Unser Kind muss leben!

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Alles will Jodi tun, um das Leben ihres Sohnes zu retten! Auch wenn sie den Mann anflehen muss, den sie früher so geliebt und dann verlassen hat, weil er Gefühle nicht zuließ und nur seine Arbeit kannte: Dr. Mitch Maitland - Jamies Vater, der nichts von Jamie ahnt …


  • Erscheinungstag 26.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729912
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jodi Hawke stoppte ihren billigen Mietwagen am Bordstein und zog kräftig die Handbremse an. Mit klopfendem Herzen spähte sie durch die schmutzverschmierte Windschutzscheibe auf das kleine, hübsche Reihenhaus. Endlich hatte sie es gefunden, nachdem sie eine Stunde in Parnell, einem Stadtteil von Auckland, herumgefahren war. In Auckland kannte sie sich eben nicht aus. Doch das würde sich jetzt ändern, zumindest für einige Zeit. Ganz gleich, was bei dem bevorstehenden Treffen herauskommen sollte.

Doch dann fröstelte Jodi und bekam eine Gänsehaut. „Ich kann das nicht“, sagte sie laut. Sie schob sich den überlangen Pony aus dem Gesicht, betrachtete im Rückspiegel finster ihre schuldbewusste Miene und fauchte sich selbst an: „Aber du musst!“

Es stand so viel auf dem Spiel. „Jamies Leben hängt davon ab, dass du das hier machst“, drohte sie sich selbst. „Und vor allem davon, dass du es richtig machst. Dieser Tag musste doch irgendwann kommen.“

Bevor Jodi zum x-ten Mal über die Situation nachdenken konnte, stieß sie die Autotür auf und stieg aus. Das bescheidene Klinkerhaus lag etwas von der Straße zurückgesetzt, ein schnurgerader Weg führte auf die Haustür zu. Der Rasen war millimeterkurz geschnitten, und in den Beeten wuchs nur ein weiß blühender Bodendecker.

Mitch arbeitet also immer noch zu viel, als dass er Zeit oder Energie für irgendetwas anderes übrig hätte, dachte Jodi. Natürlich hatte er deshalb auch immer noch keine Zeit für eine Beziehung.

Manche Dinge änderten sich eben nie. Sein Pech, denn ob es ihm passte oder nicht, bald würde es für ihn große Veränderungen geben. Jodi war dabei, seine ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Und zwar für immer.

Egal, wie er reagieren mochte, eins war klar: Das, was sie ihm zu sagen hatte, würde er niemals vergessen. Mitchell Maitland, der Mann, der ihr vor über drei Jahren das Herz gebrochen hatte, würde den Schock seines Lebens bekommen. Der Mann, den sie aus lauter Verzweiflung verlassen hatte, als sie endlich begriff, dass er sich nie ändern würde. Für niemanden. Und schon gar nicht für sie.

Sie hatte mehr von ihm gewollt als bloß die paar Stunden, die er pro Woche für sie übrig gehabt hatte. Doch wer unbedingt erfolgreich sein wollte, hatte keine Zeit für andere Menschen, geschweige denn Zeit für Liebe und Zuneigung. Das hatte Jodi schon als Kind erfahren. Nur war sie so dumm gewesen, trotz aller Warnzeichen zu hoffen und zu glauben, Mitch könnte anders sein. Sie hatte gedacht, ihre Liebe zu ihm würde alles überwinden.

Aber sie hatte auf die harte Tour lernen müssen, dass zu einer Beziehung mehr gehörte als Liebe und Zuneigung. Nämlich auch Verantwortungsgefühl, Ehrlichkeit und Integrität. Dinge, die Mitch gefehlt hatten, wie sie ihm damals vorgeworfen hatte. Ob er ihr das inzwischen verziehen hatte? Jodi bezweifelte es. Jetzt musste sie dafür bezahlen, was sie ihm in den Monaten und Jahren verschwiegen hatte, nachdem sie ihn rausgeworfen hatte.

