

Schließlich war Aussehen nicht alles.

Savannah Reeves mochte noch so attraktiv sein, sie war und blieb gefährlich. Nein, er konnte sich bestimmt nicht in sie verlieben. Der bloße Gedanke war vollkommen abwegig. Und ihrem Benehmen nach konnte er sicher sein, dass sie keine Gefühle für ihn hegte, zumindest keine positiven. Diese Tatsache hatte sie hinreichend deutlich gemacht. Aber die Story dürfte sie reizen.

Alles in allem war sie die perfekte Partnerin für diesen Job. Der Ruhm, den sie beide damit ernten konnten, würde sie überzeugen. Savannah war nicht der Typ, persönliche Gefühle über ihren Ehrgeiz zu stellen. Wenn er wollte, konnte er sie vielleicht dazu bringen, ihn regelrecht darum zu bitten, dass er sie mitnahm.

Diese Idee war verlockend.

„Ich sagte nicht Nein, sondern ausgeschlossen“, wiederholte Savannah gelassen, während sie sich den Weg durch die belebte Redaktion bis zu ihrem Schreibtisch bahnte.

Blake folgte ihr, was ihr ganz und gar nicht behagte.

„Aber warum denn nicht? Ein Bombenjob, eine klasse Story und eine Chance auf Journalistenruhm. Welchen Grund kannst du haben, nicht mitmachen zu wollen?“

Weil ich dich nicht ausstehen kann, dachte Savannah verärgert. Sie blieb neben ihrem Schreibtisch stehen und sah ihn an. Dabei versuchte sie, den Impuls zu unterdrücken, sein Aussehen in allen Einzelheiten zu registrieren, scheiterte jedoch kläglichst.

Blake Webber hatte leicht welliges braunes Haar und dunkelgrüne Augen, in denen in diesem Augenblick ein verführerisches Funkeln lag. Sein Mund war sinnlich und schien fortwährend von einem Lächeln umspielt, als wollte er absichtlich die Fantasien jeder Frau wecken. Welche Frau dachte wohl nicht bei diesem Anblick daran, was dieser Mund alles konnte?

Immerhin passierte es sogar ihr, obwohl sie eigentlich dagegen immun sein sollte.

Und als wäre das noch nicht genug, hatte er auch noch den knackigsten Po, den sie je gesehen hatte. Außerdem war er groß, sehr gut gebaut und legte eine Lässigkeit an den Tag, die eine gehörige Portion Selbstbewusstsein signalisierte. Er stammte aus einer sehr reichen Familie, hatte sein Leben lang Privilegien genossen, von denen andere nur träumen konnten, und genau diese Aura umgab ihn auch.

Auf Savannah hatten Männer wie Blake Webber alle dieselbe Wirkung: Ihre Selbstschutzmechanismen gingen in Alarmbereitschaft. Sie war im Alter von sechs Jahren verwaist, als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen. Da sie keine näheren Verwandten gehabt hatte, war sie von einer Pflegefamilie zur nächsten gezogen. Sie hatte sich gefühlt wie ein Stück Ramsch, das jeder schnellstmöglich wieder loswerden wollte.

Wusste Blake überhaupt, was für ein Glück er hatte? Hatte er eine Ahnung davon, wie privilegiert er war? Wohl kaum. Soweit sie es mitbekommen hatte, genoss er es, das schwarze Schaf der Familie zu spielen. Und das Schlimmste daran war, dass Blake so tat, als wäre das Leben ein Kinderspiel. Er hatte beachtliches Talent als Journalist, das musste sie zugeben, aber diese Tatsache machte ihn ihr nicht unbedingt sympathischer.

„Komm schon, Vannah“, sagte er und benutzte absichtlich die Kurzform ihres Namens, weil er wusste, wie sehr er sie damit auf die Palme brachte. Niemand sonst beim „Chicago Phoenix“, traute sich, sie Vannah zu nennen, und die damit angedeutete Vertrautheit machte sie wütend. „Das wird eine Superstory.“

Daran zweifelte sie nicht eine Minute. Blake Webber verschwendete seine Zeit nicht an irgendetwas, das keine Chance auf die Titelseite hatte. Und er musste wirklich in der Bredouille sitzen, wenn er ihre Hilfe brauchte. Sie um einen Gefallen zu bitten kam bei ihm einer echten Verzweiflungstat gleich.

Trotzdem wollte sie unter keinen Umständen mit ihm an einer Story arbeiten, Titelseite hin oder her. Sie musste keinen Psychologen befragen, um zu erkennen, dass die Folgen katastrophal wären. Ein verlängertes Wochenende bei einem Sex-Workshop mit Blake Webber? Mit dem einzigen Mann, dem sie nie und nimmer widerstehen könnte? Mit dem Mann, um den all ihre heimlichen Fantasien kreisten? Vor ihrem geistigen Auge sah sie Blake und sich nackt und eng umschlungen, und sofort bekam sie Lust auf ihn.

„Vergiss es, Blake. Frag eine andere.“ Sie drehte sich um und setzte sich an ihren Schreibtisch.

„Ich will aber niemand anderen fragen, sondern bitte dich, mit mir zu kommen.“

Als sie ihn erneut ansah, hatte sein Gesicht einen seltsam ernsten Ausdruck angenommen. Das war untypisch für ihn und irritierte sie.

„Ich fasse nicht, dass du es nicht mal in Erwägung ziehst“, fuhr er fort. „Ich dachte, du wärst begeistert, wenn ich dir anbiete, bei der Story mitzumachen.“

Savannah stieß einen kurzen verächtlichen Laut aus. „Wie ich dir bereits sagte: Lass das Denken. Es schadet deiner zarten Gemütsverfassung, Webber.“

Er murmelte etwas, das sich verdächtig nach „Klugscheißerin“ anhörte, doch sicher war sie sich nicht.

Eigentlich hatte er ja recht. Bei jedem anderen Kollegen hätte Savannah ohne Zögern zugesagt. Außerdem hatte sie in den letzten Wochen selbst schon mit dem Gedanken gespielt, einen Artikel über Tantra-Workshops zu schreiben. Sie fand es beinahe unheimlich, dass sie beide dieselbe Idee gehabt hatten, und das nicht zum ersten Mal. Aber sie würde ihm die Lorbeeren überlassen, was ausgesprochen selten vorkam. Sonst setzte sie nämlich alles daran, ihm seinen Rang als Topjournalist abzulaufen.

„Du weißt gar nicht, was das ist, oder?“, fragte er mit einem frechen Grinsen.

Savannah hätte ihn am liebsten geohrfeigt. Nun beugte er sich zu allem Überfluss auch noch seitlich über ihren Schreibtisch. „Was was ist?“, entgegnete sie. „Sex?“ Sie verdrehte die Augen und schaltete ihren Laptop ein, um Blake nicht mehr ansehen zu müssen. „Nun, vielleicht verfüge ich nicht über so umfassende praktische Erfahrung wie du. Ich schätze, du hältst die Damenwelt reichlich auf Trab. Aber gänzlich unbedarft bin ich nicht, falls du das meinst. Ich weiß, was Sex ist.“

Allerdings lag ihre letzte praktische Erfahrung eine ganze Weile zurück. Bei zwölf bis vierzehn Stunden Arbeit täglich blieb nicht viel Zeit für Romantik übrig. Und seit Gibson Lyles III. hielt Savannah ohnehin nicht mehr viel von Romantik und von Männern schon gar nicht. Sie seufzte. Männer kosteten entschieden zu viele Nerven für das bisschen Spaß, das man mit ihnen haben konnte.

„Ich meine nicht einfach Sex“, sagte Blake. „Ich meine tantrischen Sex. Was weißt du darüber?“

Savannah klickte sich ins Internet ein, um sich endlich ihren Recherchen zu widmen. „Einiges. Es geht um die perfekte Verbindung von Yoga, Ritualen, Meditation und Geschlechtsverkehr.“ Er sah zunächst erstaunt, dann beeindruckt aus. „Sehr gut. Du bist die ideale Co-Autorin, begreifst du das nicht?“

„Mag sein, aber ich mache trotzdem nicht mit. Und jetzt muss ich arbeiten, also lass mich in Ruhe.“

Sie strich sich das Haar hinter die Ohren und tat so, als wäre er gar nicht mehr da. Doch ihn zu ignorieren war nicht leicht, denn da war dieses seltsame Kribbeln, das sie jedes Mal in seiner Nähe verspürte. Warum fühlte sie sich zu einem Mann hingezogen, den sie nicht ausstehen konnte? „Lass mich in Ruhe“, wiederholte sie wütend.

Blake betrachtete sie, und schon wieder erschien dieses gefährliche Funkeln in seinen Augen. „Verstehe. Du hast Angst.“

„Wovor sollte ich wohl Angst haben?“

„Vor mir, wie es aussieht. Ein anderer Grund fällt mir zumindest nicht ein, weshalb du dir eine Story wie die hier durch die Lappen gehen lässt. Immerhin scheinst du dich selbst schon mit dem Thema befasst zu haben.“

„Oh, du hast mich erwischt. Gute Arbeit, Columbo. Aber bilde dir bloß nichts ein. Ich habe keine Angst vor dir“, erwiderte sie und rang sich ein spöttisches Lachen ab. „Ich kenne Typen wie dich. Nichts an dir kann mir Angst einjagen.“ Einen Moment lang rechnete sie damit, für diese Lüge mit einem Blitzschlag bestraft zu werden. Glücklicherweise geschah nichts dergleichen.

