Traumprinzen & Familienglück in Dallas (3-teilige Serie)

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TRAUMPRINZ SUCHT FAMILIENGLÜCK von JUDY CHRISTENBERRY
„Ich habe unseren Daddy gefunden!“, jubelt die kleine Missy und klammert sich an den neuen Nachbarn. Das hat Jennifer gerade noch gefehlt. Obwohl der attraktive Nick Barry sie glatt in Versuchung führen könnte. Aber so ein Traummann würde doch niemals eine ganze Familie heiraten, oder?

UNSER WUNDER DER LIEBE von JUDY CHRISTENBERRY
Bauunternehmer John Davis wundert sich: Wieso fasziniert ihn diese Diane nur so? Sie ist doch gar nicht sein Typ – viel zu solide und familienbewusst. Doch zu einer Affäre sagt er nicht Nein! Und dann hält eine ihrer zärtlichen Nächte eine süße Überraschung für ihn bereit …

ZÄRTLICHE KÜSSE IN DEINEN ARMEN von JUDY CHRISTENBERRY
Blitz, Donner – Stromausfall! Doch bevor Lauren im Dunkeln fällt, wird sie von starken Armen aufgefangen. Im Gewitter schmiegt sie sich an Jack Mason … Kann sie dem sturen Mann jetzt endlich klarmachen, wie sehr sie sich nach ihm und nach seiner kleinen Tochter sehnt?


  • Erscheinungstag 04.11.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507448
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Judy Christenberry

Traumprinzen & Familienglück in Dallas (3-teilige Serie)

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IMPRESSUM

BIANCA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

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CORA Verlag GmbH & Co. KG ist ein Unternehmen der Harlequin Enterprises Ltd., Kanada

Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Christine Boness

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

 

© 2007 by Judy Christenberry

Originaltitel: „Daddy Next Door“

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

in der Reihe: AMERICAN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: BIANCA

Band 1780 (10/1) 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Meike Stewen

Fotos: Corbis

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN: 978-3-86349-733-0

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

BIANCA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, HISTORICAL MYLADY, MYSTERY,

TIFFANY HOT & SEXY, TIFFANY SEXY

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Judy Christenberry

Traumprinz sucht Familienglück

1. KAPITEL

Nick Barry drückte mit der Hüfte die Eingangstür auf und schob seine beiden Koffer ins Treppenhaus. Endlich! Er war angekommen!

Das Vierfamilienhaus, sein neues Zuhause, befand sich in einem ruhigen Viertel von Dallas. Laubbäume säumten die Yellow Rose Lane, und es roch nach frisch gemähtem Gras.

Kein Wunder, dass seine Tante Grace sich hier so wohlgefühlt hatte! Aber weil sie nicht mehr allein zurechtkam, war sie in eine Einrichtung für betreutes Wohnen gezogen und hatte Nick ihr Apartment untervermietet. Was für ein Glück: Nun besaß er eine günstige Unterkunft in einer guten Gegend.

Bis in den Eingangsbereich hatte er es mit Aunt Grace’ Schlüsselbund schon mal geschafft. Jetzt musste er nur noch herausfinden, welcher der vielen Schlüssel in die Wohnungstür passte!

Plötzlich hörte er hinter sich ein Geräusch. Er drehte sich um, sah aber niemanden, also widmete er sich wieder dem Schlüsselbund.

Auf einmal packte ihn etwas am Unterschenkel. „Das ist er!“, rief eine Kinderstimme. „Ich hab unseren Daddy gefunden!“

Er zuckte zusammen. Auf dem Boden saß ein kleines Mädchen und schlang seine dünnen Ärmchen fest um Nicks linkes Bein.

Huch?

Da erklang eine zweite Stimme, diesmal die einer Frau: „Missy? Wo bist du?“

Wenn die Frau auch nur annähernd so aussieht, wie ihre Stimme klingt, ist sie umwerfend, dachte er. Die Stimme kam aus der Nachbarwohnung.

„Ich glaube, sie ist hier im Hausflur“, rief er zurück. Dann wandte er sich an das strohblonde Kind zu seinen Füßen: „Du bist doch Missy, oder?“

Das Mädchen nickte eifrig.

„Missy?“ Die Tür zur Nachbarwohnung öffnete sich. Die Frau, die jetzt im Hausflur erschien, war mindestens so toll wie ihre Stimme. Sie hatte langes goldblondes Haar und … „Missy! Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht allein aus der Wohnung laufen. Komm bitte sofort wieder rein!“

„Ich hab ihn aber gefunden!“ Die Kleine umklammerte Nicks Bein noch fester.

„Wen hast du gefunden?“

Unwillkürlich musste Nick grinsen. In diesem Moment erschienen zwei weitere Mädchen im Türrahmen. „Also, ich …“, begann er.

„Missy, lass doch bitte den … den Herrn los.“ Zum ersten Mal sah ihn seine neue Nachbarin an.

„Hallo, ich bin Nick Barry“, stellte er sich vor.

„Missy, lass bitte Mr Barry los“, wiederholte sie. „Das ist nicht dein Daddy.“

„Na, dann ist ja gut“, scherzte Nick. „Ich dachte schon, ich hätte irgendetwas Wichtiges in meinem Leben verdrängt.“

Aber die junge Frau blieb völlig ernst. „Das ist überhaupt nicht lustig.“

Missy hatte ihn immer noch im Klammergriff. „Warum kann er denn nicht unser Daddy werden?“

„Weil ich den Mann noch nicht mal kenne.“

„Wir brauchen aber einen Daddy!“ Inzwischen klang das Mädchen fast schon empört.

Nick stellte seine beiden Koffer ab und zog die Kleine auf die Beine. „Hey, du Süße, ich weiß zwar nicht, wo euer Daddy jetzt ist, aber er kommt bestimmt bald. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass er drei so tolle Töchter einfach allein lässt.“

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da schluchzte eines der beiden älteren Mädchen laut auf und lief weinend in die Wohnung.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, erkundigte sich Nick besorgt.

Die blonde junge Frau nahm Missy auf den Arm. „Was machen Sie eigentlich hier?“, wollte sie von Nick wissen. „Und wie sind Sie ins Haus gekommen?“

Aha, dachte er. Langsam kommen wir zur Sache. „Ich wohne seit heute hier“, erklärte er. „Als Untermieter.“

Verwundert sah die Frau ihn an. „Dann ziehen Sie bei Grace ein? Und wo ist sie jetzt? Vor Kurzem ging es ihr doch noch gut.“

„Sie lebt jetzt in einer Einrichtung für betreutes Wohnen. Ich bin übrigens ihr Neffe.“

„Ach so, verstehe. Können wir uns nachher weiter unterhalten? Jetzt muss ich erst mal …“

„Jennifer, der Herd explodiert!“ Die Kinderstimme kam aus der Wohnung der blonden Frau.

„Was? Schnell raus aus der Küche, ich bin sofort da!“ Sie setzte Missy ab und stürzte in ihr Apartment.

Die Kleine grinste Nick an. „Kannst du nicht doch unser Daddy sein?“

„Nein, tut mir leid. Aber vielleicht kann ich deiner Mom trotzdem helfen. Komm mal mit.“ Mit dem Mädchen auf dem Arm lief er in die Nachbarswohnung. Seine neue Nachbarin kam gerade aus der Küche. „Was machen Sie hier drin?“

Er wies mit dem Kopf auf Missy. „Sie haben noch jemanden vergessen.“

„Setzen Sie sie bitte ab, ich muss mich jetzt um Steffi kümmern.“ Und schon war sie in einem anderen Zimmer verschwunden.

„Wer ist Steffi?“, erkundigte er sich bei Missy, sobald das Mädchen wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

„Meine große Schwester“, erwiderte die Kleine ernst. „Du hast gemacht, dass sie weint.“

„Wirklich? Wie das denn?“

Mit großen Augen blickte Missy ihn an. „Steffi kennt unseren echten Daddy noch. Er ist tot.“

„Das tut mir schrecklich leid.“

„Wo ist man eigentlich, wenn man tot ist?“

Nick runzelte die Stirn. „Ähm, das fragst du vielleicht am besten eure Mommy.“

„Mommy ist auch tot.“ Das Mädchen sah aus, als würde es ebenfalls jede Sekunde in Tränen ausbrechen. Nick zog sich das Herz zusammen. Schnell überlegte er, wie er sie am besten ablenken könnte.

„Was ist denn da gerade in der Küche explodiert?“

„Weiß nicht. Jennifer wollte uns Sketti kochen.“

„Was ist Sketti?“

„Na ja, so lange dünne Dinger. Die gibt es mit Tomatensauce, das ist mein Lieblingsessen.“

Spaghetti wahrscheinlich, schloss Nick. Er lugte in die Küche. Auf dem ausgeschalteten Herd stand ein großer Topf, in dem Jennifer wahrscheinlich die Nudeln hatte kochen wollen.

Mit Spaghetti kannte Nick sich gut aus, Pasta war eines seiner wichtigsten Grundnahrungsmittel. Er probierte eine lange Nudel und fand sie noch etwas hart. Auch die Tomatensauce in dem kleineren Topf daneben war schon wieder abgekühlt. Er setzte Missy auf einen Küchenstuhl und wies sie an, dort zu bleiben.

„Warum?“

„Weil ich nicht möchte, dass du dich verbrennst.“

„Ach so.“

Er drehte die Regler wieder hoch und rührte die Sauce um.

„Weißt du was?“, begann das Mädchen. „Jennifer sagt, dass wir gar keinen Daddy brauchen.“

„Wer ist Jennifer?“, erkundigte er sich. Hatte Missy etwa noch eine Schwester?

„Jennifer ist unsere neue Mommy“, erklärte die Kleine zufrieden. „Ab heute.“

„Wirklich? Dann wohnt ihr erst seit heute hier?“

„Genau. Sie hat uns gerettet, sagt Steffi.“

Das verstand Nick noch nicht so ganz. Diesmal wollte er sich aber lieber sorgfältig überlegen, was er sagte. Nicht, dass auch noch Missy in Tränen ausbrach – wie vorhin ihre Schwester.

Während er darüber nachdachte, wie er auf die rätselhafte Bemerkung des Mädchens reagieren könnte, rührte er die Tomatensauce um. Die Spaghetti hatten inzwischen ein paar Minuten weitergekocht und waren jetzt gar. Im Waschbecken stand schon ein Sieb bereit, also goss Nick die Nudeln ab. Dabei stieg ihm der Dampf ins Gesicht.

