Traumhochzeit mit dem Milliardär (4-teilige Serie)

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SAG EINFACH JA! von KIM LAWRENCE
Luca di Rossi hat alles, wovon Frauen träumen: Er ist reich, charmant und umwerfend sexy! Nur ist auch stadtbekannt, dass er ein notorischer Playboy ist. Finger weg, warnt eine innere Stimme Judith! Doch die verstummt gefährlich, als Luca sie zum ersten Mal küsst …

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  • Erscheinungstag 05.10.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751528030
  • Seitenanzahl 459
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Sag einfach Ja! erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© by Kim Lawrence
Originaltitel: „The Italian Playboy‘s Proposition“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 1618 - 2004 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Bettina Röhricht

Umschlagsmotive: LiliGraphie, Lorand Gelner / iStock

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733773984

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Tom Trent blickte dann und wann in seine Aufzeichnungen, während er ausführlich berichtete. Sein Mandant hatte ihn aus dem Urlaub auf Cape Cod eingeflogen und erwartete von ihm, dass er kein Blatt vor den Mund nahm. Also verschwieg und beschönigte er nichts.

Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs hatte die Ellenbogen aufgestützt und die langen, sonnengebräunten Finger verschränkt. Schweigend hörte er zu. Er, Tom, war noch nie einem Menschen begegnet, der über einen so scharfen Verstand verfügte. Er konnte nur raten, was in dem Mann vorging. Seine aristokratischen Gesichtszüge gaben keinerlei Aufschluss darüber.

„So sieht es aus“, sagte Tom abschließend und lehnte sich zurück.

Luca, sein Gegenüber, stand auf, ohne zu antworten. Er war über einen Meter neunzig groß und muskulös, aber schlank – eine beeindruckende Erscheinung. Eine Weile ließ er den Blick auf ihm ruhen, dann seufzte er und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Tom betrachtete ihn. Unwillkürlich musste er an einen Panther denken, der mit geschmeidigen Bewegungen an den Gitterstäben seines Käfigs entlanglief.

Luca blieb stehen. Er legte die Hände auf die glänzende Oberfläche seines großen Schreibtischs und beugte sich zu ihm herüber. Dabei zog er die dichten Brauen über den dunklen Augen hoch, die seine, Toms, Frau Alice so erotisch fand. Tom betrachtete die markanten, wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge. Wieder einmal stellte er fest, dass es alles andere als angenehm war, von einem di Rossi durchdringend angeblickt zu werden.

„Mit anderen Worten, ein Rechtsstreit um das Sorgerecht lässt sich nur vermeiden, wenn ich eine Ehefrau finde, die möglichst schon ein eigenes Kind hat?“

Tom nickte langsam. Es war typisch für Luca, dass er den Inhalt einer komplizierten juristischen Erläuterung in einem einzigen Satz zusammenfasste. Gianluca di Rossi war dafür bekannt, dass er nicht unnötig viele Worte verlor. Und auch seine Handlungen waren immer zielgerichtet. Mit Small Talk hielt er sich nicht auf.

Während andere Menschen endlose Meetings abhielten, handelte Luca und traf Entscheidungen. Er war nicht der Meinung, dass seine Handlungen von anderen gutgeheißen werden mussten. Manche bezeichneten ihn als rücksichtslos, andere als kreativ und energisch. Beides interessierte ihn nicht sonderlich. Und da er praktisch aus dem Nichts ein unglaublich erfolgreiches Unternehmen aufgebaut hatte, war sein unerschütterliches Selbstbewusstsein gerechtfertigt.

„So habe ich es bisher nicht betrachtet“, erwiderte Tom. „Aber natürlich würde eine ‚Fertigfamilie‘ der gegnerischen Partei die Grundlage für jegliche Argumente nehmen. Am besten wären natürlich mehrere Kinder.“

Seine scherzhaft gemeinte Bemerkung blieb ohne Wirkung. Lucas Miene war undurchdringlich. Plötzlich kam Tom sich sehr unsensibel vor. Ich würde auch nicht über einen dummen Scherz lachen, wenn jemand versuchte, mir mein Kind wegzunehmen, dachte er schuldbewusst.

„Eine ‚Fertigfamilie‘“, wiederholte Luca langsam.

„Ich weiß, ich erzähle dir wirklich nichts Neues“, sagte Tom entschuldigend.

„Manchmal muss jemand eben auf das hinweisen, was offensichtlich ist“. Luca setzte sich auf den lederbezogenen Stuhl. Er schob die Kopfstütze leicht zurück und betrachtete den wunderschönen Stuck an der hohen Zimmerdecke. Di Rossi International hatte seine Londoner Filiale vor Kurzem von einem engen, modernen Bürohaus in ein georgianisches Gebäude verlegt. Man hatte es mit viel Liebe zum Detail restauriert und dabei keine Kosten gescheut.

Luca senkte den Blick, sodass man den Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen konnte. Seine Miene war noch immer undurchdringlich. Er wirkte gelassen. Doch Tom hatte im Lauf der Jahre gelernt, dass der äußere Eindruck bei Luca täuschen konnte.

„Di Rossi kann sehr gefährlich werden, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt“, hatte ein scharfsinniger Wirtschaftsanalyst einmal geschrieben. Das traf vor allem auf sein Privatleben zu, das Luca vehement abschirmte. Und in diesem Fall ging es um etwas sehr Persönliches.

„Du könntest natürlich auch eine Kontaktanzeige aufgeben.“ Tom verzog das Gesicht. „Also gut, das war auch nicht besonders witzig. Aber keine Angst, ich rate dir ja nicht im Ernst zu heiraten. Die gegnerische Partei hat ohnehin nicht die geringste Chance, den Rechtsstreit zu gewinnen.“

„Aber sie werden alles tun, um meinen Namen in den Schmutz zu ziehen.“

„Es wird sich nur vorübergehend negativ auf dein Unternehmen auswirken“, stellte Tom fest. „Und das sage ich nicht, um dich zu beruhigen. Di Rossi International hat eine viel zu stabile Marktposition, um durch ein Gerichtsverfahren dauerhaft geschädigt zu werden.“

Luca zog die Augenbrauen hoch. „Es ehrt dich, dass du dir um meine finanziellen Interessen Gedanken machst, Tom“, erklärte er kühl. „Meine größte Sorge ist allerdings, dass es für Valentina eine traumatische Erfahrung werden könnte.“

Tom zuckte innerlich zusammen. „Du meine Güte, natürlich! Wo war ich nur mit meinen Gedanken? Es tut mir leid, Luca.“

Luca blickte ihn an. „Warum?“

Überrascht fragte Tom: „Was meinst du damit?“

„Warum rätst du mir, nicht zu heiraten?“

„Abgesehen von den unzähligen Gründen, die jedem sofort einfallen würden, ist es …“

„Deiner Meinung nach absolut notwendig“, führte Luca seinen Satz fort, „wenn ich verhindern will, dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Und du weißt, dass ich alles tun würde, um es Valentina zu ersparen und sie vor diesen Aasgeiern zu schützen.“

Tom sah ihn an. Ihm wurde klar, dass es Luca ernst war. Jeden Tag sagten Menschen unzählige Dinge, die sie nicht so meinten. Doch bei Luca war das anders.

Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen. Dann sagte Tom: „Für sie muss es so aussehen, als hättest du Valentina nach England geholt, um sie aus ihrer Reichweite zu bringen.“

Luca strich sich über das glatt rasierte Kinn und lächelte. „Das habe ich ja auch.“

„Du hast ihnen verboten, Valentina zu sehen, ohne dass du dabei bist.“ Tom zuckte die Schultern. „Da musste dir doch klar sein, dass sie reagieren würden. Natalia Corradi hasst dich, Luca. Und Valentina ist nun einmal ihre Enkelin.”

„Und meine Tochter“, erwiderte Luca heftig. Seine Augen funkelten.

Tom zuckte ein wenig zurück. Beschwichtigend hob er die Hände.

