Tiffany Exklusiv Band 80

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KOMM UND SPIEL MIT MIR! von CINDI MYERS

Mehr Spaß bei der Liebe - und alles, was man dazu braucht, verkauft Jill in dem Sexshop, den der neue Besitzer schließen will. Da hilft nur eins: umfassende Aufklärung - möglichst praxisnah! Sie überrascht den eher zurückhaltenden Mitch mit einem ganz speziellen Angebot …

VERFÜHRUNG PER E-MAIL von JULIE COHEN

Gleich das erste Date mit dem gut aussehenden Jay endet noch besser, als Jane es sich erträumt hat: im Bett! Dieser Mann ist nicht nur die pure Verführung, er scheint auch ihre erotischsten Fantasien genau zu kennen - die sie bis jetzt nur ihrem E-Mail-Freund Jonny verraten hat …

VORSICHT: VIEL ZU SCHARF! von LESLIE KELLY

Einen Fremden verführen? So etwas Verrücktes hat Pilotin Amanda noch nie gemacht. Aber seit der attraktive Unternehmer Reese an Bord ihres Fliegers ging, spürt sie ein brennendes Verlangen, das seinen Höhepunkt in Las Vegas findet. Verkleidet à la Pretty Woman empfängt sie Reese zur perfekten Verführung …


  • Erscheinungstag 05.05.2020
  • Bandnummer 80
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726959
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cindi Myers, Julie Cohen, Leslie Kelly

TIFFANY EXKLUSIV BAND 80

1. KAPITEL

Jill Sheldon glaubte an Glücksparfüm, Push-up-BHs und daran, dass man jeden Tag Spaß haben sollte. Deshalb muss es doch der richtige Job für mich sein, hatte sie spontan gedacht, als sie vor einem halben Jahr das Schild „Aushilfe gesucht“ im Schaufenster von „Just 4 Play“ gesehen hatte. Was konnte mehr Spaß machen, als in einem Spielwarenladen zu arbeiten?

Na ja, „Just 4 Play“ verkaufte Sexspielzeug und erotische Unterwäsche. Was war schlecht daran, ins Liebesleben der Leute ein bisschen mehr Spaß hineinzubringen? Inzwischen arbeitete sie dort seit sechs Monaten und hatte schon viel Spaß gehabt – und zwar sowohl bei der Arbeit als auch nach Feierabend. Das Leben war entschieden zu kurz, um sich nicht zu amüsieren.

„Sollen die Musik-Kondome zu den anderen oder in die Abteilung mit den Neuheiten?“, fragte sie eines Mittwochnachmittags, als sie und ihr Kollege Sid Crawford gerade eine Warenlieferung auspackten.

Sid runzelte die Stirn, wobei sich sein Augenbrauenring auf seine Nase zubewegte. „Zu den Neuheiten, glaube ich. Und arrangier die Auslage so, dass es voll aussieht. Möglicherweise ist das die letzte Lieferung, die wir für eine Weile bekommen haben.“

„Warum denn?“ Sie drückte auf die Kondompackung und grinste, als ziemlich blechern der „Bolero“ erklang.

„Es wird eine Zeit lang dauern, bis alles auf den Namen des neuen Besitzers läuft.“

Jill stellte die Kondome neben eine Schachtel mit essbarer Unterwäsche. Oder sollte sie ein „Erlebnis-Set totaler Sinnlichkeit“ arrangieren und noch ein Massageöl dazupacken? „Ich werde den alten Grif vermissen.“ Sie hielt einen Moment in Gedanken an den verstorbenen Griffeth Landry inne, den früheren Besitzer von „Just 4 Play“. Er war im letzten Monat auf dem Golfplatz von einem Blitzschlag getroffen worden.

„Ja, Grif war cool.“ Sid nickte, was seine pinkfarbene Irokesenfrisur in Bewegung brachte.

„Wie ist sein Neffe eigentlich so?“, wollte Jill wissen.

Sid zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin ihm noch nicht begegnet.“

„Ach komm schon. Du musst doch etwas wissen. Wie heißt er?“

„Mitchell Landry. Aber das ist auch schon alles, was ich weiß.“

Sie ging zu Sid und lehnte sich gegen einen Kartonstapel. „Woher kommt er? Lebt er hier in Boulder?“

„Weiß ich nicht.“

„Was macht er beruflich?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Wie alt ist er?“

Sid hob abwehrend die Hände. „Ich schwöre, ich weiß nichts über ihn. Ehrlich.“ Er schlitzte den nächsten Karton auf. „Du bist echt neugierig.“

„Ich weiß nur gern Bescheid. Hast du nie davon gehört, dass Wissen Macht bedeutet?“

„Klar. Aber wann warst du je machtlos?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Nie. Und ich habe auch nicht vor, es jemals zu sein.“

„Ich schätze, du musst weiter im Dunkeln tappen, bis Mr. Mitchell Landry beschließt, uns mit seiner Gegenwart zu beehren.“

„Sehr alt kann er nicht sein, wenn er Grifs Neffe ist. Vielleicht ist er ja jung und gut aussehend – und ich kann ihm helfen, einige der Waren mal auszuprobieren.“ Lächelnd hielt sie ein Paar pelzgefütterte Handschellen hoch.

Sid schüttelte den Kopf. „Du bist unverbesserlich.“

„Ich weiß einfach nur, wie man sich amüsiert.“

„Ja, aber manchmal muss man auch ernst sein.“

Das kam ausgerechnet von einem Mann mit pinkfarbenen Haaren, der mehr Schmuck besaß als sie. „Das Leben ist zu kurz, um ernst zu sein“, konterte sie. Dann schlitzte sie einen weiteren Karton auf und nahm ein mit Pailletten besetztes BH-Oberteil heraus. Strasssteine und falsche Perlen glitzerten im Neonlicht. Jill staunte. „Sieh dir das an!“

„Was soll das sein? Ein Kostüm?“

„Just 4 Play“ war auf raffinierte Kostüme spezialisiert, für Leute, die gern ihre romantischen Fantasien auslebten.

„Das muss das Kostüm einer Haremsdame sein.“ Als Nächstes angelte sie eine hauchdünne Haremshose aus dem Karton. „Ist das nicht toll?“

Sid packte seine Kartons weiter aus. „Ich wette, es ist nicht so beliebt wie das Zimmermädchen oder Schwester Betty.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher, Sid. Es ist ziemlich sexy, wenn du mich fragst.“ Sie drehte das BH-Oberteil hin und her und betrachtete den funkelnden Modeschmuck. „Ich werde es der Puppe im Schaufenster anziehen.“

„Das ist eine gute Idee. Ihr schwarzer Lederdress wird in der Sonne nämlich allmählich trocken.“

Sie nahm die Haremshose und ging in den hinteren Teil des Ladens. „Hey, wo willst du hin?“, rief Sid ihr hinterher. „Wir müssen noch eine ganze Palette Kartons auspacken.“

„Ich will es anprobieren und ein bisschen vorführen.“

„Aber sag den Kunden rechtzeitig, dass du nicht im Preis inbegriffen bist.“

Sie sah über die Schulter und grinste. „Das kommt ganz auf den Kunden an.“

„Du führst doch nur große Reden, und das weißt du genau.“

Sie betrat die Umkleidekabine und zog den Vorhang zu. Vielleicht war sie nicht so wild, wie sie manchmal tat. Aber der halbe Spaß bestand doch sowieso darin, so zu tun als ob. Bei „Just 4 Play“ ging es um Spaß und Fantasien. Was konnte es da schaden, ein wenig mit den Kunden zu flirten? Sie freute sich, wenn sie den Laden zufrieden verließen. Und wenn sexy Kleidung und erotische Anspielungen dazu beitrugen – warum nicht?

Der BH passte perfekt und betonte ihr Dekolleté. Die durchsichtige Haremshose, die sie über ihren pinkfarbenen Seidenslip zog, saß tief auf ihren Hüften. Die schimmernde Gaze bauschte sich an ihren Beinen und lag fest um ihre Knöchel. Gut gelaunt betrachtete Jill sich im Spiegel der Umkleidekabine. Nicht schlecht. Dieses Kostüm würde bestimmt ein Verkaufsschlager werden.

Wenn jetzt noch der richtige Mann kam, um es zu kaufen, und das Piratenkostüm gleich dazu …

Sie musste lachen. Grif und Sid hatten sie aufgezogen wegen des Errol-Flynn-Kostüms, das Jill unbedingt hatte bestellen wollen. „Welche Frau würde sich nicht gern von einem verwegenen Piraten entführen lassen?“, hatte Jill argumentiert. Anscheinend nicht viele, da das Kostüm seit Monaten auf dem Kleiderständer verstaubte. Aber eines Tages würde sie einen Mann finden, der es für sie tragen würde.

Dummerweise meinten es die meisten Männern, die sie kennenlernte, immer gleich ernst. Jill wollte bloß ein bisschen Spaß, aber ehe sie sich versah, schauten sie ihr tief in die Augen und sprachen von Hochzeit und Kindern und lauter komplizierten Sachen. Was war nur aus all den Männern mit Beziehungsängsten geworden, von denen sie gelesen hatte? Und warum landete sie ständig bei den anderen?

Sie verließ die Umkleidekabine. „Wie sehe ich aus?“, rief sie Sid zu, hob die Arme und drehte sich.

Er musterte sie kritisch. „Wie ein Mädchen vom Land, das sich als Haremsdame verkleidet hat.“

„Na komm. Sehe ich nicht ein bisschen exotisch aus?“

„Tut mir leid, Süße, aber mit diesen großen blauen Augen und der Stupsnase, ganz zu schweigen von den blonden Locken und den Sommersprossen, siehst du nun einmal aus, als wärst du gerade dem Bus aus den Maisfeldern Iowas entstiegen. Das Schulmädchenkostüm würde besser zu dir passen.“

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. „Das liegt nur daran, dass ich zu klein bin. Es ist schwer, verführerisch auszusehen, wenn man bloß knapp einen Meter sechzig groß ist.“

„Hey, das weißt du doch gar nicht. Viele Männer stehen auf den natürlichen Look.“

„Natürlich ist Käse.“ Sie wollte ihm gerade die Zunge herausstrecken, als die Glöckchen über der Tür klingelten und ein Kunde den Laden betrat.

Die Menschen benahmen sich sehr unterschiedlich, wenn sie zum ersten Mal „Just 4 Play“ betraten. Viele waren nervös, klimperten mit Kleingeld, kicherten oder wurden sogar rot. Manche wussten genau, was sie wollten, und beachteten die anderen Angebote nicht einmal. Einige glaubten offenbar, eine Art Hobbyladen betreten zu haben, und verschwanden gleich wieder, sobald sie ihren Irrtum erkannten. Paare kamen Händchen haltend herein und unterhielten sich leise, während sie die Auslagen anschauten und den Einkauf ganz offensichtlich als Vorspiel zu intimeren Stunden verstanden.

Doch der Mann im Anzug, der jetzt hereinkam, strahlte von seiner akkuraten Frisur bis zu den Spitzen seiner auf Hochglanz polierten Schuhe eine Seriosität aus, die Jill bisher bei keinem Kunden erlebt hatte. Seine Miene hätte man eher bei einem Banker erwartet, der einem gerade einen Kredit verweigert hatte, und seine Haltung, eindrucksvoll betont von den breiten Schultern, war die eines Gladiators vor dem Kampf.

