Verbrenn dir nicht die Finger, Darling

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Meg kann Grants Liebe einfach nicht vergessen. Ebenso wenig wie den Schmerz, als er sie wortlos verließ! Sie hat sich geschworen, ihn nie wiederzusehen. Doch diesen Schwur muss sie heute brechen - wegen ihrer kleinen Tochter. Mit bebendem Herzen tritt sie ihm entgegen …


  • Erscheinungstag 06.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746964
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Grant Sheppard schlief noch keine drei Wochen mit Meg Lathem, aber er hatte sich bereits an ihre kleinen Eigenheiten gewöhnt. Er wusste sofort, dass sie nicht da war, als er erwachte, denn sie liebte es, sich im Schlaf an ihn zu schmiegen und den Kopf auf seine Schulter zu legen.

Langsam stieg Grant aus dem Bett und zog die Jeans über, die er achtlos auf den Schaukelstuhl geworfen hatte, der in einer Ecke des Schlafzimmers stand. Dann machte er sich auf die Suche.

In einem Haus dieser Größe war das nicht schwer. Meg war in dem kleinen Bungalow direkt am Marktplatz von Victoria in Texas aufgewachsen. Für einen Mann wie Grant, der der wohlhabenden Oberschicht von Houston entstammte, war die kleine Stadt unweit der Küste an sich uninteressant. Er war nur wegen Meg hier.

Es war normal, sie um drei oder vier Uhr am Morgen in der Küche zu finden. Auch jetzt backte sie wieder, und der Duft – eine Kombination aus gerösteten Nüssen und Karamellzucker – war einfach himmlisch. Allein dieser Duft hätte ihn schon aus dem Bett gelockt.

Grant lehnte gegen den Türrahmen und beobachtete Meg. Sie hatte sich das schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der mit jeder ihrer Bewegungen auf und ab wippte. Das knappe Nachthemd reichte gerade über ihren Po. Darüber hatte sie sich eine Schürze umgebunden. Ihre Füße waren nackt, die Nägel blau lackiert. Das Tattoo hinten auf ihrem Schenkel blitzte jedes Mal unter dem Saum ihres Nachthemds hervor, wenn sie sich vorbeugte. Sie hatte mehr Sex-Appeal als jedes Pin-up-Girl. Er musste an sich halten, um sie nicht in seine Arme zu ziehen.

Wenn er sich so in der Küche umsah, hatte er das Gefühl, in die vierziger Jahre zurückversetzt zu sein. Nur die blau lackierten Fußnägel und das Tattoo zerstörten diese Illusion. Das und der Gourmetbrenner, den Meg soeben angezündet hatte.

Er sah zu, wie sie die blaue Flamme über das Meringue-Topping fahren und es goldbraun werden ließ. Erst als sie den Brenner abschaltete und sich aufrichtete, trat Grant näher.

„Was hast du denn diesmal gezaubert?“

Sie lachte leise. „Ich dachte doch, ich hätte dich lechzen gehört!“ Sie schwenkte anzüglich die Hüften.

„Und ich finde, ich habe mich sehr anständig und geduldig verhalten!“

Wie eine Balletttänzerin drehte sie sich auf den Zehenspitzen und präsentierte ihr Werk: „Meine neueste Kreation! Eine Kruste aus Haselnuss-Crackern. Darauf dunkler Schokoladenpudding mit einem Meringue-Topping und Marshmallows. Der neueste S’more Pie!“

Er seufzte gespielt dramatisch. „Und ich muss warten, bis der Laden aufmacht, um probieren zu können.“

Sie trat beiseite und deutete einladend auf einen zweiten, kleineren Pie. „Du weißt doch, dass ich nie etwas anbiete, das ich nicht selbst getestet habe. Gib mir nur noch eine Sekunde, um …“

Aber er konnte nicht länger warten. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und schob seine Hände unter den Saum ihres Nachthemdes – über ihren blanken Po! Er musste sie nur ein paar Zentimeter anheben, um ihren weichen Körper an seiner Männlichkeit zu spüren. Sie schlang die Beine um seine Hüften.