Blake schwieg eine Weile, bevor er fragte: „Willst du es dir nicht noch mal überlegen?“

„Nein.“

„Ich will die Story und brauche dich dafür. Zwing mich also bitte nicht, mit harten Bandagen zu kämpfen.“

„Kämpf meinetwegen, womit du willst, Blake, aber mich kriegst du nicht dazu, deine absurden Spielchen mitzumachen. Ich bin schließlich keine deiner Verehrerinnen aus der Nachrichtenredaktion. Und jetzt lass mich endlich in Ruhe arbeiten.“

Er sah wirklich enttäuscht aus, als er sich schließlich abwandte. Wahrscheinlich ging er jetzt eine andere Kollegin überreden. Wenigstens war sie ihn los, auch wenn ein Teil von ihr ehrlich bedauerte, dass ihr die Story jetzt entging.

Doch selbst wenn sie gewollt hätte, konnte sie unmöglich mit an dem Artikel arbeiten. Sie war im Moment hoffnungslos überlastet. Chapman, ihr tyrannischer Boss, war derzeit schlecht auf sie zu sprechen und verdonnerte sie dazu, laufend kleine nichts sagende Artikel zu schreiben.

Der Zwist mit Chapman gründete in einer Verleumdungsklage, die der „Chicago Phoenix“ sich mit einem von Savannahs Artikeln eingehandelt hatte. Trotz massiver Drohungen war Savannah bei ihrer Geschichte geblieben, weigerte sich jedoch, ihren Informanten preiszugeben. Sämtliche Einschüchterungsversuche Chapmans, einschließlich angedrohter Kündigung, waren bei Savannah vergebens gewesen. Wenn sie ihre Quelle nannte, war ihre Glaubwürdigkeit dahin, was das Ende ihrer Karriere bedeuten würde. Also schwieg sie.

Außerdem hielt sie es schlicht für unanständig, ihren Informanten zu verraten. Sie hatte jemandem ihr Wort gegeben und stand dazu. Und wofür beschäftigte die Zeitung ihre Spitzenanwälte? Sollten die sich doch darum kümmern. Savannah hatte nichts als ihre Arbeit gemacht, und das so gut wie möglich. Sie war nicht bereit, Fehler einzugestehen, die sie nicht begangen hatte. Eher ließ sie sich vor die Tür setzen.

Savannah war durch eine harte Schule gegangen. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag war sie auf sich gestellt gewesen, hatte sich das College selbst finanziert, indem sie nebenher drei Jobs machte, von denen einer schlimmer als der andere gewesen war. Falls Hugh Chapman jetzt also annehmen sollte, er erniedrigte sie, indem er sie zu einem Artikel über das neue Einkaufszentrum verdonnerte, hatte er sich geirrt. Savannah hatte genug Rückgrat, um noch ganz anderes wegzustecken, was ihr übellauniger Boss ihr auftischen konnte.

Aber was konnte Blake mit „mit harten Bandagen“ gemeint haben? Savannah hatte plötzlich ein ganz ungutes Gefühl, als sie daran dachte.

Nein, sie mochte ziemlich abgehärtet sein, aber gewiss nicht genug, um einen Sex-Workshop mit Blake Webber ohne fatale Folgen zu überstehen.

2. KAPITEL

„Ich denke, ich bin da einer richtig guten Story auf der Spur. Und ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass die ‚Chicage Tribüne‘ ihre Leute auch schon darauf angesetzt hat.“

Blake wusste, welche Wirkung die Erwähnung des Konkurrenzblattes auf Hugh Chapman hatte.

„Was Sie nicht sagen“, grummelte der Chefredakteur.

Chapman war genauso groß wie breit, hatte einen teigig blassen Teint, hervorstehende, wässrig blaue Augen und eine Knollennase. Er erinnerte Blake an einen fettleibigen Albino-Guppy, nur dass Hugh Chapman kein harmloser Fisch war. Er war seit Jahren im Zeitungsgeschäft und so berechnend und gerissen, wie Blake es noch bei keinem Mann zuvor gesehen hatte. Glaubte man den Gerüchten, war Chapman auch dafür bekannt, extrem nachtragend zu sein.

Mit diesem Mann spielte man nicht. Andererseits hatte Blake es bereits auf die anständige Tour versucht und damit keinen Erfolg gehabt. Da Savannah nicht freiwillig mitmachen wollte, musste er sich eben eine andere Taktik ausdenken – auch wenn sein Gewissen ihm sagte, dass es falsch war. Und falls er Chapman richtig einschätzte, würde Savannah es in wenigen Minuten bitter bereuen, ihn abgewiesen zu haben.

„Tja, ich würde der ‚Tribüne‘ ja gern zuvorkommen, aber dafür brauche ich eine Kollegin, die sich als meine Partnerin ausgibt. Schade, dass Savannah sich nicht für diese Geschichte interessiert“, fuhr Blake fort. „Na ja, ohne sie ist die Story wohl geplatzt. So ist es halt: Mal gewinnt man, mal verliert man. Ich bin sicher, bei der nächsten großen Sache werden wir wieder die Ersten sein.“ Demonstrativ schlug er die Hände auf die Oberschenkel und stand auf.

„Rufen Sie sie herein“, befahl Chapman streng.

Blake blickte ihn betont ahnungslos an. „Wie bitte?“

„Ich sagte, rufen Sie sie herein. Sie wollen sie dabeihaben, also werde ich dafür sorgen, dass sie Sie begleitet. Sie bewegt sich momentan auf zu dünnem Eis, um einen Auftrag abzulehnen.“

„Sir, ich weiß nicht“, wandte Blake ein. „Ich wollte nicht…“

„Webber, tun Sie, was ich Ihnen sage“, unterbrach Chapman ihn gereizt.

„Ja, Sir.“ Blake ging zur Glastür, öffnete sie und rief: „Savannah, Mr. Chapman möchte dich sprechen.“

Savannahs Kopf tauchte hinter der halbhohen Trennwand auf. Sie schien sofort Unheil zu wittern, denn ihre Augen sprühten förmlich Funken, und sie kniff die Lippen zusammen. Mit kleinen, hastigen Schritten kam sie auf ihn zu.

„Ich habe dich gewarnt“, flüsterte Blake ihr zu, als sie vor ihm stand.

„Wenn du das getan hast, was ich glaube, wird es dir noch sehr, sehr leidtun“, zischte sie lächelnd zurück. „Ich werde deinen ‚Lichtstab‘ vernichten.“

Blake hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen, als sie an ihm vorbei in Chapmans Büro rauschte. Im traditionellen Tantra benutzte man das Sanskritwort Ungarn für das männliche Geschlechtsteil, was übersetzt so viel wie „Lichtstab“ bedeutete. Sie kannte sich also aus! Sein Instinkt war richtig gewesen, sie für diesen Job auszuwählen. Sosehr sie ihm auch auf die Nerven ging, Savannah Reeves war eine Spitzenjournalisten. Was sie machte, machte sie gründlich.

„Sie wollten mich sprechen, Sir“, sagte sie.

Blake stellte sich neben sie, während Savannah tat, als gäbe es ihn überhaupt nicht. Als er sah, mit welchem bitterbösen Blick Chapman sie musterte, meldete sich prompt sein schlechtes Gewissen zurück. Was hatte Chapman gesagt? Sie bewegte sich auf dünnem Eis? Warum?

„Wie ich höre, hat Blake Sie gebeten, ihn bei einer Recherche zu unterstützen, was Sie ablehnten“, begann Chapman frostig.

Sie nickte. „Ja, Sir, das stimmt.“

„Ich werde Sie nicht nach dem Grund fragen, denn der interessiert mich nicht. Sie werden an der Story mitarbeiten, verstanden?“

Savannah versuchte zu protestieren. „Aber, Sir, ich …“

„Kein Aber.“ Chapman warf Blake einen kurzen Blick zu. „Es kommt Ihnen nicht zu, mir zu widersprechen.“

Obwohl sie offensichtlich genau das vorgehabt hatte, gab Savannah klein bei. „Natürlich nicht, Sir“, sagte sie leise.

Blake war erstaunt. Was ging hier vor? Wie hatte Savannah es fertig gebracht, dass ihr Name ganz oben auf Chapmans Abschussliste stand? Was konnte sie bloß verbrochen haben?

„Dann haben wir uns also verstanden“, sagte Chapman. „Sie, Blake, lassen Rowena alle Formalitäten erledigen. Und Sie beide sollten sich zusammensetzen und besprechen, wie Sie die Sache angehen wollen.“

Blake lächelte. „Machen wir, Sir. Vielen Dank.“

Savannah ging stumm aus dem Büro. Nein, sie rannte, sodass Blake ebenfalls rennen musste, um sie einzuholen.

„Was war denn da los?“, fragte Blake.

„Das geht dich überhaupt nichts an.“ Savannah schüttelte den Kopf. „Ich fasse es nicht, dass du tatsächlich zu Chapman gegangen bist. Ich wusste ja immer, was für ein verwöhnter, arroganter Schnösel du bist, doch dass du so tief sinken würdest, hätte ich nicht gedacht.“

Blake freute sich nicht direkt über den „verwöhnten, arroganten Schnösel“, aber darauf wollte er im Moment nicht näher eingehen. „Falls du es nicht bemerkt haben solltest“, sagte er, als er ihr wieder einmal zu ihrem Schreibtisch gefolgt war, „geht uns alles etwas an. Wir sind Journalisten, da gehört es zu unserem Job. Außerdem hatte ich dir Gelegenheit gegeben, von dir aus das Richtige zu tun.“

Savannah warf ihm einen eisigen Blick zu. „Falsch. Du hattest mir Gelegenheit gegeben zu tun, was du willst.“ Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, woraufhin es noch zerzauster aussah als ohnehin schon. Dann atmete sie tief durch. „Ist dir jemals der Gedanke gekommen, ich könnte Pläne fürs Wochenende haben? Vielleicht hatte ich etwas anderes vor, als mit dir nach Kalifornien zu jetten.“

Blake war auf Beschimpfungen vorbereitet gewesen, aber nicht auf das hier. Er war sprachlos.

