Traumhochzeit mit pikanten Hindernissen

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Jacquelyns Brautladen steht kurz vor dem Bankrott! Wenn sie bloß den griechischen Milliardär Nikos Karellis davon überzeugen könnte, als Teilhaber einzusteigen … Doch als sie Nikos auf einer Gala begegnet, macht sie einen Fehler: Sie lässt sich in seinen maskulinen Bann ziehen. Sein Angebot, mit ihm privat über eine Zusammenarbeit zu reden, führt zu einer heißen Nacht. Herz in Gefahr! Dabei weiß Jacquelyn genau: Mit Nikos kann es niemals eine Zukunft geben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er Affären nicht abgeneigt ist … aber sich niemals bindet!


  • Erscheinungstag 24.03.2020
  • Bandnummer 2433
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714024
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Zielstrebig steuerte Nikos Karellis die Hochzeitssuite von Maybury Hall an und warf seinen Kleidersack aufs Bett. Maybury Hall war zum Traumort des Jahres für Hochzeitspaare gewählt worden. So also sieht Romantik aus, dachte Nikos, während er stirnrunzelnd die Pracht aus Rüschen und Blumen betrachtete. Am Bett stand ein Eiskühler mit prickelnden Getränken. Er nahm eine Flasche heraus, sah aufs Etikett und stellte sie sofort zurück. Mädchenkram. Und ihm stand absolut nicht der Sinn nach Feiern. Um in Stimmung zu kommen, brauchte er etwas Härteres. Immerhin hatte er gerade acht Zeitzonen und drei Kontinente hinter sich.

Unter einem mit Putten und Gold verzierten Spiegel entdeckte er schließlich, was er suchte – ein Tablett mit Karaffen, Gläsern und Sodawasser. Perfekt. Er schenkte sich großzügig einen Whisky ein, gab nach kurzem Zögern noch etwas mehr dazu, versah den Drink mit einem Schuss Soda und trank ihn in einem Zug aus.

Das rauchige Aroma brannte in seiner Kehle. „Zum Wohl, Martin“, sagte er leise und prostete seinem Spiegelbild zu. Zumindest war der Geschmack seines künftigen Schwagers, was Whisky betraf, besser als sein Händchen für dezente Dekoration.

Die Hochzeitssuite.

Von all den Zimmern in seinem Luxushotel hatte Martin ausgerechnet dieses ausgewählt, um Nikos unterzubringen. Vielleicht hatte es ein Witz sein sollen, aber er war nicht besonders lustig. Seit seiner Ehe mit Maria barg die Vorstellung, noch einmal zu heiraten, nur Schrecken für Nikos.

Er griff nach der Karaffe und überlegte kurz, ob er sich einen zweiten Drink genehmigen sollte. Doch er entschied sich dagegen. Die Versuchung war groß, aber den heutigen Abend würde er nur mit klarem Kopf überstehen. Denn dieser Abend war der Anfang vom Ende. Jetzt würde jeder der Wahrheit ins Gesicht sehen müssen. Die Zeit drängte – nicht nur aus finanziellen Gründen.

Unabhängig davon, was Martin und die Finanzbehörde vermuteten, gab es keine versteckten Vermögenswerte, kein Schwarzgeld, keine Rücklagen im Ausland. Maria hatte ihr Geld in Alkohol umgesetzt und verpulvert. Das war alles. Es würde hart, Martin davon zu überzeugen, denn er hatte seine Schwester immer vergöttert. Aber Nikos wollte endlich alles auf den Tisch bringen.

Zu lange schon hatte er sich auf dieses juristische Geplänkel eingelassen. Deshalb hatte er letztendlich zum Telefon gegriffen und um ein persönliches Gespräch gebeten. Martin hatte diese Veranstaltung vorgeschlagen, und Nikos hatte nicht lange gezögert, sondern sofort zugesagt. Ansonsten wären erneut mindestens sechs Wochen vergangen, ehe sie sich überhaupt wieder auf demselben Kontinent aufhielten.

