Über den Dächern von Las Vegas

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In dem weißen Penthouse über den Dächern von Las Vegas könnte Anna so glücklich sein, denn an ihrer Seite ist Nikos Stavrakis, Multimillionär und ihr absoluter Traummann. Doch Anna befürchtet, dass Nikos sie nicht liebt. Hat er sie nur zu sich geholt, weil sie ein gemeinsames Kind haben?


  • Erscheinungstag 27.06.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529846
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Der dicht fallende Schnee nahm ihr fast die Sicht, als Anna Rostoff ihren klapprigen Wagen in der Dunkelheit vor dem alten russischen Palast parkte. Unterwegs wäre sie zweimal fast von der Straße abgekommen, doch sie hatte die Stadt erreicht und die Lebensmittel und vor allem die fiebersenkenden Zäpfchen für ihr Baby besorgen können.

Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, nahm sie die Tüte vom Beifahrersitz und stieg aus.

Vorsichtig ging sie durch den Schnee und die geschwungene Treppe zu dem zweihundert Jahre alten Gebäude hinauf. Hinter den Fenstern brannte kein Licht, sie mussten Strom sparen, um ihren Lebensunterhalt besser finanzieren zu können. Nur das schwache Mondlicht erhellte den angrenzenden Wald.

Wir werden es schaffen, dachte Anna. Es war April und der Frühling noch in weiter Ferne, aber im Schuppen lag stapelweise Brennholz. Sobald sie Arbeit als Übersetzerin gefunden hätte, würde sie mit ihrer jüngeren Schwester und ihrem vier Monate alten Baby ein ganz neues Leben beginnen können. Nach einigen sehr schweren Monaten schien sich jetzt endlich alles zum Guten zu wenden.

Als sie den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken.

Die Haustür stand offen.

Mit angehaltenem Atem betrat Anna die große Eingangshalle, in die der eisige Nordwind die Schneeflocken trieb.

„Natalie?“ Ihre Stimme hallte in dem großen Raum.

Dann hörte Anna einen unterdrückten Schrei.

Sofort ließ sie die Tüte fallen und rannte den Flur entlang zu der Wohnung im hinteren Teil des Gebäudes.

Eine dunkle, breitschultrige Gestalt, die in der Nähe des Kamins stand, hob sich gegen den Kerzenschein ab.

Nikos!

Trotz allem, was passiert war, verspürte Anna für einige Sekunden ein Glücksgefühl. Im nächsten Moment fiel ihr Blick auf die leere Wiege.

„Sie haben das Baby mitgenommen, Anna!“, brachte Natalie schluchzend hervor. Ihre Augen hinter den Brillengläsern waren vor Angst geweitet. Zwei Bodyguards, die im Feuerschein noch bedrohlicher wirkten, standen links und rechts von dem Sessel, in dem Annas Schwester saß, und hinderten sie daran aufzustehen. „Sie sind hier eingedrungen, während ich eingenickt war, und haben ihn einfach aus der Wiege genommen. Ich habe ihn schreien hören und versucht, sie davon abzuhalten …“

Panik überkam Anna. Wo war Mischa? Hatte man ihn womöglich schon außer Landes geschafft? Sie begann am ganzen Körper zu zittern. Ihr Baby. Ihr süßes Baby. Ängstlich und verzweifelt zugleich wandte sie sich an den Unmenschen, den sie einmal geliebt hatte.

Sein Ausdruck war finster. Der Mann, der mit ihr in New York und Las Vegas gefeiert und gelacht, der Ouzo getrunken und griechische Lieder gesungen hatte, wirkte nun eiskalt. Mit dem schwarzen Haar und dem dunklen Teint war Nikos zwar so attraktiv wie früher, dennoch hatte er sich verändert.

Seine Nase, die er sich als Kind bei einer Prügelei gebrochen hatte und seitdem ein wenig schief war, war die einzige Unvollkommenheit in seinem makellosen Gesicht gewesen. Nun erschienen Anna seine Züge sehr hart. Seine Schultern wirkten breiter, seine Arme muskulöser, als hätte er die letzten vier Monate im Boxring verbracht. Selbst im Feuerschein fiel ihr auf, wie kalt seine blauen Augen funkelten.

