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Das ist die Chance, auf die Natalie gewartet hat - sie erhält den Auftrag, Senator Chaneys Biografie zu schreiben. Und da dieser einen unehelichen Sohn namens Josh hat, macht Natalie sich auf den Weg nach Oklahoma, um ihn zu interviewen. Kaum in Hickory Bluff angekommen, wird sie von einem Mann begrüßt, dessen Anblick ihr glatt den Atem verschlägt: J.T., wie Josh sich vorstellt, hat eine unglaublich männliche Figur, breite Schultern, schmale Hüften - ein Traummann! Mit jedem Interview, das Natalie mit ihm über seinen Vater führt, wird deutlicher, dass es zwischen ihnen knistert und das Verlangen lichterloh brennt. Obwohl Natalie sich vorgenommen hat, nur an ihre Karriere zu denken, die nach einem Skandal sehr gelitten hat, kann sie nicht anders: Sie verliebt sich in J.T. und schenkt ihm ihr Herz. Doch dann erfährt sie, dass er sie die ganze Zeit belogen hat - er ist gar nicht der Sohn des Senators ...


  • Erscheinungstag 28.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755720
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Brief kam am Dienstagmorgen – ein blassgrüner Umschlag ohne Absender, in zierlicher Schrift an J.T. Rawlins adressiert. Er stammte aus Alabama, dem Herzen der Südstaaten, der Heimat des ehrwürdigen, kürzlich in den Ruhestand getretenen Senators Boyd Chaney und einer unglaublich hartnäckigen Reporterin namens Natalie Grant, die an der Biografie des besagten Senators arbeitete.

Der Briefbogen in dem Umschlag war ebenfalls blassgrün. Der Text war höflich formuliert, aber dennoch bedrohlich und der Auslöser für eine außerordentliche Zusammenkunft aller vier Mitglieder der Familie Rawlins.

Tate saß auf seinem üblichen Stuhl links neben seiner Mutter Lucinda, die das Kopfende des Tisches einnahm. Sein sechzehnjähriger Sohn Jordan und Tates Halbbruder Josh saßen zu ihrer Rechten. Tates und Joshs Väter hatten nie zur Familie gezählt, ebenso wenig wie Jordans Mutter.

Alle außer Lucinda trugen den gleichen finsteren Ausdruck zur Schau. Ihre Miene hingegen wirkte schuldbewusst, besorgt und beschämt. Bisher hatte sie noch kein Wort gesagt.

„Nun?“, fragte Josh.

Tate spürte drei Augenpaare auf sich ruhen. Der Plan, den die drei ausgeheckt hatten, gefiel ihm ganz und gar nicht. Josh und Lucinda wollten, wie bereits vor dem Eintreffen des Briefes arrangiert, die nächsten Wochen bei ihren Eltern im Süden von Oklahoma verbringen und Grandma auf der Ranch zur Hand gehen, da Grandpa sich vor zwei Tagen ein Bein gebrochen hatte.

Tate hatte vorgeschlagen, Lucinda zu begleiten und Miss Alabama Josh zu überlassen. Auch wenn sie dieselben Initialen hatten, war schließlich Josh der J.T. Rawlins, den sie interviewen wollte.

Sogar Jordan missfiel diese Idee. Denn Josh war nicht gerade ein ausgeglichener Mensch. Lucinda entschuldigte sein Verhalten als impulsiv. Laut Grandpa redete er, ohne vorher sein Gehirn einzuschalten. In seinen neunundzwanzig Jahren hatte er sich sehr häufig in Schwierigkeiten gebracht. Er war von der Schule und aus Bars geflogen und einige Male im Gefängnis gelandet. Es war nicht abzusehen, welche Probleme er mit einer neugierigen Reporterin bekäme.

