Venezianische Verführung

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Noch nie ist Laura einem so faszinierenden Mann wie Domenico Chiesa begegnet. Der charmante Venezianer zeigt ihr die Stadt der Liebe von ihren schönsten Seiten - und erobert dabei Lauras Herz im Sturm! Eine Nacht lang gibt sie sich in Domenicos Armen ganz der Leidenschaft hin, die nur er so wunderbar in ihr zu wecken versteht. Doch schon am nächsten Morgen folgt ein bitteres Erwachen: Domenico ist nicht der Mann, für den er sich ausgegeben hat. Und Lauras Traum von einem Leben an seiner Seite scheint mit einem Schlag zerstört ...


  • Erscheinungstag 18.05.2008
  • Bandnummer 1819
  • ISBN / Artikelnummer 9783863492762
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wenigstens ist die Maschine aus London pünktlich, dachte Domenico Chiesa. Hätte ihn jemand anderes als Lorenzo Forli gebeten, die junge Engländerin am Flughafen Marco Polo in Empfang zu nehmen, hätte er den Auftrag abgelehnt.

Ungeduldig beobachtete er die Passagiere, die die Zollkontrolle verließen. Es waren viele junge Frauen mit langen blonden Haaren darunter, aber keine schien allein zu reisen. Endlich sah er eine einzelne Frau, die einen Koffer hinter sich herzog und in seine Richtung eilte. War sie es? Sie trug einen weißen Sonnenhut und eine große Sonnenbrille und war, wie beschrieben, zierlich, jung und blond.

„Miss Green?“, fragte er, während er auf sie zutrat.

„Ja?“ Argwöhnisch blickte sie ihn an.

„Willkommen in Venedig.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Ich bin Domenico Chiesa von der Forli-Gruppe. Lorenzo Forli hat mich gebeten, Sie zu begrüßen.“

Laura lächelte überrascht. „Tatsächlich? Wie nett von ihm.“

Und noch netter von mir, dachte er gereizt. „Gehen wir. Sie brauchen ein Ticket für das vaporetto.“ Rasch dirigierte er sie zum Schalter nahe des Ausgangs. „Das Schiff der Linie 1 legt gleich ab.“ Er kaufte einen Fahrschein und reichte ihn ihr zusammen mit einer Zeichnung, die den Weg vom Markusplatz zu ihrem Hotel zeigte. „Die Skizze wird Ihnen helfen, das Hotel Locanda Verona zu finden, Miss Green.“

Höflich lächelte sie ihn an. „Vielen Dank. Goodbye.“

„Es tut mir leid, dass …“, begann er, aber sie hastete schon zum Kai. Missmutig sah er hinter ihr her. Er hatte ihr erklären wollen, dass er keine Zeit hatte, sie zu begleiten, doch offenbar legte sie auch keinen Wert darauf.

Seine Stimmung war miserabel, als sie in ein Wassertaxi stieg. Um die junge Frau hier zu erwarten, hatte er eine problematische Situation im Hotel nicht klären können. Dennoch hatte er sich persönlich herbemüht. Er hatte pflichtschuldigst dafür gesorgt, dass sie das richtige vaporetto nahm und zu ihrer Unterkunft fand, die er selbst für sie gesucht hatte. Trotzdem hatte ihre Dankbarkeit einzig und allein Lorenzo gegolten, der lediglich die Anweisungen aus der Zentrale in Florenz gegeben hatte. Ihn, Domenico, hatte sie praktisch ignoriert.

Laura war sich nicht bewusst, dass sie den freundlichen Angestellten gekränkt hatte. Wie aufmerksam von Lorenzo, nicht nur ihre Reise nach Venedig zu arrangieren, sondern auch jemanden zu schicken, der sie willkommen hieß! Sie genoss die Fahrt durch die Lagune und bewunderte auf dem Canal Grande die alten Bauten, die sich teils gegenseitig zu stützen schienen.

