Tiffany Pure Lust Band 21

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EKSTASE INKLUSIVE von CAITLIN CREWS

Island hat Margot Cavendish schon immer fasziniert. Also reist die Sozialforscherin in den hohen Norden, um vor Ort die Datingkultur zu untersuchen. Dort lernt sie Thor Ragnarsson kennen und schneit mit ihm in einem Hotel ein – und erfährt am eigenen Leib, was Isländer unter Liebe verstehen …

FLAMMEND HEISS VERFÜHRT von RACHAEL STEWART

Ausgerechnet mit Lucas Waring muss Eva bei ihrer nächsten Kampagne zusammenarbeiten! Für ihn empfand sie das allererste Mal heiße Leidenschaft, doch dann hat er ihren Bruder in die Insolvenz getrieben. Wie soll sie es jetzt mit ihm aushalten? Zumal noch immer jede seiner Berührungen wie Feuer auf Evas Haut brennt …


  • Erscheinungstag 09.11.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523745
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caitlin Crews

1. KAPITEL

„Tut mir sehr leid“, beteuerte die Empfangsdame. Sie legte eine perfekt manikürte Hand auf den glänzenden Marmortresen der Rezeption, wie um ihren Worten Gewicht zu verleihen. „Das Wetter ist umgeschlagen. Heute gibt es keine Möglichkeit mehr, nach Reykjavik zurückzufahren.“

Professor Margot Cavendish straffte die Schultern und zwang sich zu einem Lächeln. Um ihren Ärger nicht zu zeigen, ließ sie ihren Blick durch die elegante Lobby des Viking Hotel wandern. Immerhin war sie nicht wütend auf die arme Rezeptionistin – sondern auf sich selbst.

Schließlich hatte sie diesen Wetterumschwung mit eigenen Augen kommen sehen. Trotzdem hatte sie den weiten Weg bis zu dem abgelegenen Dorf gemacht. Und das, obwohl sie nicht einmal wusste, ob man sie empfangen würde.

Der Mann, den sie hier treffen wollte, hatte mit keinem Wort bestätigt, dass er mit ihr sprechen würde. Er hatte weder auf ihre E-Mail geantwortet noch ihren Anruf entgegengenommen, und vermutlich konnte er keine fünf Minuten aus seinem geschäftigen Leben zwischen Sünde und Verführung entbehren.

Und dennoch war sie hergekommen.

Das hatte sie nun davon, spontan zu sein, ermahnte sie sich selbst.

„Auf dem Weg hierher hat es geschneit“, begann sie sich zu verteidigen und sehnte sich bereits nach ihrem kleinen Apartment in Reykjavik, das sie während ihres Forschungssemesters bewohnte. „Die Straße war ein bisschen glatt, aber befahrbar.“

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Der Straßenabschnitt oben am Berg war tückisch gewesen, und der Taxifahrer hatte sein gesamtes Können unter Beweis stellen müssen.

Aber Margot, die die heftigen Schneestürme im mittleren Westen der USA gewohnt war, hatte sich keine Sorgen gemacht. Verschneite Straßen waren in Iowa keine Seltenheit. Dort lehrte sie im Fachbereich Humanwissenschaften an der Universität, seit sie vor einigen Jahren ihren Doktor gemacht hatte.

Schnee machte ihr keine Angst. Andererseits hatte sie auch noch keinen Winter so nahe an der Arktis verbracht.

„Schneefall kann sich hier ganz schnell zu einem Sturm entwickeln“, sagte die Dame am Empfang entschuldigend und tippte gleichzeitig mit fliegenden Fingern auf der Tastatur, als ob sie genau diese Nachricht auch der breiten Öffentlichkeit kundtun müsste. Das kleine Schild an ihrer korrekt sitzenden Bluse verriet, dass sie Freya hieß. „Diese Winterstürme sind wirklich unberechenbar. Morgen früh ist womöglich alles wieder vorbei.“

„Morgen früh?“

Margots Stimme klang ungewohnt schrill in der gedämpften, exklusiven Atmosphäre der Lobby, und sie zog peinlich berührt den Kopf ein.

Dieses Hotel hatte etwas an sich, das ihr unter die Haut ging. Vielleicht lag es an dem gewaltigen Schauspiel von Feuer und Eis, das auf jeder freien Fläche und auf jedem Bildschirm dargestellt wurde. Oder an den zahlreichen Elfen, Trollen und Sagengestalten, die auf unterschiedliche Weise in das Interieur eingefügt waren.

Auf jeden Fall war es nicht das, was sie erwartet hatte. Denn für all die lustvollen Dinge, die hier hinter verschlossenen Türen vorgehen sollten, wirkte das Hotel überhaupt nicht zwielichtig oder gar schäbig.

Im Gegenteil: Es wirkte über alle Maßen stilvoll und elegant, und der Hotelbesitzer, der sich ziemlich bedeckt hielt, was sein Privatleben anging, hatte offenbar einen erlesenen Geschmack.

Margot entspannte bewusst die Schultern. „Sie schlagen mir jetzt aber nicht vor, hier zu übernachten?“

Das Wort hier hatte vielleicht ein bisschen überspitzt geklungen, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern.

Der ehemalige Besitzer des Hotel Viking war der legendäre Daniel St. George, der vor einigen Monaten bei einem dramatischen Autounfall in Deutschland ums Leben gekommen war.

Laut Testament fielen seine kleinen, aber exklusiven Luxushotels seinen Söhnen zu, die er angeblich rund um den Globus gezeugt, aber zu Lebzeiten nie anerkannt hatte.

Eines dieser bemerkenswerten Erbstücke war das Hotel Viking, ein sagenumwobenes Ressort am Ende der Welt, in dem angeblich keine Fantasie unerfüllt blieb. Bei gutem Wetter konnte man das international beliebte Hotel von Islands Hauptstadt Reykjavik aus in nur wenigen Stunden erreichen, daher hatte Margot beschlossen, sich persönlich ein Bild davon zu machen.

In ihrem neuesten Forschungsprojekt ging es um Island und seinen Ruf als das feministischste Land der Welt. Ihr Hauptinteresse galt dem Sex und der Frage, wie Islands berühmt-berüchtigte Abschlepp-Taktik durch Alkohol mit dieser feministischen Sichtweise zusammenpasste.

Denn Margots Ansicht nach widersprachen sich diese beiden Dinge absolut.

Seit einem Monat arbeitete Margot bereits in Reykjavik, sprach mit isländischen Kollegen an der hiesigen Uni und versuchte, so viele Einheimische wie möglich zu interviewen.

Sie passte ihre potenziellen Interviewpartner hauptsächlich in Laugavegur ab, der berühmten Partymeile, wo sich Reykjaviks wildes Nachtleben zwischen Bars und Nachtclubs abspielte.

Während ihrer Gespräche fiel ein Name immer wieder: Thor Ragnarsson. Der frischgebackene Hotelbesitzer war offenbar der älteste Sohn des verstorbenen Daniel St. Georges, und hinter vorgehaltener Hand hieß es, er würde selbst all die pikanten Dinge praktizieren, wegen der die Gäste das Hotel aufsuchten.

Thor. Dieser Mann schien all das zu repräsentieren, was Margot an einem Mann nicht mochte. Sowohl im Bett als auch außerhalb.

Übermäßig sexuell orientiert. Zu körperbezogen.

Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte, was im persönlichen Sexleben dieses Mannes vor sich ging. Margot war lediglich daran interessiert, wie seine Meinung zu Sex im Allgemeinen war. Das war alles.

Natürlich war das alles. Auch wenn sie jetzt hier unerwartet festsaß.

Seine Sekretärin hatte alle Fragen nach einem Interview abgelehnt und ihre Anrufe nicht weitergeleitet. Also hatte Margot beschlossen, einfach hier aufzutauchen und zu sehen, ob sie vor Ort etwas erreichen konnte.

Allerdings war sie bisher nicht weiter als in die Lobby vorgedrungen.

Freya war zwar höflich, aber auch sehr resolut. Das musste sie wohl sein – in einem Hotel, das sich mit höchster Diskretion rühmte. Außerdem behauptete sie vehement, Mr. Ragnarsson sei unerreichbar und viel zu beschäftigt, selbst für ein fünfminütiges Interview.

Es war naiv gewesen, herzukommen.

