Unser Schneepalast der Liebe

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Seine Verbindung mit Prinzessin Lanza ist eine reine Zweckehe. Aber als sie mit zerzausten Haaren vor ihm im Schnee steht, will Prinz Stefano nur eins: ihre sinnlichen Lippen küssen. Solche Gefühle sind jedoch tabu – schließlich hat Lanza ihn nur aus Pflichtgefühl geheiratet, oder?


  • Erscheinungstag 29.12.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521017
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Stefano, mio figlio? Ich weiß, es ist noch früh, aber ich muss dringend mit dir über ein paar Dinge sprechen. Komm bitte zu mir!“

Der dreißigjährige Stefano setzte sich abrupt im Bett auf. Es war generell ziemlich beunruhigend, morgens um halb sechs einen Anruf von seinem Vater zu bekommen. Aber dass ihn der König schon zu dieser frühen Stunde zu sich bat, war geradezu alarmierend!

„Du meinst – jetzt?“

„Ja, bitte.“

„In Ordnung. Ich komme so schnell wie möglich.“

Stefano ahnte, dass das gebrochene Herz seines Vaters ihm den Schlaf raubte. In der letzten Woche war wohl kaum jemand hier im Palast zur Ruhe gekommen.

Erst gestern war Stefanos geliebter Bruder Alberto im viel zu jungen Alter von achtundzwanzig Jahren zu Grabe getragen worden. Stefanos Eltern hatten ihren jüngsten Sohn, den Thronerben, über alles geliebt. Ihre Trauer war tief. Und für solch einen Schmerz gab es nun einmal kein Gegenmittel.

Stefanos Schwester, die siebenundzwanzigjährige Carla, ihr Mann Dino und ihre beiden Kinder waren ebenfalls am Boden zerstört. Sie hatten einen wunderbaren Bruder, Schwager und Onkel verloren. Jetzt war Carla die Thronfolgerin. Sie würde Königin werden, wenn ihr Vater starb oder aus irgendwelchen Gründen nicht mehr regieren konnte. Die Thronfolge fiel zunächst an den Erstgeborenen und dann an die Nachfolgenden, unabhängig vom Geschlecht.

Stefano würde jedoch nie über das Land herrschen.

Im Alter von achtzehn Jahren hatte er seine Eltern gebeten, ihn für den Rest seines Lebens von den königlichen Pflichten zu entbinden. Sie hatten ihm diesen Wunsch gewährt und das Parlament hatte den Vorgang offiziell bestätigt. Von diesem Moment an hatte Stefano keinen royalen Status mehr. Doch er liebte seine Familie, und sie liebte ihn. Nun hatte der tragische Tod seines Bruders sie alle wieder zusammengebracht.

Der Verlust ihres jüngsten Sohnes hatte die Königin schrecklich mitgenommen. Gleich nach dem Begräbnis hatte sie sich in ihre Gemächer zurückgezogen. Die Beerdigung war einfach zu viel für sie gewesen.

Jetzt war Stefano der einzige Sohn von König Basilio. Auch wenn sein Vater sich in Zukunft mehr und mehr auf Carla stützen würde, brauchte er Stefano ebenfalls, und sei es nur, um sich von ihm trösten zu lassen. Stefano nahm an, dass dies der Grund dafür war, dass er ihn so früh am Morgen zu sich gerufen hatte. Seufzend stieg er aus dem Bett, ging schnell unter die Dusche und zog sich an.

Wenig später erschien er in den Privatgemächern seiner Eltern, die sich im Nordflügel des Palastes befanden. Sein Vater stand vor dem Kamin und drehte sich zu ihm um, als er eintrat.

„Danke, dass du gekommen bist. Deine Mutter ist noch im Bett, überwältigt von ihrer Trauer.“

„Genau wie du, Papa“, gab Stefano zurück und umarmte ihn. Noch immer konnte er es nicht fassen, dass Alberto vor einer Woche bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Stefano, der in Colorado Bergbau studiert hatte, war zu diesem Zeitpunkt in Kanada gewesen, wo er eine Goldmine inspiziert hatte. Die Nachricht vom Tod seines Bruders hatte er zunächst gar nicht glauben können. Erst als er das in den Alpen gelegene Königreich Umbriano erreichte, begriff er, dass Alberto wirklich gestorben war. Sein Vater holte ihn am Flughafen ab, und zusammen identifizierten sie den Leichnam seines Bruders.

