Unter der goldenen Wüstensonne

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Golden leuchtet die Sonne über der Wüste, entfacht ein Feuer der Leidenschaft in Avery. Doch sie darf nicht vergessen: Scheich Malik hat sie nur aus einem Grund auf diese Wüstenreise mitgenommen - um seine verschwundene Braut zu suchen. Was sollte er auch sonst vorhaben?


  • Erscheinungstag 24.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507431
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sie träumte von der Wüste.

Von Dünen, die sich in der flimmernden Hitze Rotgold färbten, und vom Persischen Golf, dessen klares blaues Wasser sich über weiche Sandstrände ergoss. Sie träumte von majestätischen Bergen. Von einem Pool, auf den Palmen zarte Schatten warfen. Und sie träumte von einem Prinzen – einem mächtigen Prinzen, dessen Augen dunkel wie die Nacht waren.

„Avery!“ Er rief ihren Namen, doch sie ging weiter und schaute nicht zurück. Der Boden unter ihren Füßen gab nach. Sie fiel tiefer und tiefer …

„Avery, wach auf!“

Langsam verzogen sich die Wolken, mit denen der Schlaf sie umgeben hatte. Die Stimme passte nicht zum Bild in ihrem Kopf. Sie klang nicht tief und männlich, sondern weiblich und sehr fröhlich.

„Mm?“, murmelte Avery.

Kaffeeduft stieg ihr in die Nase. Benommen setzte sie sich auf und entdeckte die Tasse auf ihrem Tisch. „Wie spät ist es?“

„Sieben. Du hast gestöhnt. Muss ja ein toller Traum gewesen sein.“

Avery strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. Sie träumte jede Nacht dasselbe. Zum Glück befand sie sich nach dem Aufwachen nicht in der Wüste, sondern in London. Draußen verkündeten Taxihupen schrill den Start des Berufsverkehrs. Hier gab es weder Berge noch schattige Oasen – bloß Jenny, ihre beste Freundin und Geschäftspartnerin, die jetzt gerade einen Knopf drückte, um die Jalousie hochzufahren.

Durch die Fensterscheiben fiel Sonnenlicht in das exklusive Büro. Avery war erleichtert, wach zu sein und festzustellen, dass der Boden unter ihren Füßen fest und sicher war. Sie hatte also doch nicht alles verloren. Das hier gehörte ihr, und sie hatte wahrhaftig hart dafür gearbeitet. „Vor unserer Besprechung gehe ich noch schnell duschen.“

„Als du die Couch für dein Büro bestellt hast, wusste ich nicht, dass du darauf übernachten willst.“ Jenny deponierte ihre Kaffeetasse auf Averys Schreibtisch und schlüpfte aus den Pumps. „Falls du es nicht wissen solltest: Normale Menschen gehen am Ende des Arbeitstages nach Hause.“

Der verstörende Traum haftete an Avery wie ein Spinnennetz. Sie war irritiert, weil er sie so stark berührte. Nicht der Traum ist mein Leben, sondern dies hier, rief sie sich zur Ordnung.

Barfuß schlenderte sie durch das Büro und schaute sich ihre Wirklichkeit an. Durch die langen Fenster glitzerte die Stadt im Sonnenschein. Dunst lag über der Themse wie ein feiner Brautschleier. Vertraute Londoner Wahrzeichen ragten auf, während zu ihren Füßen winzige Figuren auf den Bürgersteigen entlangeilten und Autos sich auf den Straßen stauten, die im Zickzackmuster um Averys Büro verliefen.

Ihre Augen brannten vor Schlafmangel. Das kannte sie inzwischen, denn die Ruhelosigkeit begleitete sie seit Monaten – genau wie die Leere in ihrem Herzen.