Als Jodi den Gartenpfad hinaufging, ignorierte sie ihre Nervosität und versuchte es stattdessen mit Forschheit. Wie wäre es mit: „Hey, Mitchell. Erinnerst du dich noch an mich? Ich bin die Frau, die es geschafft hat, noch einigermaßen heil von dir wegzukommen. Ich habe dich verlassen, sobald mir klar wurde, dass du immer nur gerade so viel Zeit für mich hattest, wie man für eine schnelle Nummer braucht.“

Kaum hatte sie den Klingelknopf gedrückt, da bemerkte sie die offenen Fenster, die Vorhänge, die sich im leichten Wind bewegten. Von drinnen hörte sie Musik. Nicht die harte Rockmusik, die Mitch bevorzugte, sondern eine Country-Melodie.

Flüchtig schloss Jodi die Augen und atmete tief durch. Was war, wenn er inzwischen eine Ehefrau oder Lebensgefährtin hatte? Doch nach Aussage eines alten Kollegen im Otago Hospital, Mitchs früherer Arbeitsstelle, war Mitch noch immer Single und verschliss genau wie damals eine Freundin nach der anderen. Trotzdem, vielleicht war die Information ja falsch.

Im Grunde wollte Jodi ihm nicht wehtun. Aber ihr blieb keine andere Wahl.

„Ich muss da jetzt durch“, murmelte sie vor sich hin. „Es geht um Leben oder Tod. Ob Jamie lebt oder stirbt.“ Entschlossen straffte sie die Schultern und drückte erneut auf die Klingel.

Dann starrte sie verblüfft die zierliche Frau an, die die Tür öffnete.

Ein offenes Gesicht mit einem freundlichen Lächeln, langes schwarzes Haar, das ihr über den Rücken fiel, und große braune Augen. „Hallo?“

Verlegen kämmte Jodi sich mit den Fingern durch ihre zerzausten Haare, die vermutlich aussahen, als hätte sie sie mit der Schafschere geschnitten. Sie hatte einfach weder Zeit noch Geld für solche unwichtigen Dinge wie Haarstyling. Ein wenig neidisch musterte sie die hübsche Frau vor sich. Sie hatte sich geirrt: Natürlich war Mitch kein Single. Attraktive, sexy Männer wie er waren nie allein.

„Hallo, ich bin Dr. Jodi Hawke. Ist Mitchell zu Hause?“

Die Frau lächelte liebenswürdig. Dass so plötzlich eine Fremde vor ihrer Tür auftauchte, schien sie nicht im Geringsten zu stören. „Tut mir leid, er arbeitet, obwohl heute Samstag ist. Ich würde sagen, versuchen Sie es später noch mal. Aber wer weiß, wann er nach Hause kommt. Er arbeitet immer sehr lange und übernimmt oft noch zusätzliche Dienste.“

Ich weiß. Das war ja das Problem. Eins der Probleme, korrigierte sich Jodi. „Er arbeitet im Auckland General Hospital, richtig?“

„Ja. Ist es nicht wunderbar, dass er all diesen kranken Kindern hilft?“, erwiderte die Frau. „Er kann so gut mit ihnen umgehen. Als unsere Lilly sich den Arm gebrochen hatte, hat Mitch ihn ganz schnell wieder gerichtet und sie dabei sogar zum Lachen gebracht.“

Unsere Lilly. Mitchell hatte eine Tochter? Jodi wurde auf einmal flau zumute, und sie musste sich an der Hauswand festhalten. Dieser Albtraum wurde ja immer schlimmer.

„Hey, Achtung. Sie kippen ja gleich um.“ Die Frau nahm Jodi beim Ellbogen und zog sie in den Hausflur hinein. „Was ist los? Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen. Oder wie unsere Lilly sagen würde: einen Vampir. Hier.“ Sie schob Jodi zu einem Stuhl. Für ihre zierliche Figur war die Frau erstaunlich kräftig. „Setzen Sie sich, und stecken Sie den Kopf zwischen die Knie. Ich hole Ihnen ein Glas Wasser.“

„Bitte entschuldigen Sie“, flüsterte Jodi. „Ich werde normalerweise nie ohnmächtig.“ Reiß dich zusammen, schimpfte sie mit sich. Du bist eine Mutter, und Mütter tun alles für ihre Kinder. Absolut alles.