„Dachte ich mir“, sagte sie und setzte sich auf ihren Stuhl. „Ihr reichen Internatszöglinge seid doch alle gleich. Blake Webber, gewöhn dich langsam an die Tatsache, dass du nicht der Nabel der Welt bist! Das Fußvolk hat nämlich auch Anspruch auf ein Privatleben.“

Fußvolk? Blake wurde rot. Er hatte tatsächlich keine Sekunde darüber nachgedacht, dass sie an diesem Wochenende etwas vorhaben könnte. Er war einfach davon ausgegangen, sie würde ihr Privatleben genauso dem Beruf opfern wie er. „Hör mal, es tut mir leid, wenn ich deine Pläne durchkreuzt habe. Das wollte ich nicht.“

„Hast du nicht, da ich keine Pläne hatte“, entgegnete sie knapp, wandte sich ihrem Bildschirm zu und tat so, als wäre Blake gar nicht da.

Er sah sie verwundert an. „Aber wenn du nichts vorhattest, warum bist du dann so sauer?“

„Ich hätte etwas vorhaben können. Darum geht es.“

Blake gab auf. „Na gut. Wann wollen wir unsere Vorbesprechung machen?“

„Nie.“

„Vannah!“, mahnte er sie.

„Savannah“, verbesserte sie ihn. „Die Details können wir auf dem Flug besprechen. Bis dahin lässt du mich bitte in Ruhe.“

„Was soll das?“

Savannah sah ihn an. „Die Schlacht hast du gewonnen, aber den Krieg noch lange nicht. Ich will nicht mehr mit dir reden, und solltest du mir wieder in Quere kommen, darfst du allein nach Kalifornien fliegen, egal, was Chapman befiehlt.“

Blake war noch keiner Frau begegnet, die ihn so in Rage bringen konnte. Ihm fielen tausend Dinge ein, die er ihr sagen wollte, doch er ließ es besser nicht drauf ankommen. Die Story war ihm zu wichtig, um sie zu vermasseln, indem er Savannah provozierte.

Widerwillig nickte er kurz und ging.

Savannah hatte im Stillen gehofft, Blake würde etwas sagen und ihr damit einen Grund liefern, die Sache doch noch abzulehnen. Stattdessen nahm er ihre Drohung ernst und sprach sie kein einziges Mal an, bevor sie zusammen ins Flugzeug stiegen. Seitdem tat er so, als wäre nichts gewesen.

Typisch Mann. Probleme, die man nicht lösen konnte, ignorierte man eben.

Um fünf Uhr morgens waren sie aus Chicago abgeflogen und sollten gegen halb zehn in Sacramento landen. Am Flughafen wartete ein Mietwagen auf sie, mit dem sie zum fünfzig Meilen entfernten Riverdale fahren würden. Wenn alles glatt ging, würden sie zeitig genug ankommen, um sich vor dem Begrüßungsbrunch noch frisch zu machen. Der Kurs begann um zwei Uhr nachmittags.

Savannah wurde es mulmig, wenn sie daran dachte, was sie erwartete. Außerdem war sie unglaublich wütend. Dass Chapman sie so erniedrigt hatte, würde sie gewiss nicht allzu schnell verwinden. Andererseits war sie überrascht, weil sie viel früher damit gerechnet hatte, von ihm vor den Kollegen bloßgestellt zu werden. Vielleicht hatten die Anwälte ihm geratendes nicht zu tun. Dabei war Chapman ein Mensch, der sich im Unglück anderer suhlte. Sie hatte ihn von Anfang an nicht ausstehen können. Dass er sich auf Blakes Seite stellte, wunderte sie nicht. Blake Webber war schließlich der Goldjunge mit Freunden und Bekannten in den obersten Kreisen.

Andererseits wäre sie verrückt gewesen, eine Stelle beim „Chicago Phoenix“, einer der renommiertesten Zeitungen der USA, abzulehnen. Sie wollte Karriere machen, da konnte selbst der widerlichste Vorgesetzte sie nicht bremsen. Zwar würde Chapman ihr bestimmt kein berauschendes Zeugnis ausstellen, aber ihre Artikel sprachen für sich.

Was Blake betraf, war sie nach wie vor fassungslos, dass er ein Nein von ihr nicht akzeptierte. Er hatte ja keine Ahnung, in welche Lage er sie damit brachte. In dem Augenblick, als er ihr die gemeinsame Arbeit an dieser Story vorschlug, hatten bei ihr sämtliche Alarmglocken geschrillt.

Einen Sex-Workshop mit ihm mitzumachen war der helle Wahnsinn. Savannah machte sich nichts vor. Sollte Blake Webber sie auch nur berühren, würde sie auf der Stelle dahinschmelzen, und dann wüsste er, was sie ihm seit über einem Jahr verheimlichte – dass sie verrückt nach ihm war.

Savannah hätte heulen können vor Wut. Warum war sie nur in diesen Flieger gestiegen? Warum war sie nicht zu Hause geblieben? Lieber wollte sie ihre Wohnung putzen, ihre Pflanzen begießen und ihre Konserven sortieren, statt hier neben Blake zu sitzen. Ja, alles wäre ihr lieber gewesen als das.

Obwohl sie sich redliche Mühe gab, Blake nicht zu beachten, reagierte jede Faser ihres Körpers auf seine Nähe. Sie spürte seine Wärme, atmete den Duft seines Aftershaves ein. Der Mann zog sie magnetisch an. Sie warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, und sogleich fühlte sie eine Welle sinnlichen Verlangens, die sie von Kopf bis Fuß durchflutete.

In ihrer Fantasie erschienen die wildesten Bilder, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzustöhnen. Wieso musste Blake auch so umwerfend gut aussehen? Es war ein Fehler, einem Mann wie ihm zu verfallen. Und dennoch hatte es bei ihr gleich bei ihrer ersten Begegnung vor einem guten Jahr gefunkt. Dass er den Mund aufmachte war gewissermaßen ihre Rettung gewesen.

Ihre Erfahrungen mit Gibson Lyles III. hatte sie gelehrt, Söhne reicher Eltern am Tonfall zu erkennen. Natürlich hatte es auch andere Anzeichen gegeben, wie beispielsweise seine Kleidung, aber auf die hatte sie gar nicht geachtet, weil sie so überwältigt gewesen war. Eine Minute später jedenfalls hatte sie seinen Namen ihrer Nie-im-Leben-Liste hinzugefügt.

Seitdem war sie ganz wild darauf, Fehler an ihm zu entdecken, hatte kleine Schwächen aufgebauscht und es sich ausdrücklich verboten, ihn zu mögen.

Savannah wusste, was passierte, wenn Söhne ihren reichen Eltern ein armes Waisenkind als Freundin präsentierten. Man schickte den Spross nach Europa, wo er so lange bleiben musste, bis er sich seine unpassende Freundin aus dem Kopf geschlagen hatte.

Savannah hatte ihre Lektion gelernt und war nicht erpicht darauf, denselben Fehler ein zweites Mal zu begehen.

Warum hatte Blake ausgerechnet sie für diesen Artikel gewollt? Es gab schließlich genügend andere Frauen in der Redaktion, die nicht weniger geeignet gewesen wären.

Sie mochte gar nicht daran denken, was er ihr abverlangte. All das Gerede über Sex, das gemeinsame Zimmer und seine ständige Nähe reichten, um sie schon jetzt halb wahnsinnig zu machen. Wie konnte sie bei einem Sex-Workshop verheimlichen, was in ihr vorging?

Sie wusste, dass sie außer Stande sein würde, ihm zu widerstehen. Wenn er sie auch nur mit dem Finger antippte, wäre sie verloren. Und bei dem Workshop musste er noch ganz andere Dinge mit ihr tun.

Savannah kannte sich mit den Grundlagen des tantrischen Sex’ aus. Sie hatte genug gelesen, um zu wissen, welche Rolle dem Mann und welche der Frau zukam. Es ging dabei um Intimmassagen, langes Vorspiel und Rituale. Und das war erst die Spitze des Eisbergs.

Tantriker glaubten, dass jeder Mensch sieben Chakras oder Energiezentren besaß – und dass diese Chakras durch traumatische Erlebnisse blockiert sein konnten. Sobald man aber die Blockaden überwand, wurden die Energien freigesetzt. Vereinten sich Mann und Frau dann, wurden auch die Energien eins, und Sex wurde zu einem spirituellen Erlebnis.

Nahm irgendjemand diesen Unsinn ernst? Allein die fragwürdige Sprache widersprach jeglicher Vernunft. Da hieß der Penis Lingam oder „Lichtstab“ und die Vagina „Yoni“, was so viel bedeutete wie „heiliger Ort“.

Das war einfach zu lächerlich.

Wer konnte seinem Partner ins Gesicht sehen und solchen Unsinn reden, ohne einen Kicheranfall zu bekommen? Savannah ganz gewiss nicht. Sie konnte sich schwerlich vorstellen, wie sie zu einem Mann sagte: „Willkommen in meinem heiligen Raum. Erleuchte mich, Liebster, mit deinem Lichtstab!“

Sie wusste zwar nicht, wie Blake zu diesem Quatsch stand, aber für sie war es ausgemachter Blödsinn. Sie mochte wilden, heißen Sex, und dafür brauchte sie keine blumigen Wortgebilde. Was war nur aus dem guten altmodischen Quickie geworden?