Jenny musterte ihre Freundin. „Willst du drüber reden?“

„Es gibt nichts zu reden.“ Avery wandte sich vom Fenster ab und setzte sich an ihren Schreibtisch. Arbeit, dachte sie. Arbeit war alles für mich, bis das Chaos über mich hereingebrochen ist. Irgendwie muss ich das Gefühl von früher wiederfinden. „Gute Nachrichten“, kam sie zur Sache. „Ich habe das Angebot für unser Projekt in Hongkong ausgearbeitet. Die Party wird das Gesprächsthema sein.“

„Das sind deine Partys doch immer.“

Averys Handy klingelte. Sie streckte die linke Hand danach aus, doch als sie den Namen auf dem Display las, hielt sie inne. Schon wieder, dachte sie bestürzt. Das ist mindestens sein fünfter Anruf. Ich kann nicht drangehen. Nicht so kurz nach dem Traum.

Sie ignorierte das Telefon und schaltete stattdessen den Computer ein. Ihr Herz klopfte, als würde eine Herde Wildpferde hindurchgaloppieren. In die Panik mischte sich Schmerz. Schmerz darüber, dass er sie absichtlich derart verletzt hatte.

„Das ist deine Privatnummer. Warum gehst du nicht ran?“ Jenny spähte auf die Anzeige und zog die Augenbrauen hoch. „Malik? Der Prinz ruft dich an?“

„Offensichtlich.“ Avery rief die Tabelle auf, die sie bearbeiten wollte. Ärgerlich registrierte sie, dass ihre Fingerspitzen bebten. Er hat kein Recht, mich privat anzurufen. Ich hätte meine Nummer ändern sollen. Sicherstellen, dass er mich nur noch über das Büro erreichen kann. Vorbei sollte eigentlich genau das heißen … Leider hat er mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.

„Es reicht.“ Jenny setzte sich auf den Stuhl vor Averys Schreibtisch. „Ich habe viel zu lange geschwiegen. Hör mal, ich mache mir Sorgen um dich.“

„Brauchst du nicht. Mir geht’s gut.“ Avery hatte die letzten drei Worte in den vergangenen Monaten so oft wiederholt, dass sie ihr schon wie von selbst aus dem Mund purzelten.

„Dein Ex heiratet. Wie kann es dir da gut gehen? Ich an deiner Stelle würde herumbrüllen, heulen, zu viel essen und mich betrinken. Du tust nichts davon.“

„Weil ich ihn nicht geliebt habe. Es war eine Affäre, und die ist vorbei. Das passiert unzähligen Leuten jeden Tag. Jetzt lass uns arbeiten.“

„Es war mehr als eine Affäre“, beharrte Jenny. „Du hast ihn geliebt.“

„Guter Sex ist keine Liebe. Warum denken so viele Menschen das bloß?“ Avery fragte sich, ob sie klang, als würde es ihr wirklich nichts ausmachen. Sie wusste, dass man sie mit Argusaugen beobachtete, um herauszufinden, wie sie auf die bevorstehende Hochzeit des Kronprinzen reagierte. Als würde die ganze Welt darauf warten, dass sie schluchzend zusammenbrach.

Pech gehabt, dachte sie grimmig. Eher werfe ich meine Stilettos in den Müll, als dass ich wegen eines Mannes weine. Erst recht wegen eines Mannes wie Malik. Sein Ego ist auch ohne meine Tränen stark genug.

Das Handy verstummte. Gleich darauf klingelte Averys Bürotelefon.

Jenny betrachtete es, als wäre es ein gereiztes Tier. „Soll ich?“

„Nein.“

„Der Mann ist hartnäckig.“

„Ein Prinz halt.“ Avery drückte den Anruf weg. „Malik sieht sich entweder als Prinzen oder als General. Wie auch immer, er gibt Befehle.“ Kein Wunder, dass wir aneinandergeraten sind. In einer Beziehung kann es nicht zwei Chefs geben.