„Willkommen bei ‚Just 4 Play‘“, begrüßte sie ihn und trat absichtlich nah an ihn heran. „Ist es Ihr erstes Mal?“

Der Blick aus seinen wundervoll schokoladenbraunen Augen wirkte schockiert. „Wie bitte?“

Sie kam noch näher, sodass ihr Arm seinen streifte. Sie nahm den Duft seines würzigen Eau de Toilettes wahr. Aramis. Ein Duft, den sie schon immer besonders sexy gefunden hatte. „Besuchen Sie zum ersten Mal unser Geschäft?“

„Ja.“ Er wich einen Schritt zurück und schaute sich um. Beim Anblick der lebensgroßen aufblasbaren Gummipuppe im roten Seidenbikini stutzte er. „Wie ich sehe, ist alles wahr, was ich über diesen Laden gehört habe.“

„Oh.“ Sie griff nach seinem Arm und zog den Mann weiter hinein. „Ich hoffe, Sie haben nur Gutes gehört. Suchen Sie etwas Bestimmtes? Etwas für Sie und Ihre Frau?“

„Ich bin nicht verheiratet.“

Sie lächelte. Er ist nicht verheiratet. Wie schön.

Er schaute sich noch immer um und schien zu missbilligen, was er sah. Nun, solche Kunden gab es auch. Aber Jill fand, da er schon einmal hier war, konnte sie ihn ruhig ein bisschen neugierig machen. Der Trick bestand darin, herauszufinden, was der Kunde wirklich wollte. „Dann eben etwas für Sie und Ihre Freundin.“

Diesmal wirkte er richtig schockiert. Er befreite sich aus ihrem Griff. „Ich glaube nicht, dass meine Freundin an irgendetwas von dem, was Sie hier führen, interessiert ist.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher.“ Sie waren in der Abteilung für Unterwäsche und Kostüme stehen geblieben. „Wir haben sehr hübsche Unterwäsche. Nachthemden und Teddys. Unsere Strapse sind auch sehr beliebt.“ Sie hielt einen schwarzen Strumpfhalter hoch. „Stellen Sie sich Ihre Freundin darin vor, mit Seidenstrümpfen und Stilettoabsätzen.“

Eine leichte Röte schoss ihm in die gebräunten Wangen. „Deshalb bin ich nicht hier.“

Jill lächelte und legte das Kleidungsstück wieder weg. Hieß es nicht, stille Wasser seien tief? Sie war überzeugt, dass Mr. Konservativ ein richtiger Tiger sein konnte, wenn er sich nur einmal gehen ließ. „Bevorzugen Sie etwas Sinnlicheres?“ Sie führte ihn zu einem Sortiment Massageöle – meistens ein guter Einstieg für Neulinge. Als sie am Schaufenster vorbeikamen, brachte das hereinfallende Sonnenlicht die Strasssteine an ihrem BH zum Funkeln.

„Was tragen Sie da eigentlich?“, fragte ihr Kunde.

Sie hob die Hände und vollführte die Bewegungen einer Bauchtänzerin. „Es gehört zu unserer Sammlung von Fantasiekostümen. Möchten Sie die anderen sehen?“

Der Mann betrachtete sie eingehend. Sein Blick war fast wie eine Liebkosung. Jill widerstand dem Impuls, die Arme vor den Brüsten zu verschränken, um sie vor dem intensiven Blick des Mannes zu verbergen. Er musste wirklich lernen, lockerer zu werden. „Gibt es tatsächlich Leute, die so etwas nicht nur zu Halloweenpartys tragen?“

Sein belustigter Ton bewirkte, dass sie sich entspannte. „Selbstverständlich. Paare leben gern ihre romantischen Fantasien aus. Der Mann verkleidet sich zum Beispiel als Cowboy, komplett mit ledernen Beinschützern. Unser Bauarbeiter-Werkzeuggürtel ist auch sehr gefragt.“ Ihr Lächeln wurde breiter. Dieser Mann würde in dem Kostüm zweifellos ganz besonders gut aussehen. „Oder eine Frau möchte sich als Zimmermädchen oder Krankenschwester verkleiden.“ Sie kam näher und fuhr mit sinnlicher Stimme fort: „Was haben Sie denn für Fantasien, Sir? Wir haben bestimmt die richtigen Accessoires dafür.“

Oje, da hatte sie wohl die falsche Frage gestellt. Oder genau ins Schwarze getroffen. Jedenfalls war die makellose Fassade im Nu wieder da. Aber trotzdem hatte er einen Hinweis darauf gegeben, dass er ein Mann mit unerforschten Tiefen war. Einer, der seine Emotionen unter Kontrolle hielt, bis die richtige Frau kam …

Errötend wandte sie sich ab und fühlte sich wie ein kleines Kind, das etwas gesehen hat, was es nicht sehen sollte.

„Ich bin momentan nicht an Fantasien interessiert …“

„Wir haben außerdem wundervolle Bücher über erotische Massagen.“ Es war einfach lächerlich, sich von einem Fremden derart aus der Fassung bringen zu lassen. Jill nahm erneut seine Hand, um ihn zu einem altmodischen Schrank voll bunter Flaschen und Dosen zu führen. „Hier haben wir die aromatisierten Massageöle. Sie sind bei Frauen und Männern gleichermaßen beliebt.“ Sie schraubte die Kappe von einer Probeflasche mit Zimtgeschmack ab. Dabei spürte sie, wie er sie beobachtete. Ein Schauer überlief sie.

„Wussten Sie, dass laut Untersuchungen der erregendste Duft für Männer der von Zimtbrötchen im Ofen ist?“ Sie gab etwas von dem Öl auf die Innenseite ihres Handgelenks und hielt es ihm hin. „Duftet das nicht herrlich?“

Er schloss die Finger um ihr Handgelenk. Sie fühlten sich stark und warm an. Es waren lange, behutsame Finger, die einer Frau sicher viel Lust bereiten konnten, falls er Geschick bewies. Und etwas sagte ihr, dass dieser Mann sich sehr wohl darauf verstand, seine Fähigkeiten einzusetzen. Er hob ihr Handgelenk an seine Nase und atmete mit geschlossenen Augen tief ein. Seine Lippen waren so nah an ihrer Haut, dass sie seinen warmen Atem spürte und prompt weiche Knie bekam. Sie wollte sich seinem Griff entziehen, fand jedoch nicht die Kraft dazu. Was war hier eigentlich los?

Er machte die Augen wieder auf und sah tief in die ihren, diesmal so ernst, als hätte ihr Flirtversuch ihn völlig kaltgelassen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, er könnte ihr Kostüm und ihr Necken durchschauen und ihr wahres Ich erkennen, das sie nie jemandem zeigte.

Erschrocken machte sie sich von ihm los. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Warum sah er sie auf diese Weise an? Was sollte das? „Tja, Sie sagen mir lieber, warum Sie hier sind, und ich werde mal sehen, ob jemand Ihnen weiterhelfen kann“, erklärte sie, wobei sie jeden weiteren Blickkontakt vermied und dachte, dass sie dieser Jemand nicht sein würde. Die Flasche mit dem Öl stellte sie schnell zurück und rieb sich die nackten Schultern, um das Frösteln zu vertreiben. Sie war es gewohnt, die Dinge unter Kontrolle zu haben, daher gefiel es ihr ganz und gar nicht, dass ein Fremder die Situation so rasch beherrschte.

„Ich bin auf der Suche nach dem Manager“, sagte er in einem Ton, als wäre nichts Außergewöhnliches zwischen ihnen vorgefallen.

„Gern. Er heißt Sid. Er ist hinten und packt die neu eingetroffene Ware aus.“ Sie richtete sich auf und zwang sich, selbstbewusst zu klingen. „Verraten Sie mir Ihren Namen, dann hole ich Sid.“

„Mein Name ist Landry. Mitchell Landry. Ich bin der neue Besitzer dieses Ladens.“

Mitchs Kiefer verspannte sich, als der Angestellten eine sanfte Röte in die Wangen schoss. Sie hatte wunderbar zarte Haut … von der dieses Haremskostüm reichlich zur Geltung brachte. Und dann diese Augen – veilchenblau und vor Erstaunen riesengroß. Fast hätte er gelächelt. Es war schon eine Weile her, seit er einer Frau Ehrfurcht eingeflößt hatte.

„Ich … ich werde Sid holen“, stammelte sie und rauschte davon. Fasziniert schaute er ihr hinterher. Diese Kombination aus Klasse und Keckheit hatte er an einem Ort wie diesem nicht erwartet.

Eher hatte er damit gerechnet, ein Gebäude in einem üblen Stadtteil vorzufinden, als er erfuhr, dass sein Onkel Grif ihm ein Geschäft für Sexspielzeug hinterlassen hatte. Einen Laden mit schummriger Beleuchtung und Gestalten in schwarzer Lederkluft, die sich zwischen Regalen mit schmutzigen Filmen herumdrückten.

Stattdessen handelte es sich um ein respektabel aussehendes Gebäude in einer vernünftigen Einkaufsgegend im Zentrum von Boulder. Einigermaßen respektabel jedenfalls, wenn man davon absah, dass sich auf der antiken Anrichte ein Sortiment an Peitschen, Handschellen und anderen Fesselgeräten befand oder dass in dem Sekretär aus Walnussholz eine Sammlung pastellfarbener Vibratoren ausgestellt war.

Und was hatte es mit diesen Kostümen auf sich? Er betrachtete eine Schaufensterpuppe, die eine Spitzenschürze trug, die ihre Brüste kaum verbarg, dazu schwarze Strapse, einen schwarzen String, Netzstrümpfe und Pfennigabsätze. Er fragte sich, was Lana wohl sagen würde, wenn er vorschlüge, sie solle so etwas tragen.

Aber Lana Montgomery wollte nicht einmal das Licht anlassen, wenn sie im Bett waren. Sie würde es ganz sicher nicht gutheißen, dass ihr Freund einen Laden wie „Just 4 Play“ besaß. Schon ihr Vater und die anderen Mitglieder des Bankvorstandes waren alles andere als begeistert gewesen, als sie davon hörten. Es gelang Mitch jedoch, sie mit seinen Plänen für die Zukunft des Gebäudes zu beruhigen.