„Ist das Rauch?“, erkundigte sich Missy beiläufig. „Jennifer sagt, dass Rauch gefährlich ist.“

„Nein, das ist Dampf. Damit kann man sich aber auch wehtun, wenn man nicht gut aufpasst“, erklärte er.

In diesem Moment hörte er Schritte im Flur. Als er sich umdrehte, stand seine blonde Nachbarin im Türrahmen. Die junge Frau sah den drei ebenfalls blonden Mädchen ausgesprochen ähnlich, obwohl ihm Missy gerade erklärt hatte, dass sie nicht ihre leibliche Mutter war …

„Sie sind ja immer noch hier“, bemerkte sie. Das klang nicht besonders einladend, aber Nick schrieb es ihrer Anspannung zu.

„Ich wollte mich nur etwas nützlich machen. Immerhin bin ich nicht ganz unschuldig an der Aufregung. Wie geht es Steffi denn jetzt?“, erkundigte er sich und hoffte, seine Nachbarin würde ihn nicht gleich vor die Tür setzen. Aus irgendeinem Grund wollte er noch nicht so schnell wieder gehen.

„Gut.“ Das Mädchen lugte hinter den Beinen ihrer neuen Mommy hervor.

„Da bin ich aber froh. Ich wollte dich nämlich nicht traurig machen“, erklärte er der Kleinen.

Steffi nickte, dann verschwand sie wieder hinter der jungen Frau.

„Die Spaghetti sind jetzt übrigens fertig. Die Sauce ist auch heiß und riecht richtig lecker.“

„Haben Sie etwa das Essen fertig gekocht?“, erkundigte sich Jennifer. „Ich wollte Sie eben nicht … also, das ist wirklich nett von Ihnen. Möchten Sie vielleicht mit uns essen?“

Sofort meldete sich Missy wieder zu Wort: „Oh, ja! Wie ein richtiger Daddy!“

„Mr Barry ist nicht euer Daddy, er ist unser Nachbar“, verbesserte Jennifer das Mädchen schnell. „Wir laden ihn heute ein, um ihn hier im Haus zu begrüßen – und als Dankeschön dafür, dass er uns so lieb geholfen hat.“ Dann wandte sie sich wieder an Nick. „Natürlich nur, wenn Sie möchten.“

„Gern“, erwiderte er. „Aber von mir aus brauchen wir nicht so förmlich miteinander zu sein. Ich heiße Nick.“

Seine junge Nachbarin holte tief Luft. Er befürchtete schon, sie würde sein Angebot ausschlagen. Möglicherweise hatte er gerade eine Grenze überschritten …

„In Ordnung“, sagte sie aber schließlich. „Herzlich willkommen, Nick. Steffi und Annie, legt ihr schon mal für jeden Besteck hin?“

„Machen wir“, erwiderte das älteste Mädchen.

„Kann ich auch mithelfen?“, fragte Nick.

„Nein, danke, wir schaffen das schon. Du kannst dich aber in der Zwischenzeit gern ein bisschen um Missy kümmern.“

Er setzte sich zu der Kleinen an den Küchentisch und lächelte. „Dann machen wir’s uns mal gemütlich, während die anderen arbeiten, was?“

Missy nickte.

„Trinkst du auch einen Eistee?“, erkundigte sich seine Nachbarin.

„Ja, gern. Entschuldige, aber … du heißt Jennifer, nicht? Das hat mir Missy eben erzählt.“

„Oje, das tut mir leid, ich habe mich noch nicht richtig vorgestellt. Ja, ich heiße Jennifer Carpenter. Und das hier sind meine Töchter Steffi, Annie und Missy. Mit Missy hast du dich ja schon ausführlich unterhalten.“

„Allerdings.“ Er schaute in die Runde. „Hallo, ihr drei. Ihr seht eurer Mutter wirklich ähnlich.“ Dass Jennifer nicht die leibliche Mutter der Mädchen war, wusste er ja schon – aber insgeheim hoffte er, dass sie ihm Genaueres erzählen würde.

„Vielen Dank“, sagte Steffi. Sie wirkte schon wieder ganz ruhig.

„Wie alt bist du, Steffi?“, fragte Nick. „Acht?“ Als ehemaliger Lehrer konnte er das Alter von Kindern meist gut einschätzen.

„Nein, ich bin erst sechs.“

„Oh, du wirkst aber viel älter.“

Steffi lächelte geschmeichelt.

„Und du, Annie?“, erkundigte er sich sehr vorsichtig, weil das Mädchen besonders schüchtern wirkte.

Sie sah ihn bloß schweigend an.

Steffi antwortete für ihre Schwester: „Sie ist fünf, und Missy ist drei.“

Erneut blickte Nick zu seiner neuen Nachbarin. Dass die Mädchen nicht ihre leiblichen Töchter waren, wusste er ja schon. Er hätte sich auch nur schwer vorstellen können, dass diese gertenschlanke Frau schon drei Geburten hinter sich hatte. „Du hast wirklich wunderschöne Kinder“, sagte er.

Sie lächelte erst den Mädchen zu, anschließend erwiderte sie seinen Blick. „Vielen Dank.“

Dann trug sie eine große Schüssel Spaghetti mit Tomatensauce und Reibekäse auf den Tisch.

Sie aßen schweigend. Wenn nötig, sagte Jennifer etwas zu den Tischmanieren der Kinder, sie drückte sich dabei aber immer sehr behutsam aus. Nick fühlte sich rundum wohl – obwohl er es noch schöner gefunden hätte, wenn Jennifer mit ihm gesprochen hätte. Hin und wieder betrachtete er vorsichtig ihr goldblondes Haar und ihre ausdrucksstarken blauen Augen.

Kaum waren die Mädchen fertig, stand Jennifer auf. „Vielen Dank für den Besuch, hat mich sehr gefreut. Ich hoffe, dass du dich gut in deiner neuen Wohnung einlebst.“

Aha, ein höflicher Rausschmiss, dachte Nick. Er blieb einfach sitzen. „Bestimmt. Kennst du die Vermieter persönlich?“

„Ja“, erwiderte sie knapp, dann schwieg sie. Das machte ihn immer neugieriger. „Sollte ich vielleicht demnächst mal Kontakt aufnehmen? Meine Tante hat nichts weiter dazu gesagt.“

„Nein, in den Mietverträgen steht ganz klar, dass man die Wohnungen an Verwandte untervermieten darf. Also ist es völlig okay, dass du eingezogen bist.“ Hastig begann sie, den Tisch abzuräumen.

Er stand ebenfalls auf. „Warte mal, ich helfe dir.“

Abwehrend streckte sie die Hand aus – und zuckte sofort zurück, als sie seinen Arm berührte. „N-nein, danke. Ich erledige das später, jetzt bringe ich erst mal die Kinder ins Bett.“

„Ich kann doch hier aufräumen, während du dich um die Mädchen kümmerst.“

„Nein!“ Auf einmal schien ihr bewusst zu werden, wie unangemessen heftig sie gerade reagiert hatte. Sie räusperte sich. „Du bist heute unser Gast. Und ein Gast braucht nicht aufzuräumen.“

„Dann bedanke ich mich ganz herzlich für die Einladung.“ Widerwillig verließ er die Küche, Jennifer folgte ihm.

„Einen schönen Abend noch“, verabschiedete sie ihn.

Gerade wollte sie die Tür schließen, da räusperte er sich noch einmal: „Moment. Ich … hätte da noch eine Frage.“

„Ja?“

Eigentlich wollte er bloß noch nicht so schnell gehen. Jetzt musste aber schnell irgendeine unverfängliche Frage her! „Wie … ähm … sind die anderen Mieter denn so?“ Na toll, dachte Nick. Da habe ich mich mal wieder besonders geschickt angestellt.

„Sehr nett“, erwiderte Jennifer. „Im ersten Stock wohnen sechs Flugbegleiterinnen, die freuen sich bestimmt alle, dass du eingezogen bist.“

Langsam ließ er den Blick über ihr Gesicht gleiten. Was für eine wunderschöne Frau! Das goldblonde Haar umspielte ihre Züge in sanften Wellen, ihr Teint war makellos. Er konnte sich kaum vorstellen, dass irgendeine der Frauen aus dem ersten Stock hätte mithalten können.

Aber ihre Botschaft war eindeutig: Jennifer hatte kein Interesse, ihn näher kennenzulernen.

Schluss jetzt, ermahnte sich Jennifer. Ich muss sofort aufhören, an diesen Nick Barry von nebenan zu denken!

Schließlich hatte sie Wichtigeres zu tun: Im Moment steckte sie bis zu den Ellbogen in Seifenwasser, und in der Badewanne saßen drei kleine Mädchen, die ihre Aufmerksamkeit brauchten.

Aber es fiel ihr schwer, in Gedanken ganz bei Steffi, Annie und Missy zu bleiben. Immer wieder kam ihr dabei ihr neuer Nachbar in die Quere. Keine Frage, der Mann war sympathisch und dazu noch unheimlich attraktiv. Außerdem war er sehr lieb auf die Mädchen eingegangen …

Okay, das reicht, dachte sie. Ich habe doch jetzt alles, was ich mir so lange gewünscht habe: ein schönes Zuhause und drei tolle Kinder. Und ansonsten meine Ruhe. Ich brauche wirklich keinen Mann in meinem Leben.

Nacheinander hob sie Steffi, Annie und Missy aus der Wanne und rubbelte sie gründlich mit Frotteehandtüchern trocken. „Ich habe euch hier eure Schlafsachen rausgelegt.“

Vor drei Tagen hatte sie die Genehmigung erhalten, die Mädchen als Pflegemutter zu sich zu nehmen, ihr Adoptionsantrag musste noch bewilligt werden. Für die ersten Tage hatte sie schon mal Unterwäsche, Kleidung und Nachthemden besorgt. Demnächst wollte sie mit den dreien noch mal richtig einkaufen fahren.

Missy hielt ein kleines Nachthemd hoch. „Das ist ja schön! Ist das für mich?“

„Ja, natürlich.“

„Darf ich das auch wirklich behalten?“

„Klar. Das Nachthemd ziehst nur du an, niemand sonst.“

„Toll!“

In den letzten Tagen hatte Jennifer eine Menge darüber erfahren, wie es den Mädchen in ihren bisherigen Pflegefamilien gegangen war. Einige Geschichten hätten ihr fast das Herz gebrochen. Missy und Steffi hatten viel darüber geredet, Annie war meistens still geblieben. Das Mädchen war der Auslöser für Jennifers Entschluss gewesen, die drei Schwestern so schnell wie möglich zu sich zu nehmen. Und wahrscheinlich war ihr Antrag Annies wegen so schnell bewilligt worden. Auch die Tatsache, dass Jennifers Onkel Jugendrichter in Dallas war, hatte den Prozess beschleunigt.

