Träume im Mondschein

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Auf einem Maskenball trifft Paige die Liebe wie der Blitz: ein verführerischer Fremder tanzt mir ihr im Mondschein und zieht sie ganz in seinen Bann. Er ist der Mann ihrer Träume! Warum nur muss sie ihm ausgerechnet drei Tage vor der Hochzeit mit Alan begegnen? Nach einer schweren Enttäuschung glaubte Paige, ein ruhiges Leben an der Seite ihres guten Freundes sei genau das Richtige für sie. Doch jetzt zweifelt sie mehr und mehr an ihren Plänen. Erst recht, als sich am Tag der Hochzeit herausstellt, wer der aufregende Unbekannte ist: Alans Bruder Quinn!


  • Erscheinungstag 05.10.2008
  • Bandnummer 0023
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493097
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Maskenball war in vollem Gange, als Paige Gardiner ihn zum ersten Mal sah. Er lehnte an der gegenüberliegenden Wand des Ballsaales im Hunt Club und beobachtete aufmerksam die ausgelassen tanzenden Teufel und schwarzen Katzen. Er hatte etwas Gefährliches an sich, eine raubtiergleiche Kraft.

„Paige? Hast du Alan noch nicht entdeckt? Wir können nicht ewig hier stehen bleiben und den ganzen Abend die Tür blockieren.“

Paige blinzelte und sah zu ihrer Mutter. „Entschuldige“, antwortete sie lächelnd. „Ich versuche ja schon, ihn auszumachen. Aber ich erkenne ihn nicht …“

„Wie denn auch? Hier sind ja mindestens ein Dutzend Romeos im Saal.“ Seufzend strich Janet ihrer Tochter eine Locke aus dem Gesicht. „Und auch ein Dutzend Julias. Aber keine ist so schön wie du, mein Schatz.“

„Und kein Romeo ist so attraktiv wie Alan“, ergänzte Paige. „Deshalb werde ich ihn auch bald finden.“

Leider war das gar nicht so einfach. Die Romeos glichen sich aus der Entfernung viel zu sehr. Aber Alan war etwas Besonderes. Er war ihr Verlobter. Der Mann, den sie heiraten würde.

Da war er wieder. Der geheimnisvolle Fremde. Er blickte durch die Glastüren hinaus auf die Gartenanlage des Clubs. Paige wusste, dass er es war, auch wenn er ihr den Rücken zuwandte. Sie erkannte ihn an der eleganten Haltung, an seinen muskulösen Schultern, an seinem stolz erhobenen Kopf.

Plötzlich drehte er sich um, und obwohl sein Gesicht hinter einer kleinen schwarzen Maske verborgen war, spürte Paige, wie er sie ansah. Alles um sie herum schien zu verblassen, der Ballsaal, die Tänzer, die Musik …

„Paige?“ Ihr Vater nahm sie am Arm. „Paige, ist das nicht Alan?“

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, ehe sie ihren Blick von dem Mann lösen konnte. „Wo?“, fragte sie und fuhr zu ihrem Vater herum. Dieser nickte in Richtung einer der Romeos. „Ich bin nicht sicher“, antwortete sie langsam. Sie spürte, wie sie errötete. Jetzt traf sie sich seit knapp einem Jahr mit Alan Fowler, seit drei Wochen war sie mit ihm verlobt. Sie musste ihn doch trotz der Maskerade erkennen können! „Alan?“, fragte sie unsicher. „Bist du das?“ Zu ihrer Erleichterung drehte sich der Romeo um und lächelte.

„Da bist du ja, mein Liebling.“ Er fasste sie bei den Händen und küsste sie auf die Wange. „Du siehst wunderschön aus, Julia.“

„Du auch, mein Romeo“, erwiderte Paige betont fröhlich. „Bilde ich mir das nur ein, oder ruhen alle Augenpaare im Saal auf uns?“

Alan grinste und legte einen Arm um ihre Taille. „Möglich …“, räumte er ein. „Mutters Gäste sind von überall angereist. Tante Dorothy hat noch vor Kurzem nach dir gefragt. Willst du sie kennenlernen?“

„Noch nicht“, platzte es so schnell aus ihr heraus, dass alle Umstehenden lachten.