Als sie den berühmten Campanile auf dem Markusplatz in der Ferne erblickte, wurde sie noch aufgeregter. Sie gehörte zu den Ersten, die das Schiff verließen und auf der Piazetta die Granitsäule mit dem Löwen passierten. Voller Ehrfurcht betrachtete sie die Markuskirche und konnte es kaum erwarten, die Stadt zu erkunden. Aber zunächst musste sie die Locanda Verona finden.

Sie hatte in der Schule zwar ein bisschen Italienisch gelernt, jedoch ihre Sprachkenntnisse nie wirklich in der Praxis erprobt. Selbst wenn es ihr gelänge, sich nach dem Weg zu erkundigen, würde sie die Antwort mit Sicherheit nicht verstehen. Also holte sie die Skizze hervor, die ihr der kurz angebundene Mr. Chiesa gegeben hatte, studierte sie und überquerte dann den Markusplatz.

Sie ging unter dem Torbogen des Torre dell’Orologio hindurch, von dessen Dach über der großen Uhr zwei Mohren die Stunde schlagen, und betrat die Merceria, Venedigs bekannte Einkaufsstraße. Der Beschreibung zufolge sollte das Hotel irgendwo hier in einer der vielen Gassen liegen, von denen aus immer wieder unzählige Brücken über die Kanäle führten. Nachdem sie nur zweimal falsch abgebogen war, zog sie ihren Koffer schließlich über die richtige Brücke und landete unmittelbar vor der Tür der Locanda Verona.

Es war ein kleines Gästehaus, in dessen Foyer sie nach der spätnachmittäglichen Hitze draußen eine angenehme Kühle empfing. Lächelnd eilte ihr eine hübsche Frau entgegen, die sich ihr auf Englisch als Maddalena Rossi, Ehefrau des Besitzers, vorstellte. Und nachdem die Formalitäten erledigt waren, geleitete die Italienerin sie zu ihrem Zimmer in der obersten Etage.

„Es ist nicht groß, hat dafür aber ein eigenes Bad“, erklärte sie, während sie die Tür aufschloss. „Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl.“

Laura ließ den Blick durch den Raum mit der gewölbten Holzdecke schweifen. „Das werde ich ganz bestimmt.“

Schwungvoll öffnete die Signora zwei schmale, in der oberen Hälfte verglaste Türen, die auf eine kleine Dachterrasse hinausgingen. „Und dies ist Ihre Aussicht.“

Laura atmete tief ein, als sie nach unten auf die malerischen Häuser entlang des Kanals sah. „Wie traumhaft schön.“

Maddalena schaute zufrieden. „Wie ich bereits erwähnte, servieren wir keine Mahlzeiten. Doch gibt es viele Lokale und Bars in der Nähe. Fragen Sie einfach an der Rezeption.“

Nachdem Laura ihre Mutter angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass sie gut angekommen war, packte sie ihre Sachen aus. Anschließend duschte sie, brachte die Haare mit Föhn und Bürste in Form, schminkte sich und schlüpfte in ein schlichtes schwarzes Kleid.

Beschwingt trat sie wenig später hinaus in den warmen Sommerabend und schlenderte zurück zum Markusplatz. Ihr Ziel war das berühmte Café Florian. Dort spielte eine Hauskapelle, der man bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein lauschen konnte. Zur Feier ihrer Ankunft würde sie sich heute auch einen kleinen Imbiss gönnen, egal, wie viel sie dafür bezahlen musste.

Ein Kellner führte sie zu einem Tisch, der genau in der richtigen Entfernung zu der berankten Laube lag, in der die Musiker saßen. Nachdem sie in ihrem besten Schulitalienisch ein Mineralwasser sowie ein Käse-Schinken-Sandwich bestellt hatte, genoss sie die Atmosphäre und lauschte auf das Gemurmel der vielen Stimmen und Sprachen. Versonnen beobachtete sie das Geschehen um sie herum, während sie sich alle Zeit der Welt ließ, ihr tramezzino zu verspeisen.