Als er sie küsste, schmeckte sie nach dunkler Schokolade und Meringue – so süß, dass es schon fast zu viel des Guten war.

Das war typisch Meg – eine unwiderstehliche Kombination des Sinnlichen und des Süßen. Und immer fast zu viel des Guten.

Er setzte sie auf die Arbeitsplatte …

Ihr Verlangen war so groß, dass sie fast schneller kam als er.

Das war wieder typisch Meg. Sie war so sexy wie keine andere Frau. Sexy und voller Leidenschaft. Fast zu gut, um wahr zu sein.

Grant fragte sich, ob sie dasselbe auch von ihm dachte.

Nach einer heißen Dusche und einem noch warmen Stück Pie gingen sie wieder ins Bett – glücklich und erschöpft. Meg war schon fast eingeschlafen, als Grant fragte: „Wieso eigentlich S’more Pie?“

Sie seufzte und murmelte schläfrig: „Weil er die gleichen Zutaten enthält, wieso sonst?“

„Nein, das meine ich nicht. Wieso hast du an S’mores gedacht?“

S’mores waren leckere Snacks aus Schokolade, Keksen und Marshmallows, die man gern über dem Lagerfeuer zubereitete.

„Ich weiß nicht“, meinte sie nach kurzem Überlegen. „Vielleicht weil sie so typisch sind für ein Ferienlager. Und … ich meine, das zwischen uns – es ist irgendwie wie in einem Ferienlager, findest du nicht?“

Er lachte leise. „Du kannst mir glauben – das was wir hier tun, habe ich in einem Ferienlager nie gemacht.“

Sie puffte ihn in die Seite. „Quatschkopf! Ich meine, es ist perfekt, aber auch irgendwie vergänglich. Flüchtig. So wie die Tage in einem Ferienlager.“

Er hielt den Atem an. Es wäre der perfekte Moment gewesen. Der Moment, auf den er seit Wochen wartete. Es muss nicht vergänglich sein. Komm mit mir nach Houston. Heirate mich.

Es hätte funktioniert. Sie wäre darauf hereingefallen – genau, wie sie auf ihn hereingefallen war.

Aber er sagte es nicht. Er brachte die Worte nicht über die Lippen.

„Mein Grandpa hat die besten S’mores gemacht“, fuhr sie fort.

„Ich dachte, S’mores sind alle gleich.“

Sie schien nicht zu bemerken, wie distanziert er plötzlich klang.

„Absolut nicht. Ob ein S’more perfekt ist oder nicht, hängt davon ab, wie perfekt das Marshmallow geschmolzen ist. Und darin war Grandpa nicht zu toppen. Er hatte eine Engelsgeduld.“ Nach kurzem Schweigen setzte sie hinzu: „Ich wollte, du hättest ihn kennengelernt. Er hätte dir gefallen.“ Und dann kam das völlig Unerwartete: „So wie du ihm gefallen hättest.“

„Das wage ich zu bezweifeln.“ Er sagte es mehr zu sich selbst, aber sie verstand ihn dennoch.

„Nein. Du hättest ihm gefallen, das weiß ich“, erklärte sie energisch. „Du bist ein guter Mensch, Grant Sheppard.“

Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, bevor sie sich wieder in die Kissen sinken ließ.

Eine Stunde später, als sie tief schlief, zog er sich geräuschlos an und verließ ihr Haus. Und während er das letzte Mal durch Victoria fuhr, hatte er immer noch den Geschmack ihrer Küsse und ihres Pie auf den Lippen.

Sie hielt ihn für einen guten Menschen. Weil sie seinen Plan nicht kannte. Er hatte vorgehabt, Hollister Cains verschollene Tochter zu finden. Wollte sie dazu bringen, sich in ihn zu verlieben und ihn zu heiraten. Dadurch wollte er genug Einfluss auf Cain Enterprises bekommen, um das Unternehmen in den Ruin treiben zu können.

So plante kein guter Mensch. So plante ein Mensch, dem die persönliche Rache über alles ging. Er war ein Bastard. Er wusste es.

Das Problem war nicht einmal, dass sie es nicht wusste. Das Problem war: Wenn sie ihn so ansah, dann wollte er der Mann sein, für den sie ihn hielt. Und diese Schwäche konnte er sich nicht leisten.