„Paige macht es so nervös, deine Verwandten kennenzulernen, Alan“, bemerkte Janet und zupfte einen nicht vorhandenen Fussel vom Kleid ihrer Tochter.

„Der Maskenball ist nicht der richtige Rahmen dafür“, rechtfertigte sich Paige eilig.

„Aber Kind, anders geht es doch nicht. Die Hochzeit ist schon in drei Tagen.“

„Meiner Mutter zumindest gefällt es“, schaltete sich Alan lachend ein. „Sie hat ein Dutzend Kostüme ausgeliehen …“ Er brach ab und betrachtete Paige, die leicht zitterte. „Ist dir kalt, Schatz?“, fragte er und zog sie enger an sich. „So ist es sicher besser.“

„Viel besser“, bestätigte sie strahlend und nickte.

Nur noch drei Tage. In drei Tagen würde sie Mrs. Alan Fowler sein. Das alles kam ihr so unwirklich vor. Noch vor einem Monat hatte sie Alans Heiratsanträge so regelmäßig abgelehnt, dass er ihr fast leidtat. Doch dann kam jener Abend, an dem er ihr mit einem Finger die Lippen verschloss, bevor sie ihn wieder abweisen konnte.

„Sag nicht Nein, Paige“, hatte er gebeten. „Sag zur Abwechslung, du würdest bis morgen darüber nachdenken.“

„Ich bin morgen nicht mehr hier“, erwiderte sie. „Schon vergessen? Ich gehe auf meine erste Einkaufsreise und komme erst am Freitag zurück.“

Doch Alan lächelte nur. „Noch besser. Dann kann ich eine ganze Woche lang hoffen. Und du kannst eine Woche lang nach einem Grund suchen, nicht Ja zu sagen.“

Paige hatte sein Lächeln erwidert und zugestimmt. So viel konnte sie ihm zugestehen. Alan war ein charmanter, liebevoller Mann. Was konnte es schon schaden, ihm erst in fünf Tagen einen weiteren Korb zu geben?

Als sie allerdings an jenem Freitag von ihrer Reise zurückkehrte, empfing ihre Mutter sie mit Tränen in den Augen und flüsterte gerührt: „Ich freue mich so, mein Schatz. Aber das hättest du uns doch sagen können!“

Während Paige die Worte ihrer Mutter zu entschlüsseln versuchte, hatte ihr Vater sie auf die Stirn geküsst. Auch er bestätigte, wie froh er sei, dass sie endlich auf ihn hörte und Alan heiratete.

Und Alan? Er gab kleinlaut zu, dass er beiläufig erwähnt hatte, was Paige ihm bei ihrem letzten Treffen versprach. Aber nur gegenüber ihren Eltern und den seinen.

„Ich habe dir gar nichts versprochen!“, unterbrach Paige ihn wütend. „Du hast mich gebeten, mit der Antwort zu warten!“

Alan stimmte zwar zu, bemerkte aber auch, dass er nicht wüsste, weshalb sie überhaupt zögerte. Sie mochten sich, hatten Spaß miteinander, und er konnte ihr ein sicheres Leben bieten.

„Sei nicht böse, Schatz“, murmelte er zerknirscht.