Buona sera, Miss Green.“

Die dunkel klingende Stimme riss sie aus ihrer Versunkenheit. Laura wandte den Kopf und sah Domenico neben sich stehen. „Guten Abend.“ Überrascht lächelte sie ihn an, und er lächelte charmant zurück, ohne auch nur eine Spur jener Ungeduld zu zeigen, die er am Flughafen ausgestrahlt hatte.

„Signora Rossi hat mir erzählt, Sie seien hier. Ist das Gästehaus zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Ja, sehr.“ Jetzt hatte sie die Muße, ihn genau zu betrachten. Er war ein Bild von einem Mann, hatte breite Schultern, schmale Hüften und wellige schwarze Haare, die so perfekt geschnitten waren wie sein eleganter Anzug. Die Augen, die nun nicht mehr hinter einer Sonnenbrille verborgen waren, leuchteten aquamarinblau. Er blickte sie auf eine Weise an, die ihr verriet, dass er sich seiner Wirkung voll bewusst war. „Ich war so beschäftigt, das Treiben auf der Piazza zu verfolgen, dass ich Ihr Kommen nicht bemerkt habe.“

„Ich habe Sie aus Ihrer Ruhe aufgeschreckt. Darf ich Sie zur Wiedergutmachung zu einem Kaffee oder Wein einladen?“

Warum nicht, dachte sie nach einem Moment des Zögerns. „Vielen Dank. Ich hätte gern einen caffè macchiato.“

„Sie haben einen bezaubernden Akzent.“ Er winkte einen Kellner herbei, bestellte und deutete auf den freien Stuhl neben ihr. „Permesso?“

„Natürlich.“

„Wie ist Ihr erster Eindruck von meiner Stadt?“

„Ich habe schon viele Bilder von Venedig in Büchern und im Fernsehen gesehen, aber tatsächlich hier zu sein, ist atemberaubend.“ Sie trank einen Schluck von dem Kaffee, den der Ober ihnen gerade serviert hatte.

„Das freut mich zu hören.“

„Eine Freundin hat mir geraten, ich solle als Erstes ins Café Florian gehen, Signor Chiesa.“

„Ein guter Ratschlag.“ Er lächelte sie an. „Nennen Sie mich doch bitte Domenico.“

„Und ich heiße Laura.“

„Und, Laura, was haben Sie für morgen geplant?“

„Ich will einfach nur durch Ihre herrliche Stadt bummeln.“ Sie stellte die leere Tasse zurück.

„Möchten Sie noch einen Kaffee?“

„Er war köstlich. Aber nein, danke.“

„Dann lassen Sie uns ein Glas Prosecco trinken.“

Auch diese freundliche Einladung konnte sie unmöglich ablehnen. Außerdem handelte er wahrscheinlich auf Anweisung. Ihre Freundin Fen hatte ihr erzählt, dass Lorenzo einen kleinen Angestellten beauftragen würde, eine Unterkunft für sie zu suchen. Allerdings wirkte dieser Domenico keineswegs wie ein kleiner Angestellter.

„Salute!“ Er prostete ihr zu, sobald der Kellner den Prosecco serviert hatte. „Kennen Sie Signor Forli gut?“

„Ich bin ihm nur ein paar Mal bei meiner Freundin Fenella Dysart begegnet. Er ist mit ihrer Schwester verheiratet.“ Laura nippte an ihrem Glas. „Wohnen Sie hier in Venedig?“

„Schon mein ganzes Leben lang. Und woher kommen Sie?“

„Mein Zuhause liegt in Gloucestershire, doch ich arbeite und wohne in London.“

„Und was machen Sie beruflich?“, fragte er und hörte ihr aufmerksam zu, während sie ihm kurz ihren Job als Bankanalystin beschrieb. „Ich bin beeindruckt“, meinte er schließlich, trank aus und erhob sich mit einem Seufzer. „Die Pflicht ruft. Aber wenn Sie gestatten, begleite ich Sie vorher zur Locanda Verona zurück.“

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Sie hatte jetzt oft genug Ja gesagt. „Das ist sehr nett, doch möchte ich noch etwas bleiben und der Musik lauschen. Vielen Dank für den Kaffee und den Prosecco, Signor …“

