Tiffany Exklusiv Band 68

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VERRÜCKT NACH ANNABELLE von MONROE, JILL
Umwerfend sexy gestylt erscheint Annabelle plötzlich in Roberts Büro. Das war‘s mit der Konzentration - er würde sie am liebsten sofort verführen! Was hinter der Wandlung von der unscheinbaren Sekretärin zu dieser atemberaubenden Schönheit steckt, ahnt Robert nicht …

EIN ÄUßERST UNMORALISCHES ANGEBOT von SHARPE, ISABEL
Denver ist völlig überrumpelt, als seine Chefin ihm vorschlägt, mit ihr die Nacht zu verbringen. Er lehnt dankend ab, obwohl er schon lange von der schönen Lyndsay träumt, denn es geht ihm nun doch zu schnell. Aber was steckt eigentlich hinter ihrem heißen Angebot?

HEIß VOR DEM KAMIN von MAGUIRE, MEG
Eingeschneit mit einem tollen Mann! Endlich kann Kate ihrem Boss Ty zeigen, wie sexy sie ihn findet: Kaminfeuer an, bis die Temperatur in der Blockhütte steigt, weg mit der nassen Kleidung. Und dann das machen, was nur als Zweier-Team richtig gut geht …


  • Erscheinungstag 02.01.2019
  • Bandnummer 0068
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758776
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jill Monroe, Isabel Sharpe, Meg Maguire

TIFFANY EXKLUSIV BAND 68

1. KAPITEL

Sie streckte sich schon wieder.

Robert Achrom rieb sich den Nasenrücken, als er sah, wie seine Assistentin Annabelle Scott langsam die Schultern kreisen ließ, die Augen schloss und den Kopf in den Nacken legte, was seinen Blick auf ihre hübschen Brüste lenkte, die sich unter ihrem blauen Pulli abzeichneten.

Eine leichte Anspannung erfasste ihn. Er hatte bisher noch nie auf Miss Scotts Brüste geachtet. Aber sie hatte ja auch noch nie einen so engen Pulli im Büro getragen. Die weiche Wolle passte so gar nicht zu dem Bild kühler Professionalität, das seine Assistentin normalerweise zu vermitteln pflegte.

Kühl …? Robert war es in diesem Augenblick alles andere als kühl.

Er schob einen Finger unter seinen plötzlich viel zu engen Kragen und ließ seinen Blick über die makellose Haut wandern, die Miss Scotts tiefer Ausschnitt entblößte. Auch ihre Haut war ihm bisher nie aufgefallen. Aber sie trug ja sonst auch immer nur hochgeschlossene Sachen.

Dieser eisblaue Pulli zog seinen Blick jedoch magisch an und brachte ihn auf die seltsamsten Gedanken. Gedanken, die er sich im Augenblick gar nicht erlauben konnte, weil für ihn mit dem Anderson-Deal zu viel auf dem Spiel stand, um sich von derlei Dingen ablenken zu lassen.

Entschlossen griff er nach der Akte, die Andersons neueste Forderungen enthielt, die er noch einmal prüfen musste, bevor er unterschrieb und grünes Licht für den Zusammenschluss ihrer Firmen gab.

Die Anderson-Aktien würden nach dieser Fusion in die Höhe schießen, und Anderson würde die volle Verfügungsgewalt über die Patente seines Vaters gewinnen. Mit der Technologie, die hinter Mason Achroms Ideen zur Energiespeicherung steckte, wollte Anderson ein groß angelegtes Netzwerk für Solar- und Windenergie entwickeln. Es war eine völlig andere Vision als Robert sie hatte, der den ländlichen Gebieten dieser Welt billigen Strom liefern wollte, sodass sie von den großen Energiekonzernen unabhängig wären.

Anderson machte das bessere Geschäft, und obwohl Robert das von Anfang an gewusst hatte, ärgerte es ihn dennoch. Früher, als er noch für eine Investorengruppe gearbeitet hatte, hätte er ein kleines, unterbewertetes Unternehmen wie Anderson mit ein paar Federstrichen auseinandergenommen und dabei einen ordentlichen Profit herausgeschlagen. Früher hatte er die besten Deals im Südwesten der USA abgeschlossen. Aber heute war nicht früher, und durch diesen Zusammenschluss würde er das Kapital bekommen, das er jetzt so dringend brauchte.

Mit diesem Geld würde er das Einzige, das sein Vater ihm hinterlassen hatte, endlich nutzen können. Die Grafiken und chemischen Gleichungen mochten für einige Leute wie Gekritzel aussehen, aber Robert sah, was sein Vater nie erkannt hatte – dass diese Patente billige, saubere Energie bedeuteten. Und billige Energie war etwas, für das andere Millionen zahlen würden.

Er hasste es, die lukrativen Entwicklungsrechte an den Patenten seines Vaters teilen zu müssen, aber ohne eine Finanzspritze würden sie ihm ohnehin nichts nützen. Die Andersons konnten das Energienetzwerk, den vorerst profitableren Teil des Geschäfts haben.

Aber nur für kurze Zeit.

Denn Robert hatte ein neues, sehr viel besseres Projekt im Sinn. Mit Andersons Geld würde er einige der unbeendeten Ideen seines Vaters aufgreifen und eine kleine preiswerte Brennstoffzelle entwickeln. Eine mit erstaunlich hoher Energie, die sehr schnell wieder aufgeladen werden konnte und sich für nahezu alles Mögliche verwenden ließ.

Ein leises Seufzen ertönte im Vorzimmer seines Büros. Als Robert wieder aufblickte, sah er, wie seine Assistentin sich über den Schreibtisch beugte und nach einem großen Umschlag griff, wobei sie bemerkenswert viel Bein zeigte. Eine wohlgeformte Wade, einen schlanken Oberschenkel …

Der Vertrag entglitt seinen Fingern und flatterte auf den Teppich. Als er sich bückte, um ihn aufzuheben, stieß er mit dem Kopf gegen den Schreibtisch. „Au!“

„Haben Sie sich wehgetan?“ Miss Scott hatte sich auf ihrem Bürostuhl zu ihm umgedreht und gab ihm einiges zu sehen. Ihre Brustspitzen … War ihr etwa kalt? Hatte er die Heizung niedriger gestellt? Nein, ihm rann der Schweiß über den Nacken, und es war ziemlich warm hier drinnen.

Abrupt setzte er sich auf und rieb sich den Kopf. „Nein, es geht schon.“

„Sind Sie sicher?“, fragte sie mit etwas heiserer Stimme und runzelte besorgt die Stirn. Niemand hatte sich mehr um ihn gesorgt, seit seine Mutter vor fünf Jahren gestorben war, und deshalb war er gerührt.

„Ganz sicher“, erwiderte er.

Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

Robert sah, wie ihre Finger über die Tasten flogen. Miss Scott war die perfekte Assistentin. Sie arbeiteten nun schon über vier Jahre zusammen. Falls sie sich auch früher schon für sein Wohlergehen interessiert hatte, hatte er es nie bemerkt.

Wieso dann jetzt auf einmal?

Weil es ganz natürlich war, eine gewisse Beziehung zueinander zu entwickeln, wenn man zusammenarbeitete. Er war schließlich auch beunruhigt gewesen, als ihr Wagen einmal nicht angesprungen war. Und als er gesehen hatte, wie alt er war, hatte er darauf bestanden, dass sie sich einen anderen kaufte, und ihr sogar die Beschreibungen einiger preisgünstiger, zuverlässiger Autos ausgedruckt.

Robert nahm seine Akte und las weiter. Er hatte hart verhandelt, um die Eigenständigkeit von Achrom Enterprises nach der Fusion zu sichern. Obwohl er bei Anderson im Vorstand sitzen würde, wollte er auch weiterhin seine eigene Firma leiten und seine eigenen Ideen entwickeln können. Und kein Anwalt dieser Welt würde diese Konzessionen aus dem endgültigen Vertrag entfernen können.

Annabelle seufzte wieder.

Unwillkürlich sah Robert wieder zu ihr hinüber. Ihr Pulli straffte sich über ihren Brüsten, als sie den Rücken durchbog und sich wieder einmal genüsslich streckte. Ihr langes braunes Haar hatte sich aus der Spange gelöst und kitzelte ihren Nacken. Sie sah aus wie eine Frau, die gerade ausgiebig geküsst worden war und sehr viel mehr wollte, als nur geküsst werden.

Er schlug die Akte zu, worauf Miss Scott erschrak und sich nach einem raschen Blick auf ihn wieder an die Arbeit machte.

Es tat ihm leid, sie erschreckt zu haben, aber bei all dem Seufzen und Strecken war es ja wirklich kein Wunder, dass er sich nicht konzentrieren konnte!

Abrupt schob er seinen Stuhl zurück, stand auf und ging zu ihr ins Vorzimmer.

„Haben Sie Rückenschmerzen, Miss Scott?“

Sie blickte verwundert auf. „Nein, wieso?“

„Bei all Ihrem Gestöhne dachte ich, Sie hätten vielleicht Schmerzen.“

Sie blinzelte und schüttelte den Kopf. Trotz ihres knappen Pullis, des kurzen Rocks und ihres heute offenen, etwas zerzausten Haars schien sie dieselbe Miss Scott zu sein wie immer. Ihr Schreibtisch war tadellos aufgeräumt, ihre Kaffeetasse stand auf einem Untersetzer.

Und so sollte es auch bitte bleiben.

Robert zwang sich, den Blick von seiner Assistentin abzuwenden, bevor er tiefer wandern konnte als bis zu ihrem Schlüsselbein. Sobald er die Heizung aufgedreht hatte, würde er sich gleich wieder an die Arbeit machen. Er konnte seine Assistentin schließlich nicht frieren lassen.

„Stellen Sie keine Anrufe für mich durch“, sagte er, schon an der Tür zu seinem Büro. „Ich muss mich auf das neueste Angebot von Anderson konzentrieren.“

Und damit zog er auch schon die Tür hinter sich zu.

Annabelle lehnte sich zurück und starrte auf den silbernen Knauf von Roberts Tür. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie ihn für den Rest des Tags nicht sehen würde. Und dass er sie irgendwann per E-Mail bitten würde, ihm Kaffee zu kochen.

Sie stieß den Atem aus, den sie unwillkürlich angehalten hatte, als er so plötzlich in der Tür gestanden hatte. Eine dunkle Locke war ihm in die Stirn gefallen, und sein großer, muskulöser Körper hatte buchstäblich den ganzen Türrahmen ausgefüllt, als er dort stand.

Für einen aufregenden Moment hatte sie geglaubt, einen Anflug von Begehren in seinen blauen Augen wahrzunehmen. Der Gedanke hatte ein ganz eigenartiges Kribbeln in ihrem Bauch ausgelöst, und sie hatte deutlich spüren können, wie ihre Brustspitzen sich unter ihrem Pulli aufgerichtet hatten.

Du bist eine Femme fatale, hatte sie sich dabei gesagt.