Er sah so niedergeschlagen aus, dass Paiges Zorn verflog. „Ich bin nicht böse. Es ist nur …“ Sanft berührte sie seine Wange. „Ich liebe dich nicht, Alan. Das musst du wissen. Ich liebe dich wie einen Bruder. Verstehst du? Du verdienst mehr, als ich dir geben kann.“

Alan verstand. Dennoch gab er sich nicht so schnell geschlagen. „Ich will dich, Paige. Ich empfinde viel für dich. Und was den Rest betrifft, das findet sich mit der Zeit. Du wirst schon sehen.“

Obwohl sie peinlich berührt war, hielt sie seinem Blick stand. „Alan, was, wenn nicht?“

„Dann würde ich dich immer noch lieben“, beharrte er und grinste jungenhaft. „Aber diese Gefahr besteht nicht. Ich werde dich nicht enttäuschen, das verspreche ich dir.“

„Alan …“ Sie wollte ihm sagen, dass es ihr nicht nur um ihn ging. Doch da zog er sie schon in seine Arme und presste seine Lippen auf ihre. Als sie ihn schließlich von sich stieß, ging die Tür auf, und seine Mutter trat ins Zimmer.

„Paige! Wir freuen uns ja so …“

Und danach, dachte Paige, während Alan sie jetzt auf die Tanzfläche führte, nahm alles seinen Lauf. Alans Vater hatte ihn zum Leiter der südamerikanischen Niederlassung des Familienunternehmens erklärt. So musste die Hochzeit, die für den Juni im folgenden Jahr geplant war, auf November vorverlegt werden. Das wiederum hieß, dass die Verlobungszeit auf drei Tage zusammenschrumpfte.

„Hey“, meldete sich Alan sanft. „Erde an Paige.“

Sie blickte auf und schüttelte leicht den Kopf. „Tut mir leid.

Ich war in Gedanken. Ich kann kaum glauben, dass die Hochzeit schon so bald stattfindet.“

Er lehnte sich ein wenig zurück und lächelte. „Zu spät. Da kommst du nicht mehr raus. Was würde Tante Dorothy nur denken?“

Paige schmunzelte. „Dass ich dumm bin, dich aufzugeben.“

Fröhlich lachte Alan und wirbelte mit ihr über die Tanzfläche. „Dass man sie um die Möglichkeit bringt, auf das Fest des Jahres zu gehen. Tante Dorothy und Mutter haben den halben Morgen die Hochzeitsvorbereitungen besprochen.“

„Nur den halben? Man könnte meinen, unsere Hochzeit verdiene mehr als das.“

„Tut sie auch. Tante Dorothy hat die restliche Zeit damit verbracht, mich an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen.“

Paige kicherte. „Ist sie denn eine Expertin?“

„Irgendwie schon“, räumte Alan grinsend ein. Er zog Paige näher an sich. „Das alte Mädchen war schon drei Mal verheiratet. Und von meinem großen Bruder werde ich mir diesbezüglich noch viel mehr anhören dürfen.“

„War er auch so oft verheiratet?“

Alan schmunzelte. „Quinn? Niemals. Keine Frau wird ihn je einfangen.“

„Na, toll“, zog sie ihn auf. „Welchen Rat kann dir einer wie er dann geben?“

„Seine Rede beginnt üblicherweise so: ‚Junge, du musst verrückt sein.‘ Dann kommt: ‚Ich bin älter und weiser als du.‘ Eben den Unsinn, den ältere Brüder von sich geben.“

„Und wann darf ich diesen Musterknaben kennenlernen?“ Paige neigte den Kopf und lächelte Alan an.

„Sobald er eintrifft. Eigentlich morgen, doch bei Quinn weiß man nie so genau.“

„Schwiegersohn, du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mit meiner Tochter tanze?“

Alan trat beiseite und übergab Paige ihrem Vater.

„Natürlich nicht. Schatz, ich hole uns ein Glas Champagner.