„Domenico, per favore. Buona sera, Laura.“

„Guten Abend.“

Sie saß noch eine Weile auf dem herrlichen Platz, genoss den lauen Sommerabend und betrachtete die Menschen. Doch irgendwann winkte sie den Kellner herbei. „Il conto, per favore.“

„Scusi?“

Warum blickte er sie so verblüfft an? „Sprechen Sie Englisch?“

„Ein wenig.“

„Ich hätte gern die Rechnung.“

„Sie ist bereits beglichen.“

„Oh.“ Laura war überrascht, gab dem Ober ein Trinkgeld und schlenderte zum Gästehaus zurück.

Ich bin in Venedig, dachte sie am nächsten Morgen aufgeregt, schwang die Beine aus dem Bett und tappte zur Terrassentür, um auf der Dachterrasse die einmalige Aussicht zu genießen. Bevor sie ihren Stadtbummel begann, wollte sie irgendwo frühstücken. Sie hatte gestern Abend nicht viel gegessen. Und was du verzehrt hast, hat Domenico bezahlt, schoss es ihr durch den Kopf. Kurz bekam sie ein schlechtes Gewissen, doch es verflog schnell wieder. Seiner Kleidung nach zu urteilen musste er gut verdienen, und vermutlich würde sein Chef ihm die Kosten erstatten.

In Jeans und weißem T-Shirt lief sie wenig später nach unten. Sie erkundigte sich bei Signora Rossi, wohin sie zum Frühstücken gehen könnte, und fand die beschriebene Bar problemlos. Nachdem sie sich den Kaffee und das Mandelhörnchen hatte schmecken lassen, setzte sie den Sonnenhut und die Sonnenbrille auf und trat hinaus in den strahlenden Vormittag.

Bevor sie ihre Mitbringsel kaufte, wollte sie erst einmal ausgiebig die Schaufensterauslagen studieren. Also spazierte sie zunächst durch die Arkaden am Markusplatz, dann die Merceria entlang und weiter bis zur Rialtobrücke. Fasziniert schlenderte sie dort über den üppigen, farbenprächtigen Markt und kehrte schließlich für einen Imbiss in eine Bar ein. Sie bestellte sich ein Mineralwasser und ein Sandwich und verzehrte beides im Stehen. In ihrem Reiseführer hatte sie nämlich gelesen, dass man mehr bezahlen musste, wenn man sich an einen Tisch setzte.

Nach dem Essen begannen ihre Füße wehzutun, und das Windowshopping brachte kein Vergnügen mehr. Kurzerhand entschied sie, sich im Hotel eine kleine Ruhepause zu gönnen. Sie machte sich auf den Rückweg, der in der Hitze am Nachmittag recht beschwerlich wurde, und duschte erst einmal, sobald sie in ihrem Zimmer war.

Dann legte sie sich mit einem Buch aufs Bett und schlief beim Lesen ein. Als sie wieder erwachte, war es bereits Abend. Sie war ärgerlich auf sich selbst, weil sie so viel Zeit verschwendet hatte, und stand rasch auf. Sie war gerade dabei, sich anzuziehen, als sie einen Umschlag auf dem Boden bemerkte. Jemand musste ihn unter der Tür hindurchgeschoben haben.

Sie hob ihn auf und nahm die Karte heraus. Domenico wollte sie zum Essen ausführen und schrieb, dass er sie um acht Uhr abholen würde. Offenbar war er sich völlig sicher, dass sie sich freuen und die Einladung annehmen würde. Er hatte weder eine Telefonnummer noch eine Adresse angegeben, wo sie ihn erreichen konnte.

Seit ihrer ersten Begegnung hatte sich sein Verhalten komplett geändert. Am Flughafen hatte er den Eindruck vermittelt, als könnte er sie nicht schnell genug loswerden. Allerdings war er später im Florian aufgetaucht, um sich zu erkundigen, ob das Gästehaus zu ihrer Zufriedenheit wäre. Aber dies hatte er vermutlich auf Lorenzos Geheiß hin getan.