Du bist eine Idiotin, hatte sie sich kurz darauf berichtigt, als er die Tür hinter sich zugeknallt hatte. Nein, nicht zugeknallt. Robert würde nie genug Gefühl aufbringen, um irgendetwas zuzuknallen.

Aber sie schon.

Sie nahm einen Stift aus ihrer Schreibtischschublade und knallte sie lautstark zu. Dann griff sie nach dem kleinen flachen Notizbuch, das sie unter der großen Telefonanlage auf ihrem Tisch versteckt hatte. Dort würde Robert niemals irgendetwas suchen. Nicht, dass es seine Art wäre, in ihrem Büro herumzuschnüffeln, aber manchmal wollte er sich einfach nur im Vorzimmer nützlich machen. Annabelle erschauderte, als sie an die verheerenden Folgen seines letzten Versuchs dachte. Sie hatte wochenlang ihren Brieföffner nicht finden können.

Kopfschüttelnd öffnete sie das Notizbuch und begann verschiedene ihrer Notizen durchzustreichen und mit Randbemerkungen zu versehen.

1. Trag Pullis. Fehlanzeige! Aus dem Schrank verbannt.

2. Seufze. Nein, nie wieder!

3. Bieg den Rücken durch. Effekt gleich null.

Genervt seufzend, strich sie schließlich ihren letzten Eintrag durch. Sie hatte ihn in Blockbuchstaben geschrieben und ihn sogar mit Sternchen versehen.

DU BIST EINE FEMME FATALE.

Nachdem sie die Liste wieder weggelegt hatte, wählte sie die Nummer ihrer besten Freundin, Katie Sloan. Sie meldete sich schon beim zweiten Klingeln.

„Ich gebe auf“, sagte Annabelle.

„Was, jetzt schon? Es ist nicht mal halb elf! Hast du den Pulli angezogen?“

Annabelle warf einen Blick auf Roberts Tür und kam sich plötzlich schrecklich albern vor in dem engen Pulli. „Ja.“

„Hm, das hätte eigentlich eine Reaktion erzeugen müssen.“

Annabelle zog den Pulli etwas höher hinauf – der Ausschnitt war wirklich etwas zu gewagt.

„Erinnerst du dich an dein Mantra?“, fragte Katie.

„Ja, auch das habe ich ausprobiert. Aber es nützte nichts.“

„Hast du dich geräkelt und den Rücken durchgebogen?“

„Ja, und darauf dachte er, ich hätte Rückenschmerzen. Wahrscheinlich sucht er mir jetzt den Namen eines guten Chiropraktikers heraus.“

Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.

Annabelle unterdrückte ein Stöhnen. Es kam nur selten vor, dass Katie schwieg, und wenn sie es tat, bedeutete es nichts Gutes. Zumindest nicht für Annabelle. Denn seit sie sich in der zweiten Klasse kennengelernt hatten, entwickelte Katie „brillante“ Ideen für sie, die sich fast immer als totaler Reinfall erwiesen und für die Annabelle oft Ärger bekam. In der Schule hatte das zu diversen Nachsitzstunden geführt. Im vergangenen Jahr hatte Katies Geistesblitz ihr einen einwöchigen Hautausschlag durch eine selbstbräunende Sonnencreme eingebracht.

„Ich habe eine brillante Idee. Wenn das alles nicht geklappt hat, musst du eben schwereres Geschütz auffahren“, erklärte Katie schließlich. „Kannst du es irgendwie deichseln, dass du dich mit ihm im Materialraum einschließt?“

„Er würde sich bloß überlegen, wie er die Firma des Türfabrikanten aufkaufen und die Geschäftsführung übernehmen kann.“

„Ich bin mir nicht so sicher, dass ihm das gelingen würde. Die Zeiten, wo er Firmen aufkauft, sind vorbei.“

„Stimmt.“ Annabelle setzte sich etwas gerader hin und warf einen prüfenden Blick auf die Tür des Materialraums. Das Schloss sah nicht besonders stabil aus … „Nein, vergiss es. Auch wenn er heute keine Firmen mehr aufkauft, fände er einen Weg hinaus. Außerdem habe ich schon alles versucht, außer mich ihm nackt auf meinem Schreibtisch zu präsentieren.“

„Na, das wäre doch eine Möglichkeit!“

„Vergiss es“, sagte Annabelle. Wenn sie diese Gedanken weiterverfolgten, würde Katie sie noch überreden, Robert in nichts anderem als hochhackigen Schuhen und Krawatte zu begrüßen. „Es muss doch noch andere Möglichkeiten geben, ihn endlich auf mich aufmerksam zu machen.“

„Kennst du den Spruch: ‚Versuch mal einem trockenen Brunnen Wasser zu entlocken‘?“

„Na klar. Schließlich sind wir hier in Oklahoma.“

„Nun, dann hättest du dich vielleicht mal eher daran erinnern sollen, denn dieser Brunnen ist ganz offensichtlich völlig ausgetrocknet. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt je Wasser hatte.“

Wieder richtete Annabelle den Blick auf Roberts Tür. „Vielleicht hast du ja recht.“

„Natürlich habe ich recht. Obwohl ich manchmal trotzdem denke, dass da vielleicht noch etwas ist. Erinnerst du dich, wie besorgt er wegen deines Wagens war?“

„Wahrscheinlich machte er sich bloß Sorgen, dass sein täglicher Terminplan mal nicht ausgedruckt auf seinem Schreibtisch liegen könnte.“

„Tja, das hast du dir selber zuzuschreiben, meine Liebe. Es ist eine Sache, einen Mann von dir abhängig zu machen, aber eine völlig andere, es zu tun, ohne ihm dabei klarzumachen, dass er ohne dich nicht leben kann.“

Annabelle seufzte nur. „Du hast recht. Ich habe ein Monster erschaffen.“

„Männer!“ Mehr brauchte Katie nicht zu sagen. Dieses eine Wort genügte. „Okay, ich hab’s“, verkündete sie dann. „Hier ist mein fantastischer neuer Plan für heute Nachmittag. Schreib dir das hier auf: Nichts ist verführerischer als ein gutes Essen.“

„Was?“

„He, das ist brillant! Ein Picknick! Ich kann es mir schon richtig vorstellen: Die Vögel und die Bienen, die das ihre tun. Sein Kopf auf deinem Schoß, während du ihn mit Trauben fütterst. Die zu essen übrigens ausgesprochen sexy ist.“

„Darf ich dich daran erinnern, dass wir Dezember haben?“ Annabelle blickte durch das große Fenster. „Im Moment mag zwar die Sonne scheinen, aber wie lange wird sie das noch tun?“

„Schon gut, schon gut. Dann esst ihr eben auf dem Boden im Büro. Das finde ich sogar noch besser. Und du hast doch auch so eine schöne, lange Ledercouch in deinem Büro?“

Annabelle blickte von den schwarzen Ledercouchen im Empfangsbereich zu dem kühlen Chrom und Stahl ihres Schreibtischs und des Aktenschranks. „Das wäre völlig fehl am Platz in diesem Raum. Außerdem ist Robert nicht der Typ für Picknicks.“

Katie seufzte. „Gerade deshalb wird es funktionieren. Weil es etwas ist, womit er absolut nicht rechnet. Aber wir können das Ganze natürlich auch vergessen, wenn du willst.“

„Nein, ich denke, ich werde es noch mal versuchen“, sagte Annabelle. „Es wird Zeit, dass ich mein Leben ändere. Gestern habe ich die letzte Rate meines Darlehens überwiesen, und in vier Wochen werde ich meinen Abschluss haben.“

Ohne die Raten für den Kredit, mit dem sie die Schulden ihres Vaters abbezahlt hatte, und mit ihrem abgeschlossenen Studium als Finanzberaterin war sie endlich frei. Frei, ihre eigenen Träume und Ziele zu verfolgen.

„Das Einzige, was mich hier noch hält, ist Robert Achrom. Weil er mir einen Job gab, als alle anderen meine Bewerbung in die Ablage oder sogar direkt in den Papierkorb wandern ließen. Er sah über meinen Familiennamen hinweg und gab mir Verantwortung und ein Gehalt … und er ist ein ausgesprochen attraktiver Mann.“

„Das ist wahr.“

Wieder glitt Annabelles Blick zu Roberts Tür. „Und wenn es diesmal wieder nicht funktioniert, werde ich die Tür hinter mir schließen und das Ganz ein für alle Mal vergessen.“

„Dann hör mir jetzt gut zu. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit vor dem Lunch. Habt ihr noch diesen Delikatessenladen unten im Gebäude?“

„Ja“, erwiderte Annabelle.

„Gut. Dann wiederhole jetzt mit mir dein neues Mantra: Ich bin eine Verführerin.“

Robert lächelte, als er einen Absatz rot unterstrich, den er noch mit den Anwälten der Firma Anderson zu klären hatte.

Glaubten sie wirklich, er würde diese Klausel übersehen, die ihn buchstäblich für die nächsten zehn Jahre an diese Firma kettete? Auch wenn er seit ein paar Jahren aus dem Spiel war, kannte er doch noch immer alle Tricks. Schließlich hatte er einige von ihnen sogar selbst erfunden.

Auch die nächsten beiden Absätze unterstrich er rot. Dem Anwalt, der diesen Vertrag aufgesetzt hatte, war Robert Achroms gnadenloser Ruf in dieser Branche offensichtlich nicht bekannt. Mit dreißig hatte er Millionen Dollar für andere Leute verdient. Und nun, vier Jahre später, glaubte irgend so ein mieser kleiner Rechtsverdreher, ihn reinlegen zu können!

Robert war ein Insider, seit seine Mutter in blindem Vertrauen auf ihn das elterliche Haus verkauft hatte. Mit diesem Geld hatte er das erste Geschäft gekauft und seiner Mutter dann das Dreifache zurückgezahlt, nachdem er das Geschäft mit einem sehr hohen Gewinn wieder verkauft hatte. Danach brauchte er kein eigenes Geld mehr zu riskieren, sondern arbeitete für eine hochkarätige Investorengruppe. Eine Zeit lang genoss er seine neuen finanziellen Möglichkeiten und fand auch eine gewisse Befriedigung darin, einige der Leute, die seinem Vater nie eine Chance gegeben hatten, aus dem Geschäft zu drängen.

Bis der Tod seiner Mutter ihm schließlich vor Augen führte, wie leer und oberflächlich sein Leben geworden war. Er hatte sehr viel Geld verdient, aber er besaß nichts wirklich Wertvolles. Deshalb wollte er von nun an nur noch für sich selber arbeiten.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedankengänge. Als Miss Scott mit einem großen Korb und einer Flasche Champagner hereinkam, sprang er auf. „Was ist das?“

„Wir haben beide hart gearbeitet, und ich wollte feiern.“

„Was gibt es denn zu feiern?“

Sie lächelte. „Die bevorstehende Fusion und … meinen Abschluss.“

Robert war aufrichtig erfreut über Miss Scotts Erfolg. Es war schön, wenn Menschen, die es verdienten, Gutes widerfuhr. Sie hatten beide ähnlich erfolglose und hoch verschuldete Väter gehabt. Als er Annabelle begegnet war, war er auf dem Höhepunkt seines Erfolgs und sie an ihrem absoluten Tiefpunkt gewesen: ganz auf sich allein gestellt und mit einem Haufen Schulden, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte. Annabelles Vater hatte seine Verwandten bestohlen, und sie hatte geschworen, ihnen jeden Penny zurückzuzahlen. Und nun, da sie wieder in den schwarzen Zahlen war, war sie vermutlich bereit, ein neues Leben zu beginnen. Roberts Freude verblasste, und ein ungutes Gefühl begann ihn zu beschleichen. Etwas erstaunt darüber, zog er seine Krawatte gerade und räusperte sich.

