Verbotene Sehnsucht nach deiner Liebe

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Ein Herz und eine Krone? Ein letztes Mal möchte Prinzessin Luciana vor ihrer arrangierten Hochzeit die Freiheit genießen - und reist undercover nach Florenz. Ein gefährlicher Plan, denn schon am ersten Tag wird sie nicht nur von Taschendieben bedrängt, auch ihr sexy Retter stürzt sie in einen Strudel prickelnder Leidenschaft. Aber wer kann bei einem blonden Adonis wie Giovanni Grassi schon an Etikette denken? Dass er ihr ein Leben ohne Zwänge zeigt, ist für sie das größte Glück. Doch sie weiß, eine Zukunft mit dem smarten Italiener kann es nicht geben …


  • Erscheinungstag 04.06.2019
  • Bandnummer 122019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712242
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Prinzessin Luciana de la Isla de Izerote atmete die warme florentinische Luft tief ein. Die heimliche Flucht aus ihrer Heimat, einer Insel vor der spanischen Küste, hatte sich schwierig gestaltet. Doch nun war sie endlich in der Toskana angekommen, die so ganz anders wirkte als die gewohnte Meerlandschaft. Aber die Befreiung, die sie sich davon verspochen hatte, wollte sich nicht einstellen.

Tatsächlich begann Luciana, sich so allein sogar zu fürchten. Nachdem sie erfolglos versucht hatte, bei einem Juwelier einen Rubin aus dem königlichen Besitz zu Geld zu machen, war sie viel zu schnell davongelaufen und außer Atem. Schlimmer noch, drei halbwüchsige Jungen verfolgten sie anscheinend. Sie drehte den Kopf gerade weit genug, um zu sehen, dass sie verwahrlost waren und schäbige T-Shirts und Jogginghosen trugen. Diese unerwünschten Begleiter ließen ihren gesamten Fluchtplan nicht nur leichtsinnig erscheinen, sondern sogar gefährlich.

Bambolina, zeig mal deine Halskette“, rief einer der Jungen, während sie immer weiter zu ihr aufschlossen. „Wir kaufen deinen Schmuck.“

Luciana beschleunigte ihre Schritte. Sie war nach Florenz gekommen, um ein Abenteuer zu erleben, bevor sie den Rest ihres Daseins in königlicher Pflichterfüllung verbrachte. Eine Verfolgung durch Rowdys war dabei allerdings nicht vorgesehen. Wahrscheinlich wollten sie ihr den Schmuck stehlen, dessen Verkauf ihre Reise finanzieren sollte. Denn sie hatte kein Bargeld zur Verfügung. Die Prinzessin verfiel fast in Laufschritt und umklammerte dabei den Rubinanhänger an seiner schweren Kette. Sie hatte die Orientierung verloren und wusste nicht mehr, wohin sie lief.

Luciana war sich nicht sicher, ob ihre Verfolger gesehen hatten, dass sich noch mehr Schmuck in der Tasche befand, die sie an dem langen Lederriemen diagonal über Schulter und Oberkörper trug. Als sie jetzt vor den Jungen davonlief, schlug die Tasche rhythmisch gegen ihre Hüfte, und auch der Rollkoffer mit ihrem Gepäck, den sie hinter sich herzog, behinderte sie. Die Prinzessin wollte drei Wochen in Florenz verbringen und dann nach Izerote zurückkehren – zu ihren Verpflichtungen, einschließlich ihrer arrangierten Hochzeit mit dem verwitweten, dreißig Jahre älteren König einer Nachbarinsel, Agustin de la Isla de Menocita.

Luciana hatte lange über diese Flucht nachgedacht und ihren Weg nach Florenz sowie die Finanzierung der Reise genauestens geplant. Doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Schmuckverkauf so problematisch sein würde. Da sie über keinerlei Erfahrung verfügte, hatte sie nicht gewusst, dass die Geschäfte Eigentumsnachweise und Echtheitszertifikate verlangen würden.