Früher einmal hatte sie ihn über alles geliebt. Jetzt hasste sie ihn, diesen Mann, der sie hintergangen und dazu gebracht hatte, sich selbst zu verleugnen.

„Hallo, Anna.“ Seine Stimme klang gefährlich.

Anna stürzte auf ihn zu und trommelte mit den Fäusten auf ihn ein. „Was hast du mit meinem Baby gemacht? Wo ist es?“

Energisch packte er ihre Handgelenke. „Das geht dich nichts an.“

„Gib mir mein Kind zurück!“

„Nein.“

Völlig außer sich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. Nun, da Anna wusste, was für ein Mensch er war, ließen seine Berührungen sie kalt.

„Mischa!“, schrie sie hilflos.

Nikos verstärkte seinen Griff, während er sie näher an sich zog. „Mein Sohn gehört zu mir.“

Obwohl sie genau diese Antwort erwartet hatte, taumelte Anna, als hätte er sie geschlagen. Als er sie endlich losließ, musste sie sich an dem langen Holztisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ihrem Baby zuliebe musste sie stark sein. Irgendeine Möglichkeit würde sie finden, um Mischa zu retten.

Hasserfüllt blitzte sie Nikos an. „Das kannst du nicht machen!“

„Oh doch. Du hast jedes Recht verwirkt, seine Mutter zu sein, als du ihn entführt hast.“

Entsetzt hob sie die Hand an den Mund. Sie wusste, dass er das Geld und die Macht hatte, ihr ihren Sohn für immer zu entziehen. Es war dumm von ihr gewesen, einfach wegzulaufen, und nun war ihr schlimmster Albtraum wahr geworden. Ihr Kind würde ohne sie in Las Vegas aufwachsen, bei einem herzlosen, untreuen Millionär und seiner neuen Geliebten …

„Es tut mir so leid, Anna“, brachte ihre Schwester schluchzend hervor. „Ich habe wirklich versucht, sie aufzuhalten.“

„Schon gut, Natalie“, flüsterte sie. Aber das war es nicht. Nichts würde je wieder gut werden.

Anna zuckte zusammen, als die Tür gegen die Wand knallte und ein dritter Leibwächter aus der Küche hereinkam und ein Tablett auf den Tisch stellte. Nikos ging darauf zu und goss Tee aus dem Samowar in eine blaue Porzellantasse.

„Ich bin schon seit zwei Wochen hier“, sagte sie bitter, während sie beobachtete, wie er trank. „Warum hast du so lange gebraucht?“

Unbeeindruckt blickte er sie an. „Ich habe meine Männer angewiesen, so lange zu warten, bis du und das Kind getrennt seid, damit du keine Dummheiten machst.“

Wie hatte sie nur so gutgläubig sein können? Sie hätte Mischa niemals allein in Natalies Obhut lassen dürfen, um nach St. Petersburg zu fahren. Schließlich hatte er nur erhöhte Temperatur, weil er zahnte.

Nach vier Monaten auf der Flucht war sie davon überzeugt gewesen, dass Nikos den alten Palast ihrer Urgroßmutter nicht überwachen lassen würde. Das immer stärker verfallende und hoch verschuldete Gebäude war der letzte Vermögenswert ihrer Familie. Natalie hatte angefangen, die Wandgemälde zu restaurieren, in der Hoffnung, sie würden so einen Käufer finden. Anna hielt das allerdings für sehr unwahrscheinlich.

Und genauso wenig Sinn hatte es, vor Nikos Stavrakis zu fliehen. Er überragte sie um fünfzehn Zentimeter und war sehr kräftig. Außerdem warteten sicher irgendwo hinter dem Palast noch mehr Leibwächter.

Die Polizei, ging es ihr durch den Kopf, doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Entweder wäre Nikos längst über alle Berge, wenn ein Beamter eintraf, oder er würde ihn bestechen.

Sie hatte also keine andere Wahl.