Ein Schatten bewegte sich vor ihr. Als sie vorsichtig den Kopf hob, begegnete sie dem mitfühlenden Blick der Frau.

„Trinken Sie das. Ich heiße übrigens Claire.“ Die Frau kniete neben dem Stuhl und hielt Jodi ein Glas an die Lippen. „Was ist denn passiert? Du meine Güte, erst fragen Sie nach Mitch, und in der nächsten Sekunde fallen Sie um wie ein Sack Kartoffeln.“

„Ich weiß nicht. Muss wohl die Hitze sein.“ Hitze? Im Herbst? „Oder ich hab irgendwas Falsches gegessen.“ An der halben Scheibe Toast heute Morgen konnte es nun wirklich nicht liegen. Jodi nahm das Glas von Claire entgegen und sah sie an. „Es tut mir schrecklich leid. Ich werde Sie nicht länger stören.“ Da sie es plötzlich eilig hatte zu verschwinden, stand sie auf, taumelte jedoch sofort.

Rasch hielt Claire sie fest und drückte sie wieder auf den Stuhl. „Nicht so schnell. So können Sie nicht rausgehen. Sonst fallen Sie noch hin und verletzen sich.“

Die merkwürdige Situation war Jodi peinlich. Sie trank das Wasser aus und zwang sich dazu, den Nebel aus ihrem Kopf zu verdrängen. Um sich abzulenken, schaute sie sich im Flur um und danach durch eine offene Tür ins Wohnzimmer. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es war zu sauber und ordentlich. Zu unpersönlich. Keine Spielzeuge oder Kinderbücher.

„Lebt Ihre Tochter nicht bei Ihnen?“, fragte sie.

„Doch, natürlich.“ Dann begriff Claire. „Ich lebe nicht hier.“ Sie lachte. „Ich bin Mitchs Putzfrau, nicht seine Freundin.“ Sie bekam einen richtigen Lachanfall. „Schön wär’s. Nein, ich bin mit Dave verheiratet. Er ist Fernfahrer, und wir sparen auf ein eigenes Haus.“

Jodi war zutiefst erleichtert. „Da habe ich wohl komplett falsch gelegen, oder?“ Zum Glück, denn sie wollte dieser Frau, die so nett zu ihr war, keine Unannehmlichkeiten bereiten. „Dann gehe ich jetzt lieber. Es hat keinen Sinn, auf Mitch zu warten.“

Zurück zum Motel und zu Jamie. Ihre Mum arbeitete sicher an ihrem letzten Finanzbericht, in der Hoffnung, dass Jamie schlief, solange Jodi unterwegs war. Doch sie war immerhin mitgekommen, um in den ersten paar Tagen auszuhelfen, bis Jodi wusste, was als Nächstes auf sie zukommen würde. Eigentlich sah es ihrer hart arbeitenden Mutter gar nicht ähnlich, ihren kleinen Lebensmittelladen auch nur für einen Tag zu verlassen. Und jetzt sogar für eine ganze Woche.

Besorgt schaute Claire sie an. „Ohne Mitchs Erlaubnis würde ich Sie hier ungern im Haus warten lassen. Er weiß nichts von Ihrem Besuch, oder?“

„Nein. Ich … wir sind heute von Dunedin hergeflogen. Es ist eine Überraschung.“ Und was für eine, dachte Jodi bei sich.

Claire ging zur Haustür, um sie hinauszulassen. „In Ordnung. Ich mag Mitch. Er ist nett und zahlt mir immer mehr als nötig. Und er veranstaltet nie ein großes Chaos, das man aufräumen müsste. Das möchte ich nicht aufs Spiel setzen.“

Einmal ein Charmeur, immer ein Charmeur. Jodi ging an ihr vorbei. „Danke für das Wasser.“ Da der Gartenweg vor ihren Augen schwankte, konzentrierte sie sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, um zu ihrem Wagen zu gelangen.