Es klopfte kurz. Chloe, die neue Empfangssekretärin, riss die Tür auf. „Avery, du rääätst nicht, wer am Telefon ist!“ Sie machte eine Kunstpause. „Der Kronprinz von Zubran.“

Als keine der beiden Frauen reagierte, wiederholte Chloe eindringlich: „Der Kronprinz von Zubran! Ich wollte ihn zu dir durchstellen, aber du hast nicht abgenommen.“

„Wie gesagt: hartnäckig“, murmelte Jenny. „Du wirst mit ihm reden müssen.“

„Nicht jetzt. Richte ihm aus, dass ich nicht erreichbar bin, Chloe.“

„Es ist der Prinz persönlich! Nicht sein Assistent oder Berater, sondern er selbst. Er hat eine tolle tiefe Stimme und einen echt vornehmen Akzent.“

„Sag ihm bitte, dass es mir aufrichtig leidtut und ich ihn möglichst bald zurückrufe.“ Sobald ich eine Strategie habe, ergänzte Avery stumm. Und sicher bin, dass ich nichts sage, was ich später bereue. So ein Telefonat muss sorgfältig geplant werden.

Chloe starrte ihre Chefin an. „Du klingst, als ob es völlig normal ist, jemanden wie ihn am Telefon zu haben. Ich kann es nicht fassen, dass du ihn kennst. Auf Fotos sieht er immer dermaßen fantastisch aus! Einfach männlich, wenn ihr wisst, was ich meine. So, wie Typen heute nicht mehr sein dürfen, weil es politisch unkorrekt ist. Man merkt gleich: Der fragt nicht um Erlaubnis, bevor er dich küsst.“

Erstaunt musterte Avery ihre neue Mitarbeiterin. Allem Anschein nach war Chloe einer der wenigen Menschen, die nicht wussten, dass Avery Scott eine wilde und ziemlich öffentliche Affäre mit Kronprinz Malik von Zubran gehabt hatte.

Nein, um Erlaubnis hatte er beim ersten Kuss tatsächlich nicht gebeten, erinnerte sie sich. Das tat Malik nie. Eine Weile hatte es ihr gefallen, einen Geliebten zu haben, den weder ihr Selbstbewusstsein noch ihr Erfolg einschüchterten. Dann war ihr klar geworden, dass eine Beziehung zwischen zwei starken Partnern scheitern musste. Der Prinz glaubte nämlich zu wissen, was am besten für seine Mitmenschen war. Auch für Avery.

Jenny tippte ungeduldig mit der linken Fußspitze auf den Boden. „Chloe, geh ins Bad und halt deinen Kopf unter kaltes Wasser. Wenn das nicht hilft, versuch es mit dem Rest deines Körpers. Hauptsache, du begreifst, dass der Prinz dich in absehbarer Zeit nicht küssen wird, ob mit Erlaubnis oder ohne. Jetzt rede mit ihm, bevor er annimmt, dass du ohnmächtig geworden oder tot umgefallen bist.“

„Und wenn sein Anliegen nicht warten kann? Immerhin organisiert ihr seine Hochzeit“, fügte Chloe hinzu.

Avery fühle sich, als würde eine scharfe Klinge durch ihre Haut schneiden. „Nicht seine Hochzeit, sondern die Party am Abend“, stellte sie klar und fragte sich, weshalb diese Worte sie solche Mühe kosteten. Sie hatte die Beziehung aus freien Stücken beendet. Warum tat es trotzdem weh, dass er heiraten würde? „Und ich glaube kaum, dass er deswegen anruft. Er wird erst wissen, was auf den Kanapees ist, wenn er eins in den Mund steckt. Um Details kümmert sich sein Personal. Ein Prinz hat jemanden, der sein Auto fährt, jemanden, der für ihn kocht, ein Bad für ihn einlässt …“

„Und seinen Rücken schrubbt, wenn er in der Badewanne sitzt“, fuhr Jenny fort. „Avery kann jetzt nicht mit ihm telefonieren, weil ich dringend mit ihr über die Party des Senators sprechen muss.“