Er musste einen neuen Plan machen.

1. KAPITEL

Gut zwei Jahre später.

Meg Lathem saß in ihrem staubigen, verbeulten Chevy und verfluchte die Hitze von Texas, die verstopften Straßen von Houston und ihre kleine Blase.

Sie hätte in Bay City einen Stopp einlegen und die Toilette aufsuchen sollen. Aber auch wenn sie es getan hätte, wären ihre Nerven jetzt zum Zerreißen gespannt gewesen. Heute sollte sie Grant Sheppard zum ersten Mal nach so langer Zeit wiedersehen.

Sie ertappte sich dabei, dass sie an ihrer Unterlippe nagte. Automatisch griff sie nach ihrer Handtasche, um nach ihrem Labello zu suchen. Sie fand nur ihren Cherry-Bomb-Lippenstift, den sie für gewöhnlich nur am Ende eines besonders langen Arbeitstages benutzte, wenn sie ein wenig Pep und Sex-Appeal brauchte. Im Moment brauchte sie weder das eine noch das andere – sie brauchte nur eines: einen klaren Kopf.

Sie warf den Lippenstift zurück, schnappte sich die Tasche und wollte gerade den Wagen verlassen, als ihr Handy klingelte.

Wäre die angezeigte Nummer nicht die ihrer Freundin Janine gewesen, hätte sie die Mailbox antworten lassen. Aber Janine, die auch ihre Mitarbeiterin in der Konditorei war, kümmerte sich heute um Megs Tochter Pearl. Ohne lange nachzudenken, zog Meg die Wagentür wieder zu, um den Verkehrslärm auszuschließen, und meldete sich mit: „Ist alles okay mit Pearl?“

„Alles im grünen Bereich, Honey. Sie ist glücklich und zufrieden.“

„Und warum rufst du dann an?“

„Hast du es schon hinter dich gebracht?“

„Die Fahrt von Victoria hierher dauert zwei Stunden. Ich bin gerade erst angekommen.“

„Ha! Bisher hast du dich doch noch nie an Geschwindigkeitsbeschränkungen gehalten. Ich wette, du warst schon vor einer halben Stunde dort und sitzt jetzt im Auto und himmelst den Schriftzug über seiner Tür an: Sheppard Bank and Trust.“

„Das stimmt nicht.“ Meg warf einen Blick auf die Uhr. Sie war erst seit zweiundzwanzig Minuten hier. Und der Schriftzug der Bank stand nicht über der Tür sondern in riesigen Lettern in Höhe des zweiundvierzigsten Stockwerks. Außerdem konnte von Anhimmeln keine Rede sein – eher hatte sie das Gebäude mit grimmiger Miene betrachtet. „Ich habe keine Gefühle mehr für Grant Sheppard, das weißt du. Der Mann ist ein verlogener, hinterhältiger …“

„Du musst es nicht machen“, unterbrach Janine sie ruhig.

„Ich weiß.“ Meg rieb sich die Stirn.

„Wir können eine andere Möglichkeit finden.“

„Ich weiß“, sagte sie noch einmal. Nur gab keine andere Möglichkeit. Ihre Tochter brauchte eine Operation am Herzen. Meg konnte den Eigenanteil der Kosten nicht zahlen, ohne die Konditorei zu verkaufen. Und wenn sie die Konditorei verkaufte, hatte sie keinen Job mehr und konnte nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen. Ihre Freunde hatten eine Spendenaktion in Victoria organisiert. Die halbe Stadt war gekommen. Es war ein wirklich herzerwärmender Tag gewesen, aber letztlich hatte er nur neuntausend Dollar gebracht.

Doch allein für die Operation brauchte sie schon fast fünfzigtausend. Anschließend kamen noch die Kosten für die Physiotherapie dazu, und sicher auch weitere Arztkosten. Kosten, die sie nicht aufbringen konnte. Aber Pearls Vater hatte das Geld. Geld war sein Geschäft.

War es nicht fair, dass er sich an den Kosten beteiligte?

Immerhin war er Pearls Vater!