Nachdem sie die erste Etappe von der Insel bis nach Barcelona bewältigt hatte, benötigte sie Bargeld für das Bahnticket nach Florenz und für Proviant. Jeder Juwelier schickte sie zum nächsten mit weniger gutem Ruf, bis sie schließlich einen fand, der ihr den Amethystring weit unter Preis abkaufte.

Großstädte waren ihr nicht vertraut, da sie die meiste Zeit ihres Lebens auf Izerote hinter Palastmauern verbracht hatte. Sie verließ den Palast nur, um offiziellen Verpflichtungen nachzukommen oder soziale Einrichtungen zu besuchen. Dabei wurde sie stets vom königlichen Sicherheitsdienst begleitet und nutzte ausschließlich private Fahrzeuge, Schiffe und Jets. Und genau deshalb war sie nach Florenz gereist – die Stadt, in die sie sich dank Kunstwerken, Büchern und Filmen verliebt hatte. Hier wollte sie sich ihren Lebenstraum erfüllen, einmal eine schlichte Touristin sein, ohne Reiseplan und Leibwächter ihrer Wege gehen zu können.

Doch die Schwierigkeiten beim Schmuckverkauf und diese Verfolgung direkt nach Lucianas Ankunft verwandelten ihn in einen Albtraum.

„Bella.“ Einer der Jungen kam ihr noch näher, und die schrille Art, wie er das Kosewort aussprach, erschreckte sie.

„Signorina. Carina. Tesoro …“ Ein weiterer hüpfte an ihre andere Seite und versuchte mit allen erdenklichen Schmeicheleien, sie zum Stehenbleiben zu bewegen.

Mit einem Ruck zog sie den Koffer zu sich heran und lief noch schneller. Ihr Herz raste. Sie überlegte, um Hilfe zu rufen, doch sie wollte keinerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ihre winzige Inselheimat war in der Welt nicht sonderlich bekannt, aber trotzdem war sie eine Prinzessin, und wenn sie womöglich eine Aussage machen müsste, würde es merkwürdig anmuten, dass sie sich allein auf den Straßen von Florenz herumtrieb. Niemand wusste, dass sie sich hier aufhielt, und so sollte es auch bleiben.

Sie bog um eine Ecke. Die Jungen jagten ihr nach, und einer zerrte am Riemen ihrer Tasche.

„Hört auf. Lasst mich in Ruhe“, schrie Luciana und riss sich los.

Insgeheim rechnete sie fast damit, dass die Sicherheitsleute ihres Vaters König Mario sie längst ausgetrickst hatten, genau wussten, wo sie sich befand und jeden Moment unsichtbare Bodyguards ausschickten, die sie zurück nach Izerote holten und ihrer großartigen Flucht ein jähes Ende setzten. Im Moment wünschte Luciana es beinahe.

Rasch zog sie sich die Tasche vor den Bauch und entnahm ihr ungesehen von den Jungen den restlichen Schmuck, den sie fest in der freien Hand verbarg. Wenn es ihnen gelang, ihr die Tasche zu stehlen, würden sie wenigstens nichts Wertvolles mehr darin finden.

„Los, gib uns die Tasche“, johlte einer der Jungen in drohendem Ton.

„Geht weg“, rief Luciana. Sie sah sich suchend um, und ihr Koffer geriet ins Wanken. Als sie sich wieder umdrehte, stolperte sie über irgendetwas und stieß direkt gegen …

… den breiten Oberkörper eines Mannes. Das heißt, mit dem Gesicht landete sie mitten an dessen muskulöser Brust. Der Stelle nach zu urteilen, wo ihre Nase ihn getroffen hatte, musste der Mann ziemlich groß sein. Mindestens eins neunzig. Unwillkürlich drehte sie den Kopf ein wenig zur Seite, sodass ihre Wange an seiner Brust ruhte, die sich stark und warm anfühlte. Außerdem roch er nach frischer Wäsche, und das gefiel Luciana. Zwar war ihr klar, dass sie sich von dem Mann lösen sollte, um ihm ins Gesicht zu sehen, doch etwas in ihr widerstrebte diese Vorstellung. Sie wollte sich zunächst einmal einfach nur an diese harte Brust schmiegen.