„Bitte“, flüsterte sie und fuhr dann lauter fort: „Nimm mir mein Kind nicht weg, Nikos. Es würde mich umbringen.“

Nikos lachte humorlos. „Das nenne ich Glück!“

„Du … du herzloser Mistkerl!“

„Wie bitte?“ Er warf die Tasse ins Feuer. „Herzlos!“, brüllte er.

Anna wich einen Schritt zurück, weil sie plötzlich Angst bekam. „Nikos …!“

„Du hast mich glauben gemacht, dass mein Sohn tot ist! Ich dachte, ihr wärt beide nicht mehr am Leben. Ich bin aus New York zurückgekehrt, und ihr wart verschwunden. Hast du eine Ahnung, wie lange ich auf eine Lösegeldforderung gewartet habe, Anna? Darauf, dass man euch irgendwo ermordet findet? Eine ganze Woche! Erst nach sieben Tagen hast du es für nötig befunden, dich zu melden!“

Nun atmete sie stoßweise und schoss zurück. „Du hast mich hintergangen! Du hast den Tod meines Vaters verschuldet. Hast du etwa geglaubt, ich würde das nicht herausfinden?“

Erstaunt sah er sie an, bevor er die Augen zusammenkniff. „Dein Vater hat für sich entschieden, genau wie du. Ich bringe meinen Sohn dorthin, wo er hingehört.“

„Nein. Bitte.“ Unter Tränen packte sie ihn am Ärmel. „Du kannst ihn nicht mitnehmen. Ich … ich stille ihn noch. Denk daran, was du Mischa antust, wenn du ihn mir wegnimmst. Er hatte immer nur mich …“

Selbst im Schein des Feuers sah sie, wie seine Augen dunkler wurden, und sie bereute ihre Worte sofort. Warum hatte sie ihn daran erinnern müssen, dass sie ihm seinen Sohn entzogen und außerdem ihr Versprechen gebrochen hatte, was den Namen des Kindes betraf?

Nikos lächelte grausam. „Du irrst dich, zoe mou. Ich habe nicht die Absicht, ihn dir wegzunehmen.“

Vor Freude hätte Anna ihn beinah umarmt. „Danke … danke. Ich dachte wirklich …“ Sie verstummte, als er einen Schritt auf sie zumachte.

„Denn dich nehme ich auch mit.“

Eigentlich hätte er triumphieren müssen.

Doch stattdessen war Nikos nur wütend. Vier Monate lang hatte er sich ausgemalt, wie er sich an Anna rächen würde. Nein, wie er Gerechtigkeit walten lassen würde.

Er hatte seinen Sohn mitnehmen und gleich wieder abreisen wollen. Doch seit dem Moment, in dem er sein Kind zum ersten Mal gesehen hatte, empfand er eine nie gekannte Liebe. Niemals würde er zulassen, dass man ihm wehtat.

Vier Monate lang hatte er Anna gehasst. Nun allerdings …

Wenn er ihr schadete, würde er auch seinem Sohn Leid zufügen, er konnte ihn unmöglich von seiner Mutter trennen.

Nikos fluchte leise und fuhr sich mit der Hand nervös durch seine dunklen Locken.

Anna hatte alle Schwangerschaftspfunde verloren und war schlanker als je zuvor. Da sie den abgetragenen Mantel aufgeknöpft hatte, sah er die Rundungen ihrer Brüste unter dem engen Pullover und ihre schmalen Hüften in den Jeans. Ihr Gesicht war sehr schmal, und in den Winkeln ihrer blaugrünen Augen hatten sich feine Sorgenfältchen gebildet. Nichts an ihr erinnerte mehr an die etwas streng wirkende Sekretärin von damals. Das lange schwarze Haar war jetzt nicht hochgesteckt, sondern fiel ihr locker über die Schultern. Sie sah einfach sexy aus.

Anna atmete langsam aus und blickte ihn flehend an. Selbst in diesem Moment war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Ihre perfekten, klassischen Züge, ihre Haltung und ihre Art, sich zu bewegen, verrieten ihre aristokratische Herkunft.