Und jetzt musste Margot dafür bezahlen.

„Es gibt schlimmere Orte, um eingeschneit zu sein“, fuhr Freya jetzt fort. „Schließlich sind wir ein Hotel. Stellen Sie sich vor, Sie wären jetzt noch da draußen auf der Straße und müssten auf Hilfe warten. Oder sogar im Auto übernachten.“

„Ja, aber …“

„Warum setzen Sie sich nicht an unsere Bar?“, schlug Freya vor. „Nehmen Sie einen Drink. Entspannen Sie sich. Und ich werde nachsehen, wo wir Sie heute Nacht unterbringen können.“

Margot blieb im Grunde keine Wahl. Durch die Glastüren konnte sie sehen, wie der Schnee die Sicht verwirbelte; die Flocken fielen in immer dichteren Wolken.

Sie war schrecklich unvorsichtig gewesen. Hatte sich in Sicherheit gewiegt, weil sie bereits einen Monat auf Island war, und sich eingebildet, sie könnte den Schnee und das Wetter ebenso gut einschätzen wie die Einheimischen.

Ihr war nicht einmal der Gedanke gekommen, dass sie im Fall eines Sturms in einem Sex-Hotel gefangen sein würde. Das ganze Gebäude kam ihr mit einem Mal schwer vor, verdichtet, angefüllt mit dunkler Leidenschaft und eindeutigen Absichten. Sie spürte es, auch wenn es dem Foyer nicht anzusehen war, mit seinem blanken Boden und den freundlichen Blumenbouquets.

Es war beinahe … beunruhigend.

In Margots Leben war Körperlichkeit eher nebensächlich. Sie war eine Intellektuelle, keine Frau der ungezügelten Leidenschaft. Sex spielte keine übergeordnete Rolle. Sie mochte ihn, ja, und im besten Fall machte er ihr sogar richtig Spaß.

Aber sie hungerte nicht danach. Und sie hatte gewiss nicht das Bedürfnis, in einem Hotel abzusteigen, in dem man choreografierten Sex haben konnte.

Was auch immer das bedeutete. Sex sollte schließlich nicht filmreif sein, sondern entspannt.

Diese Gedanken behielt sie allerdings lieber für sich. Sie nickte Freya zu und entfernte sich. Voll Befangenheit durchschritt sie die Lobby und ging auf die wuchtige Eingangstür der Bar zu, die an das Tor einer Wikingerbehausung erinnerte.

Und zum ersten Mal erlag sie dem Zauber dieses Ortes.

Das Hotel war wirklich wunderschön. Es vereinte die Kraft der uralten Stämme mit der Anmut der europäischen Architektur. Es war zugleich einladend und einschüchternd, elegant und rustikal, und sie fühlte sich plötzlich seltsam getröstet und … aufgehoben.

Hör auf damit, sagte sie sich. Auf keinen Fall würde sie sich von den Verlockungen dieses Ortes einlullen lassen. Sie war kein Gast hier. Sie brauchte kein heidnisches Vorspiel und eine Parade bis zum Höhepunkt, wenn sie ebenso gut schnell und unkompliziert zum Orgasmus kommen konnte – um sich dann wieder ihrer Arbeit zu widmen.

Sie war eine neutrale, akademische Beobachterin, mehr nicht.

Und es gefiel ihr nicht, dass sie sich selbst daran erinnern musste.

Fast so, als ob sie Angst davor hätte, was passieren könnte, wenn sie dem Charme dieses Ortes erlag. Denn die Versuchung war stark. Sie war wie ein Sog, der sie unwiderstehlich anzog, obwohl sie bisher nichts weiter getan hatte, als durch die Lobby zu gehen.

Gleich darauf ärgerte sie sich über diese Gedanken. Sie hatte keine Angst. Zu Hause hatte sie sich einen Lehrstuhl an der Uni erkämpft, sie war ordentliche Professorin und hatte ihr Leben fest in der Hand.

So fest, dass manche Männer nicht damit zurechtkamen. In ihren vergangenen beiden Beziehungen war ihre Unabhängigkeit immer wieder Thema gewesen, und am Ende war sie auch der Grund, warum sich die Männer von ihr getrennt hatten.

Die bin ich los, hatte Margot gedacht, nachdem der Schmerz nachgelassen hatte. Sie war es gewohnt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und ihrer Meinung nach war Unabhängigkeit nichts, wofür man sich als Frau schämen musste.

In einem Sex-Hotel eingeschneit zu sein, sollte jedenfalls kein Grund für sie sein, Angst zu haben. Oder ihre Unabhängigkeit einzubüßen.

Verärgert öffnete sie die schwere Doppeltür und betrat die Bar. Selten hatte sie so sehr nach einem Glas Wein verlangt wie jetzt.

Die Einrichtung hier war noch kunstvoller als im Foyer, und hier regierten warme Gold- und Rottöne. Gleichzeitig erinnerte sie der Stil an industrielle Architektur, und irgendwie gingen die Grenzen so fließend ineinander über, dass es eine harmonische Einheit bildete.

Das Licht war gedämpft und ließ der Vorstellungskraft viel Raum. In versteckten Sitzecken drückten sich zierliche Sessel in die Schatten. Ätherische, beinahe unirdische isländische Musik drang leise aus versteckten Boxen. Hier und da war ein Gesprächsfetzen zu vernehmen.

Die Gäste unterhielten sich, flirteten, und taten womöglich noch mehr unter den schweren Holztischen, was den Augen verborgen blieb.

Hör auf, überall Sex zu wittern, ermahnte sie sich.

Sie ließ sich von dem freundlichen Barkeeper ein großes Glas Wein einschenken und trug es ans andere Ende der Bar zum Fenster, von wo aus sie den Sturm draußen beobachten konnte. Selbst wenn sie gewollt hätte, wäre es ihr nicht gelungen, Licht ins Dunkel des Beziehungsgeflechts der anderen Gäste zu bringen.

Stattdessen sah sie aus dem Fenster und weit hinab bis auf die wilde See, die in grauen Wellen gegen das vulkanisch schwarze Gestein rollte, so wie sie es seit Tausenden von Jahren tat.

Die restliche Welt versank immer tiefer im Schnee. Ein mächtiger Wind schlug die Flocken gegen die Scheiben, doch jetzt war er nicht mehr bedrohlich. Jetzt, da sie sich in die schweren, warmen, bequemen Polster sinken ließ.

Doch eine andere Art von Bedrohung schien sich zu nähern, und mit einem Mal begann ihre Haut zu prickeln, und die feinen Härchen an ihren Armen stellten sich auf.

„Entschuldigen Sie, ich …“

Margot versteifte sich am ganzen Körper. Sie hob abwehrend die Hand, ohne auch nur aufzusehen, und hoffte, den unerwünschten Avancen damit ein Ende zu setzen, bevor sie überhaupt beginnen konnten.

„Danke“, sagte sie betont lässig, „aber ich bleibe lieber für mich.“

„Sie sitzen in einem Hotel fest, mitten in einem Schneesturm am Ende der Welt“, erwiderte eine amüsierte Stimme, eindeutig männlich, und das perfekte Englisch mit dem isländischen Akzent wirkte wie eine sanfte Berührung. „Wird schwierig, noch mehr Einsamkeit zu finden.“

„Mir ist aber klar, dass das hier ein Sex-Hotel ist“, gab sie kühl zurück. Dann drehte sie sich um und sah ihr Gegenüber an. Sie hob den Blick. Noch höher. Und sah in ein Gesicht, das ebenso gut einem Wikingergott gehören könnte. „Aber ich fürchte, ich bin keine Sex-Touristin. Ich bin nur zufällig hier.“

Der Mann, der neben ihrem Sessel stand, begann zu lachen. Es war ein volles, tiefes Lachen, ein Lachen, das womöglich die Scheiben zum Bersten bringen könnte, so voll tönte es durch ihren Körper. Es erfasste ihr Zwerchfell, breitete sich in ihrem Magen aus und sickerte tiefer, bis es sich wie eine feuchte Hitze zwischen ihren Beinen einrichtete.

„Das hier ist kein Bordell“, sagte er, und das Lachen war noch immer aus seiner Stimme zu hören wie warmer, süßer Honig. Seine Stimme perlte über sie, und sie fühlte sich davon eingehüllt, von seiner Süße bestrichen, beinahe klebrig.