„Oh. Der Senator.“ Beeindruckt von den berühmten Namen, die im Büro fielen, ging Chloe rücklings zur Tür. Ihre endlosen Beine steckten in engen Jeans. Die Armbänder an ihren Handgelenken klimperten. „Alles klar. Aber ich vermute, Seine Hoheit ist kein Mann, der gern wartet oder das Wort Nein mag.“

„Dann sollten wir ihm zu etwas Übung darin verhelfen.“ Avery verdrängte Erinnerungen an die anderen Gelegenheiten, bei denen Malik nicht hatte warten wollen. Wie damals, als er ihr Kleid mit der Spitze seines Zeremonienschwertes aufgeschlitzt hatte, weil es ihm zu umständlich gewesen war, all die Knöpfe zu öffnen. Oder damals, als er … Nein, beschloss sie. Daran werde ich ganz bestimmt nicht denken.

Während Chloe die Tür hinter sich schloss, zog Avery ihre Kaffeetasse zu sich heran. „Sobald wir ihr etwas mehr Selbstvertrauen eingeimpft haben, wird sie ihren Job großartig machen.“

„Sie ist taktlos. Warum zum Teufel tust du dir das an?“

„Mitarbeiter ohne Berufserfahrung einzustellen? Weil jeder Mensch eine Chance verdient. Chloe hat Potenzial, und …“

„Ich meine nicht deine Personalentscheidungen, sondern die Sache mit dem Prinzen. Warum hast du zugestimmt, die Hochzeit deines Ex-Freundes zu organisieren? Das macht dich doch fertig.“

„Unsinn. Es ist ja nicht so, als ob ich ihn hätte heiraten wollen. Außerdem arrangiere ich nicht die Hochzeit selbst.“ Ein Foto der Wüste bei Sonnenuntergang erschien auf ihrem Computer. Avery nahm sich vor, es auszutauschen. Womöglich war dieses Bild der Grund für ihren wiederkehrenden Traum. „Ich bin für die Party am Abend verantwortlich, das ist alles.“

„Alles? Auf keiner Gästeliste der letzten zehn Jahre stehen so viele einflussreiche Leute wie auf dieser.“

„Darum muss auch alles perfekt sein. Und es macht doch Spaß, die Party zu planen. Partys sind fröhliche Veranstaltungen mit fröhlichen Leuten.“

„Heißt das, es ist dir egal?“ Jenny wackelte mit den nackten Zehen. „Du warst ein Jahr mit diesem scharfen Prinzen zusammen. Seitdem bist du mit keinem Mann mehr ausgegangen.“

„Weil ich damit beschäftigt bin, mein Unternehmen aufzubauen. Übrigens war es kein Jahr. Keine meiner Beziehungen hat so lange gedauert.“

„Es war ein Jahr, Avery. Zwölf Monate.“

„Na gut, wenn du meinst. Zwölf Monate der Lust.“ Es tat gut, die Sache herunterzuspielen und ihr ein Etikett zu verpassen. „Ich wünschte, die Leute würden guten Sex nicht dauernd romantisch verklären. Dann würden auch weniger Ehen scheitern.“

„Wenn der Sex so gut war, warum habt ihr euch dann getrennt?“

Averys Brustkorb fühlte sich plötzlich eng an. Sie wollte nicht über Jennys Frage nachdenken. „Er will heiraten. Ich nicht. Ich habe Schluss gemacht, weil unsere Beziehung keine Zukunft hatte.“ Und weil er arrogant und manipulativ war. „Die Ehe ist einfach nichts für mich.“

„Also haben deine Träume nichts damit zu tun, dass du dir deinen Ex zusammen mit seiner jungfräulichen Prinzessin vorstellst?“

„Natürlich nicht.“ Avery zog eine Schachtel Tabletten gegen Sodbrennen aus ihrer Handtasche. Nur noch zwei waren übrig. Sie musste Nachschub kaufen.

