Venedig, die Liebe und der Boss

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Nur ein Job als Nanny? Ruby begleitet den attraktiven Max Martin und seine kleine Nichte nach Venedig. Und merkt viel zu spät, dass sie in der Lagunenstadt etwas verloren hat – ihr Herz an den italienischen Boss!


  • Erscheinungstag 08.01.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513517
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich soll Ihnen also einen Job vermitteln?“

Die Frau auf der anderen Seite des Schreibtisches sah keineswegs überzeugt aus. Ruby sank in sich zusammen, während sie kritisch gemustert wurde. In ihrer Cordjacke mit Flicken, dem Minirock, den grell bunten Leggings und ihren geliebten, aber längst ausgetretenen Leinenturnschuhen, die fast genau die gleiche Farbe hatten wie die violetten Strähnen in ihrem kurzen Haar, kam sie sich klein und unbedeutend vor.

Trotzdem nickte sie jetzt. „Richtig.“

„Aha.“

Draußen vor den Fenstern der renommierten Benson Agentur ratterte der Londoner Verkehr vorbei.

Ruby war nur froh, dass die elegante Thalia Benson mit der makellosen Frisur sie erst jetzt sah. Ein paar Tage zuvor hatte sie nämlich ein noch anderes Bild abgegeben.

Bevor du deine Mitbewohnerin mit der Schere an die Arbeit gelassen hast, weil du es leid warst, dass dir die langen Strähnen ständig ins Frühstücksmüsli gefallen sind.

„Und die Anregung, es hier zu versuchen, stammt von Layla Babbington?“

Wieder nickte Ruby. Im Internat war Layla eine ihrer besten Freundinnen gewesen. Als Ruby ihr erzählt hatte, dass sie einen Job suchte, schnellstmöglich und am besten im Ausland, war sie sofort mit der Idee der erstklassigen Nanny-Vermittlung gekommen.

„Lass dich vom ersten Eindruck nicht täuschen“, hatte sie gesagt. „Im Grunde ist die gute alte Benson sanft wie ein Kätzchen. Und sie mag Leute mit Courage. Ihr beide solltet also prächtig miteinander zurechtkommen.“

Jetzt, wo sie Thalia Benson gegenübersaß, glaubte Ruby allerdings eher, dass Layla sich mit ihrer Einschätzung gewaltig geirrt hatte. Die Agenturchefin sah sie an, als wäre sie eine niedere Lebensform, die gerade aus dem Schlamm gekrochen war.

„Nun, welche Qualifikationen können Sie denn vorweisen?“

„Als Kinderbetreuerin?“ Ruby musste sich zusammennehmen, um nicht nervös auf dem Stuhl herumzurutschen. Sie holte tief Luft. „Ich konnte schon immer gut mit Kindern umgehen. Zudem bin ich praktisch veranlagt, kreativ und belastbar. Ich scheue mich auch nicht vor harter Arbeit und …“

„Das meinte ich nicht“, unterbrach die andere Frau sie mit erhobener Hand. „Meine Frage galt Ihrer Ausbildung in Pädagogik. Welchen Abschluss haben Sie gemacht und wo? Mit welchem Schwerpunkt? Montessori, Waldorf oder …?“

Ruby atmete leise aus. Sie hatte sich darauf vorbereitet, eine ausführliche Schilderung ihrer Fähigkeiten zu liefern, aber die Agenturchefin hatte wohl andere Vorstellungen.

„Nun, was das angeht … Also, das lässt sich nicht so einfach beantworten.“

Thalia Benson bedachte sie mit einem tadelnden Blick. „Entweder man hat eine Ausbildung vorzuweisen oder nicht. So etwas gehört zu den Dingen, bei denen es nur Schwarz und Weiß gibt.“

Ruby schluckte. „Eine traditionelle pädagogische Ausbildung habe ich nicht vorzuweisen. Ich hatte darauf gehofft, kurzfristig in Ihrer Sparte Reisebegleitung eingesetzt werden zu können. Mit Unterlagen kann ich also nicht dienen, aber das gleiche ich mit Organisationstalent, Flexibilität und gesundem Menschenverstand aus.“

Bei „gesundem Menschenverstand“ horchte Miss Benson merklich auf.

