Verbotene Lust auf dich

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Es ist ihr Geheimnis: Viv ist in ihren besten Freund Jonas verliebt. Als er dringend eine Frau braucht, um einer arrangierten Ehe zu entkommen, ist sie bereit. Doch nie darf er von ihren Gefühlen erfahren. Viv weiß, dass Liebe für ihn ein Scheidungsgrund wäre …


  • Erscheinungstag 12.12.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751532556
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Eigentlich hielt Jonas Kim sich für einen bescheidenen Menschen, aber nun war er selbst beeindruckt von seinem Plan, den intelligentesten Mann zu überlisten, den er kannte – seinen Großvater. Er hatte nämlich vor, nicht die nette Sun zu heiraten, die aus einer angesehenen koreanischen Familie stammte und die sein Großvater für ihn ausgesucht hatte, sondern Viviana Dawson. Auch sie war attraktiv. Doch darüber hinaus war sie seine Freundin. Und worauf er am meisten Wert legte: Er konnte darauf vertrauen, dass sie die Annullierung der Ehe nicht anfechten würde, wenn es so weit war.

Viv war einfach großartig. Nicht nur weil sie dieses ungewöhnliche Vorhaben unterstützte. Sie machte auch vorzügliche Cupcakes. Zu verlieren hatte er bei der Hochzeit wirklich nichts, aber auf den Junggesellenabschied hätte er gern verzichtet. Das war einfach nicht sein Ding.

Wenigstens waren keine Stripperinnen aufgetaucht – noch nicht.

Mit seinen beiden besten Freunden war er am Morgen nach Las Vegas geflogen, und obwohl Jonas sich in Sin City nicht auskannte, war ihm klar, wie leicht sich eine Hotelsuite in einen Tummelplatz für nackte Frauen verwandeln konnte. Kaum etwas hätte er mehr verabscheut. Außer vielleicht, Sun zu heiraten. Nicht nur weil man sie für ihn ausgesucht hatte, sondern auch weil er mit ihr nur unglücklich werden würde. Sollte sich doch jemand anderes mit ihr herumplagen. Er würde morgen Viv heiraten. Das war der größte Gefallen, den gute Freunde einander tun konnten.

„Willst du das wirklich durchziehen?“, fragte Warren und öffnete die Champagnerflasche mit einem lauten Plopp.

Ein weiterer Brauch, auf den Jonas gern verzichtet hätte, doch seine Freunde würden nur lachen und sagen, dass er sich doch endlich einmal entspannen sollte. Dabei wussten sie ganz genau, dass er in einer ultrakonservativen Familie aufgewachsen war. Sein Großvater hatte altmodische Ansichten darüber, wie sich ein Geschäftsführer zu verhalten hatte, und bisher hatte er Jonas diesen Job noch nicht übertragen. Außerdem konnte es nicht schaden, ein bisschen Anstand an den Tag zu legen.

„Was genau?“, fragte Jonas. „Den Junggesellenabschied zu feiern oder euch Schwachköpfe dazu einzuladen?“

Hendrix, der zweite der beiden Schwachköpfe, grinste und nahm das Glas Champagner, das Warren ihm reichte. „Eine Hochzeit ohne Junggesellenabschied ist jämmerlich.“

„Es ist ja gar keine richtige Hochzeit. Da hätte man doch wohl auf ein paar der üblichen Rituale verzichten können.“

Warren schüttelte den Kopf. „Es ist und bleibt eine richtige Hochzeit. Auch wenn du diese Frau nur heiratest, um der Hochzeit mit einer anderen zu entgehen. Deswegen frage ich ja noch mal nach. Bist du sicher, dass es die einzige Möglichkeit ist? Ich kapiere nicht, warum du deinem Großvater nicht einfach sagst: „Nein danke, ich verzichte! Lass dich doch nicht so von ihm herumkommandieren.“

Diese Diskussion führten sie jetzt schon seit zwei Wochen. Was die Firma der Kims betraf, hielt Jonas’ Großvater die Zügel immer noch fest in der Hand – zumindest in Korea. Wenn für Jonas auch nur die geringste Chance bestehen sollte, das Unternehmen von seinem Großvater zu übernehmen und das gesamte Geschäft nach North Carolina zu verlegen, musste er jeden Schritt sorgfältig abwägen. Eine Koreanerin aus einer einflussreichen Familie zu heiraten würde ihn nur enger an ein Land binden, das er nicht als seine Heimat betrachtete.