Bin gleich wieder da.“

Andrew Gardiner räusperte sich. „Deine Mutter macht sich Sorgen um dich, Paige. Ich soll fragen, ob alles in Ordnung ist.“

Paige blickte überrascht auf. „Wie meinst du das?“

„Sie findet, du verhältst dich seltsam. Irgendwie abwesend.“ Ihr Vater führte sie zu den Klängen eines Walzers gekonnt über das Parkett. „Ich sagte, du hättest nur kalte Füße.“

„Ja, wahrscheinlich ist es das.“

„Alan ist der Richtige, mein Kind. Er ist ein guter Mann. Ich durfte ihn über die Jahre kennenlernen …“

Wieder setzte ihr Vater zu der Lobeshymne über Alan an, die Paige sich seit Monaten anhören durfte. „Keine Angst“, unterbrach sie ihn schließlich sanft. „Ich heirate diesen Mann, schon vergessen?“

Andrew sah auf sie herab. „Ich möchte doch nur das Beste für uns.“

Paige lachte auf. „Für uns? Ich bin doch diejenige, die heiratet!“

„Das ist doch nur so eine Redensart. Du weißt, was ich meine. Wenn du glücklich bist, sind deine Mutter und ich es auch. Du bist doch glücklich, oder?“

Sie nickte. Natürlich war sie glücklich. Alan war, wie ihr Vater richtig erkannt hatte, ein guter Mann. Und sie liebte ihn. Irgendwie. Wenn ihm das reichte, sollte es auch für sie genug sein. Die sogenannte große Leidenschaft hatte sie erlebt – und als bloße Erfindung enttarnt. Und vielleicht schaffte Alan es mit der Zeit ja doch noch, dass sie Schmetterlinge spürte.

Plötzlich lief Paige ein Schauer über den Rücken. Sie wurde beobachtet! Und sie wusste auch, von wem. Es war dieser fremde Mann. Sie konnte seine Gegenwart und die Kraft, die von ihm ausging, förmlich spüren.

Paige schmiegte sich enger an ihren Vater und ließ den Blick dabei unauffällig durch den Saal schweifen. Der Atem stockte ihr. Ja, da war er. Lässig stand er am Rande der Tanzfläche, die Hände in die Hosentaschen geschoben, den Kopf leicht in den Nacken gelegt. Und er beobachtete sie. Seine Miene war hinter der schwarzen Maske nicht zu erkennen, aber seine Blicke fixierten sie, brannten auf ihrer Haut. Es war, als würde er ihr das seidene Kleid abstreifen wollen.

Paige strauchelte. Ihr Vater verstärkte seinen Griff.

„Ist alles in Ordnung?“

„Ja“, erwiderte sie hastig. Sie wandte den Blick von dem Fremden ab. „Ich bin nur etwas müde.“

„Es war ja auch eine anstrengende Woche.“ Nach einer kleinen Pause fragte Andrew: „Möchtest du dich setzen?“

Wenn du das tust, kommt er her!

Paige erschauerte. „Nein“, wehrte sie ab. „Ich möchte mit dir tanzen. Ich …“ Sie schluckte schwer und befeuchtete sich die Lippen. „Dieser Mann da drüben …“, begann sie zögerlich. „Weißt du, wer das ist?“

„Welcher Mann?“

„Der dort drüben“, wiederholte sie eindringlich und machte ein paar schnelle Tanzschritte, sodass ihr Vater in die von ihr gemeinte Richtung sehen konnte. „Der Große, der neben der Tanzfläche steht.“

„Ich weiß nicht, wen du meinst. Was für ein Kostüm trägt er denn?“

„Er trägt kein Kostüm“, erklärte sie atemlos und warf einen Blick über die Schulter. „Er …“

Er war verschwunden. Ihr Herz hämmerte wild in ihrer Brust.