„Trink weniger Kaffee, dann brauchst du die nicht“, empfahl Jenny.

„Du klingst wie meine Mutter.“

„Nein. Nichts gegen deine Mutter, aber sie würde etwas sagen wie: Kaum zu glauben, dass du wegen eines Mannes so schlecht drauf bist, Avery. Genau davor habe ich dich gewarnt, als du fünf warst und ich dir beigebracht habe, dass du für dein Leben selbst verantwortlich bist – auch für deinen Orgasmus.“

„Fünf war ich nicht mehr, als sie mir das beigebracht hat.“ Avery kaute die Tablette. Der dumpfe Schmerz im Kiefer zeigte ihr, dass sie nachts wieder mit den Zähnen geknirscht hatte. Stress.

„Willst du wissen, warum ich den Auftrag angenommen habe? Aus Stolz. Als Malik anrief und sagte, dass er so bald nach unserer Trennung heiraten würde, habe ich nicht nachgedacht.“ Es hatte furchtbar wehgetan. Schlimmer als jemals etwas anderes zuvor in ihrem Leben. „Er wollte wissen, ob es mir unangenehm wäre, die Party zu organisieren. Ich war drauf und dran, Ja zu sagen. Ja, du unsensibler Mistkerl, selbstverständlich wäre es das. Dann hat sich mein Stolz gemeldet, und plötzlich hörte ich mich antworten, dass es kein Problem wäre.“

„Du solltest deinen Mund umprogrammieren. Das habe ich mir schon oft gedacht.“

„Danke. Jedenfalls wurde mir klar, dass Malik mich vermutlich engagiert hat, um mich zu bestrafen.“

Jenny kehrte beide Handflächen nach oben. „Wofür denn?“

„Ach, egal.“ Avery neigte nicht dazu, zu erröten, doch jetzt stieg ihr das Blut in die Wangen. „Unsere Firma ist die erste Wahl für so eine Party. Hätte ich abgelehnt, würden die Leute sagen, dass ich immer noch nicht über Malik hinweg bin.“ Und dann hätte er es gewusst. Er hätte gewusst, wie sehr er sie verletzt hatte. Obwohl er das bestimmt sowieso wusste. Avery war deprimiert von dem Gedanken, was aus der Beziehung geworden war.

„Delegier den Auftrag.“ Jenny schlüpfte wieder in ihre Schuhe. „Ich kenne keine coolere Frau als dich, aber die Hochzeitsparty zu planen für den Mann, den du geliebt hast …“

„Mit dem ich tollen Sex hatte“, korrigierte Avery ihre Freundin.

„Nenn es, wie du willst: Es macht dich krank. Wir arbeiten seit sechs Jahren zusammen, aber wenn du so weitermachst, muss ich kündigen. Wegen meiner Gesundheit. Diese ständige Anspannung bringt mich noch um.“

„Tut mir leid.“ Aus dem Augenwinkel heraus registrierte Avery, dass ihr Bildschirmschoner wieder aufgetaucht war. Hastig drückte sie ein paar Tasten und ersetzte das Wüstenfoto durch eins von der Arktis. „Lass uns über die Arbeit reden. Danach geh ich duschen.“

„Ach ja, Arbeit. Die goldene Hochzeit des Senators. Der wählerischste Kunde, den wir je hatten.“ Jenny schlug ihr Notizbuch auf und überflog die Einträge.