„Ich respektiere meinen Großvater“, beschwichtigte er Warren. „Und die lebenslange Freundschaft zwischen ihm und Suns Großvater auch. Ich kann Sun nicht bloßstellen. Das würde alles zerstören.“

Sun war von der Idee, Jonas zu heiraten, begeistert gewesen. Sie hatte nämlich eine heimliche, äußerst unangemessene Affäre, die sie nur zu gern mithilfe eines Ehemanns verschleiert hätte. Ihre Großväter sprachen bereits von einer Fusion der Unternehmen, sobald beide Familien durch die Heirat verbunden wären.

Jonas wollte dabei nicht mitmachen und löste das Problem lieber gleich auf seine Art. Wenn er schon verheiratet war, konnte niemand von ihm erwarten, dass er sich an die Vereinbarung seines Großvaters hielt. Nach der Fusion konnten Viv und er die Ehe annullieren lassen, und Jonas’ käme unbeschadet aus der Sache heraus.

Die Idee war brillant und Viv der tollste Mensch der Welt. Sie bewahrte ihn davor, bei diesem Fusions-Deal unter die Räder zu kommen. Morgen würden sie ein paar Worte aufsagen, ein paar Papiere unterschreiben und schwupp … schon lösten sich seine Probleme in Luft auf.

„Seid doch einfach froh, dass bei der Sache dieser Trip nach Vegas für euch rausspringt, und haltet die Klappe“, sagte Jonas und stieß mit Warren und Hendrix an.

Seit ihrem ersten Jahr an der Duke University waren sie eng befreundet. Damals wurden sie demselben Projekt zugeordnet. Jonas Kim, Hendrix Harris und Warren Garinger hatten sich auf Anhieb gut verstanden, auch mit Marcus Powell, dem Vierten im Bunde. In ihrer Jugend hatten sie so manches angestellt – was Jonas allerdings meistens als unbeteiligter Beobachter verfolgt hatte – und waren durch dick und dünn gegangen. Bis Marcus sich eines Tages Hals über Kopf in eine Cheerleaderin verliebte, die seine Liebe jedoch nicht erwiderte. Die Folgen beeinflussten die drei Überlebenden bis heute.

„Wie denn? Stripperinnen hast du uns ja verboten“, grummelte Hendrix und kippte seinen Champagner in einem Schluck hinunter. „Ich verstehe echt nicht, was du von einem Junggesellenabschied in Las Vegas hast, wenn du nicht mal alles genießt, was dir hier quasi zu Füßen liegt.“

Jonas verdrehte die Augen. „Als hättest du nicht auch in Raleigh genug Frauen, die auf Kommando vor dir die Hüllen fallen lassen.“

„Ja, aber den Anblick kenne ich ja schon“, gab Hendrix mit einem Augenzwinkern zurück. „Da draußen gibt es noch Tausende von Frauen, die ich gern mal oben ohne sehen würde. Zu Hause muss ich mich doch jetzt benehmen. Aber was in Vegas passiert, hat keine Auswirkungen auf Moms Wahlkampf.“

Hendrix’ Mom kandidierte für das Amt des Governors von North Carolina und hatte ihren Sohn auf einen Stapel Bibeln schwören lassen, dass er ihr die Chancen nicht verbauen würde. Dafür musste Hendrix sein Privatleben komplett umkrempeln. Sein verblüffendes Talent, mit leicht bekleideten Frauen fotografiert zu werden, war bisher unentdeckt geblieben. Allerdings hatte er sein Keuschheitsgelübde auch gerade erst abgelegt. Es boten sich also noch reichlich Möglichkeiten, in einen Skandal verwickelt zu werden.

Warren ließ sich auf dem Zweisitzer neben der Fensterfront fallen. Sechzig Stockwerke unter der Sky Suite, die sie im Aria gebucht hatten, flimmerten die Lichter von Las Vegas. „Könnten wir uns vielleicht mal aufs Wesentliche konzentrieren?“, schlug er vor und strich sich das gewellte braune Haar aus dem Gesicht.