„Mr. Landry?“

Mitch drehte sich um und starrte den Mann an, der auf ihn zukam. Seine Frisur bestand aus einem zehn Zentimeter hohen pinkfarbenen Irokesenschnitt, der wie ein Hahnenkamm von seinem ansonsten geschorenen Schädel abstand. Die Haare und die Fünfzentimeterabsätze seiner Motorradstiefel machten ihn ein gutes Stück größer als Mitchs eins fünfundachtzig. Der Mann trug eine schwarze Lederhose und – weste und war mit erschreckend vielen silbernen Ringen und Steckern in beiden Ohren, der Nase, Augenbrauen und Lippen ausstaffiert. Mitch war nicht überrascht, auch noch ein Zungenpiercing zu entdecken, als er den Mund aufmachte. „Hallo, ich bin Sid Crawford, der Manager von ‚Just 4 Play‘. Mann, ist ja toll, dass wir Sie endlich kennenlernen.“

Sid hatte einen festen Händedruck und ein charmantes Lächeln, das über sein bedrohliches Aussehen hinweghalf. Fast hätte Mitch gelacht. Offenbar war bei „Just 4 Play“ nichts, wie es den Anschein hatte. „Freut mich auch, Sie kennenzulernen, Mr. Crawford.“

„Nennen Sie mich Sid. Wir sind hier nicht so förmlich.“

Mitch betrachtete die tätowierte Schlange, die sich an Sids linkem Bizeps hinaufschlängelte. „Nein, einen allzu förmlichen Eindruck macht der Laden nicht.“

„Ich nehme an, Sie hatten schon die Gelegenheit, sich umzuschauen.“ Sid rieb sich die Hände. „Was würden Sie sonst noch gern wissen?“

„Ich möchte mir natürlich die Bücher ansehen.“

„Natürlich. Die sind hier.“ Sid ging voran zum Verkaufstresen in der Mitte des Ladens und zog einen dicken Packen Computerausdrucke hervor. „Das Geschäft läuft richtig gut. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“

Mitch las staunend die Zahlen auf dem letzten Ausdruck. „Sind das die monatlichen Einnahmen?“

„Oh nein, Mann, die wöchentlichen.“

„Wer kauft denn das ganze Zeug?“

Sid zupfte an seinem linken Ohrring. „Alle möglichen Leute. Es kommen viele verheiratete Paare her, die ihr Liebesleben ein bisschen aufpeppen wollen. Studenten, die experimentieren. Alleinstehende Frauen. Sehr viele alleinstehende Frauen.“ Er grinste. „Sind Sie mit jemandem zusammen?“

„Ah, nicht direkt.“ Er traf sich zwar schon seit Monaten mit Lana Montgomery, aber waren sie wirklich richtig zusammen? In Zukunft allerdings …

„Hier kann man sehr gut Frauen kennenlernen“, fuhr Sid fort. „Wir haben alle möglichen Arten von Kunden – Schwule, Heteros, S/M-Freunde und Fetischisten. Wir haben für jeden etwas.“

Das Rascheln von Seide lenkte Mitch ab. Aus den Augenwinkeln sah er die blonde Verkäuferin vorbeistolzieren. Sie war wirklich ein attraktives kleines Ding.

„Hey, Mann, Ihr Verlust tut mir leid.“

„Verlust?“ Mitch schaute erneut in die Bilanzen. Gab es da irgendwo einen Verlust?

„Ja, Grif war ein toller Kerl. Wir werden ihn sehr vermissen.“

„Oh, Grif. Ja, sicher, er war … toll. Danke.“ Der Bruder seines Vaters war vor allem für seine blutjungen Freundinnen, seine exzentrischen Gewohnheiten und seine modischen Geschmacksentgleisungen bekannt gewesen. Mitch und sein Onkel Grif hatten sich nie besonders nahgestanden, obwohl sie immer Kontakt hielten. Bei ihrer letzten Begegnung hatte Grif seinem Neffen vorgeworfen, ein echter Spießer zu sein. Entsprach es vielleicht seiner Vorstellung von einem Scherz, ausgerechnet Mitch „Just 4 Play“ zu hinterlassen?

„Den sollte ich Ihnen auch lieber geben.“ Sid kramte in einer Schublade unter der Kasse und hielt einen Schlüssel hoch.

Mitch nahm ihn. „Wofür ist der?“

„Er gehört zu Grifs Büro.“ Sid deutete auf eine Tür im hinteren Teil des Ladens. „Das meiste darin wird wohl persönliches Zeug sein. Grif hat sich eine Art Wohnung dort eingerichtet. Er blieb gern über Nacht, um nicht nach Denver zurückfahren zu müssen. Aber es könnten sich dort auch noch Geschäftsunterlagen befinden.“

Mitch steckte den Schlüssel ein. „Danke. Ich werde es mir später ansehen.“

Die Blonde kam erneut vorbei, diesmal mit einem Karton. Ihr Hüftschwung war schlichtweg atemberaubend …

„Jill haben Sie ja schon kennengelernt.“ Sid deutete auf die Blonde, die vor einem Regal stehen geblieben war, in das sie Flaschen aus dem Karton einsortierte. Sie ignorierte die beiden Männer, doch ihre angespannten Schultern verrieten Mitch, dass sie das Gespräch genau verfolgte.

„Ja, ich habe Jill bereits kennengelernt“, antwortete er. „Sie hat mich persönlich herumgeführt.“

Eine Pyramide aus Plastikflaschen stürzte ein, und Jill kniete sich hin, um sie wieder aufzubauen. „Warten Sie, ich helfe Ihnen.“ Mit drei Schritten war er bei ihr und half, die Flaschen einzusammeln. Er las das Etikett. „‚Kamasutra Sensation‘. Haben Sie das mal ausprobiert?“

Ihr abweisender Blick hätte einen weniger selbstbewussten Mann vermutlich gekränkt. „Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie der Besitzer sind, statt mich weiterreden zu lassen?“

„Sie haben mir ja gar keine Chance dazu gelassen.“ Nachdem die Flaschen eingesammelt waren, hielt er ihr die Hand hin.

Sie zögerte, ließ sich dann aber doch von ihm aufhelfen. „Ich muss gestehen, dass ich von Ihren Verkaufstechniken beeindruckt war“, sagte er. „Sie dürften keine Schwierigkeiten haben, einen neuen Job zu finden.“

„Einen neuen Job?“ Sie schob die Flaschen ins Regal und stemmte die Hände in die Hüften. „Sie feuern mich, weil ich keine Ahnung hatte, dass Sie der Boss sind?“

„Ich feuere Sie nicht. Aber Sie werden sich einen anderen Job suchen müssen, wenn ich den Laden schließe.“

„Was meinen Sie damit?“ Sid kam zu ihnen gelaufen.

Mitch betrachtete die kostümierten Schaufensterpuppen, die Vitrinen voller Kondome, Massageöle, Unterwäsche und Fetischspielzeuge, ehe er den Blick auf Jills trotziges Gesicht richtete. „Onkel Grif fand diesen Laden vielleicht klasse. Aber er hat ihn mir vererbt, und ich will ein Restaurant daraus machen.“ Er zeigte auf die mit Massageölen frisch aufgefüllten Regale. „Ich glaube, die meisten Leute sind eher an Kung Pao als am Kamasutra interessiert.“

„Sie sollten sich die Bücher noch mal ansehen“, schlug Sid vor. „Dieser Laden wirft mehr ab als jedes Restaurant.“

„Oh, ich glaube nicht, dass es um Geld geht.“ Jill sah Mitch wütend an.

„Nein, es geht tatsächlich nicht um Geld.“ Er widerstand dem Impuls, ihr in den verlockenden Ausschnitt zu schauen. „Es ist eine persönliche Entscheidung.“

Sid runzelte die Stirn. „Wie bitte?“

„Mr. Landry findet uns unseriös“, sagte Jill. „Der Laden ist ihm peinlich.“

„Oh.“ Sid nickte und klopfte ihm auf den Rücken. „Dann werfen Sie doch einfach noch mal einen Blick in die Bücher, Mann. Das hilft Ihnen garantiert über die Peinlichkeit hinweg.“

Mitch schob die Hände in die Taschen. „Ich habe eine jüngere Schwester und Geschäftspartner. Ich gebe zu, dass es mir lieber wäre, wenn sie nicht wüssten, dass ich einen Laden besitze, in dem zehn verschiedene Sorten Dildos und pelzgefütterte Handschellen verkauft werden.“

„Zwanzig“, sagte Jill.

„Zwanzig was?“

„Wir haben zwanzig verschiedene Dildos.“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu und drängte ihn dadurch gegen das Regal. „Außerdem haben wir Hunderte zufriedene Kunden. ‚Just 4 Play‘ erfüllt eine wichtige Aufgabe.“

„Indem hier musikalische Kondome und Liebeskugeln verkauft werden?“

„Nein, indem Fantasien verkauft werden. Und Spaß.“ Sie kam noch näher, sodass ihre Brustspitzen ihn beinah streiften. „Von Letzterem scheinen Sie in Ihrem Leben nicht genug gehabt zu haben.“

„Es geht im Leben nicht nur darum, Spaß zu haben.“ Er versuchte angestrengt, ihren betörenden Jasminduft zu ignorieren. „Ich muss meine Arbeit erledigen und meiner Verantwortung nachkommen. Und ich habe einen Ruf zu wahren, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht.“

„‚Just 4 Play‘ hat auch einen Ruf“, erwiderte sie. „Und der ist nicht so schlecht, wie Sie offenbar denken. Sie sind noch keine Stunde hier und fällen bereits ein Urteil. Ohne uns auch nur die Chance zu geben, Ihnen zu zeigen, wie dieser Laden und seine Kundschaft wirklich sind.“

„Tut mir leid, aber das kann ich nicht. Die Architekten machen schon die ersten Bauzeichnungen, und ich bin dabei, mir die Kredite und Baugenehmigungen zu beschaffen.“

Sid ließ die Schultern hängen. „Wann schließen wir?“

„Sie haben noch einen Monat.“ Mitch deutete auf die Regale voller Flaschen, Kartons und Geräte, um Jills wütendem Blick auszuweichen. „Sie sollten langsam mit dem Ausverkauf beginnen.“ Er sah auf seine Uhr. In dreißig Minuten war er mit Lana in der Bank verabredet. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss gehen.“

Jill holte ihn an der Tür ein. „Gibt es denn nichts, womit wir Ihre Meinung ändern können?“

„Nein, nichts. Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, bleibe ich dabei.“ Ohne seine Entschlossenheit hätte er niemals sich und seiner Schwester das Studium finanzieren und sein eigenes Immobilienunternehmen gründen können.