Ruby nutzte die Chance und sprach weiter. „Seit meiner Kindheit reise ich um die ganze Welt. Es gibt nicht viele Länder, die ich noch nicht besucht habe. Zudem spreche ich vier Sprachen – Französisch, Spanisch, Italienisch und ein wenig Madagassisch.“

Miss Benson sah ungläubig auf. „Sie haben in Madagaskar gelebt?“

Vermutlich glaubt sie, dass ich meinen Lebenslauf übertrieben ausschmücke, dachte Ruby und erklärte: „Meine Eltern haben dort drei Jahre verbracht, als ich noch ein Kind war.“

Mit kritisch zusammengekniffenen Augen stellte die Agenturchefin eine Frage in der Sprache – was Ruby zwar überraschte, ihr aber keinerlei Probleme bereitete. Und zum ersten Mal sah Miss Benson interessiert aus.

Sie nahm ein Formular vom Stapel und begann zu schreiben. „Sie heißen Ruby Long?“

„Lange“, korrigierte Ruby.

„Wie Patrick Lange?“

Ruby nickte. „Genau der.“ Normalerweise berief sie sich nie auf ihre Verbindung zu dem berühmten Dokumentarfilmer, dessen Filmreihen über Flora und Fauna zu den Juwelen im britischen Fernsehen gehörten. Aber der Funke von Interesse in Thalia Bensons Augen reichte ihr, und sie wollte doch nicht mehr im Land sein, wenn ihr alter Herr in zwei Tagen von den Cook Islands zurückkehrte. „Er ist mein Vater.“

Miss Benson legte den Stift ab. „Sehen Sie, Miss Lange, wir stellen keine Nannys ohne die entsprechenden Qualifikationen ein, aber vielleicht können Sie den Sommer über hier bei uns im Büro arbeiten.“

Ruby blinzelte. Schon wieder passierte es: Jemand hörte den Namen „Lange“, und prompt öffneten sich alle Türen. Sie selbst wurde völlig unwichtig. Wann würde sie es endlich lernen? „Das ist sehr großzügig, Miss Benson, aber ich war nicht auf der Suche nach einem Sekretariatsjob.“

Die andere Frau nickte lächelnd. Wahrscheinlich hatte sie die Absage gar nicht registriert und rechnete sich stattdessen schon aus, welche Werbung es für ihre Agentur einfahren würde, sollte sie Ruby dazu bewegen können, auf der alljährlichen Firmenfeier zu erscheinen. Am besten gleich mit ihrem Vater …

Das war nicht Rubys Stil. Der Tochter von Patrick Lange hatte man genügend Stellen angeboten, einschließlich maximalen Gehalts für minimale Arbeit, und jeden einzelnen Job hatte sie ausgeschlagen. Warum konnte sie nirgendwo ihr Potenzial beweisen, ohne sich auf den Lorbeeren ihres Familiennamens auszuruhen?

Thalia Benson stand auf, kam um den Tisch herum und zog die Tür ihres Büros auf. „Warum warten Sie nicht einen Moment? Dann werde ich sehen, was ich für Sie tun kann.“

Ruby nickte. Fünfzehn Minuten würde sie erübrigen. Wenn sich bis dahin nichts Konkretes ergab, verschwand sie ganz einfach wieder. Das Leben war zu kurz, um es mit Warten zu vergeuden. Höher und weiter, das war ihr Lebensmotto.

Der Vorraum, in den sie nun trat, war in den Farben Anthrazit, Aubergine und Himbeer gehalten – sehr elegant, sehr stilvoll, sehr teuer. Den einzigen Hinweis, dass die Benson Agentur etwas mit Kindern zu tun hatte, lieferten ein Behälter mit Wachsmalkreiden und ein Zeichenblock auf dem niedrigen Tisch.

Schulterzuckend setzte Ruby sich und zog Topf und Block heran. Die nächsten Minuten verbrachte sie damit, eine recht gute Karikatur von Thalia Benson zu zeichnen – das dezent geschminkte Gesicht, die perfekt sitzende Frisur … aber gekleidet wie der „Kinderfänger“ in dem berühmten Film.

Weitere Minuten verstrichen. In Ruby wuchs die Überzeugung, dass sie hier ihre Zeit vergeudete. Die einzige Entscheidung, die sie jetzt noch zu treffen hatte, bevor sie ging, war die, ob sie die Zeichnung falten oder rollen sollte.