Luca entspannte sich. „Habe ich dir erzählt, was Natalia zu Valentina gesagt hat?“, fragte er betont ruhig.

„Nein.“

„Ihre liebevolle Großmutter fand es furchtbar schade, dass Valentina nicht so schön und begabt ist wie ihre Mutter. Außerdem hat sie Valentina gesagt, ihre Mutter würde noch leben, wenn sie nicht geboren worden wäre.“ Luca atmete tief ein. „ Dio , Tom, was hätte ich denn tun sollen?“

Tom war so erschüttert, dass es ihm die Sprache verschlug.

„Wer weiß, wie lange sie Valentina schon solche Boshaftigkeiten erzählt? Ich werde nicht zulassen, dass meiner Tochter etwas passiert – dass sich die Vergangenheit wiederholt“, fuhr Luca fort, als würde er mit sich selbst sprechen. „Diese Frau hat keinerlei Gefühle für meine Tochter. Natalia will Valentina nur benutzen, um mich zu bestrafen.“

Wieder stand er auf. Seine Haltung und seine Miene drückten Entschlossenheit aus. „Seit Jahren muss ich mich mit ihrer Bösartigkeit auseinandersetzen.“ Er zuckte die Schultern. „Es macht mir nichts aus. Aber dieses Mal ist sie zu weit gegangen. Valentinas Wohlergehen ist das Allerwichtigste für mich.“

„Sie werden behaupten, es wäre in Valentinas Interesse, in einer liebevollen Familie aufzuwachsen“, stellte sein Freund fest. „Sie werden versuchen, dich darzustellen, als wärst du …“

„Ein Workaholic und Frauenheld, ich weiß.“ Luca lächelte spöttisch. „Das hat sicher mit Erica zu tun, stimmt’s?“

Tom nickte bedauernd.

„Und wenn ich die Zeitung wegen Verleumdung verklagt hätte, wie du mir damals geraten hast?“

„Du hattest ja das Tonband, auf dem Erica zugibt, dass es kein blauer Fleck, sondern nur Make-up war. Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass du ihre Lügengeschichte hättest öffentlich machen sollen. Andererseits bin ich natürlich nicht so ein Gentleman wie du“, gab Tom zu. „Mach dir deswegen keine Vorwürfe, Luca. Im Nachhinein ist man immer klüger. Aber wenn du eine ehrliche Antwort möchtest: Ja, man wird es gegen dich auslegen, dass du dich damals nicht gegen die Anschuldigungen gewehrt hast.“

„Es gab doch gar keine Anschuldigungen, wie du dich sicher erinnerst. Das wunderschöne ‚Opfer‘ hat ja bestritten, dass ich jemals Hand an sie gelegt hätte …“

„Wir sollten uns lieber den Dingen zuwenden, an denen noch etwas zu ändern ist“, schlug Tom vor. „Der größte Stolperstein wird die Tatsache sein, dass Valentina bei zwei Männern aufwächst. Es gibt keine weiblichen Bezugspersonen, außer deinen …“ Er verstummte verlegen.

„Meinen Frauen ?“ Luca lächelte ironisch.

Tom seufzte. „Du wirst dein Privatleben nicht geheim halten können, wenn es wirklich zu einer Gerichtsverhandlung kommen sollte, Luca. Du musst damit rechnen, dass dein Liebesleben bis ins Detail ausgebreitet wird.“

„Ich lebe nicht wie im Kloster“, erwiderte Luca ruhig. „Andererseits ist mein Privatleben auch bei Weitem nicht so interessant, wie die Presse es glauben machen möchte.“

Tom lachte. „Wenn ich dir schon nicht glaube, wie willst du dann das Gericht überzeugen? Und hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was für einen Eindruck Carlo auf den Richter machen wird? Ich weiß ja, was er für ein großartiger Mensch ist. Aber er entspricht sicher nicht der landläufigen Vorstellung vom idealen Kindermädchen. Und dann ist da natürlich noch die Tatsache, dass er vorbestraft ist.“

„Carlo bleibt.“ Sein Tonfall machte deutlich, dass Luca nicht bereit war, darüber zu verhandeln. Tom versuchte es auch nicht, denn er wusste, wie unerschütterlich Luca zu seinem Freund hielt.

„Aber ich könnte …“ Die Sprechanlage auf dem Schreibtisch summte. Luca runzelte die Stirn, dann drückte er auf den Knopf. Seine Stimme klang kühl und ungeduldig. „Ich hatte doch gesagt, dass ich nicht …“ Er verstummte und seufzte. „Also gut. Sagen Sie ihm, dass ich in fünf Minuten zurückrufe.“ Dann wandte er sich wieder ihm zu. „Entschuldige bitte, Tom. Es geht um Marco. Er hat ein Problem.“

Und wenn Marco ein Problem hatte, wandte er sich immer an seinen Halbbruder. Tom machte aus seiner Missbilligung keinen Hehl. Er konnte Luca, der sich so selbstlos um seinen charmanten, aber leichtsinnigen und verantwortungslosen Halbbruder kümmerte, beim besten Willen nicht verstehen. Sonst war Luca nicht gerade für seine übermäßige Geduld bekannt.

Luca bemerkte seinen Gesichtsausdruck. „Du magst Marco nicht, stimmt’s?“

„Wer würde schon einen Halbbruder sympathisch finden, der auf eine so unfaire Art und Weise bevorzugt wurde?“

Ein nachdenklicher Ausdruck trat in Lucas dunkle Augen. „Für einen Menschen mit normalen Schwächen und Fehlern ist es nicht einfach, den Erwartungen seiner Eltern gerecht zu werden, wenn diese ihn für unfehlbar und hochbegabt halten.“

„Fehler und Schwächen hat Marco wirklich genug“, stellte Tom ironisch fest. „Aber ehrlich gesagt hast du es noch viel schwerer. All das, was du erreicht hast, wird von deiner Familie nicht nur verkannt – sie machen es dir praktisch zum Vorwurf.“ Er konnte seine Empörung über diese Ungerechtigkeit nicht verbergen.

„Ich lege keinen Wert auf die Anerkennung anderer Menschen“, erwiderte Luca. „Ich werde dich anrufen“, fügte er hinzu, als Tom aufstand, um zu gehen.

„Sind die Renovierungsarbeiten in deinem Haus inzwischen beendet?“, fragte Tom.

„Ja. Ich werde aber noch einige Tage bei Marco wohnen bleiben“, sagte Luca. „Übrigens tut es mir wirklich leid, dass du deinen Urlaub auf Cape Cod unterbrechen musstest.“

„Schon vergessen. Ob Alice dir auch verzeiht, kann ich allerdings nicht garantieren.“ Tom lächelte. „Kann ich sonst noch irgendetwas für dich tun?“

„Du könntest mir eine Liste mit Frauen aufstellen, die als Ehefrauen infrage kämen.“

Tom blieb auf dem Weg zur Tür stehen. „Jetzt kenne ich dich schon zehn Jahre, Luca. Und noch immer weiß ich nicht, wann du einen Scherz machst.“

„Ich habe noch nie etwas so ernst gemeint, Thomas.“

„Mum, du musst mir einfach helfen!“

„Erwartest du etwa, dass ich alles liegen und stehen lasse?“, fragte Lyn Wilson vorwurfsvoll.

Es hatte noch nie etwas genützt, an ihren Mutterinstinkt zu appellieren. „Einmal ist immer das erste Mal“, sagte Judith leise und ein wenig bitter.

