Traummänner zum Anbeißen

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RETT MICH, GELIEBTER

Katie Devonworth sieht nur eine Chance, ihre kleine Zeitung zu retten: Sie muss Jack Reilly bewegen, in ihrer Heimatstadt Newport Falls zu investieren. Ihr Jugendfreund, mittlerweile erfolgreicher Investmentbanker in New York, soll über ein immenses Vermögen verfügen. Tatsächlich kann Katie ihn nach Newport Falls locken, aber sie ahnt, dass die geschäftliche Seite ihn wenig interessiert. Wie damals begehren sie einander heiß, und Katie ist glücklich, in seinen Armen sinnliche Höhepunkte der Leidenschaft zu erleben. Fast glaubt sie schon, den Affären erprobten Traummann für immer erobert zu haben, als sie erfährt, dass Jack demnächst für zwei Jahre nach England gehen wird ...

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LASS MICH DEIN TRAUMPRINZ SEIN

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  • Erscheinungstag 01.08.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727116
  • Seitenanzahl 650
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Margaret Allison, Ryanne Corey, Miranda Lee, Linda Miles, Jamie Sobrato

Traummänner zum Anbeißen

IMPRESSUM

Rett mich, Geliebter erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2004 by Cheryl Klam
Originaltitel: „At Any Price“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1323 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Christian Trautmann

Umschlagsmotive: GettyImages_Kiuikson_

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733746346

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Katie saß in dem eleganten Wartezimmer vor Jack Reillys Büro. Das ganze Gebäude gehörte ihm, ein Hochhaus aus Glas mitten in Manhattan.

Jack war sehr erfolgreich; jeder in Newport Falls wusste, dass er inzwischen Millionär war. Es mit eigenen Augen zu sehen war jedoch etwas anderes.

Sie hatte ihren ganzen Mut aufbringen müssen, um überhaupt einen Fuß in „Reilly Investments“ zu setzen. Ständig rief sie sich ins Gedächtnis, dass es doch nur Jack war, ihr Freund aus Kindertagen, nicht Donald Trump. Sie sollte nicht so eingeschüchtert sein, schließlich war sie diejenige gewesen, die ihn früher bei Kinderkrankheiten, Erkältungen und nach Auseinandersetzungen mit seinem Vater getröstet hatte.

Trotzdem hatte sie einen Kloß im Hals. Und die leise Stimme in ihrem Inneren, die ihr riet, einfach davonzulaufen, wollte auch nicht verstummen.

Jack wurde in den Zeitungen als selbstbewusster, kühner Millionär beschrieben, und Katie fragte sich, ob sie ihn wieder erkennen würde. Sicher, er war schon immer ein wenig großspurig gewesen, aber sie hatte auch den unsicheren Jungen gekannt. Ihm war seine Herkunft schmerzlich bewusst gewesen, und mit seiner Dreistigkeit hatte er das nur kaschieren wollen.

Nervös strich sie ihr Haar glatt, denn sie befürchtete, unmöglich auszusehen. Es war erst Mittag, doch ihr Tag hatte schon vor Stunden begonnen. Bevor sie sich mit Marcellas Auto auf den Weg machen konnte, hatte sie noch einiges für die Zeitung erledigen müssen. Es tat ihr leid wegen der zusätzlichen Meilen, die sie dem alten Gefährt aufbürdete, aber ihr blieb keine Wahl, da sie kein Geld hatte, um ihren eigenen Wagen reparieren zu lassen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Seit ihrer Scheidung war das Geld knapp. Und die Zeitung, seit Generationen im Besitz ihrer Familie, blutete finanziell ebenfalls aus. Sie hatte schon vor Monaten aufgehört, sich ein annehmbares Gehalt zu zahlen.

Katie schaute erneut auf ihre Uhr. Fast halb zwei. Sie und Jack waren schon für Viertel vor eins zum Lunch verabredet gewesen.

Vielleicht hatte es ein Missverständnis gegeben, und er wusste nicht einmal, mit wem er verabredet war. Schließlich hatte sie nur mit seiner Sekretärin gesprochen, und der hatte sie verschwiegen, dass sie den Großinvestor um ein Darlehen für ihre Zeitung bitten wollte. Ebenso wenig hatte sie ihr erzählt, dass Jack mehr als nur ein alter Freund war. Viel mehr.

Tatsächlich war Katie schon immer in ihn verliebt. Sie war überzeugt gewesen, dass sie füreinander bestimmt waren und hatte erwartet, ihre Freundschaft, die seit dem Kindergarten bestand, würde sich in Leidenschaft verwandeln. Doch da hatte sie sich geirrt.

Bisher hatte sie ihre Liebe nur einem einzigen Menschen gestanden: Jack selbst. Und wenn sie sich an dieses Geständnis erinnerte, errötete sie heute noch.

Es war im letzten Jahr auf der Highschool gewesen. Sie, Jack Reilly und Matt O’Malley waren ebenso unterschiedliche wie unzertrennliche Freunde. Sie, Katie Devonworth, Tochter des Besitzers und Herausgebers der Zeitung von Newport Falls, war der verlässliche, zielstrebige Typ. Matt dagegen, Sohn eines Lehrers, änderte ständig seine Meinung darüber, wer er war und was er wollte. Jack, Sohn eines arbeitslosen Alkoholikers, war zielstrebig und entschlossen, etwas aus seinem Leben zu machen.

Eines Tages hatten sie und Jack allein am Fluss gesessen, geangelt und über Gott und die Welt geredet. Katie sah die Szene noch immer ganz deutlich vor sich. Es war ein ungewöhnlich warmer und schöner Tag. Auf den Bergen, die Newport Falls umgaben, lag noch etwas Schnee. Doch im Tal, wo sie geangelt hatten, schien die Sonne am klaren Himmel.

Als sie erklärte, ihr sei warm, sah Jack sie mit einem Funkeln in seinen blauen Augen an. Er legte seine Angelrute beiseite, sprang auf und zog sein Hemd aus. „Du hast recht. Ein Bad wäre bestimmt gut.“

„So warm ist es nun auch wieder nicht. Der Fluss ist noch eiskalt.“

„Komm schon. Es wird dir gut tun.“ Mit einem mutwilligen Grinsen war er näher gekommen. Damals sah er so sexy wie ein Filmstar aus: markantes Gesicht, durchdringende blaue Augen und schwarzes Haar. Je länger sie ihn ansah, desto unsicherer wurde sie. Es war ihr immer schon schwergefallen, ihm etwas abzuschlagen.

„Lieber nicht.“ Sie war bereit, einiges in Kauf zu nehmen, um mit Jack allein zu sein. Aber sie war sich ziemlich sicher, dass es für eine Romanze nicht unbedingt förderlich wäre, ins eiskalte Wasser zu springen.

„Der Trick besteht darin, ganz schnell zu sein“, erklärte er und machte einen weiteren Schritt auf sie zu. „Wirklich schnell.“

Sie hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Jack die Absicht hatte, sie ins Wasser zu werfen. Höfliche Gesten waren nicht seine Art. Trotzdem riss sich jedes Mädchen in der Stadt darum, in seiner Nähe zu sein, denn obwohl er raubeinig und wild war, war er doch der intelligenteste und charmanteste Junge in der Gegend.

„Jack Reilly!“, warnte sie ihn und hielt ihre Angelrute wie ein Schwert vor sich. „Denk nicht mal daran! Ich werde … ich werde dich stechen!“

Er nahm ihr die Rute einfach aus der Hand und warf sie weg. „Und womit?“

So schnell sie konnte, lief sie vom Fluss weg. Nachdem sie schon einen guten Vorsprung hatte, stolperte sie über eine Baumwurzel und stürzte in ein Beet wilder Erdbeeren. Jack holte sie ein und starrte entsetzt ihr rot bekleckertes T-Shirt an. „Du bist verletzt“, sagte er und wurde blass.

Doch als er sich vorbeugte, um zu sehen, woher das angebliche Blut kam, konnte sie ihr Lachen nicht länger zurückhalten. Sie versetzte ihm einen kräftigen Schubs, sodass er selbst rückwärts in den Erdbeeren landete. Dann rannte sie weiter.

Aber sie war nicht schnell genug. Jack packte sie von hinten, hob sie hoch und trug sie zum Fluss zurück. „Am Besten, wir machen dich mal sauber, Devonworth“, verkündete er.

„Ich schwöre dir, wenn ich auch nur einen nassen Zeh kriege, dann …“

„Was?“

Ihr Gesicht war seinem ganz nah, und plötzlich gab es nur noch sie und Jack. „Dann … dann …“

„Leere Drohungen“, meinte er, und sie spürte seinen Atem. Er wartete einen Augenblick, dann beugte er sich vor, als wollte er sie küssen. Sie schloss die Augen und flehte im Stillen, er möge es endlich tun.

Doch ihre Fantasie zerplatzte mit einem Schwall eisigen Wassers. „Jack!“, kreischte sie, als sie im Fluss landete. Als er sie wieder hochzog, brachte sie ihn zu Fall und landete mit ihm zusammen im kalten Wasser.

„Es gibt kein Entkommen“, sagte er und stieg aus dem Fluss. Als Katie das Ufer erreichte, warf er sie zu Boden, setzte sich auf sie und hielt ihre Arme über dem Kopf fest. „Gib auf, Devonworth.“

Plötzlich hielt er inne und beugte sich mit einem Ausdruck in den Augen über sie, als würde er sie zum ersten Mal richtig sehen. Er starrte ihr nasses T-Shirt an, das wie eine zweite Haut an ihr klebte und unter dem sich ihre Brüste deutlich abzeichneten. „Katie“, flüsterte er heiser.

Sie tat, was sie schon seit Jahren tun wollte, sie küsste ihn. Jack erwiderte den Kuss hungrig. Mit seiner Zunge erforschte er ihren Mund, während er seine Hände unter ihr T-Shirt schob. Sie spürte seine ungestüme Energie, als er ihre aufgerichteten Knospen streichelte. Obwohl sie noch Jungfrau war, hatte sie keine Angst. Sie wollte Jack. Sie sehnte sich danach, ihn in sich zu spüren, mit ihm zu schlafen. Sie war bereit und machte sich am Knopf seiner Jeans zu schaffen.

Dann, so schnell, wie sie aufgeflackert war, bekam Jacks Leidenschaft einen Dämpfer. Er löste sich von ihr und setzte sich auf. „Was tun wir da?“, fragte er und fuhr sich durch das Haar.

Sie schwieg einen Moment. Dann sagte sie: „Ich liebe dich, Jack. Ich habe dich immer geliebt.“

Er antwortete nicht, sondern stand auf und schob die Hände in die Taschen seiner nassen Jeans. Ohne ein Wort wandte er sich ab und ging davon.

Plötzlich stand Matt hinter ihr, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie schämte sich, dass er Zeuge dieser demütigenden Szene geworden war.

„Schon gut“, meinte Matt. „Ich weiß, dass du ihn liebst. Ich weiß es schon lange. Alle wissen es. Bloß Jack nicht.“

Katie erinnerte sich noch sehr gut an das schreckliche Gefühl. Alle in Newport Falls wussten es. Wussten, dass sie an unerwiderter Liebe litt.

Matt hielt ihr die Hand hin und zog sie hoch. „Du solltest wissen, dass er dich nicht liebt“, sagte er. „Du bedeutest ihm etwas, aber nicht so. Er wird dich niemals lieben.“

Und Matt hatte recht behalten. Denn sobald Jack konnte, verließ er Newport Falls.

Sie blieb und ging auf das College im Ort. Und als ihr Vater starb, übernahm sie die Zeitung, mit der es schon damals nicht zum Besten stand. Anschließend tat sie das einzig Vernünftige, was sie noch tun konnte: Sie heiratete Matt.

„Miss Devonworth?“ Die Stimme der attraktiven Sekretärin holte Katie in die Realität zurück. „Mr. Reilly wird Sie jetzt empfangen.“

Mit einem Anflug von Eifersucht fragte Katie sich, ob Jack mit dieser Frau etwas hatte. Und wenn? Jack bedeutete ihr nichts mehr. Nichts.

Dennoch pochte ihr Herz so laut, dass sie überzeugt war, jeder müsste es hören.

Katie ging durch die offene Doppeltür in Jacks Büro, das so beeindruckend wie das ganze Gebäude war. Es war riesig und hatte eine von der Decke bis zum Boden reichende Fensterfront. Es gab eine Sitzecke mit einer Couch und Sesseln und einen großen Konferenztisch. Das Herzstück des Büros war jedoch der mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Schreibtisch, der wie ein Thron vor der spektakulären Aussicht auf den Central Park stand.

Jack saß mit dem Rücken zu ihr an diesem Schreibtisch. Er schaute aus dem Fenster und telefonierte.

Ihn nach all der Zeit zu sehen, raubte Katie den Atem. Doch offensichtlich hatte sie kaum Wirkung auf ihn. Im Gegenteil, er schien noch nicht einmal ihre Anwesenheit registriert zu haben, als wäre sie unsichtbar.

Katie stand einige Minuten da und knetete nervös ihre Finger. Wieso hatte die Sekretärin sie hereingebeten, wenn er noch gar nicht bereit war? Und wie konnte er es wagen, sie wie einen Niemand zu behandeln? Sie war Katie Devonworth. Sie hatte ihn in fast jeder Schachpartie geschlagen, die sie gespielt hatten. Sie wusste, dass er derjenige war, der Mrs. Watkins Fenster zerschmissen hatte. Sie wusste, dass er geweint hatte, als sein Vater ins Gefängnis musste. Sie wusste …

Jack drehte sich zu ihr um und legte lächelnd den Hörer auf. Er hatte sich in den letzten Jahren nur wenig verändert. Um seine Augen hatten sich kleine Fältchen gebildet, und in den Haaren vereinzelt graue Strähnen, doch seine Wirkung war umwerfend wie immer. Er war nach wie vor der attraktivste Mann, den Katie je gesehen hatte.

„Katie“, begrüßte er sie und kam um den Schreibtisch herum. „Freut mich, dich zu sehen.“

Ein elektrisierendes Gefühl durchzuckte sie, als er ihr die Hand gab. Obwohl die Berührung völlig unschuldig war, schlug ihr Herz schneller. „Freut mich auch“, brachte sie mühsam hervor und zog ihre Hand zurück.

„Ich war überrascht, von dir zu hören“, erklärte er in unverbindlichem Plauderton, als sei es das Natürlichste auf der Welt, sie wiederzusehen.

„Tja“, erwiderte sie und versuchte ebenso leichthin zu klingen, „ich war ohnehin in New York, deshalb dachte ich, warum nicht mal Jack anrufen und schauen, ob er sich mit dir zum Lunch trifft.“

„Ich bin froh, dass du es getan hast.“ Er betrachtete sie einen Moment. „Es ist lange her.“

Katie senkte den Blick. Was hatte er nur an sich, dass sie sich wie ein nervöses Schulmädchen benahm?

Jack deutete zur Tür und nahm seinen Mantel. „Gehen wir.“

„Das ist alles sehr beeindruckend“, bemühte sie sich unbeholfen um Konversation, während sie auf den Fahrstuhl warteten.

„Danke.“ Auf dem Weg nach unten fragte er: „Und? Was treibt dich in die Stadt?“

„Ein Treffen mit Anzeigenkunden“, log sie. Der Fahrstuhl hielt, und mehrere Leute stiegen zu. Alle grüßten Jack.

„Wie läuft die Zeitung?“, erkundigte er sich.

„Ganz gut.“ Sie hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Das war nicht direkt eine Lüge. Die Berichterstattung war nie besser gewesen. Nur mit der Auflage haperte es.

„Da wären wir“, verkündete Jack, als der Fahrstuhl im Erdgeschoss hielt. Er nahm Katies Arm und führte sie hinaus. „Ich weiß ja nicht, was du geplant hast, aber ich fürchte, ich habe nicht viel Zeit. Nicht weit von hier gibt es ein italienisches Restaurant, falls du einverstanden bist.“

Katie war einverstanden. Insgeheim war sie froh, dass sie kein Restaurant aussuchen musste in einer Stadt, die sie kaum kannte. Sie gingen schweigend und erreichten schließlich ein kleines graues Gebäude mit roten Fensterläden.

„Das ist es“, sagte Jack. Drinnen wurden sie vom Manager begrüßt, der Jack sehr gut zu kennen schien. Er führte sie zu einem gemütlichen Tisch. Während sie die Speisekarte lasen, meinte Jack: „Die Hühnchen-Piccata ist sehr gut.“

Katie zog schlichtere Gerichte jedoch vor. „Wie sind die Spaghetti mit Hackklößchen?“

„Die Besten in der Stadt“, antwortete er. „Die nehme ich.“

„Dann nehme ich das auch“, erklärte sie und legte die Speisekarte weg. Als der Kellner kam, fragte Katie sich, ob die Unterhaltung mit ihrem alten Freund oberflächlich und seicht bleiben würde. Vielleicht hatten sie inzwischen nicht mehr gemeinsam als die Wahl des Hauptgerichts.

„Und?“, fragte Jack, nachdem sie bestellt hatten. „Wie läuft es in Newport Falls?“

„Bestens.“

„Es tat mir sehr leid, von deiner Mutter zu hören. Sie war ein wundervoller Mensch.“

Katie hatte nicht erwartet, dass er ihre Mutter erwähnen würde, die vor fast zehn Jahren gestorben war. Ihre Mutter hatte Jack und Matt geliebt und Katie prophezeit, dass sie einen von ihnen heiraten würde. Als sie von ihrer tödlichen Krankheit erfuhr, ermutigte sie Katie, schnell zu heiraten, damit sie noch an der Hochzeit teilnehmen konnte. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb Katie Matt geheiratet hatte.