Das gestrige Staatsbegräbnis in der Basilika von Umbriano war eine große Ehrung für Alberto gewesen, der vom Volk sehr geliebt wurde. Hohe Würdenträger aus vielen verschiedenen Ländern waren angereist, einschließlich der königlichen Familie von Domodossola.

Nie würde Stefano den Gesichtsausdruck von Albertos Verlobter, Prinzessin Lanza Rossiano von Domodossola, vergessen. Ihr zarter schwarzer Spitzenschleier hatte konnte nicht verbergen können, wie traumatisiert sie wirkte. Als wäre ihre Welt zusammengebrochen.

Die zweiundzwanzigjährige Tochter von König Victor Emmanuel von Domodossola war vor zwölf Monaten mit Alberto verlobt worden. Ursprünglich hätte die Hochzeit in einem Jahr an Neujahr stattfinden sollen. Nun war ihre Familie am Boden zerstört.

Stefano, der wegen seiner geschäftlichen Angelegenheiten nur selten im Land war, hatte die Familie von König Victor seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen. Beim Begräbnis konnte er zuerst gar nicht glauben, dass die drei Töchter des Königs inzwischen erwachsen geworden waren. Die Nachricht von Albertos Tod musste schrecklich für sie gewesen sein, und auch er selbst konnte es immer noch nicht fassen.

„Bitte setz dich“, sagte sein Vater in diesem Moment. „Wir haben etwas sehr Wichtiges zu besprechen.“

Das bedeutete wahrscheinlich, dass er ihn zum Bleiben bewegen wollte. Aber das war nicht möglich! Stefanos neuestes Projekt war eine Goldmine in Kenia. Er musste übermorgen dorthin fliegen, um ein neues Verfahren der Goldgewinnung zu beaufsichtigen. Wahrscheinlich würde er mindestens sechs Wochen weg sein.

Ergeben schloss er die Augen und faltete seine Hände im Schoß, um sich voll und ganz auf die nächsten Worte des Königs zu konzentrieren. Der Kummer seines Vaters ging ihm sehr zu Herzen.

„Die Hochzeit mit Prinzessin Lanza muss wie geplant stattfinden. Seit wir Alberto verloren haben, haben deine Mutter und ich über nichts anderes gesprochen. Es ist unumgänglich, dass du den Platz deines Bruders einnimmst.“

Stefano riss die Augen auf. „Wie bitte?“

„Ich weiß, das ist ein Schock für dich.“

Er sprang ungläubig auf. „Schock trifft es nicht ganz, Papa.“

„Bitte hör mich doch erst mal an!“

Fassungslos ging Stefano hinüber zum Fenster, von wo aus er in der Ferne die schneebedeckten Berge der Alpen sehen konnte. Ein eisiger Schauer lief durch seinen ganzen Körper.

„Unsere beiden Länder müssen eine starke Allianz bilden. Das kann nur geschehen, indem du Prinzessin Lanza heiratest.“

Er fuhr herum und biss die Zähne zusammen. „Vor vielen Jahren hast du mir mithilfe des Parlaments meine Freiheit gegeben und mich von den königlichen Pflichten entbunden.“

„Ja, aber das lässt sich durch einen Notfallerlass wieder rückgängig machen.“

„Wie bitte?!“

Sein Vater nickte. „Ich habe mich schon erkundigt. Meine Berater sagen alle dasselbe: Aufgrund dieses unerwarteten Notfalls wird das Parlament dich unverzüglich wieder in deine Ämter einsetzen.“

Stefano konnte es immer noch nicht fassen. „Selbst wenn das möglich wäre, kannst du mich doch nicht im Ernst darum bitten, Prinzessin Lanza zu heiraten! Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie ein kleines Mädchen war. Und ich bin sieben Jahre älter als sie.“

„Das ist doch kein großer Unterschied.“

Er versuchte sich zu beruhigen. „Alberto war derjenige, der sich zu ihr hingezogen gefühlt hat, nicht ich. Papa, ich kann das nicht tun. Im Moment stecke ich meine ganze Energie in die Entwicklung eines neuen Verfahren zur Goldgewinnung. Sämtliche Gewinne fließen in die Wirtschaft unseres Landes. Wir brauchen keine Hilfe von Domodossola!“

Sein Vater schüttelte den Kopf. „Weißt du, König Victor und ich hatten immer nur einen Traum: Unsere Familien zu vereinen.“

„Ja, aber das ist nicht mein Traum, Papa.“ Stefano holte tief Luft. „Tut mir wirklich leid, doch ich kann dir deinen Wunsch nicht erfüllen.“

„Nicht einmal, um das Andenken deines Bruders zu ehren?“, erklang plötzlich eine kühle Stimme. Stefano hatte nicht bemerkt, dass seine Mutter im Morgenmantel ins Zimmer getreten war.