„Entschuldigung! Ihr Name war Jodi, richtig?“, rief Claire ihr nach.

Jodi hielt inne und blickte über die Schulter zurück. „Ja.“

„Nur falls es Sie interessiert: So weit ich das beurteilen kann, gibt es im Moment keine Frau in Mitchs Leben“, sagte Claire. „Wenn er hier ist, benutzt er bloß das Bad, eine Betthälfte und die Küche.“

Die Erleichterung darüber verursachte bei Jodi erneut einen Schwindelanfall, doch sie schaffte es, das stickige Auto sicher zu erreichen. Als sie schließlich drinnen saß, ließ sie die Fensterscheiben herunter, um die kühlere Luft von draußen hereinzulassen. Puh. Dass sie beinahe umgekippt war, zeigte, in was für eine schwierige Lage sie sich gebracht hatte. Allein die Vorstellung, Mitch gegenüberzutreten, hatte sie bereits lange schlaflose Nächte gekostet. Und jetzt, nachdem sie sich innerlich darauf vorbereitet hatte, verzögerte sich der Zeitpunkt, an dem sie Rechenschaft ablegen musste. Schrecklich.

Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was mit Jamie geschah.

Jodi drehte den Zündschlüssel um, warf einen Blick zum Haus und sah Claire winken, ehe sie die Tür schloss.

Mitch war also tatsächlich Single. Unwillkürlich durchströmte Jodi ein Gefühl der Wärme.

Na und? Von dem Abend an, als er sich wie üblich verspätet hatte, war er für sie erledigt gewesen. Damals hatte sie in einem exklusiven Restaurant an dem Tisch gesessen, den Mitch zu ihrem Geburtstag reserviert hatte, und den schon vorbestellten Champagner getrunken. Sie hatte gerade überlegt, ob sie gebratenen Lachs auf Fenchel oder Hirschsteak bestellen sollte, als Mitchs Bruder mit seiner glamourösen Begleitung aufgetaucht war. Der Bruder, mit dem Jodi zuvor zusammen gewesen war und der sie nie im Stich gelassen hatte. Aber bei dem sie auch nie einen erregenden Schauer empfunden hatte, wenn er sie berührte. Mitch war der Einzige, bei dem sie so etwas je erlebt hatte.

Max hatte sie gesehen, seine Begleiterin erst an seinen Tisch gebracht und war dann zu ihr herübergekommen. „Mitchell hat dich also schon wieder sitzengelassen, ja?“, hatte er in einem zufriedenen Tonfall bemerkt.

In diesem Augenblick war Jodi klar geworden, dass sie mit den Maitland-Zwillingen ein für alle Mal durch war. Sie hatte die Flasche Champagner mitgenommen, eine zweite gekauft, und war nach Hause gefahren. Unterwegs hatte sie noch angehalten, um sich einen Burger und Pommes frites zu besorgen. Dann hatte sie sich allein gründlich betrunken. Am nächsten Morgen hatte sie sich krankgemeldet, was bei ihrem Riesenkater nicht zu vermeiden gewesen war, dann hatte sie die folgenden Stunden mit Packen verbracht. Als Mitch gegen Mittag mit tausend Entschuldigungen hereineilte, hatte sie lediglich auf seine Koffer gezeigt und ihren Haustürschlüssel zurückgefordert.

„Ich lasse mich nicht wie ein Anhängsel behandeln“, hatte sie gesagt. „Gestern Abend war es das letzte Mal, dass du mir das angetan hast. Ich bin mehr wert als das, was du mir zu geben bereit bist.“ Ihr Stolz hatte sie daran gehindert, ihm ihre Liebe zu gestehen. „Es ist vorbei. Tut mir leid.“

Es hatte ihr das Herz gebrochen. Aber Jodi hatte gewusst, wenn sie nicht die Notbremse gezogen hätte, wäre im Laufe der Zeit eine bedürftige Frau aus ihr geworden, die ständig nur auf Mitch gewartet und um ein paar Minuten seiner Aufmerksamkeit gebettelt hätte. So wie ihre Mutter bei ihrem Vater. Auch Jodi hatte um die Aufmerksamkeit ihres Vaters kämpfen müssen. Er hatte Tag und Nacht damit verbracht, mit seinem Charme andere Leute um ihre hart erarbeiteten Ersparnisse zu bringen und damit zu spekulieren. Und er hatte ihre Geburtstage auch immer verpasst.