Zum Glück hatte ihre Mutter das Scheitern dieser Ehe nicht mehr miterleben müssen. Katie und sie hatten sich sehr nahe gestanden, und ihren Tod würde sie nie ganz verwinden. „Danke für die Blumen, die du geschickt hast.“

„Natürlich.“ Er wandte den Blick ab.

Zuerst war sie enttäuscht gewesen, dass Jack sie damals nicht angerufen hatte. Doch dann war der Schmerz Neugier gewichen. Matt hatte eine Theorie zu Jacks Verschwinden aus ihrem Leben: Jack hatte sich neu erschaffen und wollte niemanden mehr um sich haben, der ihn an seine Herkunft erinnerte.

Die Kellnerin stellte die mit Spaghetti und Fleischklößchen beladenen Teller auf den Tisch, dazu köstlich duftendes Knoblauchbrot.

Katie nahm ihre Gabel und fragte sich, wie sie essen sollte, ohne sich über und über mit Soße zu bekleckern.

Jack schien das nicht zu kümmern. Er drehte seine Spaghetti auf die Gabel und aß mit herzhaftem Appetit. „Was ist los?“, fragte er. „Brauchst du noch etwas?“

„Nein.“ Sie stach mit der Gabel in den Berg Spaghetti und schob sie sich in den Mund. Eine Nudel rutschte herunter, und sie saugte sie geräuschvoll wieder auf.

Jack grinste. „Keiner isst wie du, Devonworth.“

Katie bezweifelte, dass die Frauen, mit denen Jack ausging, überhaupt viel aßen. Die, mit denen sie ihn in den Zeitungen gesehen hatte, waren alle gertenschlank und perfekt gestylt gewesen. Na ja, dachte Katie, ich bin eine echte Frau und stolz darauf. Ich habe das nicht nötig. Sie brach ihr Knoblauchbrot entzwei und biss herzhaft hinein.

„Schmeckt es dir?“, erkundigte sich Jack.

Sie nickte.

„Es gibt viele tolle Restaurants in der Stadt, aber dieses hier hat etwas Besonderes. Es erinnert mich an ‚Maccaroni’s‘ zu Hause.“

„Ja, es ist gut“, bestätigte sie mit vollem Mund.

Jack grinste erneut.

Sie kaute zu Ende und sagte: „Aber ‚Maccaroni’s‘ gibt es nicht mehr. Es hat vor ein paar Jahren zugemacht.“ Dieses Restaurant war nicht das einzige Geschäft, das in Newport Falls der Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen war. Jack würde die einst belebte Main Street nicht wieder erkennen. Viele der alten Läden waren verschwunden oder geschlossen.

„Tatsächlich? Das ist kaum zu glauben. Es war ewig da, nicht wahr?“

„So kam es mir jedenfalls vor“, bestätigte Katie.

Eine Weile sprach keiner von ihnen. Sie konzentrierten sich ganz auf das Essen. Doch Katie gelang es nicht, sich zu entspannen. Sie musste Jack um Geld bitten.

Schließlich sagte er: „Hast du jemals wieder von Matt gehört?“

Dann wusste er also von der Scheidung. Das überraschte sie nicht. Der Klatsch aus Newport Falls reichte weit über die Stadtgrenzen hinaus.

„Hin und wieder. Ich habe letzte Woche erst mit ihm gesprochen. Er meint, dass er bald nach Hause kommt.“

„Nach Hause?“

„Er ist auf den Bahamas.“ Eine Ehe ohne Leidenschaft war nicht das gewesen, was Matt erwartet hatte. Katie hatte ihn nicht wirklich geliebt, und das hatte er gespürt. Sie gab sich die Schuld daran, dass er anderen Frauen nachstellte und am Ende mit einer Sekretärin aus der Bank verschwand. Die Scheidung verlief einvernehmlich. Es gab weder Besitz noch Kinder, um die sie streiten konnten. Beide verließen die Ehe mit dem, was sie eingebracht hatten. Sie behielt die Zeitung und das Haus, er bekam seine Freiheit zurück.

„Bedeutet das, er kommt zu dir zurück?“

Katie rutschte nervös hin und her. Sie wollte nicht über dieses Thema sprechen. Nicht jetzt und auch sonst nicht. „Nein, das bedeutet, er kommt nach Newport Falls zurück. Wir sind seit fast drei Jahren geschieden.“

„Das tut mir leid.“

„Danke. Aber ich bin nicht hier, um über das Scheitern meiner Ehe oder mein Privatleben zu sprechen.“ Sofort bereute sie ihren Ton und die Wahl ihrer Worte.

Jack lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Katie sah, wie seine Wangenmuskeln sich anspannten. „Na schön, Devonworth“, begann er. „Oder soll ich dich O’Malley nennen?“

„Ich habe meinen Namen behalten. Aber du darfst mich Katie nennen.“ Sie, Matt und Jack hatten sich immer mit dem Nachnamen angeredet. Aber das war in ihrer Jugend gewesen. Die Dinge hatten sich geändert.

„Na schön, Katie. Wieso bist du hier?“

Katie wich seinem Blick aus. „Ich … ich habe mich gefragt, wie es dir wohl geht. Was du so machst und …“ Sie verstummte.

„Tatsächlich? Du hast mich noch kein einziges Mal gefragt, was ich mache. Außerdem wickelst du deine Haare mit einem Finger auf, wie du es früher immer getan hast, wenn dich etwas bedrückt hat.“

Aus den Augenwinkeln schaute sie auf ihren Finger, um den sie eine Haarsträhne gewickelt hatte.

„Langsam habe ich den Eindruck, dass dies mehr als nur ein privater Besuch ist“, meinte Jack.

„Na schön.“ Sie ließ die Hand sinken und beugte sich vor. „Meine Zeitung, ‚The Falls‘ …“

„Ich kenne den Namen deiner Zeitung.“

„Wir stecken in Schwierigkeiten. Wir brauchen dringend Geld.“

„Ich verstehe.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Und ich soll dir helfen.“

„Das hoffe ich.“

„Was ist passiert?“

„Wir haben unseren Hauptinserenten verloren, ‚Holland’s Kaufhaus‘.“

„Wieso?“

„Weil ‚Holland’s‘ im letzten Frühjahr Bankrott gegangen ist.“

„Holland’s“ war das einzige Kaufhaus in Newport Falls mit über zweihundert Angestellten. Viele Leute waren gezwungen gewesen, in Albany Arbeit zu suchen, das anderthalb Stunden entfernt lag. „Davor stieg die Auflage“, sagte sie wahrheitsgemäß.

„Dann stiegen die Einnahmen also?“

Irgendetwas an der Art seiner Frage verriet ihr, dass er die Antwort bereits kannte. „Nein“, gestand sie leise. „Ich habe nach Dads Tod einige Änderungen vorgenommen. Ich habe ein paar landesweit erscheinende Kolumnen aufgenommen und erfahrene Reporter eingestellt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das kostet alles Geld.“

„Geld, das du nicht hast.“

Sie schluckte. „Ich habe mich schon um Kredite bemüht und wurde überall abgewiesen. Du bist meine letzte Hoffnung. Wenn ich nicht bald Geld bekomme, muss ich die Zeitung einstellen.“

„Wäre das so schlimm? Du bist eine gute Reporterin. Du könntest woanders arbeiten.“

„Ich will aber nirgendwo anders arbeiten“, entgegnete sie wütend. „Newport Falls ist mein Zuhause. Aber das ist es nicht allein. Mein Vater hat sein ganzes Leben dafür gearbeitet, diese Zeitung über Wasser zu halten. Ich habe sie jetzt seit elf Jahren, und ich, nun …“ Sie verstummte und holte tief Luft. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Fang bloß nicht an zu heulen. Hier geht es ums Geschäft. „Es geht nicht nur um mich“, fuhr sie fort. „Ich beschäftige fast dreihundert Leute. Kannst du dir vorstellen, was es für die lokale Wirtschaft bedeutet, wenn ‚The Falls‘ eingestellt wird?“

Er wandte den Blick ab.

Katie wusste seine Reaktionen noch immer genau einzuschätzen. Ihr Instinkt sagte ihr, dass ihr Besuch reine Zeitverschwendung war. Er hatte kein Interesse daran, in eine Kleinstadtzeitung zu investieren, die nie viel Geld abwerfen würde.

Jack schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Devonworth – Katie“, verbesserte er sich sofort.

„Bitte Jack. Wir waren mal Freunde. Ich brauche deine Hilfe.“

Er sah sie an und zögerte. Wie aufs Stichwort klingelte sein Handy und bot ihm zweifellos die ersehnte Ablenkung. Seinen Worten nach zu urteilen sprach er mit jemandem aus seinem Büro. Dann hörte Katie ihn fragen: „Wie sieht mein Terminplan für morgen aus?“ Er wartete, warf Katie einen Blick zu und meinte: „Sagen Sie alles ab. Ich muss weg. Arrangieren Sie einen Flug nach Newport Falls. Das liegt außerhalb von Albany. Danke.“ Er legte auf und wandte sich an Katie. „Ich will sie mir ansehen.“

„Was?“

„Deine Zeitung natürlich. ‚The Falls‘.“

Früher war Jack ungefähr eine Million Mal dort gewesen. Bis auf einen neuen Anstrich hatte sich nichts verändert.

„Ich möchte einen von den tollen Reportern sprechen, die du engagiert hast“, fuhr er fort. „Ich will mit dem Leiter deiner Anzeigenabteilung reden und herausfinden, wie …“

„Leiterin“, unterbrach sie ihn.

„… wie ihre Strategie für die nächsten Jahre aussieht und was sie zur Umsatzsteigerung zu tun gedenkt.“

„Einverstanden.“

Er stand auf. „Ich bin um drei in deinem Büro.“

Sie schüttelte seine Hand und fand, dass er ihre einen Tick zu lange festhielt, während er hinzufügte: „Es ist schön, dich wiederzusehen, Katie.“

Draußen winkte er ihr ein Taxi heran. Sie stieg ein und sah noch einmal zu ihm auf. „Danke, Jack.“

Jack schluckte und bemühte sich, nicht auf ihre weichen, roten Lippen zu starren. Er warf die Tür zu und sah dem Taxi nach. Erst als es außer Sicht war, setzte er sich in Bewegung. Er ging jedoch nicht zurück in sein Büro, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Katie nach all den Jahren wiederzusehen machte ihn ganz benommen. Er musste einen klaren Kopf bekommen.

Jack hatte immer gehofft, sie aus seinen Gedanken verbannen zu können. Doch dass sie aus seinem Leben verschwunden war, bedeutete nicht, dass die Erinnerung ebenfalls verschwand. Katie war das Maß, an dem andere Frauen sich messen lassen mussten, der Geist, mit dem sie konkurrierten.

Nach ihrem Anruf hatte er sich gesagt, ein Treffen mit ihr sei harmlos. Sie hatte keine Macht mehr über ihn. Doch als sie heute in sein Büro marschiert war, zerplatzten all seine Hoffnungen, er könnte über Katie Devonworth hinweg sein. Das Mädchen seiner Träume hatte sich in eine unvorstellbar schöne Frau verwandelt. Ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar umrahmte ihre großen, ausdrucksvollen Augen. Sie war noch genauso schlank und sportlich wie auf der Highschool, jetzt jedoch mit Kurven an den richtigen Stellen.

Von dem Moment an, als er Katie sah, wusste er, dass er ihr gemeinsames Essen irgendwie überstehen und anschließend versuchen musste, sie wieder zu vergessen. Denn Katie hatte ihm vor langer Zeit klar gemacht, dass sie ihn nicht mehr liebte.

Wieder dachte er an den Tag am Fluss, als sie ihm ihre Gefühle gestanden hatte. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie ihre Lippen sich angefühlt, wie ihre Haut geduftet hatte.

Er hatte Katie über alles geliebt, und es hatte ihn enorme Überwindung gekostet, sie zu verlassen. Doch ihm war nichts anderes übrig geblieben. Er wusste nur zu gut, was passierte, wenn man der Liebe zu früh nachgab. Er selbst war das Ergebnis einer solchen Liaison.

Als sein Vater seine Mutter kennenlernte, war er neunzehn und im ersten Jahr auf dem College. Seine Mutter war erst sechzehn und besuchte noch die Highschool. Sie verliebten sich auf den ersten Blick und waren rasch unzertrennlich. Sie schworen sich ewige Liebe und waren entschlossen, ihr Leben miteinander zu verbringen. Junes Eltern waren nicht glücklich über diese Verbindung. Sie hatten gehofft, ihre einzige Tochter würde etwas Besseres finden als eine Waise, die auf Stipendien angewiesen war. Als June schwanger wurde, bat Robert ihre Eltern, sie heiraten zu dürfen. Doch ihre Eltern waren dagegen. Durch die Schwangerschaft ihrer Tochter in Verlegenheit gebracht, schickten sie sie kurzerhand fort, ohne Jacks Vater ihren Aufenthaltsort zu verraten.

Zu spät fand Robert heraus, dass sie bei einer Tante auf dem Land war. Sein Vater hatte seine Frau nie wiedergesehen. Als die Wehen bei June einsetzten, versuchte ihre Tante, das Kind allein auf die Welt zu holen. Seine Mutter starb bei der Geburt. Sein Vater nahm Jack und zog nach Newport Falls, doch er verzieh sich nie.

Jeden Tag seines Lebens war Jack an das Schicksal seiner Eltern erinnert worden. Er schwor sich, dass egal, wie sehr er Katie liebte und begehrte, er ihr um jeden Preis ein Schicksal wie das seiner Mutter ersparen wollte. Er musste ein Mann werden, wie Katie ihn verdiente; erst dann würden sie auch eine Zukunft haben.

Jack ging aufs College, entschlossen, etwas aus sich zu machen. Und erst wenn er es geschafft hatte, würde er die Frau heiraten können, die er liebte.

Dummerweise hatte er die Situation falsch eingeschätzt. Er hatte sich eingeredet, ihn und Katie verbände eine ganz besondere Beziehung. Aber das war ein Irrtum. Ziemlich zu der Zeit, als es gut bei ihm lief und er sich bereit für einen Heiratsantrag fühlte, heiratete sie seinen besten Freund.

Das hatte ihn geschockt. Wie konnte sie nur? Wenn sie nur ein Zehntel dessen für ihn empfunden hätte, was er für sie empfand, hätte sie sich niemals in die Arme eines anderen flüchten können.

Und Matt? Matt war nicht an Katie interessiert gewesen, bis er herausgefunden hatte, was Jack für sie empfand. Jack erinnerte sich noch genau an jenen Abend, als er Matt erzählt hatte, dass er Katie liebte. Sie lagen in einem Kornfeld, die Arme hinter den Köpfen verschränkt, und schauten in den Himmel hinauf. Nur sie beide. Matt hatte ihn wegen eines Mädchens in der Schule aufgezogen, und Jack sagte ihm, dass er völlig falsch liege.

„Was meinst du damit?“, wollte Matt wissen.

„Damit meine ich, dass ich jemand anderes liebe.“

Matt rollte auf die Seite. Liebe war ein großes Wort, und als Zehntklässler hatte bisher keiner von ihnen es benutzt, um seine Gefühle zu umschreiben. „Du? Wen denn?“

„Katie“, gestand Jack. „Ich werde sie eines Tages heiraten.“

„Katie?“ Matt lachte. „Ja, sicher!“

„Was ist daran so komisch? Ich habe mir alles genau überlegt. Ich habe sogar schon den Ring.“

„Woher hast du den? Aus dem Kaugummiautomaten?“

„Es war der Ring meiner Großmutter. Mein Vater wollte ihn meiner Mutter geben, doch er bekam nicht mehr die Gelegenheit dazu. Es ist ein Diamant mit je einem Rubin an jeder Seite …“

„Moment mal“, unterbrach Matt ihn. „Katie ist jemand, mit dem man Basketball spielt. Sie ist kein Mädchen, in das man sich verliebt. Und heiraten? Ach komm schon.“

„Sie ist diejenige, die ich will“, sagte Jack. „Die ich immer gewollt habe.“

Matt schwieg eine Weile, dann fragte er: „Weiß sie es?“

„Nein, ich kann es ihr nicht sagen. Noch nicht.“

„Wieso nicht?“

„Weil wir noch zu jung sind. Katie und ich werden nicht so enden wie meine Eltern.“

Matt sagte nichts dazu.

„Ich muss warten“, fuhr Jack fort. „Ich habe einen Plan. Ich werde eine Million Dollar verdienen und sie dann heiraten.“

„Wenn du eine Million Dollar verdienst, gibt es jede Menge Frauen, die du heiraten kannst.“

„Ich will aber nicht jede Menge Frauen. Ich will Katie.“

Jack hätte wissen müssen, dass Matt sie von diesem Moment an auch wollte. Matt hatte immer schon mit ihm konkurriert. Jack hatte das nie verstanden. Schließlich war sein Freund auf der Sonnenseite des Lebens geboren. Er stammte aus einer guten Familie, war als Athlet ein Naturtalent, besuchte die besten Schulen. Trotzdem schien er sich ständig gegen Jack beweisen zu müssen.