Nachdem das Ende nun greifbar nah war, konnte Nikos es kaum noch aushalten. Fünf Jahre waren seit Marias Tod vergangen. Doch es war ihm nicht gelungen, zusammen mit dem Ehering auch den Schmerz und die Erinnerungen im tiefblauen Wasser der Ägäis zu versenken.

Unwillkürlich griff er an seinen Ringfinger und spürte die leere, glatte Fläche. Dieses Gefühl war unvergleichlich. Selbst der Gedanke an House, seine Firma für Luxuswohnartikel mit unzähligen Filialen, die unter den hundert erfolgreichsten Unternehmen bei Forbes gelistet war, kam da nicht mit. Es war das Gefühl von Freiheit. Mehr noch – es war die Gewissheit, ausschließlich für sich selbst verantwortlich zu sein. Keine Frau, die an seinem Hals hing oder sich an ihm festklammerte, keine unappetitlichen Spuren mehr, die beseitigt werden mussten – nur noch dieser letzte Schritt, und er war wirklich unabhängig.

Er goss sich ein Glas Wasser ein und trat ans Fenster. Das Anwesen war beeindruckend. Die weiten Rasenflächen und Teiche des parkähnlichen Grundstücks wurden am Horizont begrenzt von mächtigen Eichen. Weit hinten erkannte er das Dach des Torhauses, an dem er vorbeigekommen war. Gerade fuhr ein Wagen durch das breite schmiedeeiserne Tor. Irgendetwas veranlasste Nikos, sich weiter vorzulehnen, um besser sehen zu können …

Doch ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Betrachtungen.

„Ich habe gehört, dass du angekommen bist.“

In der Tür stand Martin Lopez. Einen Moment lang musterten sich die beiden Männer wortlos. Marias Bruder hatte dasselbe dunkle Haar, die dunklen Augen, die blasse Haut und die hohen Wangenknochen wie sie. Einst hatte Nikos dieses Gesicht bei Maria unwiderstehlich gefunden. Er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt, und aus dem wilden Motorradfahrer mit zahllosen Vorstrafen war innerhalb von drei Jahren ein seriöser Ehemann geworden.

Im Rückblick – und er hatte in den zehn Jahren, die sie zusammen gewesen waren, oft zurückgeblickt – erschien ihm jener Verkehrsunfall, der sie zusammengeführt hatte, wie eine Verkettung von falschem Ort zur falschen Zeit. Von dem Augenblick an, als er sie aus dem Bentley gerettet hatte, den sie gegen eine Straßenlaterne auf einer Landstraße in Sydney gesetzt hatte, waren sie unzertrennlich gewesen. Er war ihr Tennistrainer geworden, ihr Schwimmlehrer, Personal Trainer – sie hatte alles dafür getan, ihn in ihrem Leben zu halten. Und auf ihn hatte es gewirkt wie die Ankunft im Gelobten Land.

Allerdings hatte Maria es nicht geschafft, all ihre Versprechungen zu halten.

„Martin. Schön, dich zu sehen.“

Nikos ging auf seinen Schwager zu und reichte ihm die Hand. An Martins kurzem Händedruck und seinem unsteten Blick war dessen Anspannung unschwer zu erkennen.

„Ich bin froh, dass du gekommen bist, Nikos. Wir haben uns lange nicht gesehen.“

„Zu lange“, bestätigte Nikos und hielt die Hand des anderen noch einen Moment länger. Es war ihm wichtig, sich zu vergewissern, dass sie trotz allem Freunde waren.

„Allerdings. Ich hätte mich gern bei dir gemeldet – aber nach Marias Tod war das alles nicht so einfach.“

„Das kann ich mir vorstellen. Unsere Leben sind ziemlich weit auseinandergedriftet.“

„Aber sie war immer Teil unserer Gedanken.“

„Das ist wahr“, stimmte Nikos zu, während er sich fragte, was tatsächlich in Martins Kopf vorgehen mochte. Nikos hatte die Familie Lopez in allem unterstützt, sofern es ihm möglich war. Jeder von ihnen hatte ausgesorgt. Jetzt gab es nichts mehr, was er für sie tun konnte.