Plötzlich wünschte sie sich geradezu, zu den Gästen zu gehören. So wie er.

„Was haben Sie denn für finstere Geschichten gehört?“

„Der Ruf des Viking Hotels spricht für sich.“

Margot war es gewohnt, alleine zu verreisen. Für gewöhnlich reichten ein abweisender Gesichtsausdruck oder einige coole Worte, um ungewollte männliche Aufmerksamkeit abzuwenden. Vor allem hier in Island, das sich mit seiner Zivilisiertheit brüstete. Aber der Mann, der da vor ihr stand, war irgendwie … anders.

Zunächst einmal war er groß. Um nicht zu sagen kolossal. Zwar war Island voll mit großen, breitschultrigen, langbeinigen Männern, die alle ein bisschen an plündernde Wikinger erinnerten. Aber dieser Mann hatte noch etwas anderes an sich. Und zwar mehr.

Es war, als wäre sein Körper bis zum Bersten mit Muskeln bepackt; nicht aufdringlich, aber kraftvoll. Statt angespannt wirkte er mehr als lässig. Völlig entspannt.

Margot war eine sehr gute Beobachterin von Menschen mit all ihren Facetten, und sie musste sich eingestehen: Dieser Mann war bei Weitem der beeindruckendste, dem sie je begegnet war.

Er war wunderschön. Sein Haar war von goldgelber Farbe und gerade so lang, dass man mit den Fingern hindurchstreichen konnte, um es in diese hübsche Unordnung zu bringen. Genau das hatte vermutlich jemand anders besorgt – wenn er seine Nächte in einem Hotel wie diesem verbrachte.

Trotzdem hatte er das Gesicht eines Heiligen.

Nordisch hohe Wangenknochen. Ein sinnlicher Mund.

Augen, die so blau waren, dass sie brannten.

Du liebe Zeit, sie brannte.

„Was genau haben Sie denn über das Hotel gehört?“, wollte er wissen, und sein Tonfall war so locker und zweideutig zugleich, dass es einem Kunststück gleichkam.

Margot versuchte, ihre gewohnt desinteressierte Miene aufzulegen – diese kühle, objektive, klinische Neugier, mit der sie sich Emotionen fernhielt. Doch es wollte ihr dieses Mal nicht gelingen.

Ihr Puls jagte viel zu schnell und fest. Ihre Finger spielten mit dem Weinglas. Sie ließ sich zurück in den Sessel sinken und sah ihn gespielt überrascht an.

„Das Hotel ist die erste Adresse für ansprechendes Vergnügen und international bekannt.“ Es klang fast wie ein Zitat von der Website. „Für jegliche Form des Vergnügens.“

„Vielleicht haben Sie das Wort Vergnügen missverstanden“, erwiderte er, doch Margot bezweifelte das. Dabei gab es nicht viel zu verstehen – vor allem, wenn es aus seinem Mund kam. Diesem sinnlichen Mund …

„Ein Sex-Hotel klingt nicht nach gegenseitigem Einverständnis. Es klingt nach Prostitution. Aber so etwas gibt es hier nicht. Das Viking Hotel richtet sich an mündige Erwachsene.“

„Und natürlich verschwimmen dabei niemals die Grenzen.“ Sie merkte selbst, dass sie in die Rolle des strengen Puritaners geschlüpft war – prüde, zugeknöpft und ablehnend.

„Manche Grenzen sollen ja verschwimmen.“ Es war, als würde das Nordlicht selbst in seinen Augen glühen, blau, eiskalt und sengend heiß zugleich. „Aber Grenzen sind schließlich keine Gesetze. Und das Gesetz – das werden Sie merken – wird hier sehr ernst genommen.“

Margot spürte, dass sie den Atem angehalten hatte. Sie holte tief Luft. Das war doch albern. Warum ließ sie sich von diesem Mann derart einschüchtern? Er machte sie nervös. Nein. Er machte sie … kribbelig. Unruhig. Zittrig.

Das liegt am Sturm, sagte sie sich. Daran, dass sie an der Situation nichts ändern konnte. Und sie hasste es, keine Kontrolle zu haben.

Deswegen fühlte sie sich so seltsam aufgebracht. Wie … elektrisiert. Dabei hatte sie gar kein Interesse an diesem Mann. Und an diesem Hotel. Sie wollte einfach nur ihre Arbeit machen.

Es war an der Zeit, ihn wieder wegzuschicken. „Und selbst wenn das hier ein Kloster wäre – ich habe kein Interesse.“

Das brachte ihn erneut zum Lachen, noch lauter als zuvor. Das Lachen berührte ihren Körper und leckte wie eine hungrige Flamme über ihre Haut.

„Ich bewundere Frauen, die so unumwunden ihre Meinung sagen. Dann gibt es keine Missverständnisse. Sie wären überrascht, wie wenige Menschen über dieses spezielle Talent verfügen.“

„Und trotzdem sind Sie noch hier.“

„Vergeben Sie mir“, sagte der Mann und schenkte ihr ein Lächeln, das irgendwie den Weg zwischen ihre Brüste fand. Und zwischen ihre Beine.

Auch wenn es das nicht sollte. Denn Margot mochte Sex nur so lange, wie er andauerte. Nicht davor oder danach, sodass er ihr Leben durcheinanderbrachte. Oder ihren Arbeitsplan. Aber das hier … Das mochte sie nicht.

„Ich bin nicht zu Ihnen gekommen, um Sie um einen schnellen kleinen Fick während des Sturms zu bitten, auch wenn es sich durchaus unterhaltsam anhört. Ich bin Thor Ragnarsson. Ich glaube, Sie sind hier, um mich zu sprechen.“

Er zog einen zweiten Sessel heran und ließ sich nieder, während Margot nichts anderes tun konnte, als ihn sprachlos anzustarren.

Ihr Herz schlug aufdringlich in ihrer Brust, und ihre Gedanken begannen zu kreisen. Wieso hatte sie ihn nicht gleich erkannt! Sie spürte, wie sich die Hitze auf ihrem Dekolleté ausbreitete.

Sie hatte Bilder gesehen, aber nicht aus dieser Perspektive: von unten, ihren Kopf nach hinten geneigt, als ob sie gleich seinen Schwanz in den Mund …

Unvermittelt heftig setzte sie sich gerade hin und spürte, wie ihre Ohren zu brennen begannen. Peinlich berührt, das war sie. Deswegen brannte ihre Haut. Deswegen brannte ihr gesamter Körper …

„Ja“, bestätigte sie mit spröder Stimme, bemüht, ihre Professionalität wiederzufinden. „Mr. Ragnarsson, natürlich. Ich habe versucht, Sie …“

„Das ist Island. Wir sind hier nicht so formell. Nenn mich Thor.“

Dabei war sein Blick so intensiv, als würde er seinen Namen als Geschenk darbringen, und Margot glaubte ihn zu schmecken, wie er süß und schwer auf ihrer Zunge lag. Thor.

Kein ungewöhnlicher Name, zumindest nicht hier. Aber dieser Mann lenkte ihre Gedanken nicht in gewöhnliche Bahnen. Sie dachte nicht an isländische Traditionen, sondern ausschließlich an den Gott – den Gott des Donners.

Den Sexgott, hatten sie ihn in Reykjavik genannt, und zwar jedes Mal mit diesem kurzen, wissenden Lachen.

Sie unterdrückte einen Schauer.

„Schön, Thor“, berichtigte sie sich. „Ich habe dir E-Mails geschickt und versucht dich anzurufen. Ich bin …“

„Ich weiß, wer du bist. Die amerikanische Professorin, die über Sex reden will.“

So, wie er es sagte, klang es irgendwie sehr unanständig – auch wenn es der Wahrheit entsprach.

„Sex im kulturellen Sinn, nicht im persönlichen“, verbesserte sie. „Damit das gleich klar ist.“

So aus der Nähe war sein Lächeln sogar noch anziehender. Hier, im Schutz der hohen Sessellehnen, die sie von der Bar abschirmten. Es war unmöglich, ihn nicht anzusehen, und seine Schönheit entsprach etwa der des Sturms da draußen: wild, ungezügelt und vollkommen. Als seien sie beide aus derselben Macht geschaffen. Aus derselben Wut.