Oder ich hefte sie einfach hier an die Wand, dachte sie seufzend. Dann wissen künftige Klienten wenigstens direkt, was sie erwartet …

Während sie noch unentschieden dastand und abwägte, flog die Tür auf, und ein großer, grimmig dreinschauender Mann marschierte entschlossen auf den Empfangstresen zu. Hinter sich her zog er ein kleines dunkelhaariges Mädchen, das genauso herzzerreißend wie lautstark weinte.

Die Vorzimmerdame versuchte dem Mann hektisch zu erklären, dass er einen Termin brauchte, doch das schien ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken. Ruby legte die Karikatur ab und verfolgte die Szene neugierig mit.

„Ich will auf der Stelle den Verantwortlichen sehen“, verlangte der Mann entschieden.

Ruby verkniff sich das Grinsen und beschloss, noch ein bisschen zu warten. Das hier könnte interessant werden.

„Wenn Sie sich einen Moment gedulden würden?“ Die Empfangssekretärin besann sich auf Geschäftsmäßigkeit. „Dann werde ich sehen, ob Miss Benson Sie empfangen kann, Mr …?“

„Martin. Genau, tun Sie das.“

Der Mann trat näher an den Tresen und starrte auf die Sekretärin nieder, während das Mädchen an seiner Hand in Rubys Richtung sah.

Im Nachhinein hätte Ruby nicht erklären können, wie genau es passierte – vermutlich hatte die Kleine den gleichen Trick drauf wie alle Dreijährigen und konnte ihre Fingerchen problemlos aus der Hand eines Erwachsenen winden … Auf jeden Fall waren Vater und Tochter plötzlich getrennt. Die Sekretärin führte Mr Martin zum Büro ihrer Chefin. Ihr blieb gerade noch genug Zeit, anzuklopfen und den Namen des Mannes zu nennen, bevor Mr Martin auch schon die Tür weiter aufstieß und kurz darauf hinter sich zuschlug.

Sobald der Vater in dem Zimmer verschwunden war, stellte die Kleine das Jammern ein, schnüffelte noch ein-, zweimal und gab dann keinen Ton mehr von sich. Ruby sah sie einen Moment lang an, dann hielt sie ihr lächelnd einen sonnengelben Wachsmalstift hin.

Mit wildem Blick starrte Max die Frau hinter dem Schreibtisch an. „Ich brauche schnellstmöglich eine Ihrer Reisebegleiterinnen.“

Thalia Benson schloss den Mund wieder. Aus Erfahrung hatte sie den Maßanzug und die handgefertigten Schuhe sofort erkannt und beschlossen, nett mitzuspielen.

„Natürlich, Mr Martin.“ Sie lächelte freundlich. „Ich nehme nur ein paar Informationen auf, dann sehe ich mir die Personalliste an und setze die Termine für die Bewerbungsgespräche fest.“ Sie blätterte in dem großen Terminkalender auf ihrem Schreibtisch. „Passt Ihnen Donnerstag?“

Max riss die Augen auf. Hatte er sich nicht klar ausgedrückt? Was verstand diese Frau nicht an „schnellstmöglich“? Er schüttelte den Kopf. „Ich brauche sofort jemanden. Noch heute!“

„Heute?“ Ihr Blick ging zur Wanduhr.

Es war halb vier, das wusste Max. Eigentlich hatte der Tag ganz normal angefangen, doch dann war um kurz vor zehn seine Schwester in sein Büro gestürzt, und seither ging alles drunter und drüber – wie üblich, wenn es die Frauen in seiner Familie betraf.

„Ich hatte gehofft, die Sache in etwa einer halben Stunde erledigen zu können“, erwiderte er. „Um fünf muss ich am Flughafen sein.“

„Aber … ich muss doch wissen, wie alt das Kind ist! Und für wie lange brauchen Sie eine Nanny? Welche Qualifikationen setzen Sie voraus?“

Er ging gar nicht auf die Fragen ein. Stattdessen zog er einen Computerausdruck aus seiner Westentasche und wedelte damit vor ihrer Nase herum. „Auf Ihrer Website werben Sie damit, schnellen und zuverlässigen Service zu bieten – Nannys, die zu jeder Gelegenheit mitreisen. Und Sie haben den Ruf der besten Vermittlung in ganz London, deshalb bin ich ja auch hier. Also, haben Sie jemanden für mich oder nicht? Falls nicht, werde ich Ihre Zeit nicht länger vergeuden.“

Thalia Benson schürzte die Lippen. „Möglicherweise kann ich Ihnen helfen.“ Sie seufzte, und Max entspannte sich minimal. Wahrscheinlich hätte sie ihn viel lieber wissen lassen, dass es so kurzfristig absolut unmöglich war, jemanden zu finden, aber sicher überschlug sie im Kopf bereits die Rechnung, die sie ihm für ihre Dienste stellen würde.