Andrew schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Sanft umfasste er ihre Schultern. „Was ist los? Fühlst du dich nicht gut?“

Ich weiß nicht, wie ich mich fühle. Aufgeregt. Beschwingt. Entsetzt …

Paige rang nach Atem. „Ich glaube, ich muss mich frisch machen“, murmelte sie und versuchte zu lächeln. Der skeptische Ausdruck im Gesicht ihres Vaters sagte deutlich, dass ihr Lächeln so künstlich wirkte, wie es sich anfühlte. „Ich muss doch für Alans Verwandte makellos aussehen.“

„Ich hole deine Mutter. Sie begleitet dich.“

„Nein“, wehrte Paige schärfer ab als beabsichtigt. „Wir müssen sie nicht beunruhigen.“ Sie holte tief Luft. „Es dauert nicht lange. Falls Alan nach mir sucht, richte ihm aus, dass ich bald zurück bin.“

„Paige …“

Schon hastete sie über die Tanzfläche. Das kommt davon, wenn man zu wenig schläft und zu viel zu tun hat, schalt sie sich und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Ihr war ganz schwindelig. Nach so einem Tag wunderte das allerdings nicht. Sie war bei Tagesanbruch aufgestanden, damit ihre Mutter noch einige Änderungen an Brautkleid und Schleier vornehmen konnte. Dann war sie mit ihren Kolleginnen zu Mittag und später mit ihren Brautjungfern zu Abend essen gegangen …

„Verzeihung.“ Paige zwängte sich an den Ballgästen vorbei. Der Saal war überfüllt, die Musik zu laut, die Luft zu stickig und warm. Alan würde verstehen, wenn sie ihn bat, sie nach Hause zu bringen. Zuerst würde sie selbstverständlich seine Verwandten kennenlernen. In drei Tagen war der Spuk vorbei. Nur noch drei Tage …

Auf der Damentoilette herrschte dichtes Gedränge. Paige atmete schnell tief ein und stellte sich hinter ein Haremsmädchen und eine Piratin.

„… mir einen Heiratsantrag gemacht“, sprudelte es aus dem Haremsmädchen heraus. Sie streckte ihre linke Hand vor. „Schau mal, ist der nicht schön?“

Alle Umstehenden blickten auf den Ring an ihrer Hand und lächelten. Der Diamant an ihrem Finger war kleiner als der von Paige, und doch strahlten ihre Augen um ein Vielfaches mehr. Ob das Herz des Mädchens wild klopfte, wenn ihr Verlobter sie ansah? Raubte es ihr den Atem, wenn sein Blick mit ihrem verschmolz und sie seine Liebe darin las? Paige fühlte bei Alan nichts dergleichen. Noch nie hatte sie so etwas empfunden, nicht einmal während ihrer lange zurückliegenden Affäre. Erst als der Unbekannte sie vor wenigen Minuten unter seiner schwarzen Maske anblickte, hatte sie eine Ahnung von dem Gefühl bekommen, an das sie eigentlich nicht glaubte.

Das Haremsmädchen verstummte, als Paige sich energisch räusperte.

„Verzeihung“, sagte sie und drängte sich zwischen den wartenden Frauen hindurch Richtung Ausgang. Sie ignorierte die hochgezogenen Augenbrauen und die neugierigen Gesichter.

Endlich wieder draußen, lehnte sie sich erschöpft gegen die Tür. Sie dachte an Alan und spürte, wie ihr eine leise Verzweiflung die Kehle zuschnürte.

Die Musik kam ihr dröhnend vor, die Menge noch dichter als zuvor. In der Nähe rauchte ein schwergewichtiger Mann eine Zigarre, deren Rauch Paige ganz zu umhüllen schien. Einen Moment lang dachte sie daran, auf die Straße zu laufen. Sie könnte ein Taxi anhalten und nach Hause fahren …

Aber vor dem Hunt Club gab es nicht einmal eine Straße. Nur einen Parkplatz auf einer Klippe an Connecticuts Küste. Außerdem konnte sie nicht einfach so verschwinden. Alan und ihre Eltern würden besorgt nach ihr suchen. Und was sollte sie ihnen sagen? Dass ihr zum Weinen zumute war, weil ein Haremsmädchen so glücklich über seine Verlobung gesprochen hatte? Oder dass ein wildfremder Mann Gefühle in ihr weckte, die sie bei Alan nicht spürte? Dass sie das so sehr erschütterte, dass sie davonlaufen musste?