„Wie bitte?“

„Nichts.“ Judith atmete tief ein und versuchte ihren Stolz hinunterzuschlucken. Wenn ihr keine andere Wahl blieb, als ihre Mutter anzuflehen, dann würde sie es eben tun. „Mum, ich würde dich wirklich nicht bitten, wenn es kein Notfall wäre.“

„Bei einem wirklichen Notfall wäre ich natürlich für dich da“, erwiderte Lyn gelassen. „Aber findest du nicht, du übertreibst ein wenig, Judith? Es sind doch nur drei kleine Kinder … Wie viel Arbeit können sie schon machen?“

Nur drei kleine Kinder ?“, wiederholte Judith. Fassungslos sah sie sich in dem großen Wohnzimmer um, das noch vor einiger Zeit ein Paradebeispiel für geschmackvollen Minimalismus gewesen war. Ihr Unvermögen wurde ihr erneut schmerzlich bewusst. „Wie soll ich es dir nur erklären … Du meine Güte, Mum, es liegt nicht an ihnen, sondern an mir!“

Eigentlich wusste sie, dass sie ihre Zeit verschwendete. Schließlich hatten ihre Mutterpflichten für Lyn ausschließlich darin bestanden, ihrer Tochter im Teenageralter ein Auto und eine Kreditkarte zur Verfügung zu stellen.

Judith musste an ihre Kindheit denken. Sie und ihr Bruder David hatten unzählige Kindermädchen gehabt. Als Kinder wurden sie ihren Eltern immer nur dann präsentiert, wenn sie herausgeputzt waren und sich gut benahmen. Sobald sie alt genug waren, schickten ihre Eltern sie ins Internat. Vermutlich hatten David und sie deshalb ein so enges Verhältnis zueinander entwickelt.

„Die Kleinen brauchen jemanden, der sich mit Kindern auskennt“, sagte Judith verzweifelt. „Einen Moment, Mum.“ Sie ließ den Hörer fallen. Die fünfjährige Sophia wollte ihrer schlafenden Schwester gerade Haarspülung über den Kopf gießen. „Nein, Sophia, das gehört Tante Judith.“ Doch ihr strenger Tonfall schien keinerlei Wirkung zu haben.

„Aber ich will …“

„Bitte sei leise“, bat Judith. „Du weckst Amy sonst auf.“ Sie warf einen besorgten Blick auf das Baby, das sich im Schlaf unruhig bewegte.

Schließlich gab Sophia die Flasche im Austausch gegen einen Schokoladenkeks ab. Auch wenn sie keine Psychologin gewesen wäre, hätte Judith gewusst, dass Bestechung kein geeignetes Mittel bei der Kindererziehung war. Aber in diesem Moment war es ihr gleichgültig.

Als Zahnarzt wäre David entsetzt gewesen, dass sie sich über sein striktes Süßigkeitenverbot hinwegsetzte. Beim Gedanken an ihren Bruder wurde Judith von Traurigkeit und Verzweiflung erfüllt. David konnte nicht mehr auf die Zähne seiner Kinder aufpassen, ebenso wenig wie seine Frau Samantha, genannt Sam. Sie waren im Vormonat bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Judith war klinische Psychologin und hatte sich ausführlich mit den einzelnen Phasen des Trauerns beschäftigt. Doch sie war nicht sicher, ob es ihr half. Bisher hatte sie keine Zeit zum Trauern gehabt, denn sie musste sich um drei kleine Kinder kümmern, die viel Liebe und Verständnis brauchten. Sie bemühte sich, nicht weiter als einen Tag nach vorn zu blicken. Sonst wäre ihr die Last dieser verantwortungsvollen Aufgabe, der sie sich nicht gewachsen fühlte, schmerzlich bewusst geworden.

Ihre Rolle als Tante hatte ihr immer gut gefallen. Sie hatte die drei Kinder verwöhnen und nach einem anstrengenden Tag ihren Eltern übergeben können. Aber sie hatte bereits gelernt, dass es etwas völlig anderes war, die ganze Verantwortung für die drei zu tragen. Nach diesem furchtbaren Schicksalsschlag wollte sie den Kleinen Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Es fiel ihr allerdings schwer, denn sie hatte Angst. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich einer Aufgabe nicht gewachsen. Sie hatte das Gefühl zu versagen. In ihrem Beruf oder bei einer Prüfung wäre es nicht weiter schlimm gewesen. Doch hier ging es um das Leben dreier Kinder.

Mehrfach hatte sie sich schon gefragt, ob Kinder es wie viele Tiere instinktiv spürten, wenn jemand Angst hatte. Kaum waren die drei Kleinen bei ihr angekommen, schienen sie schon beschlossen zu haben, nicht auf sie zu hören. Sieh es endlich ein, du eignest dich einfach nicht als Mutter, dachte Judith resigniert. Für sie als Autorin des Buches „Kindererziehung für Einsteiger“ war das ausgesprochen peinlich.

„Lass das bitte, Darling“, sagte sie wenig überzeugend, als Sophia sich die schokoladenverschmierten Finger am Bezug des neuen cremefarbenen Sofas abwischte. Sie nahm den Telefonhörer wieder zur Hand.

„Was können sie denn schon Schlimmes anstellen?“, fragte ihre Mutter gerade. „Die Zwillinge sind doch erst drei Jahre alt und …“

„Sie sind fünf, Mum“, erwiderte Judith müde. „Und Amy ist anderthalb. Außerdem geht es gar nicht darum, dass sie etwas angestellt haben.“ Wie sollte sie ihrer Mutter nur begreiflich machen, dass nicht die verschmierten Tapeten oder das zerbrochene Geschirr das Problem waren? Sie dachte kaum jemals an die Zeit, als sie abends nach Hause gekommen war und sich auf den Feierabend gefreut hatte. „Amy weint oft und will zu ihrer Mum, und Sophia hat Albträume. Und Joseph …“

„Sie haben ja auch vor Kurzem ihre Eltern verloren“, gab ihre Mutter zu bedenken.

„Ich weiß … aber das ist nicht alles. Es ist nicht einfach, mit drei kleinen Kindern in einer Zweizimmerwohnung zu leben, Mum. Sie bräuchten ein Zuhause mit Garten“, fügte sie in der Hoffnung hinzu, dass ihre Mutter darauf einging.

Ihre Mutter war nach der Scheidung in dem verwinkelten alten Haus wohnen geblieben, in dem die Familie gemeinsam gelebt hatte. Es lag am Rand eines malerischen kleinen Dorfes inmitten eines Gartens, der fast einen Hektar groß und geradezu ideal für Kinder war.

„Fünf ist so ein wunderbares Alter“, erwiderte Lyn Wilson wehmütig. „Es wäre wirklich wunderschön, wenn ihr alle zu mir kommen könntet …“

„Du weißt ja gar nicht, wie froh ich …“, begann Judith.

„Aber leider habe ich diese Woche einen wichtigen Geschäftstermin in New York, und nächste Woche bekomme ich Besuch“, fuhr ihre Mutter fort und fügte dann traurig hinzu: „David war mit fünf Jahren so ein niedliches Kind – aufgeweckt, neugierig und unschuldig.“ Sie brach in Tränen aus. „Wie kannst du nur Hilfe von mir erwarten, wenn ich so leide?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Ich habe doch nur meine Arbeit, um mich abzulenken!“ Sie seufzte. „Die beiden waren so ein entzückendes Paar und hatten ihr ganzes Leben noch vor sich. Warum musste es ausgerechnet sie treffen?“

Judith brachte kein Wort heraus. Auch sie war bei dem Gedanken an David und seine Frau den Tränen nahe. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. „Ich schaffe das einfach nicht, Mum“, flüsterte Judith nach einer Weile. „Ich habe das Gefühl, alles falsch zu machen.“

„Offensichtlich war David der Meinung, dass du dich gut um seine Kinder kümmern könntest“, erwiderte Lyn Wilson ungerührt. „Sonst hätte er dich sicher nicht als Vormund eingesetzt.“

„Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass es dazu kommen würde“, sagte Judith traurig.

„Aber so ist es nun einmal. Und dir wird nichts anderes übrig bleiben, als dich damit abzufinden. Sicher wird alles viel einfacher werden, wenn du ein geeigneteres Zuhause für dich und die Kinder gefunden hast“, meinte ihre Mutter. „Zum Beispiel ein nettes Häuschen in einem Dorf.“ Sie schien sich das idyllische Landleben bereits lebhaft auszumalen.