„Ist notiert“, bemerkte er, und das Lachen schlich sich in seinen Blick.

Margot versuchte, es zu ignorieren und griff nach ihrer Tasche. Sie nahm ihr Notizbuch heraus und schlug es auf. „Ich habe einige Fragen an dich. Vor allem möchte ich wissen, wie dein Hotel zu der Vorstellung passt, Island wäre eines der feministischsten Länder der Welt.“

Als sie den Blick wieder hob, war sie überrascht. Thor saß entspannt in seinem Sessel, lungerte fast gelangweilt darin, und seine Augen waren nicht auf ihr Notizbuch gerichtet, sondern auf sie. Er musterte sie aufmerksam, ganz so, als sei wäre das Forschungsobjekt.

Das gefiel Margot ganz und gar nicht.

„Das ist eine sehr langweilige Frage.“

Nur mit Mühe löste sie den Blick von seinem Mund, bis ihr klar wurde, was er da gesagt hatte. „Entschuldigung?“

„Ist es wirklich das, was du wissen willst? Das hättest du auch in der E-Mail schreiben können. Stattdessen hast du den langen Weg von Reykjavik hierher gemacht. Hast versucht, mit meiner Empfangsdame zu diskutieren. Und all das, um so eine ermüdende Frage zu stellen?“

Etwas begann sich in ihrem tiefsten Inneren zu regen, und sie spürte die sanfte Hitze zwischen ihren Beinen.

„Ist das deine Antwort? Du findest Feminismus ermüdend?“

„Überhaupt nicht. Ich zelebriere ihn.“

So, wie er in seinem Sessel saß, mit dieser übermäßig lässigen Haltung, hätte er ebenso gut auf einem Thron sitzen können. Und sie war sich seiner Nähe sehr bewusst.

Wie sich das T-Shirt unter seiner Jacke an seine Muskeln schmiegte. Wie lang seine Beine in dem Sessel wirkten. Wie sich seine Hände auf der Lehne bewegten, seine zarten, eindeutig erfahrenen Finger.

Er wirkte wie ein Mann mit übergroßem Selbstbewusstsein, der glaubte, er könnte jedes Spiel gewinnen – ganz egal in welcher Hinsicht.

Aber Margot hatte noch nie gerne verloren.

„Wie genau zelebrierst du Feminismus?“, fragte sie, ohne seinem Blick auszuweichen. Sie war die Professorin und er nichts als ein kleiner Perversling, ganz egal, welche Szenarien sich gerade in ihrem eigenen Kopf abspielten.

Wenn sie sich tatsächlich hingekniet hätte. Wenn er ein wenig näher kommen würde, ohne dass es hier hinten jemand sehen würde. Wenn er sie gegen die Scheibe drücken würde, um ihre erhitzte Haut an dem Glas abzukühlen …

Sie musste damit aufhören. „Indem du deine berühmten Sex-Partys feierst?“

„Es gibt nichts, was ich mehr liebe, als eine Frau, die sich genau kennt. Sowohl ihren Geist als auch ihren Körper“, sagte Thor, und er schenkte ihr ein Lächeln, das man gefährlich nennen konnte. Vielleicht kam es ihr auch bloß gefährlich vor, weil sie viel zu genau hinsah.

„Nichts ist anziehender als Gleichberechtigung. Vor allem im Bett.“

Margot musste sich zusammenreißen, um nicht wieder die Schultern hochzuziehen. Sie durfte gar nicht erst anfangen, sich ihn im Bett vorzustellen.

Aber sie konnte an nichts anderes mehr denken.

„Heißt das, für dich hat Feminismus nur mit sexuellen Vorlieben zu tun? Das ist alles?“

„Für mich gehört es dazu“, erwiderte er mit einem amüsierten Funkeln in seinen blauen Augen. „Aber für dich vielleicht nicht. Mein aufrichtiges Beileid.“

„Es wäre mir lieber, wenn wir dieses Gespräch auf einer professionellen Ebene halten“, sagte sie kühl, doch zum ersten Mal in ihrer gesamten akademischen Laufbahn war sie sich nicht mehr sicher, ob sie das wirklich wollte.

„Ich weiß alles über dein Forschungsprojekt, Dr. Cavendish“, erwiderte er, und so, wie er ihren Namen aussprach, hatte es beinahe etwas Belustigtes.

Vielleicht lag es nur daran, dass Isländer weder Nachnamen noch Titel benutzten, wenn sie miteinander sprachen. „Ich bin darüber unterrichtet worden, seit du einen Fuß auf unsere schöne Insel gesetzt hast.“

Margot runzelte die Stirn. „Unterrichtet?“

„Wenn ich den Eindruck gehabt hätte, dass deine Fragen meine Gäste stören könnten, hätte ich dich ermutigt, deine Nachforschungen woanders fortzuführen. Du verstehst.“

„Du denkst doch nicht …“

„Aber alles, was du gesammelt hast, waren Geschichten.“

Etwas an der Art, wie er das sagte, ließ sie innehalten. Stattdessen lehnte sie sich vor, begierig, mehr zu hören.

Moment mal. Was wollte sie denn eigentlich von ihm?

Ihn selbst?

Wenn Thor sie anlächelte, war es wie Blitz und Donner in einem, und sie wäre beinahe dahingeschmolzen.

„Hast du dich nie gefragt, was passieren würde, wenn du die Dinge nicht mehr aus zweiter Hand – sondern einfach mal selbst erfährst?“, fragte er müßig. Seine Stimme klang fast träge. Aber es war nichts träge an der Art, wie er sie ansah.

Sie lehnte sich wieder zurück. Bloß nicht nachgeben, bloß nicht fallen lassen – weder in seinen Blick noch in die wilden, unmöglichen Fantasien, die sich in ihrem Geist abspielten.

Unmögliche, abgedrehte, perverse Fantasien und seine Hände überall auf ihrem Körper. „Lass mich raten. Das ist der Moment, in dem du mir anbietest, mir bei meinen Forschungen zu helfen. Im Bett. Natürlich alles zu Studienzwecken.“

„Isländer ficken, Dr. Cavendish.“ Er lehnte sich träge zurück, doch sein Blick war eindringlich. „Sie verschwenden nicht so viel Zeit mit Reden. Erst ficken, und wenn das gut ist, dann vielleicht ein bisschen reden. Hast du das bei deinen Nachforschungen noch nicht herausgefunden?“

Sie versuchte, sich zusammenzureißen, und nickte. „Es ist genau diese Toleranz, die mich interessiert.“

„Es gibt Dinge, bei denen dir der Verstand nicht weiterhilft. Du wirst sehen, Sex ist eines davon.“

„Offenbar hat dir noch niemand gesagt, dass das mächtigste sexuelle Organ im Körper einer Frau ihr Gehirn ist.“

„Wenn du das sagst“, erwiderte Thor ganz offen amüsiert. „Aber ich hatte bereits ganz bemerkenswerte Erfolge mit der Klitoris.“

Mit dem Effekt, dass sie sein Lachen in ihrer spüren konnte …

„Was genau willst du mir hier anbieten?“, fragte sie schroff und kreuzte die Beine, um das heiße Pochen zu unterdrücken. „Wenn du mich angraben wolltest, hättest du das gleich von Anfang an sagen können.“

„Angraben“, wiederholte er nachdenklich, als ob ihm das Wort nicht geläufig wäre. „Als ob Anziehungskraft ein Überfall wäre. Betrachtest du Sex so – als Überfall? Ist das bei euch Amerikanern so? Oder nur bei dir?“

Margot gefiel es nicht, dass er in gewisser Weise sogar recht hatte. Sie wurde von einem leichten Schwindel erfasst. „Es ist bloß eine Redensart.“

„Und eine Akademikerin wie du liebt es, sich auf Redensarten zu stürzen und sie zu zerpflücken.“

„Die Akademikerin in mir liebt es, die Dinge objektiv anzugehen. Ganz im Gegensatz zu dir.“

„Was nutzt eine Forschung, die sich bloß in der Theorie abspielt?“, konterte er.

Margots Augen wurden zu schmalen Schlitzen. „Laut deiner Empfangsdame muss ich die Nacht hier verbringen. Vielleicht sogar noch eine zweite, wenn der Sturm nicht nachlässt. Also ist das der Preis für ein Zimmer hier? Sex mit dir?“

Nun wirkten seine Augen weniger amüsiert, sondern … dunkler. Fokussiert. Er sah sie lange an, ohne ein Wort zu sagen. Bewegte sich ein Muskel in seinem Kiefer?