Tate wandte sich an Lucinda. „Was erwartest du von mir?“

„Die Entscheidung liegt bei dir.“

„Warum kann ich ihr nicht einfach sagen, dass ihr für ein paar Wochen verreist seid?“

„Hast du den Brief nicht richtig gelesen, Tate?“, warf Josh ärgerlich ein. „Sie ist entschlossen, so lange wie nötig zu bleiben. Es dürfte nicht schwer für sie sein herauszufinden, wo wir sind. Du willst doch wohl nicht, dass sie unangemeldet bei Gran auftaucht!“

Nein, dachte Tate. Allein die Erwähnung des Namens Boyd Chaney löste bei AnnaMae Rawlins bis zu diesem Tage Wutausbrüche oder Tränen aus.

Josh schob den Stuhl zurück. „Kann ich draußen mit dir reden?“

Tate folgte ihm auf die Veranda. Es war ein drückend heißer Tag. Seit fast drei Wochen betrug die Temperatur über vierzig Grad, und es hatte seit über einem Monat nicht mehr geregnet.

Josh stützte sich auf das Geländer und blickte zu den Pferden auf der Weide. „Ich weiß, dass du es nicht tun willst, dass es hinterlistig und gemein ist. Aber sie spielt auch nicht gerade fair. Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht interviewt werden will. Ich habe es ihr höflich gesagt, ich habe es ihr grob gesagt, und sie kommt trotzdem. Ich bin ihr nichts schuldig, und Mom schon gar nicht.“

Tates Brust war wie zugeschnürt. Zu lügen, sich für seinen Bruder auszugeben, war falsch. Er hätte es nicht für eine Sekunde erwogen, stünden nicht das Privatleben und der Ruf der ganzen Familie auf dem Spiel.

Natalie Grant belästigte Josh schon seit Monaten. Sie hatte unzählige Male angerufen. Er hatte sie abgewiesen, einfach aufgelegt und ihre Nachrichten ignoriert. Sie hatte geschrieben, und er hatte ihr einmal ablehnend geantwortet und die weiteren Briefe ungeöffnet zurückgehen lassen. Aber nichts hatte sie davon abgehalten, die Reise von Montgomery nach Hickory Bluff anzutreten.

Und sie hatte guten Grund zu Beharrlichkeit. Angesichts Chaneys politischer Macht, seinem Reichtum, der Vorliebe seiner Familie für Skandale und der Vorliebe der Amerikaner für Klatsch musste ihr Buch einfach ein Bestseller werden. Sie stand im Begriff, eine hübsche Summe zu verdienen, indem sie Tates Familie in den Schmutz zog.

„Was glaubst du wohl, wie fair Miss Alabama zu uns sein wird?“, gab Josh zu bedenken. „Er selbst hat sie auserkoren, das Buch zu schreiben. Du kannst verdammt sicher sein, dass er als der Gute hingestellt wird. Sie wird behaupten, dass Mom …“ Er brauchte den Satz nicht zu beenden.

Tate war dem illustren Senator nur einmal begegnet, im Alter von etwa fünf Jahren. Chaney war kurz vor den Neuwahlen in ihre Wohnung in Montgomery gekommen und hatte Geld gebracht, um die hochschwangere Lucinda zu überreden, den Staat zu verlassen und die Identität ihres Babys geheim zu halten.

Tate hatte nicht viel von dem Gespräch verstanden, aber nie den hässlichen Klang von Chaneys letzter Bemerkung vergessen: „Habgierige Hure.“ Daraufhin hatte Lucinda zu weinen begonnen und Tate nicht zu fragen gewagt, was das bedeutete. Schließlich hatte er es selbst herausgefunden, und seitdem hasste er Chaney.

Joshs Stimme riss ihn aus den Erinnerungen. „Sie wird es so darstellen, als ob es Moms Gewohnheit wäre, Affären mit verheirateten Männern einzugehen, schwanger zu werden und sie zu erpressen. Und die Tatsache einfließen lassen, dass ihr älterer nicht ehelicher Sohn auch einen nicht ehelichen Sohn hat. Und damit würden wir alle in Verruf geraten!“

„Und was ist, wenn sie die Wahrheit herausfindet?“

„Du verbreitest in der Stadt, dass niemand mit ihr reden soll“, antwortete Jordan von der Tür her. „Mach zur Bedingung, dass sie nur dich und mich befragen darf. Nicht Grandma, nicht die Nachbarn, niemanden, der uns kennt.“

„Und wenn sie zustimmt, soll ich ihr etwa glauben, dass sie Wort hält?“ Eine Reporterin, die in anderer Leute Privatleben schnüffelte, erschien ihm nicht gerade vertrauenswürdig.