Doch irgendetwas schien sein Gegenüber umzutreiben. Martin senkte den Blick und wandte sich wieder zur Tür.

„Soll ich dir alles zeigen, ehe die Gäste eintreffen?“, bot er an.

„Unbedingt.“ Nikos folgte ihm in Richtung der großen Eingangshalle, an deren Wänden Porträts unzähliger Mitglieder der britischen Aristokratie in goldenen Rahmen hingen. Zweifellos fragten auch sie sich, was nun mit dem historischen Gebäude passieren würde, nachdem die Lopez-Hotel-Gruppe es übernommen hatte.

„Ja, es ist wirklich großartig, dich zu sehen“, wiederholte Martin. Er ging jetzt neben Nikos und erweckte den Anschein, als wären sie beste Freunde. „Und ich bin dir dankbar, dass du den Preis überreichen wirst. Nachdem das bekannt geworden ist, haben wir fünfzig zusätzliche Karten verkaufen können.“

„Kein Problem“, beteuerte Nikos schulterzuckend. „Ich war gerade auf dem Rückweg von Sydney, als der Anruf kam.“

„Hast du deine Mutter besucht? Wie geht es ihr?“

Sie hatten die oberste Stufe einer breiten geschwungenen Treppe erreicht. Wahrscheinlich würden sich sämtliche Hochzeitsgesellschaften, die hier in Maybury Hall feierten, genau auf dieser Treppe fotografieren lassen, überlegte Nikos.

„Ihr geht es gut, danke der Nachfrage. Sie erkennt mich zwar nicht mehr, aber sie wirkt zufrieden. Und man kümmert sich rührend um sie.“

Seine monatlichen Besuche in dem Seniorenheim in Sydney waren die einzigen privaten Termine, die nicht zur Disposition standen. „Und wie läuft es beruflich?“, wechselte er das Thema.

Gemeinsam schritten sie die mit rotem Teppich ausgeschlagene Treppe hinunter. In der schwarz-weiß gefliesten Eingangshalle herrschte geschäftiges Treiben – mehrere Torten waren gerade angeliefert worden, und die üppigen Blumenbouquets mussten arrangiert werden.

„Ich mache das nicht mehr lange mit“, erklärte Martin mit einem freudlosen Lachen. „Das ist die letzte Schirmherrschaft, die ich übernommen habe. Die Hotels laufen gut, aber die Hochzeitsindustrie spielt verrückt. Die Konkurrenz aus Übersee ist unschlagbar.“

„China?“

Martin nickte. „Es bleibt keine Gewinnmarge mehr. Selbst im extrem hochpreisigen Segment ist es mehr als sportlich, überhaupt noch etwas verdienen zu wollen.“

„Die Leute werden immer heiraten“, meinte Nikos. Andere Leute. Vielleicht alle außer ihm.

„Schon, aber es ist nicht mehr das, was es mal war. Selbst diejenigen, die seit Jahren gut im Geschäft sind, haben arge Probleme. Gerade gibt einer meiner ältesten Geschäftspartner auf. Seine Tochter hat die Firma erst kürzlich übernommen.“

Im Gleichschritt gingen sie zur Lobby hinüber. Überall waren sie umgeben von jenen Dekorationsartikeln, die eine ganze Branche reich machten. Dabei baute sie auf nichts anderem auf als Hormonen und Träumen – Liebe und Hochzeit. Eine Scheinwelt, die Nikos völlig kaltließ.

„Es ist schade, sie ist ein nettes Mädchen – zumindest war sie es, als ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Aber sie ist mit der Situation überfordert.“

„Weil die Firma überschuldet ist oder weil sie kein Talent hat?“

„Vielleicht ein bisschen von beidem. Sie wird heute Abend auch da sein, und ich befürchte, sie möchte mit mir ins Geschäft kommen. Es fällt mir schwer, ihr zu sagen, dass sie selbst das Problem ist.“

„Ja, das ist schwierig“, stimmte Nikos zu. Schließlich musste auch er Martin einige unangenehme Wahrheiten eröffnen.