„Und das wäre?“

Warren deutete mit seinem Glas auf Jonas. „Du heiratest. Trotz unseres Pakts.“

Der Pakt.

Nachdem die Cheerleaderin Marcus am Boden zerstört zurückgelassen hatte, war er immer mehr zum Schatten seiner selbst geworden, bis er sich schließlich entschlossen hatte, seinem Schmerz für immer ein Ende zu setzen. Nach seinem Tod hatten sich die drei Freunde geschworen, der Liebe niemals so eine zerstörerische Macht über sich zu geben.

Die Erinnerung daran ernüchterte sie auf einen Schlag.

„Du weißt, mir ist unser Pakt heilig“, sagte Jonas leicht verärgert. „Aber wir haben nie geschworen, den Rest unseres Lebens Single zu bleiben. Nur, dass eine Frau niemals solche Macht über uns haben darf. Die Liebe ist das Problem, nicht das Heiraten.“

Einmal im Jahr ließen die drei alles stehen und liegen und verbrachten einen Abend im Gedenken an ihren verstorbenen Freund: um ihm ihre Ehre zu erweisen und um den Pakt zu erneuern. Das schreckliche Ereignis hatte sie alle auf unterschiedliche Weise getroffen, doch ließ man Marcus’ Mutter einmal außer Acht, war der Selbstmord seines Zimmergenossen für Warren zweifellos am härtesten gewesen.

Nur aus diesem Grund ließ Jonas ihm die Kränkung durchgehen. Denn Jonas hatte sich immer an ihre Vereinbarung gehalten, was ihm allerdings leichtergefallen war, als er jemals zugegeben hätte. Erstens hielt er sich grundsätzlich an Versprechen. Und zweitens war er nie einer Frau begegnet, in die er sich auch nur ansatzweise hätte verlieben können. Für ihn bedeutete Liebe nichts als Kontrollverlust … schon bei der Vorstellung erschauderte er. Er hatte zu viel zu verlieren, als dass er es darauf hätte ankommen lassen.

Warren sah nicht gerade überzeugt aus. „Eine Hochzeit ist das Tor zur Liebe, mein Freund. Du kannst einer Frau keinen Ring an den Finger stecken und erwarten, dass sie nicht von dem ganzen romantischen Mist träumt.“

„Doch, kann ich“, erwiderte Jonas, während Hendrix Champagner nachfüllte. „Deswegen ist es ja auch so ein toller Plan. Viv weiß genau, wie es laufen wird. Wir haben ausführlich darüber geredet. Sie hat ihren Cupcake-Laden und keine Zeit für eine feste Beziehung, geschweige denn für einen Ehemann. Ich hätte sie nicht darum gebeten, wenn sie nicht so eine gute Freundin wäre.“

Eine Freundin, die keine weiter gehenden Absichten hatte. Einzig und allein deswegen erhielt Jonas die Freundschaft schon so lange aufrecht. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit bestanden hätte, dass er Gefühle für sie entwickelte, hätte er die Verbindung zu ihr sofort gekappt. So hatte er es in der Vergangenheit immer gemacht, sobald er seine Selbstbeherrschung in Gefahr sah.

Die letzten Tropfen Champagner trank Hendrix direkt aus der Flasche. Nachdenklich kniff er seine klaren haselnussbraunen Augen zusammen, als er die leere Flasche auf einen der Beistelltische stellte. „Wenn sie eine so gute Freundin ist, warum haben wir sie dann noch nicht kennengelernt?“

„Ist das dein Ernst? Du wunderst dich, warum ich sie von dem Mann fernhalten will, der sogar eine Nonne herumkriegen könnte?“

Grinsend wies Hendrix mit dem Kopf auf Warren. „Bei Mr. Tugendhaft hier sollte das dann ja wohl kein Problem sein. Und trotzdem hat er sie noch nie zu Gesicht bekommen.“

Jonas zuckte mit den Schultern. „Morgen bei der Trauung werdet ihr sie ja kennenlernen.“

Das ließ sich nicht vermeiden. Aber wie sollte er diesen Dummköpfen von Freunden erklären, dass Viv etwas Besonderes war? Schon vom ersten Moment an war er von ihrem strahlenden Lächeln und ihrer Großzügigkeit fasziniert gewesen.