Avery nahm die Kaffeetasse in beide Hände. Die Wärme war irgendwie tröstlich. „Warum nimmst du immer noch dieses Ding, obwohl ich dir die neuste Technologie zur Verfügung stelle?“

„Ich mag mein altmodisches Notizbuch. Außerdem kann ich darin herumkritzeln und Karikaturen von Kunden zeichnen. Wie auch immer, der Senator verlangt 50 Schwäne als Überraschung für seine Frau. Offenbar sind Schwäne ein Symbol für Treue.“

„Der Mann hatte mindestens drei außereheliche Affären. Ich finde nicht, dass er seine Treue feiern sollte. Du?“

„Nein, aber mir ist bisher keine taktvolle Möglichkeit eingefallen, ihm das zu sagen.“

„Hol das bitte schnell nach, Jenny. Wenn er seiner Frau gegenüber das Wort Treue in den Mund nimmt, verwandelt sich die Party in einen Kriegsschauplatz. Keine Schwäne. Abgesehen davon, dass sie Treue symbolisieren, haben sie nämlich ein unberechenbares Temperament. Was noch?“

„Er will für jedes Jahr seiner Ehe einen Ballon steigen lassen. Nicht diese kleinen Dinger, die man an einem Faden hält, sondern die großen, mit denen Menschen in die Lüfte steigen.“

Avery senkte in gespielter Verzweiflung ihre Stirn auf die Tischplatte. „Manchmal wäre ich gern tot.“

„Bloß nicht. Dann hätte ich den Senator ja allein am Hals.“

Langsam hob Avery den Kopf wieder. „Keine Ballons. Erstens sind sie nicht überall erlaubt, und zweitens arbeitet der Senator doch gerade mit Umweltschützern zusammen. Schlag ihm vor, Tauben zu nehmen. Die Gäste können sie fliegen lassen und sich naturverbunden fühlen.“ Sie lehnte sich zurück und versuchte, sich zu konzentrieren. „Allerdings nicht 50 Tauben. Zwei reichen. Sonst leidet die teure Kleidung der Gäste unter dem, was die Vögel fallen lassen.“

Jenny zog die Stirn kraus. „Er wird mich fragen, was zwei Tauben symbolisieren.“

„Viel weniger Dreck als 50 Schwäne. Okay, entschuldige, das kannst du ihm natürlich nicht sagen. Lass mich nachdenken.“ Avery nippte an ihrem Kaffee. „Sag ihm, sie repräsentieren Frieden und Harmonie. Nein, besser nicht. In der Ehe des Senators gibt es weder das eine noch das andere. Partnerschaft. Ja, das ist es. Die Tauben stehen für den gemeinsamen Lebensweg des Senators und seiner Frau.“

Grinsend schrieb Jenny die Stichworte auf.

„Nimm Chloe zur Party mit“, fuhr Avery fort. „Wir müssen sie von ihrer Schwärmerei für Prominente kurieren. Es wird eine wertvolle Erfahrung für sie sein, sich unter die Gäste zu mischen. Außerdem kann sie helfen, falls die Tauben inkontinent werden.“

„Warum lässt du uns die Zubran-Hochzeit eigentlich nicht ohne dich erledigen?“

„Weil es dann heißen würde, dass ich ihr nicht gewachsen bin. Und Malik wird es ebenfalls denken.“ Avery nagte an ihrer Unterlippe. Ob er immer noch sauer auf sie war? Damals war er ja unglaublich wütend. Seine schwarzen Augen … Sie dachte, gleich würde ein Sturm losbrechen. Und sie war genauso zornig wie er. Keiner von beiden wollte nachgeben.

Jenny betrachtete ihre Freundin. „Du vermisst ihn, richtig?“

Ja. „Ich vermisse den Sex. Und das Streiten.“

„Wie bitte?“

Avery zuckte die Schultern. „Streiten kann anregend sein. Malik ist sehr klug. Manche Menschen lösen Kreuzworträtsel, um geistig fit zu bleiben. Ich mag eben einen guten Streit. Bestimmt, weil meine Mutter Anwältin ist. Wir haben beim Abendbrot nicht geredet, sondern debattiert.“