„Sie werden eine wunderbare Finanzberaterin sein“, sagte er, und trotz seiner Freude für sie klang ein Anflug von Bedauern in seiner Stimme mit. Weil sie ihn nun sicherlich schon bald verlassen würde.

„Ich brauche nur noch das Semester zu beenden. Bald werde ich Leuten helfen können, ihr Geld möglichst gewinnbringend zu investieren.“ Sie lehnte sich etwas zur Seite und stützte den offensichtlich schweren Korb auf ihre Hüfte.

Robert ging zu ihr hinüber, um ihn ihr abzunehmen. „Geben Sie ihn mir.“

Annabelle lächelte, als er ihr den Korb abnahm und sich ihre Hände streiften. Dann griff sie nach der Decke, die oben auf dem Korb lag, und breitete sie auf dem Boden aus.

„Was tun Sie da?“, fragte er, als sie sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Patchworkdecke setzte und ihm dabei einen tiefen Einblick in ihr hinreißendes Dekolleté erlaubte.

„Schenkel oder Brust?“, fragte sie.

Er schluckte. Sie bot ihm Hähnchenteile an, nicht ihren Körper. „Beides.“

Robert hörte auf, sie anzustarren, und ließ sich neben ihr auf dem Boden nieder. Wenn dies ihre Art zu feiern war, dann sollte sie es tun; sie hatte schließlich hart gearbeitet. Und wenn sie mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden sitzen wollte, würde er sie ganz bestimmt nicht daran hindern.

„Wir müssen beide etwas essen. Deswegen dachte ich, ein kleines Picknick wäre eine gute Idee. So brauchen wir das Büro nicht zu verlassen, und ich kann ans Telefon gehen, falls es klingelt.“

Es war wie immer sehr vernünftig, was sie sagte. Robert dachte, dass er Miss Scotts Pünktlichkeit, Besonnenheit und ihren Ordnungssinn vermissen würde, wenn sie ging.

Sie nahm zwei rote Keramikteller aus dem Korb und begann Geflügel und Nudelsalat darauf zu verteilen. Roberts Magen knurrte, als er den köstlichen Duft von warmem Brot wahrnahm.

„Frisch aus der Bäckerei.“

Annabelle bestrich ihre Brotscheibe großzügig mit Butter. Als etwas davon auf ihrem Finger landete, hielt sie ihn an die Lippen und leckte die Butter ab.

Dabei begegneten sich ihre Blicke. Sie hatte ihn dabei ertappt, wie er sie anstarrte. „Butter?“, fragte sie.

Oh ja! dachte er.

„Robert, möchten Sie Butter auf Ihrem Brot?“

Er nahm sich zusammen. „Nein, besser nicht. Danke.“

„Würden Sie die Flasche öffnen?“

Er entfernte die Aluminiumabdeckung mit der Geübtheit eines Mannes, der sich auf vertrautem Territorium befindet. Früher hatte er viele Gründe gehabt zu feiern, aber nichts, worauf er stolz sein konnte.

Sie beugte sich anmutig über die Decke und stellte seinen Teller vor ihn hin. Dabei streiften ihre Finger sein Bein. Er spürte die Berührung durch den Stoff seiner Hose hindurch und spannte seine Muskeln an, um nicht zu reagieren, während er den Blick auf ihre Hände senkte. Er hatte bisher nie bemerkt, wie feingliedrig sie waren.

Sein Blick glitt wieder höher und verweilte einen Moment auf ihrem Mund. Auf ihren vollen, pinkfarbenen Lippen, die geradezu um einen Kuss zu betteln schienen.

Sein Körper reagierte mit einem scharfen Ziehen in seinen Lenden, und er drückte die Finger noch fester gegen den weichen Korken.

Mit einem lauten Knall sprang der Korken durch den Raum, und der Champagner sprudelte aus der Flasche. Annabelle reichte ihm lachend eine Sektflöte.

Auch Robert lachte, als er merkte, wie leicht sie war. „Plastik?“

„Ich konnte auf die Schnelle keine echten finden.“

Nachdem er sorgfältig zwei Gläser eingeschenkt hatte, reichte er ihr eins. Annabelle Scott arbeitete schon so lange mit ihm zusammen, dass sie wunderbar miteinander harmonisierten. Aber er konnte sich nicht entsinnen, je mit ihr gegessen zu haben oder ihr auch nur nahe genug gewesen zu sein, um den verführerischen Vanilleduft ihres Shampoos wahrzunehmen oder das winzige Grübchen an ihrer rechten Wange zu bemerken.

Außer einmal.

Das hatte er bis zu diesem Augenblick schon fast vergessen.

Vor zwei Monaten hatten sie bis spät in die Nacht an einem Angebot gearbeitet, und Annabelle war auf der Couch in seinem Büro eingeschlafen. Er hatte ihr nur eine Tasse Kaffee bringen und sie wecken wollen, damit sie heimfahren konnte. Doch dann hatte er sich dabei ertappt, wie er ihr Haar anstarrte, das in sanften Wellen ihr Gesicht umrahmte, und ihre Brüste, die sich bei jedem ihrer Atemzüge deutlich unter ihrer Bluse hoben und senkten. Sie war so ungemein verführerisch gewesen, dass ihn eine fast schmerzhafte Erregung erfasst hatte.

Als er sich schließlich von Annabelle abwandte und ging, beglückwünschte er sich, nicht den Fehler gemacht zu haben, sie mit einem Kuss zu wecken, wie es sein erster Impuls gewesen war.

Das Grübchen erschien nun wieder auf ihrer Wange, als sie langsam ein Stück Hähnchenfleisch aß.

Die gleichen Wünsche wie damals stiegen in Robert auf, und deswegen wandte er rasch den Blick ab, weil es ungefährlicher war, das Essen auf seinem Teller anzusehen.

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Kein unangenehmes Schweigen, aber irgendetwas drängte ihn nach ein paar Minuten, es zu beenden.

„Wie geht es Ihrem Rücken?“

Sie runzelte verwirrt die Stirn, dann lächelte sie. „Oh, gut. Ich war nur ein bisschen verspannt von all dem Lernen.“

Robert brach der kalte Schweiß aus, als sie die Augen schloss und ihre Schultern kreisen ließ. Sein Blick glitt wieder zu ihren Brüsten, und er stöhnte fast, als er nach der Plastiksektflöte griff und den Inhalt in einem Zug hinunterstürzte.

Dann hustete er. „Das ist ja gar kein richtiger Champagner!“

„Nein. Ich dachte, Alkohol wäre an einem Arbeitstag nicht gut. Das ist ein alkoholfreier Champagner.“

„Er schmeckt … interessant“, sagte Robert hustend und nach Atem ringend.

„Das freut mich.“

Wieder hustete er, und Miss Scott beugte sich vor und klopfte ihm auf den Rücken. Plötzlich waren ihre Brüste direkt vor seinen Augen, und er unterdrückte seinen Hustenreiz und ermahnte sich, sich wie ein Erwachsener zu benehmen. „Es geht schon, danke.“

Wieder runzelte sie die Stirn, als sie sich zurücklehnte. „Ich habe genau das Richtige für Ihren Hals“, sagte sie und nahm zwei große Stücke Schokoladenkuchen und grüne Trauben aus dem Korb.

„Ich liebe Trauben. Sie auch?“

Er sprang fast auf, als sie mit ihrer rosa Zungenspitze über eine der prallen grünen Trauben fuhr. Er stellte sich vor, wie sie mit ihrer Zunge bei ihm das Gleiche täte …

Was, zum Teufel, war nur mit ihm los? Allein schon ihre Art zu essen brachte ihn auf erotische Gedanken. Gedanken an Sex. An Sex mit Miss Annabelle Scott.

Die Absurdität des Ganzen trieb ihn dazu aufzustehen. Unglücklicherweise nahm er dabei einen Zipfel der Decke mit, und das Besteck fiel klirrend von Annabelles Teller, und der Schokoladenkuchen landete auf den Teppich.

„Danke für den netten Imbiss, Miss Scott. Ich werde den Rest an meinem Schreibtisch essen. Ich muss mir den Fusionsvertrag noch einmal durchsehen.“

Vielleicht hatte er ja doch noch mehr von einem Jäger in sich, als er glaubte. Seinem Unternehmen drohte die Pleite, wenn es nicht bald durch den Anderson-Deal eine Finanzspritze erhielt, seine hoch geschätzte Assistentin war drauf und dran war, ihn zu verlassen, und das Einzige, woran er denken konnte, war sie auf dieser Patchworkdecke.

Nackt.

Und dann seine erotischen Fantasien … Seine erste bestand darin, Miss Scott auf diese Decke zu legen und sie in die Arme zu nehmen. Die zweite hatte etwas mit Butter zu tun und war so überaus erotisch, dass er die Fäuste ballen musste, um die Idee nicht auf der Stelle zu verwirklichen.

Als Annabelle ihn ansah, wirkte sie irgendwie … gekränkt.

Und plötzlich war er so wütend auf sich und diese seltsame, frustrierende Situation, dass er sein unhöfliches Benehmen bereute. „Vielen Dank, Miss Scott. Und herzlichen Glückwunsch.“

Sie nickte kurz und rutschte auf allen vieren auf der Decke herum, um die Überreste ihres Mittagessens einzusammeln. Robert wandte sich ab, als ihr süßer sexy Po in Sicht kam.

Er war ein Schuft.

Das laute Zuschlagen des Korbdeckels signalisierte, dass ihre Aufräumarbeiten beendet waren. „Miss Scott?“

Mit einer eigenartigen Mischung aus Angst und Hoffnung erwiderte sie seinen Blick. „Ja?“

„Ich werde heute Abend länger arbeiten. Sie brauchen nicht abzuschließen, wenn Sie gehen.“ Robert spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach, als sie die Tür hinter sich zumachte.

Annabelle widerstand der Versuchung, die Tür zuzuknallen. Stattdessen ging sie zu ihrem Schreibtisch, stellte den Picknickkorb neben den Aktenschrank und holte ihr Notizbuch aus seinem Versteck unter dem Telefon. Diesmal nahm sie einen dicken schwarzen Textmarker, um ihre blödsinnige Liste durchzustreichen.