Die Recherche setzte natürlich voraus, dass sie die Sache möglichst unvoreingenommen anging. Trotzdem glaubte sie nicht, dass ein paar Singsangübungen und ein bisschen Massage Sex zu einem spirituellen Erlebnis für sie machen konnten. Andere mochten dem etwas abgewinnen können, sie nicht.

Blake tippte sie an. „Möchtest du etwas zu trinken?“

Savannah erschrak und blickte auf. Die Stewardess stand mit dem Servierwagen neben ihnen. „Ach so, ja, ich hätte gern ein Wasser.“

„Für mich bitte auch“, sagte Blake und lächelte charmant. „Und ich hätte gern noch ein paar Erdnüsse, falls Sie welche haben.“

Die Stewardess errötete und reichte ihm eine Tüte Erdnüsse. Savannah traute ihren Augen kaum. Und da sagte man immer, Frauen setzten ihre Reize rücksichtslos ein! Männer hingegen durften ihren Charme nach Lust und Laune versprühen.

„Du auch?“, fragte Blake und hielt ihr die Tüte hin.

„Nein danke.“

„Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?“, fragte er.

Savannah schob den Strohhalm in ihre Wasserflasche. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Natürlich weißt du das. Die Temperatur um deinen Sitz fällt gerade unter den Gefrierpunkt, dabei schien bis eben noch alles halbwegs normal. Keine falsche Scheu. Du darfst mir offen sagen, was ich nun wieder ausgefressen habe.“

Savannah hatte Mühe, nicht zu lächeln, als sie antwortete: „Du atmest.“

Blake lachte und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Dabei streifte sein Arm ihren, woraufhin ihr schlagartig heiß wurde. Sie schloss die Augen und atmete einmal tief durch.

„Tja, ich bekenne mich schuldig. Ich werde allerdings keine Besserung geloben, denn Atmen bekommt meiner Gesundheit ausgezeichnet.“

„Mich in Ruhe zu lassen ebenfalls“, konterte Savannah.

„Wie lange willst du eigentlich noch schmollen?“

„Ich weiß nicht. Kommt drauf an, wie lange ich mit dir Zusammenarbeiten muss.“

„Du musst aber wenigstens zugeben, dass die Story ein Knüller werden kann. Und davon profitieren wir beide.“

Er hatte recht. Im Grunde konnte sie froh sein, endlich mal wieder an einer interessanten Geschichte dran zu sein. „Ich habe kein Problem damit, das zuzugeben. Mich stört lediglich die Art, wie du mich für diese Story gewonnen hast. Ich schätze es nämlich nicht, von dir als Sprosse deiner Karriereleiter benutzt zu werden.“

Blake rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her, schüttete sich die letzten Erdnüsse in die Hand und trank einen Schluck Wasser, bevor er antwortete. „Tut mir leid“, murmelte er schließlich.

Savannah sah ihn an. „Wie bitte?“

„Ich sagte, es tut mir leid“, wiederholte er ein wenig lauter.

Sie legte sich eine Hand ans Ohr und tat, als hätte sie ihn immer noch nicht verstanden. „Entschuldige, was hast du gesagt?“

„Ich sagte, dass es mir leidtut!“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Blake Webber war offensichtlich nicht daran gewöhnt, sich für irgendetwas entschuldigen zu müssen. „Ich hätte nicht zu Chapman gehen dürfen, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich wollte die Story haben und brauchte dich dafür.“

„Warum ausgerechnet mich?“, fragte sie ruhig. „Du hättest doch auch Claire oder Whitney fragen können.“

„Weil ich …“, begann er, brachte den Satz jedoch nicht zu Ende.

„Weil du was?“, hakte sie nach.

Er atmete tief durch, ehe er antwortete: „Weil ich keine Frau dabeihaben wollte, die mich womöglich attraktiv findet – oder ich sie.“

Savannah war viel zu perplex, um gekränkt zu sein. Selbst als ihr klar wurde, was er da gesagt hatte, brachte sie immerhin noch ein Schmunzeln zu Stande. „Bist du unwiderstehlich?“

„Für dich wohl kaum“, antwortete er und wurde rot. „Du wirst keine Schwierigkeiten damit haben, mir zu widerstehen. Um nicht zu sagen, du hast nichts unversucht gelassen, mir zu beweisen, wie gut du mir widerstehen kannst. Also warst du die ideale Partnerin. Ich brauche jemanden, der bei der Sache bleibt. Und du weißt genauso gut wie ich, dass jede andere Frau mein Angebot als Verführungsversuch gedeutet hätte. Während du bestimmt nicht auf diese Idee gekommen bist, oder?“

Savannah hätte ihm gern eine bissige Bemerkung entgegengeschleudert, aber ihr wollte keine einfallen. Er hatte schon wieder recht. Ihr war keine Sekunde der Gedanke gekommen, er wollte sie womöglich verführen – weil sie zu sehr mit der Frage beschäftigt war, wie sie es vermeiden wollte, ihn zu verführen.

Ihr war klar, dass er an ihr als Frau kein Interesse hatte. Sie hatte schließlich hart daran gearbeitet, ihre kollegiale Beziehung so frostig wie irgend möglich zu gestalten. Leider freute sie sich in diesem Moment kein bisschen über ihren Erfolg. Er hatte sie ausgesucht, weil er sie nicht attraktiv fand und sie ihn glauben gemacht hatte, sie ihn auch nicht.

Ironie des Schicksals! Sie hatte ganze Arbeit geleistet und wurde dafür nun mit diesem Albtraum belohnt.

„Können wir jetzt vielleicht das Kriegsbeil begraben und endlich Zusammenarbeiten?“, fragte er.

Savannah seufzte theatralisch. „Na gut, aber nur so lange, wie du mir mit deinem Lichtstab nicht zu nahe kommst.“

Blake schenkte ihr ein Lächeln, das jede Frau ihren Verstand verlieren ließ – einschließlich Savannah. „Treffen wir ein Abkommen: Ich zeig dir meinen nicht, wenn du mir deinen nicht zeigst.“

„Klingt annehmbar, zumal ich gar keinen Lichtstab besitze. Abgemacht.“

Er lachte. „Abgemacht.“

3. KAPITEL

„Können wir jetzt über unsere Tarnung als Rat suchendes Ehepaar sprechen?“, fragte Blake, als er mit dem Mietwagen auf die Stadtautobahn einbog.

Er hätte lieber im Flugzeug alle Einzelheiten geklärt, wo er nicht mit Savannah allein gewesen war. Aber sie hatte nach seiner Entschuldigung so getan, als schliefe sie. Mit ihr im Auto befürchtete er, sie würde sich furiengleich auf ihn stürzen, wenn er ihr erzählte, welche Geschichte er sich für sie ausgedacht hatte. Als er das Anmeldeformular ausfüllte, war er wütend auf sie gewesen, was sich ziemlich deutlich in den Angaben niederschlug. Ihm graute davor, ihr mitzuteilen, welche sexuellen Defizite er „seiner Frau“ angedichtet hatte.

Sie würde ihn umbringen.

Savannah holte ihre Sonnenbrille aus der Handtasche und setzte sie sich auf. Sie trug einen blauen Hosenanzug mit ärmellosem Oberteil, der perfekt zu ihrer Augenfarbe passte und ihre Figur sehr vorteilhaft betonte. Ihr Lippenstift war seit dem Frühstück im Flugzeug weggewischt, und sie hatte ihre Lippen nicht neu angemalt. Irgendwie fand er das erfrischend natürlich und sympathisch.

Er überlegte noch, wie viel er ihr verraten musste, als sie sagte: „Na, dann schieß mal los. Wer sind wir?“

Er schluckte. „Wir sind als Mr. und Mrs. Blake Weston angemeldet. Dein Vorname ist Barbie. Wir hatten in letzter Zeit ein bisschen …“

„Barbie!“, wiederholte sie empört.

Blake zuckte zusammen. „Stimmt.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn wütend an. „Und warum ist mein Vorname Barbie?“

Blake suchte verzweifelt nach einer halbwegs plausiblen Lüge, aber ihm wollte keine einfallen. „Weil ich sauer auf dich war und wusste, dass du bei dem Namen an die Decke gehst. Eine blöde Idee, das gebe ich zu, und ich bereue es auch. Aber ich kann schlecht den Leuten dort sagen, beim Ausfüllen der Anmeldung wäre mir dein Name nicht eingefallen. Das könnte ein bisschen komisch aussehen.“

Savannah sah nicht aus, als wäre sie mit der Antwort zufrieden. „Eine blöde Idee nennst du das, ja? Gibt es sonst noch etwas, was du über mich angegeben hast, weil du sauer auf mich warst?“

Er verzog das Gesicht, antwortete aber nicht.

„Blake, raus damit!“, forderte sie streng.

Er blickte sich zunächst um, ob der rechte Standstreifen frei war. Falls sie gleich auf ihn losging, wollte er wenigstens keine unschuldigen Dritten in Gefahr bringen. „Na ja, ich musste ja einen Grund angeben, weshalb wir an so einen Workshop teilnehmen wollen. Und ich denke, sie könnten meine Begründung so auslegen, dass du frigide bist, also keinen Orgasmus bekommen kannst.“

Er hörte sie entsetzt nach Luft schnappen und machte sich darauf gefasst, dass sie ihn jeden Moment ohrfeigen würde.