Laura zuckte die Schultern. Ihre Urlaubskasse war nicht gerade üppig. Es wäre verrückt von ihr, die Einladung des attraktiven Venezianers abzulehnen. Aber auf keinen Fall würde sie bis acht Uhr in ihrem Zimmer herumsitzen und auf sein Eintreffen warten.

Nachdem sie sich besonders sorgfältig geschminkt hatte, schlüpfte sie in ein figurbetontes himbeerrotes Kleid und machte sich eine kunstvolle Hochfrisur. Zum Schluss steckte sie sich filigrane goldfarbene Ohrringe an und ging schließlich nach unten. An der Rezeption hinterließ sie eine Nachricht für Domenico.

Wie wird dieser selbstbewusste Mann wohl reagieren, wenn er feststellt, dass ich ausgeflogen bin, überlegte sie, während sie über die Brücke schlenderte. Nicht, dass sie weit fortfliegen würde. Sie wollte sich nur ins Café Florian setzen, um die Leute zu beobachten, bis Domenico sich zu ihr gesellte. Wenn er überhaupt kommen würde. Möglicherweise fühlte er sich in seinem Stolz gekränkt, weil sie nicht auf ihn gewartet hatte. Es war ihr ohnehin schleierhaft, warum er sie zum Essen ausführen wollte. Dass Lorenzo ihn darum gebeten hatte, hielt sie für unwahrscheinlich.

Domenico hätte ihr den Grund für seine Einladung genau nennen können. Sie hatte es am Flughafen so eilig gehabt, das Schiff zu erreichen, dass sie ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Ein solches Verhalten von einer Frau war ihm neu. Ihre Gleichgültigkeit hätte ihn zu jedem anderen Zeitpunkt amüsiert, aber in jenem speziellen Moment hatte sie ihn geärgert.

Später am Abend war er noch mit einem Freund im Stadtteil San Marco etwas trinken gegangen. Spontan hatte er danach beschlossen, im Gästehaus vorbeizuschauen, um sich zu vergewissern, dass Miss Green gut eingetroffen war. Und du wolltest einen besseren Eindruck auf sie machen, gestand er sich belustigt ein, während er erneut auf dem Weg in die Locanda Verona war.

Als er ihr dann ins Florian gefolgt war und sie dort ohne Sonnenhut und –brille gesehen hatte, hatte er sich sehr beherrschen müssen, um sein Erstaunen zu verbergen. Sie hatte ihn mit ihren goldbraunen Augen angeschaut und dabei bezaubernd gelächelt. Zum ersten Mal hatte er ihr Gesicht dort im Café richtig sehen können, das nicht nur hübsch war, sondern von Charakter zeugte. Sie hatte das gewisse Etwas ausgestrahlt, das ihn bei einer Frau so faszinierte. Unwillkürlich hatte er angefangen, seine charmante Seite zu zeigen.

Beim Abschied hatte sie ihn zum zweiten Mal überrascht, als sie es ablehnte, sich zum Gästehaus zurückbegleiten zu lassen. Dies war ebenfalls eine neue Erfahrung für ihn gewesen. Ja, die reservierte Engländerin verkörperte eine echte Herausforderung, die er mit großer Freude annahm.

Zum Auftakt des Abends würde er sie in Harry’s Bar ausführen, das Mekka für alle ausländischen Besucher Venedigs. Und wenn sie nach einem exquisiten Essen mit erlesenen Weinen wohlig entspannt war, würde er den Abend mit einer Gondelfahrt im Mondschein krönen.

Mit dem Elan eines Eroberers betrat er die Eingangshalle des Gästehauses und schaute mehr als ungläubig drein, als Signora Rossi ihm sagte, die junge Frau sei nicht in ihrem Zimmer. Mit bedauerndem Lächeln reichte sie ihm Lauras Nachricht, und nachdem er sie gelesen hatte, verabschiedete er sich und ging zur Tür.