Die kleine Confiserie mit Namen Cupcaked befand sich in der Nähe seiner Firma und war ihm von einem seiner Verwaltungsangestellten wärmstens empfohlen worden. Also war er dort vorbeigegangen, um für seine Mitarbeiter ein kleines Dankeschön zu besorgen. Während er in der überraschend langen Schlange stand, kam eine hübsche Brünette aus dem hinteren Bereich. Sie hätte seine Aufmerksamkeit ohnehin erregt, doch als sie nach draußen ging und einem Kind, das sich fast eine Viertelstunde lang die Nase an der Scheibe platt gedrückt hatte, einen Cupcake schenkte, musste Jonas sie einfach ansprechen.

Seit fast einem Jahr ging er nun regelmäßig dort vorbei und holte sich einen von ihren unwiderstehlichen Zitronen-Cupcakes. Manchmal ließ Viv sich von ihm zu einem Kaffee einladen, irgendwohin, wo sie nicht zwischendurch aufspringen musste, um Leute zu bedienen. Und manchmal holte sie ihn sogar in der Firma ab, um mit ihm Mittagessen zu gehen.

Es war eine angenehme, ungezwungene Freundschaft, die er sehr zu schätzen wusste. Es bestand keinerlei Gefahr, dass sich mehr daraus entwickelte; schließlich war auch Viv überhaupt nicht daran interessiert. Sie schliefen nicht miteinander. Aber niemals würden seine Freunde diese Art von Freundschaft verstehen.

Doch das war ihm egal. Er war mit seiner Situation zufrieden. Viv tat ihm einen Gefallen, und im Gegenzug würde er für den Rest ihres Lebens ihr kostenloser Unternehmensberater sein. Immerhin hatte Jonas es geschafft, Kim Electronics in den amerikanischen Markt einzuführen, und im letzten Jahr einen Umsatz von 4,7 Milliarden Dollar erzielt. Im Hinblick auf ihre Bilanzen konnte ihr also nichts Besseres passieren. Und er nahm sich gern Zeit für sie.

Jonas brauchte nur ihre Unterschrift auf dem Heiratsdokument. Dann musste er sich ruhig verhalten, bis die von seinem Großvater geplante Fusion abgeschlossen war. Danach konnte Viv wieder Single sein, und er hätte die Gefahr noch einmal abgewendet.

Warrens Standpunkt, Frauen kämen bei einer Hochzeit auf romantische Gedanken, war absoluter Schwachsinn. Jonas machte sich keine Sorgen darum, den Pakt nicht einhalten zu können. Ebenso wie für seinen Großvater war Ehre auch für ihn der moralische Kompass. Liebe bedeutete einen Kontrollverlust, dem andere Männer erliegen mochten, aber nicht er. Niemals würde er seinen Freunden in den Rücken fallen oder die Erinnerung an ihren Freund beschmutzen.

Und dafür brauchte er nur eine Frau zu heiraten, die keinerlei romantische Gefühle für ihn hegte.

Viviana Dawson hatte sich ihre Hochzeit schon oft ausgemalt, aber mit einem solchen Chaos in ihrer Magengegend hatte sie nicht gerechnet. Es fühlte sich an wie ein Cocktail aus Aufregung und Panik.

Noch ein paar Minuten, dann würde sie Jonas heiraten, und das Was wäre, wenn? brachte sie schier um den Verstand.

Jonas Kim hatte ihr einen Antrag gemacht. Jonas! Der Mann, für den Viv ein Jahr lang jedes Date ausgeschlagen hatte. Denn wer wäre so perfekt wie er? Niemand.

Ach so, klar … er hatte die Hochzeit als Gefallen verpackt und die Bedingung gestellt, die Ehe so schnell wie möglich zu beenden. Trotzdem. Immerhin wäre sie für eine gewisse Zeit Mrs. Kim.

Wobei die Ehe nur von kurzer Dauer sein konnte, wenn er merkte, dass sie sich total in ihn verknallt hatte.