„Tja, das dürfte ziemlich glaubwürdig wirken, wenn ich ihnen erzähle, dass du oft impotent bist und unter verfrühtem Samenerguss leidest.“

Blake wand sich innerlich vor verletzter Eitelkeit. „Also … das ist nun wirklich nicht nötig“, entgegnete er heiser. „Es reicht vollkommen, wenn einer von uns vorgibt, Probleme im Bett zu haben.“ Er fand sein Argument stichhaltig, sie aber nicht – wenn er ihr Lachen richtig interpretierte.

„Aha, und das muss selbstverständlich ich sein. Wieso konntest du denn nicht derjenige mit dem Problem sein?“

„Weil ich …“

Sie kicherte. „Weil du so ein toller Hecht bist, dass selbst ein erfundenes Bettproblem tödlich für dein männliches Ego gewesen wäre? Das ist geradezu bemitleidenswert pubertär!“ Sie lächelte. „Also erzähl weiter. Was muss ich noch wissen?“

Blake wollte sich gegen „bemitleidenswert pubertär“ wehren, hielt es unter den gegebenen Umständen allerdings für unklug. Also räusperte er sich und fuhr fort. „Wir sind seit zwei Jahren verheiratet, aber unsere Ehe leidet unter den besagten Schwierigkeiten. Also suchen wir einen Weg, wie wir unsere Beziehung erneuern und vertiefen können.“

„Indem wir meine Frigidität überwinden.“

„Richtig.“

„Und deine Impotenz.“

„Rich… Falsch!“ Er begann zu schwitzen. „Das steht nicht in unserem Anmeldeformular.“

„Weil du es ausgefüllt hast. Du glaubst doch nicht, dass ich die alleinige Schuld für unseren Frust im Schlafzimmer auf mich nehme! Du wolltest die Story, dann musst du auch bereit sein, deinen Anteil zu unserer Tarnung beizusteuern. Wenn ich frigide sein soll, dann bist du impotent, Ende.“

Sollte sie nicht damit aufhören, würde er allein durch ihre Worte impotent werden. Savannah war die streitlustigste Frau, die ihm je begegnet war. Er ermahnte sich im Stillen, nur an die Story zu denken.

„Na gut, wenn du drauf bestehst“, gab er schließlich klein bei. „Tu ich.“

„Okay.“ Er atmete einmal tief durch. „Es gibt noch ein paar andere Sachen, die wir vorher durchgehen sollten, wie unsere Berufe. Ich bin Tierarzt, und du bist meine Assistentin.“

Sie lüpfte eine Augenbraue, was entzückend aussah. „Mein Gott, du hast wirklich nichts ausgelassen.“

Lächelnd zuckte er mit den Schultern. „Irgendwie sind die Pferde mit mir durchgegangen.“

Savannah lächelte ebenfalls, diesmal jedoch ohne den zynischen Zug um die Mundwinkel, wie er ihn sonst bei ihr kannte. Der Unterschied verschlug ihm beinahe die Sprache.

„Wie dem auch sei, ich will nur hoffen, dass niemand mit einem erkrankten Haustier auftaucht, solange wir dort sind“, erwiderte sie trocken. „Ich habe nicht den geringsten Schimmer von Tieren.“

„Was denn? Hattest du nie einen Kater?“

„Nein“, antwortete sie knapp und wurde für einen Moment sehr ernst.

Blake wartete, ob sie dem noch etwas hinzufügen würde, doch sie blieb stumm. Als das Schweigen langsam beklemmend wurde, sagte er: „Sieh doch bitte mal in meine Laptoptasche, ja?“ Sie angelte die Tasche von der Rückbank und öffnete den Reißverschluss. „Wonach suche ich denn, nach deinem Viagra?“

„Nein“, sagte er schmunzelnd. „Da drin sind unsere Eheringe.“ Eine kleine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. „Eheringe?“

Blake griff hinüber und holte eine Ringschatulle hervor. „Eheringe, ganz richtig. Verheiratete Leute tragen die, und zwar in den USA am vierten Finger der linken Hand, weil sie dort dem Herzen am nächsten sind. Wie das in Indien ist, weiß ich nicht.“

„Ich bin schwer beeindruckt. Wieso kennt sich ein impotenter Junggeselle wie du mit diesen Sentimentalitäten aus?“

„Ich bin nicht impotent“, protestierte er beleidigt. „Und ich kenne mich damit aus, weil ich im vergangenen Jahr bei drei Hochzeiten Trauzeuge war.“

Savannah nickte. „Hm.“

„Was heißt hier ‚hm‘?“, fragte er und blickte sie misstrauisch an. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin überrascht, das ist alles.“

„Überrascht, weil ich Trauzeuge war?“

„Nein, überrascht, dass du drei männliche Freunde hast. Ich dachte, deine Aufmerksamkeit gilt ausschließlich dem anderen Geschlecht.“

Blake tat, als erschauerte er. „Oho, das saß!“

„Tja, was hattest du erwartet? Wir frigiden Mäuschen sind halt so.“

Lächelnd warf er ihr die Schatulle zu. „Schon gut. Streif deinen Ring über, Barbie.“

Savannah klappte den Deckel auf und betrachtete die schlichten, schmalen Goldringe. Blake beobachtete gespannt, wie sie den kleineren herausnahm. Obwohl diese Schmuckstücke nur der Tarnung dienten, hatte er sich beim Juwelier ein Tablett nach dem anderen zeigen lassen, um den perfekten Ring für Savannah zu finden. Am Ende hatte er sich für ein schlichtes Modell entschieden, weil ihm das am passendsten erschien.

Nur widerwillig steckte sie sich den Ring an und betrachtete ihre Hand. „Er ist hübsch und sitzt wie angegossen. Gratuliere, Blake. Aber offen gesagt hatte ich nicht gedacht, dass wir soweit – gehen müssten, auch noch Ringe zu tragen. Woher hast du die hier?“

Mit einem Seufzer nahm Blake seinen Ring und streifte ihn sich auf den linken Ringfinger. „Von meinem Juwelier, woher sonst?“

„Wär’s beim Pfandleiher nicht billiger gewesen?“

„Eheringe aus dem Pfandhaus bringen Unglück, und selbst unsere vorgetäuschte Ehe sollte nicht gleich unter unglücklichen Vorzeichen beginnen. Jetzt hältst du mich wahrscheinlich für abergläubisch.“

„Unglückliche Vorzeichen?“

„Naja, wäre die Ehe der ursprünglichen Besitzer glücklich, hätten sie die Ringe an ihren Fingern behalten, statt sie gegen schnelles Geld beim Pfandleiher zu verticken. Nein, gebrauchte Ringe haben ein schlechtes Karma.“

Savannah lachte und blickte ihn erstaunt an. „Du bist tatsächlich abergläubisch.“

„Wir sind da“, sagte Blake und stieß einen leisen Pfiff aus, als er auf den Parkplatz des beeindruckenden Anwesens einbog. Die weiße Fassade der Villa leuchtete im Sonnenlicht. Der Baustil erinnerte an spanische Kolonialarchitektur, mit hohen Säulen und einer durchgehenden vorderen Veranda. Türen und Fenster waren aus Mahagoni und reich mit Schnitzereien verziert. Auf den bunten Kassettenscheiben der Eingangsflügeltür war ein Sonnenaufgang zu sehen.

Blake hatte eigentlich erwartet, dass eine solche Anlage perfekt durchgestylt wäre, doch die Pflanzungen um das Haus herum wirkten, als hätte der Gärtner einfach munter drauflosgepflanzt und sich dabei wenig um klassische Gartengestaltung geschert. Es gab keine Beeteinfassungen und keine gepflasterten Wege, sondern nur jede Menge Blumen, Sträucher und hier und da einen Baum.

Julio, der Gärtner seiner Eltern, hatte ein ausgeprägtes Faible für Symmetrie und hätte bei diesem Anblick wahrscheinlich eine Herzattacke bekommen. Dennoch hatte das Chaos einen gewissen Charme.

„Nicht schlecht“, murmelte Savannah.

Blake nickte lächelnd. „Nein, wirklich nicht schlecht.“

Savannah löste ihren Sicherheitsgurt. „Bevor wir aussteigen, würde ich gern wissen, was du von tantrischem Sex hältst.“

Blake blickte sich noch einmal um, ehe er antwortete: „Nun, ich halte es für eine reichlich lukrative Methode, Leuten einen Haufen Blödsinn anzudrehen.“

„Dann dürften wir zum ersten Mal einer Meinung sein.“

Ein Wunder, dachte Blake und fragte sich, wie lange diese Übereinstimmung wohl andauern würde.

„Schnapp dir deine Tasche, Barbie. Die Show beginnt.“

Savannah drehte den Ring an ihrem Finger. Er störte sie zwar nicht, war aber ungewohnt. Und wenn sie ihn ansah, spürte sie einen seltsamen Stich in der Brustgegend. Das schlichte Design gefiel ihr ausgesprochen gut, doch sie hatte ernsthafte Zweifel, dass es in ihrem Leben jemals einen Mann geben könnte, der ihr einen solchen Ring anstecken wollte.

Blake hatte mit diesem Ring eine Schwachstelle bei ihr angesprochen – ihre Sehnsucht nach Liebe.

Bis auf die wenigen Jahre, die sie mit ihren Eltern hatte erleben dürfen, war Savannah nie geliebt worden. Natürlich hatte es in der Reihe der Pflegefamilien auch ein paar gegeben, die freundlich und fürsorglich gewesen waren, aber die meisten hatten sie nur aufgenommen, weil sie das Geld brauchten oder eine kostengünstige Haushaltshilfe wollten, und häufig beides zugleich. Sie hatten sich von Savannah bedienen lassen und sie als Gratis-Babysitter benutzt. Wirklich geliebt aber hatte sie niemand.