1. Benutz deine Zunge. Beiß dir das nächste Mal darauf, wenn du einen Rat von Katie brauchst.

2. Spiel mit deinem Essen. Überlass das den Kleinkindern.

3. Krümm noch ein bisschen mehr den Rücken. Mach so weiter, dann kriegst du noch tatsächlich Rückenschmerzen.

Der penetrante Geruch des Markierstifts erfüllte den Raum, als sie auch ihr neuestes Mantra übermalte:

Ich bin eine Verführerin.

Ja, genau. Eine Verführerin, die sich nun wieder an die Arbeit machte.

Annabelle schob das Notizbuch weg und wählte Katies Nummer. Ihre Freundin meldete sich beim ersten Klingeln; sie musste den Anruf schon erwartet haben.

„Na, wie ist gelaufen?“

„Der Plan war ein totaler Reinfall. Und ich werde es nicht noch mal versuchen.“

„Hm.“ Katie schwieg einen Moment. „Ich weiß nicht“, sagte sie. „Ich habe trotzdem das Gefühl, dass er nur einen kleinen Anstoß braucht. Lass mich mal überlegen … Oh ja, ich hab’s!“

Annabelle wand sich innerlich. „Vielleicht solltest du das nie mehr sagen. Deine letzten beiden Pläne waren ein totaler Reinfall.“

„Sie hätten aber funktionieren müssen. Ich habe allmählich das Gefühl, dass es etwas mit ihrer Ausführung zu tun haben könnte. Deshalb werde ich die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen und die nächste Aktion überwachen.“

„Katie, ich bin nicht interessiert …“

„Du wirst anfangen, dich mit einem anderen Mann zu treffen.“

Annabelle entspannte sich. „Na, dann brauche ich mir ja nur einen von denen auszusuchen, die vor meiner Tür Schlange stehen“, erwiderte sie spöttisch.

„Wir fangen klein an. Heute Abend gehen wir zu einer Party. Heathers Mitbewohnerin hat geheiratet, und Heather gibt eine kleine Party, damit die anderen nicht vergessen, dass sie noch Single ist.“

Annabelle stöhnte. „Nein, bitte keine Party. Ich hasse Partys.“

„Belle, meine Süße, vielleicht ist es höchste Zeit, dass du etwas veränderst. In deinem Büro passiert doch sowieso nichts. Du musst dir etwas Neues suchen. Das wirst du vielleicht nicht auf dieser Party finden, aber es wäre doch immerhin ein Anfang.“

Annabelle warf einen Blick auf Roberts fest geschlossene Tür. Sein Herz würde ihr wahrscheinlich ebenso verschlossen bleiben wie diese Tür. Vielleicht war es besser, sich schon einmal mit dem Gedanken anzufreunden. „Also gut, ich gehe hin.“

„Großartig. Dann sehen wir uns also bei Heather.“

2. KAPITEL

„Warum bin ich hier?“, rief Annabelle über den Lärm der Menge.

„Vom philosophischen Standpunkt aus gesehen?“, scherzte Katie, während sie zwei Drinks vom provisorischen Bartresen nahm und Annabelle einen reichte.

„Nein, du weißt schon, was ich meine.“ Annabelle hatte sich in der Singles-Partyszene nie wirklich wohlgefühlt, auch wenn diese Fete besser als die meisten war, da sie zumindest nicht in einer Kneipe stattfand. Aber Lärm blieb Lärm. Und Annabelle fühlte auch schon eine Migräne nahen. Vielleicht hätte sie doch besser ihre Brille tragen sollen.

Lachen drang aus der Mitte des Raums, wo zwei Pärchen standen, zu ihnen herüber. Annabelle entging nicht die etwas angespannte Haltung und das erzwungene Lächeln einer der anderen Frauen. Der Gedanke, den ganzen Abend lang ebenso verkrampft dazustehen und zu tun, als amüsiere sie sich, war alles andere als reizvoll. Sie versuchte, Katie ihren Drink zurückzugeben. „Das ist verrückt. Ich hasse Partys.“

„Und genau deswegen bist du hier. Du musst unbedingt mal wieder unter Leute kommen.“

„Partys sind nichts für mich. Siehst du die Männer dort drüben? Denen steht doch förmlich auf der Stirn geschrieben, dass sie mit ihrem letzten Unternehmen gescheitert sind und eine Frau suchen, die ihnen ihr nächstes finanziert, und keine Seelenverwandte.“

„Bist du etwa hier, um einen Seelenverwandten zu finden?“, fragte Katie mit erhobenen Augenbraue. „Nein, du willst dir nur einen schönen Abend machen und allenfalls eine intelligente Unterhaltung mit einem interessanten Mann führen.“

Seit sechs Monaten fühlte Katie sich dazu berufen, Annabelle ein neues Leben und Image zu verschaffen – angefangen mit dem lächerlichen Ring, den Annabelle nun an einem ihrer Zehen trug. Doch sosehr Katie sich auch bemühte, sie zu verändern, Annabelle würde es nie mit der natürlichen Extravaganz ihrer Freundin aufnehmen können, mit den pinkfarbenen Strähnchen in ihrem roten, mit Gel gestylten Haar, ihrem Glitzerlidschatten oder gar ihrem gepiercten Bauchnabel. Und zu dieser Party zu gehen war definitiv ein Fehler.

„Siehst du irgendwo Untersetzer?“, fragte Annabelle.

Katie zuckte mit den Schultern. „Stell das Glas doch einfach irgendwo hin.“

Annabelle schüttelte den Kopf und sah sich suchend um.

Katie straffte sich plötzlich und lächelte. „He, da drüben ist Jeff! Lass uns zu ihm rübergehen.“

Annabelle stöhnte im Stillen. Die Gruppe, auf die Katie zeigte, bestand ausschließlich aus Männern. Partys, auf denen ihre beste Freundin sich verpflichtet fühlte, sie sämtlichen unverheirateten Männern vorzustellen, waren ganz besonders anstrengend. „Oh, nicht diese Typen.“

„Wieso, was ist mit ihnen?“

Sie hatten keine blauen Augen. Und keine Narbe über dem rechten Auge. Und sie ließen auch nicht jede Zelle von Annabelles Körper vor Lebendigkeit vibrieren. Sie waren nicht Robert. Annabelle schüttelte den Kopf. „Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich hierfür extra früher Feierabend gemacht habe.“

Katie runzelte die Stirn. „Für die meisten Leute ist halb sechs nicht früh.“

„Wir arbeiten an einem wichtigen Projekt.“ Annabelle suchte noch immer einen Untersetzer für ihr Glas. „Und außerdem hatte ich einen anstrengenden Tag im Büro und brauche dringend Schlaf. Danke für die Einladung, Katie, aber ich möchte jetzt doch lieber nach Hause gehen.“

Katies Fußkettchen klirrten, als sie mit dem Fuß aufstampfte. „Mr. Ton in Ton lässt dich wohl Tag und Nacht schuften. Was war es eigentlich noch mal, was er fabriziert?“

„Solarzellen. Und es läuft ganz fabelhaft. Er ersetzt die Siliciumleiter, die derzeit noch im …“

Katie hob die Hand. „Nein, nein. Vergiss, dass ich gefragt habe. Wir haben uns erst letzte Woche über die Funktionsweise von Batterien unterhalten.“

Annabelle straffte die Schultern und begann Robert automatisch zu verteidigen. „Seine Ideen werden schon sehr bald die Energieversorgung unserer Laptops und die Beheizung unserer Häuser revolutionieren. Und hör auf, ihn Mr. Ton in Ton zu nennen. Sein dezenter Look ist sehr elegant, und Understatement ist doch etwas Positives.“

„Ja, aber dein Mr. Achrom trug diesen Look schon, bevor diese Millionärsshow im Fernsehen diesen Stil so populär machte. Außerdem ist der Trend schon längst vorbei.“

Ihren Drink in der Hand, wandte sich Annabelle zur Tür. „Ich gehe. Was ist das für ein Haushalt, in dem es nicht mal Untersetzer gibt?“

Katie schwenkte die Hand. „Vergiss, was ich über Mr. Ton in Ton sagte. Du solltest an etwas anderes denken als an ihn, und diese Party ist genau der richtige Ort dafür.“

„Das hatten wir doch alles schon einmal.“

„Du liebe Güte, Annabelle, ich möchte doch nur, dass du aufhörst, deine Zeit mit ihm zu verschwenden, und mal darüber nachdenkst, jemand anderen kennenzulernen. Wie lange arbeitest du jetzt schon für ihn – vier Jahre? Es fällt mir wirklich nicht leicht, es dir zu sagen, aber Robert Achrom wird dich niemals wahrnehmen. Er ist zu sehr damit beschäftigt, sich in seiner Firma zu engagieren und sich und allen anderen zu beweisen, dass er nicht sein Vater ist.“

Annabelle schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht mehr interessiert an Robert Achrom. Ich gebe ihn auf, aber ich kündige trotzdem nicht, weil er mir ein sehr gutes Gehalt zahlt. Vergiss nicht, dass er mir einen Job gab, als ich mehr Rechnungen als Stellenangebote hatte. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken. Also hör auf, mir Vorträge zu halten.“

„Schon gut.“ Katie deutete wieder auf die Gruppe Männer. „Ich mache dir einen Vorschlag. Wir gehen jetzt dort hinüber, und du brauchst nur einen einzigen Satz zu sagen, dann verziehen wir uns wieder.“

„Versprochen?“

„Versprochen. Aber der Satz darf nicht ‚auf Wiedersehen‘ lauten. Schließlich sind wir hier, um uns zu amüsieren. Und um zu feiern, dass du endlich deinen Abschluss machst.“ Augenzwinkernd hakte Katie sich bei Annabelle ein und zog sie durch die Menge.

„He, Katie, willst du uns nicht deine Freundin vorstellen?“

Das war nicht gerade sehr subtil. Annabelle versuchte, ihren Unwillen zu verbergen. Jeff erinnerte sich offenbar nicht mehr daran, aber sie waren sich schon einmal begegnet. Er ähnelte den Websites, die er entwarf. Sehr aufwendig und dekorativ, aber ganz und gar substanzlos. Katie hätte eigentlich wissen müssen, dass solche Typen sie nicht anzogen.

„Hi, Jeff. Das ist Annabelle.“ Katie gab ihr einen kleinen Schubs, der sie fast gegen seine Schulter stoßen ließ.

Er fing sie auf und ließ seine Hand auch gleich auf ihrem Ellbogen liegen. „Hi, Annie. Und was machst du so beruflich?“

Ich gehe an die Decke, wenn die Leute mich Annie nennen. Vermutlich war er einer dieser Typen, die ihre Baseballkappe mit dem Schirm nach hinten trugen, weil das gerade „in“ war. Außerdem musterte er sie, als versuchte er sich auszurechnen, was ihre Schuhe, ihre Kleider und ihr Schmuck gekostet hatten. Annabelle räusperte sich. „Ich bin Verwaltungsassistentin.“

Sein Fünfhundertwattlächeln verblasste. Eine Assistentin passte offenbar nicht in seine Pläne. „Schön, dich kennenzulernen. Mike hier erzählte uns gerade, dass er Hypnose lernt.“

Annabelle konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

Mike wandte sich Annabelle zu. „Du glaubst nicht an Hypnose?“

„Nein.“ So. Jetzt hatte sie etwas gesagt und konnte gehen.