Zu ihm zu gehen hieß nicht zu betteln. Es war ihr Recht.

Es wäre nur so viel einfacher, wenn er schon wüsste, dass er eine Tochter hatte.

„Hör auf, deine Stirn zu reiben“, unterbrach Janine das lange Schweigen. „Du weißt, wie empfindlich deine Haut ist. Und wenn du Grant Sheppard nach so langer Zeit zum ersten Mal wiedersiehst, willst du doch nicht überall rote Flecken haben.“

Meg riss hastig ihre Hand zurück und klappte den Spiegel herunter. Verdammt! Janine hatte recht!

Sie klappte den Spiegel zurück. Was spielte es für eine Rolle, ob sie Flecken hatte oder nicht? Sie wollte Geld von Grant, nicht mehr und nicht weniger!

„Und nun gib dir einen Ruck! Du schaffst das!“ Janine legte auf.

„Okay“, murmelte Meg und seufzte schwer. „Auf geht’s!“

Sie stieg aus. Das Hochhaus der Sheppard-Bank befand sich an einem Platz, der im Schatten großer Eichen lag. Der Springbrunnen in der Mitte war umgeben von Bänken. Etliche Angestellte verbrachten hier offensichtlich ihre Mittagspause und genossen dabei das gute Wetter.

Meg war noch auf der dem Hochhaus gegenüberliegenden Seite des Platzes, als die großen Eingangstüren der Bank aufgingen und ausgerechnet Grant Sheppard höchstpersönlich herauskam. Automatisch verlangsamte Meg ihren Schritt. Irgendwo hupte ein Auto.

Plötzlich hatte sie so etwas wie einen Tunnelblick. Es gab nur noch Grant für sie. Mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er sah gut aus. Genauso groß und attraktiv wie damals. Sein hellbraunes Haar war etwas länger als früher. Etwas zerzaust. Vielleicht zu verwegen für diese konservative Stadt. Aber sein Anzug war einfach perfekt. Seine Lippen verzogen sich immer noch zu diesem halben Lächeln. Lippen, die in jeder Frau sofort den Wunsch weckten, sie zu küssen.

Lippen, die eine Frau um den Verstand bringen konnten.

Meg gab sich einen Ruck. Sie rief sich in Erinnerung, dass nicht einfach gut zwei Jahre vergangen waren, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Vor gut zwei Jahren hatte er sich mitten in der Nacht aus ihrem Bett geschlichen und war spurlos verschwunden.

Das war ein Unterschied, und sie tat gut daran, es nicht zu vergessen.

Gerade wollte sie einen Schritt auf ihn zu tun, als ihr Tunnelblick sich weitete und sie die Frau an seiner Seite wahrnahm. Es war eine schlanke Blondine, die fast ebenso groß war wie er. Er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt – es war eine beschützende Geste, die Zuneigung und Vertrautheit verriet. Meg glaubte, das Schrillen einer Alarmsirene zu hören.

Sie wusste, was sie sehen würde, noch ehe die Frau sich herumdrehte. Die Frau war schön und weltgewandt. Sie hatte Stil und Klasse. Alles das, was Meg nicht hatte.

Und sie war bestimmt schwanger.

Meg war sich so sicher, dass sie für einen Moment glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können, als sich die Frau schließlich so drehte, dass sie sie von der Seite sehen konnte.

Die Frau war nicht schwanger. Schlimmer.

Sie hatte ein Baby auf dem Arm. Ein schönes, gesundes Baby. Ein perfektes Baby.

Grant Sheppards perfekte Frau hatte ihm ein perfektes Baby geschenkt.

Mit Meg hatte er dagegen eine Tochter, die das Downsyndrom und ein Herzproblem hatte.

Für Meg war sie dadurch nicht weniger perfekt. Ja, das winzige Loch in ihrer Herzscheidewand bedeutete, dass sie Probleme hatte, die Meg gelegentlich in Angst und Schrecken versetzten. Aber Pearl war auf ihre eigene Weise perfekt.

Würde Grant das erkennen? Würde er begreifen, wie wunderbar Pearl war? Würde sie Pearl beschützen können, falls er es nicht tat?