Deshalb war Jodi Hawke fest entschlossen, nie wieder bedürftig zu sein. Weder jetzt noch in der Zukunft. Sie trat für sich selbst ein.

Mit zehn Jahren war sie in der Schule wegen der Verbrechen ihres Vaters gehänselt und gedemütigt worden. Damals hatte sie gelernt, dass Freunde einen doch nur im Stich ließen, wenn man sie brauchte. Nachdem ihr Vater im Gefängnis gelandet war, hatten die anderen Kinder sie weiter geärgert. Von ihrer Mutter hatte sie keinen Trost erwarten können. Sie musste ihre eigenen Probleme bewältigen und schuftete so viel, wie sie nur konnte, um den Schuldenberg abzuarbeiten, den Jodis Vater ihnen hinterlassen hatte.

Jodi hatte sich von allen anderen Schülern zurückgezogen und gelernt, sich zu verteidigen. Wenn jemand mit ihr befreundet sein wollte, musste er sich erst einmal beweisen. Zwei Mädchen hatten zu ihr gehalten, und sie waren auch jetzt noch füreinander da. Aber keine von ihnen war bedürftig. Sie brauchten nur manchmal Freundschaft oder eine Schulter, an der sie sich ausweinen konnten. Das war etwas vollkommen anderes.

Als sie schließlich von seinem Haus wegfuhr, fragte sich Jodi, wie Mitch heute wohl aussah. Ganz sicher immer noch umwerfend attraktiv mit einem perfekten Körper, für den er im Fitness-Studio trainierte. Und seine Hände … Hände, die die unglaublichsten Dinge über den Körper einer Frau zu wissen schienen und Jodis Verlangen bis zur Ekstase steigern konnten. Ein Verlangen, das immer dicht unter der Oberfläche schlummerte, wenn Mitch in ihrer Nähe war. Und dann diese faszinierenden blauen Augen, die sie selbst an den trostlosesten Tagen an den Sommer erinnerten. Zumindest bis zum Ende ihrer Beziehung. Das war ein sehr grauer Tag gewesen.

Heute jedoch erwartete sie sicher nur ein absolut eisiger Blick. Jodi war überzeugt, dass Mitch sie hassen würde, und ihr wurde kalt.

„Weißt du noch, wie schnell er dich ersetzt hat?“, fragte sie sich laut. „Es hat nur zwei Wochen gedauert? Oder drei?“

Das machte die Kälte, die sich in ihrem Körper ausbreitete, natürlich nicht besser. Denn sie hatte etwas grundsätzlich falsch gemacht. Die Trennung war keine Entschuldigung dafür. Aber vielleicht alles andere, was damals passiert war. Ob Mitch sie verstehen und ihr verzeihen würde?

Im Grunde kannte Jodi die Antwort darauf schon längst. Dennoch flehte sie innerlich: „Bitte, Mitchell. Denk an die schönen Momente, die wir zusammen erlebt haben, und sei nicht zu streng mit mir. Ich weiß, es war falsch von mir. Aber jetzt brauche ich dich auf meiner Seite.“

Fünf Stunden später zeigte die Digitaluhr in ihrem Mietwagen halb neun Uhr abends an.

Jodi stöhnte auf.

Sie war zu Mitchs Haus zurückgefahren, das jetzt im Dunkeln lag, die Vorhänge immer noch offen. Seit ihrem Besuch heute Nachmittag war Mitch offenbar nicht da gewesen.