„Wir lassen sie einfach nicht allein in die Stadt.“

Tate schüttelte den Kopf. „Es gibt kein wir in dieser Sache. Ich will dich nicht hineinziehen. Du bleibst ihr fern, redest nicht mit ihr und …“

„Dad, ich lebe hier, und ich kann nicht wegfahren. Ich muss zum Footballtraining. Außerdem bin ich alt genug, um aufzupassen, was ich sage.“ Er grinste. „Und du brauchst mich als Anstandsdame. Grandma und ich meinen, dass sie hier wohnen sollte. Dadurch können wir sie im Auge behalten und brauchen nicht darauf zu vertrauen, dass sie Wort hält.“

Josh klopfte Jordan auf die Schulter. „Gute Idee. Haltet sie an einer kurzen Leine und kontrolliert alles, was sie tut.“

„Ich will keine Fremde in meinem Haus haben“, protestierte Tate.

„Sie soll ja bei Grandma wohnen“, entgegnete Jordan. „Wenn sie nämlich im nächsten Motel absteigt, fährt sie die Hälfte der Zeit hin und her.“

„Was interessiert es uns, ob sie die Hälfte der Zeit unterwegs ist?“, wandte Tate ein.

„Je mehr Zeit sie ohne einen von uns verbringt, umso mehr Gelegenheit hat sie, andere Leute zu treffen, und umso wahrscheinlicher ist es, dass sie Fragen stellt und Antworten kriegt.“

Schweiß rann über Tates Rücken, ihm war flau im Magen, und sein Kopf begann zu schmerzen. Er war ein ehrlicher Mensch. Er hatte nie in der Schule geschummelt, nie bei seiner Steuererklärung gemogelt, nie eine Frau betrogen. Vierunddreißig Jahre lang hatte er anständig gelebt und sich einen Ruf verdient, auf den ein Mann stolz sein konnte.

Er holte tief Luft und sagte widerstrebend: „Also gut.“ Denn es gab nichts, was er für seine Familie nicht getan hätte. Sie hatten nie viel besessen, aber sie hielten zusammen. „Ich werde es sicher bereuen, aber nun gut.“

Wie viele andere Reporter hatte Natalie sich vorgenommen, ein Buch zu schreiben, wenn sie die Zeit dazu fand. Nun hatte sie die Zeit und den Vertrag und die volle Kooperation der betreffenden Person. Sie hatte genügend Material gesammelt, um ein Dutzend Bände über den Senator zu schreiben, der ihr ganzes Leben lang das Land regiert hatte.

Nur die Kooperation eines seiner Abkömmlinge fehlte. Die Halsstarrigkeit dieses einen Mannes konnte sie das Projekt kosten.

Nach seinem Rücktritt aus dem politischen Leben hatte Chaney sie auserkoren, seine Biografie zu schreiben, aber darauf bestanden, dass sie persönlich jeden einzelnen seiner Angehörigen interviewte – seine sechs Exfrauen, neun Kinder und sieben Enkelkinder. Alle hatten bereitwillig mitgearbeitet, bis auf einen. Der vierte Sohn, das fünfte Kind, der einzige nicht eheliche Nachwuchs. J.T. Rawlins.

Schon seit Monaten versuchte sie vergeblich, ein Interview mit dem Sohn zu arrangieren, von dem bisher noch nie jemand etwas gehört hatte. Daher befand sie sich nun neunzehn Meilen entfernt von Hickory Bluff in einem billigen Motel. Sie beabsichtigte, J.T. aufzusuchen, vernünftig mit ihm zu reden und ihm zu versichern, dass sie keine Bedrohung war und sein Leben nicht durcheinander bringen wollte.