„Das klingt, als sei das eine Tugend.“

Ihre Worte überraschten ihn. Einen Moment lang schaute er auf seine Schuhspitzen, ehe er ihr wieder ins Gesicht sah. „Sie glauben vielleicht, dass es im Leben nur um Spaß geht. Nur leider stimmt das nicht.“ Er öffnete die Tür, weil er glaubte, das letzte Wort gehabt zu haben. Doch bevor sich die Tür hinter ihm wieder schloss, hörte er Jill hinter sich herrufen: „Wenn Sie keinen Spaß haben, leben Sie nicht, Mr. Landry. Zu schade, dass Ihnen das nie jemand gesagt hat.“

Jill warf die Tür hinter Mitch Landry zu. Dann drehte sie sich um und boxte Blow-up-Betty voller Wut in den Magen. „Ich kann es nicht fassen, dass er uns das antut!“

Betty schwankte auf ihrem Sockel drohend vor und zurück, bis Sid sie festhielt. „Vorsicht mit den Waren.“

Sie begann, vor Sid erregt auf und ab zu gehen. „Wie kommt er dazu, hier aufzukreuzen, sich einmal umzusehen und dann zu beschließen, den Laden dichtzumachen?“

„Ihm gehört der Laden nun mal. Er kann damit machen, was er will.“ Sid setzte sich auf den Hocker hinter dem Verkaufstresen. „Wir sollten uns lieber nach neuen Jobs umhören.“

„Ich will keinen anderen Job.“ Jill stampfte zwar nicht mit dem Fuß auf, aber sie hätte es am liebsten getan. Dies war genau der richtige Zeitpunkt für einen handfesten Wutausbruch. „Ich will diesen Job behalten. Es muss doch etwas geben, was wir tun können.“

„Du hast den Mann gehört. Er hat die Architekten bereits beauftragt. In ein paar Monaten werden die Leute dort, wo jetzt noch der Kleiderständer mit den Kostümen steht, gebratenen Reis bestellen.“ Er nahm die Zeitung und schlug den Kleinanzeigenteil auf. „Hier finde ich bestimmt was Neues.“

Jill ging zu ihm und packte seinen Arm. „Sid, du willst doch gar keinen anderen Job.“

„Nein?“

„Nein. Wenn du dir einen anderen Job suchst, wirst du dir auch eine andere Frisur zulegen müssen. Oder deinen Schmuck ablegen.“ In beschwörendem Ton fügte sie hinzu: „Womöglich wirst du Anzug und Krawatte tragen müssen.“

Sid fasste sich entsetzt an die Kehle. „Eine Krawatte? Es muss doch etwas geben, wo ich keine Krawatte tragen muss.“

„Aber nicht, wenn du irgendwo einen Managerposten haben willst. Selbst die Manager bei McDonald’s tragen einen Schlips. Außerdem wirst du überall sonst um acht oder noch früher anfangen müssen.“

„Acht Uhr morgens?“

„Just 4 Play“ öffnete um elf und schloss abends um zehn. Für eine Nachteule wie Sid war acht Uhr morgens noch mitten in der Nacht. Niedergeschlagen legte er die Zeitung wieder hin. „Was schlägst du vor?“

„Wir müssen seine Meinung ändern.“

„Aber wie? Uns bleibt doch nur noch ein Monat. Bis dahin wird alles ausverkauft sein.“

„Wir müssen ihm einfach zeigen, wie wichtig dieser Laden für unsere Kunden ist.“

Sid blieb skeptisch. „Und wie willst du das anstellen? Es handelt sich schließlich nicht um eine Suppenküche für sozial Bedürftige. Viele Leute kommen sehr gut ohne essbare Unterwäsche und Brustwarzenringe aus.“

„Aber nur weil sie nicht wissen, was ihnen entgeht.“ Plötzlich kam ihr eine Idee. „Ich hab’s!“

„Was?“

„Ich weiß, wie wir Mitch Landry davon überzeugen können, den Laden nicht zuzumachen.“

„Und wie?“

Sie nahm ein Glas Body-Chocolate aus einer Vitrine auf dem Tresen und rollte es in den Händen hin und her. „Ich glaube, eine kleine Verführung ist angebracht. Ich werde dafür sorgen, dass Mr. Landry die Freuden kennenlernt, die unsere Produkte spenden können.“

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus, als die Idee Gestalt annahm. Ja, es war ein brillanter Plan. Er hatte einen tollen Körper und eine sehr männliche Ausstrahlung. Es könnte Spaß machen, ihm aus seinem gestärkten Hemd zu helfen und dafür zu sorgen, dass er ein wenig lockerer wurde.

„Meinst du, das würde helfen?“, fragte Sid.

Sie stellte das Glas mit der Schokolade auf den Tresen. „Natürlich. Sobald er sich mit den Sachen amüsiert, die wir hier verkaufen, wäre es doch wohl heuchlerisch, den Laden zu schließen.“

„Und du glaubst, das interessiert ihn?“

„Du hast ihn selbst gehört. Ums Geld geht es ihm nicht, sondern um seinen Ruf und um Verantwortung. Er ist der Anstand in Person.“ Sie salutierte spöttisch. „Nein, ich muss einfach einen Weg finden, wie ich ihn dazu bringen kann, lockerer zu werden.“ Und sich etwas Passendes auszudenken würde jede Menge Spaß bringen.

„Ich weiß nicht“, meinte Sid. „Ich halte es für keine gute Idee, wenn du dich mit ihm einlässt.“

„Ach komm schon, ich bin schließlich alt genug. Ich habe doch nicht vor, etwas Ernstes mit dem Kerl anzufangen. Wir werden uns lediglich ein bisschen amüsieren.“

„Möglicherweise sieht er das anders. Er kam mir vor wie jemand, der alles ausgesprochen ernst nimmt.“

Sie tat es mit einem Schulterzucken ab, obwohl er vermutlich recht hatte. Mitch Landry zu verführen würde ein gefährliches Spiel sein. Aber sie war kein Feigling. „Ich werde ihm einen Gefallen tun, indem ich ihm zeige, wie man Spaß hat.“

„Und wenn es nicht funktioniert?“

Sie lehnte sich auf den Tresen, stützte das Kinn in die Hände und lächelte unschuldig. „Dann werde ich jedenfalls meinen Spaß dabei gehabt haben, es zu versuchen.“

2. KAPITEL

Mitch kam fünf Minuten zu spät zu dem Treffen mit Lana, was ihn jedoch nicht weiter störte, da sie sowieso garantiert mindestens zehn Minuten zu spät kam. Das war eines der Dinge, die ihn an ihr ärgerten. Das und ihre Arroganz, die vermutlich darauf zurückzuführen war, dass sie aus einem stinkreichen Elternhaus kam.

In jeder Beziehung musste man eben über bestimmte Dinge hinwegsehen. Lana besaß andere Qualitäten, die er bewunderte: Sie war attraktiv, gut gekleidet, intelligent und elegant. Und sie verfügte über genau die Verbindungen, die er brauchte, um sich als Geschäftsmann in dieser Stadt zu etablieren. Nicht dass er je mit einer Frau allein wegen ihres gesellschaftlichen Status zusammen gewesen wäre, aber es war ein Pluspunkt, wenn man vorankommen wollte.

In diesem Augenblick kam sie durch die Doppeltür der Bank hereingerauscht, mit zuverlässiger zehnminütiger Verspätung. Mitch stand auf und ging ihr entgegen. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Vorsicht“, sagte sie und schob ihn von sich. „Ich hab mir gerade die Haare machen lassen.“

Warum das eine Rolle spielte, verstand er nicht. Schließlich hatte er nicht vorgehabt, bei einem kurzen Begrüßungskuss mit den Fingern durch ihre Haare zu fahren. Das hätte er ohnehin nicht gekonnt, da sie mit Haarnadeln sorgfältig festgesteckt waren.

„Lana, Darling, du siehst reizend aus wie immer.“ Mort Montgomery kam aus seinem Büro, um die beiden zu begrüßen. Er tätschelte seiner Tochter die Wange und schüttelte Mitch die Hand. „Ich habe sämtliche Unterlagen fertig für dich. Kommt rein, dann gehen wir alles durch.“

Mitch folgte Lana und ihrem Vater in ein Büro, das von toten Tieren dominiert war. Unzählige Dickhornschafe, Hirsche, Elche und sogar der Kopf eines Pumas zierten die Wände. Er setzte sich in einen Sessel mit dem Rücken zum Puma und ließ sich seinen Widerwillen nicht anmerken.

„Hattest du Gelegenheit, dir das Gebäude anzusehen?“, erkundigte sich Mort und nahm in seinem Chefsessel Platz.

„Ich war heute Nachmittag dort. Ich muss sagen, es ist nicht das, was ich mir vorgestellt hatte.“

Mort schürzte die Lippen und nickte. „Es ist jedenfalls kein Laden, mit dem man seinen Namen in Verbindung bringen möchte.“

„Was für ein Laden ist es denn?“ Lana sah ihn mit ihrem perfekt geschminkten Gesicht freundlich an.

Mort räusperte sich. Mitch ärgerte sich über die Warnung. Er hatte sich längst damit einverstanden erklärt, dass Lana über die Art des Geschäfts, das er geerbt hatte, nichts wissen musste. „Nichts Besonderes.“ Er winkte ab. „Ein Restaurant wird viel besser in dieses Gebäude passen, davon bin ich überzeugt.“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber das wollte er Lana nicht erklären.

„Wir haben bereits eine Einschätzung vorgenommen.“ Mort reichte eine Mappe über den Schreibtisch. „Und hier sind die Unterlagen für den Baukredit. Du wirst problemlos den Betrag bekommen, den du benötigst. Wir warten jetzt nur noch auf die Baupläne der Architekten und die Baugenehmigung der Stadt.“

„In dreißig Tagen müsste ich alles zusammenhaben.“ Mitch klappte die Mappe zu und gab sie dem Banker zurück.

„Ausgezeichnet. Ich halte das für eine sehr gute Investition, auf die wir alle stolz sein können.“ Mort grinste. „Habt ihr Pläne für heute Abend?“

„Wir haben einen Tisch im Boulderado bestellt.“ Lana nahm ihre Handtasche und stand auf. „Deshalb müssen wir jetzt auch gehen, sonst kommen wir zu spät.“

Auf dem Weg zum Restaurant hörte Mitch Lanas Bericht über einen ärgerlichen Kunden ihres Wirtschaftsprüfungsunternehmens nur mit einem Ohr zu. Hauptsächlich war er damit beschäftigt, das Gespräch in Morts Büro zu rekapitulieren. Warum störte es ihn, dass Mort gesagt hatte, das Restaurant sei etwas, worauf sie alle stolz sein könnten? Machte er nicht die ganze Arbeit allein? War er nicht derjenige, der Grund haben würde, stolz zu sein – oder auch nicht? Oder glaubte Mort etwa, er habe Kontrolle über ihn und das Projekt, weil er ihm den Kredit verschaffte?

Der Kellner im „Boulderado“ hieß sie mit einem strahlenden Lächeln willkommen und führte sie zu ihrem Lieblingstisch im Atrium. „Soll ich den Weinkellner anweisen, Ihnen das Übliche zu bringen?“, fragte er.

„Ja, James, das wäre nett“, entgegnete Lana und setzte sich.

James wollte gehen, doch Mitch hielt ihn auf. „Warten Sie. Statt des Merlot nehmen wir heute einen Chianti.“

James und Lana sahen ihn überrascht an. „Aber wir nehmen doch immer den Merlot“, sagte Lana.

Mitch breitete die Serviette auf seinem Schoß aus. „Heute Abend möchte ich einmal etwas anderes trinken.“

„Sehr wohl, Sir.“ James eilte davon.

Belustigt meinte Lana: „Sind wir ein wenig aufsässig heute Abend?“

„Hast du etwas dagegen?“

„Nein. Es ist nur ganz untypisch für dich, dass du so anders bist.“

Er musste sich eingestehen, dass sie recht hatte. Vielleicht stimmte, was Onkel Grif gesagt hatte, und er war tatsächlich ein Spießer. Nun, das hieß jedenfalls nicht, dass er es bleiben musste. Menschen änderten sich. Er konnte sich ändern, ohne dabei seine Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Also bestellte er gegrillte Forelle statt des üblichen Steaks. Lana kniff die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, enthielt sich aber jeglichen Kommentars. Mitch genoss den ausgezeichneten Wein und beobachtete sie über den Rand des Glases hinweg. Sie hatte ihre dunklen Haare zu einem straffen Knoten zusammengebunden wie bei einer Ballerina. Vermutlich würde man sie als eine klassische Schönheit bezeichnen, mit feinen Gesichtszügen, tief liegenden grünen Augen und einer Römernase.

„Ist etwas?“, fragte sie verwirrt.