„Was meinst du, Mama?“

„Es geht um den heiligen Eid, den dein Bruder Prinzessin Lanza vor einem Jahr geschworen hat. Sie wurde dazu erzogen, Albertos Braut zu sein. Im letzten Jahr hat sie sich nur noch darauf konzentriert. Alles ist längst für die Hochzeit vorbereitet.“

Er schüttelte den Kopf. „Niemand hat diese Tragödie voraussehen können. Sie hat alles verändert.“

„Bis auf eine einzige Sache, über die dein Vater und ich eigentlich nie mit dir sprechen wollten.“

Bei diesen Worten machte sein Herz einen Satz. „Was meinst du damit?“

„An deinem achtzehnten Geburtstag ist dein Bruder heimlich zu uns gekommen. Er hat gesagt, dass er dir ein Geschenk machen wolle, welches du dir mehr als alles andere wünschen würdest.“

Stefano runzelte die Stirn. „Nämlich?“

„Was glaubst du denn? Deine Freiheit natürlich.“

„Das verstehe ich nicht, Mama.“

„Gut, dann lass es mich dir erklären. Wir wussten alle, dass du eigentlich nie königliche Pflichten übernehmen wolltest. Dein Bruder hat dich über alles geliebt, und er wollte vor allem, dass du glücklich bist. Daher hat er uns angeboten, deine Rolle zu übernehmen, damit du das Leben führen konntest, das du dir so sehr gewünscht hast.“

Er starrte seine Eltern entgeistert an. „Ein Handel? Ihr habt einen Handel mit ihm abgeschlossen?“

Sein Vater nickte ernst. „Ja, so ist es. Weißt du, deinem Bruder ging dein Glück über alles. Er hat uns gebeten, an deiner Stelle Kronprinz zu werden, und hat sich auch damit einverstanden erklärt, Prinzessin Lanza zu heiraten. Es geschah nur aus Liebe zu dir.“

Stefano stand wie erstarrt da. Jetzt erkannte er das ganze Ausmaß des Opfers, das sein Bruder für ihn gebracht hatte. Nur weil dieser so nobel gehandelt hatte, hatte er dieser Welt entfliehen können, in die er hineingeboren worden war.

Seine Mutter trat auf ihn zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. Er sah die tiefen Falten, die der Kummer in ihr Gesicht gegraben hatte.

„Seine einzige Bedingung war, dass du nie davon erfahren solltest. Denn er wollte nicht, dass du dich in seiner Schuld fühlst. So selbstlos war dein Bruder.“

Stefano senkte den Kopf. Selbstlos war noch untertrieben, wenn er daran dachte, was Alberto alles für sein Glück getan hatte.

Er hatte Alberto immer geliebt und war sehr beeindruckt von seinem edlen Charakter gewesen. Jetzt erst wurde ihm bewusst, wie tief das Ausmaß seiner Hingabe gewesen war. Er fühlte sich plötzlich sehr beschämt.

Seine Mutter sah ihn bittend an. „Siehst du dich nun in der Lage, die Rolle deines Bruders zu übernehmen? Deine königlichen Pflichten zu erfüllen und Prinzessin Lanza zu heiraten?“

Stefano holte tief Luft. „Glaubst du, dass sie mich überhaupt heiraten würde?“

Sein Vater ergriff das Wort. „Ich habe schon mit König Victor gesprochen, und er hat mir gesagt, dass sie mit Sicherheit einverstanden sein wird. Ihr beide kennt euch seit der Kindheit und habt jetzt ein ganzes Jahr, um euch besser kennenzulernen.“

„Aber das wird nicht möglich sein, Papa. Mein Terminplan ist für die nächsten achtzehn Monate voll bis obenhin. Ich muss mich um die Minen kümmern, besonders jetzt, da wir dank einer Erfindung vor einem Durchbruch im Schürfungsprozess stehen.“

„Gut, aber glaubst du nicht auch, dass du dich wenigstens ein einziges Mal mit ihr treffen könntest? Und ihr könntet sicher auch in Kontakt bleiben, auch wenn du auf Geschäftsreisen bist! Du musst nämlich wissen, dass König Victor und ich bereits mit dem Kardinal gesprochen haben. Er wird eurer Ehe seinen Segen geben.“

Auf einmal erkannte Stefano, dass die Würfel bereits gefallen waren.