Ja, richtig, dachte sie sarkastisch. Sie wollte nur die persönlichen Details seines Lebens in ein Buch schreiben, damit jeder es lesen konnte. Sie wollte der Welt verkünden, dass seine Mutter eine Affäre mit einem äußerst reichen und mächtigen verheirateten Mann eingegangen war. Was würde das dem Ruf der Familie antun? Wie würde es sich auf die Beziehung zu ihren Mitmenschen auswirken?

Es tat ihr leid, aber sie hatte keine andere Wahl. Sie brauchte dieses Projekt. Sie hatte bereits einmal versagt, und es hatte sie ihre Karriere, ihre Beziehung zu ihrer Familie und ihre Selbstachtung gekostet. Es war ihre Chance, sich zu rehabilitieren.

Mit Laptop, Fotoapparat und Kassettenrecorder in der großen Schultertasche verließ Natalie das Motelzimmer und stieg in ihren Ford Mustang Cabrio. Musik der Doors dröhnte aus dem Radio, als sie über den Highway in Richtung Hickory Bluff fuhr und an die Ereignisse der vergangenen fünfzehn Monate zurückdachte, die sie hierher geführt hatten. Sie dachte an die Zeitungsartikel, die ihr Auszeichnungen und Anerkennung eingebracht hatten, an den Neid, den Skandal und die Wahrheit, die nur sie und eine weitere Person kannten. Niemand hatte zu ihr gehalten – nicht ihr Verleger, nicht ihr Vater, nicht ihre beste Freundin. Eine großartige Karriere war vernichtet worden, weil sie der falschen Person vertraut hatte.

Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt, hatte ihr Vater ohne jedes Mitgefühl gesagt, und sie hatte gelernt. Ihr neues Motto lautete: kein Vertrauen, keine Liebe, kein Engagement außer für die Story.

Als sie das Ortsschild von Hickory Bluff passierte, verlangsamte sie das Tempo und blickte sich um. Sie passierte einen grünen Wasserturm, einige Bürogebäude, ein Schulhaus aus rotem Backstein, ein Footballstadion und Baseballfelder. An jeder Ecke schien sich eine Kirche zu befinden.

Sie parkte vor dem Postamt, einem kleinen Gebäude mit gelber Fassade. Die Glastür führte in einen winzigen Raum. Nur ein alter weißhaariger Mann war zu sehen, der gerade einen Stapel Briefe sortierte. Flüchtig blickte er sie an, ohne zu sprechen oder seine Arbeit zu unterbrechen. Sie wartete geduldig.

„Nun?“, fragte er nach einer Weile. „Wollen Sie nur da rumstehen, Miss, oder möchten Sie etwas?“

„Ich suche J.T. Rawlins.“

„Haben Sie es bei ihm zu Hause versucht? Wenn ich jemanden suchen würde, würde ich da anfangen, wo er sich vermutlich aufhält.“

„Ich weiß nicht, wo er wohnt. Die Adresse, die ich habe, lautet 2111 Rawlins Ranch Road.“

„Die ist richtig.“

Sie wartete, aber er fuhr nicht fort. „Können Sie mir sagen, wie ich fahren muss?“

„Sicher. Erst nach Westen, dann nach Norden. Ungefähr fünf Meilen. Nicht zu verfehlen.“ Als sie nicht ging, hakte er nach: „Nun? Ist sonst noch was?“

„Ganz Oklahoma liegt praktisch westlich von hier. Könnten Sie etwas präziser sein?“

Er verdrehte die Augen und deutete zum Fenster. „Sehen Sie die Straße da drüben? Nehmen Sie die bis zur alten Mayfield-Scheune. Da biegen Sie rechts ab und fahren ein paar Meilen nach Norden.“

„Und wie soll ich die Scheune erkennen?“

„Das werden Sie schon merken.“

Mit einem angespannten Lächeln bedankte Natalie sich und kehrte zum Wagen zurück. Sie fuhr vorbei an einigen Geschäften, einem Kindergarten und einer verlassenen Fabrik, die der verblichenen Aufschrift zufolge früher einmal Backstein hergestellt hatte.

Meile um Meile verging. Sie befürchtete schon, dass sie in die Irre geführt worden war, als eine Scheune in Sicht kam. Sie war achteckig, leuchtend rot gestrichen und in großen Lettern mit Alte Mayfield-Scheune bezeichnet.