Er nahm seine Gabel. „Nein, nichts.“

„Warum starrst du mich dann an?“

„Vielleicht sehe ich dich einfach nur gern an.“

Sie quittierte das Kompliment mit einem Stirnrunzeln und zerteilte ihr Steak mit chirurgischer Präzision. „Ich habe heute mit Jerry Brenham zu Mittag gegessen“, berichtete sie. „Er meint, die Canterbury-Apartments kommen nächste Woche auf den Markt. Wenn du ihn jetzt anrufst, kannst du vor allen anderen ein Angebot machen.“

„Eigentlich hatte ich überlegt, mich aus dem Immobilienmarkt zurückzuziehen.“

Sie hob eine ihrer perfekt gepflegten Augenbrauen. „Aber warum? Der Markt in Boulder ist einer der profitabelsten im ganzen Land.“

„Ja, aber ich habe keine Lust mehr, Vermieter zu sein.“ Mit einem Restaurant würde er wenigstens keine Mieter mehr haben, die ihn nachts anriefen, um sich über fehlendes heißes Wasser oder lärmende Nachbarn zu beschweren.

„Du solltest ein Verwaltungsunternehmen beauftragen, dann bräuchtest du dich nicht mehr mit deinen Mietern herumzuärgern.“

„Ich bin gern persönlich an meinem Unternehmen beteiligt. Deshalb habe ich auch beschlossen, ein Restaurant zu eröffnen.“

Sie tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab, wobei sie geschickt darauf achtete, den Lippenstift nicht zu verschmieren. „Das begreife ich nicht. Wenn man Geld hat, besteht der halbe Spaß doch darin, dass man die ganze Arbeit anderen übertragen kann.“ Sie spießte ein Stück Rindfleisch auf. „Damit man Zeit hat, um noch mehr Geld zu verdienen.“

Für Lana drehte sich stets alles um Geld. Sie hatten sich auf einem Investment-Seminar kennengelernt. Mitch hatte sich gleich zu ihr hingezogen gefühlt, weil sie anders war als er. Sie besaß eine Anmut und Leichtigkeit in gesellschaftlichen Situationen, der er nacheifern wollte, und eine kühle Reserviertheit, die ihm vielleicht helfen konnte, seine Gefühle besser zu kontrollieren.

Die Tatsache, dass sie ihn als Student mit Stipendium normalerweise wohl keines zweiten Blickes gewürdigt hätte, machte die Herausforderung, sie zu erobern, noch spannender. Und jetzt waren sie zwar noch nicht verlobt, führten aber doch eine Art Beziehung. Jeden Mittwoch trafen sie sich zum Abendessen im „Boulderado“ und gingen freitags ins Konzert oder Theater. Für gewöhnlich übernachtete er zweimal pro Woche bei ihr. Sie blieb nie über Nacht bei ihm, weil ihr seine Wohnung, wie sie sagte, nicht komfortabel genug war.

Warum war ihm nicht schon früher aufgefallen, wie langweilig und vorhersehbar sein Leben geworden war? Er schaute auf seinen Teller. Bis hin zu dem gleichen New Yorker Käsekuchen jeden Mittwochabend zum Nachtisch.

„Mitch, warum bist du so still? Hast du mir gar nicht zugehört?“ Sie klang ein wenig gereizt.

Er schob seinen Teller von sich. „Ich möchte heute Abend nicht über Geschäftliches reden.“

„Worüber denn dann?“

„Warum nicht einmal über uns?“

Sie legte Messer und Gabel ordentlich in die Mitte des Tellers und die zusammengefaltete Serviette daneben. „Ich höre.“

Und was hatte er ihr zu sagen? Wie konnte er ihr seine innere Unruhe erklären? „Hast du jemals daran gedacht, etwas in deinem Leben anders zu machen?“

„Was zum Beispiel?“ Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee.

Koffeinfrei, mit extra Sahne, ohne Zucker, dachte er. „Irgendetwas. Alles.“ Er senkte seine Stimme. „Sex zum Beispiel.“

Ihre Augen weiteten sich, und sie errötete. „Was meinst du damit?“

„Denkst du jemals daran, zu experimentieren? Dich sexy anzuziehen oder Massageöl zu benutzen?“

Jetzt lief sie dunkelrot an. „Also wirklich, Mitch. Warum solltest du etwas Derartiges wollen?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht, weil es Spaß machen könnte. Vielleicht sind wir ein bisschen zu … gehemmt.“

Sie starrte ihn an. „Was ist denn in dich gefahren?“

„Nichts. Ich finde nur, dass mein Leben ein wenig langweilig geworden ist. Was soll daran schlimm sein, etwas verändern zu wollen?“

„Ich bedaure es sehr, wenn du mich für gehemmt hältst.“ Sie erhob sich. „Ich glaube, ich gehe jetzt lieber.“

„Lana, so habe ich es nicht gemeint …“ Allerdings brachte er auch keine Entschuldigung heraus, denn es tat ihm nicht leid. Warum sollte ein Paar sich nicht über diese Dinge unterhalten können?

„Bleib ruhig sitzen. Ich rufe mir ein Taxi.“ Sie warf ihm einen letzten gekränkten Blick zu und eilte an ihm vorbei.

Er hätte ihr wohl folgen müssen. Wahrscheinlich war es das, was sie wollte. Doch warum sollte er das tun? Was sagte es über ihre Beziehung aus, dass Lana an seinem Standpunkt gar nicht interessiert war? Er hatte geglaubt, die sicheren, geordneten Bahnen, in denen sie sich bewegten, entsprächen seinen Bedürfnissen. Jetzt aber musste er feststellen, dass ihm das nicht mehr genügte.

Deshalb würde er ihr auch nicht hinterherlaufen. Im Grunde war es angenehm, einmal allein hier zu sitzen und bei einem Glas Wein ein wenig nachzudenken.

Hauptsächlich dachte er an Jill. Wie sehr sie sich von Lana unterschied. Oder von jeder anderen Frau, die er kannte. Sie war unverblümt, ohne derb zu sein, lustig, ohne gekünstelt zu sein. Sie sah aus wie das Mädchen von nebenan und kleidete sich wie eine exotische Verführerin. Er hatte sie erst heute Nachmittag kennengelernt, doch hatte er bereits das Gefühl, als wüsste sie mehr über ihn als die meisten anderen Leute. Sie hatte sofort erkannt, weshalb er „Just 4 Play“ schließen wollte, und war von seiner Position oder seiner Macht nicht im Mindesten beeindruckt gewesen. Es war ihr egal, ob er einen ganzen Wohnblock besaß oder ein Student mit einem Stipendium war.

Er musste grinsen, als er daran dachte, wie sie ihn nach seinen Fantasien gefragt hatte.

Doch das Lächeln erstarb bei der Erinnerung an das, was sie außerdem noch gesagt hatte. Hatte sie recht? War er wirklich zu verkrampft? Hatte er vergessen, wie man sich amüsierte?

Sie konnte nicht wissen, wie wenig Platz für Spaß es in seinem Leben gegeben hatte. Seit seinem siebzehnten Lebensjahr hatte er sich um seine Mutter und seine kleine Schwester Meg gekümmert. Er hatte gearbeitet und studiert und jedes Konzert und Schulprogramm seiner Schwester besucht. Jetzt war Meg Medizinstudentin und brauchte ihn nicht mehr so sehr – außer fürs Geld. Und das bedeutete, dass er sich dem Geschäft widmen, die richtigen Leute kennenlernen und die richtigen Investitionen tätigen musste. Er arbeitete hart daran, sich einen Namen zu machen. Um Megs und um seinetwillen durfte er nicht zulassen, dass der Besitz eines Shops für Erotikspielzeug einen Schatten warf auf das, was er sich erarbeitet hatte. Man wurde kritischer betrachtet, wenn man aus dem Nichts kam, und konnte schnell wieder im Nichts verschwinden.

Er würde später noch genug Zeit haben, um sich zu amüsieren. Jetzt musste er seiner Verantwortung nachkommen.

Als Jill am nächsten Morgen „Just 4 Play“ betrat, war sie überrascht, Mitch arbeitend in Grifs Büro vorzufinden. Zumindest sahen die überall auf dem Schreibtisch verstreut liegenden Unterlagen nach Arbeit aus; als sie an den Türrahmen klopfte, starrte er allerdings gerade vor sich hin.

Sie betrat das Büro, und er schaute auf. „Guten Morgen, Jill.“

„Guten Morgen. Sie sind früh hier.“

„Ich bin seit neun hier. Das ist nicht allzu früh.“

„Für diesen Laden schon. Den Hauptumsatz machen wir am Abend, obwohl es mittags auch nicht schlecht läuft. Die Leute schauen dann kurz vorbei und kaufen etwas.“

„Da bekommt der Ausdruck ‚Quickie‘ eine ganz neue Bedeutung.“

Jill musste lachen. Gestern war er ihr nicht wie ein Mann mit Humor vorgekommen. Was nur bewies, dass erste Eindrücke nicht immer stimmten. „Haben Sie etwas Interessantes gefunden?“ Sie deutete auf die Unterlagen.

Er klappte die vor ihm liegende Mappe zu. „Verraten Sie mir, was Sie von Grif hielten.“

Die Frage überraschte sie. Warum war er an ihrer Meinung über seinen Onkel interessiert? „Ich mochte ihn. Er war witzig.“

„Das ist alles? Er war witzig?“

„Na ja, er verstand es, das Leben zu genießen.“ Im Gegensatz zu gewissen verkrampften Leuten, deren Namen ich nicht nennen möchte, fügte sie im Stillen hinzu. Sie lehnte sich gegen den Schreibtisch. „Ich wette, er war Ihr Lieblingsonkel.“

War das ein Ausdruck von Kummer, der über sein Gesicht huschte, oder etwas anderes? Er legte die Mappe beiseite. „Wollten Sie etwas Bestimmtes?“

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich habe über das nachgedacht, was Sie gestern gesagt haben.“ Sie ging um den Schreibtisch und setzte sich auf die Kante. Dabei rutschte ihr Rock hoch, nicht unanständig viel, aber genug, damit er es registrierte. Sie hatte sich heute absichtlich konservativer angezogen: einen schlichten Rock und ein ärmelloses Top. Manchmal war für einen Mann das verlockender, was er nicht sehen konnte.

Seine Gesichtsfarbe wurde eine Schattierung dunkler, als er hinschaute. Dann wandte er den Blick rasch wieder ab. „Und worüber genau haben Sie nachgedacht?“

„Dass Sie gesagt haben, die meisten Leute seien eher an Kung Pao interessiert als am Kamasutra.“

„Ach?“

„Ja. Ich glaube, dass die Menschen ganz allgemein mehr an Essen denken als an Sex. Aber das liegt wohl daran, dass wir dreimal am Tag essen. Essen ist allgegenwärtig, direkt vor unserer Nase.“

„Und die meisten Leute haben nicht dreimal am Tag Sex.“

Sie lächelte. „Nein, man kann wohl eher behaupten, dass die meisten Menschen nicht annähernd so oft Sex haben.“

„Andernfalls kämen sie kaum noch zum Arbeiten“, bemerkte er. Seine Miene war nach wie vor unbewegt, doch sein Ton war ein klein wenig amüsiert.