„Ich muss leider dort wohnen, wo meine Arbeit ist“, erwiderte Judith. Sie gab Vorlesungen an einer Universität. Zum Glück waren ihre Vorgesetzten sehr verständnisvoll und kamen ihr entgegen, was die Arbeitszeiten anging, sodass sie eine Sorge weniger hatte.

„Dann geht es hier also nur um deine Karriere, Judith? Ich muss sagen, ich bin ein bisschen enttäuscht von dir, wenn auch nicht überrascht.“ Lyn seufzte. „Du warst schon immer ein wenig egoistisch. Ich finde es ja nicht falsch, wenn Frauen gern Karriere machen möchten. Aber unter den gegebenen Umständen hätte ich erwartet, dass du bereit bist, zumindest ein kleines Opfer zu bringen.“

Einen Moment lang war Judith sprachlos. Ausgerechnet ihre Mutter musste so reden! Dabei hatte Lyn Wilson wegen ihrer Karriere nicht ein einziges Mal die Zeit gehabt, zu einem Elternabend oder Schulfest zu erscheinen.

„Nein, hier geht es nicht um meine Karriere, Mum“, sagte sie schließlich, „obwohl ich natürlich arbeiten und meinen Lebensunterhalt verdienen muss. Meine Arbeit macht mir Spaß, und ich bin sehr gut darin. Dagegen bin ich wirklich schlecht im …“

„Es gibt keine vollkommenen Eltern, Judith“, unterbrach ihre Mutter sie belehrend. „Du bist einfach zu perfektionistisch, das warst du schon immer. Dir missfallen Situationen und Menschen, die du nicht steuern kannst. Denk nur einmal an deine bisherigen Partner. Nicht einer von ihnen hatte eine eigene Meinung.“

„Das ist wirklich übertrieben, Mum!“ Judith war empört. „Ich mag eben keine Männer, die mir sogar am liebsten das Bestellen im Restaurant abnehmen würden.“

Lyn Wilson hatte erstaunlich konservative Ansichten, was Männer anging. Nach der Scheidung war ihr Mann ins Ausland gezogen. Immer wenn sie, Judith, in den Schulferien nach Hause gekommen war, hatte dort ein anderer Mann mit ihrer Mutter zusammengelebt. Die Männer hatten alle etwas gemeinsam gehabt – ihre herrische, besitzergreifende Art.

„Jetzt habe ich den Faden verloren.“ Judith presste sich die Finger an die pochenden Schläfen. „Was hat mein Männergeschmack mit deiner Weigerung, mir zu helfen, zu tun?“

Ihre Mutter hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten. „Kinder sind unberechenbar, Judith.“

„Das habe ich auch schon festgestellt.“

„Man muss flexibel sein und Kompromisse eingehen.“

Judith war zu erschöpft, um zu protestieren. „Ich werde es versuchen“, versprach sie.

„Braves Mädchen. Es ist wirklich schade, dass du noch nicht verheiratet bist. Denn seien wir ehrlich: Welcher Mann wird sich schon für eine Frau interessieren, die bereits drei Kinder hat?“

Judith schüttelte nur schweigend den Kopf. Ihre Mutter war wirklich unglaublich.

„Also, wenn du etwas brauchst, musst du mich nur fragen“, verabschiedete Lyn Wilson sich fröhlich.

Genau, dachte Judith. Und solltest du nicht gerade eine Verabredung zum Bridgespielen haben, wirst du sicher gern für mich da sein.

„Vielen Dank, Mum.“

2. KAPITEL

Judith legte den Hörer auf und sank auf das von Kekskrümeln und Bauklötzen bedeckte Sofa. Die Bitte an ihre Mutter hatte zwar nicht das gewünschte Ergebnis gehabt, doch deren unverblümte Art hatte ihr geholfen, die Dinge wieder positiv zu sehen.

Wenn ich die Zeit fünf Minuten zurückdrehen könnte, würde ich Mum nicht anrufen, dachte Judith und zuckte die Schultern. Andererseits war es nicht verwunderlich, dass sie die Verantwortung hatte abgeben wollen. Schließlich war sie erschöpft, hatte vor Kurzem ihren Bruder verloren und war praktisch über Nacht Mutter von drei kleinen Kindern geworden. Vielleicht sollte sie also nicht zu hart mit sich ins Gericht gehen.

Mum hat recht, dachte sie. Ich sollte mich zusammenreißen und das Beste aus der Situation machen. Schließlich gab es unzählige alleinerziehende Mütter, die es wesentlich schwerer hatten. Und eigentlich machte sie ihre Sache gar nicht so schlecht.

Sie hatte eine starke Persönlichkeit, und langsam stellte sich ihr Optimismus wieder ein. Sie genoss die Ruhe, die sicher nicht lange andauern würde. Jeden Moment konnte das Chaos wieder ausbrechen. Liebevoll betrachtete sie die schlafende Amy. Sophia saß im Schneidersitz auf dem Teppich und malte, und Joseph …

Du meine Güte, wo war denn Joseph? Krampfhaft überlegte Judith, wann sie ihn zuletzt gesehen oder seine Stimme gehört hatte. Mit einem Mal erschien ihr die Ruhe unheilverkündend. Sie sprang auf und rannte ins Schlafzimmer, das jetzt als Kinderzimmer diente. Es war leer, ebenso wie das Badezimmer. In dem kleinen, aber sehr geschmackvoll eingerichteten Apartment gab es nicht allzu viele Möglichkeiten, wo sich ein Kind verstecken konnte.

Vor Angst klopfte ihr Herz wie wild. Sie lief zurück ins Wohnzimmer.

„Weißt du, wo Joseph ist, Sophia?“, fragte sie betont ruhig, um das kleine Mädchen nicht unnötig zu erschrecken.

Sophia hob den Kopf und strich sich mit dem drallen Händchen eine Locke aus dem Gesicht. „Er ist zu dem netten Mann mit dem Computerspiel gegangen.“

Judith ging neben ihr auf die Knie. „Zu Marco?“, erkundigte sie sich erleichtert.

Sophia nickte und wandte sich wieder ihrem Bild zu. „Ja. Wir mögen Marco gern. Er ist sehr nett.“

Judith nickte abwesend. Aus irgendeinem Grund war sie davon überzeugt, dass ihr Neffe bei Marco gut aufgehoben war, auch wenn der Bewohner des luxuriösen Penthouse ihr manchmal etwas unbeholfen vorkam.

Hoffentlich ist Joseph heil bei Marco angekommen, dachte sie. Und wenn er jetzt verloren gegangen war? Man hörte doch fast jeden Tag furchtbare Berichte …

Nicht in Panik geraten, ermahnte sie sich. Wenn sie Joseph wieder gefunden hätte, würde sie ihn nie wieder aus den Augen lassen. Sie schickte insgeheim ein Stoßgebet zum Himmel und hob das schlafende Baby aus der Wippe. „So, Amy, wir machen einen kleinen Spaziergang.“

Dann wandte sie sich an Amys Schwester. „Komm, Sophia“, sagte sie. „Wir holen Joseph zum Mittagessen ab.“

„Ich will aber nicht …“ Sophias Antwort ging in Amys Schreien unter.

„Oh doch, du kommst mit, und zwar jetzt sofort “, befahl Judith energisch. Zu ihrer Überraschung gab Sophia nach.

Judith nahm ihre Hand. In diesem Moment ertönte ein lautes, forderndes Klopfen an der Wohnungstür. Sie eilte hin und öffnete sie.

„Tante Judith!“

„Joseph!“ Judith war unendlich erleichtert, ihren kleinen Neffen wiederzusehen.

Vielen Dank, Marco, dachte sie. Doch je länger sie den Mann ansah, auf dessen Schultern ihr Neffe saß, desto mehr verschwand ihr dankbares Lächeln. Sie ließ den Blick an ihm emporgleiten, und ihr Magen zog sich zusammen. Der Mann war etwa einen Meter neunzig groß und durchtrainiert. Er trug einen perfekt sitzenden Anzug. Das Jackett stand offen, sodass sie seinen flachen Bauch und die schmalen Hüften sehen konnte. Seine Beine schienen geradezu endlos lang zu sein, die Schultern waren breit.