Früher hatte Nikos Stavrakis ihre Kompetenz ebenso wie ihre Anmut und Würde sehr geschätzt, und selbst heute noch vermisste er sie im Büro. Der griechische Multimillionär besaß eine Kette von Luxushotels auf der ganzen Welt, als seine Chefsekretärin hatte Anna für einen reibungslosen Ablauf des Alltagsgeschäfts gesorgt und selbstständig wichtige Entscheidungen für ihn getroffen.

Aus diesem Grund bereute er, überhaupt mit ihr geschlafen zu haben.

Außerdem war er wütend, weil er sich nach wie vor zu ihr hingezogen fühlte.

Mischa. War das eine russische Kurzform für „Michael“? Anna hatte ihm versprochen, ihren Sohn nach seinem Großvater mütterlicherseits zu nennen. Dass sie ihr Wort gebrochen hatte, überraschte ihn allerdings nicht. Sie war unaufrichtig, genauso wie ihr Vater.

„Cooper hat deine Sachen zusammengepackt“, informierte er sie scharf. „Wir fahren.“

„Aber der Schneesturm …“

„Wir haben russische Fahrer und Schneeketten.“

Anna blickte auf die leere Wiege, sah zu Nikos und ließ dann die Schultern sinken. „Du hast gewonnen“, sagte sie leise. „Ich komme mit.“

Natürlich hatte er das. Er erreichte immer sein Ziel, auch wenn er diesmal einen hohen Preis dafür gezahlt hatte. „Gehen wir“, wies er sie an.

Aber als er sich abwandte, fragte sie: „Was ist mit Natalie? Ich kann sie hier nicht allein lassen. Wir müssen sie mitnehmen.“

Nikos wirbelte herum und verzog ungläubig den Mund. „Nein.“

„Auf keinen Fall, Anna!“ Ihre Schwester schob die Brille hoch. „Denk daran, was er unserem Vater angetan hat. Außerdem bin ich zweiundzwanzig und kann für mich selbst sorgen.“

Nun drehte Anna sich zu ihr um. „Du kannst kein Russisch und verstehst nur etwas von Kunst. Mutter hat kein Geld mehr, das sie dir schicken kann, und ich auch nicht. Womit willst du dich über Wasser halten?“

Natalies Augen füllten sich mit Tränen. „Wir könnten zu Vitya fahren. Vielleicht würde er …“

„Nein!“, rief Anna.

Nikos fragte sich, wer dieser Vitya sein mochte. War er womöglich auch ein verarmter Adliger wie ihr Vater? Dieser hatte seine Familie gezwungen, auf Kosten seiner wohlhabenden Freunde zu leben. Später war Alexander Rostoff klar geworden, dass es viel einfacher war, Geld zu unterschlagen.

Aristokraten, dachte Nikos spöttisch. Statt auf seinem luxuriösen Anwesen in Las Vegas, seinem Stadthaus in New York oder seiner Villa auf Santorin zu leben, hatte Anna ihren Sohn gekidnappt und war mit ihm von einer billigen Wohnung in die nächste gezogen.

Befremdet sah Nikos sich in dem kargen Raum um, der hintere Teil des Palastes war umgebaut worden und erinnerte an die für die Sowjetära typischen tristen Behausungen. Der ehemalige Glanz des alten Gebäudes war nur noch zu erahnen.

„Wie konntest du meinen Sohn zwingen, so zu leben?“, erkundigte er sich unvermittelt. „Was für eine Mutter bist du eigentlich?“

Anna zuckte zusammen. „Ich habe mein Bestes gegeben.“

Er stieß einen höhnischen Laut aus. In dem Moment betrat Cooper, sein Sicherheitschef und seine rechte Hand, das Zimmer und nickte ihm zu.

Demonstrativ blickte Nikos auf seine Platinarmbanduhr. „Deine Sachen sind verladen. Kommst du mit, oder sollen wir die Koffer in den Schnee werfen?“

„Natalie muss noch ihre Sachen packen …“

„Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Deine Schwester bleibt hier. Du kannst von Glück reden, dass ich dich mitnehme.“

Daraufhin verschränkte Anna die Arme und hob trotzig das Kinn. Diesen Gesichtsausdruck kannte er nur zu gut. Sie würde sich ihm widersetzen, bis er sie an den Haaren hier herausschleifte.