„So, jetzt bringe ich euch schnell ins Bett, damit ihr genug Schlaf bekommt“, sagte Jennifer, nachdem die Mädchen ihre Schlafsachen angezogen hatten. „Den braucht ihr, um groß zu werden.“

Sofort stellte sich Missy auf die Zehenspitzen und reckte die Arme in Richtung Decke. „Ich werde noch so groß!“

„Jetzt übertreib mal nicht“, warf Steffi ein.

Jennifer lachte leise. „Wahrscheinlich hat Missy sogar recht“, sagte sie. „Aber von heute auf morgen geht das natürlich nicht.“ Sie drehte den Wasserhahn auf. „So, putzt euch bitte die Zähne.“

Anschließend brachte sie die Kinder in ihr gemeinsames Zimmer. Anfangs hatte sie darüber nachgedacht, Steffi ein Extrazimmer zu geben, weil sie immerhin schon sechs Jahre alt war. Aber die Mädchen hatten sich so darüber gefreut, wieder zusammen sein zu können, nachdem sie lange bei unterschiedlichen Pflegefamilien gewohnt hatten. Also hatte Jennifer nur ein einziges Kinderzimmer eingerichtet.

„Die roten Betten sind toll!“, sagte Steffi, als Jennifer sie liebevoll zudeckte.

„Das freut mich. Rot ist nämlich meine Lieblingsfarbe.“

„Meine auch. Ich finde es super, dass wir jetzt alle bei dir wohnen dürfen.“

Jennifer küsste das Mädchen auf die Wange. „Und ich erst. Ich glaube, das wird richtig schön mit uns vieren.“

„Oh, ja!“, rief Missy. „Kommt unser neuer Daddy morgen wieder?“

Jennifer seufzte. Gerade war es ihr gelungen, Nick einigermaßen aus ihren Gedanken zu verdrängen, da musste das Mädchen sie schon wieder an ihn erinnern! „Süße, Nick ist nicht euer neuer Daddy. Er ist unser Nachbar. Wir vier Mädels sind hier unter uns, und das bleibt auch so.“

„Genau“, stimmte Annie ihr leise zu.

Als Nächstes gab Jennifer Missy einen Gutenachtkuss, dann war Annie dran. „Gute Nacht, Annie. Schlaf schön.“

Mit großen braunen Augen starrte das Mädchen sie an. Sie wirkte viel älter und reifer als fünf Jahre. Jennifer lächelte sie an, dann ging sie zur Tür und knipste das Licht aus. „Guckt mal, ich habe euch ein Nachtlicht angelassen, dann ist es nicht so dunkel im Zimmer. Meint ihr, ihr könnt so schlafen?“

„Ja!“, erwiderten Missy und Steffi. Annie schwieg.

„Gute Nacht!“, rief Jennifer ein letztes Mal und ging dann in die Küche, um das Geschirr vom Abendessen wegzuräumen. Mit einer Tasse koffeinfreiem Kaffee setzte sie sich dann an den Tisch. Seit sie die Mädchen heute um zehn Uhr morgens aus dem Heim abgeholt hatte, war ihr Leben völlig umgekrempelt.

Aber eigentlich war der Stein schon vor drei Wochen ins Rollen geraten: Da hatte Jennifer, von Beruf Fotografin, sich für ein Projekt namens „Heart Gallery“ zu Verfügung gestellt. Dabei ging es darum, die oft etwas trostlos wirkenden Fotos der Pflegekinder in den Vermittlungsakten durch professionelle, liebevoll gemachte Aufnahmen zu ersetzen. Eine sinnvolle Sache, fand Jennifer.

Die drei Schwestern hatten es ihr von Anfang an angetan. Also beschloss sie, ihnen und sich eine Freude zu machen und einen möglichst schönen Tag mit ihnen zu verbringen. Einen Tag, an den sich die Mädchen später gern erinnern würden, und sie sich selbst auch. Ihrer eigenen Mutter war sie nie besonders nah gewesen.

Jennifer wurde ein bisschen wehmütig, als sie miterlebte, wie nah sich die Schwestern waren. Sie selbst war als Einzelkind aufgewachsen. Sie hatte zwar noch einen Halbbruder, den sie aber erst einmal kurz gesehen hatte. Nach der Scheidung ihrer Eltern hatte Jennifers Vater den Kontakt zu ihr und ihrer Mutter völlig abgebrochen. Seit seinem Tod dachte Jennifer immer wieder darüber nach, ob sie sich vielleicht einmal bei ihrem Halbbruder melden sollte … aber bisher …

Die Aufnahmen mit den drei kleinen Mädchen hatten sie tief berührt: Während Steffi und Missy nach einer Weile fröhlich und unbefangen in die Kamera gestrahlt hatten, war die Mittlere, Annie, zurückhaltend geblieben. Jennifer hatte alles Mögliche versucht, sie aufzuheitern. Vergeblich. Und als sie die Fünfjährige in den Arm nehmen wollte, war Annie erschrocken zurückgewichen. Als fürchtete sie, Jennifer könnte ihr wehtun. Da erst war Jennifer aufgefallen, dass die Kleine am ganzen Arm blaue Flecken hatte.

Jennifer war entsetzt. Auf ihre Fragen hin hatte Annie geschwiegen, aber Steffi erzählte schließlich, der „böse Mann“ in Annies Pflegefamilie würde sie schlagen, wenn sie nicht schnell genug gehorchte.

Sofort benachrichtigte Jennifer das Jugendamt und bestand darauf, dass sofort jemand vorbeikam. Es dauerte ganze sechs Stunden, bis eine völlig überarbeitete Sozialarbeiterin vor der Tür stand. Jennifer zeigte ihr Annies blaue Flecken und forderte, das Mädchen sofort aus ihrer derzeitigen Pflegefamilie zu nehmen. Als die Frau vom Jugendamt sagte, dass sie nicht wisse, wo sie das Kind sonst unterbringen sollte, erklärte Jennifer sich spontan bereit, Annie vorübergehend bei sich Unterschlupf zu gewähren.

Die Frau vom Jugendamt hatte zunächst gezögert: Dafür müsste Jennifer erst einen Antrag stellen, und bis zur Genehmigung würde es noch mehrere Wochen dauern. Jennifer schaltete ihren Onkel ein, der in Dallas als Jugendrichter arbeitete. Dank seiner Unterstützung hatte Jennifer schnell die Erlaubnis, alle drei Mädchen erst mal über Nacht zu behalten. Am nächsten Morgen hatte sie dann die Genehmigung bekommen, Annie als Pflegekind zu sich zu nehmen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihr allerdings klar gewesen, dass die drei zusammengehörten. Und obwohl sich dadurch alles völlig verändern würde, hatte Jennifer sofort einen Antrag gestellt, alle drei zu sich zu nehmen.

Ihr neues Leben hatte heute begonnen. Allerdings nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Eigentlich hatte sie dafür sorgen wollen, dass die Mädchen eine neue Mommy bekamen, aber jetzt hatte Missy ihnen auch noch einen Daddy ausgesucht …

2. KAPITEL

Nick fühlte sich in seiner neuen Wohnung sofort zu Hause. Die beiden Koffer hatte er in Rekordzeit ausgepackt und in den leeren Schränken verstaut. Und es war nicht schwer, sich hier einzuleben.

Wenn er an seine Tante dachte, wurde er ein bisschen traurig. Aunt Grace hatte sich hier in der Yellow Rose Lane immer sehr wohlgefühlt und war nur ungern ausgezogen. Aber die Einrichtung für betreutes Wohnen, wo sie jetzt untergekommen war, befand sich zum Glück gleich in der Nähe, sodass Nick sie oft würde besuchen können.

Dass er die leer stehende Wohnung hatte übernehmen dürfen, war ein echtes Geschenk: Da Grace bereits zehn Jahre hier gelebt hatte, war die Miete entsprechend niedrig geblieben. Dadurch zahlte er für seine neue, größere Unterkunft viel weniger als für das kleine Apartment, in dem er vorher gewohnt hatte. Mit dem Eigentümer des Vierfamilienhauses hatte er nie gesprochen. Laut Aunt Grace reichte es völlig, wenn er sich mit Fragen einfach an seine direkte Nachbarin wandte.

Und das war Jennifer.

Am liebsten hätte er schon wieder unter irgendeinem Vorwand bei ihr geklingelt. Allerdings befürchtete er, dass er gestern keinen großen Eindruck bei ihr hinterlassen hatte. Außerdem musste er sowieso noch ein paar andere Dinge erledigen. Einkaufen zum Beispiel.

Aber kaum war er aus der Wohnung, ging er ganz automatisch zu ihrer Tür und klingelte. Es war wie verhext!

Auf der anderen Seite hörte er hastige Kinderschritte, dann ermahnte Jennifer Missy, sie solle nicht aufmachen. Schließlich öffnete sich die Tür, und Nick stand Jennifer gegenüber.

„Ja, bitte?“

„Tut mir leid, dass ich schon wieder störe. Aber ich wollte gerade einkaufen fahren und kenne mich hier noch nicht so gut aus. Gibt es in der Nähe einen Supermarkt?“

„Ja, zwei sogar.“ Sie nannte ihm die entsprechenden Straßennamen.

„Sorry, die Namen sagen mir nichts. Könntest du mir vielleicht eine kleine Skizze zeichnen?“, erkundigte er sich höflich. Dann erblickte er Missy, die gleich hinter Jennifer stand. „Na, du?“

Das Mädchen kicherte. Unwillkürlich musste er lächeln.

„Geh bitte weiterfrühstücken, Missy“, forderte Jennifer sie auf.

Die Kleine winkte Nick noch kurz zu, dann lief sie den Flur hinunter.

Jennifer seufzte. „Okay, komm rein, dann mache ich dir eine Zeichnung.“

„Vielen Dank, das ist wirklich nett.“ Auf dem Weg in die Küche atmete er Kaffeeduft ein. „Oh, hast du gerade Kaffee fertig?“, erkundigte er sich, dann verbesserte er sich schnell: „Ich meine … kannst du mir einen Tipp geben, welchen Kaffee ich kaufen soll? Deiner riecht nämlich wirklich gut.“

Erneut seufzte Jennifer. „Darf ich dir eine Tasse anbieten?“

„Damit würdest du mir praktisch das Leben retten“, scherzte er.