Natalie bog nach rechts in einen Feldweg ab. Nach genau viereinhalb Meilen erreichte sie einen hölzernen Torbogen mit der Aufschrift Rawlins-Ranch. Die Auffahrt bestand aus Kies und Sand und führte zwischen eingezäunten Weiden hindurch. Mehrere hundert Yards von der Straße entfernt stand ein Haus, das die Farbgebung eines mit Schlagsahne verzierten Kürbiskuchens aufwies. Es war seltsam aufgeteilt – zwei durch eine breite Veranda getrennte Hälften unter einem Dach. Die Rasenfläche davor war gelb vor Dürre, aber die Blumen in den Beeten ringsherum und in Töpfen auf der Veranda standen in voller Blüte.

Natalie parkte im Schatten eines großen Baumes, der bereits die Blätter verlor, stieg aus und strich sich das Kleid glatt. Irgendwo bellte ein Hund, aus Richtung der Scheune erklang Musik, Vögel zwitscherten und der Wind raschelte in den Blättern. Es war nicht unbedingt still, aber es waren andere Geräusche, als sie gewöhnt war. Zu Hause in Alabama herrschte ständig Kindergeschrei, Verkehrslärm, Baulärm, das Geheul von Sirenen.

Sie ging zum Haus, klopfte zuerst an die eine, dann an die andere Tür. Als niemand antwortete, ging sie zur Scheune. Das abgestorbene Gras knackte unter ihren Schuhen, und die Pferde auf der Weide reihten sich am Zaun auf und beobachteten sie. Sie folgte den Klängen der Musik hinter die Scheune und blieb abrupt stehen.

Die Musik – ausgerechnet Country, dachte sie mit gerümpfter Nase – kam aus einem Kofferradio, das auf einem Baumstumpf stand. Einige Meter dahinter stand ein uralter Pick-up mit jämmerlich verblichenem grünem Lack und geöffneter Motorhaube. Ein Mann in hautengen, verblichenen Jeans und schmutzigen Stiefeln beugte sich über den Motor. Sein gebräunter, vor Schweiß glänzender Oberkörper war nackt.

Natalie schluckte schwer. Einen Moment lang betrachtete sie ihn geradezu lüstern. Dann räusperte sie sich. „Entschuldigung. Ich suche J.T. Rawlins.“

Er richtete sich auf und musterte sie lange, ohne zu lächeln oder sich zu nähern. „Wer sind Sie?“

Sie blickte in sein sehr hübsches, sehr jungenhaftes Gesicht und schätzte ihn auf irgendwo zwischen fünfzehn und zwanzig – viel zu jung für ihre erotischen Gedanken. „Natalie Grant. Ich glaube, Mr. Rawlins erwartet mich.“

Die nächsten Worte ertönten direkt hinter ihr. „Warum sollte er Sie erwarten, obwohl er Ihnen sehr deutlich mitgeteilt hat, dass er nicht an Ihrem Buch interessiert ist?“

Sie drehte sich um und erblickte eine größere, ältere Version des Jungen, ebenfalls in engen Jeans und schmutzigen Stiefeln. Der Oberkörper des Mannes war ebenfalls entblößt. Gebräunte Haut straffte sich über ausgeprägten Muskeln. „Mr. Rawlins, nehme ich an.“

„Miss Grant.“

Sein Anblick verschlug ihr förmlich den Atem, obwohl sie erwartet hatte, dass er gut aussah. Denn sein Vater und seine acht Halbgeschwister sahen geradezu blendend aus, aufgrund von Veranlagung und äußerst kostspieligem Styling. Alle besaßen perfekte schneeweiße Zähne, nahtlos gebräunte Körper ohne ein Gramm Fett zu viel, perfekte Frisuren. Sie alle waren auf kunstvolle Weise wundervoll.