Kurz vor seiner Rückkehr aus Europa hatte Jack Matt angerufen. Er war wegen Katie besorgt gewesen und hatte ihn gebeten, sich um sie zu kümmern. Der Tod ihres Vaters hatte sie schwer getroffen, und sie hatte das College abbrechen müssen, um seine ums Überleben kämpfende Zeitung zu übernehmen. Jack hielt es nicht aus, so weit von ihr entfernt zu sein und sie nicht trösten zu können. Daher konnte er mit seinem Heiratsantrag nicht länger warten, auch wenn er die erhoffte finanzielle Position noch nicht erreicht hatte. Es wurde Zeit, Katie seine Liebe zu gestehen und um ihre Hand anzuhalten. Er kehrte nach Hause zurück.

Doch Matt, sein bester Freund, hatte ihn inzwischen hereingelegt, indem er ihm mit seinem Heiratsantrag zuvorgekommen war. Er und Katie heirateten am Tag von Jacks Rückkehr.

Am nächsten Tag hatte Matt ihn gebeten, sich von Katie fernzuhalten und jeden Kontakt abzubrechen. „Du bringst sie nur durcheinander“, hatte er gesagt.

„Ich bringe sie durcheinander?“, hatte Jack erwidert. „Wovon redest du? Hast du nicht gesagt, sie liebt dich?“

„Na, immerhin hat sie mich geheiratet, oder etwa nicht?“, hatte Matt entgegnet. Dabei brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Jack konnte es nicht ertragen, in Katies Nähe zu sein. Selbst als er von ihrer Scheidung erfuhr, hielt er es für besser, sie nicht anzurufen. Allerdings hatte er insgeheim gehofft, sie würde sich bei ihm melden, um ihm zu sagen, dass die Ehe mit Matt ein Fehler gewesen war. Dass sie in Wahrheit immer ihn geliebt hatte, nicht Matt. Aber dieser Anruf kam nie. Und so versuchte er, Katie aus seinen Gedanken zu verbannen. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, denn seine Liebe zu ihr vergiftete ihn und seine Beziehungen zu anderen Frauen.

Heute war sie zurückgekommen und hatte ihn um Hilfe gebeten. Sofort war ihm klar geworden, weshalb er sie nie angerufen hatte. Er konnte es nicht. Seine Liebe für sie war noch genauso stark wie an jenem Tag am Fluss. Doch im Gegensatz zu damals wurde sie nicht mehr erwidert.

Jack blieb vor seinem Bürogebäude stehen. Trotzdem, dachte er und sah an der Glasfront hinauf, die seinen Namen trug, ich bin Katie etwas schuldig. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich nicht so viel Ehrgeiz und Energie für seine Arbeit aufgebracht. Dann wäre er vermutlich nie so erfolgreich geworden.

Deshalb würde er wenigstens versuchen, ihr zu helfen. Es ging nur um einen Tag, höchstens acht Stunden. Einen Tag lang würde er es aushalten, wieder in Newport Falls und bei Katie zu sein. Besonders jetzt. Er hatte ein internationales Geschäft abgeschlossen und würde in einigen Wochen nach London gehen, um dort einen europäischen Zweig seines Unternehmens aufzubauen.

Wieder dachte er an den Tag am Fluss, an dem Katie ihm ihre Liebe gestanden hatte und wie berauschend das gewesen war.

Er hätte wissen müssen, dass man die Chance seines Lebens nicht zweimal bekam.

2. KAPITEL

„Interpretiere lieber nicht zu viel hinein“, warnte Marcella sie. Marcella war die Leiterin der Anzeigenabteilung bei „The Falls“ und Katies Freundin. „Er sagte, es sei schön, dich wiederzusehen. Ich bin sicher, er hat es auch so gemeint.“

„Wie kommst du darauf, dass ich zu viel hineininterpretiere?“, wollte Katie wissen. Nach einer unruhigen Nacht war sie um fünf Uhr morgens in der Redaktion gewesen, um alles für Jacks Besuch vorzubereiten. Dummerweise hatte Matt angerufen, und sie hatte ihm von ihrem Treffen mit Jack erzählt. Zu ihrem Erstaunen hatte er sich wieder in den großen Bruder verwandelt und sie gewarnt, vorsichtig zu sein. Vorsichtig wovor?

„Wegen des Ausdrucks in deinen Augen, wenn du seinen Namen aussprichst.“

Katie dachte an Matts Warnung. Hatte er das damit andeuten wollen? Dass sie trotz ihrer Ehe mit ihm und all den Jahren, die vergangen waren, Jack noch immer liebte? „Was für ein Ausdruck?“

„Dieser Er-ist-traumhaft-Ausdruck.“

„Du redest von dem Mann, den jede Klatschkolumnistin den Iceman nennt.“

„Ich dachte, er sei der Herzensbrecher“, entgegnete Marcella.

Jack war ständig Thema in den Klatschblättern und hatte den Ruf eines Playboys.

Katie schüttelte den Kopf und seufzte. „Jedenfalls hat er sich nicht benommen, als sei er froh, mich wiederzusehen. Er war sehr distanziert. Er hat nicht einmal persönlich mit mir gesprochen, als ich anrief. Außerdem ließ er mich fünfundvierzig Minuten warten …“

„Aber dann hat er dir angeboten, dir aus der Klemme zu helfen.“

„Er hat es mir nicht angeboten. Zumindest noch nicht. Erst muss ich für ihn durch den Reifen springen. Und selbst dann gibt es keine Garantie.“

Marcella zuckte mit den Schultern. Mehr Aufmunterung brauchte Katie nicht. „Ja, es ist nett von ihm, den ganzen Weg hierher zu kommen. Aber ich musste ihn erst um Hilfe anbetteln. Und er ist nicht besonders glücklich darüber. Du hättest ihn mal beim Essen sehen sollen. Es war offensichtlich, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will.“

„Wie ich bereits sagte, du interpretierst zu viel hinein.“

„Tue ich das? Er ließ mich warten, und dann ignorierte er mich. Er hielt es nicht einmal für nötig, sich zu entschuldigen. Und ich wusste, dass er heute auch zu spät kommt.“ Sie deutete auf ihre Uhr. „Es ist vier.“

„Aus seinem Büro hieß es doch, seine Vormittagssitzung habe länger als erwartet gedauert.“

„Das gehört doch alles zu seiner Masche.“

„Welcher Masche?“

„Zu seiner Ich-bin-jetzt-eine-große-Nummer-Masche.“ Katie kannte Marcella schon ihr ganzes Leben. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, und Marcella hatte nicht nur mitbekommen, wie verliebt Katie in Jack gewesen war, sondern auch wie unglücklich, dass er ihre Liebe nicht erwiderte.

„Er ist nun mal eine große Nummer. Und er gibt dir eine Chance. Das ist mehr, als jeder andere tun würde.“

Katie brummte nur mürrisch.

„Vielleicht sind da noch Gefühle im Spiel.“

„Auf keinen Fall. Wenn ich ihm noch irgendetwas bedeuten würde, hätte er ja wohl angerufen oder geschrieben.“

„Ich sprach nicht von Jack.“

Katie schaute von ihrem Schreibtisch auf. „Mag sein, dass ich für den alten Jack Reilly etwas empfunden habe, der noch keine teuren Anzüge trug. Aber der neue Jack könnte mir kaum gleichgültiger sein. Er ist nicht mein Typ.“

„Das war er aber ziemlich lange.“

„Ja, bevor er die Stadt verlassen hat, bevor er aufhörte, mir zu schreiben oder mich anzurufen. Bevor er vergaß, wer er war.“

„Ich finde, du beklagst dich ein bisschen zu laut.“

Katie fühlte, wie sie errötete. „Ich schwöre dir, was für Gefühle ich für Jack Reilly auch gehabt habe, sie sind nicht mehr da. Er macht mich vielleicht noch nervös“, räumte sie ein und erinnerte sich an ihr Herzklopfen beim Wiedersehen, „aber das ist normal.“

Marcella hob die Brauen.

„Mein Interesse an Jack ist rein beruflich. Ich habe ihn nur angerufen, weil er unsere letzte Hoffnung ist. Warte mal ab, bis er hier ist, dann wirst du schon sehen. Es ist doch kein Zufall, dass wir hier eine Ewigkeit auf ihn warten müssen. Jack ist inzwischen so anmaßend, arrogant und von sich selbst überzeugt …“

„Und er steht gerade hinter dir“, sagte Marcella.

Jack stand in der Tür. Er hatte fast jedes Wort von Katies Litanei gegen ihn gehört, doch es machte ihn nicht wütend. Im Gegenteil, es schmeichelte ihm, dass er noch echte Gefühle in dieser normalerweise reservierten Frau wecken konnte.

„Tut mir leid, dass ich zu spät komme“, sagte er. „Mein Meeting heute Morgen dauerte etwas länger.“

Er tat, als bemerke er den Ausdruck blanken Entsetzens in Katies Gesicht nicht und beobachtete, wie sie Marcella einen finsteren Blick zuwarf. „Macht doch nichts“, versicherte sie ihm.

„Und dann musste mein Pilot auch noch im letzten Augenblick ein paar Sachen klären, bevor wir endlich losfliegen konnten.“

„Dein Pilot?“, wiederholte Marcella beeindruckt. „Du hast dein eigenes Flugzeug?“

Jack nickte. „Wie dem auch sei, ich störe anscheinend. Ich werde gern warten. Wie lange wird es wohl in etwa dauern? Eine Ewigkeit?“

„Schön, dich wiederzusehen, Jack“, meinte Marcella und huschte an ihm vorbei.

„Hör mal, Jack“, begann Katie. Ihr gewöhnlich blasses Gesicht war knallrot. „Es tut mir leid. Du kennst mich. Ich hasse es, zu warten.“

Jacks Lächeln erstarb. „Ja, das weiß ich.“ Auf ihn hatte sie auch nicht gewartet.

„Tja“, sagte sie und rauschte ebenfalls an ihm vorbei. Jack nahm ihr Parfum wahr. Es war dezent und doch verlockend, der gleiche Duft, den sie auf der Highschool getragen hatte. Sie drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein Lächeln, das er noch aus seiner Erinnerung kannte. „Dann fangen wir mal lieber an, was?“

Katie fühlte sich, als müsste sie sich übergeben. Wie hatte sie so dumm sein und so daherreden können, wo er jeden Moment auftauchen konnte? Wie auch immer ihre Vergangenheit mit Jack aussah, sie musste darüber hinwegkommen. Schließlich brauchte sie ihn. Diese Zeitung brauchte ihn. Ohne ihn würde die ganze Stadt untergehen.

Katie führte ihn durch die Redaktion. Jack machte einen beinah gelangweilten Eindruck dabei. Während der verschiedenen Meetings saß er mit ausdruckslosem Gesicht da und stellte höchstens hier und da mal eine Frage.

Als Katie und Marcella zur gleichen Zeit auf der Toilette waren, meinte Marcella: „Du meine Güte, er ist toll … ich meine, er sah schon immer toll aus, aber nicht so. Was ist mit ihm passiert?“

„Es liegt am Anzug“, entgegnete Katie, weil sie es selbst gern glauben wollte, und sie lachten beide. Es war offensichtlich, dass sich unter dem teuren Anzug und dem gestärkten Hemd mit den Perlmuttmanschettenknöpfen ein athletischer Körper verbarg.

Am Ende des Tages führte Katie Jack zurück in ihr Büro. „Ich würde gern einige der Reporter kennenlernen, von denen du erzählt hast“, sagte er.

„Klar“, meinte Katie. Sie nahm den Telefonhörer und wählte die Nummer von Luanna Combs, ihrem jüngsten Coup. Luanna hatte zehn Jahre für die „Baltimore Sun“ gearbeitet, ehe sie zu „The Falls“ kam. Leider meldete Luanna sich nicht.

Katie legte besorgt auf. Sie schaute auf ihre Uhr. Es war fast sechs. Normalerweise erwartete sie nicht, dass Luanna länger als halb sechs in der Redaktion blieb. Schließlich war das Bestandteil des Vertrages und der Grund, weshalb Katie Topleute anwerben konnte. Sie versprach flexible Arbeitszeiten, kaum Überstunden und ein familienfreundliches Umfeld.

Sie sah zu Jack. Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Katie schluckte und versuchte einen anderen Anschluss. Bobby, die Sekretärin für die Reporter, meldete sich. „Wo ist Luanna?“, fragte Katie.

„Sie ist gegangen. Sie hat einen Anruf von der Schule bekommen. Ihr Kind hat überall rote Punkte –, wahrscheinlich die Windpocken.“

„Was ist mit Brett?“ Brett Wilson war Katies Topreporter, den sie sich von der „Los Angeles Times“ geschnappt hatte.

„Ein Tanklaster hat sich auf der Route 44 überschlagen. Brett ist hingefahren.“

„Und Shelley?“, fragte sie, ahnte die Antwort jedoch schon.

„Auch schon weg. Ihr Mann hat Magen-Darm-Grippe, deshalb muss sie die Kinder aus dem Kindergarten abholen. Aber sie hat ihre Story vorher abgegeben. Ziemlich gut.“

Als Katie auflegte, runzelte Jack die Stirn und meinte: „Und?“

„Sie sind nicht da.“

„Keiner von ihnen? Wo stecken sie denn?“

„Die drei, die ich dir vorstellen wollte, sind … nun, sie sind momentan nicht verfügbar.“

„Die Zukunft dieser Zeitung hängt von drei Angestellten ab? Deshalb steigt der Umsatz nicht? Weil du Spitzengehälter an drei …“

„Sie werden morgen da sein“, unterbrach sie ihn gereizt. „Falls du nicht so lange bleiben kannst, bis du mit ihnen gesprochen hast, bedanke ich mich für deinen Besuch und bringe dich zur Tür.“

Er zögerte. „Morgen werden sie verfügbar sein –, garantiert?“

„Garantiert“, versicherte sie ihm. Und wenn ich selbst auf die Kinder meiner Mitarbeiter aufpassen und die Artikel schreiben muss.

„Na schön.“

„Du bleibst?“, fragte sie überrascht.

Jack nickte, klappte sein Handy auf und rief sein Büro an. Katie hörte, wie er seine Sekretärin anwies, seine Termine zu verschieben. „Und rufen Sie Carol an“, bat er. „Versuchen Sie einen Termin für einen anderen Abend mit ihr zu vereinbaren.“

Carol? Offenbar sagte er ein Date ab. Eifersucht nagte an Katie. Dabei hatte sie kein Recht, eifersüchtig zu sein. Stattdessen sollte ihr die arme Frau leidtun. Schließlich besaß er nicht einmal so viel Anstand, persönlich anzurufen, sondern beauftragte seine Sekretärin damit.

Jack klappte sein Handy zu und verkündete: „Einen Tag noch.“ Er schaute auf seine Uhr. „Hat Mrs. Crutchfield noch das Gasthaus in der Main Street?“

„Klar“, antwortete Katie, konnte sich jedoch nicht vorstellen, wie dieser neue Jack Reilly sich in einem Gasthaus auf dem Land wohlfühlen sollte. Sicher bevorzugte er eine Unterkunft mit Zimmerservice. „In Albany gibt es ein schönes ‚Hyatt‘.“

„Das Gasthaus reicht mir. Ich werde Greg anrufen und ihn bitten, ein paar Sachen hinzubringen.“

„Wer ist Greg und was für Sachen?“

„Greg ist mein Pilot. Er kümmert sich aber auch um einen Haufen anderer Dinge.“

„Du meinst, er ist auch dein Butler?“ Sie konnte sich ihren Sarkasmus nicht verkneifen.

Jack grinste. „Falls nötig, ja. Ich habe im Flugzeug stets ein paar Kleidungsstücke für alle Fälle dabei.“

„Natürlich.“ Wer hatte das nicht?

Als Katie aufstand, überraschte Jack sie mit der Frage: „Hast du für heute Abend schon Pläne?“

„Ich … nein“, stammelte sie.

„Gut. Ich würde dich gern zu einem netten Essen einladen. Such dir ein Restaurant aus. Dann können wir uns über alte Zeiten unterhalten.“

„Warum nicht?“, entgegnete sie und hatte bereits den geeigneten Ort im Sinn.

„Joe’s Diner“ lag an der Ecke Main Street und Howe Street, beinahe gegenüber der Zeitung. Katie, Matt und Jack hatten dort viele Stunden bei Hamburgern und Milchshakes verbracht. Jack hatte dort sogar im letzten Schuljahr vor dem College gejobbt.

Wenn Jack von ihrer Wahl erstaunt war, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er wirkte sogar erleichtert und beinahe froh.

Nachdem er Joe, den Besitzer, begrüßt hatte, setzten sie sich an einen gemütlichen Tisch am Fenster. Jack schaute sich um. „Ziemlich ruhig für einen Donnerstagabend, oder?“

Außer ihrem waren nur drei weitere Tische besetzt. „Ich habe dir ja schon erzählt, dass sich einiges geändert hat“, sagte Katie. „Sicher hast du bemerkt, wie viele Geschäfte schließen mussten. Viele Leute haben die Stadt verlassen. Es ist schwer, hier in der Gegend Arbeit zu finden. Wenn nichts geschieht, wird Newport Falls bald eine Geisterstadt sein.“

„Aber du wirst sie retten.“

„Es ist meine Heimatstadt“, erwiderte sie kühl. „Ich liebe sie. Ich mag es, dass ich mich darauf verlassen kann, dass Mrs. Crutchfield mir Hühnersuppe kocht, wenn ich krank bin. Ich kann mich darauf verlassen, dass Miss Faunally mir im Frühjahr selbst gemachte Erdbeermarmelade bringt. Ich kann mich darauf verlassen, dass die Wellers zu Halloween die ganze Stadt unterhalten. Ich kann mich darauf verlassen, dass Mr. Pete aus dem Supermarkt weiß, dass ich Gäste habe, wenn ich eine zusätzliche Packung Steaks kaufe. Ich kann mich darauf verlassen, dass die wilden Azaleen jeden Sommer wie verrückt blühen. Ich weiß, manche Leute mögen Kleinstädte nicht, aber ich …“

„Du schon. Ich habe es begriffen, Devonworth. Aber nicht jeder hat so schöne Erinnerungen an diese Stadt.“

Sie stutzte. Jacks Vater war in dem Jahr gestorben, nachdem Jack aufs College gegangen war. Jack hatte ihn auf dem Stadtfriedhof beerdigt, nicht weit vom Grab ihrer Eltern. „Ich weiß“, sagte sie. „Aber deine Erinnerungen sind doch nicht nur schlecht, oder?“

„Nein, dank dir … und Matt“, fügte er hinzu.