„Hallo“, ließ sich die Stimme des Mannes vernehmen. „Brauchst du Hilfe?“ Sein sehr tiefes Timbre hüllte sie ein. Womöglich war er ein weiterer Feind, aber so fühlte es sich nicht an.

„Diese Jungen wollen mir die Tasche stehlen.“ Prinzessin Luciana umklammerte ihren Schmuck so fest, dass sich ihre Fingernägel in die Handfläche bohrten.

Der Mann reagierte so, wie sie es mit jeder Faser ihres Körpers erhofft hatte, seit sie ihn angerempelt hatte. Er legte die Arme um sie und zog sie fest an sich. Mia amata“, sprach er sie an, als wäre er ihr Liebhaber. „Du kommst so spät. Ich war auf dem Weg zum Bahnhof, um dich zu suchen.“

Luciana verstand, dass er vorgab, mit ihr zusammen zu sein, um diese Möchtegern-Gangster abzuschütteln, und spielte mit. „Ich habe noch bei einem Juwelier hereingeschaut.“

„Kann ich etwas für Sie tun, meine Herren?“ Der Pseudo-Liebhaber wandte sich den Rüpeln zu. Die Jungen antworteten nicht, lungerten aber immer noch um sie herum. „Ich wiederhole: Kann ich etwas für Sie tun?“, rief der Mann, der die Prinzessin in seinen starken Armen hielt, so drohend, dass die Jungen es nun doch mit der Angst zu tun bekamen.

Luciana legte den Kopf in den Nacken, um ihrem Retter ins Gesicht schauen zu können. Nicht genug damit, dass sie Schutz an seiner Brust fand und seine Stimme unglaublich klang, blickte sie nun auch noch in das Gesicht eines der schönsten Männer, die sie je gesehen hatte.

Der helle Teint betonte die strahlend blauen Augen. Er hatte hohe Wangenknochen, einen sinnlichen Mund und wunderschöne blonde Locken wie auf einem Porträt aus der Renaissance, einer Ära, in der Florenz überschäumte von intellektuellen, wissenschaftlichen und kreativen Entdeckungen. Eine historische Epoche, die einen der Gründe darstellte, warum Luciana diese bedeutsame Stadt erkunden wollte.

„Nein, nein, Signore“, sagte einer der Jungen in ihrem Rücken.

„Wir machen nur einen Spaziergang an diesem schönen Tag“, fügte ein anderer hinzu.

Erst als die Jungen sich verzogen hatten, ließ der Mann mit den vollen blonden Locken Luciana los. Zum ersten Mal blickten sie einander direkt in die Augen – und Luciana glaubte, vom Blitz getroffen worden zu sein, was allerdings angesichts des sonnigen Wetters eher unwahrscheinlich war.

Der blauäugige Mann begann, den langen Riemen zu entwirren, den die Prinzessin sich um den Arm gewickelt hatten, als die Jungen versuchten, ihr die Tasche zu entreißen. Es war nicht einfach, und er konzentrierte sich ganz und gar auf diese Tätigkeit. Endlich legte er Luciana den Riemen behutsam über die Schulter, und die Tasche hing wie vorgesehen wieder neben ihrer Hüfte.

Dass sich dieser fremde Mann so um sie kümmerte, überraschte Luciana. Und dieses Verhalten war ihr völlig neu. Bürgerliche durften sie nicht berühren, es sei denn, um ihr bei offiziellen Anlässen oder Militärparaden unter strenger Aufsicht die Hand zu schütteln. Dass traumhaft schöne Männer sie in den Arm nahmen, war undenkbar.

Erst jetzt fiel Luciana wieder ein, was sie in der fest geschlossenen Faust hielt. „Du meine Güte, ich habe völlig vergessen, dass ich die ganze Zeit über meinen Schmuck in der Hand habe. Ich habe fest damit gerechnet, dass diese Jungen mir die Tasche stehlen, deshalb habe ich sie ausgeräumt.“

„Warum trägst du derartige Wertsachen durch die Straßen?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

Die Prinzessin öffnete ihre Tasche und verstaute den Schmuck in einem Seitenfach mit Reißverschluss. Wie der Mann schon sagte, war es absurd, dass sie die königlichen Juwelen, die sie zur Finanzierung ihrer Reise in die Freiheit ausgewählt hatte, schlecht geschützt in einer einfachen Ledertasche bei sich trug. Und das war nur eine der womöglich verrückten Entschlüsse, die sie gefasst hatte.

Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Danke.“ Sie neigte den Kopf vor dem Mann, der einem Renaissance-Gemälde entstiegen zu sein schien. „Du hast mich gerettet und vor Schaden bewahrt.“

„So bin ich. Ein wahrer Märchenprinz.“

Nie hatte ihre Königliche Hoheit Prinzessin Luciana de la Isla de Izerote sich dringlicher gewünscht, dass Worte wahr wären.

„Darf ich dich zu deinem Ziel begleiten?“, fragte ihr schöner Retter, als die Rüpel längst außer Sichtweite waren.

„Ja“, antwortete Luciana, obwohl sie nicht wusste, was ihr Ziel war. Was ihr, als sie in Hochgeschwindigkeitszügen durch Spanien und Frankreich nach Italien düste, wie eine herrliche Befreiung erschienen war. Zu gehen, wohin auch immer sie wollte, wann immer sie wollte. An keinen Plan gebunden, von keinem Gefolge begleitet zu sein. Jetzt aber machte ihr diese ungewohnte Freiheit Angst.

„Übrigens, ich bin Gio. Giovanni Grassi. Und du bist …?“ Er griff nach Lucianas Koffer und begann, ihn mit sich zu ziehen.

„Luci…“ Dabei beließ sie es, bei dem Kosenamen, mit dem ihre Mutter sie gerufen hatte, als sie noch klein war. Einem Namen, den sie seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Ihre Mutter war gestorben, ohne sich die ersehnte kleine Eigenständigkeit zu erobern, die Luciana sich wünschte.

„Es ist mir ein Vergnügen, Luci.“

Sie war sich nicht sicher, ob sie zulassen sollte, dass dieser Mann, den sie nicht kannte, ihren Koffer zog. Wenn er nun mit ihm davonlief? Oder wenn er Luciana in eine Falle lockte, um ihre Juwelen zu stehlen?

Prinzessin Luciana spürte, dass er es gut mit ihr meinte. Schließlich hatte ihn niemand gezwungen, ihr zu Hilfe zu eilen. Und sie konnte nun, da die bedrohlichen Jungen vertrieben waren, nicht einfach auf der Straße stehen bleiben. Sie hatte die Orientierung verloren – wenngleich sie vorher auch nicht wusste, wohin sie wollte. Hätte sie den Rubin verkaufen können, wäre sie zum Bahnhof zurückgekehrt, um nach einem Fremdenverkehrsbüro Ausschau zu halten, in dem man ihr bei der Suche nach einer Unterkunft hätte helfen können. Das könnte sie auch jetzt noch tun. Doch mittlerweile wäre ihr unbehaglich zumute, wenn sie mit ihrem Schmuck allein durch die Straßen lief.

Also gingen sie weiter, und Gio zog Lucianas Koffer. Prinzessin Luciana bemerkte ihr Spiegelbild in einem Schaufenster. In dem Tumult ihrer Ankunft, dem Fehlschlag beim Juwelier und der Bedrohung durch die Jungen hatte sie völlig vergessen, dass sie zur Tarnung eine Perücke trug. Wenngleich Izerote keine berühmte Insel war und die Monarchie nicht so bedeutend, dass Lucianas Gesicht auf der ganzen Welt bekannt wäre, war doch anzunehmen, dass ihr Vater ihr einen Suchtrupp hinterherschickte. Obwohl sie ihm eine Nachricht hinterlassen hatte, in der sie versprach, in drei Wochen zurückzukommen und wie vorgesehen König Agustin zu heiraten. Wenn ihre Verkleidung bewirkte, dass König Marios Handlanger ihre Spur verloren, erfüllte sie ihren Zweck. Außerdem freute sie sich über ihr verändertes Aussehen.

