Verführer meines Herzens

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Hanna ist außer sich: Nicht genug, dass sich Wyatt Jacobs ihr geliebtes Gestüt unter den Nagel gerissen hat - jetzt spielt er sich auch noch auf! "Ich bin der Boss. Ihr Boss. So einfach ist das", blafft sie dieser - leider! - unverschämt anziehende Schönling im Armani-Anzug an. Was bildet der sich ein? Aus ihren blauen Augen blitzt Hanna ihn an. Dieser Neureiche will ihr, der Tierärztin aus Leidenschaft, etwas von Pferdezucht erzählen? So schnell wird sie sich nicht in die Enge treiben lassen, schwört sie sich - ohne zu ahnen, dass Wyatt noch viel Heißeres mit ihr plant …


  • Erscheinungstag 19.05.2012
  • Bandnummer 1721
  • ISBN / Artikelnummer 9783864941634
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Hannah Sutherland fuhr mit dem Golfkart so schnell sie konnte die lange gewundene Auffahrt zum Haupthaus hinauf.

Besuch. Komm ins Büro. Jetzt sofort.

Das waren die Worte ihres Vaters gewesen, und gereizt, wie er in letzter Zeit war, wagte sie es nicht, ihn warten zu lassen. Aber wer konnte derart wichtig sein, dass sie alles stehen und liegen lassen musste?

Während sie gleich darauf die mit schwarz-weißem Marmor ausgelegte Eingangshalle durchquerte, fuhr sie sich übers Haar und richtete ihre Kleidung, weil sie sich in solcher Eile umgezogen hatte.

Beim Anblick der geschlossenen Bürotür zögerte sie. Normalerweise stand diese Tür immer offen – nur am Tag, als ihre Mutter gestorben war, hatte ihr Vater sich dahinter verschanzt. Ein mulmiges Gefühl ergriff sie.

Sie klopfte. Einen Moment später erschien Al Brinkley an der Tür, der Anwalt der Familie. Solange Hannah denken konnte, war er der Rechtsberater ihres Vaters und gleichzeitig sein Freund.

„Schön, Sie zu sehen, Mr Brinkley.“

Brinkleys Lächeln schien gezwungen. „Hallo, Hannah. Ich könnte schwören, du siehst deiner Mutter jeden Tag ähnlicher.“

„Das sagt man mir häufiger.“ Zu schade, dass sie nur das Aussehen von ihrer Mom geerbt hatte. Ihr Leben wäre so viel leichter gewesen, wenn sie noch ein paar andere Eigenschaften abbekommen hätte.

Seine Miene wurde ernst, und Hannahs Besorgnis kehrte zurück. „Komm herein.“

Ihr Vater stand hinter seinem Schreibtisch, das Gesicht angespannt, in der Hand ein Whiskyglas. Es war ein bisschen früh für einen Drink.

Eine Bewegung an der Verandatür, die auf die Koppel im Osten hinausging, riss Hannah aus ihren Gedanken. Der dritte Anwesende im Raum, groß und schlank, drehte sich zu ihr um.

Sein glänzendes schwarzbraunes Haar war kurz geschnitten. Obwohl es sich leicht lockte, milderte es die harten Züge des Mannes und sein kantiges Kinn kaum ab. Sein strenges Gesicht wirkte attraktiv, aber der Blick war kühl und argwöhnisch.

Unter der teuren Kleidung zeichneten sich breite Schultern und ein durchtrainierter Körper ab. Der Fremde sah aus wie die Männer auf den Werbeplakaten der Army – etwas Wachsames, Gefährliches ging von ihm aus. Hannah schätzte ihn auf Mitte dreißig.

„Komm herein, Hannah.“ Der nervöse Unterton ihres Vaters machte sie misstrauisch. „Brink, schließ die Tür.“

Gespräche hinter verschlossener Tür waren in diesem Haus eigentlich nicht an der Tagesordnung. Außerdem war Nellie die Einzige, die hätte mithören können, und sie gehörte praktisch zur Familie: als Haushälterin, Hausverwalterin und Ersatzmutter in einer Person. Warum die Heimlichtuerei?

„Wyatt, das ist meine Tochter Hannah. Sie ist Tierärztin und kümmert sich hier auf der Sutherland-Farm um die Zucht. Hannah, Wyatt Jacobs.“

Dass Jacobs sie eingehend musterte, fand Hannah seltsam abstoßend und anziehend zugleich. Pflichtbewusst trat sie näher. Wer war der Fremde, und was für vertrauliche Geschäftsbeziehungen konnte er zum Gestüt haben?