Doch sie konnten ihrem Halbbruder nicht das Wasser reichen. Seine Bräune und Muskeln stammten von stundenlanger harter Arbeit in der Sonne, nicht von Solarien und Fitnessclubs. Sein dunkles Haar war völlig zerzaust. Sie hätte wetten können, dass sein Lächeln wie alles andere an ihm von Natur aus perfekt war, aber sie bezweifelte, dass sie in den Genuss kommen würde, es zu sehen.

„Ich vermute, dass Sie meinen letzten Brief nicht erhalten haben“, brachte sie mühsam hervor.

„Wir haben ihn erhalten und erwogen, das Tor vor Ihnen zu verschließen und Sie vom Sheriff aus dem Land jagen zu lassen.“

„Aber Sie haben es nicht getan.“

„Manche Plagen verschwinden, wenn man sie lange genug ignoriert. Andere erfordern eine andere Lösung.“

Es gefiel ihr nicht sonderlich, als Plage bezeichnet zu werden, aber sie konnte es ihm kaum verdenken. „Und welche Lösung haben Sie für mich ausgesucht? Kapitulation?“

„Wohl kaum“, entgegnete er trocken. „Eher einen Kompromiss.“

„Meinen Sie damit, dass Sie mir alles sagen, was ich wissen will, damit ich schnell wieder aus Ihrem Leben verschwinde?“

„Ich meine damit, dass ich die Fragen beantworte, die mir passen. Was den Rest angeht – nun, da müssen Sie ohne Antwort leben.“

„Oder sie mir anderswo besorgen.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie reden nur mit uns. Wir wollen nicht, dass Sie in der Stadt Fragen über uns stellen oder unsere Freunde und Nachbarn belästigen. Und meine Mutter, mein Bruder und sein Sohn Jordan sind für Sie tabu.“

Natalie musterte ihn. Obwohl seine Haut vor Schweiß glänzte, schien er die elendige Hitze nicht zu spüren. Er schien gar nichts zu bemerken außer ihr, doch es war die Aufmerksamkeit eines Raubtieres gegenüber seiner Beute. Einen Moment lang fragte sie sich, wie es sein mochte, wenn er ihr diese intensive Beachtung von Mann zu Frau schenkte.

Kein Vertrauen, keine Liebe, kein Engagement außer für die Story, ermahnte sie sich. Auf ein Interview mit seinem Bruder und seinem Neffen konnte sie verzichten, aber ihr lag sehr an einem Gespräch mit Lucinda Rawlins. Sie wollte wissen, wie die Affäre begonnen hatte, wie eine kleine Kellnerin die Aufmerksamkeit des mächtigen Senators von Alabama hatte erringen können. Hatte sie sich in ihn verliebt? Hatte er ihr Zärtlichkeit und Zuneigung entgegengebracht? Wie hatte sie sich dabei gefühlt, ihren Sohn ganz allein aufzuziehen und seinen Vater im Fernsehen zu sehen, während er mit dem Präsidenten reiste, von der Königin von England empfangen wurde, mit dem Premierminister von Israel konferierte? Hatte sie ihr Geheimnis freiwillig gewahrt, oder hatte er ihr Schweigen erkauft?

„Sind das Ihre einzigen Bedingungen?“, fragte sie.

„Es gibt noch eine. Sie werden hier auf der Ranch wohnen, im Haus meiner Mutter, die verreist ist.“

Sie lächelte ironisch. „Und wenn ich in die Stadt fahre, wird zufällig einer von Ihnen dabei sein, richtig?“

„Schon möglich.“

„Wann ist Ihre Mutter denn verreist? Nachdem mein Brief angekommen ist?“

„Die Reise war schon vorher geplant. Sie und mein Bruder sind weggefahren, um … einem Freund zu helfen. Aber andernfalls wäre sie auch verschwunden. Sie werden sie nicht in diesen Schlamassel hineinziehen.“

Natalie widerstand dem Drang, ihn darauf hinzuweisen, dass Lucinda diesen Schlamassel selbst heraufbeschworen hatte, indem sie die Affäre mit Chaney eingegangen und schwanger geworden war – seiner Behauptung nach vorsätzlich. Stattdessen erkundigte sie sich: „Habe ich bei dieser Vereinbarung ein Mitspracherecht?“