Vielleicht war sie deshalb so schnell auf Gib reingefallen, weil er ihr vorgaukelte, sie zu lieben. Die Ablehnung jedoch, die ihr dann vonseiten seiner Familien und auch ihm zuteilwurde, war eine unsagbar schmerzliche Erfahrung gewesen. Seither hatte Savannah sich vorgenommen, sich nur noch auf sich selbst zu verlassen, statt ihr Glück von jemand anderem abhängig zu machen.

„Wow“, sagte Blake, als sie durch die riesige Eingangshalle zu ihrem Zimmer geführt wurden.

Savannah konnte dem nur beipflichten. Die weiß getünchten Wände und hellen Dielenböden verliehen dem Inneren eine Atmosphäre strahlender Leichtigkeit.

Den Mittelpunkt ihres Zimmers bildete ein großes Himmelbett mit üppigen Brokatvorhängen. Die Kommoden, der Kleiderschrank und die Nachtschränke waren perfekt aufeinander abgestimmt. Eine kleine Essecke sowie ein wuchtiger Kamin mit mexikanischer Fliesenumrandung rundeten das Bild ab. Durch zwei große Bogenfenster fiel das Sonnenlicht in den Raum. Das ideale Ambiente für ein romantisches Wochenende, dachte Savannah.

Ihr wurde immer unwohler, als sie auf das Bett sah und sich vorstellte, wie Blake und sie sich lustvoll darauf wälzten, umgeben von Kerzenschein. Sie war beruflich hier und musste sich derlei Fantasien unbedingt aus dem Kopf schlagen.

Blake inspizierte die Schränke und ging ins Bad. Noch in der Tür stieß er einen leisen Pfiff aus. „He, komm mal her und sieh dir die Wanne an.“

Savannah hielt es für keine besonders gute Idee, mit ihm gemeinsam das Bad zu bewundern, da sie sofort daran denken musste, wie er aussähe, wäre er nackt und von Wassertropfen besprenkelt.

„Also“, sagte er, als er aus dem Bad zurückkam. „Auf welcher Seite vom Bett willst du schlafen?“

„Die Frage ist wohl eher, auf welchem Teil des Fußbodens du schläfst“, konterte sie.

Blake blickte auf den Dielenboden und rieb sich die Schläfe. Dann fragte er mit einem unverschämt charmanten Lächeln: „Habe ich eine Chance, mein grausames Schicksal abzuwenden?“

„Nein.“ Savannah hasste es zwar, prüde zu erscheinen, doch neben Blake zu schlafen konnte verheerende Folgen haben. Allein schon im selben Raum zu nächtigen war fast mehr, als sie ertragen konnte. Und da er sich, nach eigener Aussage, kein bisschen zu ihr hingezogen fühlte, wollte sie auf keinen Fall riskieren, sich lächerlich zu machen, indem sie sich im Schlaf an ihn schmiegte.

Er seufzte. „Wie Sie wünschen, Mylady. Ich schlage vor, dass wir uns jetzt auf den Weg zum Begrüßungsbrunch machen.“

Savannah nickte, und beide konnten offenbar nicht schnell genug aus dem Zimmer kommen. Sie gingen den weiten Flur hinunter zur Eingangshalle zurück, von wo der „Gemeinschaftsraum“ abging. Es war eher ein Saal als ein Raum, mit einer reichlich gedeckten Tafel in der Mitte und kleineren Sitzgruppen an den Seiten. Savannahs Magen knurrte, als sie das Essen sah.

„Bist du etwa hungrig?“, fragte Blake schmunzelnd.

„Wie ein Bär.“

„Ich hatte dir ja von meinen Erdnüssen angeboten“, erinnerte er sie.

„Und mir war nicht danach, mich an der Beute deines Charmefeldzuges zu vergreifen.“

Blake lachte. Dieses tiefe Lachen wurde allmählich zu einem echten Problem, denn Savannah spürte jedes Mal ein gefährliches Kribbeln im Bauch, wenn sie es hörte. Was Sex-Appeal anging, hatte Blake entschieden zu viel abbekommen.

„Ich habe lediglich ein bisschen geflirtet, Savannah! Das ist doch nichts Kriminelles. Sei ehrlich: Hast du noch nie mit den Wimpern geklimpert, um etwas zu erreichen?“

„Nein“, log sie unverfroren und nahm sich ein Stück Käse und ein paar Cracker.

Er lachte schon wieder. „Lügnerin.“

„Das ist etwas anderes“, entgegnete sie aus purer Widerspruchslust. „Und ich heiße Barbie, du Idiot. Oder willst du schon jetzt unsere Tarnung auffliegen lassen?“

„Schon gut“, lenkte er ein. „Ach, sieh mal an. Unsere Gastgeber sind da.“

Savannah dreht sich um und betrachtete das Paar. Die Frau und der Mann mussten ungefähr Mitte fünfzig sein. Sie trugen lange weiße Gewänder und waren barfuß. Das graue Haar der Frau fiel offen über ihre Schultern und ihren Rücken bis hinunter zu ihren Hüften. An ihren Handgelenken funkelten silberne Armbänder mit kleinen Anhängern, und um den Hals trug sie ein Lederband mit einem großen lavendelfarbenen Stein, der direkt zwischen ihren Brüsten lag. Sie schien alles zu verkörpern, was der Prospekt versprach: Gelassenheit, Harmonie und was sonst noch auf den Hochglanzseiten zu lesen gewesen war.

Der Mann strahlte eine ruhige Kraft aus. Er wirkte entspannt und selbstsicher. Beide machten den Eindruck, vollkommen in ihrer Liebe zueinander aufzugehen. Savannah wurde misstrauisch. War es möglich, dass tantrischer Sex tatsächlich all das bewirken konnte, was die Sheas in ihrer Broschüre behauptet hatten? Sie glaubte nicht daran, überlegte allerdings, ob sie eventuell doch nicht gut genug auf diese Story vorbereitet war.

Der Mann lächelte. „Willkommen, liebe Gäste. Ich bin Dr. Edgar Shea, und dies ist mein wundervolle Frau und Lebensgefährtin, Dr. Rupali Shea. Wir freuen uns, Sie hier begrüßen zu dürfen.“ Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: „Sie sind aus den unterschiedlichsten Gründen zu uns gekommen. Einige hat die Verzweiflung hergetrieben, andere sind hier, weil ihre Ehepartner sie darum gebeten haben, und wieder andere lockt pure Neugier. Was immer der individuelle Grund Ihres Kommens sein mag, wir schätzen uns glücklich, Ihnen alles beibringen zu dürfen, was wir über die Kunst tantrischer Liebe wissen. Was Sie in den nächsten Tagen lernen und erleben werden, wird zu Ihrem Besten sein und Ihr Leben verändern – sofern Sie sich den Möglichkeiten öffnen, die wir Ihnen bieten.“

„Zu Beginn“, sprach nun Rupali weiter, „möchten wir gern einen kleinen Test machen, um uns darüber klar zu werden, was Sie lernen müssen und welche Paare gesonderte Hilfe benötigen. Erschrecken Sie nicht, es handelt sich nur um einen einfachen Test. Doch zunächst wollen wir uns miteinander bekannt machen. Alle sollten dabei vollkommen offen sein. Scham und Tabus gelten hier nicht, denn nur in der Wahrheit liegt die Heilung.“

Savannah und Blake sahen sich an. Beinahe tat er ihr leid, weil er ziemlich unglücklich dreinblickte, doch dann besann sie sich wieder darauf, dass diese Geschichte allein seine Idee gewesen war. Sollte er nur vor Scham im Erdboden versinken!

Die anderen Paare schienen nicht minder verlegen, was in gewisser Weise tröstlich war. Der erste Teilnehmer, der sich vorstellte, sagte, sein Problem wäre ein chronisches Bedürfnis nach Selbstbefriedigung. Einige der Frauen gaben an, unter jenen Schwierigkeiten zu leiden, die Blake Savannah angedichtet hatte, nämlich frigide zu sein und keinen Orgasmus zu erreichen. Und diverse Männer erzählten verlegen, ihr Handicap wäre Impotenz.

Rupali strahlte in die Runde, nachdem alle sich vorgestellt hatten.

„Nun kommen wir zu unserem Test.“ Sie machte eine längere Pause. „Weiß jemand von Ihnen, welches der intimste Akt zwischen Mann und Frau ist?“, fragte sie und schwieg erneut einen Moment. „Ich bin sicher, die meisten denken dabei an Geschlechtsverkehr oder Oralsex, aber sie irren sich. Es ist der Kuss. Küssen verlangt weit mehr Vertrautheit als irgendeine andere Form der Liebesbezeugung. Und genau das wollen wir jetzt testen. Umarmen Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin, und küssen Sie sich. Edgar und ich werden Ihnen dabei zusehen.“

Savannah hörte mehrfaches Stöhnen, während Blake und sie stumm vor Entsetzen blieben. Sie sollte Blake küssen? Vor all den Leuten? Jetzt? Sie geriet in blanke Panik, und Blakes Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ging es ihm kaum besser.

Schlagartig fühlte sich ihr Mund unangenehm trocken an. Blake fasste sich als Erster, nahm sie in die Arme und flüsterte: „Guck nicht so, als hättest man dich gerade zum Tode verurteilt. Denk dran, wir sind verheiratet.“

Savannah beging den Fehler, ihm in die Augen zu sehen. Sie war verloren. „Schon gut“, hauchte sie atemlos.