Der Saal begann sich zu drehen. „Oh nein“, flüsterte sie, als ihr mit einem Mal schwarz vor Augen wurde. Im nächsten Moment spürte sie, wie sich ein Arm um ihre Taille legte. Ein ledriger Duft stieg ihr in die Nase, sie bemerkte einen rauen Stoff an ihrer Wange und darunter eine muskulöse, männliche Brust.

„Das wird schon wieder“, hörte sie eine dunkle Stimme sagen. „Lehnen Sie sich einfach an mich.“

„Es geht mir gut“, brachte sie zittrig hervor.

Dennoch stützte sie sich dankbar gegen ihren Retter. Er hielt sie fest in seinen Armen, eine Hand hatte er auf die sanfte Kurve ihrer Hüfte gelegt.

„Sie fallen mir noch in Ohnmacht, wenn Sie keine frische Luft bekommen“, stellte der Mann fest. „Atmen Sie tief durch.“

Paige folgte den Anweisungen. Sie war noch nie ohnmächtig geworden, aber jetzt fühlte sie so etwas wie Panik in sich aufsteigen. Bereitwillig ließ sie sich durch die Menge in Richtung Terrasse führen.

Eine kalte Windböe wehte ihr ins Gesicht und verschaffte ihr augenblicklich einen klaren Kopf. Was tat sie hier eigentlich? Sie würde dem Mann für die Hilfe danken und ihn dann bitten, ihren Verlobten zu suchen.

Und doch würde sie nichts dergleichen tun. Sie wusste, dass der Mann neben ihr der Fremde war, der sie den ganzen Abend beobachtet hatte. Ihr heftig klopfendes Herz bestätigte nur, was sich ohnehin nicht leugnen ließ.

Ja, sie hatte diesen Augenblick herbeigesehnt. Sie hatte gehofft, dass er kommen möge. Jetzt war er da, und sie war sicher, dass ihr Leben sich von Grund auf ändern würde.

2. KAPITEL

Paige fröstelte. Die gläsernen Türen schlossen sich leise, sodass die Musik aus dem Ballsaal nur noch schwach zu ihnen herausdrang. Der Schein des Vollmondes erhellte die Terrasse, doch als Paige jetzt ihren Blick hob, um in das Gesicht des Fremden zu sehen, schoben sich eilig ein paar Wolken vor die sanfte Lichtquelle.

Alle Instinkte rieten ihr, sich aus der Umarmung dieses Mannes zu befreien und in den hell erleuchteten, sicheren Tanzsaal zurückzukehren. Das ist Wahnsinn, dachte sie. Ich muss ihm sagen, dass ich nun gehen werde.

Aber der Fremde kam ihr zuvor. „Atmen Sie tief ein.“

Paige schüttelte den Kopf. „Mir geht es wieder gut. Ich …“

Sie fühlte den Druck seiner Hand.

„Tun Sie es“, forderte er sie erneut auf. „Einatmen.“

Das war ein Befehl, kein Vorschlag. Nickend folgte sie seiner Aufforderung und sog die frische kühle Luft in ihre Lungen.

„Besser?“

Wieder nickte sie. „Ja. Viel besser. Danke für Ihre …“

„Nicht reden“, unterbrach er sie. „Atmen Sie noch einmal tief ein“

Während sie gehorchte, versuchte sie sich zu beruhigen. Er hatte sicher bemerkt, dass ihr die stickige Luft im Saal zusetzte, und wollte ihr einfach nur helfen. Mehr war da nicht. Alles andere war ein Produkt ihrer lebhaften Fantasie.