Jetzt standen sie am Eingang des großen Festsaals. Die Tische waren mit weißem Leinen eingedeckt, auf der Bühne machte eine Band missglückte Soundchecks.

Nicht mehr lange, und all die Macher der Hochzeitswelt würden erscheinen und sich selbst zu ihren Erfolgen in dieser verlogenen Branche beglückwünschen. Und er, der Mann, der nie wieder heiraten würde, sollte einen von ihnen auszeichnen und ihm einen kunstvollen Preis aus Plexiglas überreichen. Diese Ironie war kaum zu überbieten.

In diesem Moment erwachten die Bildschirme am Rand der Bühne zum Leben und zeigten rotgelockte Bräute in langen, wallenden Gewändern, die durch Getreidefelder liefen. Das gab ihm den Rest.

„Wie sieht der Ablaufplan aus?“, erkundigte er sich. „Immerhin steht auch uns beiden noch eine schwierige Unterhaltung bevor. Es ist mir wichtig, dass wir dafür genug Zeit haben.“

„Sobald das hier vorbei ist, versprochen.“

„Ich warte bis zehn Uhr. Dann reden wir, bis alle Unklarheiten aus der Welt geräumt sind. Danach verschwinde ich, Martin, und du wirst mich nie mehr wiedersehen.“

Ein Schatten huschte über das Gesicht seines Schwagers. Kurz senkte er den Blick, dann sah er wieder auf. „Verstanden“, sagte er und trat einen Schritt näher. „Aber es geht hier nicht nur um mich. Einige Menschen, denen Maria sehr nahestand, sind äußerst unglücklich, Nikos. Menschen, die du gut kennst.“

Als hätte ihn ein Lufthauch gestreift, richteten sich Nikos’ Nackenhärchen auf. Jemand überprüfte das Mikrofon auf der Bühne, und die Rückkopplung schickte ein unerträglich hohes Piepen über die Lautsprecher.

Menschen, die du gut kennst.

Er hatte angenommen, all das wäre mit dem Tod seiner Frau begraben worden. Aber offensichtlich hatte er sich geirrt. Diese Schatten verschwanden nicht an einem warmen Sommertag. Sie blieben. Drohend und dunkel.

„Okay, Martin“, erwiderte er und straffte die Schultern, als könnte er sich gegen das, was ihn erwartete, wappnen.

Er atmete tief durch. Ihm blieb keine Wahl. Eigentlich hatte man niemals wirklich die Wahl. Aber seine Mutter war in Sicherheit. Und das war das Einzige, was wirklich zählte.

Nachdenklich sah er Martin an. Es war nicht dessen Schuld. Niemand war verantwortlich außer ihm selbst.

„Lass uns später reden“, sagte er. „Wir kriegen das hin. Sie werden dich in Ruhe lassen.“ Im Gehen klopfte er Martin kurz auf den Rücken und bahnte sich dann seinen Weg zwischen den Tischen hindurch.

Zwei Meilen östlich von Maybury Hall, in dem hübschen Städtchen Lower Linton, bereitete sich Jacquelyn Jones ebenfalls gerade auf den Wedding Award vor. Und die Gefühle der Inhaberin der Brautmodenschneiderei Ariana ähnelten auf verblüffende Weise den Beklemmungen von Nikos.

Als Chefdesignerin des Geschäfts, das sich seit fünfzig Jahren in der geschmackvollen Ladenzeile an der Hauptstraße behauptete, hätte sie sich Hoffnungen auf einen Preis machen können. Ihrem Vater war es gelungen, er hatte fünf Auszeichnungen in den vergangenen zwanzig Jahren eingeheimst. Allerdings bevor seine Tochter das Geschäft übernommen hatte. Damals hatte die Firma noch gute Gewinne eingefahren.