Und unter dem Bedürfnis der Mutter, ihr Kind zu beschützen, gab es noch ein anderes, komplizierteres Gefühl.

Ein winziger Hauch von Neid, der nichts mit dem Baby zu tun hatte oder mit Pearl, sondern mit der Frau an Grants Seite.

Meg wollte nicht so sein wie diese perfekte Frau, die Grant offenbar geheiratet hatte. Weder wollte sie ihren Reichtum, noch ihr Haar oder ihre Garderobe oder ihr Baby, dessen Herz wahrscheinlich keinen Defekt hatte. Sie war glücklich mit ihrem eigenen Bankkonto, mit ihrem Haar, ihrer Kleidung und ihrem Kind. Sie wollte nichts von diesen Dingen. Aber zum ersten Mal begriff sie, dass ein Teil von ihr vielleicht immer noch an Grant interessiert war. Und das machte ihr Angst. Eine Höllenangst.

Wie konnte sie jetzt zu Grant gehen, um mit ihm zu reden?

Es war ausgeschlossen. Nicht, solange sie noch andere Möglichkeiten hatte.

Sie hatte ihrer Mutter und ihrem Großvater versprochen, es nie zu tun. Sie hatte sich selbst versprochen, es nie zu tun. Aber nun würde sie ihr Versprechen brechen. Sie würde ihren Vater aufsuchen. Würde einen Pakt mit dem Teufel schließen.

Wie der Zufall es wollte, lebte der Teufel – beziehungsweise Hollister Cain – ebenfalls in Houston, unweit der City in dem vornehmen Viertel River Oaks. Das herrschaftliche Haus lag in der Nachbarschaft der Villen ehemaliger Präsidenten, abgesetzter gekrönter Häupter und ungekrönter Stars der Musikszene.

Dank Google Maps Street View kannte sie sein Haus vom Sehen. Und dank Google wusste sie auch, wie ihr Vater aussah. Begegnet war sie ihm noch nie.

Meg war Hollisters ungeplante Tochter, von der er nichts wusste. Vor gut sechsundzwanzig Jahren hatte er ihre Mutter geheiratet – und kurze Zeit später verlassen. Und das nicht nur, weil er ein gefühlloser Bastard war, sondern aus kalt berechnetem Kalkül. Hollisters Verhalten hatte dazu geführt, dass es mit ihrer Mutter sehr schnell bergab gegangen war.

Das war der Grund, aus dem Meg bei ihrem Großvater aufgewachsen war. Sie hatte die Wahrheit über das Verhältnis ihrer Mutter mit Hollister immer gekannt und ging wie selbstverständlich davon aus, dass auch er von ihr wusste, dass er nur nie ein Interesse an ihr gehabt hatte. Das war okay für sie. Absolut okay. Sie brauchte weder ihn noch seine Familie.

Aber jetzt war es anders. Sie brauchte Geld.

Natürlich bestand die Möglichkeit, dass Hollister sie nicht anerkannte. Dann musste sie sich einen Anwalt nehmen und einen Vaterschaftstest machen lassen. Letztlich gab es keinen Zweifel daran, dass sie Hollisters Tochter war.

Aber sie ging nicht davon aus, dass es so weit kommen würde. Sie kannte Geheimnisse aus Hollisters Vergangenheit. Geheimnisse, an deren Veröffentlichung ihm nicht gelegen sein konnte. Ihre Beweise für seine kriminellen Machenschaften konnten das Unternehmen der Cains ruinieren. Sie hatte keinerlei Skrupel, dieses Wissen an die Öffentlichkeit zu bringen. Falls er Schwierigkeiten machte, würde sie nicht zögern, ihm damit zu drohen.

In ihrer Vorstellung sah das Treffen mit ihrem Vater so aus: Sie würde hereinkommen und erklären, wer sie war und was sie wollte. Er würde ihr einen Scheck über zweihunderttausend Dollar ausstellen. Sie würde dafür unterschreiben, dass sie nie zurückkommen und noch mehr fordern würde. Ende der Woche konnte sie dann wieder bei Pearl sein. Nichts einfacher als eine kleine Erpressung innerhalb der Familie!