Also war er noch immer besessen von seiner Arbeit im Krankenhaus. Dieser Mann war ein Getriebener. Er wollte niemals nur der Zweitbeste sein. Schon gar nicht im Vergleich mit seinem Zwillingsbruder. Ihre Konkurrenzkämpfe waren an der Medizinischen Hochschule von Otago berüchtigt gewesen. Und hier in Auckland war es vermutlich nicht anders.

Jodi fröstelte. Nach Sonnenuntergang hatte es sich deutlich abgekühlt. Erinnerungen an die langen, einsamen Abende, an denen sie darauf gewartet hatte, dass Mitch endlich geruhte, nach Hause zu kommen, stiegen in ihr auf.

Sie sollte wieder zurück ins Motel fahren, zu Jamie. Ihr süßer kleiner Junge lag im Bett und schlief hoffentlich gut. Nach dem Abendessen – von ihrer Mutter spendierten Chicken Nuggets und Pommes frites – hatte Jodi ihm einen Gutenachtkuss gegeben. Sie hatte seinen wunderbaren Kinderduft eingeatmet, ihm über den Kopf gestreichelt und ihn am Bauch gekitzelt. Dabei hatte sie einen dicken Kloß im Hals gespürt und musste rasch ihre Tränen wegblinzeln. Auch jetzt war sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Reiß dich zusammen. Es ist die falsche Zeit für Schwäche.

Aber was wäre, wenn Mitch ihre Bitte nicht erfüllen würde? Nein, unmöglich. Er musste es ganz einfach tun. Auch wenn er ein Egozentriker war, hatte er den Anspruch, das Richtige zu tun. Die Rettung für Jamie zu sein.

Ein Leben ohne ihren kleinen Sohn konnte und wollte sich Jodi nicht vorstellen. Er war so lieb, so aufgeweckt und beschwerte sich nie, nicht einmal wegen seiner Schmerzen. Er wusste ja nicht, wie es war, voller Energie zu sein, auf dem Rasen herumzurennen und zu toben. Oder Fahrrad zu fahren oder einen ganzen Tag durchzuhalten, ohne sich mindestens zweimal ausruhen und schlafen zu müssen. Trotzdem besaß er dieses schelmische Grinsen, das sie immer mitten ins Herz traf.

Sie lächelte müde. Ihre Mutter saß bestimmt gerade am Computer, studierte im Internet die Börsenkurse und vergaß alles andere um sich herum. Noch ein Workaholic, der nicht gelernt hatte, sich mal eine Auszeit zu gönnen oder es einfach nur langsamer angehen zu lassen, um das Leben zu genießen.

Schließlich fuhr Jodi zurück zu dem schäbigen, feuchtkalten Motelzimmer. Zurück zu einer weiteren schlaflosen Nacht, in der sie im Kopf immer wieder die Auseinandersetzung mit Mitch durchging. Zurück zu ihrem kleinen, todkranken Jungen, der ein so schweres Schicksal mitbekommen hatte.

Ein Wagen raste aus der entgegengesetzten Richtung an ihr vorbei, die Scheinwerfer auf Fernlicht eingestellt, sodass Jodi sekundenlang geblendet wurde. Sofort nahm sie den Fuß vom Gaspedal und riss das Steuer seitwärts.

„Idiot!“, schrie sie dem unsichtbaren Fahrer zu. Nur um Haaresbreite hatte das Auto ihren Mietwagen verfehlt.

„Verbrecher! Schau gefälligst auf die Straße!“ Sie ließ ihrem Ärger freien Lauf. „Du hättest mich umbringen können.“

Und wer würde dann mit Mitch über Jamie sprechen? Vielleicht war es doch keine so gute Idee, die Sache bis morgen aufzuschieben. Wer konnte schon wissen, was bis dahin alles geschehen würde? Jodi ärgerte sich, dass sie nicht gleich zum Krankenhaus gefahren war. Der Mitch, den sie kannte, arbeitete eigentlich immer. Und am Samstagabend in der Notaufnahme war immer viel los. Also blieb ihr wohl doch nichts weiter übrig, als bis morgen früh zu warten.