Nach seiner teuren Kleidung und der Platinuhr an seinem Handgelenk zu urteilen, hatte er Geld. Aber das hatten alle ihre Besucher. Springreiten für Grand-Prix-Turniere war nichts für Leute ohne das nötige Finanzpolster. Ihre Klienten reichten von Neureichen bis hin zum alten Adel, von verzogenen Sprösslingen bis zu fanatischen Pferdesportlern. In welche Kategorie gehörte Wyatt Jacobs?

Sie würde wetten, dass er gut auf einem Pferd aussah mit seiner aufrechten, selbstsicheren Haltung. Er hatte kaffeebraune Augen, im hellen Tageslicht, das durch die Terrassentür hereinfiel, waren die Pupillen zu winzigen Punkten zusammengezogen.

„Willkommen auf der Sutherland-Farm, Mr Jacobs.“ Sie streckte die Hand aus.

Sein fester, warmer Händedruck und der strenge, unergründliche Blick machten es Hannah schwer, normal zu atmen.

„Dr. Sutherland.“ Seine tiefe, leicht raue Stimme klang überraschend sexy.

Als er ihre Hand eine Weile festhielt, wünschte Hannah für den Bruchteil einer Sekunde, sie hätte sich die Zeit genommen, ihr Make-up aufzufrischen, ihr Haar aufzuflechten und zu bürsten und mit etwas Parfüm den Stallgeruch zu kaschieren, als sie sich in ihrem Büro schnell umgezogen hatte. Aber sie war so in Eile gewesen, dass sie nur das absolut Notwendige zur Verschönerung getan hatte.

Dumme Gans. Er ist ein Kunde. Und du suchst keine Romanze, schon vergessen?

Nach kurzem Zögern gab er ihre Hand frei. Hannah presste ihre prickelnde Handfläche gegen ihren Oberschenkel. Vor fünfzehn Monaten hatte sie ihre Verlobung gelöst, und in der ganzen Zeit hatte sie nicht ein Mal an Sex gedacht. Bis jetzt. Wyatt Jacobs löste ein wohliges Prickeln in ihr aus, wie sie es schon lange nicht mehr verspürt hatte.

Ihr Vater bot ihr einen Drink an. „Dad, du weißt doch, dass ich nichts trinke, wenn ich arbeite. Ich muss mich heute Vormittag noch um Commander kümmern.“

Ihr Frust über den Hengst, den sie in den Stallungen zurückgelassen hatte, kehrte zurück. Commander hätte am liebsten jeden umgebracht – besonders die Tierärztin, die es auf seinen Samen für die Zucht abgesehen hatte. Bei den Turnieren war er außergewöhnlich diszipliniert, aber im Stall wurde er wild und aggressiv. Sein Stammbaum und seine vielen Siege bedeuteten jedoch, dass sie ihn nicht in Ruhe lassen konnte. Sein Samen war wertvoll wie Gold.

Die Unterbrechung durch ihren Vater war zur rechten Zeit gekommen: Hannah, ihr Team und der störrische Zuchthengst selbst hatten eine Erholungspause dringend nötig.

Ihr Vater stellte das Glas neben sie auf den Schreibtisch, als erwarte er, dass sie doch noch einen Drink brauchen würde, und das brachte ihr Unbehagen zurück. Hannah ignorierte es und konzentrierte sich erneut auf den Besucher. Jacobs fixierte sie mit einer Intensität, die sie seltsam erregte.

Sie hatte Filmstars, Politiker und Adelige getroffen. Himmel, sie hatte sich mit einigen verabredet und sie sogar geküsst, ohne dass sie das verunsichert hätte. Warum also brachte Jacobs sie derart durcheinander?

„Was führt Sie hierher auf unser Gestüt, Mr Jacobs?“

„Luthor, würden Sie bitte erklären, warum ich hier bin?“

Komisch, Hannah hätte geschworen, dass Jacobs nicht der Typ war, Fragen auszuweichen. Dass er es tat, schien ihn selbst zu ärgern.

Ihr normalerweise unerschütterlicher Vater schwieg, und als sie ihn ansah, stellte sie fest, dass er angespannt und bedrückt aussah. Er leerte sein Glas in einem Zug und stellte es mit Nachdruck auf den Schreibtisch.