Verschwunden waren die langen mädchenhaften Locken, die an so manchem Abend das Diadem der Familie schmückte. Jetzt war die dichte braune Pracht zusammengebunden und unter einer blonden Perücke im Long-Bob-Style verborgen, die sie in Barcelona gekauft hatte.

Das Haar fiel ihr erstaunlich echt wirkend in seidig glänzenden Stufen bis auf die Schultern, wo es sich leicht nach innen rollte. Mit jeder Bewegung raschelte es leise, und es gab Luciana das Gefühl der Unbeschwertheit. Was in krassem Gegensatz zu dem durchgeplanten Dasein stand, das sie bisher gekannt hatte. Auch wenn ihre jetzige für sie so untypische Art, einfach drauflos zu leben, sie beinahe in Gefahr gebracht hätte.

„Wohin, Signorina?“

Die Verfolgung durch diese Jungen hatten ihr unvermittelt die Risiken vor Augen geführt, auf die sie gefasst sein musste, und jetzt wusste sie nicht, was sie Gio Grassi antworten sollte. Ja, seine schönen blauen Augen waren vertrauenerweckend, doch Äußerlichkeiten sagten nichts aus.

Trotzdem, irgendwo musste sie anfangen.

„Ich weiß nicht, Gio. Ich bin mit weniger Geld als geplant in Florenz angekommen. Kennst du vielleicht ein preisgünstiges Hotel?“

„Nein, tut mir leid. Ich bin hier in Florenz aufgewachsen, aber viele Jahre geschäftlich unterwegs gewesen. Ich kenne mich in der Stadt nicht mehr aus.“

Sie war enttäuscht. Barcelona hatte ihr die Augen geöffnet, als sie feststellen musste, dass der Juwelier, dem sie ihr erstes Schmuckstück verkaufen wollte, sich weigerte, es ohne entsprechende Nachweise anzunehmen. Sie hatte angegeben, der Schmuck hätte ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter gehört.

Auf ihre Bitte hin hatte der Juwelier sie an einen anderen verwiesen, der ebenfalls ablehnte und sie zum nächsten schickte, der in einem heruntergekommenen Stadtviertel angesiedelt war. Er gab ihr bedeutend weniger, als sie ihrer Schätzung nach für dieses erste Stück hätte bekommen müssen. Jetzt wusste sie, dass sie auf dieser Reise sparsamer haushalten musste als ursprünglich geplant.

Das war nebensächlich. Immerhin war sie angekommen.

„Ich muss mehr Schmuck verkaufen.“

„Mehr Schmuck? Heißt das, du hast bereits welchen verkauft?“

Ja, aber das brauchte sie Gio nicht zu erzählen.

„Ich habe es in einem Geschäft in Bahnhofsnähe versucht. Von dort aus sind diese Jungen mir gefolgt.“

„Florenz ist eine große Stadt voll reicher und armer, ehrlicher und unehrlicher Menschen. Du musst auf Schritt und Tritt auf der Hut sein.“

Das hatte Luciana bereits auf die harte Tour gelernt. Doch als sie auf eine piazza, einen öffentlichen Platz, einbogen, vergaß sie ihre Sorgen, und ein strahlendes Lächeln trat auf ihre Lippen. Das war es. Das Florenz, das sie in Filmen und auf Reiseseiten im Internet gesehen, über das sie in Büchern gelesen hatte. Firenze, die Hauptstadt der Toskana, mit Jahrhunderten von Handel und Finanzwirtschaft, Kunst und Medizin, Religion und Politik.

Auf der piazza wimmelte es von Menschen. Modisch gekleidete Mädchen knipsten kichernd Selfies. Eine Reisegruppe älterer Touristen blieb pflichtschuldigst stehen, um sich von ihrem Stadtführer auf Sehenswürdigkeiten hinweisen zu lassen. Vier Männer stritten sich vor einem Laden; ihre lauten Stimmen und ihr wildes Gestikulieren wies sie eindeutig als Italiener aus. Eine Kinderschar jagte Tauben, ein Liebespärchen saß auf einer Bank und teilte sich eine frische Orange.