„Es ist nur ein Kuss. Damit dürften wir wohl fertig werden.“

„Der Countdown läuft“, rief Rupali fröhlich. „Drei, zwei, eins – Kuss!“

Savannah schloss die Augen, als seine Lippen ihre berührten. Noch nie war sie so toll geküsst worden. Sie seufzte leise.

Wie oft hatte sie davon geträumt, in seinen Armen zu liegen und von ihm geküsst zu werden! Das reale Erlebnis war so überwältigend, dass ihre Knie weich wurden. Sie schmiegte sich dichter an ihn, und er umfasste sie noch fester, eine Hand auf ihrem Rücken, die andere auf ihrem Po. Ihr wurde unglaublich heiß.

Auf einmal schien es ihr, als wäre es im Raum verdächtig still geworden. Irritiert beendete sie den Kuss.

Edgar und Rupali strahlten sie an und zwinkerten ihnen wissend zu. „Blake und Barbie haben den Test mit glänzenden Noten bestanden. Ich denke, beim Küssen brauchen Sie beide keine Nachhilfe mehr.“

Die anderen Teilnehmer kicherten leise. Savannah wurde feuerrot und musste ihre gesamte Willenskraft aufbringen, um sich aus Blakes Umarmung zu befreien.

Sie hatte sich lächerlich gemacht! Bestimmt hatten alle gespürt, dass sie in Blake verliebt war. Sie hätte heulen können.

Da sie zeitlebens die Erfahrung gemacht hatte, dass Angriff die beste Verteidigung war, beugte sie sich vor und flüsterte Blake ins Ohr: „Beim nächsten Mal bitte weniger Zungeneinsatz, wenn’s geht. Ich weiß ja nicht, was du da hinten gesucht hast, aber meine Mandeln habe ich mir vor Jahren rausoperieren lassen.“

Sein perplexes Schweigen tat ihr ungemein gut.

4. KAPITEL

Weniger Zungeneinsatz? Blake war fassungslos. Und wütend. Während er keinen Kuss je so genossen hatte wie diesen, fiel Savannah nichts Besseres ein, als alles gleich wieder mit einer bissigen Bemerkung zunichte zu machen. Er war fasziniert gewesen, wie fantastisch sich ihre Lippen auf seinen anfühlten. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sich wirklich gewünscht, mit ihr allein zu sein, sie aufs Bett zu legen und sie wieder und wieder zu lieben.

Aber das hier war Savannah.

Zugegeben, als er sie das erste Mal gesehen hatte, war er hin und weg gewesen. Doch dann hatte sie den Mund aufgemacht und eine ihrer gefürchteten sarkastischen Bemerkungen zum Besten gegeben. Seitdem war er ihr aus dem Weg gegangen und hatte alle Gedanken an sie verdrängt.

Außerdem hatte er sie mitgenommen, weil er sicher war, nichts für sie empfinden zu können. Verdammt! Bei dem Kuss hatte er ihr zeigen wollen, wie sehr er sie begehrte. Doch wenige Sekunden später flüsterte sie ihm ihre vernichtende Kritik ins Ohr und wandte sich eiskalt ihrem Essen zu.

Blake war verwirrt und atemlos vor Erregung. Dabei hatte er doch gespürt, wie sehr der Kuss auch sie erregt hatte, aber offensichtlich fing sie sich schneller wieder als er. Schäumend vor Wut lud er sich seinen Teller am Büfett voll.

Ihn belehren zu wollen, war wirklich der Gipfel! Blake betrachtete sich als ausgesprochen aufmerksamen Liebhaber, der genau darauf achtete, was seine Partnerin wollte. Deshalb schätzte er Frauen, die ihre Bedürfnisse offen aussprachen. Schließlich konnte er keine Gedanken lesen. Und er hatte stets mit Freuden getan, worum seine Partnerinnen ihn baten.

Allerdings war es in all den Jahren niemals vorgekommen, dass ihn eine Frau wegen seiner Art zu küssen kritisierte. Nein, seine Küsse waren über jegliche Kritik erhaben. Nicht dass er von sich behaupten würde, Küssen nicht als reines Mittel zum Zweck zu benutzen – das taten beinahe alle Männer. Trotzdem hatte er den Anspruch, diesen Teil des Vorspiels so perfekt wie möglich zu gestalten.

Da konnte man doch fragen, wen man wollte: Hatte ein Mann die Wahl zwischen seiner Zunge im Mund einer Frau und seiner Hand in ihrem Slip, gewann ausnahmslos die Hand-im-Slip-Variante. Männer waren zielorientiert und suchten naturgemäß nach der kürzesten Verbindung zwischen zwei Punkten.

Zwischendurch mochten sie sich für wenige Minuten von schönen Brüsten oder einem entzückenden Bauchnabel ablenken lassen, aber das Ziel war und blieb nun mal der Platz zwischen den Schenkeln.

Und Blake war eben auch nur ein normaler Mann. Deshalb hatte er während des Kusses nur an das Eine gedacht, nämlich wie er Savannah verführen konnte. Unterdessen hatte sie überlegt, was sie an seinem Kuss auszusetzen hatte. Addierte man das zu der Tatsache hinzu, dass sie ihn nicht ausstehen konnte und er sie für diese Story ausgewählt hatte, weil er glaubte, sich nicht zu ihr hingezogen fühlen zu können, war dieses Erlebnis schlicht peinlich.

Er hatte sie mit einer Begierde geküsst, die ihn selbst überraschte, und sich damit zum Idioten gemacht. Alles mit einem Kuss, der ihr offensichtlich wenig Vergnügen bereitet hatte. Blake sah sie verstohlen von der Seite an. Savannahs Wangen waren leicht gerötet. Wahrscheinlich war es ihr unangenehm, dass er gleich beim ersten Test so übertrieben hatte. Ansonsten aber wirkte sie vollkommen gefasst. Sie knabberte an einem Cracker und blickte sich im Raum um.

Sicher war sie in Gedanken bei ihrer Story, was er ebenfalls sein sollte. Sie hatte bestimmt schon den ersten Absatz formuliert, während er sich gerade erst von seiner Hormonattacke erholte. Trotzdem würde er am Ende den Hauptteil schreiben. Schließlich war diese Geschichte seine Idee gewesen, und er hatte Savannah nur einspannen müssen, weil er die Sache unmöglich allein machen konnte – sosehr er es sich auch wünschte. Wenn der Workshop weiterging, wie er angefangen hatte, war er verloren.

„Du hast hoffentlich nicht vor, den ganzen Nachmittag zu schmollen“, sagte Savannah mit einem zufriedenen Lächeln. „Das war doch nur eine ganz kleine Kritik, die bei deinem riesigen Ego kaum größeren Schaden ausgerichtet haben dürfte.“

Blake zählte im Geiste bis drei, ehe er antwortete: „Ich schmolle nicht.“

„Und ob du schmollst! Du guckst wie jemand, der bereit ist, einen Mord zu begehen. Glaub mir, ich wollte deine Gefühle nicht verletzen.“ Sie biss ein Stück von einer kleinen Selleriestange ab. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass du welche hast.“

Aha, wenigstens bewegten sie sich jetzt wieder auf vertrautem Terrain. Blake rang sich ein möglichst überzeugendes Lächeln ab und beschloss, nicht weiter auf ihre bissige Bemerkung einzugehen.

„Also, was ist dein erster Eindruck von den Sheas?“

„Eigentlich sind sie genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte, aber irgendwie auch nicht.“ Sie überlegte einen Moment. „Ich weiß nicht, ich kann sie noch nicht richtig einordnen.“

„Ich bat dich auch nicht um eine klare Einschätzung, sondern um deinen ersten Eindruck.“

„Gibt es da einen Unterschied?“

Er nickte. „Ja, natürlich.“

„Und der wäre?“

Diese Frau konnte ihn auf die Palme bringen wie keine andere! „Nun lass die albernen Spielchen und sag mir, was du von ihnen hältst.“

Savannah war sichtlich unbeeindruckt, obwohl er sie so angefahren hatte. „Na ja, ich finde sie ziemlich überzeugend. Wäre ich wie ein ganz normaler Workshop-Teilnehmer hergekommen, weil ich dringend etwas gegen meine unglückliche Beziehung unternehmen wollte, würde ich sie wohl mögen. Sie scheinen an das zu glauben, was sie sagen.“

Im Stillen stimmte er ihr zu. Abgesehen von den affigen Togas schienen die Sheas tatsächlich eine besondere Beziehung zueinander zu haben. Und dennoch hatte er seine Zweifel.

„‚Scheinen‘ ist das Schlüsselwort.“

„Schon klar.“ Savannah stellte ihren leeren Teller ab und wischte sich die Hände mit der Serviette ab. „Und was kommt als Nächstes?“

Blake stellte seinen Teller auf ihren. „Wir müssen noch unsere Anmeldeunterlagen abholen.“

„Dann sollten wir das jetzt tun. Ich möchte gern ein paar nähere Informationen haben, bevor der Kurs anfängt.“

Blake folgte ihr zum Empfangstresen in der Eingangshalle. Die anderen Paare waren ebenfalls auf dem Weg dorthin, und direkt vor ihnen erkannte er den Mann mit dem übertriebenen Selbstbefriedigungstrieb nebst Frau.

Savannah verlangsamte ihre Schritte und flüsterte Blake zu: „Ist das …?“

„Ja, ist er“, raunte Blake zurück, als sich die beiden vor ihnen auch schon umdrehten und sie anlächelten.