„Daddy, was geht hier vor?“

„Ich habe die Farm verkauft, Hannah.“

Sie blinzelte. Ihr Vater hatte nie viel Humor besessen. Aber seine Antwort war zu grotesk, um etwas anderes zu sein als ein schlechter Witz. „Was?“

Er warf einen kurzen Blick auf Brinkley. „Ich will reisen und etwas von der Welt sehen – das kann ich nicht, wenn ich tagein, tagaus hier angebunden bin.“

Hannah starrte ihren Vater an. Seine Miene wirkte entschlossen. Er scherzte nicht. Plötzlich schien der Boden unter ihren Füßen nachzugeben. Halt suchend umklammerte sie die Schreibtischkante. Ihr war, als würde das Blut in ihren Adern zu Eis erstarren.

Sie wollte etwas sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Mehrmals holte sie tief Atem, bemüht, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Sag, dass das nicht wahr ist. Du kannst die Farm nicht verkauft haben. Das Gestüt ist dein Leben.“ Er hatte doch gar keine anderen Interessen, keine Hobbys. Nichts außer Pferden, Siegen und der Sutherland-Farm. Sogar sämtliche Freunde hatten mit Pferden zu tun.

„Nicht mehr.“

Irgendetwas musste passiert sein. Etwas Schlimmes. Hannah bekam es mit der Angst.

„Würden Sie uns einen Moment entschuldigen, Mr Jacobs?“

Ihr Besucher rührte sich nicht von der Stelle. Er musterte sie – als versuche er, ihre Reaktion einzuschätzen.

„Bitte.“ Sie hasste es, dass sie so verzweifelt klang. Es hörte sich wie Betteln an. Und sie bettelte nie um etwas.

Nach einem Moment nickte er und ging auf die Veranda hinaus.

„Möchtest du, dass ich auch hinausgehe?“, fragte Brinkley.

Ihr Vater hob eine Hand. „Bleib hier, Brink. Hannah hat womöglich Fragen, die nur du beantworten kannst.“

„Daddy, was ist los? Bist du krank?“

„Nein, Hannah, ich bin nicht krank.“

„Wie konntest du dann verkaufen? Du hast Mom versprochen, die Farm für immer zu behalten.“

„Das war vor neunzehn Jahren, Hannah, und sie lag im Sterben. Ich habe gesagt, was ich sagen musste, um sie friedlich einschlafen zu lassen.“

„Aber was ist mit mir? Ich habe es Mom auch versprochen, und ich habe es ernst gemeint. Ich soll die Sutherland-Farm übernehmen. Ich soll den Besitz meiner Großeltern in der Familie halten und an meine Kinder weitergeben.“

„Kinder, die du nicht hast.“

„Na ja, noch nicht, aber eines Tages …“ Sie brach ab, als ihr ein Licht aufging. „Es hat damit zu tun, dass ich Robert nicht geheiratet habe, nicht wahr?“

Missbilligend presste ihr Vater die Lippen zusammen. „Er war perfekt für dich, aber du hast es abgelehnt, dich zu binden.“

„Nein, Dad, er war perfekt für dich. Robert war der Sohn, den du dir immer gewünscht hast.“

„Robert wusste, wie man ein Gestüt leitet.“

„Das weiß ich auch.“

„Hannah, du reitest nicht. Du nimmst nicht an Turnieren teil. Dein Herz hängt nicht an diesem Geschäft, und du hast nicht den Ehrgeiz, die Sutherland-Farm an der Spitze der Grand-Prix-Elite zu halten. Stattdessen verschwendest du deine Zeit und dein Geld für Tiere, die eingeschläfert werden sollten.“

Egal, wie oft sie sie schon gehört hatte, die alten Vorwürfe machten sie immer wieder wütend. Doch sie verkniff sich eine heftige Erwiderung. „Mom hielt auch viel davon, Pferde zu retten. Und mein Projekt für therapeutisches Reiten ist ein voller Erfolg. Wenn du dir die Zeit nehmen würdest, dir die Zahlen anzusehen und die Erfolgsberichte zu lesen …“

„Dein Betrieb schreibt jedes Quartal rote Zahlen. Du gehst sorglos mit Geld um, weil du dir deinen Lebensunterhalt nie erkämpfen musstest.“