Das durfte einfach nicht passieren. Erstens würde es ihre Freundschaft zerstören. Und zweitens? Zweitens hatte sie gar nicht vor, eine feste Beziehung einzugehen. Jedenfalls nicht, bevor sie nicht genau wusste, was sie in ihrem bisherigen Liebesleben falsch gemacht hatte.

Ihre Schwestern glaubten, sie wäre zu anhänglich und würde klammern; sie fand es wichtig, in einer Beziehung verbindlich zu sein. Jedenfalls war es so, dass die Männer immer irgendwann Schluss machten.

Die kitschige Hochzeitskapelle glich nicht einmal annähernd dem Schauplatz aus ihrer Fantasie, doch sie hätte Jonas auch in einer Kläranlage geheiratet, wenn er sie darum gebeten hätte.

Ganz allein und nicht allzu glücklich darüber betrat sie die Kapelle. Mittlerweile hatte sie das Gefühl, sie hätte doch darauf bestehen sollen, dass eine ihrer Schwestern sie nach Las Vegas begleitete. Vielleicht als Trauzeugin.

Sie hätte wirklich jemanden gebrauchen können, der sie an die Hand nahm, aber das ging nun nicht mehr. Sie hatte keiner ihrer Schwestern etwas von der Hochzeit erzählt, nicht einmal Grace, der sie sonst alles anvertraut hatte. Bis Grace eine Familie gegründet und sich zurückgezogen hatte, ebenso wie ihre anderen beiden Schwestern.

Sie straffte die Schultern. Eine Scheinehe war genau das, was sie wollte. Mehr oder weniger jedenfalls. Natürlich wollte sie später eine richtige Ehe. Aber diese hier verschaffte ihr Zugang zum geheimnisvollen Club der Verheirateten, dem die anderen Dawson-Schwestern bereits angehörten. Außerdem brauchte Jonas sie. Sie hatte also nichts zu verlieren.

Die Atmosphäre in der Kapelle wirkte friedlich und viel weihevoller, als sie es von einem solchen Hochzeits-Drive-in erwartet hatte. Die Stille ließ sie erschauern, und ihre Haut fühlte sich klamm an. Vorher war all das nur in ihrer Vorstellung geschehen, aber jetzt wurde es Wirklichkeit. Konnte man innerhalb von zwei Minuten einen Nervenzusammenbruch erleiden und sich wieder erholen? Sie wollte nicht eine Sekunde ihrer Hochzeit verpassen. Aber vielleicht sollte sie sich doch besser kurz hinsetzen.

Als sie Jonas sah, war ihre Nervosität auf einmal wie weggeblasen. Er trug einen eleganten Anzug, der seinen athletischen Körper zur Geltung brachte. Sofort war sie umgeben von seiner Energie. Das war schon bei ihrer ersten Begegnung so gewesen, als er nicht etwa den süßen Köstlichkeiten im Schaufenster ihres Ladens Beachtung geschenkt hatte, sondern ganz allein ihr.

Er lächelte gern, und noch lieber lachte er, und so tauchte Jonas Kims wundervoll markantes Gesicht nicht selten in Vivs Träumen auf. Auch sein Körper konnte einen umhauen. Er war immer in Topform, da er mit seinen Freunden regelmäßig Racquetball spielte. Viv hatte Stunden damit verbracht, sich vorzustellen, wie er mit glänzendem, nacktem Oberkörper den Schläger schwang.

Seine dunklen ausdrucksstarken Augen leuchteten, als er sie entdeckte. Er durchquerte die kleine Halle und umarmte Viv. Wie von allein legten sich ihre Arme um seine Taille. Sie hatte keine Ahnung, warum. Schließlich war es das erste Mal, dass sie sich so nah kamen.

Er roch extrem gut.

Jetzt wäre wohl der passende Moment, die Sprache wiederzufinden. „Hey.“ Toll. Sie hatten schon die angeregtesten Gespräche geführt, hatten über die Kombination von Fisch und Rotwein gelästert, ausdiskutiert, warum es am Strand schöner war als in den Bergen, und sich über Shakespeare und die Simpsons unterhalten. Aber kaum lag sie in den Armen dieses Mannes, für den sie seit Monaten schwärmte, brachte sie kein Wort heraus.