„Setz dich doch.“ Sie wies auf den Küchentisch, an dem die drei Mädchen gerade frühstückten.

Nick musste sich zusammennehmen, um nicht neidisch zu ihren Tellern mit den saftigen Pfannkuchen hinüberzusehen. Eigentlich hätte er gestern Abend einkaufen sollen, aber nach dem gemeinsamen Spaghettiessen war er satt und außerdem müde gewesen.

Jennifer stellte einen großen Becher Kaffee vor ihn.

„Vielen herzlichen Dank“, sagte Nick.

Sie nickte ihm zu, dann ging sie wieder zum Herd.

Er trank einen Schluck. Der Kaffee schmeckte mindestens so gut wie er gerochen hatte. Jetzt würde ihn aber wirklich interessieren, welche Marke sie kaufte!

Als Nächstes servierte ihm Jennifer einen großen Teller Pfannkuchen, dann holte sie Besteck aus der Schublade. „Butter und Ahornsirup stehen auf dem Tisch.“

„Ich … so hatte ich das mit dem Kaffee nicht gemeint. Ich wollte mich nicht schon wieder zum Essen einladen.“

„Die Pfannkuchen waren sowieso gerade fertig. Von mir aus kannst du sie gern essen, aber das ist natürlich allein deine Entscheidung.“

Die Entscheidung fiel ihm nicht weiter schwer, er griff nach Butter und Sirup. „Dann sage ich vielen Dank.“

Als Jennifer sich immer noch nicht zu ihnen setzte, wurde ihm bewusste, dass sie ihm gerade ihre eigenen Pfannkuchen überlassen hatte. „Setz dich doch und iss, dann brate ich den Rest.“

„Nein, ist schon okay. Iss du lieber, es wird sonst kalt.“

Nick bestrich seinen Pfannkuchen mit Butter und goss Ahornsirup darüber. Dann probierte er ein Stück: „Köstlich!“, schwärmte er.

„Das freut mich.“ Jennifer setzte sich mit einem Teller zu ihnen. „Für uns vier ist das nämlich ein ganz besonderes Frühstück.“

„Verstehe“, erwiderte Nick vorsichtig. Von Missy hatte er schon gehört, dass Jennifer die „neue Mommy“ der Mädchen war. Aber er wollte seine Nachbarin nicht gleich deswegen ausfragen, sondern ihr Zeit geben, von selbst zu erzählen, was sie erzählen wollte. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass ihm andere Menschen oft dann am meisten anvertrauten, wenn er nicht groß nachbohrte.

„Im Moment bin ich nur die Pflegemutter, aber ich würde die Mädchen gern adoptieren“, sagte sie schließlich.“

„Und die drei sind wirklich Schwestern?“

Missy kicherte erneut, und Steffi antwortete: „Ja, sind wir. Aber wir wohnen erst seit gestern wieder zusammen.“

„Wirklich?“, erkundigte er sich bei Jennifer. „Wie kommt das denn? Hing das irgendwie mit den Eltern zusammen?“

„Nein, ihre Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Leider ließ sich keine Pflegefamilie finden, die alle gemeinsam zu sich nehmen wollte, also wurden die Mädchen getrennt.“

„Das ist ja schrecklich!“

Zum ersten Mal lächelte Jennifer ihn offen an. Ihm wurde ganz warm dabei. „Ja, das fand ich auch.“

„Und wie bist du an die drei gekommen?“

Sie erzählte ihm die Geschichte von den Fotos für das Heart-Gallery-Projekt.

„Und dann hast du spontan beschlossen, sie zu adoptieren?“

„Na ja, so ungefähr“, erklärte sie leise mit einem Seitenblick auf Steffi, Annie und Missy. „Das erkläre ich dir irgendwann einmal, ja?“

„Alles klar. Hm, deine Pfannkuchen schmecken wirklich sehr gut.“

„Die sind total lecker!“, stimmte Missy ihm zu. Ihr Gesicht war über und über mit Ahornsirup beschmiert.

„Vielen Dank!“ Damit wandte Jennifer sich an alle Mädchen: „Wenn ihr fertig gegessen habt, wascht euch bitte Gesicht und Hände, bis nichts mehr klebt, okay?“

Die drei nickten.

„Ich habe euch ein paar Sachen auf eure Betten gelegt, die ihr dann anziehen könnt. Wenn ihr Hilfe braucht, sagt einfach Bescheid!“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu.

Es muss sich wunderschön anfühlen, immer wieder so angelächelt zu werden, dachte Nick. Kein Wunder, dass die Mädchen sofort aufstanden, um den Anweisungen ihrer neuen Mommy nachzukommen.

Nick schwieg weiterhin. Vielleicht erzählte sie ihm ja noch ein bisschen mehr?

„Möchtest du vielleicht noch einen Kaffee?“, erkundigte sie sich stattdessen bei ihm.

„Gern, aber diesmal kümmere ich mich darum.“ Er schenkte ihnen beiden nach, dann setzte er sich wieder zu ihr.

„Als ich die drei Mädchen für dieses Projekt fotografiert habe …“, begann sie schließlich, „… ist mir aufgefallen, dass Annie am ganzen Arm blaue Flecken hatte. Das war ein echter Schock für mich. Ich habe vorsichtig nachgefragt, aber sie hat mich nur stumm angesehen. Bis Steffi mir erzählte, dass es in Annies Pflegefamilie einen Mann gibt, der sie immer kräftig kneift, wenn sie ihm nicht sofort gehorcht.“ Sie schluckte. „Mal ganz abgesehen davon, dass ich das grundsätzlich ganz schrecklich finde, ist Annie doch bestimmt kein widerspenstiges Kind.“

„Das ist ja … hat denn vorher noch niemand die blauen Flecken bemerkt?“

„Offenbar nicht. Ich wollte sofort mit der zuständigen Sozialarbeiterin sprechen, aber es hat trotzdem sechs Stunden gedauert, bis sie vorbeikommen konnte. Sie war auch völlig schockiert, meinte aber, sie könne Annie sonst nirgends unterbringen. Außerdem müsse man der Sache erst mal nachgehen, bevor man sie aus der Pflegefamilie nehmen könne.“

„Heißt das, dass Annie zurück zu den schrecklichen Leuten musste?“

„Nein, ich habe sie gleich zu mir genommen.“ Jennifer erklärte ihm, wie ihr Onkel ihr dabei geholfen hatte.

„Ist es überhaupt wahrscheinlich, dass dein Adoptionsantrag genehmigt wird?“, erkundigte sich Nick.

Als sie ihn wütend anfunkelte, fügte er hinzu: „Ich meine das nicht böse. Ich dachte nur, dass so etwas für eine Einzelperson schwierig werden könnte. Normalerweise ist es den Verantwortlichen doch lieber, wenn ein Paar den Antrag stellt.“

„Das klappt schon alles. Mein Onkel meinte, sie würden auch eine Einzelperson nicht abweisen, wenn sie alle Voraussetzungen erfüllt.“

„Die Mädchen können sich wirklich glücklich schätzen, wenn sie dich als Mutter bekommen. Ich wollte dir eben nicht zu nahe treten.“

„Na ja, ich bin da vielleicht ein bisschen empfindlich. Das liegt daran, dass meine Mutter … aber egal.“

Nick wartete einfach ab – in der Hoffnung, sie würde ihren Satz doch noch beenden.

Schließlich lachte Jennifer freudlos auf. „Meine Mutter ist der Ansicht, dass ich mir mein Leben kaputt mache, wenn ich die Mädchen zu mir nehme.“

„Dann freut sie sich also nicht darüber, auf einmal drei Enkeltöchter zu haben?“

Jennifer lachte erneut. „Wie bitte? Meine Mutter hat überhaupt kein Interesse daran, Großmutter zu werden. Schon gar nicht, wenn die Kinder nicht ihre edle Abstammung haben.“

„Oha, ist sie etwa blaublütig?“

„Natürlich. Sie ist in Highland Park aufgewachsen.“ Highland Park war eine hochexklusive Wohngegend in Dallas.

Nick grinste. „Dann bist du bestimmt auch auf einem Debütantinnenball in die Gesellschaft eingeführt worden.“

„Ja, ich kam leider nicht drum herum. Aber nach dem College habe ich mich geweigert, das weiter mitzumachen. Ich habe mir schnell einen Job gesucht, um finanziell unabhängig zu sein.“

„Damit warst du wohl ziemlich erfolgreich, du hast nämlich eine tolle Wohnung.“

„Danke, meine Großmutter hat mich sehr unterstützt.“

„Das ist ja toll. Wie war das noch mal, du bist Fotografin, nicht?“

„Ja. Bisher habe ich mir zwar noch keinen richtigen Namen damit gemacht, aber das kommt hoffentlich noch.“ Sie trank einen Schluck Kaffee. „Was machst du denn beruflich?“

Eine Zeit lang dachte er schweigend darüber nach, was er ihr antworten sollte, immerhin hatte er zwei Berufe zur Auswahl. Da erinnerte er sich wieder daran, dass ihn sein Agent davor gewarnt hatte, zu offenherzig mit seiner zweiten Karriere umzugehen. Also entschied er sich für die sichere Variante: „Ich bin Lehrer.“

„Wohnst du nur den Sommer über hier?“

„Das weiß ich noch nicht. Vielleicht ziehe ich auch ganz nach Dallas. Je nachdem, wie sich meine Jobsituation entwickelt.“

„Wenn du nächstes Jahr weiter hier wohnen möchtest, erhöht sich aber die Miete. Das weißt du doch, oder?“

„Ja.“

„Entschuldige, ich wollte dir das nur sagen, weil ich weiß, dass Lehrer nicht so furchtbar viel verdienen.“

„Etwa so wenig wie unbekannte Fotografinnen?“

Jennifer versteifte sich. „Ich habe doch eben schon gesagt, dass meine Großmutter mir ein bisschen unter die Arme gegriffen hat.“

„Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Wenn du mir kurz aufmalst, wo ich hier einen Supermarkt finde, bin ich sofort wieder weg.“

„Moment, ich hole schnell etwas zu schreiben“, erwiderte sie kühl. Dann ging sie aus dem Zimmer.

In der Zwischenzeit räumte Nick den Tisch ab und die Geschirrspülmaschine ein.

Wenig später war Jennifer wieder zurück. „Was machst du denn da?“

„Na ja, ich wollte meine blöde Bemerkung von eben wiedergutmachen.“

„Da gibt’s nichts wiedergutzumachen“, erwiderte sie, wich aber seinem Blick aus.