„Dann lass es.“ Nikos wandte sich zum Gehen und bedeutete seinen Männern, ihm zu folgen. „Du kannst unseren Sohn gern zu Weihnachten besuchen.“

Und genau wie er erwartet hatte, hielt sie ihn am Arm zurück.

„Warte. Ich komme doch mit. Aber ich kann Natalie nicht allein lassen.“

Vergeblich versuchte er, ihre Hand abzuschütteln. Er sah ihr in die Augen, in denen Tränen schimmerten. Doch die Nummer zog bei ihm nicht. Auf diese Weise würde er sich nicht manipulieren lassen.

„Du kannst gehen, Anna. Ich bleibe hier“, bekräftigte Natalie.

Nikos betrachtete sie. Die junge Frau hatte wie eine Furie gekämpft, um ihren Neffen zu schützen. Nun wirkte sie einfach nur verletzlich.

Plötzlich verspürte er einen Anflug von Schuldgefühlen, verdrängte sie allerdings sofort. Wenn die Rostoffs keinen Penny besaßen, war es nicht seine Schuld. Er hatte Anna in den letzten fünf Jahren ein sechsstelliges Gehalt gezahlt, von dem sie ihre Familie ohne Weiteres hätte unterstützen können.

Was hatte sie also mit dem Geld gemacht? Anders als seine neue Sekretärin hatte sie immer bescheiden gelebt und auf Luxusgüter verzichtet.

Annas Schwester sah auch überhaupt nicht wie eine Adelige aus. Sie trug einen ausgebeulten Jogginganzug mit einem Künstlerkittel darüber und stand mit gesenktem Kopf am vereisten Fenster. Traurig betrachtete sie die kaputte Porzellantasse, die er in den Kamin geworfen hatte.

Nikos presste die Lippen zusammen und winkte Cooper zu sich. „Sorgen Sie dafür, dass diese junge Frau mit den nötigen Mitteln unterstützt wird, um entweder hierbleiben oder nach New York zurückkehren zu können.“ Leise fügte er hinzu: „Und beschaffen Sie Ersatz für diese verdammte Tasse.“

Nachdem Cooper genickt hatte, wandte Nikos sich an Anna. „Zufrieden?“

Erneut hob sie das Kinn. „Und woher weiß ich, dass du Wort hältst?“

Diese Frage machte ihn rasend. Er hatte immer sein Wort gehalten. Und trotzdem besaß sie die Frechheit, anzudeuten, dass er nicht vertrauenswürdig war.

In diesem Moment verabscheute er sie so sehr, dass er sie am liebsten zurückgelassen hätte. Doch er riss sich zusammen, er wollte seinem Sohn nicht schaden. Zur Hölle mit ihr!

„Ruf deine Schwester an, wenn wir in Las Vegas sind. Dann kannst du dich vergewissern.“

„Also gut.“ Anna war blass, als sie zu ihrer Schwester ging und sie umarmte. „Du nimmst seine Hilfe doch an, nicht wahr?“

Natalie zögerte kurz, aber dann verhärtete sich ihre Miene. „Na gut. Weil er nur zurückzahlt, was er Vater weggenommen hat.“

Was, zum Teufel, hatte Anna ihr erzählt? Er war immer bemüht, Anna die Wahrheit über ihren Vater zu ersparen. Aber jetzt sollte sie erfahren, was für ein Mensch er gewesen war, und er würde es auskosten, ihr alle Einzelheiten zu offenbaren.

Und nicht nur das, überlegte Nikos, während sie den Palast verließen. Sobald sie in Las Vegas landeten, würde er sie für ihre Vergehen büßen lassen.

2. KAPITEL

Die Fahrt in der Limousine vom Flughafen zu Nikos‘ Anwesen, das zwanzig Meilen außerhalb von Las Vegas in der Wüste lag, erschien Anna seltsam unwirklich.

In einer einzigen langen Nacht hatte sie den Winter und die Dunkelheit hinter sich gelassen. Es war allerdings nicht nur das helle Tageslicht, das sie verwirrte. Genauso wenig war es der strahlend blaue Himmel oder die heiße Sonne von Nevada, die ihr beim Aussteigen ins Gesicht schien.