Heute Abend würde sie aus einem ganz anderen Grund an der Preisverleihung teilnehmen. Sie war auf der Suche nach Geldgebern. Wenn sie keine fand, stand sie vor dem Ruin. Dann würde alles auseinanderfallen wie ein Brautkleid, das nicht sorgfältig genug genäht war.

Zuerst aber musste sie Barbara loswerden, die gerade durch den Garten ins Haus geschlüpft war, während Jacquelyn sich für den Abend umzog. Nachdem sie bereits fünfmal geheiratet hatte, war Barbara ihre beste Kundin, allerdings auch ihre anstrengendste. Ganz offensichtlich hatte sie Jacquelyns Angst gewittert – in dieser Hinsicht war Barbara wie ein Spürhund.

„Du gehst also tatsächlich zu der Preisverleihung in Maybury Hall?“, erkundigte sie sich, während Jacquelyn weiße Lilien in einer hohen Vase arrangierte. „Obwohl die Giftschlange Tim Brinley auch dort sein wird? Das machst du richtig! Geh hin und zeig es allen. Er hätte von der Gästeliste gestrichen werden sollen, statt als einer der Kandidaten für den Preis gehandelt zu werden.“

„Er kann nicht von der Gästeliste gestrichen werden, nur weil er untreu war, Barbara“, wandte Jacquelyn ein, obwohl ihr noch weitaus schlimmere Dinge einfielen, die man mit ihrem Ex-Verlobten hätte anstellen sollen. „Und er hat den Award verdient. Immerhin ist er ein hervorragender Fotograf.“

„Tss. Das sagst du. Aber seinen Erfolg verdankt er einzig und allein dir und deinen Kontakten. Und auch wenn du versuchst, den Eindruck zu erwecken, als machte dir die Trennung nichts mehr aus, weiß ich genau, wie sehr du noch leidest. Nach allem, was er dir angetan hat! Die Vorstellung, dass jeder hinter deinem Rücken darüber redet …“

„Mich wird überhaupt niemand beachten. Immerhin wird Nikos Karellis die Preisverleihung moderieren. Er wird die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“

„Was? Nikos Karellis, der Inhaber von House? Jener griechische Millionär, der noch dazu im Moment Single ist?“

„Soweit ich weiß, ist er Australier mit griechischen Wurzeln. Aber egal – mich interessiert er nicht.“

„Oh Jacquelyn“, stöhnte Barbara. „Hör auf, in allen Männern nur noch das Schlechte zu sehen. Tim ist ein Schuft, aber da schwimmen noch eine Menge andere Fische im Ozean. Und es wird Zeit, dass du die Angel auswirfst.“

„Das ist eine Preisverleihung, Barbara, keine Fisch-sucht-Fahrrad-Party.“ Sie richtete eine Lilie neu aus und begutachtete den Strauß.

„Aber – Nikos Karellis! Diese Chance kommt nie wieder. Denk nur, welche Türen er dir öffnen könnte. Und vielleicht würde das endlich deine Stimmung wieder etwas heben. Seit Tim dich sitzengelassen hat, bist du nicht mehr du selbst. Und das schlägt sich auch aufs Geschäft nieder. Du lässt die Zügel ziemlich schleifen, wenn ich das so sagen darf.“

Beharrlich ließ Jacquelyn ihren Blick auf den Lilien ruhen, auch wenn sie die Blumen nicht wirklich wahrnahm. Enttäuschung und Zorn wallten in ihr auf, und sie schloss die Augen.

Barbara hatte recht. Und dass es so offensichtlich war, machte es nur noch schlimmer. Sie hatte kaum noch genug Geld, um die Gehälter und Lieferverbindlichkeiten zu bezahlen, geschweige denn, den Laden zu renovieren. Und alle Quellen, über die sie sich Geld leihen könnte, waren versiegt. Die Bank forderte nachdrücklich, dass sie ihren Kredit endlich bediente, und ganz sicher würde sie keinen Investor für den Laden finden.