„Doch. Jetzt hast du mich schon zweimal bewirtet, und zum Dank werde ich unverschämt.“

„Schon gut.“ Jennifer strich sich eine kinnlange blonde Strähne hinters Ohr. „Ist nicht so schlimm.“

„Jennifer!“, rief Missy. Wenig später stand das Mädchen in der Küche, sie hatte inzwischen ihre neuen Sachen angezogen. „Sehe ich nicht schön aus?“ Die Kleine strahlte über das ganze Gesicht.

Jennifer lachte. „Ja, wunderschön! Wo sind denn deine Schwestern?“

„Die müssen noch ganz viele Knöpfe zumachen.“

„Dann gucke ich jetzt mal, ob sie Hilfe brauchen. Wir müssen dir auch noch die Haare bürsten.“

Missy verzog das Gesicht. „Das ziept aber!“

„Holst du mir eine Bürste?“ Nick lächelte das Mädchen an. „Ich bin auch ganz vorsichtig.“

„Nein, nein, das mache ich schon, wenn die anderen beiden fertig angezogen sind“, warf Jennifer ein und verließ die Küche.

Nick blieb noch ein paar Sekunden lang sitzen. Er hatte zwar immer noch keine Wegbeschreibung für den Supermarkt, dafür aber einen interessanten Morgen bei seiner neuen Nachbarin verbracht. Gerade wollte er gehen, da drückte Missy ihm ihre Haarbürste in die Hand.

„Okay, aber ohne Ziepen“, ermahnte sie ihn ernst.

„Keine Angst. Komm mal mit ins Wohnzimmer.“ Er ging mit ihr in den Nebenraum und zog sie auf den Schoß. „Ich versuche es jetzt ganz vorsichtig. Sag sofort Bescheid, wenn ich dir wehtue, ja?“

„Mach ich!“ Missy saß stocksteif da und erinnerte ihn damit ein bisschen an ihre neue Mommy. Aber nach ein paar Bürstenstrichen entspannte sie sich merklich.

„So, das war’s auch schon. Soll ich dir noch eine Spange ins Haar stecken?“

„Ja, ich hole sie schnell.“ Und weg war sie.

Hoffentlich kommt sie vor Jennifer zurück, dachte Nick. Dann kann ich das noch erledigen und unauffällig wieder verschwinden.

Fehlanzeige: Kaum kam Missy in die Küche gelaufen, rief Jennifer nach ihr: „Missy, wo bist du? Ich will dir die Haare bürsten.“

„Das hat Nick schon gemacht“, rief Missy zurück. Dann reichte sie Nick eine Haarspange mit Schleife. „Ist die nicht schick?“

„Allerdings.“ Vorsichtig nahm er ihr langes Haar am Hinterkopf zusammen und klickte die Spange fest. „So, jetzt ist alles perfekt.“ Er küsste das Mädchen auf die Wange.

Zu seiner Überraschung umarmte Missy ihn fest. „Ich hab dich lieb“, sagte sie.

Hinter Nick schnappte jemand hörbar nach Luft. „Missy!“, rief Jennifer aus.

Unbekümmert lief das Mädchen zu ihr. „Sehe ich nicht schön aus?“, erkundigte sie sich strahlend.

„Ja, meine Süße. Hast du dich auch bei Nick dafür bedankt, dass er dir geholfen hat?“

„Habe ich. Kommt er gleich mit?“

„Nein, wir wollen nämlich Anziehsachen kaufen gehen, und er muss noch zum Supermarkt.“

„Schon, aber das kann ich auch hinterher machen“, warf er ein und ließ Jennifer dabei nicht aus den Augen.

„Kommt gar nicht infrage. Wenn du mitkommst, langweilst du dich garantiert zu Tode.“

„Woher weißt du das so genau?“, erwiderte er. „Ich habe drei jüngere Schwestern, mit denen bin ich früher oft einkaufen gegangen, und es hat mir sogar Spaß gemacht. Wenn ich mitkomme, geht alles vielleicht schneller und leichter.“

„Bitte, Mommy!“, sagte Missy.

Jennifer schossen die Tränen in die Augen. „Das ist das erste Mal, dass du mich so nennst“, sagte sie gerührt.

„Darf ich das denn?“, erkundigte sich die Kleine.

„Aber natürlich, meine Süße.“ Jennifer schloss sie fest in die Arme.

„Wenn Nick mitdarf, nehme ich ihn an die Hand, damit wir ihn nicht verlieren“, erklärte Missy.

„Hör mal, ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn …“, begann Jennifer.

In diesem Augenblick kamen ihre beiden Schwestern fertig angezogen in die Küche. Nick beeilte sich, ihnen zu sagen, wie hübsch sie aussahen. Dann wandte er sich an seine schöne Nachbarin: „Vielleicht ist es ja ganz hilfreich für … eine der hier Anwesenden, mal einen Mann kennenzulernen, der es gut mit ihr meint?“, sagte er leise. Dabei ging es natürlich um Annie.

„Und woher weiß ich, dass du es gut meinst?“

„Weil ich ein harmloser Lehrer bin, der seine drei jüngeren Schwestern mit großgezogen hat. Und weil ich Grace’ Neffe bin.“

„Hast du heute nichts Besseres vor?“

„Nein, ich fände es sogar sehr praktisch, wenn ich mitdürfte. Dabei könntest du mir ein bisschen die Stadt zeigen.“

„Oh, ja, bitte!“, schaltete sich Missy wieder ein.

Jennifer seufzte. „Also gut. Aber mach mir bitte keine Vorwürfe, wenn du dich langweilst.“ Sie nahm ihre Handtasche. „Seid ihr so weit, Mädels?“

„Ja.“ Steffi griff nach Annies Hand. Missy löste sich von Jennifer und stellte sich neben Nick. „Ich bleibe immer bei dir, okay?“

„Das ist lieb“, bedankte er sich bei der Dreijährigen.

Jennifer verdrehte die Augen, dann ging sie in Richtung Wohnungstür.

Zwei Stunden später wirkte Jennifer immer noch nicht erschöpft. Ihre Ausdauer und Geduld mit den Mädchen beeindruckte Nick. Dafür schien Missy müde zu werden. Während ihre Schwestern weiter Kleider anprobierten, hatte die Jüngste sich in seinen Schoß gekuschelt.

„Ich habe Hunger“, beschwerte sie sich.

„Ja, ich auch“, erwiderte Nick. „Darf ich euch alle zum Essen einladen?“

„Oh ja! Können wir zu McDonald’s?“

„Da muss ich erst mal Jennifer fragen.“

In diesem Moment kam sie mit den beiden anderen Mädchen aus der Kabine.

Sofort sprang Missy auf. „Nick hat gesagt, dass er uns alle zu McDonald’s einlädt!“, verkündete sie.

„Warte noch ein bisschen, wir gehen später …“ Sie blickte auf die Uhr. „Oje, es ist ja schon fast zwei Uhr, das hätte ich nicht gedacht. Dann wird’s aber wirklich Zeit, dass wir zu Mittag essen.“

„Habt ihr denn alles, was ihr besorgen wolltet?“, wollte Nick neugierig wissen.

„Nein, aber …“

„Dann können wir doch auch hier im Einkaufszentrum etwas essen. Wir finden sicher etwas, das den Mädchen schmeckt und uns auch.“

„Klingt gut. Okay, ihr drei, kommt mal mit. Nach dem Lunch gucken wir weiter nach Sachen für euch.“

Wenig später saßen alle fünf mit Essen und Getränken an einem Tisch im Fast-Food-Bereich des Einkaufszentrums.

„Wie alt sind eigentlich deine drei Schwestern?“, erkundigte sich Jennifer bei Nick.

Er grinste. „Sieben Jahre jünger als ich.“

Überrascht sah sie ihn an. „Alle drei?“

„Ja. Es sind Drillinge.“

„Oha.“

„Was ist das, Drillinge?“, schaltete sich Missy ein.

„Das ist, wenn jemand drei Kinder gleichzeitig bekommt“, erklärte Jennifer.

Missy nickte, aber Steffi runzelte die Stirn. „So wie uns, nur in gleichaltrig?“, hakte sie nach.

„Ganz genau. Das macht alles ein bisschen komplizierter. Du bist ja schon so groß und vernünftig, dass du deinen beiden Schwestern ein bisschen helfen kannst. Aber Nick musste sich um drei Schwestern gleichzeitig kümmern.“ Jennifer grinste ihm zu. „Hättest du mir das vorher gesagt, hätte ich dich schon viel früher eingeladen, uns zu begleiten.“

„Na ja, ich wollte damit nicht so angeben.“ Nick bemühte sich, ein bescheidenes Gesicht zu machen.

Jennifer lachte. „Alles klar!“

„Schmeckt dir dein Hamburger, Annie?“, wandte Nick sich an die mittlere Schwester. Bisher hatte die Kleine noch kein Wort mit ihm gewechselt, aber einen Versuch war es wert.

„Ja“, erwiderte sie ganz leise.

„Das freut mich. Deiner auch, Steffi?“

„Sehr gut. Und guck mal, ich habe ein Spielzeugauto als Überraschung gekriegt.“

„Klasse“, erwiderte Nick. „Und was hast du gekriegt, Missy?“

„Ich glaube, das ist eine Katze.“ Das Mädchen hielt eine Plastikfigur hoch.

„Das ist Sylvester, der Kater aus Bugs Bunny“, bemerkte Nick. „Ich glaube, es gibt bald einen neuen Kinofilm mit ihm in der Hauptrolle.“

„Können wir uns den angucken?“, fragte Missy aufgeregt.

Sofort sah Nick alles genau vor sich: Wie er und Jennifer nebeneinander im dunklen Kinosaal saßen … natürlich mit den Mädchen. Trotzdem blickte er nur sie an, während er Missy antwortete: „Das machen wir. Versprochen.“

3. KAPITEL

Jennifer klang angespannt. „Du kannst den Kindern nicht einfach versprechen, mit ihnen ins Kino zu gehen“, sagte sie zu Nick.

„Was ist daran so schlimm, wenn wir uns zusammen einen Film angucken?“

Aber Jennifer beachtete ihn nicht weiter, ihre Aufmerksamkeit war ganz auf die Mädchen gerichtet. „Wenn der Film in die Kinos kommt, sprechen wir noch mal darüber, okay? Dann schaue ich mal, ob er überhaupt altersgemäß ist.“

„Was heißt das, altersgemäß?“, hakte Missy nach.