Er war stark versucht, Laura einfach im Florian sitzen zu lassen. Doch als er sie dort in ihrem roten Kleid entdeckte, verrauchte sein Ärger. Sie hatte die Haare zu einer sexy Hochfrisur aufgesteckt, die so aussah, als würde sie sich bei der ersten Berührung in Wohlgefallen auflösen. Einzelne widerspenstige Locken kräuselten sich in ihrem Nacken, und zwar genau an der Stelle, die seine Lippen wie magisch anzog. Überrascht stellte er fest, dass es ihm zutiefst missfiel, welche bewundernden Blicke sie allseits auf sich zog.

Laura hatte Domenico in dem Augenblick bemerkt, als er auf die Piazza San Marco getreten war. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er auf sie zukam. Er trug einen hellen Leinenanzug, der ihm hinreißend stand. Aber erst als er bei ihrem Tisch angelangt war, wandte sie den Kopf und lächelte ihn reserviert an. „Hallo.“

Buona sera. Warum haben Sie nicht auf mich gewartet?“

„Ich bin zu kurz in Venedig, um die Zeit in meinem Zimmer zu vergeuden.“

„Sind Sie mit Ihrer Unterkunft nicht zufrieden?“

„Im Gegenteil. Sie ist bezaubernd. Nur hatte ich schon fast den ganzen Nachmittag dort verbracht, als ich Ihre Nachricht fand. Nach meinem ausgedehnten Schaufensterbummel habe ich einen viel zu langen Nachmittagsschlaf gehalten.“

Domenico setzte sich zu ihr. „Sie trinken doch bestimmt einen Prosecco mit mir.“ Er winkte einen Kellner herbei, bestellte und blickte sie wieder an. „Sie waren also Windowshopping. Haben Sie auch etwas Hübsches gefunden?“

„Nein. Ich wollte zunächst Ideen sammeln. Nur habe ich so viele schöne Dinge gesehen, dass ich mich nicht mehr erinnere, wo was im Einzelnen gewesen ist. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Halten Sie mein Englisch für unzureichend?“

„Nein, nicht im Mindesten. Ich wünschte, ich könnte Ihre Sprache ansatzweise so gut sprechen wie Sie meine.“

„Ich kann Sie Italienisch lehren.“

Wahrscheinlich könntest du das, und nicht nur den richtigen Satzbau, dachte Laura.

„Dafür bleibe ich nicht lang genug hier.“

Der Ober servierte, und Domenico lehnte sich mit seinem Glas zurück, um sie einen Moment lang schweigend zu betrachten. „Sagen Sie, Laura, wartet in London jemand ungeduldig auf Ihre Rückkehr?“

„Sie reden von einem Mann?“

„Naturalmente.“ Flüchtig richtete er den Blick auf ihre schmalen Hände. „Sie tragen keinen Ring. Aber Sie müssen einen Geliebten haben. Es kann gar nicht anders sein.“

„Sind Sie bei Leuten, die Sie gerade erst kennengelernt haben, immer so direkt?“

„Nein.“ Entwaffnend lächelte er sie an. „Doch Sie interessieren mich, Laura. Wenn Sie mir nicht antworten möchten, habe ich dafür vollstes Verständnis.“

Laura zögerte, eigentlich wollte sie solch persönliche Dinge nicht offenbaren. Allerdings hatte sie ihn bereits einmal gekränkt, indem sie das Gästehaus verlassen hatte. „Es gibt gegenwärtig niemanden“, erwiderte sie schließlich. „Bis vor Kurzem war ich mit einem Assistenzarzt befreundet, aber er war kein Geliebter in Ihrem Sinn.“

Domenico nickte zufrieden. „Sie haben ihn nicht leidenschaftlich geliebt.“

„Ich bin keine Romantikerin, sondern ein Verstandesmensch.“

„Eines Tages werden Sie jemandem begegnen, der dies ändern wird.“ Er erhob sich. „Kommen Sie. Es ist Zeit fürs Essen.“

Während er bezahlte, erinnerte sie sich peinlich berührt, dass sie sich noch gar nicht für die gestrige Einladung bedankt hatte. Unverzüglich holte sie diese Geste nach.