„Es gab noch viele andere Leute, die dich mochten. Viele Leute mögen dich noch immer. Mr. Pete hat sich erst neulich nach dir erkundigt.“

„Wie läuft sein Geschäft?“, fragte Jack. Er hatte jahrelang in Mr. Petes Lebensmittelladen ausgeholfen.

„Wie alle anderen, nicht sehr gut.“

„Tut mir leid, das zu hören.“ Dann meinte er übergangslos: „Wollen wir bestellen?“

Katie aß schweigend und ärgerte sich darüber, wie kühl Jack die Neuigkeiten von Mr. Petes Geschäft abtat. Wie konnte er einfach darüber hinweggehen, wo dieser Mann so nett zu ihm gewesen war? Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, sagte sie: „Willst du sonst noch jemanden besuchen, während du hier bist?“

Er stand auf, nahm ihren Mantel vom Haken und hielt ihn ihr auf. „Nein.“

„Nein? Mrs. Bayons würde dich bestimmt gern wiedersehen.“

„Ich habe keine Zeit“, erklärte er.

„Vielleicht morgen …“

„Nein. Morgens habe ich etwas zu erledigen, und anschließend komme ich direkt in die Redaktion. Am Abend muss ich zurück in der Stadt sein.“

„Aha.“ Für sein Date mit Carol.

„Ich bezweifle ohnehin, dass ich mir mit irgendwem hier noch etwas zu sagen habe.“

Das war deutlich. Katie hatte verstanden. Jack hatte mit Newport Falls abgeschlossen. Sie war froh, dass er nicht bemerkte, wie sehr sie seine Worte trafen. Er verabschiedete sich von Joe und hielt ihr die Tür auf.

„Ich bringe dich noch zum Wagen“, sagte er.

Nur hatte sie keinen Wagen. Am Morgen war sie trotz der Tatsache, dass es Januar und bitterkalt war, mit dem Fahrrad gefahren.

Jack sah sie verblüfft an, als sie es ihm sagte. „Du bist bei diesem Wetter mit dem Rad unterwegs?“

„Wieso nicht? Die Straßen sind frei. Außerdem wollte ich mich bewegen.“

„Du wohnst doch nicht etwa noch immer im Haus deiner Eltern, oder?“

Die Farm ihrer Eltern lag ungefähr fünf Meilen außerhalb der Stadt. Sie bestand aus über fünfzig Hektar Land, einem alten und inzwischen ziemlich heruntergekommenen viktorianischen Haus und einem Teich, in dem sie im Sommer geangelt und gebadet hatten und auf dem sie im Winter Schlittschuh gelaufen waren. „Doch, ich bin dorthin zurückgezogen.“

„Es ist viel zu weit und zu kalt, um den ganzen Weg mit dem Fahrrad zu fahren. Ich werde dich hinbringen. Ich habe am Flughafen einen Wagen gemietet.“

Katie hielt es nicht länger aus, mit ihm zu reden. Was war bloß aus ihrem Freund geworden? Aus dem freundlichen, warmherzigen und witzigen Kerl, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte?

Am Redaktionsgebäude blieb sie vor dem Fahrradständer stehen. Ihr Rad war nicht abgeschlossen, weil das in Newport Falls nicht nötig war. „Danke für das Essen“, sagte sie. Sie spürte einen Regentropfen, dann noch einen. Egal, sie war das Radfahren bei jedem Wetter gewohnt.

Jack hielt ihre Hand fest. „Du kannst die Welt nicht retten, Devonworth.“

„Ich habe auch gar nicht die Absicht, die Welt zu retten, Reilly. Nur Newport Falls.“

Er zog sie zu sich heran. „So kann ich dich nicht gehen lassen.“

„Warum nicht?“, fragte sie mit pochendem Herzen.

„Weil“, antwortete er, ließ ihre Hand los und deutete zum Himmel hinauf, „es regnet.“

Sie zog die Turnschuhe aus ihrem Rucksack. „Früher bist du ständig im Regen Rad gefahren“, erinnerte sie ihn, während sie sich auf dem Gehsteig die Schuhe wechselte. „Oder hast du das auch schon vergessen?“ Als sie fertig war, verstaute sie ihre Pumps in der Tasche und setzte sich so anmutig wie möglich auf das Fahrrad. „Dann bis morgen.“

Jack ging mit drei Sträußen roter Rosen durch den Torbogen des Friedhofs. Die Temperatur war spürbar gesunken, und der Regen hatte sich in Schnee verwandelt, der bereits einige Zentimeter hoch lag. Jack schaute sich um und betrachtete die vertraute Landschaft. Der Friedhof schien der einzige Ort in Newport Falls zu sein, der noch genauso war wie in seiner Erinnerung. Schön, aber trostlos.

Er ging an kahlen Rosenbüschen vorbei zum Grab seines Vaters. Nicht nur dessen Tod machte ihn traurig, auch sein Leben. Solange er denken konnte, war sein Vater Alkoholiker gewesen, sein Leben eine Kette verpasster Chancen.

Jacks Vater hatte sich nie vom Verlust der Frau, die er so liebte, erholt. Anfangs hatte er es versucht, indem er das College schmiss und nach Newport Falls zurückkehrte. Doch selbst alte Freunde konnten ihm über die Schuldgefühle nicht hinweghelfen. Getrieben von unsichtbaren Dämonen fand er nur im Alkohol Trost. Jack konnte sich nicht daran erinnern, wann sein Vater jemals Arbeit gehabt hätte. Ebenso wenig konnte er sich daran erinnern, dass sein Vater ihm gegenüber jemals Zärtlichkeit gezeigt hätte. Jack war schnell erwachsen geworden, weil er nicht nur für sich selbst, sondern oft auch für seinen Vater sorgen musste. Er war entschlossen gewesen, mehr aus seinem Leben zu machen als sein Vater. Die Stadt sollte stolz auf ihn sein. Er würde sich nicht durch die Liebe zugrunde richten lassen. Doch es schien, je verzweifelter er zu entkommen versuchte, desto wütender suchte ihn das Schicksal heim.

Als Katie Matt heiratete, hatte er, Jack, sich nicht in den Alkohol, sondern in die Arbeit geflüchtet. Er ging nach Yale und machte sein Diplom in Betriebswirtschaft. Er war bereit, länger und härter als jeder andere zu arbeiten. Und seine Entschlossenheit zahlte sich aus.

Jack wünschte, er hätte seinen Vater besser gekannt. Er wünschte, er könnte mit ihm sprechen und ihm sagen, dass er dessen Kummer heute verstand und auch, weshalb sein Vater sich von der Welt zurückgezogen hatte. Weshalb er sich von seinem einzigen Kind zurückgezogen hatte.

Jack legte einen Strauß Rosen auf das Grab, richtete sich wieder auf und klopfte sich den Schnee von der Hose. Dann ging er zu der alten Eiche, unter der die Devonworths begraben lagen.

Zuerst hatte er Mühe, ihr Grab zu finden. Der Schnee fiel jetzt dichter und klebte in dicken, weißen Klumpen am Boden. Doch er ließ nicht locker und wischte ihn von den Grabsteinen, bis er es gefunden hatte.

Jack legte die Rosen ab und fühlte Trauer in sich aufsteigen. Die Devonworths hatten immer zu ihm gestanden. Ganz gleich, was zu Hause geschah, er konnte sich stets auf ihre Unterstützung verlassen. Sie hatten ihn zum Essen und während der Feiertage in ihrem Zuhause willkommen geheißen und ihm immer Liebe und Respekt entgegengebracht.

Nur zu gern hätte er sich für ihre Freundlichkeit revanchiert und ihnen versprochen, sein Bestes zu tun, um auf ihre Tochter aufzupassen. Doch für solche Versprechen war es zu spät.

Eine unangenehme Aufgabe stand ihm heute noch bevor. Eigentlich hatte er von Anfang an gewusst, dass sein Unternehmen nicht in Katies Zeitung investieren konnte. Trotzdem hatte er sich eingeredet, dass sich die Dinge vielleicht geändert hatten und „The Falls“ nicht die schlichte Zeitung war, an die er sich erinnerte. Er hatte sich etwas vorgemacht, und statt einfach nach den Meetings gestern zu verschwinden, hatte er seinen Besuch auch noch ausgedehnt. Wieso? Weil er noch immer etwas für Katie empfand? Doch er konnte ihr nicht helfen. Er bezweifelte, dass irgendwer dazu in der Lage war. Es spielte keine Rolle, welche Reporter für sie arbeiteten, wie viele Preise sie gewonnen hatten oder welche landesweit erscheinenden Kolumnen Katie brachte. Eine Zeitung in einer sterbenden Stadt war eine aussichtslose Investition. Er drehte sich um und wollte gehen.

„Jack?“

Zuerst glaubte er an Einbildung. Doch da stand sie, in einem verschneiten Torbogen. „Katie“, flüsterte er.

Sie kam auf ihn zu. Schneeflocken fielen auf ihre langen Wimpern. Die Enden ihres roten Schals wehten im Wind. „Was machst du hier?“, fragte er.

„Ich wollte mit dir reden. Außerhalb der Redaktion.“

„Woher wusstest du, dass ich hier bin?“

„Du warst seit Jahren nicht in der Stadt. Was sonst solltest du heute Morgen zu erledigen haben?“

Er lächelte. „Gute Arbeit, Detektiv.“ Er sah zum Eingang, wo Katies Fahrrad stand. Bei der Vorstellung, dass sie fünf Meilen durch einen Schneesturm gefahren war, zog sich alles in ihm zusammen. „Was war so wichtig, dass es nicht warten konnte?“

„Ich wollte mich entschuldigen. Du bist schließlich hergekommen, um mir zu helfen, und ich bin seit deiner Ankunft empfindlich.“

Jack dachte an ihre Eltern, die hinter ihm begraben lagen. Katie hatte ihre Eltern verloren und ihren Mann, und jetzt würde sie vielleicht auch noch das Letzte verlieren, was ihr noch etwas bedeutete – ihre Zeitung. Mit all diesen Dingen hatte sie allein fertig werden müssen, weil er sie hängen gelassen hatte. „Sei nicht albern.“

„Es tut mir leid.“

In ihren Augen schimmerten Tränen, und instinktiv nahm er Katie in die Arme. „He, ich bin’s, Jack. Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen. Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss.“

Sie fühlte sich leicht an, und er wollte sie in den Armen halten und vor der Welt beschützen. Plötzlich hatte er das Gefühl, sie nie wieder loslassen zu können.

Katie schien jedoch anders zu empfinden. Sie spannte sich an, als sei ihr seine Berührung unangenehm. Jack ließ die Arme sinken, und sie wich einen Schritt zurück.

Er konnte es ihr nicht verdenken. Was für ein Freund war er denn gewesen? „Du hast jeden Grund, wütend auf mich zu sein.“

„Wie meinst du das?“

„Ich hätte zur Beerdigung deiner Mutter kommen sollen. Es tut mir leid. Und ich hätte dich anrufen sollen, als ich von deiner Scheidung erfuhr.“

„Ich mache dir keine Vorwürfe“, sagte sie, zuckte mit den Schultern und schob die behandschuhten Hände in die Taschen. „Du hattest eben zu tun.“

„Nein. Das ist keine Entschuldigung. Es war … es gab andere Gründe.“ Egoistische, wollte er sagen. Er konnte ihr nicht verzeihen, dass sie Matt geheiratet hatte.

Katie schaute zu Boden. „Ich weiß, wie schwer es für dich ist, hierher zurückzukommen. Wenn ich du wäre, wüsste ich auch nicht, ob ich nach Newport Falls zurückkommen wollte. Ich … na ja, ich weiß, dass dein Dad sehr stolz auf dich war, Jack. Er hat dich geliebt.“ Sie sah ihm in die Augen. „Und … alle anderen hier auch.“

„Deine Eltern waren immer nett zu mir“, sagte er.

Bei der Erwähnung ihrer Mutter und ihres Vaters sah sie zu der alten Eiche. Sie bemerkte die roten Blumen, die schon fast mit Schnee bedeckt waren. Erstaunt fragte sie: „Du hast Blumen mitgebracht?“

Jack nickte.

Noch immer den Blick auf die Gräber ihrer Eltern gerichtet, meinte sie: „Ich bin fast froh, dass sie nicht mehr miterleben müssen, was mit der Zeitung passiert. Es würde ihnen das Herz brechen.“

Das Unglück ihrer Tochter würde ihnen das Herz brechen, dachte Jack. Er trat einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren.

Diesmal wich sie nicht zurück. Sie schloss die Augen und drückte sacht seine Hand gegen ihre Wange. Heftiges Verlangen erfasste Jack. Dies ist Katie, sagte er sich. Sie hat deinen besten Freund geheiratet …

Trotzdem war sein Verlangen nach ihr überwältigend. Er fühlte sich in seine Jugend zurückversetzt, und nun war sie wieder seine Katie, ihm nahe genug für einen Kuss. Er beugte sich vor.

Genau in diesem Augenblick fiel ihr Rad klappernd gegen das Eisentor des Friedhofs. Jack erschrak wie ein Dieb, der dabei ertappt wurde, wie er sich einem Tresor näherte.

Katie stand still und sah ihn mit ihren großen braunen Augen an.

Was, um alles in der Welt, tat er? Hatte er den Verstand verloren? Katie zeigte ein wenig Freundlichkeit, und schon war er bereit, mit ihr ins Bett zu gehen?

Denn um mehr ging es nicht. Oder? Er war an mehr als einer rein körperlichen Beziehung nicht interessiert. Er war bereits verheiratet, wie er gern scherzte –, mit seiner Arbeit. Er hatte weder die Zeit noch das Bedürfnis, sich zu verlieben.

Schon gar nicht in Katie. Diesen Fehler hatte er schon einmal gemacht.

Jack räusperte sich. Eines war klar. Er musste sich ums Geschäftliche kümmern und dann schleunigst verschwinden. Bevor er etwas tat, was er später bereuen würde. Er wandte sich ab und ging zu ihrem Fahrrad. Mit einer Hand hob er es auf seine Schulter und deutete zu seinem Wagen. „Wir sollten lieber in die Redaktion fahren, wenn ich diese Reporter kennenlernen soll.“ Er schaute auf seine Uhr. „Ich habe nicht mehr viel Zeit.“ Es war besser, nicht länger als nötig in Katies Gegenwart zu bleiben, da er sich selbst nicht traute.

4. KAPITEL

Katie hörte zu, wie die drei Topreporter Luanna, Shelley und Brett nach einem arbeitsreichen Tag ihre Lebensläufe zusammenfassten und die Ressorts, auf die sie spezialisiert waren.

Sie sah zu Jack, der neben ihr saß, den Blick auf ihre Reporter gerichtet. In Gedanken kehrte sie zum Friedhof zurück. Einen Moment lang hätte sie schwören können, dass er sie dort küssen wollte. Die magische Anziehung zwischen ihnen war von Neuem erwacht. Und ihr war das gleiche Mantra wie in ihrer Jugend durch den Kopf gegangen: Küss mich, Jack. Küss mich. Aber er hatte es nicht getan.

Vielleicht hatte sie sich alles auch nur eingebildet. Sie hatte dem Mann, den sie einst so geliebt hatte, in die Augen gesehen, und das hatte sie durcheinandergebracht. Etwas anderes war jedoch sehr klar: Sie hatte ihn vermisst.

Brett sprach als Letzter, und nachdem er mit seiner sorgfältig ausgearbeiteten Vorstellung fertig war, richteten sich alle Blicke auf Jack.

Die meiste Zeit über war er still gewesen und hatte höchstens mal eine Zwischenfrage gestellt. Katie fand die Auftritte ihrer Reporter gelungen.

„Na schön“, sagte Jack. „Das wär’s dann wohl im Großen und Ganzen. Ich bedanke mich für Ihre Zeit.“

Die Reporter sahen zu Katie, als warteten sie auf ein Stichwort, wie sie reagieren sollten. „Vielen Dank euch allen“, wandte sie sich an ihre Mitarbeiter.

Alles hatte sich länger als geplant hingezogen, und inzwischen war es kurz vor vier. Während Katie die Reporter aus ihrem Büro bugsierte, klingelte Jacks Handy. Er las die Nummer vom Display ab und nahm den Anruf entgegen. Als Katie sich umdrehte, klappte er sein Handy gerade wieder zu. „Anscheinend habe ich mehr Zeit als ich dachte.“ Er klang enttäuscht. „Das war Greg, mein Pilot. Albany ist wegen des Schneetreibens geschlossen. Es gehen weder Flüge raus, noch kommen welche rein.“

Marcella steckte den Kopf zur Tür herein. „Ich mache mich lieber auf den Weg, falls es dir nichts ausmacht, Boss.“

„In Ordnung“, meinte Katie.