„Mir geht es gut“, wiederholte sie. „Verzeihen Sie all die Unannehmlichkeiten.“

„Ich bitte Sie!“ Er legte seine Hände auf ihre Schultern und drehte Paige zu sich. „Man könnte sogar sagen, Sie hätten mir einen Gefallen getan.“

„Ach ja?“ Hörte sie da eine Spur von Belustigung in seiner Stimme? Wenn sie in der Dunkelheit doch nur sein Gesicht erkennen könnte …

Er lachte leise. „Ich wollte immer schon eine Jungfrau in Nöten retten, Julia.“ Sanft streichelte er ihre Wange. „Das ist doch Ihr Name für heute, nicht wahr?“

„Ich … Ja“, bestätigte sie schnell. „Aber nun muss ich wieder hinein. Mein Verlobter …“

Er griff nach ihrer linken Hand und tastete nach dem Diamantring. „Dann funkelt doch etwas an Ihrem Finger. Sagen Sie, Julia, wo ist Ihr Verlobter?“

„Im Ballsaal. Er …“ Sie brach ab. „Was tun Sie denn da?“, fragte sie stattdessen. Er hatte seine Smoking-Jacke ausgezogen und legte sie ihr um die Schultern.

„Ihnen ist kalt“, erklärte er. „Ihre Hände sind Eiszapfen.“

„Mir ist nicht kalt. Es geht mir gut. Ich …“

„Widersprechen Sie mir nicht“, erwiderte er und zog die Jackenaufschläge zusammen.

Niemand widersprach diesem Mann, erkannte Paige plötzlich. Das wagte niemand. Im nächsten Augenblick spürte sie, wie er mit seinen Fingerspitzen über die empfindliche Haut an ihrem Hals zu streicheln begann. Ob er das schnelle Pochen ihres Blutes spürte? Der Gedanke ließ sie erschauern.

„Vielleicht ist mir doch etwas kalt“, räumte sie ein und lachte gezwungen. „Es ist kalt hier draußen. Wahrscheinlich ist es das Meer. Und jetzt im Herbst …“

Verdammt! Sie plapperte wie ein nervöses Schulmädchen. Aber so fühlte sie sich auch. Wie ein Teenager auf seinem ersten Ball, allein mit dem tollsten Jungen der Schule. Hier in der Dunkelheit aber stand ein Mann vor ihr, kein Junge.

Ein Mann, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte. Was machst du hier nur, Paige?

„Gehen wir ein paar Schritte“, forderte er sie auf und nahm sie wieder bei der Hand.

„Ich kann nicht“, flüsterte sie, doch er führte sie bereits den Pfad entlang, der sich durch den weitläufigen Garten schlängelte. „Bitte …“

„Nur ein paar Minuten.“

Alles wirkte wie ein Traum, die einzige Verbindung zur Realität war die leise Musik, die aus dem Ballsaal drang. Der Mann war größer, als Paige aus der Entfernung gedacht hatte. Selbst in ihren hochhackigen Sandaletten reichte sie ihm nur bis zur Schulter. Sie spürte die Hitze seines Körpers, so nah hatte er sie an sich gezogen. Und sie roch sein Parfum … oder war es sein eigener betörender Duft?

Einen Moment lang schloss Paige die Augen und nahm all diese Eindrücke in sich auf. Erst als eine innere Stimme sie fragte, was sie hier eigentlich tat, kam sie wieder zu sich. Sie lief in der Dunkelheit neben einem Mann her, den sie nicht kannte! Und nicht eine Sekunde dachte sie dabei an Alan …

Der Fremde drückte ihre Hand. „Haben Sie keine Angst“, beruhigte er sie leise.

Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande. „Das habe ich nicht. Ich …“

„Sie haben Angst. Ich fühle, wie Ihr Puls rast.“ Er blieb stehen und wandte sich ihr zu. „Ihr Herz klopft so schnell wie das eines verängstigten Häschens“, raunte er und streichelte die Innenseiten ihres Handgelenkes.

Schnell rückte Paige einen Schritt von ihm ab. „Ich muss zurück“, flüsterte sie. „Danke für Ihr Jackett. Lassen Sie mich …“

Er hielt sie sanft am Arm fest. „Geh nicht“, bat er mit heiserer Stimme.