Sie wusste, dass sie in der Branche nicht wirklich ernst genommen wurde. Noch dazu wurde die Konkurrenz immer härter und die Gewinnspanne schmaler, während die Kosten stiegen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich aus dieser Spirale befreien sollte.

„Ich wüsste zu gern, was deine Eltern sich dabei gedacht haben, nach Südspanien zu verschwinden und dich hier mit dem Ganzen allein zu lassen, nach dem, was passiert ist. Kein Wunder, dass alles den Bach runtergeht.“

„Mum geht es mit ihrem Rheuma in Spanien einfach besser“, verteidigte Jacquelyn ihre Eltern. „Und ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen machen oder sich sogar verpflichtet fühlen zurückzukommen. Entschuldige mich bitte einen Moment …“

Sie stand auf, sammelte die abgeschnittenen Stielenden der Lilien ein und warf sie in den Mülleimer. Dann ging sie hinüber in ihre Schneiderwerkstatt und atmete tief durch. In dem lichtdurchfluteten Raum versuchte sie, zur Ruhe zu kommen, doch es gelang ihr nicht.

Vor ihr auf dem großen Arbeitstisch lagen die Entwürfe, die sie in den vergangenen Tagen angefertigt hatte. Sie schob sie zu einem Stapel zusammen und nahm sie vom Tisch. Ihr war bewusst, dass nichts Brauchbares darunter war. Ganz offensichtlich hatte sie ihr Talent für märchenhafte Brautkleider verloren. Zusammen mit ihrem Vertrauen auf Märchen. Deshalb brauchte sie Geld, um jemanden einzustellen, der ein besseres Händchen bewies als sie.

„Mach dir deswegen keine Sorgen“, hörte sie Barbaras Stimme aus der Küche. „Ich erwähne Ariana grundsätzlich nicht, wenn ich mit deinen Eltern telefoniere. Es gibt so viele andere Themen – immerhin passiert ziemlich viel in Lower Linton, wenn man bedenkt, wie klein der Ort ist.“

Und jeden Sonntag kaust du all die Gerüchte mit meinen Eltern durch, ergänzte Jacquelyn in Gedanken. Nichts bleibt unbemerkt oder unkommentiert. Absolut nichts.

Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Barbara mittlerweile im Türrahmen lehnte. „Barbara, es ist wirklich nett, dass du vorbeigekommen bist. Aber ich will dich nicht länger aufhalten – du hast bestimmt noch viel vor heute Abend.“

„Allerdings, es gibt noch einiges zu tun.“ Barbara ließ ihren prüfenden Blick durch das Atelier schweifen wie ein Detektiv in einem drittklassigen Film.

Während Jacquelyn noch überlegte, was sie übersehen haben mochte, entdeckte sie die schmutzigen Teetassen und den Haufen benutzter Handtücher, die sie nicht weggeräumt hatte. Wo auch immer sich Barbara heute Abend aufhalten mochte – der unordentliche Zustand ihres Ateliers würde ganz sicher Thema sein.

„Ich hoffe, du zeigst Tim Brinley, was er an dir verloren hat.“

Jacquelyn gelang ein Lächeln, und sie ordnete den Stapel Entwürfe neu. Die mit schnellen Strichen gezeichnete Figur auf dem ersten Blatt schien zu schmollen, als sie ihren Platz zuoberst verlor und unter die anderen geschoben wurde. Keine der Skizzen war wirklich brauchbar, und der Druck, endlich wieder etwas zu fabrizieren, das ein Verkaufsschlager wurde, lastete schwer auf Jacquelyn.

„Ich wette, Nikos Karellis würde dir gern aus der Klemme helfen. Er hat ein Auge für hübsche Frauen. Wenn alles andere versagt …“ Prüfend ließ Barbara den Blick über Jacquelyns Figur schweifen und hob eine ihrer perfekt nachgezeichneten Augenbrauen.