„Das bedeutet, dass ihr auch Spaß daran habt“, schaltete sich Nick ein. „Viele Kinofilme sind nur für Erwachsene bestimmt, die würden euch gar nicht gefallen.“

„Darf ich neben dir sitzen, wenn wir zusammen ins Kino gehen, Nick?“

Er lächelte. „Klar. Du darfst dann auch gern meine Hand halten.“

„Wir können Nick nicht einfach so verplanen“, sagte Jennifer ernst. „Er ist gestern erst eingezogen und war seitdem fast durchgehend mit uns zusammen … Dabei hat er bestimmte eine Menge zu erledigen und bestimmt keine Zeit, sich im Kino Zeichentrickfilme anzusehen.“

Missy fixierte Nick mit ihren großen braunen Augen. „Ach, Nick, bitte!“

Er seufzte. „Ich schau mal, was sich machen lässt. Es kann aber wirklich sein, dass es bei mir etwas eng wird“, log er. Dann warf er Jennifer einen Seitenblick zu. Wenn sie es so wollte – was sollte er da machen?

„Seid ihr alle mit dem Essen fertig?“, erkundigte sie sich betont fröhlich. „Dann können wir alle noch mal auf die Toilette, vielleicht passt Nick solange auf unsere Taschen auf?“

„Wenn du mir deine Autoschlüssel gibst, bringe ich schon mal alles zum Wagen und packe es in den Kofferraum. Dann habt ihr für die Nachmittags-Einkaufstour die Hände frei.“

„Das wäre wirklich nett“, sagte Jennifer. „Wir können uns ja danach wieder im Kaufhaus treffen, in der Abteilung für Kinderkleidung.“

„Ja, bis gleich!“

Als er vom Auto zurückkam, konnte er Jennifer und die Mädchen nirgends entdecken. Aber dann hörte er Stimmen aus der Umkleidekabine.

„Ich will aber mit Nick rausgehen“, beschwerte sich Missy.

„Nick bringt gerade unsere Einkäufe in den Wagen. Probier doch bitte die Sachen hier an. Die stehen dir bestimmt richtig gut.“

„Aber …“

„Bitte, Missy, zieh das einfach kurz über. Danach gucken wir, ob Nick wieder hier ist, vielleicht kannst du dich dann zu ihm setzen. Oder ihr guckt schon mal, ob ihr ein paar schicke Halbschuhe für dich findet. Und Sandalen.“

„Wirklich, darf ich mir Schuhe und Sandalen aussuchen?“ Missy klang erstaunt. „Ich habe doch schon die hier.“

Nick konnte sich lebhaft vorstellen, wie das Mädchen gerade einen Fuß hob, um Jennifer ihre Turnschuhe zu zeigen.

„Ja, aber jetzt probier schnell die Sachen hier an. Warte, ich helfe dir.“

Es dauerte einige Minuten, bis Missy sich wieder zu Wort meldete: „Darf ich gucken, ob Nick schon wieder da ist?“

„Okay, ich gehe mal eben mit dir raus. Steffi und Annie, wartet ihr kurz? Bin gleich wieder da.“

„Jennifer?“, rief Nick ihr zu. „Ich bin gleich vor der Umkleidekabine, du kannst Missy einfach rausschicken, dann kümmere ich mich schon um alles.“

Aber Jennifer trat zusammen mit dem Mädchen nach draußen. „Würdest du mit ihr wohl in die Kinderschuhabteilung gegenüber gehen und ein paar schöne Sonntagsschuhe und Sandalen mit ihr aussuchen?“

„Klar“, erwiderte er. „Was möchtest du ausgeben?“

Sie wirkte etwas ratlos. „Ich habe keine Ahnung, was Kinderschuhe so kosten. Nicht mehr als fünfzig Dollar, oder? Ich komme gleich zum Bezahlen rüber, okay?“ Dann verschwand sie wieder in der Umkleide.

Nick schüttelte ungläubig den Kopf. Wenn sie fünfzig Dollar für Kinderschuhe eingeplant hatte, hatte sie wahrscheinlich wirklich keine Geldsorgen.

Innerhalb einer Viertelstunde hatten er und Missy schwarze Lacklederschuhe und weiße Sandalen ausgesucht. Er musste die Kleine festhalten, damit sie nicht vor lauter Begeisterung mit den Schuhen zu Jennifer rannte, ohne dass er dafür bezahlt hatte.

„Oh, vielen Dank!“, sagte Jennifer, als sie zurück waren. „Hast du an der Kasse gesagt, dass ich gleich zum Bezahlen rüberkomme? Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so schnell …“

„Kein Problem, ich habe das Geld erst mal ausgelegt, du kannst es mir später geben. So fand ich es einfacher.“

„Oh. Das tut mir leid, ich dachte … ich hätte nicht … vielen Dank.“

„Gern geschehen. Brauchen Annie und Steffi auch neue Schuhe?“

Jennifer zögerte. „Annie wäre jetzt so weit, aber …“

„Ich bin auch ganz vorsichtig und komme sofort wieder zu dir, wenn ich merke, dass sie sich unwohl fühlt. Versprochen.“

„Okay, ich frage sie mal.“

Kurze Zeit später kam Jennifer wieder, Annie an der Hand. „Guck mal, die Schuhe sind gleich da drüben“, erklärte sie dem Mädchen. „Nick geht mit dir kurz rüber, damit du sie anprobieren kannst. Je nachdem, ob ihr früher fertig seid oder Steffi und ich, kommen wir zu euch, oder ihr kommt wieder zu uns, okay?“

„Okay.“ Annies Stimme war kaum hörbar.

Nick ahnte, dass es sie viel Mut kostete, mit ihm zu kommen. Er lächelte ihr freundlich zu und hielt ihr die Hand hin. Bisher hatte er sie noch nie berührt. Erst blickte sie ihn lange mit ihren großen braunen Augen an, dann legte sie langsam die Hand in seine.

„Braucht sie die gleichen Schuhe wie Missy?“, erkundigte er sich leise.

Jennifer nickte. „Das war übrigens ein echter Glückskauf. So, wie’s aussieht, zieht sie die Sandalen heute nicht mehr aus, auch nicht zum Schlafengehen.“

Nick grinste. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir Schuhe finden, die Annie genauso gut gefallen. Nicht, Annie?“

Schweigend sah das Mädchen ihn an.

Hand in Hand gingen die beiden zu dem Regal mit ihrer Schuhgröße. Dort blieb Nick stehen und wartete. Aber statt sich einige Paare zum Anprobieren auszusuchen, beobachtete Annie ihn weiter. Es kam ihm vor, als hätte sie Angst, sich für die falschen Schuhe zu entscheiden und ihn damit zu verärgern.

„Die Schuhe in diesem Regal sind alle völlig in Ordnung, du darfst dir die aussuchen, die dir am besten gefallen“, versuchte er sie zu beruhigen. „Dabei kannst du gar nichts falsch machen.“

Annie blieb reglos stehen. Nick beschloss, sich einfach noch eine Weile zu gedulden.

Schließlich zeigte sie auf ein Paar.

„Prima. Möchtest du noch ein paar andere anprobieren?“

Sie schüttelte den Kopf. Nick sah, dass sie zitterte. Ihm war bewusst, dass das hier ein großer Schritt für sie war.

Dann setzte er sich mit ihr hin und bat die Verkäuferin, den zweiten Schuh zu bringen – und dazu drei Paar Sandalen. Dabei achtete er darauf, dass alle etwas anders aussahen als die, die er gerade für Missy gekauft hatte. Durch seine Drillingsschwestern hatte er gelernt, wie wichtig es war, dass jedes Mädchen etwas ganz Eigenes hatte.

Und Annie war wirklich ganz anders als Missy. Sie brachte ihre Begeisterung sehr zurückhaltend zum Ausdruck: dadurch nämlich, dass sie fast zärtlich über das Schuhleder strich. Sie schienen ihr zu gefallen. Es dauerte auch nicht lange, bis sie sich für ein Paar Sandalen entschieden hatte.

„Die sind schön“, flüsterte sie und betrachtete dabei verzückt ihre Füße.

„Da hast du recht“, stimmte er ihr zu. Dann zahlte er für die Schuhe und ging mit ihr wieder in die Kinderkleiderabteilung. Dort verschwand Annie in der Umkleide, um Jennifer ihren Einkauf zu zeigen. Kurze Zeit später kam Jennifer ohne Annie heraus. „Das hast du ja wirklich toll hingekriegt“, sagte sie zu Nick. „Annie ist ganz aufgeregt vor Freude.“

„Sie kann das nur nicht so zeigen, oder?“

„Nein … Manchmal frage ich, ob sie nicht irgendwann explodiert, wenn sie ihre Gefühle weiter so unterdrückt. Im Gegensatz zu Missy.“ Jennifer grinste.

„Elizabeth, eine meiner Drillingsschwestern, war früher auch immer sehr zurückhaltend“, erinnerte sich Nick. „Aber später ist sie richtig aufgeblüht.“

„Dann stimmt das also wirklich mit den Drillingen?“

„Dachtest du etwa, ich hätte mir das ausgedacht?“

„Na ja, ich hätte mir schon vorstellen können, dass du mir das nur erzählst, damit ich dich mitfahren lasse.“

Er lächelte. „Es stimmt aber wirklich. Ist Steffi so weit, dass ich mit ihr die Schuhe aussuchen kann?“

„Ja, wir sind jetzt alle fertig und können zusammen rübergehen.“

Wenig später hatte auch Steffi sich für Halbschuhe und Sandalen entschieden. Gemeinsam trugen sie die letzten Einkäufe zum Auto.

„Ein Glück, dass du so einen großen Wagen hast“, scherzte Nick.

„Wir mussten so viel kaufen, die Mädchen hatten kaum etwas anzuziehen“, verteidigte Jennifer sich. „In ihren letzten Unterkünften mussten sie immer alte Sachen auftragen. Missy war gestern ganz außer sich, dass sie jetzt ein eigenes Nachthemd besitzt, das sie mit niemandem teilen muss.“

„Inzwischen hat sie wahrscheinlich sogar mehrere“, bemerkte Nick mit einem Seitenblick auf die Einkaufstüten.

„Stimmt. Ihre Schwestern übrigens auch. Und jede Menge Anziehsachen, das müsste bis Ende des Sommers reichen. Im Herbst bekommen Steffi und Annie dann eine Schuluniform.“

„Wohin schickst du sie denn?“

Sie nannte den Namen einer bekannten und sehr teuren Privatschule. „Da bin ich früher auch hingegangen“, ergänzte sie.