Schließlich sah sie ihm ins Gesicht und blickte in Augen, die so dunkel waren, dass sie beinah schwarz wirkten. Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie.

Natürlich wusste sie sofort, wen sie vor sich hatte: Luca di Rossi. Nur jemand, der die vergangenen Jahre im Kloster verbracht hatte, würde die klassisch schönen Gesichtszüge dieses Mannes nicht erkennen.

Ihr wurde klar, warum viele Fotografen die faszinierenden Augen, die markanten Wangenknochen, den sinnlichen Mund und den für Südeuropäer typischen dunklen Teint so liebten. Im Gegensatz zu den meisten Menschen sah dieser Mann besser aus, je näher man ihn betrachtete. Doch nun, da sie ihm zum ersten Mal gegenüberstand, waren es weder seine makellosen Züge noch sein perfekter Körper, die ihr die Sprache verschlugen, sondern etwas, das keine Kamera einfangen konnte: sein unglaublicher Sex-Appeal.

Ihr wurde schwindelig. Sie blickte ihm in die Augen und versuchte sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Schnell stellte sie fest, dass der Sex-Appeal nur wenig mit seiner Figur, den langen, seidigen Wimpern oder dem breiten, sinnlichen Mund zu tun hatte. Es war vielmehr die natürliche Ausstrahlung eines erfolgreichen, einflussreichen Mannes. Und ganz offensichtlich war ihm klar, welche Wirkung er hervorrief, wie sie missbilligend feststellte. Sein offenbar sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein verunsicherte sie.

Sicher gab es einen guten Grund, doch Judith konnte sich nicht erklären, warum ihr Neffe auf den Schultern des „erfolgreichsten Frauenhelden seit Casanova“ saß. Diesen Titel hatte eine Boulevardzeitung dem Mann vor einigen Jahren verliehen. Das Blatt hatte damals – natürlich inklusive sämtlicher pikanten Details – den Bericht eines Supermodels abgedruckt, das er angeblich auf schändlichste Art sitzen gelassen hatte.

Der Spitzname war an ihm hängen geblieben – zu Recht, wenn auch nur die Hälfte der Behauptungen des Models zutraf, wie Judith fand. Sie war wirklich nicht prüde, aber … Bei der Erinnerung an den Bericht über seine angebliche Unersättlichkeit wurde ihr heiß. Gab es wirklich Menschen, die solche Dinge taten?

Die Schilderung seiner extravaganten Liebesabenteuer schien seinem Ruf nicht geschadet zu haben. Doch wann hat es einem Mann auch je geschadet, als Frauenheld bezeichnet zu werden? dachte Judith ironisch. Dagegen hatte sich die Tatsache, dass seine Exfreundin sich mit einem blauen Auge der Presse präsentiert hatte, durchaus negativ ausgewirkt. Sie verneinte zwar ausdrücklich, dass Luca ihr die Verletzung zugefügt hatte, aber nur wenige Journalisten glaubten es. Kurze Zeit später meldeten sich plötzlich zahlreiche Menschen zu Wort, die sich über Lucas angebliche Gewalttätigkeit äußerten. Seine Exfreundinnen hingegen hatten diese Behauptungen als lächerlich und unglaubwürdig bezeichnet.

Trotzdem rief diese Erinnerung Judiths Beschützerinstinkt wach. „Sie sind ja gar nicht Marco!“, platzte sie vorwurfsvoll heraus.

Marco hatte ein sehr charmantes Lächeln, und Judith hatte ihn insgeheim als „gefährlich attraktiv“ bewertet. Nun, da sie Luca di Rossi begegnet war, hatten die Worte „attraktiv“ und „gefährlich“ allerdings eine andere Bedeutung für sie.

„Das ist Luca“, erklärte Joseph, stolz auf seine neue Bekanntschaft.

„Geht es dir gut, Joseph?“, fragte Judith besorgt. „Du hast dir nicht wehgetan, oder?“ Sie hätte ihn am liebsten von Luca di Rossis breiten Schultern genommen und an sich gezogen. Doch sie hatte noch immer Amy auf dem Arm.

Der Mann drehte den Kopf ein wenig zur Seite, sodass Judith sein perfektes, klassisches Profil sehen konnte. Er sagte etwas zu Joseph, der daraufhin zu kichern begann und ihm das dichte, glänzende Haar zerzauste.

Judith versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr die Begegnung mit diesem reichen, atemberaubenden Mann sie aus der Fassung brachte. Sie beneidete Joseph darum, dass er sich Luca di Rossi gegenüber so unbefangen verhielt.

Ohne dass sie es merkte, nahm ihr Gesicht einen träumerischen, sehnsüchtigen Ausdruck an, als sie sich vorstellte, wie es wohl wäre, die Finger durch das glänzende Haar dieses Traummannes gleiten zu lassen …

Judith riss sich zusammen. Normalerweise fiel es ihr leicht, ihre Fantasie im Zaum zu halten. Doch in Luca di Rossis Fall schien es nicht ganz so einfach zu sein. Und ich hatte schon geglaubt, ich wäre zu erschöpft, um jemals wieder an Sex zu denken, überlegte sie und erschauerte.

Plötzlich wandte er den Kopf und sah sie an. Judith erstarrte.

„Wie Sie sehen können, fehlt dem Kleinen nichts.“

Sie spürte seinen durchdringenden Blick. Nichts an Luca di Rossi ließ vermuten, wie liebevoll er eben noch mit Joseph gesprochen hatte.

„Vielen Dank, dass Sie ihn zurückgebracht haben.“

Er hob Joseph von seinen Schultern. Der teure Stoff seines perfekt geschnittenen Anzugs fiel ohne die geringste Knitterfalte sofort wieder in Form.

Judith kniete sich hin und umarmte den kleinen Jungen. Vor Erleichterung kamen ihr fast die Tränen. Dann stand sie wieder auf und sagte leise: „Geh bitte rein, Joseph.“ Sie war viel zu erleichtert, um mit dem kleinen Jungen zu schimpfen.

„Noch einmal vielen Dank“, wandte sie sich an Luca di Rossi und wich dabei seinem Blick aus. Sicher war es für ihn nichts Ungewöhnliches, begehrt zu werden. Doch ihr waren die Fantasien, die er in ihr hervorrief, sehr peinlich.

Auch das anschließende Schweigen war ihr unangenehm. Sie bezweifelte allerdings, dass es Luca di Rossi ebenso ging. Er ließ sich offenbar von nichts aus der Ruhe bringen. Lässig strich er sich eine dunkle Strähne aus der Stirn. Judith betrachtete seine Hände. Die schlanken, aber kräftigen Finger faszinierten sie. Schließlich gelang es ihr, den Blick abzuwenden. Sie spürte, wie ihr vor Nervosität heiß wurde.

„Ich würde Sie ja gern hereinbitten, aber …“

„Sind Sie mit meinem Bruder befreundet?“ Seine Stimme klang misstrauisch und ironisch zugleich.

Offenbar erwartete er eine Antwort. Judith war allerdings viel zu verwirrt vor Verlangen, um einen klaren Gedanken zu fassen.

Als sie nichts sagte, zog Luca di Rossi fragend eine Augenbraue hoch.

Verzweifelt überlegte sie, was sie erwidern konnte. Schließlich war sie kein Teenager, sondern eine erwachsene Frau! Luca di Rossis erotische Stimme hatte nicht unerheblich zu ihrer Verwirrung beigetragen. Obwohl er jetzt schwieg, hatte Judith noch immer den tiefen, erotischen Klang im Ohr.

Schließlich riss sie sich zusammen und fragte: „Meinen Sie Marco?“

Marco war ein di Rossi? Natürlich kannte sie seinen Nachnamen, doch sie hatte ihn nie mit Gianluca di Rossi in Verbindung gebracht. Denn erstens war Marco wie viele Norditaliener blond, und zweitens verhielt er sich nicht, als würde er zu einer der ältesten und vornehmsten Familien Italiens gehören – im Gegensatz zu seinem Bruder, der sich seiner Wichtigkeit und seines blauen Blutes bewusst zu sein schien.