„Nein!“ Jodi ballte eine Hand zur Faust. „Nein. Ich hab’s satt zu warten. Damit ist jetzt Schluss.“ Sie schlug auf das Lenkrad. Sie musste Mitch sehen, und zwar sofort. Keine Ausflüchte mehr. Sie konnte sich nicht mehr länger belügen, dass sie damals das Richtige getan hatte. Ob sie recht oder unrecht hatte, würde nicht das Geringste an den Tatsachen ändern. Vor allem nicht daran, dass sie Mitch schon vor langer Zeit von Jamie hätte erzählen sollen.

Als Kind hatte sie oft genug vergeblich darauf gewartet, dass ihr Vater nach Hause kommen und ihr eine Geschichte vorlesen würde. Oder ihr sagen würde, dass sie seine kleine Prinzessin sei. Deshalb hatte Jodi beschlossen, Mitch nichts von Jamie zu erzählen. Ja, Mitch würde sich genauso verhalten wie ihr Vater. Er wäre niemals für sein Kind da, weil es immer noch irgendeinen Patienten gab, dem er helfen wollte, noch einen weiteren dringenden Fall, ehe er den Kittel auszog, um nach Hause fahren.

Falls Mitch sie hochkant hinauswerfen sollte, wenn sie ihm sagte, warum sie jetzt erst gekommen war und nicht schon vor drei Jahren, dann war es eben so. Wenn er sich weigerte, ihr zu glauben, würde sie auch damit fertig werden. Sie würde so lange mit ihm reden, bis ihr die Luft ausging.

Entschlossen kehrte Jodi um und fuhr ins Stadtzentrum zum Auckland General Hospital, dem Krankenhaus mit den besten Nierenspezialisten Neuseelands und der modernsten Ausstattung für solche Erkrankungen wie die von Jamie. Mitch war dort der leitende Arzt der Notaufnahme. Er kümmerte sich um Patienten, zu denen auch die Kinder anderer Leute gehörten. Würde er sich um ihren Sohn kümmern? Natürlich, ganz bestimmt.

Wenn Mitch den ersten Schock überwunden hätte, würde sie ihn bitten, über etwas nachzudenken, worüber er sich garantiert noch nie Gedanken gemacht hatte. Wer würde das schon tun, ohne direkt damit konfrontiert zu sein?

Jodi war bereit, vor dem Mann zu Kreuze zu kriechen, den sie früher einmal geliebt hatte. Sie hatte ihm gegenüber niemals Schwäche gezeigt, aber jetzt hatte sie keine andere Wahl.

Es war kein Problem, vor der Notaufnahme einen Parkplatz zu finden. Da Jodi selbst einige Zeit in einer Notaufnahme gearbeitet hatte, wusste sie, wohin sie sich wenden musste. In der Abteilung fragte sie sofort nach Dr. Maitland.

„Ich glaube, er macht gerade Pause“, antwortete eine junge Krankenschwester. „Allerdings hat er auch gesagt, dass er noch auf eine Party gehen will. Da werden Sie wohl Pech haben.“

Jodi hatte schon seit Jahren Pech. Nur heute Abend bitte nicht.

„Wo ist der Aufenthaltsraum?“, fragte sie den Nächsten, der ihr begegnete. „Ich suche Mitch Maitland.“

Es war ein junger, gestresst wirkender Assistenzarzt, der an ihr vorbeieilte. „Mitch ist in sein Büro gegangen.“

„Und wo ist das?“, rief Jodi ihm nach.

„Den Gang hinunter, dann rechts, links, wieder links, und dann die dritte Tür auf der rechten Seite“, meinte eine andere Krankenschwester.

Na schön. Showtime. Als Jodi um die letzte Ecke bog, verlangsamte sie ihre Schritte, bis sie schließlich vor der dritten Tür rechts stehen blieb. Sie klopfte. Keine Antwort.

Mit zitternder Hand drückte sie die Klinke herunter, öffnete und ging hinein. „Hallo Mitchell“, sagte sie, bevor sie noch ganz im Raum war. „Lange nicht mehr gesehen.“

Als Antwort hörte sie nur ein Schnarchen.