Katie schüttelte den Kopf. „Das war kein vollständiger Satz. Du bleibst“, flüsterte sie.

Leider schienen auch all die anderen etwas mehr Small Talk von ihr zu erwarten.

„Du glaubst wirklich nicht an Hypnose?“, fragte Jeff.

„Na ja, ich bestreite nicht die Macht der Suggestion, aber ich glaube nicht, dass sie die Persönlichkeit eines Menschen ändern kann.“

Erinnerungen an die gemeinen Betrügereien ihres Vaters zerstörten auch ihr letztes bisschen Hoffnung, dass sie sich vielleicht doch auf dieser Party amüsieren könnte. Ihr Vater war ein echter Profi mit der Hypnose-Masche gewesen. Er hatte den Leuten Heilung durch Hypnose versprochen, ob sie nun rauchten, zu viel aßen, an ihren Nägeln kauten oder was auch immer. Und während es viele wohlmeinende, gut ausgebildete Hypnotherapeuten gab, die ihren Patienten durch Suggestion vielleicht tatsächlich helfen konnten, war ihr Vater weder wohlmeinend noch ein ausgebildeter Hypnotiseur gewesen. Annabelle unterdrückte das Schuldbewusstsein, das sie immer durchflutete, wenn sie an die Betrügereien ihres Vaters dachte.

Jeff lachte. „Na prima. Dann kannst du dich ja auch gleich für einen Versuch zur Verfügung stellen. Mike suchte nämlich gerade noch ein Opfer.“

Annabelle fuhr erschrocken zu Jeff herum. „Was?“

„Das ist eine Herausforderung, der ich mich nur zu gerne stelle“, sagte Mike.

Annabelle wickelte eine Haarsträhne um ihren Finger. Normalerweise trug sie ihr Haar aufgesteckt, aber Katie hatte darauf bestanden, dass sie ihr lockiges braunes Haar heute Abend offen trug.

„Bist du bereit?“, fragte Mike und legte aufmunternd einen Arm um ihre Schultern.

Nachdem sie sich zu dem Thema geäußert hatte, konnte sie jetzt eigentlich nicht ablehnen. Und vielleicht wäre es sogar ganz lustig, den anderen zu beweisen, dass sie Unrecht hatten. „Also gut“, erwiderte Annabelle seufzend.

Sie kannte alle Maschen und Tricks eines echten Profis, da ihr Vater einer gewesen war. Und deshalb hatte Mike mit seiner Hinterzimmer-Hypnose bei ihr nicht die geringste Aussicht auf Erfolg.

Mike lachte und legte dann die Hände trichterförmig um den Mund. „He, Heather“, rief er, „können wir das Schlafzimmer deiner Mitbewohnerin benutzen?“

Annabelle zuckte zusammen, als sich alle nach ihr umsahen.

„Dort wären wir ein bisschen ungestörter“, meinte Mike.

Heather zog eine Augenbraue hoch. „Was wollt ihr denn da tun?“

„Nichts Schlimmes“, versicherte ihr Mike. „Es ist nur so, dass Annabelle nicht glaubt, dass ich sie hypnotisieren kann.“

„Das klingt interessant, und Annabelle hypnotisiert zu sehen, das will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.“

Jeff führte die zunehmend größer werdende Gruppe den schmalen Gang hinunter zu einem Schlafzimmer, in dem sich nur noch ein Schreibtisch, eine Lampe und eine an die Wand gelehnte Matratze befanden.

„Shelley wird den Schreibtisch und die Lampe morgen abholen, aber die Matratze könnt ihr benutzen, da sie und ihr Verlobter sich ein extra breites Doppelbett zulegen werden“, verkündete Heather.

„Meine Damen, bitte. Wir müssen die richtige Atmosphäre schaffen.“

Heather lachte. „Ich bin früher mal mit dir ausgegangen, Mike. Ich kenne deine … Atmosphären.“

Mike schloss die Tür hinter den letzten Zuschauern, schob den Schreibtisch in die Mitte des Zimmers und bedeutete Annabelle, sich hinzusetzen. Dann schaltete er die grüne Schreibtischlampe ein. „Jemand soll das Deckenlicht ausschalten.“

Eine der Frauen kicherte, als es im Zimmer dunkel wurde, worauf Mike sich missbilligend räusperte. „Ich brauche absolute Stille. Also, Annabelle, du wirst jetzt sehr, sehr schläfrig.“

Sie lachte. „Also wirklich! Kannst du dir nicht etwas Originelleres einfallen lassen?“

Mike schob seine Ärmel bis zu den Ellbogen hinauf. „Arbeite einfach nur mit mir. Schließ die Augen und denk an gar nichts. Vergiss die anderen im Raum.“

Annabelle stieß etwas irritiert den Atem aus, aber sie schloss die Augen. Je eher er merkte, dass er sie nicht hypnotisieren konnte, desto eher konnte sie nach Hause gehen.

„Geh in deiner Erinnerung zurück und such nach einem Moment, in dem du ganz und gar entspannt warst.“

Sie öffnete ein Auge. „Ich bin nie entspannt.“

„Das stimmt. Ich habe sie noch nie wirklich entspannt erlebt“, bemerkte Katie.

„Gut, dann such dir eben eine angenehme Erinnerung.“ Mike gab Annabelle mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie beide Augen schließen sollte.

Eine angenehme Erinnerung? Das war nicht schwer. Da fiel ihr spontan der Tag ein, an dem sie bis spät in die Nacht mit Robert gearbeitet hatte und auf der Ledercouch im Büro eingeschlafen war. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee hatte sie geweckt. Sie hatte die Augen geöffnet und glaubte in Roberts tiefblauen Augen zu versinken, die ohne seine Brille noch unendlich viel verführerischer wirkten. Sein Blick war zu ihrem Mund geglitten, und einen atemberaubenden Moment lang hatte sie geglaubt, er werde sie nun küssen.

„Hast du eine Erinnerung gefunden?“, fragte Mike wie aus weiter Ferne.

Sie brauchte einen Moment, um seine Frage zu beantworten. „Ja.“ Ihre Stimme klang seltsam tief und undeutlich. Warum hatte sie solche Mühe, dieses eine Wort hervorzubringen?

„Gut. Dann denk jetzt bitte an diesen Augenblick. Konzentrier dich auf die angenehmen Gefühle, die diese Erinnerung dir bringt. Schieb alles andere bis auf diese Gefühle und meine Stimme in den Hintergrund.“

„Ja. Hintergrund. Kaffee“, wiederholte Annabelle. Sie schwankte ein bisschen und spürte durch den Nebel ihrer Erinnerung eine Hand auf ihrer Schulter.

„Vielleicht solltest du lieber aufhören, Mike.“

War das Katies Stimme? Komisch. Sie klang irgendwie verärgert. Was tat sie in Roberts Büro? Aber dann verblasste die Stimme wieder, und der Duft von Roberts Eau de Cologne erfüllte Annabelles Sinne, und ein köstliches Gefühl der Erwartung begann sie zu durchfluten, als seine Lippen ihr plötzlich so nahe waren, dass sie ihre fast berührten. Sie beugte sich zu ihm vor …

„Was sollen wir tun?“, flüsterte Heather.

„Wir sollten ihr etwas suggerieren. Was braucht sie? Hat sie schlechte Angewohnheiten?“, fragte Mike.

Annabelle kämpfte sich durch einen Nebel undeutlicher Worte und immer undurchdringlicher werdender Dunkelheit. Wer sprach denn da? Sie waren doch ganz allein in Roberts Büro. Vielleicht war es ein Kunde draußen vor der Tür. Aber zurück zu Robert …

„Sie arbeitet zu viel. Sie sollte sich ab und zu mal freinehmen.“

„Gut. Du wirst also spontan sein.“ Die dicht an ihrem Ohr gesprochenen Worte ergaben keinen Sinn für Annabelle. Sie kniff die Augen noch ein bisschen fester zu. Das Gerede störte sie, sie wollte zu ihrer angenehmen Erinnerung zurückkehren. Zu der Couch. Dem Duft von Kaffee und …

„Von jetzt an bist du ganz verrückt auf Marshmallows.“

Marshmallows zum Kaffee? Heather hat manchmal aber wirklich komische Ideen, dachte Annabelle.

„Und sexbesessen“, fügte jemand anderer hinzu.

„Nimm das sofort zurück, Jeff!“, sagte Katie scharf.

„Wieso? Es funktioniert doch sowieso nicht.“

„Doch, das tut es. Sieh sie dir doch an.“

War das Mike? dachte Annabelle.

„Ändere das!“, verlangte Katie, deren Stimme zunehmend besorgter klang.

Was für ein merkwürdiger Traum.

„Gut, dann wirst du also forscher sein in sexueller Hinsicht.“

„Lasst uns ihr etwas geben, womit sie etwas anfangen kann. Ich weiß, dass du gern Sit-ups machst“, sagte Heather.

„Du wirst dich nie wieder über deine Oberschenkel ärgern“, sagte Heathers Freundin Kelli.

„Du wirst nackt über das Baseballfeld in Bricktown laufen.“

Mike räusperte sich, um jeden möglichen Einwand zu verhindern. „Okay, Annabelle, wenn ich das Licht anmache, wirst du dich an nichts erinnern, aber die Suggestionen bleiben in deinem Unterbewusstsein.“

„Ach komm, Mike. Das ist nicht fair.“ Das war wieder Katies Stimme.

„Okay, okay. Das war doch nur ein Scherz. Ich nehme die Suggestionen zurück und lasse ihr nur das Gefühl angenehmer Ausgeruhtheit.“

Licht durchflutete den Raum. Die plötzliche Helligkeit versetzte Annabelle einen so heftigen Schock, dass sie Mühe hatte, die Augen aufzuschlagen.

Eine junge Frau stand in der offenen Tür, die Hand noch an dem Lichtschalter. „Oh, tut mir leid, ich wusste nicht, dass ihr hier drinnen wart. Was soll das hier überhaupt sein? Eine Séance?“

„Oh nein!“, sagte jemand.

Wer war hier in dem Raum mit ihr? Und wo war Robert? Moment mal, sie lag ja gar nicht auf einer Couch … Sie saß auf einem Stuhl. Und es roch auch nicht nach Roberts Kaffee.

Annabelle blinzelte ein paar Mal, bis ihre Augen sich an das helle Licht gewöhnt hatten. Sechs Gesichter wandten sich ihr beunruhigt zu. „Warum starrt ihr mich alle so an?“

Katie räusperte sich. „Bist du okay, Belle?“

Annabelle zuckte mit den Schultern. „Klar.“

„Was ist mit …“ Ihre Freundin verstummte mit einem vielsagenden Blick auf Mike.

Nachdem sie ein paar merkwürdige Blicke miteinander gewechselt hatten, verließen die anderen den Raum. Tatsächlich sah es fast so aus, als würden sie die Flucht ergreifen. Mike hatte seinen unbekümmerten Gesichtsausdruck verloren, seine Augenbrauen waren erhoben und seine Schultern angespannt. Er wirkte richtiggehend ängstlich.