Schließlich griff er in seine Tasche, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Er brachte einen wunderschönen, altmodischen Schlüssel zum Vorschein, dessen Kopf mit filigranen Verzierungen versehen war. Es hatte etwas Endgültiges, wie er den Schlüssel auf den Kaffeetisch zwischen ihnen legte.

„Das ist der Schlüssel zu deinem Zimmer“, sagte er ruhig.

Sie war fasziniert von dem Schauspiel, das sich in seinen Augen zeigte, denn trotz seiner sanften Stimme schienen dunkle Sturmwolken in seinem Blick aufzuziehen. „Es gibt keinen Preis. Du kannst bleiben, bis der Sturm wieder abklingt. Mit meinen besten Wünschen.“

„Habe ich … habe ich dich beleidigt?“, fragte sie, plötzlich zutiefst verunsichert, als ob seine Worte sie auf eine wilde Achterbahnfahrt der Gefühle geschickt hätten.

„Es war mein Fehler“, antwortete Thor, und sein Lächeln begann zu verblassen. „Ich habe nicht an die kulturellen Unterschiede gedacht. Isländer sprechen sehr offen über Sex. Ob man ihn hat oder nicht hat. Mit wem man ihn gern hätte oder nicht. Angebote werden gemacht, angenommen, abgelehnt. Es passiert überall und zu jeder Zeit. Ich bin davon ausgegangen, dass du damit vertraut bist, da du ja dieses Feld erforschst.“

Schon wieder fühlte Margot sich hilflos, und sie hasste dieses Gefühl. „Soll ich mich jetzt schlecht fühlen, weil ich so unvorbereitet und verklemmt bin?“

„Denk über mich, was immer du möchtest“, entgegnete Thor. Seine Stimme war jetzt dunkler, tiefer, und sie schien bis in ihr Innerstes zu dringen, wo sie sich ausbreitete und Stellen berührte, die sie nicht hätte berühren dürfen.

Plötzlich wünschte sie sich, sie wäre jemand anders. Jemand, für den Sex mehr als bloß angenehm war.

„Ich erwarte keine Bezahlung für Freundlichkeit. Es beleidigt mich, wenn du anders darüber denkst, aber ich verstehe das. Du kommst aus einem Land, wo Sexualität ganz anders aufgefasst wird. Als etwas Feindliches. Etwas, gegen das man sich wehren muss. Deswegen wehrst du dich, auch wenn du im tiefsten Inneren vielleicht etwas ganz anderes willst.“

Margots Lippen und ihr Hals fühlten sich mit einem Mal unendlich trocken an. Er dagegen schien völlig entspannt, und er hob die Schultern, als wäre es überhaupt nichts Ungewöhnliches, sein Gegenüber so offen zu analysieren.

„Ich nehme an, du kannst mir genau sagen, was ich im tiefsten Inneren will“, versuchte sie zu spotten.

„Ich glaube, es war kein Zufall, dass du ausgerechnet in mein Sex-Hotel gekommen bist.“ So, wie er Sex-Hotel betonte, hätte er genauso gut scharfe Messer benutzen können. „Am Tag eines Schneesturms.“

„Du denkst, es wäre meine Absicht gewesen, hier eingeschneit zu werden?“ Margot lachte, auch wenn es in ihren eigenen Ohren ziemlich gezwungen klang. „Für das hier? Für dich?“

Er lachte nicht. „Ich mag Sex. Ich habe keine Angst davor.“

„Ich habe keine Angst vor Sex.“

Aber es fühlte sich an wie Leugnen, und plötzlich wünschte sie, sie hätte es nicht gesagt. Vor allem, da seine blauen Augen aufzuleuchten schienen.

„Vielleicht ist das so. Vielleicht aber auch nicht.“ Wieder hob er die Schultern. „Bisher weiß ich bloß, dass du gerne beobachtest. Und ich könnte dir etwas anderes bieten. Ein bisschen Feldforschung.“

„Feldforschung?“ Sie kniff die Augen zusammen. „Soll das ein Witz sein?“

„Ich mache keine Witze“, sagte er todernst. „Dafür bin ich viel zu pervers. Musst du jemanden erst kennenlernen, bevor du mit ihm ins Bett gehst?“

„Du sagst das, als ob das etwas Schlechtes wäre.“

„Überhaupt nicht“, gab Thor zurück. „Aber in Island zäumen wir das Pferd von hinten auf. Ich könnte hier sitzen und dir meine Lebensgeschichte erzählen, oder du kommst mit in meine Wohnung und ich zeige sie dir. Entweder wird die Chemie zwischen uns stimmen oder eben nicht. Und dann wird sich jede deiner Fragen von selbst beantworten.“

„Weil du so unglaublich gut im Bett bist.“

Thor lachte, dieses Mal leiser und womöglich ein bisschen flüchtiger. „Ich glaube nicht an gut im Bett. Entweder passen Menschen zusammen, oder sie tun es nicht. Wer für die eine Frau ein Sexgott ist, kann für eine andere eine Niete sein. Es geht bloß um die Chemie.“

„Und wenn es zwischen uns keine Chemie gibt?“

Da begann er zu lächeln, und es fühlte sich an wie flüssiges Feuer. Dann lehnte er sich vor und legte die Hand mit der offenen Handfläche nach oben auf den Tisch.

„Vielleicht gibt es keine.“ Er nickte in Richtung seiner ausgestreckten Hand. „Warum berührst du mich nicht, um es herauszufinden.“

Margot versuchte sich zusammenzureißen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ein Mann sie das letzte Mal so mühelos durcheinandergebracht hatte.

War das etwa Chemie? Oder ließ sie sich von diesem Möchtegern-Wikinger bloß die Sinne vernebeln?

Jedenfalls musste sie das Gespräch wieder unter Kontrolle bringen, bevor es noch weiter in die falsche Richtung driftete.

Aber Margot war niemand, der eine Herausforderung ausschlug.

Und anstatt noch länger darüber nachzudenken, streckte sie den Arm aus und ließ ihre Hand in seine gleiten.

Sie erwartete, seine Kraft zu spüren, seine Stärke und Wärme.

Worauf sie nicht vorbereitet war, war der Blitz, der sie bei der Berührung durchzuckte, und sie unterdrückte den Aufschrei, der sich in ihrer Kehle lösen wollte.

Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte.

An seinem brennenden Blick konnte sie sehen, dass auch er es spürte. Mehr noch, dass er sie gehört hatte.

Ganz so, als ob er den Blitz auch gespürt hätte. Als ob er sie beide verbrennen würde.

„Das ist deine Chance, weniger amerikanisch, sondern ziemlich isländisch zu sein“, erklärte Thor. Seine Stimme war rauer als zuvor. Tiefer. „Seit Wochen hast du versucht, mit mir zu sprechen. Das ist die Gelegenheit.“

„Mit mir zu sprechen ist nicht das, was du mir anbietest.“

„Oh, keine Sorge“, murmelte er. Er schloss die Finger um ihre und drehte ihre Hand herum. „Ich beherrsche alle möglichen Arten der Kommunikation fließend.“

Margot widerstand ihrem ersten Impuls, die Hand wegzuziehen. Zu viele Gefühle wurden in ihr freigesetzt, zu viele Lichtpunkte schienen zwischen ihrer und seiner Haut hin und her zu fliegen.

Es war, als könnte sie ihrer Emotionen nicht mehr Herr werden. Genau so wie der wilde Sturm draußen vor dem Fenster wirbelte es in ihrem Inneren, das sich nicht unter Kontrolle bringen ließ.

Betrachte das Ganze nüchtern, ermahnte sie sich. Denk darüber nach.

Es wäre eine sehr unorthodoxe Herangehensweise, ganz bestimmt. Aber sie war in Versuchung, und sie würde lügen, wenn sie nicht zugab, dass sie nicht auch einmal wie die isländischen Frauen sein wollte – leger, lässig, zwanglos. So, wie sie selbst nie gewesen war.