Marcella wandte sich an Jack. „Normalerweise bin ich mindestens bis acht oder neun Uhr abends hier. Wir alle natürlich. Wir arbeiten sehr hart hier. Nur schneit es draußen wie verrückt, und ich muss meine Kinder noch vom Kindergarten abholen und …“

„Gute Nacht, Marcella“, sagte er.

„Gut“, sagte sie und errötete. Über Jacks Kopf hinweg formte sie lautlos mit den Lippen das Wort: umwerfend.

Katie bedeutete ihr, die Tür zu schließen. Dann holte sie tief Luft und fragte: „Können wir offen sein?“

„Offen?“ Er beugte sich vor und war ihr sehr nah. Sein Oberschenkel streifte ihren.

Katie nickte. „Bekommen wir das Geld?“

Jacks Miene verhärtete sich. „Ich würde es dir gern geben, aber …“

„Aber was?“

„Nenn mir einen Grund.“

„Ich habe die letzten zwei Tage damit zugebracht, dir Gründe zu nennen.“

„Nein“, widersprach er. „Du hast mir nichts außer Sentimentalitäten aufgetischt. Als objektiver Investor will ich wissen, warum ich dir das Geld geben soll.“

Also erklärte sie es ihm. Sie präsentierte Tabellenkalkulationen, alte Zeitungen, neue Layouts und eine Liste von Preisen, die die Zeitung gewonnen hatte. Als sie fertig war, war es fast acht, und Jack saß im Sessel, die Arme vor der Brust verschränkt, ein Lächeln auf den Lippen.

„Was ist?“, wollte sie wissen.

„Du hast dich ja in eine richtige Geschäftsfrau verwandelt. Nicht, dass ich allzu überrascht bin.“

„Und du hast dich in einen ziemlich gönnerhaften …“ Katie riss sich zusammen und zog eine Grimasse. Verdammt! Wieso musste sie immer so unverblümt ihre Meinung sagen? Jack war nicht mehr ihr Freund; er war ein Geschäftspartner. Sie rechnete mit einem Gegenangriff, doch er saß nur lächelnd da.

„Du nimmst noch immer kein Blatt vor den Mund, was?“

„Scheint so.“ Sie zuckte verlegen mit den Schultern.

Sein Lächeln erstarb, und er stand auf. „Ich werde mein Bestes tun, um dir zu helfen, Katie.“

Sie nickte nur und wagte nicht, etwas zu sagen.

„Komm“, forderte er sie auf. „Ich fahre dich nach Hause. Selbst du kannst bei dreißig Zentimeter hohem Schnee nicht mehr Rad fahren.“

Sie zogen ihre Mäntel an und gingen schweigend zur Tür. Katie vermutete, dass er Geld investieren würde, wenn er die Entscheidung allein treffen könnte. Aber das war nicht der Fall. Sie wusste, er würde seinen Vorstand überzeugen müssen, und das würde nicht leicht sein.

Jack hielt ihr die Tür auf. Als sie hinaustrat, rutschte sie prompt auf einer vereisten Stelle aus. Er fing sie auf und hielt sie fest, und sie verspürte einen erregenden Schauer bei dieser Berührung.

„Kannst du noch immer nicht richtig Schlittschuh laufen?“

Katie richtete sich auf und befreite sich von ihm. Sie wusste, dass er nur Spaß machte, denn früher hatten sie sogar Wettkämpfe auf dem Eis bestritten. „Mit dir nehme ich es jederzeit auf.“

Jack lachte, und gemeinsam suchten sie den Parkplatz nach seinem Wagen ab. Sämtliche Autos waren mit Schnee bedeckt, sodass sie nicht zu unterscheiden waren. Hinzu kam, dass Jack sich nicht mehr genau daran erinnern konnte, wo er geparkt hatte. Sie folgten dem Geräusch der Fernbedienung, kratzten einen schwarzen Ford Taurus frei und stiegen ein.

Katie war der Zustand der Straßen nicht klar gewesen, bis sie aus der Stadt hinausfuhren. Route 23, der zweispurige Highway, an dem ihr Haus lag, war noch nicht einmal geräumt. Die lange Auffahrt zu ihrem Haus, knapp eine halbe Meile, würde noch schlimmer sein.

Der Schneesturm war inzwischen so heftig, dass Jack die Einfahrt verpasste. „Hier ist es!“, erinnerte Katie ihn zu spät.

Jack riss das Lenkrad herum, doch der Wagen schlitterte vorbei und landete im Straßengraben.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte er sich. Er hatte sich losgeschnallt und beugte sich über sie.

Mit der einen behandschuhten Hand hielt er ihre Wange, während er ihr mit der anderen die Haare aus dem Gesicht strich. Der Geruch von Leder vermischte sich mit dem seines Eau de Toilette. Katie hielt die tief in ihr erwachende Leidenschaft im Zaum. „Mir geht es gut“, antwortete sie und schob seine Hand fort. „Alles in Ordnung.“

Hatte er seine Wirkung auf sie bemerkt? Hatte er gespürt, dass sie sich noch immer zu ihm hingezogen fühlte? Sie hörte ihn erleichtert aufatmen, als er sich wieder in seinen Sitz zurücklehnte.

„Es tut mir leid“, sagte er. „Ich … ich bin es nicht gewohnt, zu fahren.“

„Jetzt sag nicht, du hast auch noch einen Chauffeur.“

„Ich lebe in der Stadt“, verteidigte er sich. „Dort benutzt man Taxis. Mal ehrlich, Devonworth, du verkneifst dir nie eine Bemerkung, oder?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Klettere herüber“, forderte er sie auf und deutete auf seinen Schoß.

„Was?“ War das etwa ein Annäherungsversuch?

„Rutsch rüber, meine ich. Ich steige aus und schiebe. Wenn ich los sage, legst du den Rückwärtsgang ein.“

Jack stieg aus und warf die Tür zu. Es war also kein Annäherungsversuch, dachte Katie. Wieso liefen ihre Gedanken immer nur in die eine Richtung? Was hatte Jack, das sie so … verrückt auf Sex machte?

Sie kletterte auf den Fahrersitz, spähte zwischen den Bewegungen der Scheibenwischer hinaus zu Jack und musste grinsen. Es hatte etwas Komisches, wie er da mit seinem teuren Kaschmirmantel und den Gucci-Halbschuhen im tiefen Schnee stand.

Als er ihr zurief, sie solle den Wagen starten, legte sie den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Schnee wirbelte auf, aber der Wagen bewegte sich nicht von der Stelle.

Jack gestikulierte wild, und sie nahm den Fuß vom Gas. Als sie sah, dass er von oben bis unten mit Schnee bedeckt war, musste sie lachen. Er kam an die Tür und öffnete sie. „Was ist so komisch?“, verlangte er zu erfahren.

„Du siehst aus wie ein Yeti.“

„Ach ja?“ Sein Lächeln erstarb, und einen Moment lang fürchtete sie, ihn beleidigt zu haben.

Etwas an der Art, wie Katie ihn angesehen hatte, hatte Jack zurück in die Vergangenheit versetzt. Es war, als wäre er wieder der Jugendliche, der mit dem Mädchen zusammen war, das er liebte. Sein einzig wahrer Freund auf der Welt. Und ihr Lachen reizte ihn, sie kurzerhand in eine Schneewehe zu werfen, so wie er es damals getan hätte. Nur waren sie keine Jugendlichen mehr. Und dies war kein privater Besuch.

Er stellte den Motor aus und zog die Schlüssel ab. „Plötzlich habe ich Lust zu laufen.“

„Komisch“, sagte Katie und stieg aus. „Ich habe gerade das Gleiche gedacht.“

Jack nahm seinen Aktenkoffer aus dem Wagen. „Wollen wir?“

Der Schnee fiel in dicken Flocken, und es sah nicht aus, als würde es jemals wieder nachlassen. Katie und Jack stapften auf das Haus zu. Sie versuchten eine normale, unverfängliche Unterhaltung zu führen. Doch dann sprang Katie los und tanzte praktisch vor ihm her. „Jetzt rate mal, wer sechs Kinder hat!“

Jack grinste. „Keine Ahnung. Wer?“

„Christina Spagle. Deine alte Freundin.“

„Sie war nicht meine Freundin.“

„Du hast sie gefragt, ob sie mit dir zum Abschlussball geht.“

Aber nur, weil du beschlossen hattest, mit Tom Klarner, dem Kapitän der Footballmannschaft zu gehen, hätte er am liebsten erwidert. Jack war nicht der einzige Junge gewesen, der sich in Katie Devonworth verliebt hatte. Jeder Junge erlag irgendwann ihrem Charme. „Sechs Kinder“, wiederholte er und tat interessiert. „Wow.“

„Überleg mal, wenn du sie geheiratet hättest …“

„Ich hätte sie niemals geheiratet.“

„Na, aber wenn doch, dann würdest du jetzt zu Hause sitzen mit Jack Junior und Little Jackie und Jacqueline …“

„Ich hätte alle Kinder nach mir benannt?“

„Klar. Wieso nicht?“ Sie grinste. „George Foreman hat das auch gemacht.“

„Tatsächlich?“

„Sicher. George Junior, George der Dritte, Frieda George …“

„Dann hätte ich also eine Frieda Jack haben können?“

„Na klar.“

„Unglücklicherweise hätte selbst das mich nicht dazu gebracht, Christina zu heiraten.“

„Ach nein? Wieso nicht?“ Katie stand vor ihm.

Weil ich dich geliebt habe, hätte er am liebsten laut geschrien. Stattdessen sagte er: „Sie war nicht mein Typ.“

„Aber für die Hälfte aller Jungs auf der Schule war sie es“, meinte Katie und ging weiter.

Sie erreichten ihr Haus, und Katie lief die verschneiten Stufen hinauf. Die Tür war nicht abgeschlossen, wie bei allen Leuten in Newport Falls. Aus irgendeinem Grund war Jack froh, dass sich das nicht geändert hatte.

„Komm rein“, forderte sie ihn auf.

Auf das, was er drinnen sah, war er allerdings nicht vorbereitet. Das Haus war so gut wie leer, die meisten wertvollen Möbel fort. „Was ist mit den Möbeln passiert?“, erkundigte er sich und schaute sich um.

„Oh“, meinte sie, und ihr Lächeln erstarb. „Ich habe sie verkauft.“

„Aber warum?“

„Mir blieb keine andere Wahl.“

Jack hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen bekommen zu haben. Er wusste, dass es der Zeitung schlecht ging, aber Katie war die Besitzerin. Ihr Vater war schließlich auch immer gut zurechtgekommen. Andererseits … Jack dachte an Matt und ihre Scheidung und fragte sich, welcher Anteil Matt zugesprochen worden war.

„Verdammt!“ Katie drückte mehrmals den Lichtschalter. „Der Schnee muss einen Stromausfall verursacht haben.“

„Hat Matt sie mitgenommen?“

„Was?“

„Die Möbel. Und hat er einen Anteil an der Zeitung bekommen?“

Katie sah sich plötzlich verlegen im Zimmer um. „Nein. Die Trennung war so freundschaftlich wie unsere Ehe. Es gab keine …“ Sie hielt inne und sah Jack in die Augen. „Es gab keine großen Gefühlsausbrüche. Wir waren am Anfang sehr gute Freunde und am Ende verstanden wir uns immerhin noch.“ Sie deutete zum Kamin. „Ich hole lieber mal Holz rein, damit wir ein Feuer machen können.“

„Ich hole es“, sagte Jack. „Stell du inzwischen Kerzen oder Taschenlampen auf. Ist das Holz noch immer hinten?“

„Ich glaube schon.“

Jack warf ihr einen letzten Blick zu, bevor er hinausging.

Dieser Blick reichte aus, um Katie erschauern zu lassen. Es hatte Begierde darin gelegen, genau wie an jenem Tag damals am Fluss. Oder irrte sie sich? Das Licht war sehr schwach, also bildete sie es sich vielleicht nur ein.

Sie kramte in den Küchenschubladen nach Streichhölzern und fand eine alte Packung. Dann zündete sie die Kerzen auf dem Kamin an. Es waren rote Weihnachtskerzen. Katie hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie nach den Feiertagen auszutauschen.

Was, wenn Jack hier festsaß? Was würde sie mit ihm machen? Möglicherweise würde sein Pilot oder Butler oder was immer er war, einen Weg finden, um ihn zu holen. Wenn nicht, würde er die Nacht hier verbringen müssen. Denn wo sollte er sonst hin?

Sie betrachtete die Couch, das letzte Möbelstück im Zimmer. Einen Moment lang sah sie sich und Jack an den gegenüberliegenden Enden darauf sitzen, schweigend. Sie dachte an die angespannte Stille, die den Raum füllen würde, die unbeholfene Konversation.

Ein Ast schlug gegen das Fenster, und sie sah draußen den Schnee umherwirbeln. Es war zweifellos schön, aber auch ein wenig beängstigend. Die Natur war in Newport Falls für ihre rohe Gewalt bekannt. Schnee- und Eisstürme konnten tagelang anhalten.

Vielleicht ist es ganz gut, heute Nacht Gesellschaft zu haben, dachte Katie. Ganz zu schweigen von der Hilfe beim Feuermachen. Sie glaubte nicht, dass der Strom bald wieder funktionieren würde, und es war bereits kalt im Haus.

Sie nahm eine der Kerzen und ging nach oben, um warme Decken zu holen. Dabei warf sie erneut einen Blick zurück auf die Couch. Diesmal sah sie sich und Jack nicht an den gegenüberliegenden Enden darauf sitzen, sondern unter einer Decke zusammengekuschelt. Sie stellte sich Jack ohne Hemd vor, sein muskulöser Körper vom Mondlicht beschienen. Sie fühlte seine starken Arme um sich, fühlte, wie er sie an sich zog und ihre Brüste berührte …

„Ist dir kalt?“ Jack stand am Fuß der Treppe mit einem Stapel Holz auf dem Arm. „Du zitterst.“

„Ein wenig.“ Katie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich werde das Feuer anmachen. Aber dann muss ich noch mehr Holz hacken. Das hier war der Rest.“

„Aber Burt – du erinnerst dich doch noch an Burt Weasley, oder? Er hat einen Baum für mich gefällt und das Holz gesägt …“

„In Blöcke. Aber die müssen noch gehackt werden.“ Jack warf das Holz neben den Kamin und öffnete das Gitter. „Wo ist deine Axt?“

„Die müsste im Schuppen sein. Aber du brauchst das Holz nicht zu hacken. Ich werde es machen.“

„Sei nicht albern.“

„Was meinst du, wer es normalerweise macht?“, fuhr sie ihn an. „Außerdem bist du ja nun auch nicht mehr unbedingt der Naturbursche, oder? Sieh dir nur deine schicken Halbschuhe an. Sie sind ruiniert.“

„Meine Schuhe sind mir völlig egal.“ Er legte ein paar Scheite in den Kamin. „Wenn du gern das Holz hacken willst, bitte.“

„Fein.“ Sie kam die Treppe herunter und marschierte an ihm vorbei nach draußen. Dort blieb sie stehen und fragte sich, wieso sie eigentlich so wütend war. Er versuchte doch nur nett zu sein, indem er ihr anbot, Holz zu hacken. Warum benahm sie sich dann, als hätte er sie beleidigt?

Auf dem Weg zum Schuppen stürzte sie in den Schnee. Sie rappelte sich auf und rannte das letzte Stück. Nach mehreren Versuchen gelang es ihr, die Tür aufzubekommen. Drinnen entdeckte sie die dicken Blöcke, beinah noch Holzstämme, die Burt auf dem Boden gestapelt hatte. Sie schnappte sich die Axt und hieb damit auf das Holz ein. Wieder und wieder versuchte sie es, ehe sie innehielt. Im Holz war kaum eine Kerbe.

Sie wischte sich die Augen und merkte, dass sie weinte. Vor Wut. Nicht auf Jack, sondern auf sich, weil sie ihn auch nach all den Jahren noch begehrte. Noch immer wollte sie seine Arme um sich spüren. Sie fühlte sich wie gelähmt.

Sie hob die Axt von Neuem und schwang sie über ihren Kopf.

Plötzlich war Jack da. „Du hast es hinreichend bewiesen. Jetzt mache ich weiter, Lederstrumpf.“

Kate widersprach nicht, sondern reichte ihm die Axt. Als ihre Finger sich berührten, erschauerte sie.

Jack schien davon nichts zu bemerken. „Du bist eiskalt“, stellte er fest. „Geh rein und wärm dich auf.“

Doch sie ging nicht. Sie stand an die Wand gelehnt da und beobachtete ihn beim Holzhacken. Sie stellte sich das erotische Spiel seiner Muskeln unter seiner Kleidung vor, während er die Axt auf die Holzblöcke niedersausen ließ.

Katie dachte zurück an den Friedhof. Dort hatte sie sich ihm so nahe gefühlt. Jetzt malte sie sich aus, mit den Fingern durch sein volles Haar zu fahren. Seine Lippen auf ihren zu spüren. Seine Hände auf ihrem Rücken.

Ihr blieb eine Nacht. Eine Nacht, bevor er sie wieder verließ. Er liebte sie nicht und hatte sie nie geliebt. Trotzdem war deutlich, dass sie ihm nicht gleichgültig war. Aber reichte das, um mit ihr zu schlafen? Würde er ihr eine leidenschaftliche Nacht schenken? Eine Nacht, an die sie sich für den Rest ihres Lebens erinnern könnte?