„Dann würde man es wohl verbieten. Nichts darf der Wirtschaft schaden.“

Jetzt lachte er, was sie als kleinen Sieg für sich verbuchte. „Was wollen Sie mir denn eigentlich damit sagen?“

Sie nahm einen Stift und fuhr mit den Fingern daran entlang. „Dass Sex im Gegensatz zum Essen etwas Besonderes ist und wir ihn nicht für selbstverständlich halten sollten. Und wenn der Sex für die Menschen noch besser wird, indem sie sich verkleiden oder Spielzeuge verwenden, dann ist das doch eine gute Sache, finden Sie nicht?“

Er lehnte sich zurück und versuchte, gelassen zu wirken. Doch seine ganze Haltung war die eines Mannes, der sich der Gegenwart einer attraktiven Frau nur allzu bewusst ist. „Was ist denn verkehrt an der guten altmodischen Art? Ein Mann und eine Frau, keine Requisiten.“

Mit sinnlicher Stimme antwortete sie: „Wenn es der richtige Partner ist, kann das wundervoll sein.“

Er hielt ihrem Blick stand. „Dann braucht man aber auch keinen Laden wie diesen.“

„Nein.“ Sie beugte sich zu ihm hinunter. Der würzige Duft von Aramis löste ein Kribbeln in ihrem Bauch aus. „Mögen Sie Kuchen?“

Er stutzte. „Kuchen? Ja. Kommt auf den Kuchen an.“

„Schokoladenkuchen mit dickem Schokoladenguss.“ Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.

Er schluckte. „Und was wollen Sie mir damit sagen?“

„‚Just 4 Play‘ ist wie die dicke Schokoladenglasur auf einem Kuchen. Der Kuchen an sich ist schon lecker, aber mit Glasur ist er noch besser.“ Sie richtete den Blick auf seine Lippen. Bei all dem Gerede über süße sündige Sachen fragte sie sich, wie es wohl wäre, ihn zu küssen.

Offenbar würde sie das heute nicht herausfinden. „Das heißt ja nicht, dass ich derjenige sein muss, der den Kuchen verkauft.“ Er beugte sich wieder vor. Seine Stimme war fest, der Bann gebrochen. „Oder die Glasur. Oder Sexspielzeug und Unterwäsche.“

„Sie verkaufen lieber chinesisches Essen, das die Leute auch in einem halben Dutzend anderer Restaurants der Stadt bekommen können“, konterte sie.

„Aber nicht dieses chinesische Essen. Ich habe einen Fünfsternekoch, der eine ganz besondere Speisekarte kreieren wird. Wir reden hier nicht über das übliche Büfett-Essen.“

„Es bleibt trotzdem etwas Gewöhnliches.“

„Männer haben mit gewöhnlichen Dingen schon ganze Vermögen verdient.“

„Aber nur diejenigen, die auch mal etwas riskiert haben, haben die Welt verändert. Außerdem ist die Chance für Sie viel größer, mit ‚Just 4 Play‘ ein Vermögen zu verdienen. Aber damit verschafft man sich natürlich kein Ansehen.“

Er runzelte die Stirn. „Aus Ihrem Mund klingt das wie etwas Schlimmes.“

„Schlimm ist es nur, wenn man sich mit dem Gewöhnlichen zufriedengibt, statt das Außergewöhnliche erreichen zu wollen.“

„Sie behaupten also, ‚Just 4 Play‘ sei außergewöhnlich?“

„Das könnte es sein. Aber wenn Sie nicht bleiben, werden Sie es nicht herausfinden.“

„Das Risiko nehme ich in Kauf.“

Sie rutschte vom Schreibtisch. „Ich glaube, Sie haben längst vergessen, was es heißt, etwas zu riskieren. Falls Sie das überhaupt jemals gewusst haben.“

Damit drehte sie sich um und ging, jedoch nicht ohne vorher zu registrieren, dass ihre Worte ihn getroffen hatten. Gut. Damit war die Saat für weitere Siege gelegt. Sie würde Mitch Landry dazu bringen, die Dinge mit ihren Augen zu sehen. Und möglicherweise würde sie ihm zeigen, was ihm in seinem sicheren, angepassten Leben entging.

Mitch ging vor seinem Schreibtisch auf und ab und überlegte, ob er Jill hinterherlaufen sollte, um ihr zu sagen, was er von ihrer unerbetenen Meinung hielt und von ihren Versuchen, seine Einstellung zu ändern. Dies war sein Laden, mit dem er machen konnte, was er wollte. Warum sollte ihn kümmern, was eine Verkäuferin von ihm dachte, die er noch keine zwei Tage kannte?

„Mist!“ Schmerz durchfuhr sein Bein, mit dem er gegen das Bett in dem Büro, das Grif auch als Wohnung gedient hatte, gestoßen war. Wütend starrte er das schuldige Möbel an. Auf dem Bett lag eine Fleecedecke mit gelben Smiley-Gesichtern. Ein weiterer Beleg für Onkel Grifs entsetzlichen Geschmack.

Er setzte sich auf das Bett und stützte den Kopf in die Hände. Nein, in diesem Fall war er derjenige, der sich entsetzlich benommen hatte. Er hatte Grif als Playboy vorverurteilt, der sein Leben dem Golf, Frauen und einem Laden für Sexspielzeug gewidmet hatte.

Bei der Durchsicht des Büros heute Morgen hatte Mitch jedoch festgestellt, dass sein Onkel ein ganz anderer Mensch gewesen war. Er war auf zahlreiche Hilfsorganisationen gestoßen, die Grif unterstützt hatte, von einem Mentorenprogramm für heranwachsende Jungen und einem Frauenhaus bis hin zu einer Tierklinik für arme Haustierbesitzer.

Der dickste Ordner, der jetzt auf einer Schreibtischecke lag, schnürte ihm die Kehle zu. Der handgeschriebene Vermerk darauf lautete: „Mary Landry Mental Health Education Foundation“.

Der laute, geschmacklose und vergnügungssüchtige Onkel Grif hatte ein Programm zur Aufklärung über psychische Erkrankungen und psychisch kranke Menschen ins Leben gerufen. Er hatte es nach seiner Schwägerin benannt – Mitchs Mutter, die ihr letztes Lebensjahr immer wieder in Anstalten verbracht hatte.

Plötzlich trauerte Mitch um einen Mann, den er nie richtig gekannt hatte und dem er nie hatte danken können.

Hatte Onkel Grif ihm diese Dinge hinterlassen, um ihm zu zeigen, wie falsch er mit seinem Urteil lag? Oder war es eine Art Botschaft, mit der Grif ihm signalisieren wollte, dass er verstand?

Mitch stand auf und schlug einen anderen Ordner auf. Dieser enthielt Steuerformulare. Trotz seines Rufes, ein unbekümmerter Mensch zu sein, war Grif ein gewissenhafter Geschäftsmann gewesen. „Just 4 Play“ stand finanziell solide da und hatte in den drei Jahren seit der Eröffnung seinen Gewinn regelmäßig gesteigert.

Aber Geld war nicht gleich Ansehen. In einem anderen Ordner fand er Unterlagen, aus denen hervorging, dass die Handelskammer Grifs Antrag auf Mitgliedschaft abgelehnt hatte – mit der knappen Begründung, „Just 4 Play“ verbessere nicht das familienorientierte Image, das sie vermitteln wollten.

Er schob die Ordner zur Seite und streckte sich. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits nach Mittag war. Ein guter Zeitpunkt, um irgendwo etwas essen zu gehen. Wie Jill ganz richtig festgestellt hatte – man musste dreimal täglich essen, auch wenn er nicht dreimal am Tag Sex hatte. Nicht einmal dreimal die Woche. Und so wie Lana sich gestern Abend benommen hatte, konnte er von Glück sagen, wenn sie überhaupt jemals wieder Sex haben würden.

Andererseits – wäre das ein großer Verlust?

Mit diesem beunruhigenden Gedanken ging er in den Verkaufsraum. Wie Jill gesagt hatte, herrschte mittags reger Betrieb. Er entdeckte sie im hinteren Teil des Ladens, wo sie Waren umarrangierte.

Sie warf ihm einen Blick zu und wandte sich rasch wieder ab. Er fühlte sich brüskiert. Auch wenn sie sich nicht einig darüber waren, wie er sein Unternehmen führen sollte, konnten sie doch wenigstens höflich miteinander umgehen. Als ihr Chef war es an ihm, mit gutem Beispiel voranzugehen. Er beschloss, sie zu fragen, ob er ihr etwas zum Mittagessen mitbringen sollte.

Als er bei ihr ankam, stand sie gerade auf Zehenspitzen, um etwas aufzuhängen. „Hallo, Jill.“

„Hallo, Mitch.“ Sie griff in einen weiteren Karton und würdigte ihn keines Blickes.

„Was haben Sie da?“ Er deutete auf etwas, das wie ein Knäuel aus künstlichem Fell aussah.

„Pelzgefütterte Handschellen.“ Sie hielt ein Paar hoch, sodass er die zwei mit einer silbernen Kette verbundenen Armreifen aus schwarzem Fell erkennen konnte.

„Aha. Aber warum Fell?“

„Weil es bequemer ist. Sehen Sie?“

Bevor er reagieren konnte, legte sie eine Handschelle um die Stange an einer Auslage und die andere um sein rechtes Handgelenk.

„Hey, was tun Sie da?“, rief er und zerrte an seiner Fessel.

„Ich zeige Ihnen nur, wie bequem sie sind.“ Ihr unschuldiges Lächeln konnte nicht von dem mutwilligen Funkeln in ihren Augen ablenken.

„Und das finden Leute sexy?“, fragte er skeptisch.

„Nicht die Handschellen selbst, sondern das Element der Gefahr.“ Sie kam näher und senkte die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. „Das Aufregende daran ist, dass man seinem Partner vollkommen vertrauen muss.“ Sie lockerte seine Krawatte. „Sie sehen aus, als würden Sie sich unbehaglich fühlen.“ Dann fing sie einfach damit an, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihre Finger berührten seine Haut.

Mit der freien Hand hielt er ihr Handgelenk fest. „Was machen Sie da? Befreien Sie mich, bevor jemand uns sieht!“

„Oh, niemand beachtet uns. Außerdem dachte ich, Sie wollten wissen, was an den Handschellen so faszinierend ist.“

Sie trat zurück, sodass sie knapp außerhalb seiner Reichweite war, und nahm eine kleine Peitsche mit einer Lederquaste an der Spitze. „Die Handschellen sind wie diese neunschwänzige Katze. Sie ist nicht dazu gemacht, um wirklich Schmerzen zuzufügen.“ Sie schlug ihm sanft gegen die Brust. „Man kann jemanden nur damit kitzeln. Oder fester zuschlagen.“ Diesmal schwang sie die Peitsche härter, streifte ihn aber dennoch kaum damit. „Es geht um intensives Empfinden.“

„Arbeiten Sie Ihre neuen Chefs immer auf diese Weise ein?“

„Ich dachte, Sie wollten verstehen.“ Sie fuhr mit der Peitsche an seinem Hals entlang, kitzelte und neckte ihn. „Ich dachte, Sie wollten wissen, was die Leute an diesen Dingen finden.“

„Stehen Sie auf Fesselspiele?“ Was sie tat, erregte ihn.