Ihr Mund fühlte sich trocken an. „Ich muss“, erwiderte sie. „Mein Verlobter …“

Ungeduldig schüttelte er den Kopf. „Zum Teufel mit deinem Verlobten! Bleib hier, bei mir.“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und hob es sanft an, sodass sie ihn anblicken musste. An seinem Finger glänzte ein alter, mit einem Rubin besetzter Ring. Der blutrote Stein fing das helle Mondlicht ein und verwandelte es in ein strahlendes Feuer.

Paige spürte seinen warmen Atem an ihrem Gesicht. Seine Züge mochten im Dunkel verborgen sein, doch für sie waren sie sehr klar. Sie hatte das Gefühl, diesen Mann schon ewig zu kennen. Langsam neigte er den Kopf, und sie schloss die Augen, um seinen Kuss abzuwarten …

Da hörte sie plötzlich ein Geräusch in der Dunkelheit. Was es war, wusste sie nicht. Aber es war genug, um sie schlagartig zur Vernunft zu bringen.

„Ich muss zurück“, drängte sie und löste sich eilig aus seiner Umarmung. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Mir ist schleierhaft, was dort drinnen mit mir los war …“

Ihre forschen Worte erstarben, als er einen Schritt auf sie zu kam. „Du weißt, was passiert ist.“

In seiner Stimme lag ein Unterton, der sie zwar erregte, ihr aber auch Angst machte. Sie wusste, dass er nicht auf ihren plötzlichen Schwindel anspielte. Aber darüber wollte sie nicht reden. Nicht jetzt. Und sicherlich nicht mit ihm.

„Sie haben recht“, gab sie zu. „Mir war übel. Im Ballsaal war es so warm und stickig …“

Als er seine Hände auf ihre Schultern legte und sie festhielt, schnappte Paige erschrocken nach Luft.

„Lüg mich nicht an, Julia.“

„Ich lüge nicht.“

„Ich habe dich den ganzen Abend lang beobachtet.“

Ihre Haut prickelte unter seiner Berührung. „Was meinen Sie?“

Leise lachte er auf. „Du willst spielen? Du weißt, dass ich dich beobachtet habe.“

Vor Verlegenheit schoss ihr das Blut in die Wangen. Gott sei Dank ist es dunkel, dachte sie.

„Das stimmt nicht“, widersprach sie. „Ich …“

Er umklammerte sie noch ein wenig fester. „Und du hast mich auch beobachtet“, stellte er ungerührt fest und zog Paige an sich.

„Das habe ich nicht. Ich bemerkte Sie erst, als Sie mir Ihre Hilfe anboten.“

„Wen hast du gesucht, als du in den Ballsaal gekommen bist, Julia?“ Im Dunkeln blitzten seine Zähne auf. „Deinen Verlobten?“

„Ja, meinen Verlobten“, bestätigte sie. Sie betonte das Wort, als könne es sie vor dem Kommenden retten. „Und wahrscheinlich sucht er mich auch. Er …“

„Er hätte eigentlich den ganzen Abend an deiner Seite sein müssen.“ Langsam begann er, ihre Schultern zu streicheln. „Ich hätte es getan, wenn du mir gehören würdest.“

„Ich gehöre niemandem“, fuhr sie auf. „Er hat auf mich gewartet. Ich habe ihn nur nicht sofort entdeckt.“

Das schien den Fremden zu amüsieren. „Aber mich hast du entdeckt.“ Er setzte seine Erkundungsreise fort und streichelte über ihre Wangen. „Doch dann bist du plötzlich in der Menge verschwunden, und ich verlor dich aus den Augen. Hat dein Romeo dich da gefunden?“

Paiges Lippen fühlten sich trocken an. Sie befeuchtete sie mit ihrer Zungenspitze.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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