Und könnte sie es tun? Könnte sie mit ihm schlafen, in der Gewissheit, dass er sie wieder verlassen und ihr damit wehtun würde?

Jack hielt inne und drehte sich zu ihr um. „Du bist immer noch da?“

Jack war jetzt ein Mann von Welt. Er war mit einigen der schönsten und begehrenswertesten Frauen im Land ausgegangen. Weshalb sollte er ausgerechnet sie wollen? Schließlich konnte er jede Frau haben.

„Katie?“ Er wartete noch immer auf eine Antwort.

Dies war ihr Jack. Und sie liebte ihn noch genauso wie früher.

„Ich kümmere mich besser um das Abendessen“, flüsterte sie.

5. KAPITEL

Katie war gerade fertig damit, Eier in die Pfanne zu schlagen, als die Tür aufflog.

Jack marschierte an ihr vorbei und warf das Holz neben den Kamin. „Seit wir hier sind, sind bestimmt noch dreißig Zentimeter Schnee gefallen. Hört es hier jemals wieder auf zu schneien?“

„Nein“, scherzte sie. „Nie.“

Er kam in die Küche.

„Ich habe dir trockene Sachen herausgelegt“, sagte sie. „Auch ein Paar Stiefel.“

Jack verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast zufällig Männerkleidung hier herumliegen?“

„Es sind Matts Sachen. Ich finde ständig noch irgendwo Zeug, das ihm gehört. Ich bin noch nicht wirklich zum Ausmisten gekommen.“

Jack lehnte sich an den Türrahmen. „Du hast ihn schon länger nicht gesehen?“

„Nein. Er ging vor knapp drei Jahren. Ziemlich plötzlich und nicht allein.“

„Was meinst du damit?“

„Damit meine ich, dass Matt eine Affäre hatte.“

„Wie bitte?“

Katie nickte.

„Ich … ich kann es nicht fassen.“

Damals hatte sie es auch nicht fassen können. Der liebe, einfühlsame Matt. Erst später hatte sie begriffen, wie verletzt er gewesen sein musste, um sich jemand anderem zuzuwenden.

Jack schüttelte den Kopf. „Dieser Mistkerl.“

„Es war nicht nur seine Schuld.“

„Was soll das denn heißen?“

„Ich war nicht gerade die beste aller Ehefrauen.“

Er schluckte. „Du warst … untreu?“

„Ich?“ Sie lachte. „Wohl kaum. Aber ich fürchte, ich habe für Matt nie so empfunden, wie er es gern gehabt hätte.“

„Warum nicht?“

Offenbar hatte Jack keine Ahnung, welche Rolle er bei der Trennung gespielt hatte. Katie rührte die Eier in der Pfanne weiter um. „Das kommt eben vor.“

Jack gab sich mit der Antwort zufrieden und verließ die Küche. Kurz darauf hörte Katie ihn telefonieren. Sie nahm zwei Porzellanteller und ging zum Feuer im Wohnzimmer. Als sie Jack erblickte, blieb sie unvermittelt stehen. Er trug Matts Jeans, sein Oberkörper war nackt.

Sein muskulöser Körper hatte sich seit der Highschool tatsächlich kaum verändert. Er hatte nach wie vor die Figur eines Athleten. Fasziniert beobachtete sie, wie er ein T-Shirt überzog. Es war ihm etwas zu klein.

Jack deutete auf die Teller. „Gute Idee. Hier ist es viel wärmer als in der Küche. Was immer du da kochst, es duftet jedenfalls köstlich.“

„Bloß Eier“, erwiderte sie. „Ich habe schon seit einer Weile keine Lebensmittel mehr eingekauft.“ Sie stellte die Teller vor den Kamin. „Hast du vorhin telefoniert?“

„Ja.“ Er zog ein Paar Socken an. „Greg rief vom Flughafen an. Er wollte wissen, ob er einen Geländewagen oder so etwas mieten soll, um mich hier herauszuholen.“

„Und was hast du geantwortet?“

„Ich sagte, es würde nicht viel nützen, es sei denn, der Wagen hätte Flügel und könnte fliegen.“

„Dann bleibst du also über Nacht.“ Es war eher eine Feststellung, als eine Frage. Sie ging wieder in die Küche, um Besteck zu holen.

„Wenn du nichts dagegen hast“, meinte er und folgte ihr.

„Absolut nicht. Wir können uns … über alte Zeiten unterhalten.“

„Genau“, sagte er.

Katie drehte sich zu ihm um und wartete. Doch Jack wusste nicht, worauf.

„Falls du noch jemanden anrufen willst, kannst du gern mein Telefon benutzen. Um Termine zu verschieben, zum Beispiel.“ Mit Carol, fügte sie im Stillen hinzu. Sie nahm den Hörer des alten Wählscheibentelefons ab, doch es gab kein Freizeichen. „Oder auch nicht.“

„Ich brauche dein Telefon ohnehin nicht.“ Er nahm ihr den Hörer aus der Hand und legte ihn wieder auf. „Ich habe mein Handy, schon vergessen?“

„Ich dachte nur, du willst Carol vielleicht anrufen“, meinte Katie so beiläufig wie möglich.

„Carol? Darum wird meine Sekretärin sich kümmern.“

„Ach so.“ Natürlich. Wieso sollte er persönlich ein Date absagen? Nein, die Drecksarbeit überließ er seiner Sekretärin.

„Warte, ich mach das.“ Jack nahm ihr das Besteck aus der Hand.

Plötzlich schnupperte Katie. Es roch angebrannt. Die Eier! Sie hastete in die Küche, doch das Essen war verdorben.

Jack sah ihr über die Schulter. „Die sind doch noch in Ordnung.“

Katie kippte die Eier in den Müll. „Du versuchst nur nett zu sein.“ Sie stellte die Pfanne wieder auf den Herd und schlug ein neues Ei auf.

„Soll ich nicht lieber das Abendessen machen?“, bot er an.

„Es geht schon.“

„Du hast immer noch deine nassen Sachen an. Geh dich umziehen.“

„Kommst du wirklich allein zurecht?“

„Sicher. Ich habe das schon mal gemacht.“ Er grinste.

Katie überließ ihm die Pfanne und machte sich auf die Suche nach etwas Passendem zum Anziehen. Etwas, das gut aussah, ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie gut aussehen wollte.

Verdammt, wann würde sie endlich aufhören, Jack beeindrucken zu wollen? Ihm war es schließlich egal, ob sie ein schwarzes Negligé trug oder einen Kartoffelsack.

Sie dachte an die Frauen, mit denen er ausgegangen war, und deren Fotos sie in der Redaktion von den Nachrichtenagenturen erhielten. Schöne, brillante, reiche …

Wie konnte sie nur darauf hoffen, mit denen konkurrieren zu können? Ein solcher Versuch war die reinste Energieverschwendung. Sie würde sich nur zum Narren machen, daher entschied sie sich für eine alte violette Freizeithose.

Als sie wieder nach unten kam, war das Essen fertig. Jack hatte eine Kerze auf den Fußboden vor den Kamin gestellt und links und rechts davon gedeckt.

Das Rührei war perfekt, und Katie schlang es förmlich hinunter. Jack beobachtete sie amüsiert. „Soll ich noch mehr machen?“

„Nein.“ Es war ihr peinlich, dass sie so viel gegessen hatte. „Aber es war wirklich gut. Kochst du noch immer gern?“

„Ich koche nicht mehr.“

„Früher hast du es gern getan.“

Er lächelte. „Ich habe es getan, weil ich es musste. Und ich habe nie etwas anderes außer Hotdogs und Rührei zubereitet.“

„Ich weiß. Trotzdem war es lecker.“

„Deine Mutter war eine gute Köchin“, erinnerte er sich. „Anscheinend hast du ihr Talent nicht geerbt.“

Katie lachte. „Nein.“ Dann fügte sie ernster hinzu: „Es ist schwer hier ohne sie.“

„Ich weiß“, sagte Jack. „Es tut mir leid.“

Katie sah ihn an. „Wieso hast du nicht angerufen, als sie starb?“

Jack wich ihrem Blick aus. „Ich dachte, es würde dir gar nicht auffallen, wenn ich mich nicht melde.“

„Wie bitte? Jack! Du warst einer meiner besten Freunde!“

„Aber wir hatten seit Jahren nichts mehr voneinander gehört.“

„Trotzdem hast du mir doch noch etwas bedeutet. Ich habe oft an dich gedacht und mich gefragt, wie es dir wohl geht.“

„Es tut mir leid. Ich dachte, Matt würde sich um dich kümmern.“

„Matt hat damit nichts zu tun. Du und ich waren Freunde, unabhängig von ihm.“ Sie schob den Teller beiseite. „Außerdem brauchte ich niemanden, der sich um mich kümmert. Aber einen Freund hätte ich gebraucht. Es war eine schwere Zeit. Mein Vater und meine Mutter starben, dann verließ Matt mich … ganz zu schweigen von dem, was um mich herum los war. Der Kampf, die Zeitung am Leben zu halten, während ich jeden Tag von einem anderen Geschäft hörte, das schließen musste und von Familien, die die Stadt verließen …“ Sie verstummte. „Hör mich jammern. Entschuldige bitte. Normalerweise geht es mir nicht so nahe.“

Jack streichelte ihre Hand, und Katies Herz schlug schneller. „Tut mir leid“, sagte er.

Sie zwang sich, ihre Hand wegzuziehen. Dann nahm sie die Teller und trug sie in die Küche, wo sie sie in die Spüle stellte.

Jack folgte ihr. „Wir waschen später ab“, meinte er.

Er stand direkt hinter ihr. Katie konnte ihn spüren, seine Präsenz. Ihr plötzliches Verlangen war so heftig, dass sie erschauerte.

Jack legte ihr die Hände auf die Arme. „Du zitterst schon wieder. Setz dich lieber ans Feuer.“

Sie ließ sich widerstandslos von ihm ins Wohnzimmer zur Couch führen. Er warf einen weiteren Scheit ins Feuer und meinte: „Und weil ich beim Tod deiner Mutter nicht angerufen habe, bist du nicht schon eher zu mir gekommen? Deshalb hast du mir nicht erzählt, wie schlecht die Dinge hier stehen?“

Katie starrte in die Flammen. „Ich dachte, du wüsstest es.“

„Woher denn? Die einzigen Menschen, die mir nahe standen, waren du und Matt.“

„Vermutlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass es dich interessiert.“

Draußen war es jetzt vollkommen dunkel. Das einzige Licht kam von den Kerzen und dem Feuer.

„Es war ja kein Geheimnis, dass du es kaum erwarten konntest, von hier wegzukommen“, fuhr sie fort. „Und weg von mir.“

Jack setzte sich verblüfft neben sie. Das hatte sie geglaubt –, dass sie ihm gleichgültig war? All die Jahre, in denen er sich nach ihr gesehnt hatte, in denen er verzweifelt war über ihre Heirat mit Matt … von all dem hatte sie keine Ahnung gehabt?

„Stimmte das etwa nicht?“, fragte sie.

Er entdeckte Tränen in ihren Augen. Von ihrer herausfordernden Art war nichts mehr zu spüren. Sie war jetzt nur noch Katie, sanft und verletzlich.

„Du hast mir immer etwas bedeutet“, sagte er. „Daran hat sich nichts geändert.“

Schweigend saßen sie nebeneinander. Es war kein verlegenes Schweigen mehr, sondern eines zwischen alten Freunden, die keine Worte nötig hatten.

Nach einer Weile schloss Katie die Augen. Jack wusste, dass sie erschöpft war. Sie hatte hart gearbeitet, und die Verantwortung lastete auf ihr. Amüsierte sie sich überhaupt noch manchmal? Er bezweifelte es.

Ihr Kopf lag an seiner Schulter, und er zog sie näher an sich. Er spürte seine Muskeln von der Anstrengung beim Holzhacken. Sein tägliches Training im Fitnessstudio war kein Vergleich zu natürlicher Belastung. Er hätte nie gedacht, dass einmal der Tag kommen würde, an dem er das Holzhacken vermisste. Doch anscheinend hatte er sich geirrt. Wie in so vielen Dingen. In Katie, zum Beispiel. Er war schon mit einigen Frauen ausgegangen, doch sie war noch immer die störrischste, eigensinnigste und aufregendste Frau, der er je begegnet war.

Bei der Vorstellung, die Nacht mit ihr zu verbringen, brach ihm der Schweiß aus. Es war schon eine Weile her, seit er mit einer Frau zusammen gewesen war, und er fühlte sich ausgehungert. Wäre er jetzt in New York, hätte er eine ganze Reihe von Frauen anrufen können, die nur zu gern das Bett mit ihm geteilt hätten. Aber der Gedanke war Unsinn. Selbst wenn er in New York gewesen wäre, hätte er diese Frauen nicht angerufen. Es gab nur eine Frau, mit der er heute Nacht schlafen wollte, und das war Katie Devonworth.

Er betrachtete ihr wunderschönes Gesicht, und sein Verlangen wurde beinah unerträglich. Nicht heute Nacht. Er musste die Dinge langsam angehen, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Er musste ihr beweisen, dass er der Mann war, der für sie bestimmt war.

So behutsam wie möglich löste er sich von ihr, legte ihren Kopf auf ein Kissen und deckte sie zu. Dann nahm er ein altes Kissen und eine Decke und machte es sich auf dem Fußboden bequem.

Doch es dauerte lange, bis er einschlief.

6. KAPITEL

Katie öffnete die Augen. Es war taghell. Erschrocken setzte sie sich auf. Wie spät war es? Und wo war Jack?

Wo immer er steckte, er hatte sich um das Feuer gekümmert. Frisch gehacktes Holz knisterte im Kamin.

„Jack?“, rief sie. Sie stand auf, wickelte die Decke um sich und ging zur Treppe. Im Wohnzimmer war es behaglich warm, doch der Rest des Hauses war eisig kalt.

Sie hörte die Hintertür zuschlagen und sah Jack mit einem Stapel Holz hereinkommen. Er trug seinen Kaschmirmantel und die Stiefel, die sie ihm hingestellt hatte. Mit den zerwühlten Haaren und den frischen Bartstoppeln wirkte er noch attraktiver. Gefährlich sexy, dachte sie und registrierte, dass er den gleichen Blick hatte wie damals in ihrer Jugend.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie und ging an ihr vorbei.

„Guten Morgen.“ Katie wich ihm aus. Sie beobachtete, wie er das Holz neben dem Kamin stapelte. „Wie ich sehe, schneit es draußen noch immer.“

„Und es sieht nicht danach aus, als würde es aufhören“, bestätigte er.

„Ich nehme an, der Strom funktioniert noch nicht, oder?“

„Genauso wenig wie das Telefon.“

„Du hast versucht zu telefonieren?“, fragte sie, und es klang vorwurfsvoll. Sofort fügte sie beschwichtigend hinzu: „Selbstverständlich kannst du gern telefonieren …“

„Ich habe meinen Computer benutzt und wollte online gehen.“

„Wie spät ist es?“

„Kurz vor neun.“

Plötzlich brauchte sie dringend eine Tasse Kaffee. „Ich müsste irgendwo noch Instantkaffee haben“, sagte sie. „Wir können Wasser kochen.“

„Nein, danke. Ich trinke keinen Kaffee.“

„Tee?“

„Auch keinen Tee. Aber ich koche dir gern welchen.“

„Schon gut, ich kümmere mich selbst darum.“

Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Anscheinend hat man sich in letzter Zeit nicht oft um dich gekümmert. Lass mich das tun.“

Sie zögerte. „Na schön. Kaffee, bitte.“

Als Jack das Zimmer verließ, zog Katie die Decke fester um sich, dankbar für die Wärme des Feuers. Ihr Blick fiel auf das Kissen am Boden. Don Juan war also der vollkommene Gentleman gewesen.

„Wie hast du geschlafen?“, fragte er, als er zurückkam.

„Erstaunlicherweise gut.“

„Wieso erstaunlicherweise?“

„Angesichts der Tatsache, dass du hier warst. Es ist eine Weile her, seit ich mit jemandem geschlafen habe.“

„Ach ja?“

„Oh, also … du weißt schon, was ich meine.“ Katie errötete.

„Hast du dich mit vielen Männern getroffen seit der Scheidung von Matt?“, erkundigte er sich so beiläufig, als würde er über das Wetter sprechen.

„Ich hatte exakt zwei Dates seit Matt. Eines mit einem Zahnarzt aus Granville, das andere mit dem Cousin eines Mannes, der für mich arbeitet. Er verkauft Reifen in Albany. Beide Treffen waren enttäuschend und keines wurde wiederholt.“

„Lag es an den Männern?“

„Nein, die waren ganz in Ordnung. Ich … ich war einfach nicht interessiert.“

„Weshalb hast du dich dann darauf eingelassen?“

„Weil ich zweiunddreißig bin. Wenn ich nicht aufpasse, ende ich noch mit einem großen schäbigen Haus und einem Haufen Katzen.“

Jack lachte. „Das bezweifle ich.“

Katie beobachtete ihn, wie er den Kessel aufs Feuer stellte. „Was ist mit dir?“, wollte sie wissen. „Eine von diesen reizenden Frauen, die man in deiner Begleitung sieht, würde sich bestimmt überreden lassen, dich zu heiraten.“

Er lachte erneut. „Das glaube ich kaum.“

„Bestimmt. Du bist doch eine gute Partie. Du warst nie verheiratet, bist reich, gut aussehend, unterhaltsam …“ Verlegen hielt sie inne.