„Ich weiß. Einmal hattest du mich zum Tee eingeladen.“ Jenny schüttelte sich. „Es war beängstigend, erklärt aber, warum du nicht zugeben kannst, dass dir der Prinz viel bedeutet hat. Schließlich beendet deine Mutter leidenschaftlich gern Ehen.“

„Die sind längst kaputt, wenn meine Mutter auf der Bildfläche erscheint.“

Jenny schlug ihr Notizbuch zu. „Dein Stolz wird dich noch ins Verderben reißen, weißt du das? Dein Stolz und dein unermesslicher Ehrgeiz – noch etwas, wofür ich deiner Mutter die Schuld gebe.“

„Ich danke ihr dafür, denn sie hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin.“

„Eine Perfektionistin mit einem gestörten Verhältnis zu Männern?“

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich ehrgeizig bin, und ich habe kein gestörtes Verhältnis zu Männern. Nur, weil ich das Kind einer alleinerziehenden starken Mutter bin …“

„Avery, ich mag dich wirklich“, unterbrach Jenny ihre Geschäftspartnerin. „Aber du bist ziemlich daneben. Als ich damals zu euch zum Tee kam, hat deine Mutter ein flammendes Plädoyer für die Abschaffung sämtlicher Männer gehalten. Hat sie mit dir eigentlich jemals über deinen Vater gesprochen?“

Die Gefühle trafen Avery völlig unvermittelt. Sie sah sich plötzlich als kleines Mädchen auf dem Spielplatz, umringt von Kindern, die zu viele Fragen stellten.

Sie wusste, wer ihr Vater war. Sie erinnerte sich noch genau an den Abend, an dem ihre Mutter ihr die Wahrheit gesagt hatte. Auch daran, wie die Kraft aus ihrem Körper gewichen war und nur noch Übelkeit zurückgelassen hatte.

„Mein Vater war nie ein Teil meines Lebens“, erwiderte sie, ohne Jenny anzusehen.

„Wahrscheinlich, weil deine Mutter nicht wollte, dass er ihr in die Quere kommt. Sie hat ihn vertrieben, oder? Die Frau ist superklug und trotzdem verrückt. Red dir bitte nicht ein, dass du diesen Auftrag annehmen musstest. Du hast die Eröffnungsparty für das Zubran Ferrara Spa Resort organisiert. Damit hast du ja wohl bewiesen, dass du dem Prinzen nicht hinterhertrauerst.“

Der Knoten in Averys Magen zog sich fester zusammen. Gleichzeitig war sie erleichtert, dass es nicht mehr um ihren Vater ging. „Es gab keinen Grund, den Job abzulehnen. Ich wünsche Malik nichts als Glück mit seiner jungfräulichen Prinzessin.“

In ihrem Kopf summte es. Sie musste aufhören, über Malik zu sprechen, es tat ihr nicht gut. Sie bekam schon Ohrensausen davon. Sie betreute die Hochzeitsparty, und damit hatte es sich. Dann würde endlich niemand mehr glauben, dass Malik ihr das Herz gebrochen hatte.

„Ruf ihn bitte zurück, Jen. Sag, dass ich im Ausland bin oder so. Finde heraus, was er will, und kümmere dich darum.“

„Muss seine Braut wirklich Jungfrau sein?“

Avery schluckte. „Ich glaube schon. Unberührt und gehorsam. Er verfügt über sie.“

„Wie um alles in der Welt konntest du je mit dem Prinzen zusammen sein?“, fragte Jenny lachend.