Die di Rossis hatten schon bei ihrer Geburt alles, was man sich nur wünschen konnte – eine vornehme Abstammung, ausgezeichnete Beziehungen, einen alten Palazzo in Venedig und einen großen Familiensitz in Umbrien. Und dank Luca waren sie jetzt auch unglaublich reich. Zumindest er war es. Nach Marcos Kleidung und seinen verschiedenen Sportwagen zu urteilen, kam allerdings die gesamte Familie in den Genuss des Reichtums seines älteren Bruders.

Es gab die unterschiedlichsten Theorien darüber, wie es Luca di Rossi gelungen war, schon im Alter von zweiundzwanzig Jahren seine erste Million zu verdienen. Einige Leute vermuteten Verbindungen zur Unterwelt, doch genau wusste es niemand. Dagegen stand außer Frage, woher sein gegenwärtiger Reichtum stammte. Luca di Rossis internationale Investitionen reichten von Hotelketten bis zu einer eigenen Fluggesellschaft. Sein Gespür für den Markt grenzte nach Meinung mancher Analysten und Finanzexperten ans Übersinnliche.

Luca war es nicht gewohnt, dass man ihn auf der Türschwelle stehen ließ. Doch seine Sorge um das Kind hielt ihn davon ab zu gehen – zumindest redete er es sich ein. Langsam begann er zu glauben, dass die dunkelhaarige junge Frau vor ihm nicht nur den sinnlichsten Mund besaß, den er je gesehen hatte, sondern auch nicht sonderlich intelligent war.

Er wusste nichts über sie außer ihrem Namen, den der kleine Junge ihm verraten hatte: Judith. Hätte sie nicht einen so abwesenden Gesichtsausdruck gehabt, wäre sie vermutlich recht attraktiv gewesen. Luca betrachtete das schmale Gesicht mit den großen, strahlenden Augen, den vollen Lippen und der Stupsnase. Sie wäre sogar wirklich schön, dachte er, wenn man über die leicht unregelmäßigen Züge und das eckige, energisch wirkende Kinn hinwegsah.

Offenbar hatte Judith vor Kurzem geweint, denn ihre Haut war blass und wirkte beinah durchscheinend. Doch Luca verspürte kein Mitleid mit ihr, eher mit dem Kind, das seine Eltern leichtsinnigerweise ihrer Obhut anvertraut hatten. Bestimmt hat sie ferngesehen und mit ihrem Freund telefoniert, anstatt sich um die Kinder zu kümmern, mutmaßte er verächtlich. Lebhaft stellte er sich die Situation vor, die dazu geführt hatte, dass ein kleiner Junge mutterseelenallein im Haus umherwanderte.

„Sind Sie mit meinem Bruder befreundet?“ Er wiederholte sich nur ungern. Auch die Vorstellung, dass die junge Frau seinen Bruder kannte, missfiel ihm, denn Marco ließ sich nur allzu leicht von einem hübschen Gesicht täuschen. Außerdem war er sehr impulsiv und leichtsinnig und bedachte selten die Folgen seines Handelns – trotz einiger schmerzlicher Erfahrungen.

Befreundet? “ Plötzlich begriff sie, was Luca andeuten wollte. Er vermutete, sie wäre Marcos Geliebte. Und offenbar gefiel ihm diese Vorstellung ganz und gar nicht. Judith spürte, wie sie vor Ärger errötete. Energisch hob sie das Kinn. Der charmante Marco hatte ihr sein Interesse mehrmals deutlich zu verstehen gegeben. Doch sie war nicht an ihm interessiert. Und nun, da sie drei Kinder hatte, würde sowieso kein Mann sie eines Blickes würdigen, wie ihre Mutter festgestellt hatte.

Erst jetzt wurde Judith bewusst, dass Marco sie seit der Ankunft der Kinder nicht ein einziges Mal gebeten hatte, mit ihm auszugehen. Früher dagegen hatte er kaum eine Gelegenheit ausgelassen. Offenbar hat seine Zuneigung Grenzen, dachte Judith amüsiert. Sie war ihm nicht böse, denn er ging immer so freundlich mit den Kleinen um. Dafür waren Italiener ja auch bekannt. Allerdings gibt es bestimmt Ausnahmen, dachte sie und blickte Luca an, der sie von oben herab betrachtete.

Warum also sollte sie diesem arroganten, selbstherrlichen Mann verraten, dass sie keinesfalls mit seinem Bruder „befreundet“ war? Sollte er sich ruhig ein wenig Sorgen machen.

Judith tat so, als würde sie überlegen. „Das zu behaupten wäre wohl übertrieben.“ Sie senkte den Blick und lächelte Luca di Rossi vielsagend an.

Luca kniff die Augen zusammen, als sie den Kopf zurückwarf und sich durch die glänzenden Locken strich. Es war eindeutig, was Judith mit dieser Geste ausdrücken wollte: Sie bräuchte nur mit den Fingern zu schnippen, wenn sie daran etwas ändern wollte.

Er stellte fest, dass Judith weder dumm war noch schön im klassischen Sinne. Doch sie besaß eine Eigenschaft, die wesentlich gefährlicher war als Schönheit – einen atemberaubenden Sex-Appeal. Jeder Mann, der ihren Mund ansah, würde sie küssen wollen. Jeder, der ihren Körper betrachtete, würde sie sich unwillkürlich nackt vorstellen. Vielleicht verbarg sich hinter den goldfarben gesprenkelten Augen kein messerscharfer Verstand. Aber bei ihrem Aussehen war das auch nicht nötig. Sicher bekam sie auch so immer, was sie wollte.

Die Frage war: Wollte sie Marco? Luca ließ die Augen über ihren schlanken, straffen Körper gleiten und musste zugeben, dass ihr Selbstbewusstsein gerechtfertigt war. Vielleicht war sie für den Geschmack mancher Männer nicht üppig genug. Allerdings teilten sicher nur wenige diese Ansicht. Er war schon früher sinnlichen Frauen wie ihr begegnet. Männer wurden von ihnen angezogen wie Motten vom Licht.

Während Luca diese Schlüsse zog, war Judith damit beschäftigt, Amy zu trösten. Luca di Rossis Gegenwart hatte das Baby offenbar ebenso durcheinandergebracht wie sie. Es schrie ohrenbetäubend.

Als Judith die Kleine beruhigt hatte, blickte sie auf. Sie stellte fest, dass Luca, den sie in Gedanken schon beim Vornamen nannte, sie eindringlich ansah. Nichts an seinem Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, was in ihm vorging. Doch plötzlich wurde ihr schmerzlich bewusst, wie unordentlich und zerzaust sie aussehen musste. Seit die Kinder bei ihr lebten, hatte sie nicht mehr die Zeit gefunden, ihre Locken zu bändigen und glatt zu föhnen oder sich zu schminken. Sie trug eine Jogginghose und ein abgeschnittenes T-Shirt, das sie sonst nur zum Sport anzog. Vermutlich hat er schon jede Menge Stadtstreicherinnen gesehen, die attraktiver waren als ich, dachte sie resigniert. Aber hatte sie wirklich erwartet, dass sie den Ansprüchen des wählerischen Luca di Rossi genügte?

Judith nahm Amy vom linken auf den rechten Arm, um sich das hinuntergerutschte T-Shirt wieder hochzuziehen. Sofort rutschte es ihr über die andere Schulter. Ungeduldig zog sie erneut daran.

„Sparen Sie sich das“, sagte Luca di Rossi kühl. „Ich bin nicht Marco.“

Fragend runzelte Judith die Stirn. Als müsste er sie daran erinnern! In Marcos Gegenwart fühlte sie sich nicht unsicher, ihr Herz schlug normal schnell, und sie hatte keine Probleme, einen zusammenhängenden Satz über die Lippen zu bringen.