„Sicher. Sie können sie annehmen oder ausschlagen.“

„Oh, wie großzügig. Natürlich nehme ich an. Ich bin bereits in einem Motel in Dixon abgestiegen und muss meine Sachen holen.“

„Spricht etwas dagegen, dass Jordan das übernimmt?“

Sie lächelte sarkastisch. „Sie meinen, ob Sachen von intimer Natur herumliegen? Akten? Entwürfe für das Buch?“

„Sie definieren von intimer Natur offensichtlich anders als ich.“

Mit glühenden Wangen wandte sie sich ab und reichte dem Jungen, der schweigend zugehört hatte, die Hand. „Ich nehme an, du bist Jordan. Du kannst mich Natalie nennen.“

Er zeigte ihr seine ölverschmierten Handflächen, und sie ließ ihre Hand wieder sinken und reichte ihm den Zimmerschlüssel. „Ich bin dir sehr dankbar, wenn du mir nach der langen Fahrt hierher weitere vierzig Meilen auf der Straße ersparst. Da sind zwei Koffer, ein Wäschesack, Papiere auf dem Tisch und die Kosmetika im Badezimmer.“

Jordan nahm den Schlüssel und ging zum Haus.

„Wie soll ich Sie ansprechen? Ziehen Sie J.T., Joshua oder Josh vor?“

„Ich ziehe es vor, wenn Sie mich gar nicht ansprechen.“

„Oh. Sinn für Humor. Den hat keiner der anderen Chaney-Kinder.“

Seine Miene verfinsterte sich. „Ich bin keins der Chaney-Kinder. Also nennen Sie mich nicht so.“ Er ging um den Wagen herum und kehrte mit einem Oberhemd zurück.

Sie beobachtete, wie er hineinschlüpfte und die Knöpfe schloss. Es war eine alltägliche Handlung, die sie unzählige Male gesehen hatte, doch bei ihm wirkte es lässig, geschmeidig, sexy. „Also, J.T., Joshua oder Josh?“

Ein gewisses Widerstreben lag in seiner Stimme, als er erwiderte: „J.T.“

2. KAPITEL

Tate hatte sich unter der Reporterin eine ältliche, prüde, dickliche Frau in zweckmäßiger Kleidung vorgestellt.

Natalie Grant war nichts dergleichen. Sie war wundervoll. Sie hatte endlos lange Beine und trug ein sommerliches Kleid, das kurz, ärmellos und hauteng war. Und sie war ein Rotschopf.

Ihr Anblick hatte ihm auf Anhieb den Atem verschlagen. Rotes Haar, vor allem dieser besondere Ton einer neuen, glänzenden Kupfermünze, stand an vierter Stelle auf seiner Liste an Schwächen – direkt hinter Jordan, Lucinda und Josh. Und lange Beine hatten einen beinahe ebenso hohen Stellenwert, zusammen mit dem erotischen Südstaatenakzent.

„Interessantes Layout“, bemerkte sie, als sie zusammen zum Haus gingen.

„Schwiegermutterprobleme.“

„Wessen?“

„Des Mannes, der das Haus vor sechzig Jahren gebaut hat. Seine Frau bestand darauf, dass ihre Mutter bei ihnen wohnt. Leider bestand das Ziel der alten Dame allein darin, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Also hat er dieses Haus in zwei Hälften mit einer Veranda dazwischen errichtet. Die Schwiegermutter wohnte in der nördlichen Hälfte, er und seine Frau in der südlichen. Jetzt bewohnt meine Mutter die nördliche Hälfte.“

„Und Sie, Tate und Jordan leben in der anderen Hälfte?“

Tate schluckte schwer. Er hatte sich darauf vorbereitet, auf den Namen Josh zu hören. Zum Glück hatten sie sich auf J.T. geeinigt, wie er schon öfter genannt worden war, sodass es ihm nicht völlig fremd erschien.