„Sagen wir, unsere Beziehung war … hitzig. Ich kann besser Befehle geben als sie empfangen.“ Das Summen in ihrem Kopf wurde lauter. Jetzt erkannte sie, dass es nicht an ihr lag, sondern von draußen kam. „Jemand steuert den Hubschrauberlandeplatz an. Heute fliegt doch keiner unserer Kunden ein, oder?“

Jenny schüttelte den Kopf. Avery blickte aus dem Fenster, konnte den Hubschrauber aber nicht sehen, weil er über dem Bürogebäude flog. „Dann muss es jemand für eine der anderen Firmen hier im Haus sein.“

Mit langen Schritten ging Malik vom Hubschrauber zur Eingangstür, flankiert von bewaffneten Bodyguards. „Welche Etage?“

„Die oberste, Eure Hoheit. Vorstandsetage, allerdings …“

„Ich gehe allein. Sie warten hier auf mich.“

„Eure Hoheit, Ihr könnt doch nicht …“

„Diese Firma organisiert Partys“, schnitt Malik seinem Begleiter das Wort ab. „Wer sollte da ein Risiko für meine Sicherheit darstellen? Glauben Sie, man wird mich mit Luftballons bewerfen? Oder in Champagner ertränken? Beruhigen Sie sich. Falls ich auf der Treppe in Gefahr geraten sollte, werde ich damit fertig.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat er das Gebäude.

Unsere Trennung hat nichts an Averys beruflichem Erfolg geändert, dachte er. Dies hat sie also unserer Beziehung vorgezogen. Der dumpfe Schmerz in ihm wurde ein wenig stärker, genau wie die Wut.

Malik rief sich zur Ordnung. Er konnte es sich nicht erlauben, darüber nachzudenken. Schon vor langer Zeit hatte er akzeptiert, dass zwischen Wünschen und Pflicht oftmals eine Kluft lag. Nachdem er einige Jahre seinen Wünschen gewidmet hatte, konzentrierte er sich nun ganz auf die Pflicht. Deshalb war dieser Besuch auch nicht persönlich, sondern geschäftlich.

Wenn er Avery richtig einschätzte, würde ihr Stolz sie davon abhalten, ihn bei seinem Anblick zu ohrfeigen oder aus dem Büro zu werfen. Vielleicht war er ihr inzwischen auch gleichgültig geworden. Möglicherweise hatte er ihr nie etwas bedeutet, und er hatte es sich nur eingebildet – wie viele andere Dinge, die Avery betrafen.

Im Treppenhaus war niemand außer ihm. Er ging bis zum obersten Stockwerk und öffnete die Glastüren zu Avery Scotts Unternehmen Dance and Dine. Hier drehte sich alles um Vergnügen, und zwar mit geradezu militärischer Präzision. Von hier aus organisierte Avery Partys für die Reichen und Berühmten. Sie hatte ihre Firma aus dem Nichts aufgebaut und besaß den Mut, Aufträge abzulehnen, die nicht ihrer Vision entsprachen. Deshalb stand sie für Exklusivität. Ihre Dienste waren inzwischen so begehrt, dass manches Fest schon Jahre im Voraus bei ihr gebucht wurde. Eine von Avery Scott organisierte Party glich einem Statussymbol.

Malik war noch nie in der Firma gewesen. Er sah auf den ersten Blick, dass die Umgebung die Chefin widerspiegelte: modern und elegant. In diesen Räumen residierte eine selbstbewusste Frau, die niemanden brauchte.

Jedenfalls nicht mich. Ein harter Zug erschien um seinen Mund.

Das Foyer glich einem gläsernen Atrium. Sonnenlicht flutete durch die Scheiben auf exotische Pflanzen und niedrige Sofas. Eine hübsche junge Mitarbeiterin saß hinter dem geschwungenen Tisch am Empfang. Obwohl Malik einen Anzug trug statt der traditionellen Gewänder seines Landes, erkannte Chloe ihn sofort. Sie schnellte aus ihrem Stuhl hoch. „Eure Hoheit! Sie sind … Ach du lieber Gott …“

„Nicht Gott“, korrigierte Malik. Er runzelte die Stirn, weil seinem Gegenüber plötzlich die Farbe aus dem Gesicht wich. „Alles in Ordnung?“

„Nein. Ich habe noch nie einen leibhaftigen Prinzen getroffen. Mir ist so …“ Chloe schwankte leicht.

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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