Jodi fühlte sich wie ein Luftballon, aus dem plötzlich alle Luft entwich. „Ist ja toll. Ich freu mich auch, dich zu sehen.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Und wieder einmal drohten die Beine unter ihr nachzugeben.

Ein erneutes Schnarchen erklang.

Leise schloss Jodi die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Während sie langsam tief Luft holte, betrachtete sie die Gestalt vor sich. Auf jeden Fall war er immer noch sehr attraktiv. Die Hände, an die sie sich so gut erinnerte, waren hinter seinem Kopf verschränkt. Die lang ausgestreckten Beine ruhten mit gekreuzten Knöcheln auf dem Schreibtisch. Die starken Schenkel unter dem Hosenstoff weckten heiße Erinnerungen in Jodi. Dann musterte sie sein Gesicht.

Mitchells Kopf war leicht zurückgelehnt, die funkelnden blauen Augen hinter den geschlossenen Lidern mit den langen dunklen Wimpern verborgen. Auf Kinn und Unterkiefer zeigte sich ein sexy dunkler Bartschatten.

Jodi stieß den Atem aus.

Wie hatte sie es nur geschafft, diesen Mann zu verlassen?

Und woher sollte sie die Kraft nehmen, seine Welt in Millionen kleine Stücke zu zerbrechen?

Denk an Jamie, ermahnte sie sich. Das war das Einzige, was sie tun konnte. Sonst würde sie gleich zusammenbrechen.

Sie räusperte sich und sprach lauter: „Mitch. Wach auf!“

2. KAPITEL

Mitch war sicher, dass er halluzinierte. Viel zu viel starker Kaffee. Das musste es sein. Anders konnte er sich beim besten Willen nicht erklären, warum er glaubte, Jodi Hawke in seinem Büro vor sich zu sehen. Energisch kniff er die Augen zusammen, um das verstörende Bild wieder loszuwerden. Dann hob er langsam die Lider. Da. An seine Tür gelehnt. Jodi Hawke. Nein, es schien eher, als würde sie fast mit der Tür verschmelzen, in dem Versuch, aufrecht stehen zu bleiben.

Also eine Jodi-Doppelgängerin. Die Jodi, die er kannte, hatte mehr Selbstbewusstsein. Durch schmale Augen betrachtete er die Erscheinung. Abgetragene Jeans saßen locker auf ihren Hüften. Ein formloser, verblasster Baumwollpullover hing wie ein Sack über Brüsten und Bauch, und verschrammte Turnschuhe vervollständigten das eigenartige Bild.

Die Jodi, an die sich Mitch erinnerte, war äußerst modebewusst gewesen. Diesen Lumpenlook hätte sie niemals getragen. Ebenso wenig war sie der ruhige, stille Typ.

Was war bloß in diesem Kaffee gewesen? Müde schloss Mitch wieder die Augen. Er hatte einen harten Tag hinter sich, der durch einen mehrfachen Auffahrunfall auf der Autobahn noch anstrengender geworden war. Er hatte fünf Schwerverletzte behandelt, zusätzlich zu der üblichen Zahl von Patienten, die ständig seine Abteilung durchliefen. Kein Wunder, dass er vor lauter Erschöpfung seltsame Dinge sah.

„Mitchell“, hörte er die Doppelgängerin piepsen.

Jodi piepste nie. Er rührte sich nicht und hielt weiterhin die Augen geschlossen. „Sag mir, dass das ein Scherz ist“, sagte er. Ein absolut geschmackloser Scherz.

„Mitch, verdammt! Schau mich an.“

Daraufhin schoss er so schnell hoch, dass sein Hals knackte. Er riss die Augen auf. „Du bist echt.“ Diese Stimme kannte er.

„Was soll ich wohl sonst sein?“ Ihr Blick schien sich in seinen zu bohren, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Die hatte sie, und zwar komplett. Was machte Jodi hier? Nach drei Jahren kam sie einfach so hereingeschneit und erteilte ihm Befehle? Denkste, Schätzchen.

Autor

Sue Mac Kay
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