Das Problem war nur: Sie war es nicht gewohnt, mit Drohungen dieser Art zu arbeiten. Und zweihunderttausend Dollar waren nicht eben wenig. Sie hatte hin und her gerechnet und war zu dem Schluss gekommen, dass das die Summe war, die sie letztlich brauchen würde. Fünfzigtausend für die Operation und der Rest für alle Folgekosten. Es blieb zu hoffen, dass die Summe ausreichend war. Sie hatte nicht die Absicht, Hollister noch ein zweites Mal um Geld zu bitten. Einmal wollte sie es wagen, dann nie wieder.

Das erklärte wohl ihre Beklemmungen, als sie im Wagen saß und zu der großen Villa auf der anderen Straßenseite hinüber sah. Mit Sicherheit hatten sie nichts mit den frischen Erinnerungen an Grant zu tun. An Grant und die blonde Göttin an seiner Seite.

Ihr Telefon klingelte, aber sie ignorierte es. Janine hatte sie in der vergangenen Stunde wohl alle fünfzehn Minuten angerufen, zweifellos um zu hören, wie das Treffen mit Grant gelaufen war. Meg hatte nicht den Mut, ihr zu gestehen, dass sie gekniffen hatte. Sie würde Janine nach dem Gespräch mit ihrem Vater anrufen.

Kurz entschlossen stieg sie aus und ging die gefühlt endlose Auffahrt zur Villa der Cains hinauf. Ehe sie sich umbesinnen konnte, drückte sie die Klingel. Und begann, die Sekunden zu zählen.

Niemand, der in diesem Haus lebte, spielte eine Rolle für sie. Nicht die geringste. Aber sie war nun schon sehr lange allein. Und stand im Begriff, ihre Familie kennenzulernen. Vielleicht öffnete sogar ihr Vater!

Oder jemand, der für die Familie arbeitete.

Hatten die Cains … Diener?

Vielleicht einen Butler oder etwas in der Art?

Oder …?

In diesem Moment ging die Tür auf. Statt ihres Vaters oder eines Bediensteten sah Meg eine blonde Frau mit der Andeutung eines Bäuchleins. Portia Calaham. Die Exfrau von Dalton Cain.

Meg hätte jeden der Cains erkannt – sie gehörten zur Prominenz von Houston und tauchten daher häufig in der Presse auf. Portia hatte sie sogar einmal persönlich getroffen – als sie das erste Mal in Houston gewesen war, gleich nachdem sie erfahren hatte, dass Pearl eine Operation brauchte.

Einen Moment lang starrten sie einander wortlos an. Dann entfuhr es Meg: „Sie hier?“ und gleichzeitig sagte Portia: „Sie …!“

Sie schwankte und verdrehte die Augen. Meg sprang vor. Sie konnte Portia gerade noch packen, bevor sie zu Boden ging. Portia mochte schlank sein, aber sie war wesentlich größer, sodass Meg unter ihrem Gewicht zusammenbrach.

Mist! Mist! Mist! ging es ihr immer wieder durch den Kopf. Nicht, weil Portia ohnmächtig geworden war, sondern weil sie nicht hätte hier sein sollen! Portia gehörte nicht mehr zur Familie der Cains. Und sie erinnerte sich offensichtlich daran, dass sie einander schon einmal begegnet waren.

Für einen Moment erwog Meg, die Flucht zu ergreifen und an einem anderen Tag zu versuchen, Kontakt zu ihrem Vater aufzunehmen. Oder das Geld irgendwie anders aufzutreiben. Aber ihr lief die Zeit davon. Schritte kamen rasch näher.

Meg sah zwei Frauen und drei Männer, die durch die Eingangshalle auf sie zueilten. Die Männer erkannte sie sofort. Es waren ihre Brüder, Dalton und Griffin Cain sowie Cooper Larson. Sie vermutete, dass es sich bei den Frauen um Laney und Sydney handelte, ihre Schwägerinnen.

Zu Megs Überraschung war es Cooper, der den Schritt beschleunigte und neben Portia auf die Knie ging. Er stützte ihren Kopf und die Schultern ab, sodass Meg sich unter ihr hervorschieben konnte.