„Gern geschehen.“ Er blickte auf ihre Füße. „Können Sie in diesen fabelhaften Schuhen laufen?“

„Wie weit?“

„Nur bis zu Harry’s Bar. Sie liegt ganz in der Nähe.“

„Dann ist es kein Problem.“ Laura war beeindruckt. Dort zu speisen, hätte sie sich nie und nimmer leisten können.

Offenbar war Domenico hier kein Fremder, denn der Oberkellner eilte auf sie zu, kaum hatten sie das Restaurant betreten, und sprach ihn mit Namen an. Er führte sie zu dem einzigen noch freien Tisch im ersten Stock, der für Signor Chiesa reserviert war. Verstohlen sah sich Laura in dem für venezianische Verhältnisse schlicht gestalteten Lokal um. Die Wände waren halbhoch getäfelt und mit großen Schwarz-Weiß-Fotografien amerikanischer Landschaften dekoriert.

„Der Raum ist etwas karg, und es gibt keine Terrasse, und trotzdem ist es jeden Abend voll.“

„Es macht den Anschein. Ich weiß, dass Hemingway und Churchill oft hier waren. Sind heute Abend auch irgendwelche namhaften Persönlichkeiten da?“

„Keine, die ich kenne“, antwortete er geringschätzig.

Sie funkelte ihn an. „Soll das heißen, dass nur solche Leute namhafte Persönlichkeiten sind, die Domenico Chiesa kennt?“

„Sie verspotten mich“, beschuldigte er sie mit leisem Lachen. „Und jetzt müssen Sie das Getränk probieren, das hier zum ersten Mal gemixt wurde“, fuhr er fort, als der Kellner mit zwei Gläsern zurückkehrte.

„Ein Bellini?“

„Zum Wohl.“

Der Cocktail aus frisch gepresstem weißem Pfirsichsaft und Champagner schmeckte traumhaft. „Er ist fantastisch.“

„Das freut mich! Und nun sagen Sie mir, was Sie essen möchten.“

Die Entscheidungsfindung dauerte recht lang, da Domenico ihr jedes Hauptgericht ausführlich beschrieb, nachdem sie eine Vorspeise kategorisch abgelehnt hatte. Nach langem Hin und Her bestellte er für sie schließlich überbackene Schinkennudeln, die ganz vorzüglich waren. Als er sie später zu einem Dessert überreden wollte, schüttelte sie bedauernd den Kopf.

„Vielen Dank, aber in meinen Magen passt wirklich nichts mehr hinein.“

„Dann erzählen Sie mir beim Kaffee, welche Pläne Sie für den morgigen Tag haben.“

„Ich möchte Mitbringsel kaufen, um mich danach ungestört Venedigs Sehenswürdigkeiten widmen zu können. Für meine Mutter, meine Schwester und meine beste Freundin suche ich etwas Besonderes und für ein paar Arbeitskolleginnen etwas Preiswertes – wenn dies hier überhaupt zu finden ist. Ein Tipp für die ahnungslose Touristin wäre hoch willkommen.“

Nachdenklich blickte er sie einen Moment lang an, bevor er ihr Lächeln erwiderte. „Ich kann Ihnen noch in größerem Maße behilflich sein und Sie zu den richtigen Läden führen.“

„Warum wollen Sie das machen, Domenico?“, erkundigte sie sich. „Ich glaube nicht, dass Lorenzo Sie gebeten hat, sich in diesem Umfang um mich zu kümmern.“

„Das stimmt. Ich sollte eine Unterkunft für Sie besorgen, Sie am Flughafen treffen, zum Schiff geleiten und mich vergewissern, ob Sie mit dem Zimmer zufrieden sind. Ich habe getan, was er wollte“, fuhr er fort, während er ihr in die Augen sah. „Doch jetzt, Laura, tue ich, was ich will.“

„In dem Fall muss ich Ihnen dieselbe Frage stellen, die Sie mir gestellt haben.“ Sie wich seinem Blick nicht aus.