„Schon gut. Ich werde niemandem erzählen, dass du mich gut aussehend und unterhaltsam genannt hast.“ Er nahm den Kessel vom Feuer und goss das Wasser in eine Tasse. Dann gab er Instantkaffee dazu und reichte sie ihr. „Es muss einsam sein, ganz allein in diesem großen Haus zu wohnen.“ Er setzte sich wieder neben sie, so nah, dass ihre Beine sich berührten.

Katie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Manchmal“, räumte sie ein. „Aber ich bin ja selten hier.“ Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, und Jack fing sie auf und strich sie ihr hinters Ohr.

„Und? Was machst du, um mal Spaß zu haben?“ Er zog seine Hand nicht zurück, sondern ließ sie zärtlich auf ihrer Wange ruhen.

„Spaß?“

„Wie entspannst du dich?“

Ihr Herz pochte, und sie hatte Mühe, sich auf etwas anderes als das Gefühl seiner Finger auf ihrer Haut zu konzentrieren.

„Was ist los, Katie?“, fragte er sanft.

Sie schluckte und schloss die Augen. Jack strich über ihren Hals bis zum Ausschnitt ihres Sweatshirts. Gerade weit genug, um sie zu necken und ihr süße Qualen zu bereiten.

„Fühlt sich das gut an?“

„J…ja“, brachte sie mühsam heraus.

„Ich könnte dir helfen, dich … zu entspannen.“

Katie seufzte, als er die andere Hand langsam unter ihr Sweatshirt schob und sie zu ihren Brüsten hinaufgleiten ließ. Dann riss sie sich zusammen, schlug die Augen auf und stand abrupt auf. „Es ist schwer sich zu entspannen, wenn ich mir solche Sorgen wegen der Zeitung mache. Und wegen meiner Stadt. Ich bin nicht wie du. Ich konnte nie vor Verpflichtungen davonlaufen.“

Ihre Worte trafen ihn wie ein Eimer kaltes Wasser. Jack erstarrte und wich zurück.

Seiner gerunzelten Stirn entnahm Katie, dass ihre Bemerkung gesessen hatte. Sie wandte sich ab und sah zum Fenster hinaus. „Vielleicht sollten wir versuchen, dein Auto freizubekommen.“

„Gute Idee“, stimmte er sofort zu.

„Ich werde dir helfen. Ich brauche bloß eine Minute, um mich umzuziehen.“

„Nein, schon gut“, sagte er und ging an ihr vorbei.

„Warte.“ Sie hielt ihn an der Tür auf. „Wenn du deinen Wagen freischaufeln kannst …“ Sie zögerte. Fährst du dann einfach so? Werde ich je wieder von dir hören? wollte sie fragen.

Er sah ihr in die Augen und sagte: „Wenn ich meinen Wagen herausbekomme, werde ich es sicher nicht in deine Auffahrt hinein schaffen. Ich werde direkt zum Flughafen fahren. Die Stiefel hier schicke ich dir, falls du einverstanden bist.“

Mit anderen Worten, ja, er würde erneut aus ihrem Leben verschwinden.

„Das hat keine Eile.“ Ihr Ton kaschierte ihre wahren Gefühle.

„Danke für alles. Ich lasse dich Montag von jemandem anrufen, um dir unsere Entscheidung mitzuteilen“, sagte er und nahm seinen Laptop. „Leb wohl, Katie.“ Er hielt ihr die Hand hin, die sie vor wenigen Minuten noch so zärtlich gestreichelt hatte. Katie schüttelte sie kurz, und dann war er fort.

Jack floh förmlich aus dem Haus. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sich so an sie heranzumachen? Nur hatte er nicht anders gekonnt. Es reichte ihm nicht, ihr einfach nur nahe zu sein. Er wollte sie berühren und sie küssen. Er wollte sie in die Arme schließen und sie lieben.

Es gab Momente, in denen sie ihn ansah, als würde sie ganz genauso für ihn empfinden. Trotzdem wies sie ihn ständig zurück.

Es brauchte Zeit, viel Zeit, bis sie ihm wieder vertrauen würde.

Jack erreichte seinen Wagen, der unter einem Berg Schnee versteckt war. Es würde nicht leicht werden, ihn zu befreien, aber ihm blieb kaum eine andere Wahl. Er musste zurück nach New York und Katie beweisen, dass sie ihm etwas bedeutete. Er war nicht sicher, was er tun konnte, um „The Falls“ zu retten, ihre geliebte Zeitung, aber eines wusste er –, er musste es versuchen.

Falls der Vorstand kein Geld freigeben sollte, würde er sein eigenes einsetzen. Nur würde das nicht so einfach sein. Fast alles steckte in dem London-Deal. Viel hatte er nicht flüssig.

Seit er mit dem Wagen von der Straße abgekommen war, war noch eine ganze Menge Schnee gefallen, sodass die Reifenspuren und ihre Fußspuren nicht mehr zu sehen waren. Jack schaute die Straße entlang, die noch immer nicht geräumt war. Dicke Wolken am Himmel verhießen weiteren Schnee. Wenn kein Wunder geschah, saß er noch einen weiteren Tag hier fest.

Mit ziemlicher Kraftanstrengung bekam er die Tür geöffnet und warf seinen Laptop in den Wagen. Dann versuchte er mit den Füßen hinter dem Wagen den Schnee beiseite zu räumen. Gerade als er sich darüber ärgern wollte, dass er keine Schaufel dabei hatte, schreckte Katie ihn auf.

„Probier es mal damit.“

Jack drehte sich um und starrte sie an. Sie trug eine schwarze hautenge Skihose und einen weiten orangefarbenen Parka, dazu eine bunte Mütze. In ihren Händen, die in Fausthandschuhen steckten, hielt sie zwei Schaufeln.

Kopfschüttelnd reichte sie ihm eine. „Stadtjunge.“

„Was hast du vor?“

„Erstens brauche ich jemanden, der mich in die Redaktion mitnimmt, und zweitens habe ich Mitleid. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass du dich mit bloßen Händen freibuddeln musst. Aber auch mit zwei Schaufeln liegt ganz schön viel Arbeit vor uns.“

Jack sagte nichts und richtete all seine Energie darauf, den Wagen freizubekommen. Nach einer Weile meinte er: „Wie wäre es, wenn du dich wieder rein setzt und ich schiebe?“

„Einverstanden.“ Ihr Ton verriet, dass sie ihn für verrückt hielt.

Katie startete den Wagen, während Jack schob und ihr zurief, wann sie die Gänge wechseln sollte. Nach einer Weile stellte sie den Motor wieder ab und beugte sich aus dem Fenster. „Ich habe schlechte Neuigkeiten“, meinte sie. „Du wirst nirgendwo hinfahren. Jedenfalls nicht mit diesem Auto.“

„Zu dem Schluss bin ich auch schon gekommen.“

„Ich hoffe, du verpasst nichts Wichtiges heute.“

Er schüttelte den Kopf. „Ein paar Treffen, das ist alles.“

„Mit Carol?“

Jack stutzte. Verblüfft, dass sie schon wieder auf Carol anspielte, seine Strategin, was eine elegantere Bezeichnung für die ausgezeichnete Buchhalterin war. Sie stellte das Geld für seine Geschäfte bereit. Aber Katie müsste eigentlich wissen, wer sie war. Sicher hatte sie Erkundigungen über seine Firma eingeholt, bevor sie ihn zum Essen eingeladen hatte.

„Unter anderem“, antwortete er.

„Unter anderem?“ Sie stieg aus dem Wagen und warf die Tür zu. Dann gab sie ihm seinen Laptop und meinte kühl: „Die werden alle schrecklich enttäuscht sein.“ Und damit stapfte sie durch den Schnee Richtung Straße.

„Katie?“, rief Jack. „Wohin gehst du?“

„Was glaubst du? Zur Arbeit!“

„Du willst fünf Meilen durch einen Schneesturm laufen?“

Sie breitete die Arme aus. „Das ist wohl kaum ein Schneesturm. Es ist vielleicht ein bisschen zu viel für einen Stadtjungen, aber …“

„Ob Stadtjunge oder Mädchen vom Land. Es schneit einfach zu heftig.“

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Ich muss zur Arbeit. Alle verlassen sich auf mich.“

„Das ist nicht der Grund, das weißt du genau.“

„Was weiß ich?“

„Du würdest lieber meilenweit durch einen Schneesturm laufen, als noch eine weitere Minute mit mir zu verbringen. Du hast Angst vor mir. Angst vor dem, was passieren könnte, wenn wir noch eine Nacht miteinander verbringen.“

Katie runzelte die Stirn und grinste. „Du bist ja ziemlich von dir überzeugt.“

„Eigentlich nicht“, gestand er ein. „Ich weiß nur, was ich empfinde. Da ist immer noch etwas zwischen uns, stimmt’s? Vielleicht sollten wir herausfinden, was es ist.“

Ihr Grinsen verschwand. „Ich weiß, was es ist. Anscheinend hast du die Vergangenheit völlig vergessen. Du behandelst mich wie eine Fremde, als wäre ich eine von den Frauen, mit denen du dich umgibst. Wir sind hier zusammen, und du denkst dir, was soll’s. Wieso nicht?“

„Wieso nicht was?“

„Du weißt schon, was. Aber so groß die Versuchung auch ist – und glaub mir, ich spüre diese Versuchung –, ich kann nicht.“ Sie setzte sich auf den Kofferraum des Wagens und verschränkte die Arme vor der Brust.

Er setzte sich neben sie. „Warum nicht?“

„Es gibt eine Million Gründe. Hauptsächlich aber, weil ich dich kenne. Es ist doch ziemlich offensichtlich, dass wir füreinander nicht die Richtigen sind.“

„Ach ja?“

„Ich brauche eine andere Sorte Mann.“

Mit einer Ohrfeige hätte sie ihn nicht härter treffen können. „Ich kenne viele Männer“, scherzte er, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihre Worte ihn verletzt hatten. „Was für einen Typ suchst du denn?“

„Jemanden, dem ich mein Herz schenken kann. Jemanden, dem ich vertrauen kann.“

„Matt hat dir tatsächlich wehgetan, nicht wahr?“

„Matt? Schon. Aber wahrscheinlich nicht so, wie er es sich gewünscht hat.“

Jack schwieg eine Weile. „Meinst du, du wirst jemals wieder einem Mann trauen?“

„Ich hoffe es.“

„Aber du triffst dich ja nicht einmal mehr mit Männern.“

„Wenn es geschehen soll, wird es geschehen. Noch habe ich nicht das Handtuch geworfen. Aber beim nächsten Mal soll es etwas Besonderes sein. Romantisch.“

„War es mit Matt nichts Besonderes?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Immerhin hast du ihn geheiratet.“

„Meine Mom lag im Sterben.“

„Deshalb hast du ihn geheiratet?“ Jack schluckte und wartete gebannt auf ihre Antwort.

Nach einer Ewigkeit, zumindest kam es ihm so vor, sagte sie: „Wäre es mir damals besser gegangen, wären wir niemals zusammengekommen.“

Alles war seine Schuld. Er empfand tiefes Bedauern. Wenn er für Katie da gewesen wäre, hätte sie Matt nicht geheiratet. Stattdessen hatte er sie allein gelassen, als sie ihn am dringendsten gebraucht hätte.

„Matt und ich hatten keine romantische Liebe. Es war immer ziemlich unbeholfen und gezwungen.“

Obwohl Jack es kaum ertragen konnte, mehr darüber zu erfahren, zwang er sich zum Zuhören. Es war seine Buße, das Mindeste, was er tun konnte. „Es tut mir leid“, sagte er.

„Ich dachte immer, wenn ich heirate, dann einen Mann, der mein Herz im Sturm erobert, bei dem ich Schmetterlinge im Bauch habe oder so etwas. Aber so war es nicht.“

Das Leben war nicht gut gewesen zu Katie. Trotzdem war er, ihr bester Freund, zu gekränkt gewesen, um ihr Trost zu spenden. Jack verspürte den Wunsch, sie in den Arm zu nehmen und ihr zu versprechen, sie nie wieder loszulassen. Stattdessen stieß er sie nur an und meinte: „He!“

„Was?“

„Du trägst meine Mütze.“ Es fiel ihm jetzt erst auf. Sie trug eine Strickmütze mit einem langen Zipfel und einer Bommel daran. Als Kind hatte sie ständig ihren Schal verloren und sich über ihren kalten Hals beklagt, deshalb hatte er ihr diese Mütze geschenkt. „Damit dir nie wieder kalt wird“, hatte er gesagt und ihr den Zipfel um den Hals gewickelt. Nach all den Jahren hielt sie noch immer Katies Hals warm. „Ich habe sie dir zu Weihnachten im ersten Jahr auf der Highschool geschenkt.“

Katie lächelte. „Und? Willst du sie jetzt etwa zurückhaben?“

„Nein, ich will damit nur sagen, dass du möglicherweise recht hast mit dem, was du darüber gesagt hast, dass du hier mit mir festsitzt. Aber schließlich bin ich kein Fremder, oder?“

„Ich habe mich wohl falsch ausgedrückt“, sagte sie und lief wieder los, diesmal schneller. „Ich meinte Nervensäge.“

„Devonworth“, knurrte Jack. „Pass bloß auf. Das war eine Kampfansage.“

Sie lachte. „Ach ja? Und das von einem Mann, der versucht hat, mit bloßen Händen seinen Wagen aus einer Schneewehe zu schaufeln. Der keine Mütze trägt und nur einen teuren Mantel und einen teuren Computer bei sich hat. Was glaubst du eigentlich …“

Sie konnte den Satz nicht beenden, weil Jack seinen Computer in den Wagen gelegt hatte und ihr nachlief. Katie ließ die Schaufel fallen und rannte zum Haus. Doch sie war keine ebenbürtige Gegnerin für ihn. Er packte sie an den Hüften und hob sie hoch. „Lass mich herunter!“, schrie sie.

„Ich fürchte, das kann ich nicht machen.“ Jack steuerte eine riesige Schneewehe an. „Schließlich bin ich eine Nervensäge, schon vergessen?“

Katie musste lachen und strampelte mit den Beinen.

„Tritt so viel du willst. Du landest trotzdem im Schnee.“

„Na schön, es tut mir leid, dass ich dich eine Nervensäge genannt habe.“

Er drehte sie um, sodass ihr Gesicht dicht vor seinem war. Ihre Schönheit war so überwältigend, dass es ihm den Atem raubte. Ihre braunen Augen waren groß und leuchtend. Die Kälte ließ ihre Wangen glühen und ihre Lippen voll und sinnlich aussehen. Erregung breitete sich in ihm aus.

„Ich wollte auch nicht Nervensäge sagen, sondern Blödmann“, fuhr sie fort.

„Du lässt mir keine andere Wahl“, erklärte er und ließ sie in den Schnee fallen. Dann marschierte er auf das Haus zu.

„Jack!“, schrie sie, und im nächsten Moment traf ihn ein Schneeball am Hinterkopf. Gleich danach erwischte ihn der nächste. Katie Devonworth war anscheinend noch immer die beste Schneeballwerferin im Land.

Jack rannte um die Garage herum und bereitete seine eigene Munition vor. Zwischen den Würfen stopfte er sich Schneebälle in die Taschen. Nach einer Weile kam er hinter der Garage hervor. „Genug, das reicht.“

Katie richtete sich hinter der Schneewehe auf. „Wird dir kalt, Stadtjunge? Oder bist du von einem Mädchen besiegt worden?“

Er hob kapitulierend die Hände. „Ich gebe auf.“

„Bist du unbewaffnet?“

„Ja“, rief er und ging weiter auf sie zu.

„Das war nicht sehr klug“, sagte sie, und ein Schneeball zischte an seinem Ohr vorbei.

Er holte die hastig geformten Schneebälle aus den Taschen und rannte auf sie zu. Katie kreischte und duckte sich hinter der Schneewehe, doch er sprang darüber hinweg und landete neben ihr. Bevor sie den nächsten Schneeball formen konnte, saß er rittlings auf ihr und drückte ihr die Arme auf den Boden.

Sie hatte ihre Mütze verloren, sodass sich ihre langen braunen Haare im Schnee auffächerten. Katie war nach wie vor die schönste Frau, die Jack jemals in seinem Leben gesehen hatte. Er musste ihr sagen, was er für sie empfand. Wie viel er noch immer von ihr hielt, wie viel sie ihm bedeutete. „Katie“, begann er. Doch er konnte nicht sprechen. Er wollte nicht sprechen. Er wollte sie küssen.

Trotz der Kälte durchflutete es ihn warm. Sein Verlangen wollte gestillt werden. Er beugte sich über sie, den Blick auf ihre Lippen gerichtet. Nur ein Kuss, nahm er sich vor. Ein Kuss, und er wäre zufrieden …

Aber Katie hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, wie sie zu Liebe unter alten Freunden in einem Schneesturm stand. Also nahm er sich zusammen, stand auf und half ihr hoch. „Es ist lange her, seit ich mich zuletzt so amüsiert habe“, gestand er.

„Ich weiß, dass das nicht stimmt“, meinte sie. „Ich habe Fotos von dir und deinen Frauen gesehen. Darauf machtest du den Eindruck, als würdest du dich ziemlich gut amüsieren.“

Er wollte ihr erklären, dass keine dieser Frauen ihm etwas bedeutet hatte und keine den Vergleich mit ihr standhielt. Doch stattdessen sagte er: „Na ja, ich habe hin und wieder ein Date.“

„Aber?“

„Kein Aber. Nur heißt das nicht unbedingt, dass ich mich amüsiere.“

„Immerhin hast du dich so gut amüsiert, dass du nicht ans Heiraten gedacht hast“, bemerkte sie sarkastisch.