Seine Mutter setzte hinzu: „Unsere beiden Länder freuen sich, seit ihr Kinder wart, auf diesen Tag. Die Bürger wissen, wie sehr du dich für das wirtschaftliche Wohl Umbrianos eingesetzt hast. Ich bin mir ganz sicher, dass sie dich noch mehr lieben und ehren werden, wenn du dich bereit erklärst, in die Fußstapfen deines Bruders zu treten.“

Eigentlich konnte Stefano das Ganze immer noch nicht fassen. Doch er wusste auch, dass er im Grunde gar keine Zeit hatte, die Prinzessin näher kennenzulernen. Denn selbst wenn das Parlament ihn wieder in seine königliche Position einsetzte, musste er sich doch vor allem um seine Geschäfte rund um den Globus kümmern.

Sein Vater trat an ihn heran. „Ich habe nie etwas von dir verlangt. Ich habe dir erlaubt, deinen eigenen Weg zu gehen und frei von allen royalen Pflichten zu sein. Aber das Schicksal hat uns deinen Bruder zu früh entrissen. Du kannst dich deiner Verantwortung nicht länger entziehen!“

„Alberto wollte eine Familie gründen“, setzte seine Mutter sehnsüchtig hinzu. „Dieser Traum konnte nicht Wirklichkeit werden. Aber wenn du die Prinzessin heiratest, kann ein neuer Traum beginnen! In all diesen Jahren hast du nie eine Frau mit nach Hause gebracht. Wenn es jemanden in deinem Leben gibt, hast du uns gegenüber jedenfalls nichts davon gesagt.“

Stefano schluckte. Das Gespräch wurde immer surrealer. Ja, er hatte sich mit Frauen getroffen, aber daraus war nie etwas Ernstes entstanden. Seine Freiheit war ihm immer wichtiger gewesen.

„Habt ihr auch mal an die Gefühle von Prinzessin Lanza gedacht?“, fragte er in dem Versuch, dem Ganzen irgendeinen Sinn zu geben.

Sein Vater nickte. „König Victor und ich haben vor der Beerdigung darüber gesprochen. Ich nehme an, er hat inzwischen mit ihr geredet und ihr klargemacht, dass eure Verbindung für das Wohl unserer beiden Länder das Beste ist.“

Keine normale Frau würde in eine Ehe ohne Liebe einwilligen. Aber bei einer Prinzessin lag der Fall natürlich anders, besonders, wenn sie davon überzeugt war, dass es ihre königliche Pflicht war.

Stefano versuchte vergeblich, sich an Lanza als kleines Mädchen zu erinnern. Doch es war schon zu lange her. Er merkte, dass ihn die Situation zu überfordern drohte.

Kopfschüttelnd ging Stefano zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. „Ich muss jetzt allein sein und über alles nachdenken. Wir sehen uns später!“

Sobald er wieder draußen in der kühlen Luft war, fuhr Stefano mit seinem Lancia in die Stadt, um mit seinem besten Freund Enzo Perino zu sprechen, der die Bankgeschäfte des Königreichs abwickelte. Wie erwartet fand er ihn in seinem Büro. Er telefonierte gerade und bedeutete Stefano, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.

Als Enzo das Gespräch beendet hatte, ging er um den Schreibtisch herum und umarmte seinen Freund. „Das mit Alberto tut mir so leid.“

„Mir auch, Enzo.“

„Warum kommst du heute Abend nicht zu Chiara und mir zum Essen? Dann können wir in Ruhe über alles sprechen.“

„Nein, wir müssen jetzt reden. Ich brauche nämlich deine Hilfe.“

Enzo sah ihn alarmiert an, denn er merkte, dass es ernst war.