Um dies zu sehen, war Luciana nach Florenz gereist. Um Teil der Stadt zu sein, die sie schon immer fasziniert hatte, und sei es auch nur für einen gestohlenen Moment in ihrem Leben. Sie atmete tief durch. Die Luft war nicht so rein wie auf der urwüchsigen Insel Izerote. Florenz verfügte über einen ganz eigenen Duft, vermutlich schon seit jeher.

Für Luciana roch es nach freiem Willen.

Etwas, was sie noch nie geatmet hatte.

Als würde der Anblick all dieser umtriebigen Leute mit ihren Geschäften, der Architektur und der Hunde nicht reichen, befand sich Luciana auch noch in der Gesellschaft eines ritterlichen und zugegebenermaßen umwerfend schönen italienischen Mannes.

Erst jetzt fiel ihr Giovanni Grassis Kleidung auf. Ein Tweedblazer zu einem durchgeknöpften rosa Hemd mit hellbrauner Krawatte, Jeans mit einem braunen Gürtel und braune Schuhe. Alles von einwandfreier Qualität. Er mochte wie ein junger Lehrer aussehen, einer von der Sorte, in dessen Gegenwart Schulmädchen verlegen kicherten, den sie aber gern anstarrten, wenn er eine wichtige trigonometrische Gleichung an der Tafel erklärte. Ein Sahneschnittchen wider Willen. So nannten die Promi-Websites diesen Typ.

Sahneschnittchen traf ganz sicher zu. Ob wider Willen, das wusste sie noch nicht.

„Ach ja, Firenze“, schaltete Gio sich ein. „So etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht noch einmal. Manche Dinge ändern sich, andere bleiben über die Jahrhunderte hinweg immer gleich.“

Auf Izerote ändert sich nichts, überlegte Luciana. In Technologie, Kultur und Handel hinkte die Insel der restlichen Welt hinterher. Ihr Vater, König Mario, und vor ihm sein Vater waren keine zukunftsorientierten Regenten. Der Preis, den sie für den ausbleibenden Fortschritt zahlten, war hoch, denn viele Bürger oder deren erwachsene Kinder verließen die Insel.

Doch Prinzessin Luciana hielt sich nicht in Florenz auf, um die Probleme ihrer Insel zu lösen, wenngleich sie nicht bezweifelte, dass in dieser großartigen Stadt der Denker und des Gewerbes zahlreiche Zwangslagen der Welt erörtert worden waren.

„Meine Situation ist folgende, Gio“, begann Luciana, die nicht wusste, wie sie sich aus ihrer misslichen Lage befreien sollte. Ihr Ausflug würde so oder so ein Ende haben. Entweder bekam sie ihre drei Wochen in Florenz, bevor sie nach Izerote zurückkehrte, König Agustin heiratete und ihm Erben schenkte. Oder ihr Vater schickte ihr jemanden hinterher, und ihr Besuch würde abgekürzt. Wie auch immer, ihr blieb nur diese eine Chance, und deshalb sollte jede Sekunde zählen. „Ich habe kein Geld. Deswegen muss ich etwas von meinem Schmuck verkaufen, um mir ein Hotelzimmer leisten zu können.“

„Deinen Schmuck verkaufen. Das klingt eindeutig altertümlich. Vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass wir in modernen Zeiten leben, in denen man mit Kreditkarte oder App auf dem Smartphone für Waren und Dienstleistungen zahlt“, sagte er mit einem leisen Lachen, das ihr einen heißen Schauer über den Rücken jagte. Wie merkwürdig sie auf diesen völlig Fremden reagierte.

Sie konnte ihm nicht erklären, dass sie zwar Kreditkarten besaß, aber nicht benutzen konnte, weil sie dadurch aufgespürt werden könnte. Deshalb musste sie für diese Reise in den Besitz von Bargeld kommen. „Ich weiß, es klingt wirklich ziemlich mittelalterlich.“

„Befindest du dich auf einer Zeitreise? Aus welcher Epoche stammst du?“

„Du hast keine Ahnung, wie sehr du den Nagel auf den Kopf getroffen hast.“

„Läufst du vor etwas davon?“

„So könnte man sagen.“

„Eine Frau mit Geheimnissen.“

„Auch das könnte man so sagen.“

„Gut, Signorina Luci, falls das denn dein richtiger Name ist. Für wie lange benötigst du ein Hotelzimmer?“