Sie fuhr mit dem Peitschengriff an ihrem Hals entlang. „Kann sein.“ Sie kam näher und umfing ihn mit ihrem Jasminduft. „Darum geht es ja schließlich, oder? Um neue Erfahrungen.“

Ihm fiel ein, dass sie nicht allein waren. Jeden Moment konnte jemand den Gang entlangkommen und sich fragen, was hier passierte. Es war wichtig, Haltung zu bewahren. Und Jill nicht zu zeigen, welche Wirkung sie auf ihn hatte. „Ich denke, Sie haben Ihren Standpunkt deutlich gemacht“, erklärte er.

„Nein, ich habe gerade erst angefangen“, erwiderte sie mit einem verführerischen Lächeln.

„So wie ich das sehe, gerät es außer Kontrolle.“ Erneut zerrte er an den Handschellen, um sich zu befreien. Dummerweise befand sich unter dem weichen Fell harter Stahl. Er war gefangen.

„Es geht niemals nur um das Sehen. Deshalb benutzt man manchmal eine Augenbinde, um die übrigen Sinne zu schärfen.“ Sie nahm eine Augenbinde aus schwarzer Seide aus dem Regal und ließ sie an seiner Wange entlanggleiten. Er versuchte ihr mit einem Blick zu signalisieren, dass sie langsam zu weit ging.

Sie legte die Augenbinde zur Seite und nahm eine kleine rote Flasche. „Der Geruchssinn ist sehr wichtig.“ Sie schraubte die Flasche auf und hielt sie ihm unter die Nase. Ein würziger Duft verdrängte den nach Jasmin.

„Oder der Geschmackssinn.“ Sie berührte mit dem Zeigefinger seine Lippen. Er schmeckte Zimt.

„Und das Gehör.“ Sie ließ die Peitsche an seinem Ohr vorbeisausen, und er zuckte zusammen, obwohl es gleichzeitig erregend war.

„Der Tastsinn.“ Sie fuhr mit den Peitschenfransen durch seine Brusthaare.

Er zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Wann hatte er zuletzt eine Frau so heftig begehrt? Dabei widersprach das jeder Vernunft. Ohne die Handschellen wäre er womöglich direkt hier im Gang über sie hergefallen. Er studierte ihre Miene. War es das, was sie auch wollte, oder ging es ihr um eine Lektion, weil er den Laden schließen wollte?

„Was ist mit Ihnen?“, wollte er wissen. „Was wollen Sie?“

Sie hielt inne und machte einen Schritt zurück. „Wie meinen Sie das?“

„Ist Sex Ihr Hauptziel? Die sinnliche Erfahrung? Oder wollen Sie mehr?“

Sie hängte die Peitsche wieder weg. „Ich verstehe nicht, weshalb das für Sie eine Rolle spielt.“

Ihr Ton verriet ihm mehr als ihre Worte. „Es spielt aber nun einmal eine Rolle, nicht wahr?“, sagte er sanft. „Es muss eine Verbindung zu der anderen Person geben. Wenn man die nicht hat, ist alles nur Schein.“

„Was ist daran auszusetzen?“ Sie befreite ihn und hängte auch die Handschellen wieder an ihren Platz. „Nicht jede Begegnung verändert das Leben.“

Er rieb sich das Handgelenk, während Jill sich wieder den Sachen in der Auslage widmete. „Ich glaube, wir alle sind auf der Suche nach der einen Begegnung, die unser Leben verändert. Selbst diejenigen, die es nicht zugeben.“

Benommen von dem Vorfall und gleichzeitig entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, ging er davon. Was hatte das zu bedeuten, dass eine Frau, die er kaum kannte, eine derartige Wirkung auf ihn haben konnte? Lag es daran, dass die Erfahrung ganz neu war, oder an der knisternden Atmosphäre in dem Laden? Oder war da noch mehr im Spiel? Etwas, das ihn schwach werden zu lassen drohte und seine Selbstbeherrschung zunichtemachte, an der er so lange gefeilt hatte?

3. KAPITEL

Unterwegs in seinem Wagen versuchte Mitch noch immer, aus dem schlau zu werden, was vorhin zwischen ihm und Jill im „Just 4 Play“ passiert war. Eigentlich hatte er zum Essen ins „Qdoba“ fahren wollen, doch stattdessen fuhr er durch University Hill zu dem einzigen Wohnhaus, das er noch besaß. Dort wohnte seine Schwester Meg mit einer anderen Medizinstudentin.

Sie öffnete ihm, noch in OP-Kleidung, eine Dose Suppe in der Hand. „Hallo, Mitch!“ Sie umarmte ihn. „Genau rechtzeitig zum Mittagessen.“

„Was hältst du davon, wenn ich dich zum Essen einlade?“

Sie warf die Dose einfach über die Schulter. Sie landete weich auf dem Sofa. „Ich ziehe mir nur schnell Schuhe an.“

Fünfzehn Minuten später tranken sie Eistee auf der Terrasse des „Qdoba“. „Also, was ist los?“, wollte Meg wissen und nahm sich einen Tortillachip.

„Nichts.“ Er schob die Salz- und Pfefferstreuer hin und her. „Mir fiel nur ein, dass du dienstags und donnerstagvormittags keine Vorlesung hast. Deshalb wollte ich einfach vorbeischauen und hören, wie es dir geht.“

„Seit wann verlässt du deine Arbeit mitten am Tag, um dich mit jemandem zu unterhalten, noch dazu mit deiner Schwester? Also sag schon, was mit dir los ist.“

„Wusstest du, dass Onkel Grif eine Stiftung gegründet hat, die über psychische Krankheiten aufklärt? Und dass er sie nach Mutter benannt hat?“

„Ich meine, davon gehört zu haben. Warum?“

„Ich habe es gerade erst erfahren. Weshalb hat er das gemacht?“

„Ich glaube, er hatte eine Schwäche für Mama. Und ich weiß, dass sie ihn auch sehr gern hatte. Sie freute sich immer auf seine Besuche, als sie im Krankenhaus war.“

„Ich habe ihn für einen großmäuligen Playboy gehalten, der sein Geld ausschließlich für Gin, Golf und Frauen ausgibt“, gestand Mitch.

„Und jetzt grämst du dich, weil du dich geirrt hast?“ Sie tätschelte mitfühlend seinen Arm. „Hey, das ist in Ordnung. Selbst du darfst ab und zu Fehler machen. Es beweist, dass du genau wie wir anderen auch nur ein Mensch bist.“

„Sie verstehen es wirklich, Kranke zu trösten, Doktor. Ich fühle mich schon viel besser“, spottete er.

„Du wirst drüber hinwegkommen. Grif hat dir deine Meinung offenbar nie übel genommen, wo er dir doch seinen Laden vererbt hat.“

Ein Laden, von dessen Existenz Mitch nicht einmal gewusst hatte, bis das Testament eröffnet worden war. Vielleicht war das Grifs Art, das letzte Wort zu haben.

Das Essen kam, und sie konzentrierten sich beide für eine Weile auf ihre Burritos, bis Meg fragte: „Wie hast du von der Stiftung erfahren?“

„Ich bin seine Unterlagen durchgegangen in dem … in dem Laden, den er mir hinterlassen hat.“

„Ach ja, das geheimnisvolle Geschäft. Was für ein Laden ist das überhaupt?“

„Nichts Wichtiges. Ich werde ihn schließen und stattdessen dort ein Restaurant aufmachen.“

Meg zuckte die Schultern. „Klingt nach viel Arbeit. Aber du bist der große Geschäftsmann, nicht ich. Wie geht es übrigens Lana?“

„Lana?“ Erschrocken sah er auf. „Oh, gut. Warum fragst du?“

„Nur so. Ich habe in letzter Zeit nur nicht viel von ihr gehört und mich gefragt, ob ihr noch zusammen seid.“

„Ja, sind wir.“ Mehr oder weniger.

„Das klingt nicht sehr begeistert. Ist der romantische Zauber etwa schon verblasst?“

„Warum sagst du das?“ Er spießte ein Stück Tortilla auf. „Nur weil ich nicht jede Minute von ihr schwärme, heißt das doch nicht, dass wir nicht mehr zusammen sind. In einer Beziehung muss es nicht jeden Tag ein Feuerwerk geben.“ Er sah sie finster an. „Es gibt noch mehr im Leben außer Sex.“

„Hey, Moment mal.“ Sie hob die Hände. „Wer hat denn etwas von Sex gesagt?“

Er wollte protestieren, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wenn es zwischen dir und Lana Probleme im Schlafzimmer gibt, will ich davon gar nichts wissen.“ Sie tunkte einen Tortillachip in die heiße Soße. „Vielleicht willst du ja jemand anderen kennenlernen. Ich gebe zu, dass ich voreingenommen bin, aber ich finde, du hättest einer Frau viel zu geben, und ich bin nicht sicher, ob Lana dich zu schätzen weiß.“

Er dachte noch über eine passende Erwiderung nach, als sein Handy klingelte. Mit einem düsteren Blick auf seine Schwester zog er es aus der Tasche. „Hallo?“

„Mitch? Hier spricht Sid.“ Der Manager klang angespannt. „Tut mir leid, wenn ich störe, aber Sie müssen sofort zurück in den Laden kommen.“

„Was ist denn passiert?“

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Jedenfalls ist diese Frau hier, und die … sie fragt ständig nach Ihnen.“ Er senkte die Stimme. „Sie ist ziemlich aufgebracht.“

„Oh verdammt.“

„Was ist denn?“ Meg beugte sich über den Tisch. „Ist alles in Ordnung?“

Er hielt das Telefon mit der Hand zu. „Es ist der Manager in Onkel Grifs Laden. Da ist eine Frau, die mich sprechen will.“ Er hielt sich das Handy wieder ans Ohr. „Was will sie?“

„Keine Ahnung. Sie sagt, ihr Name sei Lana. Lana Montgomery.“

Meg hatte schon von Leuten gehört, die grün anliefen. Gesehen hatte sie es allerdings noch nicht. Bis jetzt. Genau genommen nahm Mitchs Gesicht nacheinander alarmierend viele Farbtöne an, von Aschfahl über Dunkelrot bis Grünlich. Er klappte das Handy zu und stand abrupt auf. Fast hätte er dabei seinen Stuhl umgekippt. Er hielt ihn gerade noch fest und verlangte die Rechnung. „Ich muss los“, krächzte er.

Meg stand ebenfalls auf. „Ich komme mit.“

„Nein. Bleib hier und iss in Ruhe auf.“ Er warf einen Zwanziger auf den Tisch und ging zur Tür.

Meg folgte ihm, bis er sich umdrehte. „Du kannst nicht mitkommen.“

Sie ignorierte ihn und ging einfach zum Wagen. Er lief ihr hinterher. „Was hast du vor?“

Kaum hatte er die Türen entriegelt, da stieg sie auf der Beifahrerseite ein. „Irgendetwas geht hier vor, und ich habe die Absicht, herauszufinden, was es ist“, sagte sie.

Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. „Steig aus.“

Sie schnallte sich an. „Zwing mich doch.“

Wütend startete er den Motor. „Na schön. Aber du wartest im Wagen.“

Sie schaute aus dem Seitenfenster, damit er ihr Grinsen nicht sah. Männer waren so durchschaubar, da machte ihr Bruder keine Ausnahme.