„Ich arbeite.“

„Ja, ein paar Stunden am Tag.“

„In meinem Job gibt es nun mal keinen geregelten Achtstundentag.“

„Als deine Mutter und ich die Verantwortung für die alte Tabakfarm meiner Eltern übernahmen, stand sie kurz vor dem finanziellen Ruin. Aber wir haben uns mühsam und beharrlich nach oben gekämpft und die Sutherland-Farm zu dem Vorzeigegestüt gemacht, das sie heute ist. Deine Mutter hatte Ehrgeiz. Du hast keinen. Robert hätte dich vielleicht zur Vernunft bringen und dich auf passendere Hobbys lenken können. Aber es hat nicht geklappt.“

Sie hatte die Verlobung gelöst, als sie erkannt hatte, dass Robert die Pferde und die Farm mehr liebte als sie. Für den allmächtigen Dollar wäre er über Leichen gegangen. Aber davon hätte ihr Vater nichts hören wollen. Männer waren alle gleich in ihrem Erfolgsstreben um jeden Preis.

In den Augen ihres Vaters war Robert der ideale Schwiegersohn – aggressiv im Geschäftlichen und ein Star bei den Springreitturnieren. Aber er war nicht Hannahs Ideal eines Ehemanns. Sie hätte höchstens einen dritten Platz in seinem Herzen eingenommen. Doch sie konnte ihrem Vater wohl kaum sagen, dass Robert ausschließlich auf dem Turnierplatz Leidenschaft bewies.

„Robert war nicht der Richtige für mich.“

„Du bist neunundzwanzig, Hannah, und kein Mann hat dich je länger als ein paar Monate interessiert. Du bist zu wählerisch.“

„Daddy, es tut mir leid, dass ich nicht Mutters Grazie und Fähigkeiten beim Reiten geerbt habe oder deinen Kampfgeist. Aber diese Farm war ihr Traum. Und jetzt ist sie meiner. Ich kann sie leiten. Ich weiß vielleicht nicht, wie man einen Champion reitet, aber ich weiß, wie man einen züchtet. Ich habe das Zeug dazu.“

„Nein, Hannah, das hast du nicht. Du hattest zwar ein paar Erfolge mit deiner Zucht, aber du brennst nicht vor Begeisterung, und du hast absolut keinen Sinn fürs Geschäftliche. Du wirst nie die Zügel für die Sutherland-Farm in die Hand nehmen können.“

Hannah zuckte zusammen. Seine unverblümte Abfuhr schmerzte, obwohl das vermutlich schon seit Jahren seine Meinung war. „Das ist nicht wahr.“

„Ich tu dir keinen Gefallen damit, dich weiterhin zu verhätscheln.“ Er warf seinem Freund einen kurzen Blick zu. „Ich werde nicht ewig hier sein, um dich zu unterstützen, Hannah. Es wird Zeit, dass du lernst, selbst für dich zu sorgen.“

„Was meinst du damit?“

„Ich werde weder dich noch deine aussichtslosen Fälle weiter unterstützen.“

Ihr war, als bliebe ihr das Herz stehen. „Warum? Was habe ich getan? Wie soll ich zurechtkommen?“

„Du wirst lernen müssen, von deinem Gehalt zu leben.“

Schmerz, Angst und das Gefühl, verraten und verkauft zu sein, machten sich in Hannah breit. „Hätten wir nicht über all das reden können, ehe du eine so schwerwiegende Entscheidung triffst?“

„Was hätte das genutzt?“

„Ich hätte dich davon abgebracht. Irgendjemand hätte dich davon abbringen sollen.“ Sie warf dem Anwalt einen anklagenden Blick zu. „Diese Farm ist seit Generationen im Besitz unserer Familie. Eine Menge Leute sind abhängig von dir und mir und …“

„Es ist zu spät, Hannah.“ Ihr Vater seufzte, und plötzlich sah er alt und müde aus. Er schenkte sich noch einen Drink ein und ließ sich dann in den Ledersessel fallen.

In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an Brinkley. „Kann er das machen? Was ist mit dem Anteil meiner Mutter an der Farm?“

„Deine Großeltern haben die Farm deinem Vater überschrieben, ehe er deine Mutter heiratete. Ihr Name wurde nie ins Grundbuch eingetragen. Alles, was dir aus ihrem Vermögen zusteht, hast du bekommen, als du einundzwanzig geworden bist.“

Und das meiste davon war weg. Sie hatte das Geld für ihre Pferde ausgegeben – in dem festen Glauben, dass ihr Vater ihre Bemühungen weiterhin finanzieren würde.

Eine plötzliche Erkenntnis riss Hannah aus ihrer Betäubung. Wyatt Jacobs musste der Käufer sein, der ihr die Farm vor der Nase weggeschnappt hatte. Dieser hinterlistige, charakterlose Erbschleicher.