Sie ging zum Haus, und er beeilte sich, sie einzuholen. „Ich habe nicht geheiratet, weil … weil keine von ihnen die Richtige war.“

Katie verdrehte die Augen. „Du bist auch einer von denen.“

„Einer von denen?“

„Einer von diesen Männern, die hoffen, dass es tatsächlich die perfekte Frau gibt.“

„Ich hoffe nicht, ich weiß es“, entgegnete er und sah ihr ins Gesicht, doch sie bemerkte es nicht.

„Wie spät ist es?“

Jack schaute auf seine Uhr. „Fast Mittag.“

„Machen wir uns was zu essen. Ich dachte an Brot und Käse.“

„Das klingt toll.“

Aber kaum hatten sie das Haus betreten, klingelte Katies Handy. Es war Kurt, ihr Redaktionsassistent. Er hatte dem Wetter getrotzt und es zur Arbeit geschafft, zusammen mit einer Handvoll Pflichtbewusster. Gemeinsam mussten sie für das Erscheinen der Zeitung sorgen. Katie setzte sich vor den Kamin und gab Anweisungen.

Stunden später hatten sie eine Ausgabe fertig und die nächste vorbereitet. Der Schneesturm würde die Produktion von „The Falls“ nicht unterbrechen.

Katie massierte ihre verspannten Schultern. In ihrem Kopf pochte es, und ihr Hals tat weh vom vielen Reden.

„Hattest du einen harten Tag im Büro?“, neckte Jack sie und reichte ihr eine dampfende Tasse.

„Was ist das?“

„Tee.“

Sie lächelte, gerührt über seine Fürsorglichkeit. „Danke.“

„Bist du fertig für heute?“

„Mehr oder weniger. Ich habe keine Ahnung, wie die Ausgabe wird, aber sie erscheint.“

Jack schob ihr einen Teller mit Brot und Käse hin. „Du musst hungrig sein.“

Katie bediente sich dankbar.

Jack setzte sich ihr gegenüber und beobachtete sie beim Essen. Längst sah er nicht mehr aus, als würde er gleich zu einer Vorstandssitzung gehen. Inzwischen trug er eine Kakihose und ein weißes T-Shirt. Die Hose war am Morgen gebügelt gewesen, doch jetzt sah alles abgetragen und beinah schmutzig aus. Seine Haare waren zerzaust, und er war noch immer unrasiert.

„Und?“, fragte sie. „Was hast du heute gemacht? Ein paar Länder gekauft?“

„Ich habe etwas repariert.“

Überrascht stellte sie die Teetasse ab. Heute Morgen noch hatte er es so eilig gehabt, von hier wegzukommen, dass er sich buchstäblich den Weg freischaufeln wollte. Und jetzt reparierte er Sachen für sie? „Ich dachte, du würdest arbeiten.“

„Ich habe auch ein wenig gearbeitet, aber da ich nicht online gehen kann, gab es nicht viel zu tun. Außerdem war es schwer, sich zu konzentrieren, während du deine Artikel laut vorliest.“

„Entschuldige“, sagte sie. „Du hättest mich ja bitten können, leise zu sein.“

„Auf keinen Fall. Es war interessant, dir bei der Arbeit zuzuhören. Du warst schon immer eine gute Autorin.“

Sie seufzte. „Bloß keine gute Geschäftsfrau.“

„Stimmt, Mathe war nie deine Stärke. Man kann eben nicht alles haben.“

„Nein, bestimmt nicht.“ Sie dachte dabei nicht an die Zeitung, sondern an Jack. „Übrigens“, fügte sie hinzu, „das Telefon funktioniert wieder. Falls du jetzt online gehen möchtest.“

„Nein. Um ehrlich zu sein, genieße ich meine kleine Auszeit vom Büro. Es ist lange her, seit ich Urlaub hatte.“

„Urlaub kann man das hier wohl kaum nennen, ohne Strom und Heizung oder warmes Wasser …“

Er lachte. „Und du? Wann warst du denn das letzte Mal im Urlaub?“

Sie überlegte. „Ich glaube, das waren meine Flitterwochen. Matt und ich sind zu den Niagarafällen gefahren.“

„Wieso denn dorthin?“

„Meine Eltern haben ihre Flitterwochen auch dort verbracht. Ich dachte, es würde unserer Ehe vielleicht helfen.“

„Eurer Ehe helfen? Es waren gerade mal eure Flitterwochen.“

„Ich wollte ihn lieben, wie meine Mutter meinen Vater geliebt hat. Ich dachte, Liebe ist etwas, was man kontrollieren kann. Etwas, das man an- und ausstellen kann. Aber ich musste lernen, dass es nicht so ist.“ Sie schaute ins Feuer. „Und jetzt erzähl mir von deinem Leben. Ich hörte, du hast in Yale studiert.“

„Stimmt.“

„Und danach?“

„Das ist doch langweilig.“

„Von wegen“, meinte sie. „Du hast dein eigenes Bürogebäude voller Leute, die für dich arbeiten.“

„Du auch.“

„Aber meins ist in einer Kleinstadt“, sagte sie. „Außerdem habe ich es geerbt. Du hast dein Unternehmen selbst aufgebaut.“

Er zuckte mit den Schultern. „Harte Arbeit und Glück. Ich stieg bei einem klugen Mann ein, und als er sich zur Ruhe setzen wollte, bezahlte ich ihn aus. Ich machte ein paar geschickte Investitionen, und mein Name sprach sich herum. Ich engagierte talentierte Leute, danach lief es fast von selbst.“

„Das hört sich sehr leicht an.“

„Ich hatte keine Ablenkung.“

„Da habe ich aber was anderes gehört.“

Jack stand auf und warf ein Holzscheit ins Feuer. „Solange keine Liebe im Spiel ist, zählt es nicht.“

„Es fällt mir schwer, das zu glauben.“

„Was?“, fragte er und drehte sich wieder zu ihr um.

„Ich kenne dich, Jack.“ Sie stand auf und setzte sich auf die Couch. „Du bist entschlossen und stur, aber darunter verbirgt sich immer noch ein Romantiker.“

Er lachte. „Du hältst dich für sehr schlau“, sagte er, schloss das Kamingitter und setzte sich wieder neben sie. Sein Bein berührte ihres, seine Hand streifte ihren Arm. Katie atmete seinen wundervollen Duft ein und spürte Schmetterlinge in ihrem Bauch.

„Woran denkst du?“, erkundigte er sich mit tiefer, sanfter Stimme.

„Ich habe gerade daran gedacht, dass es schön ist, dich hier zu haben und wieder Zeit mit dir zu verbringen.“

„Mir geht es genauso“, gestand er.

Erneut wollte sie ihn fragen, weshalb er damals einfach verschwunden war, doch dieser Moment verstrich, und zurück blieb das warme, angenehme Gefühl des Hier und Jetzt. Sie war mit Jack zusammen, aus welchem Grund auch immer, und sie sollte es genießen, solange es andauerte.

„Du hast mir gefehlt, Jack“, sagte sie.

Er legte einen Arm um sie und drückte ihre Schulter.

„Und?“, meinte sie. „Was hast du repariert?“

„Iss, dann zeige ich es dir.“

Sie schob sich ein weiteres Stück Käse in den Mund. „Ich bin fertig.“

Er nahm ihre Hand und zog Katie hoch, dann hielt er ihr ihre Jacke hin.

„Draußen?“

„Draußen“, bestätigte er und half ihr mit der Jacke.

Katie trat hinaus und blieb stehen. In der einsetzenden Dunkelheit erkannte sie, dass der baufällige Schuppen zum ersten Mal seit Jahren wieder stabil und brauchbar aussah.

„Jack!“

„Komm mit.“ Er griff nach seinem Mantel und führte sie zum Schuppen, der neue Deckenbalken und Eckpfosten hatte.

„Das hast du alles gemacht?“

„Es ist eine Weile her, seit ich etwas gebaut habe, aber ich habe nichts verlernt. Außerdem war ich dabei, als dein Vater den Schuppen gezimmert hat. Er erklärte mir, wie das Dach gestützt werden muss.“

„Und daran hast du dich erinnert? Du meine Güte!“

„Klar.“ Er sah ihr in die Augen. „Das ist wie mit dem Fahrradfahren. Wenn man es einmal kann, verlernt man es nicht mehr.“

Katie spürte das Pochen ihres Herzens und machte einen Schritt auf Jack zu. Wieder musste sie daran denken, wie seine Finger sich auf ihrer Haut angefühlt hatten. Vielleicht kann ich dir helfen, dich zu entspannen

Doch sie hatte ihn weggestoßen. Der Mann, den sie, seit sie denken konnte, begehrte, hatte ihr endlich eine sinnliche Verführung angeboten, und sie hatte ihn abgewiesen.

„Jack“, begann sie. „Wegen heute Morgen …“

Er hob die Hand. „Vergiss es. Ich weiß selbst nicht, was ich mir dabei gedacht habe.“

Katies Mut sank. Sie hatte eine Chance bekommen und es vermasselt.

„Komm mit“, forderte er sie auf. „Das hier ist nicht die einzige Überraschung.“ Er packte ihre Jackenaufschläge und sagte: „Mach deine Jacke zu, wir müssen um das Haus gehen.“

Katie knöpfte die Jacke zu, zu benommen, um irgendetwas zu erwidern. Als sie fertig war, stapften sie schweigend durch den Schnee. Kurz vor der Garage meinte Jack: „Mach die Augen zu.“

Katie stand wartend im Schnee. Plötzlich hörte sie ein vertrautes Geräusch –, zum ersten Mal seit Wochen sprang ihr Wagen an. Sie schlug die Augen auf. „Du hast meinen Wagen repariert!“

„Mir blieb keine andere Wahl. Ich wusste, du würdest nie zulassen, dass ich dir einen neuen kaufe.“

„Wie hast du das angestellt?“, wollte sie wissen und ging in die Garage. „Was war denn kaputt?“

„Ein paar Kabel waren defekt, und der Vergaser muss ausgetauscht werden. Aber wenigstens ist der Wagen jetzt fahrbereit.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Du brauchst gar nichts zu sagen.“ Er lächelte. „Es tat gut, wieder mit meinen Händen zu arbeiten. Es ist lange her, dass ich einen Tag wie diesen verbracht habe.“

„Nun, ich danke dir. Das war sehr nett.“

Er tat es mit einem Achselzucken ab. Lob war ihm stets unangenehm gewesen. „Ach, das war doch nichts.“ Dabei schob er seine Hände in die Taschen und verließ die Garage. Katie stellte den Motor ab und lief ihm hinterher. „Jack“, rief sie. „Wieso läufst du immer davon?“

Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. „Was?“

„Du läufst noch immer weg. Genau wie früher. Sobald dir jemand ein Kompliment macht oder dir etwas Nettes sagt, gehst du weg.“

„Es war nie meine Absicht, vor dir wegzulaufen.“

Sein Blick schien zu glühen, und Katie fröstelte.

„Was soll ich jetzt tun, Katie?“ Langsam kam er auf sie zu, bis er so dicht vor ihr stand, dass sie seinen warmen Atem an ihrer Wange spüren konnte. „Was?“, flüsterte er.

Katie drehte ein wenig den Kopf, und ihre Lippen berührten sich.

„Verrate es mir“, bat Jack leise.

Das war mehr als sie aushalten konnte. Seine Lippen lagen nun auf ihren, und ihr Verstand hörte auf zu arbeiten. Stattdessen ließ sie sich nur noch von der Stimme ihres Herzens leiten. Sie umfasste Jacks Gesicht und küsste ihn.

Das Ergebnis war ein überwältigend sinnliches Gefühl, intensiver, als sie es sich jemals vorgestellt hatte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie von diesem Augenblick geträumt. Doch nichts hatte sie auf die Wirklichkeit vorbereiten können. Jeder ihrer Sinne erwachte, jede Nervenzelle ihres Körpers kribbelte vor Verlangen. Berauscht von diesen Empfindungen war sie nur noch zu einem einzigen Gedanken fähig: Sie liebte Jack. Und sie hatte ihn immer geliebt.

Wie in einem Traum hörte sie sich leise stöhnen, als er mit seiner Zunge ein erotisches Spiel entfachte. Dabei presste er sie fest an sich. Dann ließ er seine Hände unter ihr Sweatshirt gleiten und streichelte ihre warme Haut.

Katie schmiegte sich an ihn, ermutigt durch seine deutlich fühlbare Erregung. Mit wild pochendem Herzen rieb sie sich an ihm. Es spielte keine Rolle mehr, ob Jack sie liebte oder nicht. Sie konnte nicht an die Zukunft denken. Sie wusste nur, dass sie ihn brauchte und begehrte. Sie würde sich mit Leidenschaft zufriedengeben, und sei es nur für eine Nacht. Plötzlich war sie die Verführerin und entschlossen, zu bekommen, was sie wollte.

„Jack“, hauchte sie und küsste seine Wange. „Ich will dich.“

Jack hielt inne und wich ein Stück zurück.

Es war, als hätte sie ihm erneut einen Schneeball an den Kopf geworfen. Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen, dann redete Katie hastig drauflos: „Ich weiß genau, wie die Dinge stehen und dass es nie etwas mit uns werden kann, aber ich will dich und …“

„Katie“, unterbrach er sie und legte ihr den Zeigefinger auf den Mund. „Lass uns reingehen.“

Was, um alles in der Welt, ging hier vor? Jack schwirrte der Kopf. Einerseits würde er Katie am liebsten die Kleidung vom Leib reißen und sie auf der Stelle lieben. Andererseits verstörte ihn ihr Verhalten. Heute Morgen hatte sie ihn zurückgewiesen. Und jetzt war sie bereit, mit ihm zu schlafen. Wieso? Weil er so nett gewesen war, ihr zu helfen? Verwechselte sie Dankbarkeit mit Leidenschaft? Dachte sie, er erwartete eine Gegenleistung?

„Ich bin gleich wieder da“, erklärte Katie.

Jack ging zum Feuer und warf ein Holzscheit nach. Auf der Couch stand noch der Laptop. Er klappte ihn zu und dachte an „The Falls“ und an Katies Bemühungen, um die Stadt, die sie liebte.

Um Himmels willen, dachte er, das ist Katie, nicht irgendeine anonyme Frau. Er konnte das nicht. Er konnte nicht mit ihr schlafen und sie dann wieder verlassen.

Plötzlich stand Katie vor ihm, mit nichts als einem hauchdünnen weißen Nachthemd bekleidet. Das flackernde Feuer des Kamins beschien ihr Haar und ließ sie wie ein Engel aussehen. Der hauchzarte Stoff umschmiegte ihren geschmeidigen Körper. Gebannt und voller Bewunderung betrachtete Jack sie, ihre vollen Brüste mit den dunkleren Knospen, ihren flachen Bauch und die endlos langen Beine.

Er atmete tief ein. Keine der schönen Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, konnte Katie das Wasser reichen.

„Wie sehe ich aus?“ Ihre Stimme zitterte ein wenig und verriet ihre Nervosität. Der Effekt war so berauschend wie ihr Anblick.

Jack schluckte. Das würde nicht leicht werden. „Hübsch“, sagte er und betrachtete sie noch einmal von oben bis unten.

„Nur hübsch?“ Sie stand jetzt direkt vor ihm. Nahe genug, dass er den dezenten Zitronenduft ihrer Haut wahrnehmen konnte. „Küss mich, Jack.“

Er konnte nicht. Oder? Nur ein Kuss … ein Kuss und dann …

Ihre Lippen berührten sich, und Jack spürte, wie die Begierde in ihm erwachte und seinen Verstand ausschaltete. Es gelang ihm nicht mehr, an seine Vorbehalte zu denken. Er drückte sie fest an sich und küsste sie stürmisch. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er aufhören musste, oder er würde es nie mehr schaffen.

Seine Hände glitten über ihre Brust, und er fühlte, wie ihre Knospen sich dabei aufrichteten. Er sehnte sich danach, mit ihr zu schlafen. Mit weniger würde er sich nicht zufriedengeben können.

Katie ließ sich auf den Teppich sinken und streckte ihre Hand nach ihm aus. Er ergriff sie und sank neben ihr auf die Knie, direkt vor dem knisternden Feuer. Ihre Brust hob und senkte sich mit jedem ihrer schnellen Atemzüge. Er wusste, dass sie nervös war. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr, selbst wenn er es gewollt hätte. Das Verlangen, das ihn sein Leben lang verfolgt hatte, drängte nach Erfüllung.

Katie kam sich vor, als würde sie ihre Jungfräulichkeit verlieren. Sie vergaß Matt. Sie vergaß ihre Vergangenheit mit Jack. Alles, was noch zählte, war das Hier und Jetzt. Sie nahm Jacks Hand und legte sie auf ihr Herz, führte sie hinunter zu ihren Brüsten und schließlich zwischen ihre Beine.

Jack sah ihr in die Augen. In seinem Blick las sie eine Leidenschaft und Begierde, die so intensiv war, dass sie augenblicklich wusste, es gab kein Zurück mehr. Aber das wollte sie auch nicht. Zu lange schon hatte sie auf diesen Moment gewartet.

Dann küsste Jack sie so ungestüm, dass sie ganz benommen wurde, während seine starken Arme sie hielten. Schließlich hielt er inne und betrachtete sie. Er streichelte ihre Wange und ihr Kinn. „Du bist wunderschön“, sagte er und fuhr mit einer Hand über ihre Brüste und ihren Bauch.

Autor

Ryanne Corey
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