Margot hatte noch nie Sex mit einem Fremden gehabt. Sie war nicht die Art Frau, die sich von Männern in Bars aufgabeln ließ. Und sie ließ sich nicht von abendlichen Flirtversuchen beeindrucken, ob alkoholisiert oder nicht.

Außerdem verbrachte sie ihre Zeit lieber in Bibliotheken. Und auf dem Campus. Die Männer in ihrem Leben waren ihr immer ähnlich gewesen, gebildet und intellektuell, und mehr interessiert an erfüllender Konversation als an Sex.

Und noch nie hatte sie sich von jemandem so hinreißen lassen, dass sie darüber vergessen hatte, dass sie nicht alleine im Raum waren.

Vielleicht war es an der Zeit, selbst herauszufinden, was so großartig daran sein sollte. Und wer eignete sich wohl besser dafür als Islands Sexgott?

„Es wäre bloß zu Forschungszwecken“, hörte sie sich selbst sagen.

Thors unerhört sinnlicher Mund formte ein Lächeln. Aber seine Feuer sprühten Funken. „Natürlich.“

„Nur Sex“, sagte sie. „Und nur während des Sturms.“

„Wenn du darauf bestehst.“

„Ich bestehe darauf.“ Da war etwas an der Art, wie er sie jetzt ansah. So gezügelt, so bereit, ganz so, als ob er etwas wüsste, dass ihr entgangen war. Oder von dem sie noch nicht einmal ahnte, dass es da war.

Als ob er sie besser kennen würde als sie sich selbst. Das gefiel ihr nicht, auch wenn sie spürte, wie die feuchte Hitze sich in ihrem Schritt sammelte. „Und Küssen ist nicht erlaubt.“

Sie war nicht sicher, ob er damit einverstanden wäre, und je länger sie seinen Mund betrachtete, desto mehr bereute sie, es überhaupt gesagt zu haben. Denn der Drang, sich über den Tisch zu lehnen und diese unglaublich einladenden Lippen zu berühren, wurde beinahe übermächtig.

Sein Lächeln vertiefte sich.

„Nicht küssen“, willigte er ein.

„Schön“, sagte sie betont fröhlich, als ob sie sich soeben auf eine Forschungsmethode geeinigt hätten. „Ich bin sicher, eine Runde mit dem selbst ernannten König der Fantasien ist das Experiment wert.“

Thor hatte es nicht eilig, aufzustehen, doch er ließ ihre Hand nicht los, als er sich endlich erhob, und zog sie so mit sich. Für einen Augenblick waren sie sich so nahe, dass sie sich gegen seine breite Brust lehnen könnte.

Und sie wollte es.

„Ich liebe Experimente“, sagte er ruhig, und in seinen Augen brannte das blaue Feuer gefährlicher als je zuvor. „Aber seien Sie vorbereitet, Professor, denn es wird nicht bei einem bleiben.“

2. KAPITEL

Die Professorin hatte violettes Haar.

Nun, eigentlich war es vielmehr lavendelfarben. Es fiel in sanften, langen Locken über ihre Schultern und fing das Licht ein, und es fiel ihm schwer, nicht die Hand auszustrecken, um es zu berühren.

Doch er tat es nicht.

Es war nicht so, als hätte Thor nie zuvor eine Frau mit so auffallend leuchtendem, gefärbtem Haar gesehen. Aber es war die erste Frau, die solches Haar trug und sich zugleich so sehr bemühte, einen seriösen Eindruck zu machen.

Dieser Widerspruch zog ihn an.

So, wie ihn auch alles andere an Margot Cavendish anzog.

Warum hatte sie den weiten Weg zu seinem Hotel gemacht, obendrein während eines Schneesturms, nur, um jetzt so zu tun, als ob das ein Versehen gewesen wäre?

Thor lebte hier nicht wie ein Eremit. Er fuhr oft nach Reykjavik, und wenn es diese amerikanische Professorin wirklich darauf angelegt hätte, wäre sie ihm in einem seiner Clubs in der Stadt begegnet.

Thor glaubte nicht an Zufälle. Er leitete das Hotel Viking nun seit sechs Monaten, und das aufgrund des seltsamen Testaments, das ihm ein Mann vermacht hatte, den er nicht einmal als seinen Vater betrachten konnte.

Durch das Testament hatte er auch von seinen Halbbrüdern erfahren, und er war sich nicht sicher, ob er diese wirklich kennenlernen wollte.

Aber eines hatte er in den vergangenen Monaten bereits gelernt: Niemand verirrte sich zufällig in diese Hochburg der Fantasien.

Oh, vielleicht wollten sie sich das gerne einreden. Sie legten sich alle möglichen hübschen Geschichten zurecht, die ihren Aufenthalt hier rechtfertigen sollten.

Als ob es überhaupt möglich wäre, zufällig in Island zu landen. Um dann zufällig in Reykjavik falsch abzubiegen, stundenlang zu fahren und auf dieser gottvergessenen Halbinsel zu landen, wo es nichts mehr gab außer der ruhelosen See, die ans Ufer rollte.

Es war wirklich nicht schwer, die wahren Absichten der Besucher zu enthüllen.

Thor führte die kratzbürstige Professorin mit dem lavendelfarbenen Haar zur Tür, hinaus aus der üppigen Eleganz der Bar, wo immerwährend der Luxus und die Kunst der Verführung zelebriert wurden.

Im Vorbeigehen nickte er dem Barkeeper zu, und ihm entging nicht, wie dieser gerade von einem neuen Gast angesprochen wurde. Mr. Oliveras aus Portugal hatte dabei ganz eindeutige Absichten, was den gut aussehenden Barkeeper anging.

„Dürfen deine Angestellten Dates mit den Gästen haben?“, fragte die Professorin auch prompt, als sie in der Lobby waren, und Thor glaubte, einen tadelnden Unterton aus ihrer Stimme zu hören.

Es überraschte ihn nicht. Ihm war noch kein Amerikaner begegnet, der seine prüden Wurzeln vollständig ablegen konnte – ganz gleich, wie liberal er sich auch gab.

Zugegeben, er fand das sogar irgendwie reizvoll. Denn in seinem Wesen gab es nicht den kleinsten puritanischen Zug. Nicht einen.

„Manche Etablissements, die sich der Erfüllung von sexuellen Wünschen verschrieben haben, legen ihren Angestellten sonderbare Zwänge auf. Aber Hotel Viking gehört nicht dazu.“ Thor neigte den Kopf und lächelte zu ihr hinunter, und er begann sich zu fragen, warum der Wunsch in ihm so groß war, diese hübsche kleine Stelle zwischen ihren Augenbrauen zu berühren, wo sich eine skeptische Falte gebildet hatte.

„Unser Team ist dazu angehalten, seinen Leidenschaften ebenso zu folgen wie unsere Gäste.“

„Hört sich nach Problemen an.“

„Wenn man ein Problem mit glücklichen, zufriedenen und loyalen Angestellten hat, dann ja.“ Er legte die Hand behutsam an ihren Rücken und führte sie so durch die Lobby.

Er ahnte, dass sie von jeder Geste unerwarteter Ritterlichkeit durcheinandergebracht würde. Und irgendwie wollte er sie durcheinanderbringen. Irgendwie wollte er die Frau aus der Reserve locken, um hinter ihre strenge Fassade zu schauen.

Schon auf den ersten Blick hatte er sie überaus attraktiv gefunden. Er war wie immer durch das Hotel gestreift, mit wachem Blick, alles im Auge behaltend, ohne an dem Geschehen teilnehmen zu müssen.

Aber es war etwas ganz anderes, jetzt mit ihr zu reden.

Vor allem, da sie ihn so vehement ablehnen wollte. Thor konnte sich nicht daran erinnern, wann man seine Avancen das letzte Mal abgelehnt hatte. Und er musste zugeben, dass ihm das kleine Spiel gefiel.

Sie gefiel ihm.

Ihr Verstand gefiel ihm, gerade jetzt, da er sie praktisch denken sehen konnte und die steile Zweifelsfalte zwischen ihren Augenbrauen sich vertiefte.

Er hatte schon immer kluge Frauen geschätzt, aber Margot reizte ihn besonders. Sie schien so herrlich nichtsahnend, was ihre eigenen körperlichen Bedürfnisse anging. Und wie sie diese unbewusst zur Schau stellte.