„Mit gespielter Hilflosigkeit und etwas nackter Haut werden Sie bei mir nichts erreichen.“ Luca di Rossi kniff die Augen zusammen.

„Wie bitte?“, fragte sie ungläubig.

„Oder haben Sie den Jungen vielleicht selbst auf die Idee gebracht, Marco zu besuchen?“

Wollte er ihr etwa unterstellen, dass sie …? Sie musste sich verhört haben. Doch als Judith seinen verächtlichen Gesichtsausdruck bemerkte, wurde ihr klar, dass es kein Missverständnis war. Vor Wut errötete sie und wurde dann aschfahl.

„Vielen Dank für den Hinweis, aber ich kann mir schon gut vorstellen, wie man bei Ihnen landen kann.“ Bei Ihnen und bei allen anderen Männern, fügte sie in Gedanken hinzu und beobachtete zufrieden, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg.

Wieder kniff er die Augen zusammen. „Tatsächlich? Und wie?“, fragte er trügerisch ruhig.

„Warten Sie.“ Judith blickte einen Moment lang an die Decke. „Mit blonden Haaren, sehr langen Beinen und so viel nackter Haut wie möglich. Richtig geraten?“ Gespielt unschuldig sah sie ihn an. Sein kalter Blick war einschüchternd. Sie war allerdings so aufgebracht, dass sie sich nicht beherrschen konnte: „Ach ja, das hätte ich beinah vergessen. Natürlich muss man auch von allem, was Sie sagen, beeindruckt sein.“

Ihre golden gesprenkelten Augen funkelten. Sie gab sich keine Mühe, ihre Verachtung zu verbergen. Luca di Rossi bestand offenbar nur aus einer attraktiven Fassade. Und sicher suchte er sich Partnerinnen aus, die ebenfalls wunderschön, aber hohl waren.

„Und nur zu Ihrer Information, ich bin nicht hilflos!“

„Das habe ich auch nicht behauptet. Aber so zu tun kann sehr hilfreich sein, wenn man die Aufmerksamkeit eines Mannes möchte.“

„Und warum, um alles in der Welt, sollte ich das wollen?“, rief Judith verächtlich. Amy begann leise zu weinen.

Luca sah die Kleine an. „Das Baby ist müde.“

Wie zur Bestätigung fing Amy an zu schreien. Offenbar sind meine Mitmenschen alle Experten, was den Umgang mit kleinen Kindern angeht, dachte Judith aufgebracht.

„Das weiß ich auch“, erwiderte sie ungeduldig. „Wenn Sie der Meinung sind, Sie könnten die Kinder besser versorgen …“ Wütend blickte sie ihn an.

Dio mio !“ Kopfschüttelnd beobachtete Luca ihre hilflosen Versuche, Amy zu beruhigen. „Das könnte wohl jeder gut erzogene Labrador besser.“

Judith war vor Empörung sprachlos. Entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen, hob sie das Kinn. Doch Luca di Rossi ignorierte die kämpferische Geste. Er blickte über ihren Kopf hinweg ins Wohnzimmer. Das fiel ihm nicht schwer, denn sie reichte ihm kaum bis zur Schulter.

„Ich kann nicht glauben, dass Josephs Eltern die Kinder in Ihrer Obhut gelassen haben.“

Und ich kann nicht glauben, dass Sie wirklich ein Mensch sind, dachte Judith. Sie rang sich ein Lächeln ab. Immerhin hatte dieser unverschämte Mann Joseph nach Hause gebracht. Also musste sie sich ihm gegenüber zumindest höflich verhalten, auch wenn er sie so behandelte.

„Das haben sie aber.“

Ungläubig schüttelte er den Kopf.

„Hören Sie, ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie Joseph zurückgebracht haben.“ Versöhnlich streckte sie ihm die Hand hin.

Er betrachtete ihre Hand, nahm sie jedoch nicht. „Dann haben Sie also gemerkt, dass er nicht mehr da war“, stellte er fest. Seine Stimme klang sanft. „Das ist ja immerhin etwas.“

Judith ließ den Arm sinken und spürte, wie sie vor Ärger errötete. Die ironische Bemerkung traf sie umso mehr, da sie nichts dagegen sagen konnte. Sie wusste, dass sie nicht einmal vernünftig für einen Goldfisch sorgen konnte. Dann riss sie sich zusammen und verdrängte den Gedanken. Ich werde mir Mühe geben und immer besser werden, dachte sie entschlossen.

„Ich hatte ihn nur eine Minute aus den Augen gelassen …“ Judith biss sich auf die Lippe, als sie hörte, wie ihre Stimme bebte. Sie barg das Gesicht in Amys weichen Löckchen und atmete ihren Duft ein. „Ganz ruhig, Darling“, flüsterte sie.

Auch Luca merkte, dass Judith am Ende ihrer Kräfte war. Als ein weiteres Kind, ein kleines Mädchen, auftauchte und sich an ihr Bein schmiegte, seufzte er resigniert. Das hier geht mich gar nichts an, versuchte er sich einzureden und sah auf die Uhr. Dabei begegnete er dem vertrauensvollen Blick des Mädchens. Obwohl dessen Augen blau waren und nicht braun, erinnerte es ihn an Valentina.

3. KAPITEL

„Diese Situation ist unerträglich“, stellte Luca plötzlich fest.

Allerdings, dachte Judith.

Erschrocken über seine tiefe, energische Stimme, versteckte Sophia sich hinter ihr. Mit beiden Händen hielt sie sich an Judiths Jogginghose fest, die daraufhin gefährlich weit über ihre schlanken Hüften rutschte.

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden“, sagte Judith. Zu ihrer Überraschung bemerkte sie, dass Luca di Rossi ihren flachen Bauch und die schlanke Taille betrachtete. Sie war wie elektrisiert. Ihr brannte die Haut, als hätte er sie berührt.

„Bewundern Sie meine Blinddarmnarbe?“, fragte sie kühl.

Doch er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Dafür wurde sie nervös, als er die dunklen Brauen hochzog und ihr in die Augen sah. Er versuchte nicht, sein Verlangen zu verbergen. Die Kehle schnürte sich ihr zusammen. Judith schluckte und wandte den Blick ab. Ihre Brustspitzen wurden fest und zeichneten sich unter dem engen Top ab, das sie unter dem T-Shirt trug. Schnell zog sie sich die Hose wieder hoch. Erst als sie sich ein wenig beruhigt hatte, sah sie auf.

Du meine Güte! Sie war wütend auf sich selbst. Man könnte fast meinen, mich hätte noch nie ein Mann angesehen!

„Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit schon so lange in Anspruch genommen habe“, sagte sie betont lässig. Eigentlich war es eine eindeutige Aufforderung, endlich zu gehen, aber Luca reagierte nicht darauf.

„Auf wie viele Kinder sollen Sie eigentlich aufpassen?“ Als würde er dort wohnen, betrat er das Wohnzimmer. „Sind hier noch mehr versteckt?“

Judith ballte die Hände zu Fäusten. Offenbar war sie nicht deutlich genug gewesen. Als er den Blick durchs Wohnzimmer gleiten ließ, hätte sie sich am liebsten für die Unordnung entschuldigt.

„Mr di Rossi, ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie sich um Joseph gekümmert haben, aber …“

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, fragte er: „Haben Sie die Telefonnummer der Eltern?“

Seine Worte trafen sie wie ein Schlag. „Nein.“ Sie atmete tief ein.

Luca di Rossi sah sie an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie biss sich auf die Lippe.

„Was sind das für Eltern, die nicht einmal eine Telefonnummer hinterlassen?“

„Lassen Sie uns in Ruhe!“, sagte Judith heftig.

Sie presste sich die Faust gegen den Mund. Er beobachtete, wie ihre Knöchel weiß hervortraten. „Ich lasse niemanden in Ruhe, bis ich mich davon überzeugt habe, dass die Kinder gut betreut werden.“

„Das werden sie doch!“

Luca blickte vielsagend zu Joseph, der mit seiner Schwester am anderen Ende des Zimmers spielte. Judith errötete.