„Hallo“, begrüßte die Frau sie freundlich. „Sie sind Blake und Barbie, richtig? Wir sind die Cummings. Ich heiße Marge, und das ist mein Mann Chuck.“ Sie knuffte Chuck leicht in die Seite. „Wo sind denn deine Manieren, Schatz? Gib Blake die Hand.“

Blakes Lächeln war schlagartig verschwunden. Mit blankem Entsetzen starrte er auf Chucks ausgestreckte Hand.

Savannah bedeckte den Mund mit der Hand und täuschte einen sehr glaubwürdigen Hustenanfall vor. Wenn das hier vorbei ist, bringe ich sie um, dachte Blake.

Seine Regungslosigkeit wurde mit jeder Sekunde peinlicher.

„Reingelegt!“, rief Marge schließlich und lachte schrill.

Auch Chuck amüsierte sich köstlich und prustete: „Ihr Gesicht hätten Sie sehen sollen! Das war königlich, absolut königlich.“ Marge wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Wir lieben es, uns diesen kleinen Spaß zu gönnen. Jeder weiß ja von Chucks Tick und ist natürlich oberverlegen, wenn er ihm die Hand reichen soll“, gestand sie freimütig, als wäre es das Normalste der Welt, einen chronischen Masturbierer zum Mann zu haben. „Aber Ihre Reaktion war die beste, die wir je gesehen haben. Sie haben geguckt, als hätte er Sie gebeten, ihm den Penis zu schütteln.“

Beide bekamen erneut einen Lachanfall, und auch Savannah konnte sich kaum halten. Natürlich amüsierte sie sich auf seine Kosten! Hatte diese Frau denn keinen Sinn für Loyalität? Sie spielte schließlich seine Angetraute und sollte mindestens so empört sein wie er.

Blake blieb nichts anderes übrig, als sich ebenfalls ein Lachen abzuringen, was ihm überaus schwer fiel.

„Zu Ihrer Information, Chuck ist Linkshänder“, sagte Marge, nachdem sie sich wieder halbwegs gefangen hatte. „Sie können ihm also unbesorgt die rechte Hand schütteln.“

Glücklicherweise wandten die beiden sich jetzt dem Rezeptionstisch zu, sodass Blake eine Erwiderung erspart blieb.

„Tja“, flüsterte Savannah schmunzelnd, „das war wirklich interessant.“

„Freut mich, dass du deinen Spaß hattest“, erwiderte Blake wütend.

„Marge hatte recht. Dein Gesichtsausdruck war unschlagbar.“

„Du genießt es also, mich in einer peinlichen Lage zu sehen?“

Sie lächelte ihn an. „Und wie! Außerdem steht mir eine Revanche zu, dafür dass du Chapman dazu gebracht hast, mich für deine Recherchen abzukommandieren.“

„Trotzdem, Schadenfreude passt nicht zu dir. Und jetzt sollten wir uns vielleicht wieder der Arbeit zuwenden. Schließlich sind wir nicht zum Vergnügen hier“, ermahnte er sie streng. Er musste den Kuss und das eklige Erlebnis mit Chuck vergessen und sich auf seine Story konzentrieren.

„Was du nicht sagst“, entgegnete Savannah. „Stell dir vor, auch ich bin einzig wegen der Story hier. Also sollten wir unsere Anmeldung hinter uns bringen und aufs Zimmer gehen, damit wir uns auf den Kurs vorbereiten können.“ Dann zwinkerte sie ihm zu. „Hoffen wir, dass nicht noch mehr Überraschungstests auf uns warten.“

Damit sprach sie ihm aus der Seele. Eine weitere kritische Bemerkung wie die über seinen Kuss konnte er momentan nicht verkraften.

Im Zimmer angekommen, ging Savannah direkt ins Bad. Sie brauchte dringend ein paar Minuten für sich. Sie drehte den Wasserhahn auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.

Seit Blakes Kuss war sie vollkommen durcheinander. Mit Müh und Not war es ihr gelungen, die Fassung zu wahren, obwohl sie praktisch dahingeschmolzen war. Blake konnte mit seinen Lippen Wunder vollbringen.

Gnade! Ihr war endgültig klar, dass sie ihm hoffnungslos verfallen könnte, und es machte ihr Angst. Diesmal war es ihr zwar gelungen, sein Selbstbewusstsein zu erschüttern, indem sie ihm vorgaukelte, nicht das Geringste empfunden zu haben, doch was war beim nächsten Mal? Wenn sich so etwas wie dieser Kuss wiederholen sollte, würde sie vielleicht weniger überzeugend die Ungerührte spielen, und dann würde er sie durchschauen.

Ja, darauf musste sie sich wohl einstellen. Auch ohne das Programm zu kennen, wusste sie, dass der Kuss erst den Auftakt gebildet hatte. Die Sheas würden noch ganz andere Sachen von Blake und ihr erwarten. Wie konnten sie den Schein wahren und sich zugleich vor allzu massivem körperlichem Einsatz drücken? Nein, sosehr sie sich auch wünschte, von weiteren „Tests“ verschont zu bleiben, das Wünschen war zwecklos.

Zudem würden die Sheas auf sie beide aufmerksam werden, falls sie zu zurückhaltend waren, was wiederum eine intensivere Therapie zur Folge haben dürfte. So oder so mussten sie sich auf einiges gefasst machen.

Genau darum wäre sie überall auf der Welt lieber als hier. Mit Blake Webber an einem Sex-Workshop teilzunehmen war, als wedelte man mit einem Joint vor einem notorischen Kiffer herum. Bei der Wirkung, die er auf sie hatte, war ein gebrochenes Herz praktisch vorprogrammiert.

Sie durfte auf keinen Fall zulassen, dass es so weit kam. Sie hatte einen Job zu erledigen und eine Story zu schreiben. Objektivität war oberstes Gebot, und sie war schließlich ein Profi.

Ein leises Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. „Savannah, ist alles in Ordnung?“

„Ja, natürlich.“

Zu Tarnungszwecken drückte sie die Spülung. Dann atmete sie einmal tief durch und strich ihr Haar hinter die Ohren.

„Ich möchte dich ja nicht stören, aber ich muss mich umziehen. Und offen gesagt müsste ich auch mal zur Toilette.“

Savannah öffnete die Tür. „Umziehen?“

Blake trug ein langes weißes Gewand über der Schulter, das den wallenden Umhängen der Sheas verdächtig ähnlich sah.

„Für den Kurs“, sagte er. „Wir sollen alle eine Kurta tragen. Ich werde mir darin selten blöd Vorkommen, doch die Dinger sind Pflicht. Deine liegt auf dem Bett.“

Na prima! Die nächste Überraschung. „Wie heißen die?“

Kurta. Das ist ein indisches Gewand.“

Savannah verschränkte die Arme vor der Brust. „Du machst Witze.“

„Leider nicht. Es kommt sogar noch schlimmer.“

Sein Tonfall verhieß nichts Gutes. „Wie schlimm?“

„Wir dürfen weder Unterwäsche noch Schuhe tragen“, erklärte er zögernd.

Savannah war wie vom Donner gerührt. Sie sollte unter diesem Ding splitternackt sein? „Gar nichts sonst?“, fragte sie entsetzt.

Blake fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Ich fürchte, nein. Angeblich ist das wichtig für die Heilung der Chakras. Natürlich soll es auch symbolisch sein – keine Barrieren und so, du weißt schon.“

Und direkter Zugriff, dachte Savannah, deren Mund zum zweiten Mal sehr trocken wurde.

„Ah, wenn du da drin fertig bist …“, begann Blake, und sie merkte erst jetzt, dass sie immer noch in der Tür zum Bad stand.

„Ach so, ja, klar“, murmelte sie hastig und machte ihm den Weg frei.

Blake ging ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Von drinnen rief er ihr zu: „Ich habe mir den Plan für das Wochenende angesehen. Vielleicht solltest du auch mal einen Blick darauf werfen.“

„Das hatte ich sowieso vor“, antwortete sie und nahm das Gewand vom Bett. Es roch, als hätte es bis eben im Sommerwind gehangen. Vermutlich trockneten die Sheas ihre Wäsche auf einer Leine im Garten, statt sie in einen elektrischen Trockner zu stopfen.

Obwohl sich der Baumwollstoff sehr angenehm anfühlte, konnte Savannah sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, diese dünne Stofflage als einzige Hülle zu haben. Doch wenn sie keinen Striptease vor Blake veranstalten wollte, sollte sie sich schleunigst umziehen, denn er kam bestimmt bald aus dem Bad zurück. In Windeseile streifte sie ihre Schuhe ab und zog Hosenanzug, BH und Slip aus. Dann schlüpfte sie in das Gewand, das ihr bis zu den Knöcheln reichte.

Das leichte weiße Baumwollgewebe fühlte sich erstaunlich gut an. Ja, sie musste sogar zugeben, dass sie sich darin irgendwie frei und verführerisch fühlte.

„Bist du angezogen?“, rief Blake aus dem Bad.

Savannah setzte sich aufs Bett, den Rücken an das Kopfende gelehnt und eines der Kissen auf dem Schoß. Dann nahm sie sich das Handbuch und versuchte, möglichst ruhig und konzentriert auszusehen, was sie einige Mühe kostete.

„Ja, bin ich“, antwortete sie schließlich.

Autor

Jo Leigh
<p>Seit Jo Leigh 1975 bei der großen Filmgesellschaft 20-Century-Fox als Lektorin in der Abteilung für Comedys einstieg, ist sie im Filmgeschäft zu Hause. Sie war für die Mediengesellschaften CBS, NBC und verschiedene andere große Produktionsfirmen tätig, wobei sie zunehmend Drehbücher konzeptionierte und bearbeitete. Kein Wunder, dass bei so viel Sachkenntnis...
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