Es war die Tatsache, dass sich nichts geändert hatte. Und doch war alles anders.

„Hallo, Miss“, wurde sie von der Haushälterin begrüßt, als sie die große Eingangshalle betraten.

„Herzlich willkommen“, sagte ein Zimmermädchen und lächelte das Baby in Annas Armen schüchtern an.

Kaum erreichten sie das gigantische Anwesen, wurde Nikos auch schon von seinem Verwalter und zahlreichen Mitarbeitern umringt. Während er mit ihnen vorging, unterzeichnete er Papiere und erteilte Anweisungen.

Auch um ihr Gepäck hatte man sich bereits gekümmert. Anna fragte sich nervös, ob es wohl in sein Schlafzimmer gebracht worden war, hielt ein derartiges Vorgehen jedoch für unwahrscheinlich. Nur während ihrer Schwangerschaft hatte sie dort geschlafen, in heißen Sommernächten nackt in seinen Armen gelegen, ihn gestreichelt und hingebungsvoll geküsst. Damals träumte sie davon, seinen Verlobungsring zu tragen, und war überzeugt davon, dass sie sterben würde, sollte er sie jemals verlassen.

Doch dann hatte sie ihn verlassen.

Denn als er erfuhr, dass sie ein Kind von ihm erwartete, hatte Nikos sie sofort entlassen. Und so war sie von einem Moment auf den anderen nicht mehr seine einflussreiche Assistentin, sondern eine Gefangene in einem goldenen Käfig geworden. Denn obwohl ihre Schwangerschaft ganz normal verlief, zwang er sie förmlich, Bettruhe zu halten.

Auf ihre Stelle setzte er eine sehr attraktive junge Blondine, die sich jedoch nicht als besonders kompetent erwies. Außerdem gab er seinen Angestellten die Anweisung, keine Anrufe von ihrer Mutter oder ihrer Schwester durchzustellen. Während des letzten Drittels ihrer Schwangerschaft weigerte er sich dann, sie anzufassen. Und schließlich ließ er sie allein zu Hause und zog in sein gerade fertiggestelltes Penthouse im L‘Hermitage Casinohotel, wo seine Sekretärin Lindsey ihm zur Verfügung stand.

Eigentlich hätte sie ihn spätestens zu diesem Zeitpunkt verlassen sollen. Aber sie tat es erst, als sie die Zeitungen fand, in denen stand, dass Nikos Stavrakis die Textilfirma ihres Vaters ganz bewusst in den Ruin getrieben hatte. Anna ballte die Hände zu Fäusten. Die Trennung war für sie die einzige Möglichkeit gewesen, sich und ihr Kind zu retten.

Aber nun waren sie wieder hier. Als Anna die breite Galerie betrat, auf der zahlreiche alte Porträts hingen, stieg ihr der Duft der Wüstenblumen in die Nase. Im Süden von Nevada dauerte der Frühling manchmal nur einige Wochen. Durch die hohen, geöffneten Fenster wehte eine leichte Brise. Schritte hallten im Flur wider, während sie Nikos und seinen Männern folgte.

Unter ihnen befand sich allerdings auch eine Frau – Lindsey, ihre Nachfolgerin im Büro und in seinem Bett, attraktiv und perfekt gestylt. Anna beobachtete, wie die Blondine sich zu ihm hinüberbeugte und seinen Arm berührte. Es überraschte sie, dass der Anblick ihr so wehtat.

Nikos sah wie immer umwerfend aus. Er hatte im Flugzeug geduscht, sich umgezogen und trug nun ein weißes Hemd, das seine gebräunte Haut hervorragend zur Geltung brachte, sowie eine schwarze Designerhose. Es war nicht nur seine Größe, die ihn von den anderen Männern abhob, sondern die Aura der Macht, die ihn umgab.