„Möglicherweise?“

„Sagen Sie mir wenigstens, ob es um einen Jungen oder ein Mädchen geht und wie alt das Kind ist.“

Max zuckte mit den Schultern. „Ein Mädchen. Irgendwo zwischen einem Jahr und Einschulungsalter. Sehen Sie es sich doch selbst an.“

Miss Benson sprang entsetzt von ihrem Stuhl hoch. „Sie haben sie mitgebracht? Und da draußen gelassen? Allein?“

Er nickte. Was glaubte diese Frau denn, wo er Sofia hätte unterbringen sollen? Und allein war die Kleine ja schließlich auch nicht. Die Sekretärin war da, und …

Miss Benson eilte in den Empfangsraum, Max folgte ihr. Und da stand Sofia, die Zunge zwischen die Lippen geklemmt, Wachsmalkreide in der Hand, und malte auf einen Block. Eines fiel Max sofort auf: Es war still im Raum. Das Weinen, das ihn schon den ganzen Tag schier in den Wahnsinn getrieben hatte, war verstummt.

„Hier, versuch doch mal Lila für die Blume.“ Eine junge Frau kniete neben Sofia auf dem Boden und hielt ihr einen Wachsmalstift hin. Und Sofia, statt sich zu gebärden wie vom Leibhaftigen besessen, nahm den Stift an und kritzelte konzentriert auf das weiße Blatt Papier.

Max wandte sich abrupt an die Agenturchefin. „Ich will sie.“ Er zeigte zu der Frau, die, wie ihm jetzt erst auffiel, eine wirklich seltsame Haarfarbe hatte.

Miss Benson lachte nervös auf. „Ich fürchte, sie arbeitet nicht für uns. Noch nicht“, fügte sie hastig hinzu, als sie seine kritisch hochgezogenen Augenbrauen bemerkte. „Ich bin sicher, Sie werden viel besser mit einer unserer Nannys zurechtkommen, die …“

Er sah wieder zu der Frau hin, die ihn an eine freche Elfe erinnerte. Und das erste Mal seit Ewigkeiten – so kam es ihm zumindest vor, auch wenn es sich in Wirklichkeit erst um ein paar Stunden handelte – war Sofia still und zufrieden und benahm sich wie ein normales Kind. „Nein, ich will sie“, beharrte er. Sein Instinkt sagte ihm, dass diese Frau genau das war, was er brauchte. Außerdem war es zwanzig vor vier, viel Zeit blieb nicht mehr. „Sie da“, wandte er sich direkt an die Unbekannte. „Was halten Sie davon?“

Ruby warf einen Blick zur Agenturchefin. „Sie hat recht, ich arbeite nicht für die Vermittlung“, antwortete sie.

„Das ist mir gleich“, sagte er sofort. „Sie haben alles, was ich mir wünsche. Ich brauche Sie.“

Ruby musterte den Mann. Meinte er das ernst? „Was ist, wenn Ihr Job nicht das ist, was ich suche? Bevor ich eine Zusage mache, sollte ich doch wohl erst etwas über die Konditionen erfahren, oder nicht?“

Er sah auf seine Armbanduhr. „Das besprechen wir auf der Fahrt. Kommen Sie, beeilen Sie sich. Wir haben ein Flugzeug zu erwischen.“ Damit marschierte er bereits zum Büro hinaus und ließ die Chefin der renommierten Nanny-Vermittlung mit offenem Mund stehen.

Innerhalb von zwei Sekunden traf Ruby ihre Entscheidung. Sie nahm Sofia den Wachsmalstift ab, steckte ihn und ihren zurück in den Topf, hob die Kleine auf den Arm und eilte dem Mann nach draußen in den strahlenden Sonnenschein nach.