Nick lachte. „Oha, wenn das so ist, kann ich wohl davon ausgehen, dass du nicht jeden Penny einzeln umdrehen musst.“

„Das habe ich auch nie behauptet“, erwiderte sie schnippisch. Dann murmelte sie etwas davon, dass sie nachschauen musste, ob die Mädchen sich auch richtig angeschnallt hatten.

Was ist hier bloß los? fragte sich Nick. Warum reagiert Jennifer so verärgert, wenn ich sie auf ihre finanzielle Situation anspreche?

Schweigend fuhren sie in Richtung Yellow Rose Lane. Jennifer parkte das Auto vor dem Wohnhaus und holte ein paar Einkaufstüten aus dem Kofferraum. Dann drückte sie Steffi einen Schlüssel und jedem Mädchen eine kleine Tüte in die Hand, damit die drei schon mal in die Wohnung konnten. Kaum waren die Kinder im Haus verschwunden, bog ein weiterer Wagen auf den kleinen Parkplatz ein.

„Oh“, murmelte Jennifer.

Nick sah zu dem Auto hinüber. „Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten?“

„Ja, aber nur für mich. Da kommt meine Mutter.“

In diesem Moment stieg eine Frau aus dem schicken Cabrio. Wie Jennifer hatte sie blonde Haare, bloß wirkte ihr Farbton nicht natürlich. Sie trug ein elegantes Kostüm und Schuhe mit Absätzen, dazu auffälligen Goldschmuck. Und sie guckte auffällig grimmig. „Jennifer!“, rief sie.

„Ja?“

„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Ohne Nick auch nur eines Blickes zu würdigen, schritt sie auf ihre Tochter zu.

„Nein, bin ich nicht.“

„Mein Bruder hat mich gerade zu deinem sozialen Engagement beglückwünscht. Ich wusste gar nicht, wovon er redet. Da hat er mir erklärt, dass du drei kleine Mädchen adoptieren willst. Das kommt ja wohl überhaupt nicht infrage! Ich möchte, dass du den Antrag sofort zurückziehst!“

„Ganz bestimmt nicht.“

„Damit machst du dir dein Leben kaputt!“

„Nein, ich finde, dass ich genau das Richtige mache, deswegen bleibe ich auch dabei. Und ich lasse mir bestimmt nicht von dir sagen, was ich tun und lassen soll“, verteidigte Jennifer sich heftig.

„Das geht alles nur wegen deiner Großmutter“, wetterte ihre Mutter. „Wenn sie dir nicht ihr ganzes Geld hinterlassen hätte, müsstest du dich jetzt nach mir richten. Weil ich dir nämlich den Geldhahn zudrehen würde.“

„Das hast du vor Grandmas Tod schon versucht, da hat es auch nicht funktioniert. Weißt du noch? Ich bestimme selbst über mein Leben, und zwar schon lange.“

„Ja schon, aber du hast dir das alles nicht richtig überlegt. Mit drei kleinen Kindern im Schlepptau interessiert sich kein Mann mehr für dich.“

„Ich schon“, warf Nick leise ein und hoffte dabei, Jennifer würde ihm das nicht übel nehmen.

Jennifers Mutter fuhr herum. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft schien sie ihn überhaupt wahrzunehmen. „Und wer sind Sie?“

„Nick Barry ist der Neffe meiner ehemaligen Nachbarin Grace, er wohnt jetzt in ihrer Wohnung gleich nebenan“, erwiderte Jennifer ruhig. „Mr Barry ist Lehrer.“

„Na, dann zählt das ja nicht. Für dich hatte ich jemand ganz anderen im Sinn. Jonathan Davis hat neulich mal nach dir gefragt. Aber wenn ich ihm von den drei Mädchen erzähle, wird daraus natürlich nichts.“

„Kein Problem, Jonathan Davis interessiert mich sowieso nicht.“

„Wie bitte? Sein Vater ist Geschäftsführer der CMD Corporation, das ist ein milliardenschweres Unternehmen. Es würde alles so wunderbar passen!“

„Dann heirate du ihn doch, Mom, für mich kommt er nämlich nicht infrage.“

Mrs Carpenter stemmte die Hände in die Hüften. „Ich fasse es nicht.“

Jennifer presste die Lippen zusammen und nahm die letzten Einkaufstüten aus ihrem Minivan. „Ich habe dir nichts mehr zu sagen, Mom. Hereinbitten möchte ich dich nicht, weil du dann womöglich die Mädchen beleidigst. Ich rufe dich demnächst mal an, ja?“

„Wie bitte? Jetzt lässt du mich nicht mal mehr in deine Wohnung?“ Die Frau war völlig außer sich.

„Ganz genau. Komm, Nick“, sagte Jennifer und ging zur Haustür.

Nick folgte ihr. Er war froh, sich nicht länger anhören zu müssen, was diese Frau zu sagen hatte. Inzwischen arbeitete er zwar nicht mehr als Lehrer, aber das hieß noch lange nicht, dass er es sich gelassen anhören konnte, wenn jemand diese Berufsgruppe beleidigte.

In ihrer Wohnung sank Jennifer erschöpft aufs Sofa. Sofort kamen die Mädchen angelaufen und suchten in den Tüten nach ihren neuen Sachen.

„Hey, ihr drei, wie wär’s wenn wir die Sachen schnell in euer Zimmer bringen? Dann kann sich eure Mom etwas ausruhen, sie ist ein bisschen müde“, schlug Nick vor.

Sofort griffen sich Missy und Steffi ein paar Tüten und verschwanden. Annie ging zu Jennifer, berührte kurz ihre Hand und sah ihre neue Mommy mit großen Augen an.

Jennifer umarmte das Mädchen. „Mach dir keine Sorgen, meine Süße, mir geht’s gut“, sagte sie. „In ein paar Minuten bin ich wieder bei euch, okay?“

Annie nickte, nahm die restlichen Einkaufstüten und verließ ebenfalls den Raum. Nick folgte ihr. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um und lächelte Jennifer aufmunternd zu. Erst da fiel ihm auf, dass ihr Tränen in den Augen standen.

Abends ging es Jennifer schon wieder etwas besser. Sie nahm sich zusammen und kümmerte sich ums Abendessen. Dann bat sie die Mädchen, den Küchentisch zu decken.

„Wo ist Nick?“, wollte Missy wissen.

„Wahrscheinlich in seiner Wohnung. Er wohnt nebenan und gehört nicht zu unserer Familie.“

„Ich will aber, dass er unser Daddy ist! Und er soll auch mit uns essen.“

„Er ist nicht euer Daddy, sondern unser Nachbar, das habe dich dir schon mal erklärt.“ Und dabei bleibt es auch, dachte sie. „Und jetzt hilf bitte deinen Schwestern, den Tisch zu decken.“

In diesem Moment klingelte das Telefon. Jennifer klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr und fuhr mit ihren Vorbereitungen fort.

„Jennifer?“

Sie erkannte die Frauenstimme sofort. „Hallo Grace, wie geht es dir?“

„Danke, gut. Aber ich habe meine Miete für den kommenden Monat noch gar nicht überwiesen.“

Jennifer runzelte die Stirn. „Das brauchst du auch nicht, du wohnst doch jetzt in der Einrichtung für betreutes Wohnen, von der du mir erzählt hattest.“

„Schon, aber ich will wieder in meine Wohnung.“

„Meinst du denn, dass du das wieder allein hinbekommst?“

„Ja, auf jeden Fall.“

„Weiß dein Neffe schon Bescheid?“, erkundigte sich Jennifer. Grace war eine gute Freundin ihrer Großmutter gewesen, darum hatte sie ihre Wohnung so günstig bekommen.

„Warum sollte ich jemandem Bescheid sagen?“ Die ältere Dame klang verwirrt.

„Na ja, im Moment hast du deine Wohnung ja an deinen Neffen untervermietet.“

„An welchen Neffen?“

Jennifer erstarrte. Dann atmete sie tief durch. „Nick Barry. Er hat mir erzählt, du hättest ihm die Wohnung nebenan untervermietet.“

„Aber ich habe gar keinen Neffen.“

„Wirklich nicht?“

„Nein, das müsste ich doch wissen.“

„Allerdings.“ Das Herz schlug Jennifer bis zum Hals. Kaum zu glauben, dass Nick sie so dreist belogen hatte! Aber im Moment sah es ganz danach aus. Sie erschauerte, als ihr bewusst wurde, dass sie ihre Mädchen mit diesem Mann sogar allein gelassen, dass sie ihm blind vertraut hatte …

Nach dem Telefonat stellte sie das Essen auf den Tisch und half den Kindern, sich aufzufüllen. „Fangt schon mal an“, forderte sie die Mädchen auf. „Ich will nur kurz etwas mit Nick besprechen, dann komme ich sofort wieder. Steffi passt solange auf euch auf, okay, Steffi?“

Dann lief Jennifer zur Nachbarwohnung und klingelte stürmisch.

Als Nick endlich die Tür öffnete, funkelte sie ihn wütend an. „Grace Windomere hat gar keinen Neffen!“, sagte sie.

Nick war völlig überrumpelt. Er hatte eigentlich mit einer freundlichen Begrüßung gerechnet – und ganz bestimmt nicht mit so etwas! Trotzdem versuchte er, ruhig zu bleiben. „Weißt du überhaupt, warum Grace in diese Einrichtung für betreutes Wohnen gezogen ist?“, erkundigte er sich.

„Warum ist das wichtig?“

„Weil sie an Alzheimer erkrankt ist. Die Krankheit ist zum Glück noch nicht weit fortgeschritten, macht sich aber schon bemerkbar. Sie vergisst immer wieder ganz grundlegende Dinge.“

„Ach, und das nutzt du also gerade aus.“

Nick seufzte laut. „Ich zeige dir gern ein paar Familienfotos. Dann kannst du dich davon überzeugen, dass wir wirklich verwandt sind.“

„So viel Zeit habe ich jetzt nicht“, erwiderte sie. „Die Mädchen sind gerade beim Abendessen und warten auf mich. Wenn du wirklich beweisen kannst, dass du Grace’ Neffe bist, dann am besten gleich morgen früh. Sonst sorge ich dafür, dass du bis Mittag hier ausgezogen bist.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück in ihre Wohnung. Die Tür fiel geräuschvoll ins Schloss.

Nick stand da wie vom Blitz getroffen. Er wusste nur eines, nämlich dass er auf keinen Fall bis zum nächsten Morgen damit warten wollte, Jennifer zu beweisen, dass sie sich irrte.