Für Anna hatte es nie einen anderen Mann gegeben. Selbst jetzt, während sie ihn betrachtete, krampfte sich ihr Herz zusammen. Es fiel ihr nicht schwer, sich an die fünf Jahre zu erinnern, die sie mit ihm zusammengearbeitet hatte. Trotz seiner Arroganz bewunderte sie ihn. Er wirkte so offen und ehrlich, ganz anders als Viktor, ihr ehemaliger Arbeitgeber. Außerdem unternahm er nie irgendwelche Annäherungsversuche.

Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, etwas wert zu sein. Bis er an jenem Abend vor dreizehn Monaten bei ihr vor der Tür gestanden und sich alles zwischen ihnen geändert hatte.

Nikos muss gespürt haben, dass ihr Blick auf ihm ruhte, denn er drehte sich zu ihr und dem Baby um. Anna erschauerte.

„Er hasst dich.“ Anna sah zu Lindsey auf, die jetzt neben ihr ging und die pinkfarbenen Lippen verzog. Zu einem dunklen Nadelstreifenkostüm mit einem Minirock trug sie Pumps mit unbeschreiblich hohen Absätzen, die ihre endlos langen, gebräunten Beine nur noch mehr betonten.

In ihrer Gegenwart fühlte Anna sich wie eine graue Maus. Sie trug noch das T-Shirt und die Jeans vom Vortag und hatte sich ihren Pullover um die Hüfte geknotet. Das Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Aus Angst, ihr Baby allein zu lassen, hatte sie im Flugzeug nicht einmal geduscht.

Neben dieser Frau fühlte sie sich ziemlich alt und ausgezehrt. Kein Wunder, dass Nikos Lindsey bevorzugte! Der Gedanke schmerzte sie, obwohl sie sich dagegen wehrte.

„Das ist mir egal.“ Nervös spielte Anna mit dem Ehering ihrer Urgroßmutter. Lindsey sollte auf keinen Fall merken, wie verletzlich sie war und was für eine Angst sie davor hatte, dass ihre Nachfolgerin ihr auch Mischa wegnehmen könnte.

Lindsey zog eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch. „Du glaubst also tatsächlich, Nikos nimmt dich zurück.“

Anna strich Mischa eine Strähne aus dem Gesicht. „Das will ich gar nicht. Ich bin wegen meines Sohnes hier. Von mir aus kann Nikos in der Hölle verrotten.“

Lindseys Lächeln verursachte Anna eine Gänsehaut. „Wem willst du das weismachen?“ Dann kniff sie die geschminkten Augen zusammen. „Aber Nikos hat kein Interesse mehr an dir. Er hat jetzt mich, und er kann sich nicht beklagen. Wir werden ganz sicher bald heiraten.“

Unwillkürlich blickte Anna auf die linke Hand der Blondine. „Ach, hat er dir noch keinen Antrag gemacht?“

„Nein, aber er …“

„Das wird er auch nie. Er ist kein Mann, der sich bindet.“

Abrupt blieb Lindsey stehen und umfasste Annas Handgelenk. Ihre langen künstlichen Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in ihre Haut.

„Hör mir zu, du kleines Miststück“, sagte sie leise. „Nikos gehört mir. Glaub ja nicht, du kannst mit deinem kleinen Gör zurückkommen und …“

„Na, tauscht ihr Büroklatsch aus?“, ließ sich plötzlich Nikos neben ihr vernehmen.

Lindsey wirbelte herum und errötete. „Wir … Ich …“

Er deutete auf die Wickeltasche, die über Annas Schulter hing. „Die brauche ich.“

„Was? Wofür?“, fragte Anna stockend. Die Tasche war für sie unentbehrlich, sie hatte sie seit Mischas Geburt immer dabei. Sie enthielt nicht nur Windeln, Feuchttücher und Verpflegung, sondern auch ihre gesamten Dokumente.

Autor

Jennie Lucas
<p>Jennie Lucas wuchs umringt von Büchern auf! Ihre Eltern betrieben einen kleinen Buchladen und so war es nicht weiter verwunderlich, dass auch Jennie bald deren Leidenschaft zum Lesen teilte. Am liebsten studierte sie Reiseführer und träumte davon, ferne Länder zu erkunden: Mit 17 buchte sie ihre erste Europarundreise, beendete die...
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