Er konnte ihre Erwartung praktisch fühlen. Es war, als würde ihr Körper vibrieren, und er spürte es durch den Stoff ihrer Jacke an seinen Fingerspitzen.

Thor lächelte Freya am Empfang zu und lenkte die Professorin ans Ende des Flurs, wo sich der private Fahrstuhl zu seiner Wohnung befand.

„Lass mich raten. Du bringst mich in dein Verlies.“

Thor musterte Margot, die sich in dem engen Fahrstuhl so weit wie nur irgend möglich von ihm weglehnte.

„Du wolltest einen Witz machen, aber es steckt schon etwas Wahrheit in deiner Frage, oder?“

„Natürlich sollte das ein Witz sein.“ Ihre Stimme war gepresst.

Erst, als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, schien sie sich ein wenig zu entspannen. Thor bemerkte, wie ihre Schultern sanken und sie den angehaltenen Atem ausstieß.

„In diesem Punkt können Sie mir glauben, Professor“, begann er, und wurde von einer heimlichen Freude erfasst. „Für den Kerker sind Sie noch lange nicht bereit.“

Es machte ihm Spaß, sie zu beobachten, zu sehen, wie sich eine zarte Röte auf ihren Wangen ausbreitete. Auch ihr Hals errötete, und in ihren Augen waren tausend Fragen zu lesen – Fragen und eine unleugbare Erregung.

Sie gab keine Antwort, doch für Thor sagte ihr Schweigen mehr als alle Worte.

„Warum kein Küssen?“, wollte er wissen und lehnte sich lässig an die Fahrstuhlwand, während sie nach oben fuhren. Ganz so, als fragte er nach dem Wetter. Oder nach dem Abendessen.

Margot runzelte die Stirn. „Du warst einverstanden. Und wir waren bereits beim Du.“

Er konnte das Lächeln nicht verbergen. „Richtig. Ich war einverstanden. Ich frage mich bloß, warum.“

„Weil das sinnvoller ist.“ Sie blinzelte, als ob sie etwas verraten hätte, was sie lieber für sich behalten wollte. „Küssen ist zu …“

„Intim?“

Dieses Mal wurden ihre Wangen buchstäblich von roter Farbe umspült, und sie brannten in einem hübschen Kontrast zu ihrem lavendelfarbenen Haar. Es ließ sie noch hübscher aussehen, auch wenn das kaum möglich war.

Es machte sie zarter, und es machte sie jünger, nachdem sie sich in der Bar so erwachsen und unnahbar gegeben hatte.

Und er spürte es wie eine heiße, feuchte Zunge, die seinen Schwanz hinabglitt.

„Küssen tut man für gewöhnlich nur in einer Beziehung“, dozierte Margot, als ob sie einen Doktortitel auf diesem Gebiet hätte. Und womöglich hatte sie das sogar. „Aber in dieser Art Arrangement hat das keinen Platz.“

„Du klingst sehr erfahren in diesem Punkt. Hast du viele solcher Arrangements gehabt?“

„Wie ich bereits sagte, ist dies lediglich ein Forschungsprojekt, Mr. …“, sie unterbrach sich, „Thor. Kein Grund, die Dinge zu verkomplizieren.“

Er hob die Schultern. „Ich fand Küssen noch nie kompliziert.“

„Und für dich ist Sex so banal wie Händeschütteln. Womöglich bist du der Falsche für dieses Experiment.“

Das amüsierte ihn. „Ich erkenne den Unterschied zwischen Sex und Händeschütteln.“

Er fragte sich, ob ihr bewusst war, dass sie nun ebenfalls die Arme vor der Brust kreuzte. Entweder spiegelte sie einfach seine Haltung, oder sie war von Natur aus in Verteidigungsstellung.

Aber je mehr sie in ihre Rolle als Lehrerin verfiel, desto weniger nervös wirkte sie.

Thor machte sich dazu eine mentale Notiz.

„In der Bar hast du gesagt, dass du Menschen durch Sex kennenlernst.“

„Es gibt kaum etwas, das die Menschen mehr enthüllt. Und das meine ich natürlich wörtlich.“ Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Denn für gewöhnlich sind die Beteiligten nackt.“

„Von Bescheidenheit kann hier keine Rede sein, oder?“

„Von falscher Bescheidenheit halte ich überhaupt nichts“, erwiderte Thor. „Wie du bestimmt schon weißt, verbringen Isländer viel Zeit in ihrem Badezimmer. Wir sind es gewohnt, natürliche Körper in allen erdenklichen Formen zu sehen. Hier ist es nicht wie in Amerika, wo man ständig mit künstlichen, optimierten Körpern eingeschüchtert wird. Es ist erstaunlich, dass Amerikaner überhaupt noch ihre Kleider ablegen.“

Margot nickte, als ob er ihr in etwas recht gegeben hätte. „Also ist Sex für dich doch etwas Gewöhnliches. Wie ein Bad nehmen. Und du würdest lieber mit Sex anfangen als mit einem schicken Abendessen. So, wie man das in anderen Ländern macht.“

Er lachte. „Es ist bestimmt anstrengender, sich durch ein Abendessen zu quälen, wenn du nicht einmal weißt, ob dich dein Gegenüber im Bett befriedigen wird. Warum sollte man so viel Zeit verschwenden?“

Thor sagte es eindeutig spöttisch, doch etwas an ihrer Miene ließ ihn innehalten. Es war, als könne er die Gedanken durch ihren Kopf wandern sehen, und irgendwie machte ihn das an.

Warum sich nicht ein bisschen über die kulturellen Unterschiede lustig machen? Immerhin konnte Thor mitreden, denn er hatte während seiner Studienzeit ein Jahr in Amerika verbracht. Ein sehr erhellendes Jahr. Es hatte ihm gezeigt, dass es einen himmelweiten Unterschied gab zwischen dem Bild, das die amerikanischen Medien vermittelten, und dem echten Menschen. Da, wo halb nackte Models Burger verkauften und dralle Blondinen unendliche Freizügigkeit und Toleranz versprachen, stieß man in der echten Welt auf viel Prüderie.

„Würdest du dich als sexuellen Freigeist bezeichnen?“, wollte sie nun wissen, und ihr Tonfall klang betont sachlich und gewollt nüchtern.

„Fragst du das jetzt aus persönlichem Interesse und im Hinblick auf das, was wir vorhaben? Oder ist es rein wissenschaftliches Interesse?“

„Wissenschaftlich. Natürlich.“

„Man hat schon viele Bezeichnungen für mich gefunden.“ Er lachte. „Warum fragst du?“

„Dein Name ist immer wieder gefallen, als ich die Leute in Laugavegur befragt habe. Ich versuche, herauszufinden, ob du dich vom durchschnittlichen Isländer unterscheidest, oder ob du dich ganz typisch für die Sitten und Gebräuche hier verhältst.“

„Ich betrachte mich selbstverständlich als einzigartige kleine Schneeflocke im Sturm.“

„Von denen gibt es eine Menge in Island“, gab sie zurück. Dann lächelte sie. „Schneeflocken, meine ich.“

Thor gefiel das. Ihm gefiel dieses herausfordernde Glimmen in ihren braunen Augen, die im sanften Licht des Fahrstuhls beinahe golden wirkten. Und er freute sich darauf, mit den Händen in diese unglaublichen Haare zu greifen.

„Es gibt eine Menge Schnee in Island, das ist richtig. Und es gibt gewiss eine Menge lilahaariger Frauen da, wo du herkommst, richtig?“

Margot hob die Hand und zupfte an einer Strähne. „Ich mag es so.“

„Aber warum magst du es so?“, hakte Thor nach. „Ist es nicht das, was du herauszufinden versuchst? Warum wir das mögen, was wir eben mögen? Lilafarbenes Haar … unverbindlichen Sex.“

Er war sich nicht sicher, ob ihr seine Erklärung gefiel, doch dann öffneten sich die Fahrstuhltüren zu seinem Penthouse. Das Apartment erstreckte sich über die gesamte Fläche des obersten Stockwerks des Hotels.

Thor ging voraus und schaltete hier und da Lichter ein. Er drehte sich nicht um, um zu sehen, ob Margot ihm folgte. Das war auch gar nicht nötig. Er konnte ihre schweren Winterstiefel auf den hellen, hölzernen Dielen hören.