Er hatte zwar noch nicht alle Umzugskartons ausgepackt, wusste aber ungefähr, in welchem sich die Familienalben befanden, die er von seiner Mutter geerbt hatte. Auf einigen Bildern war auch seine Tante Grace zu sehen. Kaum hatte er das Album gefunden, ging er damit zu Jennifer rüber.

Es dauerte eine Weile, bis sie ihm öffnete. „Was gibt es denn?“, erkundigte sie sich unwirsch.

„Ich möchte dir gern beweisen, dass Grace meine Tante ist.“

„Und wie willst du das machen?“

„Indem ich dir das Fotoalbum zeige, das ich von meiner Mutter geerbt habe. Allerdings geht das nur, wenn du mich in die Wohnung lässt. Wir können natürlich auch gern zu mir gehen.“

„Das geht nicht, wir sind noch beim Essen. Ich muss jetzt …“

„Gut, dann komme ich eben rein.“ Bevor sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, schlüpfte er an ihr vorbei.

„Aber …“

„Hallo, ihr drei“, begrüßte er die Mädchen, als er in die Küche kam. „Wie schmeckt’s euch?“

„Prima“, sagte Missy. „Wir haben aber nichts mehr über, nur grüne Bohnen sind noch da.“

„Vielen Dank, dass du an mich gedacht hast, Missy“, erwiderte er. „Ich bin eigentlich nicht zum Essen hergekommen, ich wollte eurer Mommy ein paar Fotos zeigen.“

„Ich habe nicht gesagt, dass du reinkommen darfst“, warf Jennifer wütend ein.

„Aber ich würde das gern jetzt klären, damit es nicht so lange zwischen uns steht“, gab er zurück.

„Also gut. Aber ich möchte erst in Ruhe zu Ende essen. Moment, du bekommst gleich eine Tasse Kaffee.“

„Danke.“ Nick setzte sich neben Missy an den Küchentisch und wechselte ein paar Worte mit den Mädchen. Jennifer aß weiter und beachtete ihn nicht.

Eigentlich hatte er selbst gerade Essen machen wollen, als Jennifer bei ihm geklingelt hatte. Eine Packung Tiefkühlpizza lag unangetastet bei ihm auf der Arbeitsplatte.

Na ja, dachte er. Wenn ich zurückkomme, ist sie fertig aufgetaut.

Einige Minuten lang herrschte Schweigen. „Ich habe dich noch gar nicht gefragt, ob du schon gegessen hast“, sagte Jennifer schließlich.

„Ich wollte mir gerade etwas machen, als du … geklingelt hast.“

Sie wich seinem Blick aus. „Es tut mir leid, Nick. Ich war ziemlich aufgebracht, weil es auf einmal so aussah, als hättest du mich angelogen“, erwiderte sie. „Immerhin habe ich dir die Mädchen anvertraut.“

„Alles halb so wild.“

Jetzt sah sie ihn doch an. „Ich habe dich gar nicht richtig zu Wort kommen lassen.“

„Das ist nicht so schlimm, ich kann das sogar gut verstehen.“

„Jetzt sei nicht auch noch so verständnisvoll! Dann komme ich mir ja noch schäbiger vor.“

Er grinste. „Das habe ich damit nicht bezweckt.“

„Herrje, zeig mir endlich die verdammten Fotos und …“ Verstohlen blickte sie zu den drei Mädchen hinüber. „Ich meine: Würdest du mir bitte die Bilder zeigen, dann sind wir beide zufrieden.“

„Das Wort hat meine erste Mommy auch immer gesagt“, bemerkte Missy.

„Ja, hat sie auch viel von Bildern gesprochen?“

Nick musste grinsen. Witzig, ihr Versuch, sich der Dreijährigen gegenüber aus der Affäre zu ziehen.

„Nein, ich meine ‚verdammt‘. Was heißt das eigentlich?“

Steffi war anzusehen, dass sie mit dem Wort durchaus etwas anfangen konnte, Annie blickte einfach nur auf ihren Teller.

„Das ist kein besonders schönes Wort, das benutzt ihr lieber nicht, okay?“, erklärte Jennifer. „Es ist mir rausgerutscht, weil ich mich geärgert habe, und das tut mir leid.“

„Hast du dich über Daddy geärgert?“

Jennifer holte tief Luft. „Missy, hör bitte auf, Nick ‚Daddy‘ zu nennen. Er ist unser Nachbar, nicht …“

„Kein Problem, mich stört das überhaupt nicht“, fiel Nick ihr ins Wort.

„Mich stört es aber sehr wohl!“, erwiderte Jennifer heftig.

Mehrere Sekunden lang war es mucksmäuschenstill.

„Hey, ihr drei, wenn ihr jetzt auch mit dem Essen fertig seid, macht euch doch schon mal bettfertig und geht ins Wohnzimmer. Ich lege gleich den Film rein, von dem ich euch vorhin erzählt habe.“

Sofort sprangen die Mädchen auf und liefen aus der Küche.

„Na, das muss ja ein toller Film sein“, sagte Nick.

„Ja, ein alter Film mit Doris Day, der von einem Zirkus handelt. Den habe ich als Kind immer gern gesehen.“

„Ich glaube, ich weiß, welchen du meinst. Der ist wirklich schön.“

„Stimmt. Jetzt kannst du mir gern die Bilder zeigen.“

Und dann soll ich gehen, dachte Nick. Sie hatte die Worte zwar nicht ausgesprochen, aber sie lagen in der Luft.

Schnell schlug er das Familienalbum an einer Stelle auf, die er mit einem Lesezeichen markiert hatte. Auf den Fotos war er mit seiner Familie zu sehen, Tante Grace war auch dabei.

Jennifer betrachtete die Aufnahmen skeptisch. „Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, dass das wirklich Grace ist. Vielleicht hat die Frau ja nur große Ähnlichkeit mit ihr.“

Nick seufzte. „Wie wär’s, wenn wir sie zusammen besuchen? Wärst du dann überzeugt?“

„Schon, aber ich kann die Mädchen nicht so einfach allein lassen.“

„Kennst du niemanden, der mal ein paar Stunden lang auf sie aufpassen kann?“

Sie zögerte. „Schon, aber heute Abend klappt das nicht mehr. Morgen vielleicht.“

„Wenn ich bis dahin nebenan wohnen bleiben darf, können wir gern morgen zusammen hinfahren.“

„Mal sehen.“

In diesem Moment kam Missy aus dem Bad. „Guckst du dir den Film mit uns an?“, erkundigte sie sich bei Nick.

„Tut mir leid, meine Süße, aber das geht nicht. Ich bin nämlich nicht eingeladen.“

Sofort versuchte das Mädchen, Jennifer umzustimmen, und legte sich dabei mächtig für Nick ins Zeug.

„Das geht nicht, Nick hat noch nicht mal zu Abend gegessen. Er hat eben alles stehen und liegen lassen, jetzt muss er schnell zurück.“

„Kein Problem, ich wollte mir sowieso bloß eine Tiefkühlpizza machen“, erklärte er. „Vielleicht darf ich sie ja hier in den Ofen schieben? Ich würde mir den Film nämlich auch gern noch mal anschauen.“

Inzwischen war auch Annie zu ihnen in die Küche gekommen. Kaum hatte Nick seinen Vorschlag ausgesprochen, strahlte sie über das ganze Gesicht. Jennifer nahm die Kleine in den Arm. „Also gut, dann hol mal schnell deine Pizza.“

„Bin sofort wieder da.“ Er beeilte sich, weil er befürchtete, Jennifer könnte es sich schnell anders überlegen. Und er freute sich wirklich sehr auf den alten Doris-Day-Film. Jedenfalls redete er sich das ein.

4. KAPITEL

Am nächsten Nachmittag stand Nick zur verabredeten Zeit vor Jennifers Tür. Kaum hatte er geklingelt, hörte er aufgeregtes Bellen.

Wenige Sekunden später öffnete ihm Jennifer. Sie trug schon ihre Jacke und wollte gerade die Wohnung verlassen.

„Moment mal. Habt ihr einen Hund?“

Sie lächelte. „Allerdings.“

„Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Seit wann denn?“

„Seit heute Morgen. Können wir los?“

Jetzt erschien auch Missy in der Wohnungstür. „Daddy, guck mal, unser Hund!“

Der Welpe, der sich an ihr vorbei in den Hausflur drängte, war fast so groß wie die Dreijährige selbst.

Nick stellte sich ihm schnell in den Weg. „Hey, du Riesenbaby, wo willst du denn hin?“

Der Hund leckte ihm freundschaftlich die Finger und sprang an ihm hoch. Nick tätschelte ihm die Brust, dann schob er das Tier sanft zurück in die Wohnung. „Ist das ein heller Labrador?“

„Ja, eine Blondine. Genau wie die Mädchen.“

„Und du.“ Spielerisch spielte er mit einer Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. Als er dabei ihre Haut berührte, zuckte er zurück. Wie ein kleiner Stromschlag hatte es sich angefühlt.

„Ja“, sagte Jennifer. „Ich finde es gut, wenn die drei ein Haustier haben.“ Ihre Stimme klang ganz ruhig und sachlich, als hätte seine kurze Berührung sie völlig kaltgelassen. War das etwa wirklich so? Hatte nur er darauf reagiert?

Nick zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. „Hat er bei euch denn genug Platz?“, erkundigte er sich stattdessen. „So ein Labrador braucht doch viel Auslauf.“

„Ich weiß, aber er hat den ganzen Garten für sich. Diane geht gleich mit ihm und den Mädchen raus, dann können sich alle austoben.“

„Wer ist denn Diane?“

Jennifer drehte sich um. „Diane?“, rief sie in die Wohnung. „Kommst du mal? Ich möchte dir unseren neuen Nachbarn vorstellen.“

Kurze Zeit später erschien eine Frau, die etwa Ende zwanzig sein musste, Jennifers Alter. Sie wohnte direkt über Jennifers Apartment, erfuhr Nick.

„Sind Sie Flugbegleiterin?“, erkundigte er sich.

„Nein, ich arbeite bei einer Bank. Die Flugbegleiterinnen wohnen neben mir, über Ihrer Wohnung.“

„Schön, Sie kennenzulernen. Und viel Spaß mit dem Hund und den Mädchen.“

„Den werden wir haben. Kommt, ihr drei, wir gehen jetzt auch los“, forderte sie die Kinder auf. Dann verließen sie das Haus.

„Wollen wir mit meinem Auto zu Grace fahren?“, erkundigte sich Nick bei Jennifer. „Dann kann ich mir die Strecke für die nächsten Besuche schon mal einprägen.“

Autor

Judy Christenberry
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