Er trat einen Schritt zurück. Aber das half auch nicht. Außerdem war ihr jetzt kalt.

„Ich bin echt froh, dass du hier bist“, sagte er. Seine sanfte Stimme ließ ihre Nerven vibrieren. Obwohl er in North Carolina geboren war, sprach er kaum mit Akzent.

„Ohne Braut keine Hochzeit“, klärte sie ihn auf. Oh, was für ein Glück, sie konnte doch noch sprechen, wenn auch nur, um das Offensichtliche hinauszuposaunen. „Bin ich passend angezogen für eine Fake-Hochzeit?“

Er betrachtete sie eingehend. „Du siehst wunderschön aus. Und du hast dir sogar extra ein neues Kleid gekauft. Das gefällt mir.“

Das war der Grund, warum sie all die Idioten hatte abblitzen lassen, die mit Sprüchen wie „Krieg ich deine Nummer? Dann glasiere ich deine Cupcakes mit Guss“ bei ihr zu landen versuchten. Jonas achtete auf sie; ihm fiel sogar auf, wenn sie neue Kleidung trug. Das gelbe Kleid hatte sie ausgesucht, weil er irgendwann mal erwähnt hatte, dass er die Farbe mochte.

Deshalb fand sie es umso erstaunlicher, dass er noch nicht bemerkt hatte, wie sehr sie auf ihn abfuhr. Entweder konnte sie es einigermaßen gut verbergen – was sie kaum zu glauben wagte –, oder er wusste es längst und hatte es ihr zuliebe nicht angesprochen.

Ihr Puls raste plötzlich. Nein, er konnte es nicht wissen, sagte sie sich zum wiederholten Mal.

„Ich wollte gut aussehen“, sagte sie. Für dich. „Für die Fotos.“

Er lächelte. „Das ist dir gelungen. Darf ich dir Warren vorstellen?“

Jonas drehte sich um und legte automatisch den Arm um sie und hmm … das war schön. Sie benahmen sich jetzt schon wie ein Paar. Es fühlte sich alles so selbstverständlich an. Ob er es auch spürte?

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sich noch ein anderer Mann im Foyer befand. Sie hatte ihn überhaupt nicht bemerkt, obwohl er wie ein Magnet auf Frauen wirken musste, mit diesen Wangenknochen und dem exklusiven Haarschnitt. Sie reichte ihm die Hand. Jonas hatte ihr schon viel von Warren erzählt. „Schön, dich kennenzulernen. Jonas spricht in den höchsten Tönen von dir.“

„Das kann ich nur zurückgeben“, sagte Warren und warf Jonas einen vieldeutigen Blick zu. „Bestimmt hat er übertrieben.“

Wohl kaum. Auch ohne Jonas’ Hinweise hätte sie gewusst, wie gut die Firma seines Freundes lief. Das Logo des Energydrinks Flying Squirrel sah man schließlich überall.

Jonas winkte schmunzelnd ab. „Ganz wie du meinst. Wo steckt eigentlich Hendrix?“

„Keine Ahnung. Ich bin doch nicht sein Babysitter“, gab Warren achselzuckend zurück. Dann zog er sein Handy hervor. „Ich schicke ihm eine Nachricht. Er kommt bestimmt gleich.“

Jonas schien vergessen zu haben, dass er seinen Arm immer noch um Vivs Taille geschlungen hatte, und sie würde ihn ganz bestimmt nicht davon abbringen. Mit festem Griff geleitete er sie durch die geöffnete Flügeltür ins Innere der Kapelle. Nun ja, wenn diese fast schon intime Geste zu dem Hochzeitspaket dazugehörte, sagte sie nicht Nein.

„Ich werde nicht auf diesen Vollidioten warten“, rief Jonas über die Schulter zurück. „Hier stehen noch Tausende von Paaren Schlange, und ich will mich nicht noch mal hinten anstellen.“

Warren, immer noch mit seinem Handy beschäftigt, winkte und nickte.

„Tolle Freunde“, raunte Jonas ihr lächelnd zu, sein Gesicht dicht an ihrem. Trotz ihrer High Heels war er größer als sie, was ihr nie so deutlich aufgefallen war wie jetzt, wo er sie noch immer so eng umschlungen hielt, als wollte er sie nie wieder loslassen. „Heute ist ein wichtiger Tag in meinem Leben, und schau sie dir nur mal an.“

„Ich bin doch hier.“ Solange er sie brauchte.