Doch bisher war ihm nicht bewusst geworden, dass er über sich selbst reden musste, als wäre er ein anderer. „Ich habe ein eigenes Haus auf dieser Ranch, aber ich wohne hier, während Tate weg ist.“

„Er vertraut Jordan nicht genug, um ihn allein zu lassen?“

„Er vertraut ihm bedingungslos. Jordan ist ein guter Junge.“

„Das bezweifle ich nicht. Aber bei Teenagern, so artig sie auch sein mögen, muss man immer mit Problemen rechnen.“

Das wusste niemand besser als Tate. Mit sechzehn hatte er geplant, aufs College zu gehen und sich eine Karriere aufzubauen. Dann hatte er Stephani Blake kennen gelernt und ihr ein Jahr später die Heirat angeboten, als sie schwanger geworden war. Doch sie hatte abgelehnt. Wie er hatte sie ihre Zukunft geplant, und darin war kein Platz für Ehemann und Kinder. Zwei Wochen nach seinem achtzehnten Geburtstag hatte sie Jordan zur Welt gebracht, eine Verzichtserklärung unterschrieben und sich aus dem Staub gemacht.

Tate hatte Ausbildung und Karriere vergessen und seine gesamte Energie darauf verwandt, Vater zu sein und die Ranch auf Vordermann zu bringen. Er hatte Windeln gewechselt, Fläschchen zubereitet und gelernt, ein strampelndes Baby zu baden und anzuziehen. Er und Jordan waren gemeinsam erwachsen geworden.

Er zweifelte nicht daran, dass Stephani ihm den besseren Teil zugedacht hatte. Wo immer sie sein, was immer sie tun mochte, ihr Leben konnte nicht so zufriedenstellend sein wie seines.

„Es ist hübsch hier. Haben Sie schon immer hier gelebt?“

„Überwiegend.“

„Haben Sie Angestellte?“

„Wir heuern Aushilfen an, wenn wir welche brauchen, aber für gewöhnlich schaffen wir es allein.“

„Und was züchten Sie?“

„Kälber.“ Er öffnete die Tür zu Lucindas Haus und führte sie in die Eingangshalle, von der Badezimmer, Abstellkammer, Esszimmer und Küche abzweigten.

Drinnen war es fünfzehn Grad kälter als draußen und dunkel, da die Fensterläden gegen die Sonne geschlossen waren. Es roch nach Möbelpolitur und Lavendel.

Natalie seufzte, als sie die Tür hinter sich schloss. „Egal, was andere auch sagen, trockene Hitze ist nicht angenehmer als feuchte Hitze. Wenn die Luft feucht ist, kann man wenigstens atmen.“

„Haben Sie immer in Alabama gelebt?“

„Nein. Wir sind viel gereist wegen des Berufs meines Vaters. Ich bin vor neun Jahren dorthin gezogen.“

„Was macht er denn beruflich?“

„Er ist jetzt im Ruhestand, aber er war Journalist. Vielleicht haben Sie von ihm gehört – Thaddeus Grant.“

Tate schüttelte den Kopf und fragte sich, warum sie sich selbst als Reporterin und ihren Vater als Journalisten bezeichnete. Ein milder Fall von Heldenverehrung vielleicht. Schließlich war sie in seine Fußstapfen getreten.

„Er hat so oft den Pulitzer-Preis gewonnen, dass man erwogen hat, ihn jedes Jahr automatisch an ihn zu verleihen, und das College, das er besucht hat, wurde nach ihm umbenannt. Jetzt hält er Vorlesungen in Journalismus.“

„Das klingt einschüchternd.“ Eindeutig Heldenverehrung, dachte er, aber da war noch etwas. Groll? Neid? Angst?

Er ging voraus durch die Küche ins Wohnzimmer und von dort in einen Flur mit vier weiteren Türen. „Das Schlafzimmer meiner Mutter, Badezimmer, Gästezimmer, Gästezimmer.“

Sie betrat das dritte Schlafzimmer und blickte aus dem Fenster auf Weiden und Wälder. „Es ist hübsch. Ist es mir gestattet, Lebensmittel einkaufen zu gehen?“

„Sicher. Sie können mich begleiten, wenn ich einkaufen gehe.“

„Es überrascht mich, dass Sie mir nicht meinen Wagenschlüssel abnehmen.“

Autor

Marilyn Pappano
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