„Wenigstens maße ich mir nicht an …“ Sie verstummte. Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen.

Dann zog Luca eine Augenbraue hoch und fragte lässig: „Was wollten Sie sagen?“ Seine Augen funkelten eisig.

Ihre heftige Reaktion war ihr ein wenig peinlich.

„Gefällt Ihnen das Thema nicht?“ Sie konnte den Blick nicht von seinem faszinierenden Gesicht abwenden. Luca war in der Lage, Empfindungen mit einer winzigen Bewegung des Nasenflügels oder der Augenbrauen auszudrücken. Und in diesem Moment schien er von sehr starken Gefühlen erfüllt zu sein.

„Offenbar sind Sie der Meinung, ich würde meine Verärgerung an Menschen auslassen, die sich nicht wehren können. Schon aus diesem Grund müssen Sie ja hoffen, dass es kein Tabuthema für mich ist“, stellte er sanft fest.

Er hat recht, dachte Judith. Der Mann vor ihr stand in dem Ruf, ein sehr aufbrausendes Temperament zu besitzen. Und ihr fiel nichts Besseres ein, als ihn zu provozieren. Entweder bin ich ziemlich dumm, oder ich glaube die Klatschgeschichten nicht, überlegte sie. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass die zweite Möglichkeit zutraf. Luca di Rossi mochte der erfolgreichste Frauenheld seit Casanova sein, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er Frauen schlug. Möglicherweise verspürte er in diesem Moment den Wunsch, doch er tat es nicht.

„Wie kommen Sie darauf, dass ich mich nicht wehren kann?“

Als Luca di Rossi herablassend lächelte, wünschte Judith, sie wäre etwas länger zum Judounterricht gegangen, anstatt nach den ersten zwei Übungsstunden gleich wieder aufzugeben. Bestimmt hätte ich dann schon den schwarzen Gürtel, dachte sie. Dann könnte ich ihm dieses hochmütige Lächeln ein für alle Mal austreiben. Sie stellte sich vor, wie Luca di Rossi am Boden lag und ihr hilflos ausgeliefert war, während sie auf ihm thronte.

Als ihre Fantasie mit ihr durchging, schüttelte Judith leicht den Kopf, um die kühnen Gedanken zu vertreiben. Sie räusperte sich und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Luca di Rossi war weder ihr noch sonst jemandem ausgeliefert – und vermutlich war er es auch noch nie gewesen. Er besaß die Ausstrahlung eines Mannes, der immer und überall die Kontrolle hatte.

„Sie haben nicht vor zu gehen, stimmt’s?“, fragte sie resigniert.

„Nicht bevor jemand da ist, der wirklich auf die Kinder aufpassen kann.“

„Bekommen Sie immer, was Sie wollen?“

„Am Ende schon“, erwiderte er lässig. „Eigentlich möchte ich nichts lieber, als dieses Apartment so schnell wie möglich zu verlassen.“ Er zuckte die Schultern. „Aber unter den gegebenen Umständen betrachte ich es als meine Pflicht, die Eltern der Kinder zu informieren, dass sie ihren Nachwuchs einer völlig ungeeigneten Person überlassen haben“, fügte er sehr förmlich hinzu.

Genau das versuche ich doch allen weiszumachen! Judith lächelte ironisch. „Ihre Pflicht?“, wiederholte sie.

Luca di Rossi lächelte ironisch. „Dieser Begriff scheint Ihnen fremd zu sein.“

Du überheblicher Mistkerl! Ausgerechnet jemand, der seine Freundinnen so häufig wechselte wie andere Männer ihre Socken, wollte ihr etwas über Pflichtbewusstsein erzählen?

„Nein, keinesfalls“, erwiderte Judith betont lässig. „Ich wundere mich nur, dass Sie ihn kennen.“

Er sah sie kalt an. „Ich verstehe nicht, wie Eltern ihre Kinder der Obhut eines verantwortungslosen Teenagers überlassen können.“

Als ihr bewusst wurde, was Luca di Rossi gesagt hatte, lachte sie ungläubig. Angesichts der Tatsache, dass sie sich fühlte, als wäre sie in den vergangenen vier Wochen um zwanzig Jahre gealtert, war seine Bemerkung fast ein Kompliment.

„Ich bin keine Babysitterin“, erwiderte Judith und setzte Amy auf den Fußboden. Die Kleine krabbelte zum Couchtisch und zog sich auf die Füße. „Und ich bin auch kein Teenager.“

Bevor Judith Gelegenheit hatte, sich über seine Verwirrung zu freuen, begannen die Zwillinge einen lautstarken Streit um ein Spielzeug.

„Können Sie die beiden nicht zur Ruhe bringen?“

„Kinder machen nun einmal Lärm, das ist doch ganz normal.“ Auf diesem Gebiet kannte sie sich aus – zumindest in der Theorie. „Außerdem ist es hoffnungslos, wenn ich versuche, sie zu beruhigen“, gestand sie dann. „Die beiden hören ohnehin nicht auf mich.“

Luca di Rossi kommentierte dieses Geständnis mit einem verächtlichen Schnaufen. Er sagte etwas auf Italienisch. Seinem Blick nach zu urteilen, war es nicht gerade schmeichelhaft.

„Also gut, wenn Sie es besser können … nur zu!“, rief Judith aufgebracht.

Die Zwillinge waren ebenso perplex wie sie, als Luca di Rossi ihnen das Spielzeug wegnahm, um das sie sich stritten.

„Wenn ihr nicht teilen könnt, ist es wohl besser, wenn ich das hier vorerst für euch aufhebe.“

„Aber …“

Luca warf Joseph nur einen kurzen Blick zu, und der Junge verstummte.

Judith gefiel es nicht, dass der große Mann ihr die Verantwortung aus den Händen genommen hatte. Andererseits beneidete sie ihn um seine Autorität.

„Habt ihr eine Kiste für die Spielsachen?“, fragte er ruhig.

Die Zwillinge nickten.

„Dann schlage ich vor, ihr räumt sie hinein. Sonst wird noch jemand darüber stolpern und sich das Genick brechen.“

Judith umfasste seinen Arm. „So können Sie nicht mit den Kindern sprechen“, sagte sie leise und vorwurfsvoll.

Er betrachtete ihre Hand. Dann sah er ihr ins Gesicht. „ Wie kann ich nicht mit ihnen sprechen?“

Sie zog die Hand zurück. „So … grob“, erwiderte sie. „Die Kleinen haben in letzter Zeit viel durchgemacht. Sie brauchen viel Zuneigung und Liebe.“

„Ich war nicht grob, sondern energisch. Man muss Kindern ihre Grenzen zeigen. Es gibt ihnen Sicherheit, besonders wenn sie viel durchgemacht haben. Kinder sehnen sich nach Beständigkeit.“

Frustriert sah Judith ihn an. Sie konnte ihm kaum widersprechen. Schließlich war sie Kinderpsychologin und wusste genau, dass er recht hatte. Doch ihr war auch klar, dass Theorie und Praxis sich allzu oft sehr voneinander unterschieden – besonders wenn man mit dem Herzen dachte und nicht mit dem Verstand.

Sie strich sich eine Locke aus der Stirn. „Trotzdem hätten Sie etwas sanfter mit ihnen umgehen können“, beharrte sie.

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. „Wirken die beiden vielleicht eingeschüchtert oder gar traumatisiert auf Sie?“

Normalerweise fiel es ihr nicht schwer, einen Fehler einzugestehen. In diesem Fall war es anders. „Bei Kindern kann man das nie genau wissen.“ Sie errötete und wandte den Blick ab, als Luca sie ironisch ansah.

Die Zwillinge taten, was er ihnen gesagt hatte. Und offenbar machte es ihnen auch noch Spaß. Hätte sie die beiden aufgefordert, ihre Spielsachen wegzuräumen, hätten sie sie ignoriert. Judith wusste nicht, was sie meh...

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Kim Lawrence
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