„Das ist …“ Ihre Stimme veränderte sich, wurde heiser. Das erregte ihn.

„Ziemlich kahl.“

„Nordisch, meinst du.“

„Exzessiv nordisch, scheint mir.“

Thor blieb inmitten des weitläufigen Wohnzimmers stehen und sah sich um. Hier gab es keine Trennwände, und die blanken Stahlträger waren zu sehen. Die riesige Glasfront ließ gefühlt jedes Wetter herein, gutes wie schlechtes.

Das spärliche Mobiliar war modern und schlicht gehalten. Geometrische Formen, die den Raum atmen ließen und so viel Licht wie möglich hineinließen, da es hier die Hälfte des Jahres ohnehin kaum hell wurde.

Der visuelle Effekt war, dass einem das Wohnzimmer drei Mal so groß vorkam, wie es in Wirklichkeit war.

Immerhin war Thor ein großer Mann – dank seiner Wikingervorfahren – und konnte mit kleinen, beengten Räumen nichts anfangen.

„Das Hotel ist zwar üppig eingerichtet, aber ich selbst bevorzuge es schmucklos.“

„Offensichtlich.“ Sie ging auf ihn zu, doch ihre Arme waren noch immer vor ihrer Brust gekreuzt. „Das sollte mir wahrscheinlich alle möglichen Dinge über dich verraten.“

„Ich bin das Produkt meiner Umgebung?“

„Ich dachte eher … verschwenderisch auf der Straße und nüchtern im Bett.“

Das brachte ihn zum Lachen. Margot blinzelte, als ob sie damit nicht gerechnet hätte.

„Ich glaube, nüchtern ist nicht ganz das passende Wort, aber du musst mir unbedingt sagen, wie dein Abschlussurteil ausfällt, nachdem du mein Bett ausprobiert hast.“

Thor führte sie durch das gesamte Wohnzimmer bis ins Schlafzimmer am anderen Ende des Gebäudes. Es war mit automatischen Rollläden versehen, die während der langen Sommernächte das Licht von den deckenhohen Fenstern abhielt.

Auf dem Fußboden lagen dicke, flauschige Teppiche. Und das Bett war nicht im Geringsten nüchtern oder bescheiden. Es war ein mächtiges, hölzernes Ungetüm von einem Himmelbett, das den Eindruck machte, als könnte man darin sämtliche Hotelgäste unterbringen.

„Besser?“, fragte er. „Weniger beleidigend nordisch?“

Sie blieb an der Tür stehen. Er beobachtete, wie sich ihr Kehlkopf bewegte, als sie schluckte, und es war, als könnte er die Bewegung spüren, als würde süßer Honig durch seine eigene Kehle rinnen.

Er trat an den mächtigen Kamin gegenüber dem Bett und begann ein Feuer zu entfachen. Sobald die ersten Flammen über die Holzscheite züngelten, war Margot einen winzigen Schritt näher gekommen.

Er betrachtete das als gutes Zeichen. „Du siehst bemerkenswert nervös aus. Dafür, dass du bloß einen kleinen Forschungsausflug machst.“

„Ich bin überhaupt nicht nervös.“

„Professor.“ Thor kniete noch immer vor dem Kamin. Er wandte den Oberkörper in ihre Richtung, um sie ansehen zu können. „Das wird nicht besonders lustig, wenn du mich anlügst.“

Ihre Brauen zogen sich zusammen. „Ich lüge nicht.“

„Vielleicht legst du es nicht darauf an, zu lügen.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber sieh dich an. Wie du im Raum stehst. Steif. Angespannt. Nicht besonders einladend. Was soll ich jetzt mit so einer Körpersprache anfangen?“

„Warum musst du so viel hineininterpretieren?“

„Margot.“ Ihm gefiel ihre Reaktion, wenn er ihren Namen aussprach. Es war, als würde sich ein Funke zwischen ihnen entzünden. „Für gewöhnlich ficke ich keine Frauen, die dabei so begeistert wirken, als müssten sie zum Zahnarzt gehen.“

Sie zuckte buchstäblich zusammen, um dann wieder ihre Stirn in Falten zu legen. Offenbar war das ihre normale Reaktion auf alles.

„Dann hast du meine Körpersprache eben falsch interpretiert“, sagte sie, doch es klang ziemlich kraftlos.

Thor rührte sich nicht. „Habe ich das?“

„Ich habe es schon einmal gesagt: Hier geht es um ein wissenschaftliches Experiment. Nicht um mich.“

„Du führst das Experiment durch“, argumentierte Thor. Sehr geduldig. „Mit mir. Und ich bevorzuge ein bisschen Enthusiasmus. Genau genommen ist das sogar meine Bedingung.“

„Ich bin enthusiastisch.“

„Ganz offensichtlich bist du gerade alles andere als begeistert.“

„Ich glaube, du weißt überhaupt nicht, was du da redest.“

„Vermutlich nicht.“ Er hob eine Braue. „Dann beweise mir das Gegenteil.“

Er wusste nicht, wie Margot reagieren würde. Aber genau das war es, was ihn an solchen Situationen reizte. Wie konnte man eine Person besser kennenlernen als in so einer unvorhergesehenen Szene?

Thor blieb vor dem Kamin hocken und beobachtete sie. Das hätte er die ganze Nacht über tun können – Margot beim Denken zusehen.

Und er begann sich zu fragen, wie es wäre, sie zu kennen. Zu wissen, was ihr da gerade durch den Kopf ging. Zu wissen, bei welchen Gedanken sie die Stirn runzelte und welche Art Gedanken ihre schönen, klugen Augen leuchten ließen.

Sie presste die Lippen zusammen, und ihr Gesicht schien widerzuspiegeln, was ihr Körper vielleicht gerade tat – ihren Schoß vor einer unangenehmen Aufgabe verschließen.

Doch dann marschierte sie ruckartig zu seinem Bett. Dort drehte sie sich um und sah ihn erwartungsvoll an, als ob sie auf einen Kommentar wartete.

Thor lächelte nur. Und wartete seinerseits.

Margot ließ ihren Mantel auf den ledernen Stuhl neben dem Bett fallen und warf ihre Tasche daneben. Die Geste hatte beinahe etwas Aggressives, und Thor hätte gelacht, wenn die Situation nicht gar so zerbrechlich gewesen wäre.

Also sagte er nichts. Und wartete.

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, setzte sich Margot auf die Kante seines Betts und begann, die Schnürsenkel ihrer hohen Stiefel zu lösen. Es waren robuste Stiefel mit einer Borte aus Fell am oberen Rand, und es dauerte einen Moment, bis sie die Schnürung so weit gelöst hatte, dass sie die Schuhe abstreifen konnte.

Dann zog sie die Stiefel mit einem Ruck von ihren Füßen und stellte sie mit fast feindseliger Präzision neben den Stuhl.

Noch immer tat er nichts als zusehen. Und sich ein eigenes Bild zu machen.

„Willst du da einfach sitzen bleiben?“, wollte sie wissen.

„Will ich“, entgegnete er. „Ich glaube, meinen Enthusiasmus muss ich nicht mehr beweisen. Immerhin ist es mir zu verdanken, dass wir nicht mehr an der Bar sitzen und höfliche Konversation machen.“

„Du hast doch behauptet, gegenseitiges Einverständnis sei sexy.“

„Entschuldige.“ Er sah sie an. Ruhig. Verlangend. Und es machte ihm Spaß zu sehen, wie diese zarte Röte in ihre Wangen stieg. „Findest du mich denn nicht sexy?“

Sie gab ihm keine Antwort. Zumindest nicht in Worten.

Aber neben dem Zischen und Knacken des Feuers konnte er sehr deutlich hören, wie sie den Atem ausstieß, und das war ihm Antwort genug.

Sie reckte das Kinn, wie um ihre innere Haltung zur Schau zu stellen. Aggression. Nervosität.

Oder, meldete eine kleine Stimme in seinem Kopf, es zeigt, wie wenig sie ihre eigenen Bedürfnisse kennt.

Seine eigenen Bedürfnisse waren sehr viel eindeutiger, und er hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Er wollte in sie eindringen. Er wollte von ihr geritten werden, während dieses unglaubliche lavendelfarbene Haar über ihre Schultern floss und auf ihn herabfiel. Er wollte seine Hände auf ihre Brüste le...

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