„Und das wäre?“

„Gibt es jemanden in Ihrem Leben?“

„Nein.“ Er zuckte die Schultern. „Da war mal jemand, aber das ist vorbei.“

„Also ist es ähnlich wie bei mir.“

„Sind Sie deswegen noch traurig?“

Sie schüttelte den Kopf. „Eher erleichtert. Ich habe Edward seit einigen Jahren gekannt, doch nicht so gut, wie ich dachte. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, dass er etwas für peinliche romantische Gesten übrig hat.“

„Was hat er denn angestellt?“, erkundigte sich Domenico, nachdem der Ober den Kaffee gebracht hatte.

„Er hat mich eines Abends zum Essen eingeladen. Als der Kellner den Deckel vom Servierteller nahm, lag darunter ein Diamantring anstatt des Lachses in Zitronensauce, den ich bestellt hatte.“ Laura erschauerte. „Und dann hat er mich vor allen Gästen auf Knien gebeten, ihn zu heiraten.“

Dio! Wie haben Sie reagiert?“

„Ich konnte ihn unmöglich in aller Öffentlichkeit demütigen. Also habe ich mir den Ring anstecken und mich unter dem Beifall aller Gäste von ihm küssen lassen.“ Sie lächelte schief. „Als ich ihm den Ring später im Taxi zurückgegeben und ihm vorgeschlagen habe, dass wir Freunde bleiben könnten, hat er es vehement abgelehnt. Seither haben wir keinen Kontakt mehr.“

„Was mich nicht überrascht. Es ist nicht Freundschaft, die sich ein Mann von der Frau wünscht, die er liebt.“ Unvermittelt stand Domenico auf. „Mi scusi, Laura. Ich muss Sie einen Moment allein lassen.“

Sie beobachtete, wie er den Raum durchquerte und mit einem Ober redete. Dieser nickte, schob das Geld in die Tasche, das Domenico ihm in die Hand drückte, und verließ das Lokal.

„Trinken wir noch einen Kaffee?“ Domenico setzte sich wieder zu ihr.

„Nein, der wäre des Guten endgültig zu viel. Es war ein sehr schöner Abend. Herzlichen Dank für die Einladung.“

„Ich danke Ihnen für die reizende Gesellschaft.“

Sie gingen auf einem ganz anderen Weg zurück, als sie gekommen waren. Domenico führte sie durch stille, halbdunkle Gassen und über diverse Brücken, während er sie immer wieder auf etwas Besonderes in der Umgebung hinwies. Schließlich blieb er auf einer Brücke stehen und deutete auf das Wasser unter ihnen, in dem sich der Mond spiegelte.

„Tagsüber sollte man besser nicht auf den Brücken verweilen, aber spätabends, wenn kein Betrieb mehr herrscht, kann man es ruhig einen Augenblick lang tun. Die Geländer waren früher nicht da“, informierte er sie, „weshalb man gerade nachts besonders aufpassen musste.“

Laura lachte auf, und er nahm ihre Hand und sah sie an. „Was amüsiert Sie? Oder darf ich du sagen?“

„Ja, gern.“

„Also, was amüsiert dich?“

„Ich habe gerade gedacht, dass diese Stadt für einen Verstandesmenschen wie mich unglaublich romantisch ist.“

„Venedig meint es nicht immer so gut mit uns wie heute. Der Winter bringt Nebel, Regen und Überschwemmungen.“

„Das kann ich mir momentan nicht vorstellen.“

„Dann musst du wieder hierherkommen und dich davon überzeugen.“ Domenico zog sie näher.

Autor

Catherine George
Die öffentliche Bibliothek in ihrem Heimatort nahe der walisischen Grenze war der Ort, an dem Catherine George als Kind in ihrer Freizeit meistens zu finden war. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Mutter, die Catherines Lesehunger förderte. Zu einem Teil ist es sicher ihrer Motivation zu verdanken, dass Catherine George...
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