„Erinnerst du dich nicht, Annabelle?“ Auch Katies Gesicht verriet Anspannung und Sorge. Komisch, dachte Annabelle. Sie fühlte sich großartig – es war alles in Ordnung mit ihr.

Aber dann erinnerte sie sich plötzlich wieder, warum sie in diesem Raum waren und sich alle so merkwürdig benahmen, und unterdrückte ein Kichern.

„Oh, du meinst, an die Hypnose? Tut mir leid, Mike, aber das scheint nicht funktioniert zu haben. Ich bin allerdings ein bisschen müde, und deshalb würde ich jetzt wirklich gern nach Hause gehen.“

„Du bist müde? Das ist gut. Für einen Moment dachte ich nämlich schon, du hättest all diese verrückten … Ach, vergiss es.“ Mike lächelte ihr zu und beeilte sich, das Zimmer zu verlassen.

Katie stieß einen Seufzer aus, der merkwürdig erleichtert klang. „Puh!“

„Ich hätte nie gedacht, dass ihr alle so erfreut sein würdet, dass ich müde bin“, sagte Annabelle, als sie aufstand und sich streckte.

Ihre liebste Freundin lächelte. „Es war schön, dass du heute Abend mitgekommen bist. Ich weiß ja, dass du nicht gern auf Partys gehst. Aber denk bitte noch einmal darüber nach, was ich dir vorhin sagte.“

„Über was?“

„Über deinen Boss. Du kannst nicht dein Leben ändern, wenn du dich nicht änderst. Also geh nach Hause und schlaf ein bisschen.“

„Oh, ich bin nicht müde. Ich fühle mich sogar richtig ausgeruht. Ich habe das nur gesagt, um Mike mit seinem Hypnose-Blödsinn abzuwimmeln.“

Katie erblasste unter ihrem Make-up. „Oh nein, verdammt!“

Annabelle runzelte die Stirn. Auch die anderen hatten alle irgendwie besorgt gewirkt, als sie den Raum verließen. Aber warum? Weshalb benahmen alle sich so merkwürdig? „Was ist hier eigentlich los?“

Ihre Freundin zupfte an ihrem Ärmel. „Du solltest ausgeruht und entspannt erwachen, aber du sagtest, du wärst müde, und …“

Annabelle schüttelte den Kopf und wandte sich zur Tür. „Was redest du da, Katie? Ich kann höchstens ein paar Minuten auf diesem Stuhl gesessen haben.“

„Ein paar Minuten? Du hast mindestens eine Viertelstunde dort gesessen. Vielleicht sollten wir Mike suchen und ihn noch mal …“

„Beruhige dich. Mir geht es gut. Mag sein, dass ich ein bisschen eingedöst bin im Dunkeln. Ja, ich glaube, ich erinnere mich sogar an einen kleinen Traum. Vielleicht fühle ich mich deshalb so erfrischt. Außerdem kannst du mir ruhig glauben, dass ich immun gegen Hypnose bin“, sagte sie, während sie ihre Tasche nahm und ihr Glas auf den Tisch stellte.

„Was, ohne Untersetzer?“, fragte Katie stirnrunzelnd.

Annabelle zuckte mit den Schultern. „Wer braucht schon Untersetzer?“ Und während Katie noch verblüfft nach Luft schnappte, schlüpfte sie auch schon hinaus.

Draußen schloss Annabelle ihren gebrauchten, aber zuverlässigen Volvo auf, ließ den Motor an und beeilte sich, den Parkplatz zu verlassen. Wieso war Katie so erstaunt gewesen, dass sie keinen Untersetzer nahm … das hieß doch noch lange nicht, dass sie hypnotisiert worden war.

Sie hatte in ihrem Leben schon genug Hypnosetricks gesehen. Die „Patienten“ ihres Vaters hatten ihn aufgesucht, um schlechte Angewohnheiten abzulegen, aber was sie vor allem losgeworden waren, war ihr Geld. Es war erstaunlich, wie gut ihr Vater darin gewesen war, so viele Leute um ihr Geld zu erleichtern, aber es nie geschafft hatte, auch nur einen Penny zu behalten. Als er gestorben war, hatte er ihr einen Berg von Rechnungen hinterlassen, überwiegend Schulden bei Verwandten. Nie würde sie die Stunden nach dem Begräbnis vergessen, als ihre Tante und ihr Onkel sich nach dem Geld und den Wertpapieren erkundigt hatten, die ihr Vater für sie „angelegt“ hatte. Und das unerträgliche Gefühl, ihnen gestehen zu müssen, dass sie um ihre gesamten Ersparnisse gebracht worden waren. Wie so viele andere, die ihrem Vater vertraut hatten.

Aber diesmal war es anders gewesen. Diesmal hatte er Familienangehörige betrogen. Ein paar Wochen vor ihrem achtzehnten Geburtstag hatte Annabelle ihren Highschool-Abschluss gemacht und sich Arbeit gesucht, um ihre Tante und ihren Onkel finanziell zu unterstützen.

Annabelle stellte das Radio ab und öffnete die Fenster, um die frische Nachtluft hereinzulassen. Was sie ihrer Freundin gesagt hatte, stimmte. Sie war ganz und gar nicht müde, sondern fühlte sich beschwingt und voller Energie.

Und sie hatte auch noch keine Lust, nach Hause zu fahren. Sie fuhr sehr gern bei Nacht durch Oklahoma City. Eine Fahrt um den See herum wird mich sogar noch mehr aufmuntern, dachte sie und fuhr in Richtung Norden, nach Lake Hefner.

Einige ihrer liebsten Erinnerungen waren mit diesem See verbunden. Ihr Vater hatte sie früher oft aus der Schule geholt und war mit ihr zu diesem See herausgefahren. Dann hatten sie auf den Felsen am Ufer gesessen und die Enten mit Brot gefüttert. Er hatte dann immer gesagt, sie schwänzten zusammen die Schule. Damals hatte sie diese besonderen Momente geliebt, aber heute waren sie für sie nur ein weiteres Zeichen der Verantwortungslosigkeit ihres Vaters.

Die laue Nachtluft streichelte ihre Haut und erinnerte sie daran, dass der Frühling nicht mehr allzu fern war.

Aber im Moment sah ihr Leben leider nicht sehr vielversprechend aus.

Vielleicht hatte Katie recht. Vielleicht war es in der Tat der richtige Moment, sich zu verändern. Und vielleicht hörte sie auch wirklich besser auf, von ihrem Boss zu träumen. Ja, wenn das doch nur so einfach wäre. Wann war sie in den vergangenen vier Jahren einmal morgens aufgestanden, ohne von Robert Achrom geträumt zu haben?

Ursprünglich hatte sie nur bei ihm arbeiten wollen, bis sie die Schulden ihres Vaters abbezahlt und ihren Abschluss gemacht hatte.

Sie wusste selbst nicht genau, wann ihre Gefühle sich geändert hatten. Robert war anders als alle anderen Männer, die sie kannte. Ein mächtiger, angesehener und vielleicht sogar gefürchteter Geschäftsmann, der seine erfolgreiche Karriere bei einer Investmentfirma aufgegeben hatte, um sein eigenes Geschäft zu gründen. Ein kluger, raffinierter Mann, der sich von jemandem wie ihrem Vater nicht hereinlegen lassen würde. Und wenn er sie mit seinen schönen blauen Augen ansah, glaubte sie schier dahinzuschmelzen. Außerdem wusste der attraktive, selbstbewusste Robert Ordnung und Genauigkeit zu schätzen. Wie hätte sie sich da auch nicht in ihn verlieben können?

Annabelle schlug mit der Hand aufs Steuer. Warum war sie so ein Idiot gewesen? Robert hatte nur zwei Dinge im Kopf – sein Unternehmen aufzubauen und es an die Spitze zu bringen. Und sie kam in keinem dieser beiden Ziele vor.

Was sie brauchte, war, die Arbeit hin und wieder einmal zu vergessen. Sich einen Tag für sich zu nehmen.

Katie sagte ihr das schon seit Jahren, aber bis heute war es ihr nie wie eine gute Idee erschienen.

Das würde sich jedoch ab heute ändern. Sie würde sich den Freitag freinehmen und sich ein langes Wochenende gönnen. He, das war schließlich ihr gutes Recht!

Annabelle betätigte den Blinker und hielt vor einem Lebensmittelladen. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, etwas zu kaufen, aber irgendwie hatte sie plötzlich Appetit auf etwas Süßes. Ja, etwas Süßes, Kalorienreiches war genau das, was sie heute Abend brauchte.

Robert Achrom liebte nichts mehr als den Montagmorgen. Er hasste die ihm von gesellschaftlicher Konvention auferlegten arbeitsfreien Wochenenden. Wie sollte sich ein Mann bei solchen Einschränkungen ein Unternehmen aufbauen?

Er schaltete das Licht in seinem Büro an, fuhr seinen Computer hoch und blickte sich auf seinem Schreibtisch um.

Und schaute noch einmal genauer hin.

Irgendetwas stimmte nicht. Auf seinem Schreibtisch fehlte etwas. Wo war sein Tageskalender? Und es wartete auch keine Tasse mit heißem Kaffee auf dem Untersetzer. Annabelle versorgte ihn mit diesen beiden unerlässlichen Gegenständen immer schon, bevor er kam. Wie sollte er seinen Tag beginnen, ohne zu wissen, was er zu tun hatte, und ohne die für ihn unentbehrliche Koffein-Starthilfe?

Robert ging wieder ins Vorzimmer. Nichts wies darauf hin, dass Miss Scott heute Morgen überhaupt erschienen war. Die Jalousien waren heruntergelassen, Miss Scotts Headset hing noch über dem Telefon. Das verhieß nichts Gutes an einem arbeitsreichen Montag. Besonders, nachdem sie schon am Freitag nicht gekommen war.

Vielleicht sollte er sie anrufen? Misstrauisch beäugte er die Telefonanlage auf ihrem Tisch. Er hasste dieses Ding. Lieber rief er sie von seinem Handy an. Doch bevor er die Schnellwahltaste für ihre Nummer drücken konnte, klappte er das Handy wieder zu. Miss Scott hatte am Freitag versprochen, am Montag wieder da zu sein. Und seine Assistentin hielt ihre Versprechen.

Ratlos kehrte er in sein Büro zurück, machte es sich auf dem komfortablen Chefsessel bequem, den Annabelle für ihn ausgesucht hatte, und wünschte, sie möge endlich kommen.

Nervös begann er mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Es konnte ja wohl nicht gleich der ganze Betrieb zum Stillstand kommen, nur weil er keinen Terminplan auf dem Schreibtisch hatte.

Aber zuerst brauchte er Kaffee. Und heute hatte er keine Zeit, in ein Café zu gehen wie am Freitag. Seufzend stand er wieder auf und ging in die kleine Küche, um sich Kaffee zu kochen.