Sie seufzte. Die Wege des Herrn waren manchmal wirklich unergründlich! Genau wie die von Mr … wie immer er heißen mochte. Mit seinen langen Beinen steuerte er auf eine schwarze Limousine zu, die im absoluten Haltverbot parkte. Ruby wollte ihm schon nachrennen, als sie stutzte. Irgendetwas stimmte nicht an diesem Bild. Wieso hielt sie seine Tochter auf dem Arm, wenn er sich nicht einmal umdrehte? Er war so besessen vom nächsten Schritt in seinem Zeitplan, dass er die Existenz des Mädchens völlig vergessen zu haben schien!

Sie sah auf das kleine Gesichtchen herunter. Das Mädchen schien zufrieden damit, auf ihrer Hüfte zu sitzen und sich den großen Doppeldecker-Bus anzusehen. Noch war die Kleine nicht alt genug, aber schon bald würde sie die Acht- und Lieblosigkeit ihres Vaters bemerken. Kein Kind hatte so etwas verdient!

Bei dem Mann angekommen, reichte sie ihm das Mädchen. „Hier, ich glaube, Sie haben etwas vergessen.“

Wäre sie nicht so wütend, hätte sein verdutzter Gesichtsausdruck sie zum Lachen gebracht. Er nahm ihr das Mädchen ab und hielt es auf Armeslänge von sich. Eine Entgegnung blieb ihm erspart, weil die Kleine prompt wieder ohrenbetäubend zu weinen begann.

„Um Gottes willen! Nehmen Sie das zurück! Sie sind die Einzige, die es abstellen kann.“

Ruby verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen Schritt zurück. „Ich glaube, das hat einen Namen, oder nicht?“

Der Mann hielt das Mädchen an sich und versuchte es zu trösten – und verschlimmerte damit nur alles. Die hilflose Panik auf seiner Miene rührte an Rubys Mitleid. Mit seinem „Herrscher des Universums“-Gehabe kam er bei der Kleinen auf jeden Fall nicht weit. „Sofia“, sagte er fast flehentlich. „Sie heißt Sofia.“

Mit einem zuckersüßen Lächeln streckte Ruby die Arme aus und nahm das Kind in Empfang. Sie war sich noch immer nicht sicher, ob sie dieses Angebot hier annehmen sollte, aber wenn sie es nicht tat, würde ihr Vater bei seiner Rückkehr einen Anfall bekommen. Er hatte ihr ein Ultimatum gesetzt: Entweder, sie wartete mit einem vernünftigen Job auf, oder aber er würde sie in seiner Firma unterbringen, wo sie dann dazu verdammt wäre, auf ewig als „Wie heißt sie doch gleich? Du weißt schon, Patrick Langes Tochter“ zu arbeiten.

Sofia klammerte sich an sie wie die Lemurenbabys an ihre Mütter, die Ruby auf Madagaskar gesehen hatte, und stellte das Brüllen ein. „Vielleicht sollten wir uns auch vorstellen, bevor ich da einsteige.“ Mit dem Kopf deutete sie zu der Limousine. „Ich heiße Ruby Lange.“

Es war offensichtlich, dass ihm der Name nichts bedeutete. Gut.

„Max Martin.“

Ruby hob sich Sofia bequemer auf die Hüfte. „Angenehm, Mr Martin.“ Sie sah in das Innere des Wagens. „Können wir dann jetzt endlich mit dem Interview anfangen?“

Mit gerunzelter Stirn saß Max auf der Rückbank. Was war hier eben eigentlich passiert? In einem Moment war er noch Herr der Situation gewesen, und im nächsten wurde er von einer Frau in seinen eigenen Wagen gescheucht – noch dazu von einer Frau, die aussah, als würde sie ihre Garderobe aus der Altkleidersammlung stehlen.

Die Frau, die ihn jetzt über Sofias Kopf mit großen Augen erwartungsvoll ansah. „Also los, fragen Sie schon“, sagte sie.

Verständnislos starrte er zurück.

„Sollte das hier nicht ein Bewerbungsgespräch werden?“

Natürlich, sie hatte recht. Aber solange sie sich nicht als drogenabhängige Massenmörderin outete, gehörte der Job ihr. Er hatte keine Zeit, jemand anders zu suchen.

Er besah sich seine neue Angestellte genauer. Die Frauen, die er kannte, zogen sich nicht so an – grelle Farben und sich beißende Muster. Damit sah sie sehr jung aus.