Erst recht, wenn er vorhatte, sie von nun an öfter in seinen Armen zu halten. Seine warme Hand auf ihrer Taille wirkte seltsam beruhigend auf ihre Nerven. Stattdessen hatte sie nun Schmetterlinge im Bauch.

Puh, war das heiß hier drinnen. Sie widerstand dem Drang, sich Luft zuzufächeln. Bei seiner Berührung verspürte sie in bestimmten Teilen ihres Körpers eine überraschend starke Hitze.

Er lächelte noch breiter. „Ja, du bist hier. Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie dankbar ich dir bin? Du hast gerade den Platz der weltbesten Freundin eingenommen, und du bist die Einzige, die ihn auch wirklich verdient.“

Wie hart man doch manchmal auf dem Boden der Tatsachen landen konnte! Aber das war wohl notwendig. Hier ging es um einen Gefallen. Diese Hochzeit war kein Vorwand, um ihr näherzukommen.

Okay. Na schön. Dann waren sie eben nur gute Freunde, und das war vollkommen in Ordnung. Sie hatte nun einmal die Angewohnheit, sich Männern voll und ganz hinzugeben. Leider waren die Männer meistens nicht bereit, sich ebenso sehr auf sie einzulassen. Mark hatte es etwas länger mit ihr ausgehalten als Zachary, und sie dachte nicht gern daran zurück, wie schnell sie Gary und Judd verjagt hatte. Die traurige Bilanz ihrer Zwanziger war, dass sie ihre Beziehungen an einer Hand abzählen konnte.

Deshalb konnte ihr momentan nichts Besseres passieren als eine Zweckehe, von der sie bereits wusste, wie sie ausgehen würde. Es war, als würde man die letzte Seite eines Buches zuerst lesen. Eigentlich recht vielversprechend für jemanden, der lieber mit Blumen überrascht wurde als mit Gesprächen à la „Wir müssen reden“.

Keinerlei Druck. Kein Grund, sich an Jonas zu klammern und ihn damit in die Flucht zu schlagen. Sie konnte sich clever und unabhängig verhalten und mit dieser Ehe ihr Selbstvertrauen stärken. Jonas hatte sie bereits gefragt, ob sie zu ihm ins Penthouse an der Boylan Avenue ziehen wollte. Solange sie es nicht vermasselte und durchblicken ließ, wie sehr sie jede Faser dieses Mannes begehrte, war alles bestens.

Sie lächelte ihn an – ihren Freund, der bald ihr Mann sein würde. Sie waren Freunde mit gewissen Vorzügen, allerdings nicht im sexuellen Sinne. Das durfte sie nicht vergessen.

Eine Dame in einem giftgrünen Kostüm kam auf sie zu und stellte sicher, dass es sich bei ihnen um das glückliche Paar handelte, nur um gleich darauf den Ablauf der Trauung herunterzuleiern. Wäre es ihre richtige Hochzeit gewesen, wäre Viv vermutlich enttäuscht gewesen von so viel Nüchternheit.

Es dauerte keine Minute, da ertönte klassische Orgelmusik aus den Lautsprechern, und die Dame drückte Viv einen leicht verwelkten Brautstrauß in die Hand. Sie hielt ihn nah bei sich und fragte sich, ob sie ihn wohl behalten durfte. Schon eine einzige Blume würde ihr reichen. Sie könnte sie in einem Buch trocken pressen, zur Erinnerung an die Hochzeit mit diesem großartigen Mann, der sie immer so gut und respektvoll behandelte.

Vollkommen gelassen führte Jonas sie zum Altar. Klar. Warum hätte er auch nervös sein sollen? Schließlich war das hier seine Show, und er besaß ohnehin ein gesundes Selbstbewusstsein.

Am Altar stand sein Freund Warren neben einem älteren Herrn, der eine Bibel in der Hand hielt. Jonas und Viv blieben an der Stelle stehen, die ihnen die Frau vorher gezeigt hatte. Ermutigend lächelte Jonas Viv zu.

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