Nach einiger Sucherei fand er die Filter und den Kaffee und stellte die Kaffeemaschine an. Es roch so, wie Kaffee riechen sollte. Aber wieso sollte es das auch nicht? Er hatte schließlich schon oft genug Kaffee gekocht.

Oder doch zumindest einmal, soweit er sich erinnern konnte.

Die Eingangstür öffnete sich und schloss sich wieder. Das musste Annabelle sein. Gut. Jetzt konnte er vielleicht endlich an die Arbeit gehen. Er nahm zwei Tassen und schenkte Kaffee ein. Er hatte Miss Scott noch nie Kaffee gekocht, aber wenn er schon einmal dabei war … Er hatte noch keine zweite Schritte getan, als er verwundert wieder innehielt.

Was war das für ein Geräusch im Vorzimmer? Ein Summen?

Es war das erste Mal, dass er Annabelle summen hörte, was nur bedeuten konnte, dass sie sich schon besser fühlte. Gut, denn er war sehr besorgt gewesen, als sie am Freitag nicht gekommen war. Robert lehnte sich mit der Schulter an die Wand und beobachtete, wie seine Assistentin aus ihrer pinkfarbenen Daunenjacke schlüpfte und sie über die Rückenlehne ihres Schreibtischstuhls hängte. Er hätte nie erwartet, sie einmal Pink tragen zu sehen. Und schon gar nicht, dass sie ihre Kleider einfach so über die Stuhllehne hängte. Aber Pink stand ihr – es bildete einen perfekten Kontrast zu ihren warmen braunen Augen.

Himmel, was dachte er sich nur! Robert schüttelte den Kopf über sich selbst. Miss Scott wäre entsetzt, wenn sie wüsste, in welche Richtung sich seine Gedanken neuerdings bewegten.

Fasziniert verfolgte er, wie sie eine kleine Efeupflanze aus einer Plastiktüte nahm und auf ihren Tisch stellte. Als sie sich dabei vorbeugte, fiel ihr eine Locke ihres langen braunen Haares über das Gesicht.

„Sie haben lockiges Haar“, bemerkte er.

Annabelle blickte auf, und ihre pinkfarben geschminkten Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. „Was?“, fragte sie verwirrt.

„Ihr Haar. Ich hatte nie bemerkt, wie lockig es ist.“

Annabelle lächelte flüchtig und strich ihr Haar zurück. „Es sind Naturlocken. Ich habe sie eigentlich nie gemocht, aber heute Morgen hatte ich irgendwie keine Lust, sie aufzustecken.“

Bevor sie einen weiteren unnötigen Kommentar abgeben konnte, reichte Robert ihr eine der Tassen. „Sie waren nicht an Ihrem Schreibtisch, als ich kam. Ich kann mich nicht entsinnen, wann Sie das letzte Mal zu spät gekommen sind.“

Wieder wurde ihm ganz seltsam warm ums Herz, als er sah, wie sie ihren Stuhl heranzog und sich an ihren Schreibtisch setzte. „Ich bin noch nie zu spät gekommen“, erklärte sie und verkniff sich ein Lächeln, als ihr Blick sein Gesicht verließ und tiefer glitt.

Robert kratzte sich am Kopf und überlegte. „Stimmt.“

Sie sagte nichts, sondern saß nur da und starrte auf seine Krawatte.

Er sah an sich herab. Es war kein Fleck zu sehen auf der schwarzen Seide. Er schnippte ein Fädchen von seinem ebenfalls schwarzen Hemd. „Würden Sie mir jetzt bitte etwas faxen und meinen Terminplan ausdrucken?“, fragte er, wandte sich ab und wollte hinausgehen.

„Nein.“

Er wandte sich um. „Was?“

„Ich finde, Sie könnten etwas Farbe in Ihrem Kleiderschrank gebrauchen.“

„Was?“, wiederholte er und kam sich dabei vor wie ein Idiot.

„Etwas Rotes oder vielleicht auch Blaues, das zu Ihren Augen passen würde.“

„Sind Sie krank? Ich kann es mir nicht leisten, dass Sie ausgerechnet jetzt krank werden, Annabelle.“

„Nein, es geht mir wirklich bestens.“

„Gut“, sagte er und deutete auf ihren Computer, den sie noch nicht angeschaltet hatte. „Würden Sie mir jetzt bitte meinen Terminplan ausdrucken?“

„Ich sagte doch schon Nein. Ich habe heute keine Lust zu arbeiten.“

Robert bemühte sich, so gut er konnte, seine Verwirrung zu verbergen. Annabelle hatte Nein gesagt, aber mit einem Lächeln, das ihn ihre Worte nicht ganz ernst nehmen ließ. Dennoch war er plötzlich wieder sehr besorgt um sie.

„Ich bestehe darauf, dass Sie zu einem Arzt gehen. Gehen Sie jetzt gleich, und kommen Sie nicht eher wieder, bis Sie eine ärztliche Bescheinigung haben.“

Ein merkwürdiger Ausdruck trat in ihre Augen, als sie sich erhob. Ein Ausdruck, den er noch nie zuvor in ihren braunen Augen gesehen hatte. Und dann streckte sie plötzlich die Hand aus und zog ihn an seiner Krawatte zu sich heran. Er war so überrascht, dass er sich mit den Händen auf ihren Schreibtisch stützen musste.

Ihr warmer Atem fächelte seine Wange – und im nächsten Moment lagen ihre Lippen auf seinen Mund und sie küsste ihn.

Im ersten Moment war Robert zu schockiert, um sich zu rühren. Aber dann registrierte er die Weichheit ihrer Lippen, ihr aufregendes Parfüm und nahm den Geschmack von etwas Süßem auf ihren Lippen wahr.

Eine längst vergessen geglaubte Leidenschaft erfasste ihn, als sie den Kuss beendete, und er legte ihr die Hände auf die Schultern und zog sie wieder an sich.

Annabelle lächelte, als er seinen Mund auf ihren senkte. „Ich kündige.“

3. KAPITEL

„Was?“

Roberts Verwirrung war so offensichtlich, dass Annabelle beinahe versucht war, ihn erneut zu küssen. Aber nur beinahe. Es machte ihr zu viel Spaß, dass er so durcheinander war, um ihn schnell wieder zu erlösen.

Annabelle hatte diesen Mann, der für sie der Inbegriff der Selbstbeherrschung war, noch nie so perplex erlebt wie heute. Ja, Robert war wirklich etwas ganz Besonderes. Sie hatte jahrelang für ihn gearbeitet, und dennoch krümmten sich noch immer ihre Zehen, wenn er mit seinen tiefblauen Augen auch nur einen Blick in ihre Richtung warf. Und sein Mund …

Sie konnte noch immer seine festen Lippen auf ihren spüren. Er wurde ihren kühnsten Fantasien gerecht. Sie hatte ihn schon seit vier Jahren küssen wollen.

Sie sah, wie seine Lippen sich bewegten. Ach du liebe Güte, er schien etwas gesagt zu haben! Sie räusperte sich. „Hast du was gesagt?“

„Hast du Schwierigkeiten, dich zu konzentrieren? Dann ist es nämlich etwas Ernstes.“

Sie winkte ab. „Nein, nein. Es geht mir gut. Willst du, dass ich den Rest des Tages noch bleibe, oder soll ich gleich meine Sachen packen und gehen?“

Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht, als dächte er für einen Moment über ein Leben ohne sie nach und sei alles andere als erfreut darüber. Hoffnung erwachte in ihr, starb aber gleich wieder. Denn schließlich ging es hier um Robert Achrom. Viel wahrscheinlicher war, dass er sich sein Büro ohne sie vorzustellen versuchte. Und seinem Verhalten von heute Morgen nach zu urteilen, kam er nicht besonders gut zurecht, wenn sie nicht da war.

Gut. Es wurde Zeit, dass er das einsah.

Aber seine Züge entspannten sich schon wieder, und er zeigte wieder seine übliche neutrale Miene. Er warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. „Du meinst das mit der Kündigung nicht ernst. Du stehst heute nur ein bisschen neben dir.“

„Wenn ja, dann sicher nicht, weil dieser Kuss mich umgehauen hat.“ So, das würde ihn lehren, in ihrer Gegenwart auf die Uhr zu schauen! Annabelle tat, als müsste sie ein Gähnen unterdrücken. „Im Grunde könnte ich jetzt sogar ein Nickerchen gebrauchen.“

Seine blauen Augen verengten sich. „Was soll das heißen? Dass du an meinem Kuss etwas zu kritisieren hast?“

„Na ja, du musst zugeben, dass er ein bisschen lahm war.“

Robert zog seinen Krawattenknoten noch ein wenig fester.

Komisch, dass sie diese Nervosität signalisierende Angewohnheit früher nie bei ihm bemerkt hatte. Sie sah auch, dass er schluckte.

„Lahm?“, fragte er.

„Oh ja, sehr. Vielleicht solltest du es noch einmal versuchen.“

Robert räusperte sich und warf einen Blick zur Tür. „Wir bewegen uns auf einem Terrain, das mir sehr gefährlich erscheint. Es könnte als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz …“

„Also wirklich“, unterbrach ihn Annabelle. „Als wüsste ein Richter nicht schon nach einem einzigen Blick auf deine Krawatte, dass so etwas in diesem Büro nicht vorkommt.“

„Nimm deine Tasche. Du brauchst einen Arzt. Am besten bringe ich dich zu meinem. Also komm“, sagte Robert und legte ihr sanft, aber entschieden die Hand auf den Arm.

Annabelle schüttelte den Kopf. „Nein, Robert, ich gehe nicht zum Arzt. Mir geht es ausgezeichnet. Besser als seit langer Zeit sogar.“ Und das stimmte. Sie hatte sich großartig gefühlt, als sie ihn an sich gezogen hatte.

Aber nun schüttelte sie seine Hand ab und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. „Ich muss arbeiten. Ich habe beschlossen zu bleiben. Zumindest so lange, bis die Anderson-Fusion erledigt ist. War da nicht etwas, das ich für dich faxen sollte?“, erinnerte sie ihn.

Robert rührte sich nicht. „Nimm deine Tasche, Annabelle. Und zwar auf der Stelle, denn sonst werfe ich dich über meine Schulter und trage dich hinaus.“

Sie winkte ihn weg. „Geh in dein Büro. Na los, nun geh schon.“

Robert Achrom war kein Mann, der es gewohnt war, weggescheucht zu werden wie eine Fliege. Workaholic, gnadenloser Geschäftsmann, erfolgreicher Unternehmer – das waren die Bezeichnungen, mit denen er normalerweise beschrieben wurde. Er wusste offensichtlich nicht, wie er mit dieser neuen Situation umgehen sollte. Aber Annabelle wusste, wie er sich verhalten würde. Er würde in sein Büro gehen, diese neue Entwicklung kritisch untersuchen und sich dann einen Schlachtplan zurechtlegen.