Hannah dröhnte der Puls in den Ohren. Wenn sie ihren Vater oder Brinkley nicht zur Einsicht bringen konnte, dann musste sie eben mit dem Kerl reden, der widerrechtlich in den Besitz der Farm gelangt war, und ihn dazu bewegen, vom Kauf zurückzutreten. Vielleicht ließ sich dann die Meinung ihres Vaters ändern.

Sie trat auf die Veranda hinaus, wo der Eindringling am Tisch saß und seelenruhig von Nellies Keksen aß und ein Glas Milch trank. Gerade so, als habe er nicht eben ihr Leben auf den Kopf gestellt. Schnurstracks ging sie zu ihm hinüber.

„Das hier ist mein Zuhause. Sie können nicht hier hereinschneien und sich die Farm unter den Nagel reißen. Mein Vater hat momentan einen Anflug von geistiger Verwirrung und …“

Jacobs baute sich vor ihr auf, sein Gesicht hart wie Granit. „Ich habe mir die Sutherland-Farm nicht unter den Nagel gerissen, Doc. Ich habe mehr als einen fairen Marktpreis dafür bezahlt.“ In aller Ruhe biss er erneut von seinem Keks ab.

Seine Unverschämtheit traf Hannah wie ein Schlag ins Gesicht. Als sie den Keks in seiner Hand sah, wurde ihr bewusst, dass sie nicht allein von den katastrophalen Neuigkeiten betroffen war. Sie fuhr zu ihrem Vater herum, der ihr auf die Veranda gefolgt war.

„Was ist mit Nellie? Sie lebt seit Moms Tod bei uns. Sie hat kein anderes Zuhause, keine eigene Familie. Du kannst sie nicht einfach auf die Straße setzen.“

„Wyatt hat versprochen, Nellie weiterhin zu beschäftigen.“

Na prima. Keinen Pfifferling gab sie auf dieses Versprechen. „Was ist mit den anderen Angestellten, den Pferden der Klienten und den Stallungen? Werden Sie reinen Tisch machen?“

Meistens brachten neue Eigentümer ihre eigenen Mitarbeiter mit. Es war eine schreckliche Vorstellung, dass die Leute, die ihr ans Herz gewachsen waren wie eine große Familie, in alle Winde verstreut sein würden – falls sie überhaupt Jobs fanden.

„Ich werde alles beim Alten lassen, bis ich mir einen Überblick über das Anwesen und die Geschäfte verschafft habe.“

„Und dann?“

„Meine Entscheidungen werden von dem abhängen, was ich herausfinde.“

„Was gibt es denn da herauszufinden? Sie haben ein Weltklasse-Gestüt gekauft.“

„Hannah“, mischte sich ihr Vater ein, „Brink wird mit dir die Details des Vertrags durchgehen. Du brauchst im Moment lediglich zu wissen, dass Wyatt zugestimmt hat, das gegenwärtige Personal ein volles Jahr lang zu behalten. Es sei denn, offensichtliche Unfähigkeit lässt ihn anders entscheiden.“

Empört straffte Hannah die Schultern. „Auf der Sutherland-Farm gibt es keine unfähigen Mitarbeiter.“

„Dann braucht sich niemand Sorgen zu machen“, sagte Jacobs.

Hannah war verzweifelt. „Daddy, es gibt bestimmt einen Weg, den Vertrag rückgängig zu machen. Gib mir eine Chance, dir zu beweisen, dass ich die Farm leiten kann und …“

„Hannah, der Vertrag wurde letzte Woche rechtsgültig. Heute haben Wyatt und ich uns lediglich zum ersten Mal persönlich getroffen, um die Übergabe zu besprechen.“

„Letzte Woche“, wiederholte sie. Ihre Welt war zusammengebrochen, und sie hatte nichts davon gemerkt. Ihr schwirrte der Kopf, während sie versuchte, die anstehenden Umwälzungen zu begreifen.

„Ich habe mir bereits eine Stadtwohnung gekauft, und die Umzugsfirma ist bestellt“, ergänzte ihr Vater und versetzte Hannah damit einen weiteren Schock.

Auch Jacobs versteifte sich. „Eine Stadtwohnung? Was ist mit dem Cottage?“

Mein Häuschen! Gütiger Himmel. Wo soll ich denn wohnen?