„Schieß los!“

„Mein Vater hat mich heute Morgen in aller Herrgottsfrühe angerufen und zu sich zitiert.“ Dann skizzierte er kurz den Sachverhalt. „Offensichtlich würde mich die Eheschließung zum Thronerben von Domodossola machen. König Victor hat keine Söhne, nur Töchter, und in ihrem Land darf eine Frau keine Königin werden. Ein Schwiegersohn aber schon.“

Sein Freund pfiff durch die Zähne und ließ sich in seinen Schreibtischstuhl fallen. „Also, ich weiß ja, dass es so etwas im Mittelalter gab. Aber doch nicht heute! Und wer, bitte, soll Umbriano regieren, wenn dein Vater zu alt dafür ist?“

„Meine Schwester, doch das wird sicher noch Jahre dauern. In unserem Land gelten andere Regeln, wie du weißt. Seit man mich in die Freiheit entlassen hat, ist sie die Zweite in der Thronfolge gewesen, falls Alberto etwas zustoßen sollte. Und dieser Fall ist jetzt eingetreten.“

„Aber wenn du deine Rechte wiederbekommst …“

„Nein“, unterbrach Stefano ihn. „Mein Schicksal ist der Thron von Domodossola, der einzige Grund, warum sie mir meine Rechte wiedergeben würden.“

Enzo schlug die Hände auf den Schreibtisch. „Das wäre wohl das Ende unserer Freundschaft.“

„Wie kannst du das sagen?“

„Nun, bestimmt hast du dann überhaupt keine Zeit mehr für mich. Und was willst du eigentlich mit deinen Minengesellschaften machen?“

„Sie weiter betreiben, natürlich.“

„Aber dann hast du ja eine doppelte Last zu tragen!“

Stefano schloss gequält die Augen. „Ich habe meinen Eltern noch keine Zusage gemacht.“

Auf der Fahrt in die Stadt hatte er versucht, Klarheit für sich zu gewinnen. Und immer wieder hatte er an das große Opfer denken müssen, dass sein Bruder für ihn gebracht hatte.

„Ach, komm schon, du hast dich doch längst entschieden“, sagte sein Freund. „Du würdest deine Eltern nie im Stich lassen.“

Stefano öffnete wieder die Augen. „Eigentlich hatte ich gehofft, du könntest mir einen Rat geben.“

Enzo überlegte kurz und nickte. „Meiner Meinung nach solltest du Lanza möglichst bald aufsuchen und ihr deine Lage schildern. Schließlich hast du noch ein ganzes Jahr Zeit! Und bevor ihr heiratet, musst du ihr klar sagen, dass du deine Freiheit brauchst und dass du dich weiterhin um deine Minen kümmern wirst. Was bedeutet, dass ihr oft getrennt sein werdet. Schenk ihr so schnell wie möglich reinen Wein ein, dann kann sie sich darauf einstellen.“

Schmerz war nicht das richtige Wort, um Lanzas Gefühle zu beschreiben. Als sie vor vier Tagen nach Albertos Beerdigung wieder in ihre Heimat zurückkehrte, war die Prinzessin eher in einem Schockzustand gewesen.

Denn auch wenn sie den Prinzen nicht besonders gut gekannt hatte, war er ihr gegenüber immer freundlich und gütig gewesen. Daher hatte sie sich auch nie gegen die Pläne der beiden Väter gewehrt, die ihre Hochzeit mit Alberto arrangiert hatten.

Nach ihrer Verlobung hatte Lanza mehrere Wochenenden mit ihrem zukünftigen Ehemann verbracht, mal in Umbriano, mal in Domodossola. Man konnte wirklich sagen, dass sie Freunde geworden waren. Allerdings war außer ein paar Küssen nichts zwischen ihnen passiert.

Und eins stand fest: Mit seinem Tod hatte sie keineswegs die Liebe ihres Lebens verloren.

Trotzdem war Lanza durch die Tragödie der Boden unter den Füßen weggerissen worden. Denn sie hatte jahrelang in dem Bewusstsein gelebt, dass ihr Schicksal eigentlich längst besiegelt war. Sie würde heiraten und Kinder bekommen und hoffentlich eine so glückliche Ehe wie die ihrer Eltern führen. Aber von einem Moment auf den anderen war nichts mehr sicher.

Und alles nur wegen eines Autounfalls auf einer vereisten Straße …

Aber trotz allem hatte sie einen Silberstreif am Horizont entdeckt: Ihre Zukunft war plötzlich völlig offen! Und das gab ihr ein Gefühl von Freiheit, wie sie es noch nie erfahren hatte. Natürlich trauerte sie um Alberto. Aber es war auch ungeheuer aufregend, mit einem Mal nicht zu wissen, wie ihre Zukunft aussehen würde.

Um ihr bei der Verarbeitung ihrer Trauer beizustehen, war der Hofkaplan, Vater Mario, gerufen worden. Er gab zu bedenken, dass Prinz Alberto bei dem Unfall auch schwer verletzt hätte werden können und dann ein jahrelanges Leiden vor ihm gelegen hätte. Dies war ihm erspart geblieben.