„Drei Wochen“, antwortete sie leichthin. Denn in genau drei Wochen und einem Tag sollte sie heiraten. Drei Wochen. So lange hoffte sie, in Florenz zu bleiben. Wenn es nach ihr ginge, würde sie es bis zur letzten Minute auskosten und gerade noch rechtzeitig nach Izerote zurückkehren, um in ihr Brautkleid zu schlüpfen. In das Kleid, das bereits für sie ausgewählt wurde, eine züchtige, mit Spitze besetzte Robe, hochgeschlossen und mit langen Ärmeln, so eng, dass es ihr wie die bevorstehende Ehe die Luft zum Atmen nahm. Kein Kleid, das sie tragen würde, wenn sie die Wahl gehabt hätte. Wenn sie zum Beispiel aus freiem Willen einen großen attraktiven Mann mit strahlend blauen Augen und goldenem Lockenhaar heiraten würde.

„Drei Wochen“, wiederholte er. „Und wie viel soll dir der Verkauf deines Schmucks einbringen?“

Nicht annähernd so viel, wie sie erwartet hatte. In Anbetracht des in Barcelona erzielten Preises nannte sie Gio eine entsprechende Summe und war immer noch nicht sicher, ob sie ihm ihr Finanzdilemma anvertrauen sollte.

„Einundzwanzig Übernachtungen …“

„Einundzwanzig“, bestätigte sie, wohl wissend, dass sie in der zweiundzwanzigsten Nacht, der Nacht nach ihrer Hochzeit, kein Hotelzimmer in Florenz mehr benötigen würde. Beim Gedanken an die Hochzeitsnacht und König Agustins Erwartungen verzog sie das Gesicht. Er war Witwer und verfügte vermutlich über größere sexuelle Erfahrungen als sie. Hoffentlich hatte er Geduld und Mitgefühl für sie übrig, wenn der Zeitpunkt gekommen war.

„Dann kannst du keine große Summe für deinen Tagesbedarf veranschlagen.“ Gio überschlug die Kosten im Kopf und nannte ihr eine Zahl, die viel niedriger war als die Hotelkosten, die sie online gefunden hatte.

„Glaubst du, dass ich für den Preis ein Hotel finde? Es braucht nicht elegant zu sein, nur sauber.“

„Luci, für den Preis findest du vermutlich nichts, was passend, sauber und sicher wäre.“

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

Es gehörte sich nicht, den Mann noch länger aufzuhalten, auch wenn ihre Angst sich jetzt zurückmeldete.

„Ich überlege mir etwas. Noch einmal vielen Dank für deine Hilfe.“

„Es war mir ein Vergnügen. Genieße deinen Aufenthalt in Florenz“, sagte Gio und wandte sich zum Gehen.

Sein Abschied trieb ihr Tränen in die Augen, und Luciana blinzelte dagegen an. Denn sie waren lächerlich. Sie war gekommen, um Florenz allein zu erleben. Gio hatte lediglich einer jungen Frau in Nöten beigestanden. Er war ein Fremder und ging jetzt seiner Wege, wie es sich gehörte.

Nach wenigen Schritten blieb er stehen und drehte sich um.

„Was hast du vor?“

„Ich weiß es nicht. Wenn du mir den Weg zum Bahnhof beschreibst, gehe ich dorthin zurück.“

„Ich kann versuchen, ein Hotel für dich zu finden. Gehen wir von der Straße. Komm mit.“

„Oh. Nein. Ich komme schon zurecht.“

Er furchte die Stirn. „Na gut. Auf Wiedersehen, Luci.“

„Auf Wiedersehen.“

Doch als er dann ging, packte Luciana erneut die Angst. Diese Jungen hatten ihr wirklich einen Schrecken eingejagt. Und dass ihr das nötige Bargeld fehlte, war ein Riesenproblem. Sie hatte sich nicht vorgestellt, dass sie allein und verloren dastehen würde.