Mitch raste durch den Verkehr von Boulder und bremste mit quietschenden Reifen in einer Parkverbotszone vor einem pinkfarbenen Backsteingebäude. Auf der Markise über der Eingangstür stand „Just 4 Play“. Von dem Laden hatte Meg schon gehört. Eine ihrer Freundinnen hatte ihn empfohlen. Als Mitch aus dem Wagen sprang und in das Gebäude lief, musste sie laut lachen. Das war einfach zu herrlich. Ihr tugendhafter Bruder hatte plötzlich einen Sexshop am Hals. Das musste sie sich aus der Nähe ansehen.

Als sie den Laden betrat, sprach Mitch mit einer zierlichen blonden Frau hinter dem Tresen. Sie zeigte nach hinten, und er verschwand in diese Richtung.

Meg ging zum Tresen und nahm einen Schlüsselanhänger in Penisform in die Hand. „Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte sich die blonde Frau.

Meg legte den Anhänger hin. „Ich bin Meg Landry, Mitchs Schwester. Wir haben gerade zu Mittag gegessen, als Sie anriefen.“

„Oh, ich habe nicht angerufen. Das war Sid, der Manager.“ Sie gab ihr die Hand. „Ich bin Jill Sheldon.“

Meg schaute sich die bonbonfarbenen Kondome, die aufblasbaren Puppen und Massageöle an. „Was ist denn passiert?“, fragte sie Jill. „Warum musste Mitch so eilig herkommen?“

Jill verzog das Gesicht. „Eine Frau tauchte heute Nachmittag hier auf, sah sich um und fing an, nach Mitch zu schreien.“

„Eine Frau? Wer denn?“

„Eine von diesen reichen Tanten. Sie wissen schon, schickes Kostüm, schicke Frisur, schickes Benehmen. Sie meinte, ihr Name sei Lana Montgomery.“

Meg formte ein O mit den Lippen. „Ich fürchte, Mitch ist noch nicht dazu gekommen, ihr von diesem Laden zu erzählen.“

„Wer ist sie?“, wollte Jill wissen.

„Mitchs Freundin. Jetzt vermutlich seine Exfreundin.“ Meg nahm eine Dose Körperfarbe und las die Anwendungsvorschläge. „Irgendetwas sagt mir, dass Lana von diesem Laden nicht begeistert ist.“

„Vielleicht hält sie nichts von einem gesunden Sexualleben. Leuten zu helfen, ein besseres Liebesleben zu führen und ihre Körper besser kennenzulernen …“

„Hey, ich habe nicht gesagt, dass ich genauso denke.“ Meg stellte die Dose wieder hin. „Um die Wahrheit zu sagen, Lana kam mir sowieso ein bisschen steif vor.“

Jill schaute zur geschlossenen Bürotür. „Genau wie Mitch.“

„Stimmt, mein großer Bruder ist sehr konservativ. Aber er ist ein wirklich netter Kerl.“

„Sie sind nicht zufällig voreingenommen?“, meinte Jill skeptisch.

Meg grinste. „Absolut nicht.“ Sie deutete zum Büro. „Was ist passiert, bevor ich hier war?“

„Sid ist mit dieser Lana ins Büro gegangen. Ich glaube, er wollte ihr einen Tee kochen. Wenn wir Glück haben, hat er ihr ein Beruhigungsmittel dazugegeben.“

„Das würde wahrscheinlich helfen.“ Meg ging zu einem Schaukasten mit Vibratoren und nahm ein hellgrünes Modell heraus. Es wäre unklug gewesen, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen. „Ich wollte mir schon immer einen zulegen. Was würden Sie mir empfehlen?“

„Wir haben einige sehr schöne Modelle.“ Jill kam hinter dem Tresen hervor. „Wir führen jede Farbe, Größe und Form, die Sie sich vorstellen können.“ Sie öffnete Schubladen und nahm Kartons heraus. „Irgendwo hier drin ist der perfekte BOB für Sie.“

Meg nahm ein hellrotes Modell in die Hand. „Bob?“

„Battery operated boyfriend – Ihr batteriebetriebener Freund.“ Jill sah zur Bürotür. „Ich kann Ihnen versprechen, die machen weniger Ärger als die echten.“

Mitch hatte jetzt keine Zeit, sich wegen Meg Gedanken zu machen. Er musste sich mit Lana auseinandersetzen. Was tat sie hier? Wie hatte sie von diesem Laden erfahren? Und was sollte er jetzt machen?

Er öffnete die Tür und formulierte im Kopf bereits besänftigende Worte. Doch die Szene vor ihm ließ ihn innehalten. Lana und Sid saßen nebeneinander vor dem Schreibtisch, und Sid hörte Lana, die ihm ihr Herz ausschüttete, mit ernster Miene zu.

„Danke, dass Sie so verständnisvoll sind“, sagte sie.

Mitch räusperte sich, und die beiden schauten auf. Sofort brauste Lana wieder auf. „Mitch, wie konntest du?“

„Wie konnte ich was?“

„Einen … einen schweinischen Laden wie diesen führen.“

„Wir betrachten uns eher als ein Geschäft, das Accessoires zur Förderung des Vergnügens und Wohlbefindens der Menschen verkauft“, erklärte Sid.

Lana starrte ihn perplex an. Eine leichte Röte kroch ihren Hals hinauf. „Äh, ja.“ Dann wandte sie sich wieder an Mitch. „Warum hast du mir nichts davon erzählt?“

„Weil ich wusste, dass du so reagieren würdest. Außerdem will ich den Laden ohnehin schließen und ein Restaurant eröffnen.“

Sid machte ein gequältes Gesicht. „Das habe ich ihr auch schon gesagt.“ Er nahm ihr die Teetasse aus der Hand. „Ich mache Ihnen noch etwas Tee.“

„Ich will keinen Tee mehr.“ Sie ballte die Fäuste im Schoß. „Ich will eine Erklärung.“

Warum war ihm früher nie aufgefallen, wie giftig sie sein konnte? „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

„Wie kannst du das sagen? Ist dir nicht klar, dass ich ein gewisses Ansehen in dieser Stadt genieße? Was werden die Leute denken, wenn sie erfahren, dass der Mann, mit dem ich zusammen bin, einen solchen Laden besitzt?“

„Möglicherweise denken sie, was für ein Glück du hast“, erwiderte er halb im Scherz.

Sid brachte ihr neuen Tee. „Viele angesehene Leute kaufen hier ein“, sagte er. „Sogar die Frau des Bürgermeisters ist schon hier gewesen“, fügte er in vertraulichem Ton hinzu.

Lana nahm sichtlich verblüfft die Tasse entgegen. Dann brachte sie ein schwaches Lächeln zustande. „Sie waren sehr freundlich zu mir.“

„Es war mir ein Vergnügen, Ma’am.“

Lana wandte sich wieder an Mitch, und ihr Lächeln verschwand umgehend. „Dieser Laden ist der Grund, weshalb du über Sex sprechen wolltest und über Experimente … und dass du dich langweilst.“

Er schob die Hände in die Hosentaschen, weil er sonst die Beherrschung verloren und Lana geschüttelt hätte. „Ich wollte nur andeuten, dass wir in einen Trott geraten sind.“

„Na fein. Wenn es das ist, was du willst … fein.“ Sie stellte ihre Tasse so hart ab, dass der Tee auf den Schreibtisch schwappte. „Du kannst dir jemand anderen suchen für deine … deine Sexspiele.“ Das letzte Wort spuckte sie förmlich aus, schnappte sich ihre Handtasche und stürmte hinaus.

„Lana, warte!“

„Ich kümmere mich um sie“, sagte Sid und lief ihr hinterher.

Mitch verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf den leeren Türrahmen. Er hätte Lana hinterherlaufen sollen, aber er konnte sich einfach nicht dazu aufraffen. Was immer sie für eine Beziehung gehabt hatten, sie war nun vorbei. Und dabei empfand er nichts als grenzenlose Erleichterung.

Er seufzte. Die Sache mit Lana war abgehakt. Aber was war mit Meg? Er hatte wenig Hoffnung, dass sie im Wagen sitzen geblieben war. Schon als Kleinkind hatte sie ihren eigenen Kopf gehabt.

Er entdeckte sie und Jill auf der anderen Seite des Ladens. „Was machst du hier drin?“, fuhr er seine Schwester an.

Sie hielt einen großen roten Vibrator hoch. „Ich wollte einkaufen.“ Sie drückte einen Knopf, und der Plastikpenis wackelte wie ein Hula-Tänzer. „Ist der nicht süß?“

Mitch wurde leichenblass. Er packte das absurde Sexspielzeug und schaltete es aus. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst im Wagen warten.“

„Seit wann mache ich, was du willst?“, konterte Meg. „Hübscher Laden übrigens.“

Sein Gesicht glühte. Er war verlegen – und noch dazu verlegen, weil er verlegen war. Sicher, Meg war eine erwachsene Frau. Trotzdem konnte er nicht aufhören, sie als seine kleine Schwester zu sehen.

Sie nahm einen pinkfarbenen Vibrator in die Hand. „Ich glaube, dieser gefällt mir.“

„Der Koi“, erklärte Jill. „Eine gute Wahl. Die kleinen Flossen des Fisches sorgen für eine ausgezeichnete Klitorisstimulation.“

Am liebsten hätte Mitch sich die Ohren zugehalten. Er wollte das nicht hören. Und auch nicht sehen, deshalb wandte er sich ab. Hinter ihm lachten Meg und Jill, wahrscheinlich über einen irrsinnig komischen Witz.

Die Glocken über der Eingangstür klingelten, und Sid kam wieder herein. „Ich konnte sie ein bisschen beruhigen, glaube ich. Zumindest genug, dass sie nach Hause fahren kann, ohne einen Unfall zu bauen.“

„Was hatte sie denn?“, wollte Jill wissen.

„Sie missbilligt diesen Laden“, antwortete Mitch.

„Meiner Erfahrung nach ist jemand, der derartig negativ auf etwas reagiert, meistens stärker daran interessiert, als er es seiner Meinung nach sein sollte.“ Jill legte den pinkfarbenen Vibrator auf den Tresen und beugte sich zu Mitch hinüber. Ihr Jasminduft stieg ihm in die Nase, und plötzlich erinnerte er sich an sie mit der Peitsche in der Hand.

Er drehte sich weg von ihr. „Ich bezweifle, dass das Lanas Problem ist.“

„Sei dir da nicht so sicher“, meinte Meg. „Vielleicht verbirgt sich hinter ihrer Fassade aus Zurückhaltung und Anständigkeit eine wilde Frau.“

„Nein“, sagte er, denn wenn das jemand beurteilen konnte, dann er. Lana gab nicht einmal einen Laut von sich, wenn sie zum Höhepunkt gelangte.

Autor

Leslie Kelly
Leslie Kelly ist als Romance-Autorin bekannt für ihre zauberhaften Charaktere, die geistreichen Dialoge und ihren frechen Humor. Das hat ihr 2006 den Romantic Times Award und weitere Award-Nominierungen eingebracht. Seit Erscheinen ihres ersten Buches 1999 hat sie mehr als dreißig sexy-freche Liebesgeschichten für Harlequin geschrieben. Leslie lebt mit ihrem persönlichen...
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