Wie auf ein Stichwort hin wandte er sich tatsächlich ab und ging in sein Büro. Sein Gang war nicht ganz so selbstsicher wie sonst, und Annabelle hätte schwören können, dass sie ihn wieder an seiner Krawatte zupfen sah. Anscheinend gefiel es ihm nicht, von ihr zu hören, dass sein Kuss sehr zu wünschen übrigließ. Und sie hatte auch etwas über sich selbst entdeckt: dass es ihr großen Spaß brachte, Robert Achrom in Verlegenheit zu bringen.

Annabelle schaffte es, das Telefon beim vierten Klingeln abzunehmen. „Achrom Enterprises.“

Katie lachte. „Ich dachte schon, es würde niemand rangehen.“

„Die Zeiten, in denen ich losrannte, sobald das Telefon klingelte, sind vorbei. Was ändert es schon, ob ich mich beim ersten oder fünften Klingeln melde?“

„Tut mir leid, ich dachte, ich spräche mit Annabelle Scott. Ist sie da?“

Annabelle lehnte sich zurück und legte die Beine auf den Schreibtisch. „Haha. Du wirst mich ohnehin nicht mehr lange auf dieser Nummer erreichen. Ich habe Robert heute Morgen gesagt, dass ich kündige.“

„Was? Wieso?“

„Nachdem ich mir Freitag freigenommen hatte …“

Katies Stöhnen unterbrach sie. „Das klingt nicht gut.“

„Im Gegenteil, es war großartig. Ich kann nicht immer nur an die Arbeit denken. Ich brauche auch mal einen freien Tag.“

„Das ist genau das, was ich dir am Donnerstag gesagt habe.“

„Wirklich? Das weiß ich gar nicht mehr. Wann?“

Ein weiteres leises Stöhnen war die einzige Antwort.

„Bist du okay, Katie?“

„Ich weiß nicht. Aber sag mir doch bitte, wie Mr. Ton in Ton auf deine Kündigung reagiert hat, Belle.“

„Er wollte, dass ich zum Arzt ging, aber ich habe ihn wieder in sein Büro gescheucht.“

„Du hast … was? Die halbe Stadt hat Angst, auch nur in der Nähe dieses Manns zu sein!“ Katie schwieg einen Moment, dann sagte sie: „Lass uns zusammen Mittag essen. Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.“

„Oh, das geht nicht. In der Mittagspause lasse ich mir die Nägel machen.“

Katie atmete tief ein. „Du gehst zur Maniküre?“

„Klar. Ich dachte, du würdest dich darüber freuen. Du kritisierst mich doch andauernd wegen meiner unlackierten Fingernägel. Ich hatte an ein tiefes Rot gedacht.“

Katie murmelte etwas Unverständliches und seufzte dann. „Dann warte dort auf mich. Oder geh am besten gleich nach Hause, bevor du noch mehr Schaden anrichtest. Das Beste wäre, Robert aus dem Weg zu gehen, bis ich es dir erklärt habe …“

Annabelles Brust wurde plötzlich so eng, dass sie nicht mehr mit Katie reden mochte und auch nicht mehr hören wollte, was ihre beste Freundin ihr zu sagen hatte. „Ich muss jetzt auflegen, Katie. Robert hat mir tausend Sachen zu erledigen gegeben.“

„Ich dachte, du hättest gekündigt?“

„Ja, aber nach dem Kuss habe ich noch mal darüber nachgedacht und beschlossen, es noch einmal mit ihm zu versuchen.“

„Nach was für einem Kuss?“

„Bis dann, Katie, wir sehen uns nach der Arbeit.“

„Warte …“

Aber Annabelle beendete das Gespräch und verstaute das Headset dann in ihrer Schreibtischschublade. Dieses praktische kleine Gerät wurde ihr allmählich lästig. Und ihr Schreibtisch sah ohne auch sehr viel ordentlicher aus. Hm. Es war kurz vor elf. Vielleicht sollte sie jetzt doch lieber ein bisschen arbeiten. Zumindest ein paar Faxe schicken.

Als sie nach der Marsh-Akte griff, die Robert ihr gebracht hatte, ließ eine eigenartige Neugier ihre Fingerspitzen prickeln. Marsh … irgendetwas an dem Namen …

Sekunden später saß sie vor ihrem Computer und gab ihre Anfrage in die Suchmaschine ein.

Wenig später kam Robert aus seinem Büro. „Annabelle, ich hatte um halb elf eine Konferenz mit Smith und Dean. Dean hat mir gerade eine E-Mail geschickt und gefragt, wieso ich mich nicht gemeldet habe.“

„Hast du das vergessen? Ich habe dir deinen Terminplan ausgedruckt. Er müsste in deiner Ablage sein.“

„Wieso denn das? Du legst ihn mir doch sonst immer auf den Schreibtisch.“

Hm. Sie hatte es ihm offenbar zu leicht gemacht. „Ich hatte viel zu tun.“

„Hast du die Faxe schon erledigt?“

„Nein, aber ich hatte einen ausgesprochen produktiven Morgen.“

Ein schon fast komischer Ausdruck der Erleichterung huschte über sein Gesicht. „Gut.“

Sie deutete auf den Computerbildschirm. „Ja, ich habe eine Menge Zeit im Internet verbracht und mir alles über Marshmallows herausgesucht. Irgendetwas ließ mir keine Ruhe, und als ich die Marsh-Akte sah, machte es plötzlich klick bei mir. Ich hatte mir Donnerstagabend sogar welche gekauft. Ich wusste selbst nicht recht, warum, aber jetzt ist es mir klar. Weil sie einfach köstlich sind. Du solltest …“ Annabelle öffnete ihre Schreibtischschublade und beugte sich darüber. Wo war das Päckchen?

Robert räusperte sich. „Ich habe beschlossen, es noch einmal zu versuchen.“

Sie blickte auf zu ihm. Ah, er hatte wieder diese ernste Miene aufgesetzt. Das konnte sie mit einer einzigen Frage ändern. „Das Küssen?“

Er begann wieder an seiner Krawatte herumzuzupfen. „Nein, das nicht. Bist du eigentlich absichtlich so schwierig?“

War das ein Erröten? Gut. Annabelle begab sich wieder auf die Suche.

„Hör auf, in dieser Schublade herumzukramen, und hör mir zu! Was ist los mit dir? Und was suchst du überhaupt?“

Triumphierend zog sie eine große Tüte aus der Schublade. „Die hier. Sie hatten eine unglaubliche Auswahl in dem Laden. Es gab Marshmallows mit Zuckerguss und Schokoladenguss. Und dann sah ich die hier. Sind sie nicht entzückend? So klein und alle in verschiedenen Farben. Möchtest du eins?“

„Nein, ich möchte keins. Ich will meinen Terminplan auf meinem Schreibtisch haben, dass meine Faxe gefaxt werden und die alte Annabelle Scott zurückkommt!“

„Du brauchst mich nur darum zu bitten.“

Roberts Gesicht entspannte sich ein wenig. „Also gut. Bitte.“

„Ich werde es gleich erledigen. Sobald ich von der Maniküre zurück bin.“ Sie steckte sich ein paar Marshmallows in den Mund und griff nach ihrer Tasche. „Bis später.“

Annabelle kam sich wie ein neuer Mensch vor, als sie zwei Stunden später aus dem Schönheitssalon zurückkam. Robert saß an ihrem Schreibtisch, trug ihr Headset auf dem Kopf und telefonierte.

„Nein, Mr. Achrom ist nicht hier“, log er. „Er ist in einer dringenden Familienangelegenheit unterwegs.“ Robert drückte ein paar Knöpfe. „Verdammt, jetzt ist das Gespräch schon wieder weg.“

Annabelle lächelte. „Ich wusste gar nicht, dass du Familie hast.“

Robert blickt auf, riss sich die Kopfhörer herunter und zerraufte sich dabei sein braunes Haar. „Wo hast du nur gesteckt? Das Telefon hat wie verrückt geklingelt.“

„Na ja, du weißt ja, wie das ist. Ich wollte zwar eigentlich nur zur Maniküre, aber da ich schon einmal da war, habe ich mir auch gleich noch eine Gesichtsmassage machen lassen.“

Seine Augen funkelten vor Frustration und Ärger. „Nein, ich weiß überhaupt nicht, wie das ist! Ich weiß nur, dass ich seit zwei Stunden hier an diesem Schreibtisch sitze und alle Anrufer vergraule.“

Annabelle lachte und strich mit ihren leuchtend roten Fingernägeln über seine Wange. „So schlimm war es ganz sicher nicht.“

Als sie an ihm vorbeiging, streifte sie mit voller Absicht seinen breiten Rücken. Er hatte sein Jackett ausgezogen, was nur selten vorkam. Die ausgeprägten Muskeln an seinem Rücken spannten sich an, als er ihr auswich. Sie unterdrückte den Impuls, ihn zu berühren, aber ihre Lippen brannten, als sie an ihren Kuss von heute Morgen dachte. Ja, das Spiel mit dem Feuer hatte durchaus angenehme Nebenwirkungen.

„Trägst du Tennisschuhe?“, fragte er.

Sie blickte auf ihren Rock, ihre nackten Beine und die neuen Turnschuhe. „Ich habe sie nach der Gesichtsmassage gekauft. Ich war so entspannt, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, wieder in hochhackige Pumps zu schlüpfen.“

„Und was ist mit der Kleiderordnung im Büro?“

„Ach, habe ich dir das noch nicht gesagt? Die habe ich heute Morgen geändert. Ab heute ist legerere Kleidung angesagt. Da ich nicht nur die Verwaltungsassistentin, sondern auch die Bürovorsteherin und die Buchhalterin bin, habe ich die neue Kleiderordnung mit mir selbst besprochen und beschlossen. Und da ich weiß, wie sehr du Ordnung und Tüchtigkeit zu schätzen weißt, habe ich die neuen Regeln auch gleich ausgedruckt und an den Kühlschrank im Pausenraum gehängt.“

Autor

Jill Monroe
Jill Monroes Großeltern glaubten fest daran, dass ihre Enkel erfahren sollten, wie befriedigend harte Arbeit ist. Im Klartext hieß das, Kartoffeln ernten bei einer Temperatur von 38 Grad. Ihre Großmutter hielt es für ihre persönliche Pflicht, die aussterbende Kunst des Einmachens, Nähens und der Haushaltführen an ihre einzige Enkelin weiterzugeben....
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Isabel Sharpe
Im Gegensatz zu ihren Autorenkollegen wurde Isabel Sharpe nicht mit einem Stift in der Hand geboren. Lange Zeit vor ihrer Karriere als Schriftstellerin erwarb sie ihren Abschluss in Musik auf der Yale Universität und einen Master in Gesangsdarbietung auf der Universität von Boston. Im Jahre 1994 rettet sie die Mutterschaft...
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Meg Maguire
Bevor Meg Maguire Schriftstellerin wurde arbeitete sie in einem Plattenladen, als Barista in einem Coffee – Shop und als annehmbare Designerin. Heute liebt sie es sexy Geschichten über starke Charaktere zu schreiben. Meg Maguire lebt mit ihrem Ehemann im Norden von Boston. Wenn sie nicht gerade neue Geschichten erfindet oder...
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