„Gio“, platzte sie heraus und holte ihn rasch ein. „Danke. Ich würde deine Hilfe gern annehmen.“

Gio blieb vor einem großen Gebäude mit hohen Eichentüren mit Messingknäufen stehen. Zwar war das Haus Hunderte von Jahren alt, doch das schlüssellose Zugangssystem wies auf Modernisierungen hin. Als das winzige Lämpchen der Anlage von Rot auf Grün wechselte, öffnete Gio die Tür und ließ Luci den Vortritt. Er zog ihren Koffer ins Innere und schloss die Tür hinter sich, um Luci dann durch einen fensterlosen Rundbogengang zum inneren Bereich zu führen, der abseits der verkehrsreichen Straßen Florenz angelegt war.

Der Gang war kurz, sodass Gio das Sonnenlicht am anderen Ende sehen konnte. Er und sein Bruder Dante hatten als Kinder gern in diesem kleinen Tunnel gespielt.

„Wo sind wir?“, fragte Luci beklommen.

„Bei mir zu Hause“, antwortete Gio, als sie ins Licht des Innenhofs traten.

„Bei dir zu Hause?“ Luci schaute sich um.

„Mein Elternhaus. Zurzeit ist niemand da, aber, ja, hier bin ich aufgewachsen.“

Bis vor wenigen Tagen war Gio monatelang nicht zu Hause gewesen. Als Leiter der Bereiche Forschung, Entwicklung und Projektmanagement in der familieneigenen Firma Grasstech, dem weltweit größten Hersteller von Computerkomponenten, reiste Gio um den ganzen Globus zu den Betriebszentralen des Unternehmens. Nach Florenz kam er zu wichtigen Konferenzen oder zu familiären Anlässen, um dann schon bald wieder ein Flugzeug zu seinem nächsten Ziel zu besteigen.

„Hier ist es so schön“, rief Luci aus und drehte sich im Innenhof des Anwesens einmal um die eigene Achse.

„Es ist seit sechs Generationen im Besitz der Familie.“

Die Villa Grassi war tatsächlich besonders. Es handelte sich nicht um einen protzigen Hightechkomplex, entsprechend dem Status der Familie Grassi in der Welt der Computerwissenschaften. Vielmehr hatte der Besitz sich dank Gios Mutter seinen altertümlichen Charme bewahrt, besaß aber allen modernen Komfort. Das Anwesen umfasste mehrere Häuser, sämtlich mit einem senfgelben Anstrich, den die roten Terrakottadachziegel und Holzverkleidungen akzentuierten.

„Hier wohnst du?“, fragte Luci, während sie den Garten auf sich wirken ließ.

Mamma mia, diese junge Frau war hübsch. Eigentlich nicht einfach nur hübsch; Gio suchte nach einem passenden Wort, um sie zu beschreiben. Vielleicht seelenvoll. Ihre hellbraunen Augen hatten Tiefe. Es waren Augen voller Fragen, voller Sehnsucht. Die dunklen dichten Augenbrauen über diesen wunderschönen Augen ließen sie noch strahlender erscheinen. Das glänzende blonde Haar war modisch geschnitten, der schwarze Rock und der graue Blazer betonten ihre zierliche Figur.

Warum besaß diese vornehm wirkende junge Frau nur Schmuck, aber kein Geld? Irgendetwas stimmte hier nicht, und das weckte Gios Misstrauen. Er würde immer auf der Hut sein nach dem ­katastrophalen Fehler, der ihm in Hongkong unterlaufen war, als er der falschen Person vertraute. Die Menschen sind nicht immer das, wofür sie sich ausgeben.

Es erschien ihm nahezu unmöglich, dass diese Frau den Vorfall mit den Straßenjungen irgendwie inszeniert haben könnte, um ihn dann absichtlich anzurempeln. Dass sie gewusst haben könnte, aus welcher Richtung er kommen und wohin er gehen würde. Doch er hatte auf die harte Tour erfahren, dass manche Menschen zu allem fähig waren, um zu bekommen, was sie wollten. Gefahren drohten stets und ständig.

„Ich habe nicht verstanden. Wohnst du hier?“

Autor

Andrea Bolter
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