Und so fiel ihm die erste Frage ein. „Wie alt sind Sie?“

Sie hielt seinem Blick stand. „Vierundzwanzig.“

Auf jeden Fall alt genug, auch wenn er sie jünger geschätzt hätte. War so oder so egal. Das kleine Bündel, das sie in den Armen hielt, war still, das reichte ihm als Qualifikation.

Wieder warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Zum Plaudern blieb keine Zeit. Er würde sich also auf das Wesentliche konzentrieren. „Wie lange fährt man von hier bis zu Ihnen nach Hause?“

Zum ersten Mal sah sie überrascht aus. „Nun, ich …“

„Schaffen wir das in einer halben Stunde?“

„Wir müssen nach Pimlico … ja. Wieso?“

„Können Sie in zehn Minuten einen Koffer packen? Ich frage nur, weil das meiner Erfahrung nach die wenigsten Frauen zustande bringen. Soweit ich verstanden habe, hat es etwas mit Schuhen zu tun.“

„Meine Eltern haben mich jahrelang um den Globus geschleift“, erwiderte Ruby. „Wenn es nötig ist, packe ich einen Koffer in unter fünf Minuten.“

Max lächelte. Nicht das höfliche Business-Lächeln, mit dem er bei Meetings seine Geschäftspartner bedachte, sondern ein richtiges Lächeln. Die Angriffslust der Nanny ließ sofort nach, ihre Augen weiteten sich unmerklich. Er lehnte sich vor und instruierte seinen Chauffeur, nach Pimlico zu fahren.

Die Nanny tippte ihm auf die Schulter. „Ich habe noch nicht zugesagt. Und bevor ich das tue, hätte ich noch ein paar Fragen an Sie.“

Sie nahm kein Blatt vor den Mund, aber das tat er ja auch nicht. Und aus irgendeinem Grund lächelte er schon wieder. Ganz spontan. Ein ungewohntes Gefühl. „Schießen Sie los.“

Sie hob das Kinn. „Nun, Mr Martin, die Details haben Sie bisher gänzlich ausgelassen.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, wie lange Sie meine Dienste benötigen.“

„Oh, diese Art Detail. Nun, ich würde sagen, für knapp zwei Wochen.“

Ihr Schnauben klang enttäuscht. Sie dachte doch hoffentlich nicht an einen Rückzieher?

„Länger wäre mir lieber, aber das wird dann eben reichen müssen“, sagte sie. Mit zusammengekniffenen Augen brachte sie die nächste Frage vor. „Wieso brauchen Sie so kurzfristig eine Nanny für Ihre Tochter?“

Abrupt setzte Max sich auf. „Sofia ist nicht meine Tochter!“

Die Nanny – Fast-Nanny – warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Sehen Sie, das meinte ich mit ‚Details‘.“

Der Kommentar kümmerte Max nicht. Für Details hatte er schon immer ein Auge gehabt, doch heute verfügte er über eine ganze Armee, an die er delegieren konnte – Assistenten, Manager und Abteilungsleiter –, damit ihm Zeit für die wichtigen Dinge blieb. Im Privaten allerdings vermochte er nicht auf so viele willige Helfer zurückzugreifen. Wahrscheinlich weil er kein großes Privatleben hatte. „Sofia ist meine Nichte.“

„Ach so.“ Ruby nickte. Das erklärte vieles.

„Es war nicht geplant, dass ich heute den Babysitter spiele. Aber meine Schwester … sie ist Schauspielerin.“

„Oh.“ Schon seit fünf Jahren versuchte Ruby, das zu werden. „In welchem Film hat sie mitgespielt?“

„Wahrscheinlich nichts, was Sie kennen.“ Er seufzte schwer. „Offenbar hat ihr Agent sie heute Morgen wegen eines Vorsprechens für eine ‚kleine Rolle in einem großen Film‘ angerufen. Sie hat die Rolle bekommen, musste aber sofort nach L. A., weil die andere Schauspielerin mit akuter Blinddarmentzündung ausgefallen ist.“

Autor

Fiona Harper
Als Kind wurde Fiona dauernd dafür gehänselt, ihre Nase ständig in Bücher zu stecken und in einer Traumwelt zu leben. Dies hat sich seitdem kaum geändert, aber immerhin hat sie durch das Schreiben ein Ventil für ihre unbändige Vorstellungskraft gefunden. Fiona lebt in London, doch sie ist auch gern im...
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