„‚Wenn alles andere versagt‘, was dann, Barbara? Was willst du damit andeuten? Dass ich mich einem völlig Fremden an den Hals werfen soll? Glaubst du wirklich, das wäre mein Stil?“

Die Schaufensterpuppen hinter ihr wirkten wie eine Jury kopfloser griechischer Göttinnen.

„Darling, wenn es dein Stil wäre, dich von einem Mann retten zu lassen, dann würdest du mittlerweile nicht bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken.“ Barbara griff nach ihrer Tasche. „An deiner Stelle würde ich mich jetzt schick machen. Deine Augen sehen ein bisschen verquollen aus. Ich finde allein hinaus.“

Damit verschwand sie mit klackernden Absätzen und hinterließ nur einen Hauch ihres Parfums.

Stocksteif blieb Jacquelyn stehen, bis sie den Motor von Barbaras Wagen aufheulen hörte. Dann seufzte sie und spürte, wie ihr schon wieder die Tränen in die Augen stiegen.

„Reiß dich zusammen“, herrschte sie sich an. Selbstmitleid brachte sie jetzt nicht weiter. Du wusstest genau, dass dieser Augenblick kommen würde. Seit fünf Jahren leitest du die Firma, und alles ist dir seither aus den Händen geglitten. Nun ist es passiert. Und dir bleibt genau eine Chance, um den Bankrott aufzuhalten.

Sie konnte niemand anders als sich selbst dafür verantwortlich machen, dass sie das Familienunternehmen zugrunde gewirtschaftet hatte. Anstatt sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, hatte sie sich Gedanken um Dinge gemacht, die es nicht wert waren. Wie Tim zum Beispiel.

Sie setzte sich, stützte die Ellbogen auf den Tisch und betrachtete die Skizzen, die vor ihr lagen. Sie waren nichtssagend. Irgendetwas fehlte, das konnte jeder Laie erkennen. Aber sie hatte keine Idee, was sie besser machen könnte. Von den ursprünglich zwanzig Entwürfen waren nur sechs geblieben, und auch die gefielen ihr nicht.

Als sie Victor, ihrem Musterschneider, die Skizzen gezeigt hatte, war er voll des Lobes gewesen. Doch Jacquelyn wusste, dass er nur höflich sein wollte. Sie hatte die Panik in seinem Blick gesehen. Wieder eine unverkäufliche Kollektion.

Das Licht im Atelier verblasste. Der Sonnenuntergang tauchte den Raum in einen hellvioletten Schimmer. Die Autos in der Hauptstraße fuhren fast alle Richtung London.

Wenn sie sich jetzt nicht beeilte, würde sie zu spät in Maybury Hall ankommen. Mochten auch alle anderen es kaum erwarten können, Nikos Karellis kennenzulernen – ihr Ziel am heutigen Abend war Dads millionenschwerer Freund Martin Lopez. Sie wollte versuchen, ihn zu überzeugen, dass er in ihr Geschäft investierte. Fünf Prozent würde sie ihm anbieten. Oder zwanzig. Was auch immer er wollte.

Sie hörte einen Wagen durch die kleine Straße hinter dem Haus fahren. Barbara würde doch wohl nicht etwa zurückkommen?

Hastig sprang sie auf, rannte die Treppe hinunter, schloss die Tür zum Garten und lehnte sich an das schwere, warme Holz. Dann horchte sie. Doch nur das Plätschern des Springbrunnens und das Summen der Bienen in den Blumenbeeten waren zu hören. Typische Sommergeräusche. Friedlich. Wenn sie es doch nur genießen könnte! Aber auch das war zum Teil ihre eigene Schuld. Statt erst mal die Welt zu erkunden, ehe sie das Familienunternehmen übernahm, hatte sie sich zwischen Seide und Tüll, Perlen und Edelsteinen vergraben.

Gedankenverloren sah sie durch die Fenster der Boutique nach draußen. Im Atelier waren Märchen wahr geworden. Manch eine Braut hatte sich hier in eine Prinzessin verwandelt und sich ihre Träume erfüllt.

Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sie an all das geglaubt hatte. Ein Leben lang, bis dass der Tod euch scheidet.

Wie sehr sie sich geirrt hatte. Leere Worte, nichts weiter.

2. KAPITEL

Jacquelyn knipste ihr Lächeln an und griff nach einem Glas Champagner. Sie hatte nicht vor, ihn zu trinken, aber so hatte sie wenigstens das perfekte Accessoire in der Hand.

Auch wenn sie am liebsten gestorben wäre, wusste sie den Schein zu wahren. Ihr Kleid aus himmelblauem Satin war ein Traum. Wie hätte es auch anders sein können?

Das ärmellose Oberteil aus leichtem Chiffon ging über in einen schwingenden langen Rock. Ihr glänzendes blondes Haar hatte sie kunstvoll hochgesteckt, sodass ihr langer Hals und ihre makellosen Schultern zur Geltung kamen. Sie trug eine dünne Kette mit einer einzelnen Perle. Beim Make-up war sie zurückhaltend gewesen, hatte ihre Vorteile gekonnt herausgearbeitet und mit den richtigen Farben gezaubert. Schließlich war sie Profi – wenn sie es nicht schaffte, wer dann?

Charmant lächelte sie in die Kamera, als ein Fotograf an ihren Tisch trat. Dann ließ sie den Blick wieder suchend über die Menge schweifen. Niemand heute Abend ahnte, wie es um sie und die Firma bestellt war. Das Risiko, dass ihre Eltern davon erfuhren, war viel zu groß.

„Das beste Aushängeschild, das du hast, bist du selbst“, hatte Dad immer gesagt.

„Pass auf, dass die Schuhe, in denen du läufst, nicht zu groß für dich sind“, hatte Mum dagegen stets gewarnt.

Jacquelyn versuchte, ihre Schultern zu straffen, doch sie stellte fest, dass sie schon mehr als aufrecht stand. Dann wandte sie den Kopf nach links, um unauffällig zu sehen, ob Martin inzwischen aufgetaucht war.

Als Dad sie heute am Telefon auf die Preisverleihung angesprochen hatte, war es ihr gelungen, vermeintlich lässig zu reagieren. Natürlich sei es kein Problem, dass auch Tim da sein würde, hatte sie versichert. Wenn sie die Gelegenheit hätte, würde sie sich mit Nikos Karellis unterhalten. Und ja, natürlich erinnerte sie sich an Dads alten Freund Martin Lopez. Sie versprach, ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Selbstverständlich sagte sie nicht, dass sie insgeheim all ihre Hoffnungen auf ihn setzte.

Sie bemerkte, dass ihr Lächeln verblasst war und sie unwillkürlich die Stirn gerunzelt hatte. Hastig arbeitete sie an ihrer Mimik und tat so, als verbrächte sie den wundervollsten Abend in der Gesellschaft ihrer Tischnachbarn.

„Ich habe gehört, Nikos Karellis soll angekommen sein.“

„Er soll sich gerade frisch machen, heißt es. In der Hochzeitssuite. Allerdings ohne Braut.“

„Haha. Ich frage mich, wer wohl die zweite Mrs. Karellis wird.“

„Ich habe gerade erst erfahren, dass er mit Maria Lopez verheiratet gewesen ist. Sie hätte ja seine Mutter sein können!“

„Nach einer zweiten Mutter wird er sich wohl kaum umsehen.“

„Vorher habe ich noch nie von ihr gehört …“

Autor

Bella Frances
Im Alter von zwölf Jahren entdeckte Bella Frances ihre Leidenschaft für romantische Geschichten – zwischen Strickmusterbögen und Rezepten in den Zeitschriften ihrer Großmutter. Ganz und gar mitgerissen aber war sie erst, als sie in einem langen, heißen Sommer nach ihrem ersten Abschluss in englischer Literatur die Romane von Mills &...
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