Natürlich war Lanza dankbar für seinen Trost. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass niemand wirklich verstand, wie es in ihr aussah. Sie wusste nur, dass sie ab jetzt ganz allein für ihre Entscheidungen verantwortlich war. Diese Tatsache machte ihr zwar Angst, Lanza sah aber auch die vielen Möglichkeiten, die damit verbunden waren. Und sie wusste genau, was sie als Erstes tun würde.

Sie wollte ihre Lieblingstante Ottavia besuchen, die in Rom mit ihrem Mann, Graf Verrini, lebte. Mit ihr konnte sie immer über alles sprechen, sie liebte sie aus ganzem Herzen.

Ein Klopfen an der Tür riss Lanza aus ihren Gedanken.

„Lanza?“, erklang die Stimme ihrer Mutter. „Dürfen dein Vater und ich reinkommen?“

Bestimmt wollten ihre Eltern sie wieder einmal trösten. Sie eilte zur Tür und öffnete sie weit.

„Kommt rein und setzt euch vor den Kamin.“

Genau das taten sie auch und ließen sich auf der Couch nieder.

„Wir hatten Vater Mario gebeten, dich aufzusuchen. Hat er das getan?“

„Oh ja, er hat mir sehr geholfen.“

„Das ist gut“, meinte ihre Mutter mit einem Nicken. Lanza merkte plötzlich, wie mitgenommen sie aussah. Kein Wunder, alle hatten einen gewaltigen Schock erlitten. „Wir wollten dich zum Abendessen abholen. Du solltest hier nicht so viel allein sein. Ich habe die Köchin gebeten, deine Lieblingsspeisen zuzubereiten. Deine Schwestern werden auch kommen.“

Lanzas Vater nickte. „Ja, in dieser schweren Zeit sollten wir alle zusammenhalten. Es ist nicht gut für dich, zu viel allein zu sein.“

„Also, um ehrlich zu sein, habe ich es sehr genossen. Ich muss in Ruhe über alles nachdenken. Außerdem habe ich gar keinen Hunger.“

„Aber wenn du so weitermachst, verkümmerst du noch“, protestierte ihre Mutter.

„Nein, Mama. Ich verspreche dir, dass das nicht passieren wird. Ich habe nur ein paar sehr wichtige Dinge im Kopf.“

„Ja, auch wir müssen über eine ernste Angelegenheit sprechen“, sagte ihr Vater. „Du musst wissen, dass ich in letzter Zeit fast täglich mit Basilio telefoniert habe.“

„Also, das überrascht mich nicht. Bestimmt hat euch Albertos Tod noch nähergebracht. Er und Königin Diania können sicher Trost gebrauchen.“

Er blinzelte. „Dir geht es nicht wirklich gut, Liebes, oder?“

Sie runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“

„Nun … wir haben den Eindruck, als wärst du nicht ganz bei dir“, stieß ihre Mutter hervor.

„Ich habe wirklich viel geweint, aber es hat mir nicht gutgetan. Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich zusammenreiße und mich wieder mehr auf das Hier und Jetzt konzentriere. Deswegen habe ich mich dafür entschieden, Tante Ottavia in Rom zu besuchen. Sie hat mich gestern angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihr für ein paar Wochen nach Amerika zu fliegen. Ich würde sie sehr gern begleiten, habe ihr aber gesagt, dass ich zuerst mit euch sprechen müsste.“

Ihr Vater schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, daraus wird nichts.“

Was? Lanza richtete sich auf. „Das verstehe ich nicht.“

Er räusperte sich. „Albertos Bruder Stefano hat um deine Hand angehalten. Er möchte dich wie geplant in einem Jahr an Neujahr heiraten.“

2. KAPITEL

Prinzessin Lanza sprang auf und blickte ungläubig auf ihre Eltern. Ein ersticktes Lachen stieg in ihr hoch. Vielleicht war alles nur ein schlechter Traum.

„Stefano? Was für ein komischer Scherz ist das denn? Das ist doch unmöglich. Schließlich wurde er schon vor Jahren von seinen königlichen Pflichten entbunden.“

Sie hatte ihm das damals persönlich übelgenommen, obwohl Stefanos Entscheidung gar nichts mit ihr zu tun hatte. Wie denn auch, schließlich war sie damals erst elf Jahre alt gewesen.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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