„Sie ist ohnmächtig geworden“, sagte sie rasch. „Ich habe versucht, sie aufzufangen.“

„Danke.“ Cooper seufzte. „Sie wird sauer sein!“

„Ich habe versucht, sie aufzufangen“, wiederholte Meg und wich zurück.

„Sie wird nicht auf Sie sauer sein“, sagte er rasch. „Sie hasst es, ohnmächtig zu werden. Und das ist nun schon das zweite Mal in dieser Woche.“

Die rothaarige Frau – Sydney, falls Meg sich recht an die Fotos der Klatschkolumnen erinnerte – kniete neben Cooper. „Ist alles okay mit ihr?“

Er nickte, aber sein Lächeln konnte die Sorge nicht verdecken. „Der Arzt sagt, es ist nicht ungewöhnlich während der ersten Schwangerschaftsmonate.“

Sydney sah zu Meg auf. „Vielen Dank, dass Sie … Oh, mein Gott!“

„Was ist?“ Meg wich noch weiter zurück. Ihr Blick glitt von Sydney zu Cooper und dann zu den drei anderen. „Ich habe sie nicht …“

Ihr Blick traf Daltons, und er murmelte ein leises Verdammt!.

Nun starrten alle sie an – so als hätte sie plötzlich zwei Köpfe. Oder als ob sie alle wüssten, dass sie hier war, um ihren Vater zu erpressen.

Meg hob abwehrend die Hände. „Ich habe nichts getan.“ Noch nicht.

Die andere Frau, Laney – mit ihrem langen schwarzen Haar sah sie aus wie ein modernes Schneewittchen – bedachte die anderen mit einem vorwurfsvollen Blick. „Ihr macht ihr Angst!“ Lächelnd trat sie auf Meg zu. „Niemand glaubt, dass Sie Portia etwas getan haben. Wir sind alle sehr froh, dass Sie sie auffangen konnten. Nicht wahr?“ Sie stieß Dalton einen Ellenbogen in die Seite.

Er trat nun auch vor. „Ja, das sind wir.“

Meg sah abschätzend von einem zum anderen. Dankbarkeit für ihre Hilfe konnte dieses Verhalten nicht erklären. Sie spürte Panik aufsteigen. „Ich glaube, ich gehe jetzt besser.“

Dalton, Laney, Griffin und Sydney protestierten fast wie im Chor.

Das wurde nun wirklich unheimlich.

„Ich … äh …“ Sie bewegte sich Richtung Tür.

„Sie können nicht gehen“, sagte Laney. Alle anderen verharrten regungslos, so als sei Meg ein scheues Wild, das schon durch eine leichte Bewegung verscheucht werden konnte.

Super! Sie konnte nicht fort. Aus irgendeinem Grund hatte sie eine reiche Schwangere dazu gebracht, in Ohnmacht zu fallen. Und nun versuchten sie, sie festzuhalten – wahrscheinlich bis die Polizei hier war. Meg sah sich schon gefesselt im Kerker schmachten …

„Wieso kann ich nicht gehen?“, fragte sie vorsichtig.

Portia schien wieder zu sich zu kommen. Sie stöhnte und stützte sich auf einen Ellenbogen.

„Nicht schon wieder.“ Sie sah sich um. „Habe ich etwas verpasst?“

Cooper strich ihr zärtlich eine Strähne aus der Stirn. „Die Ohnmacht war nur kurz.“

Laney nutzte die Ablenkung der anderen und trat auf Meg zu, um ihre Hand zu nehmen. „Sie … du kannst nicht fort, weil du die Tochter von Hollister bist, die alle suchen. Du bist ihre Schwester!“ Sie deutete auf die Männer.

Autor

Emily Mc Kay
<p>Durch Zufall stieß Emily McKay schon in jungen Jahren auf einen Liebesroman und war von Anfang an fasziniert. Sie studierte Englisch an einer Universität in Texas und unterrichtete vier Jahre lang an einer Grundschule. Während ihrer Tätigkeit als Englischlehrerin setzte sie sich mit dem Schreiben auseinander und näherte sich dem...
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