Die Miene ihres Vaters wurde zurückhaltend. „Hannah wohnt im Cottage.“

Jacobs ballte die Hände zu Fäusten, und in seinen Augen blitzte Wut auf.

Verwirrt blickte Hannah vom neuen Eigentümer zu ihrem Vater. „Mein Zuhause und mein Job sind Teil der Sutherland-Farm. Wohin soll ich gehen? Wo soll ich leben und arbeiten?“

Ihr Vater seufzte. „Ich überlasse die Erklärung Wyatt.“

„Luthor hat das Cottage und die zwei Morgen Land darum herum vom Vertrag ausgenommen. Sie können Ihr Haus behalten. Und, wie Ihr Vater schon gesagt hat, Sie bleiben wie alle anderen Mitarbeiter angestellt, solange Ihre Arbeit meinen Qualitätsansprüchen genügt.“ Jacobs Stimme enthielt nicht die kleinste Spur Wärme.

Der Mann würde ihr Boss sein.

„Ihren Qualitätsansprüchen?“ Aus seinem Unterton schloss sie, dass seine Ansprüche unmöglich zu erfüllen waren.

Ihr Cottage, das ursprüngliche Farmhaus, stand mitten auf der Sutherland-Farm. Sie würde von Feindesland umgeben sein.

Wenigstens hatte sie ein Dach über dem Kopf. Hannah bezwang ihre Panik. „Wann soll diese ganze Umstellung denn stattfinden?“

„Ich übernehme heute die Leitung der Farm und werde in dieses Haus hier einziehen, sobald Ihr Vater es geräumt hat.“

Das Leben, wie sie es bisher gekannt hatte, war bereits zu Ende.

2. KAPITEL

Wyatt war wütend. Luthor Sutherland hatte ihn getäuscht.

Er hatte darauf bestanden, das ursprüngliche Farmhaus mitsamt dem dazugehörigen Land vom Verkauf auszunehmen. Dabei hatte er Wyatt glauben lassen, er selbst wolle sich ins Cottage „zurückziehen“.

Noch eines wurde ihm klar: Sutherlands Tochter gehörte zu den Angestellten, die Sutherland unbedingt hatte schützen wollen. Wenn Wyatt das gewusst hätte, hätte er nie die Mitarbeitervereinbarung unterschrieben, die der alte Patriarch verlangt hatte.

Aber falls Luthor erwartete, er würde seine Prinzessin mit Samthandschuhen anfassen, dann täuschte er sich. Wenn Hannah ihren Job nicht ausfüllen konnte, dann würde sie gefeuert – wie in der Klausel vorgesehen, die Wyatt eingefügt hatte.

Was ihn am meisten ärgerte, war, dass es allein seine Schuld war, getäuscht worden zu sein. Als viel beschäftigter Geschäftsmann hatte er weder Zeit noch Interesse oder das Wissen, ein Gestüt zu führen. Daher hatte er es dem besten Makler der Branche überlassen, einen selbstständigen Betrieb zu finden – einen, der es nicht erforderte, persönlich vor Ort zu sein.

Die Sutherland-Farm erfüllte alle seine Bedingungen. Dennoch fragte er sich jetzt, ob außer der langbeinigen Brünetten noch weitere Überraschungen auf ihn warteten.

Er hatte genug Probleme, ohne sich auch noch um eine verwöhnte Erbin kümmern zu müssen, die bisher ihrem großzügigen Daddy auf der Tasche gelegen hatte. Die Bruchstücke der Unterhaltung, die er durch die Terrassentür mit angehört hatte, bewiesen, dass diese Beschreibung haargenau auf Hannah Sutherland passte – die teure Seidenbluse und die schicken hochhackigen Stiefel sprachen Bände.

Er hätte seine siebenstellige Investitionssumme gewettet, dass Hannah mit ihrer Schönheit und ihrem Lächeln bisher fein durchs Leben gekommen war. Er ahnte, dass sie nichts als Ärger bedeuten würde. In Bezug auf Menschen trog ihn sein Instinkt selten. Er brauchte nicht erst die zweikarätigen Diamanten an ihren Ohren zu sehen, ihre kostbare Armbanduhr oder die kurzen, aber perfekt manikürten Fingernägel, um bestätigt zu finden, wie verwöhnt sie war.

„Ich möchte die Akten aller Angestellten einsehen, ehe ich heute wieder wegfahre“, verlangte er, ohne einen Blick von den rauchblauen Augen zu wenden, die ihn anfunkelten.

„Die sind vertraulich.“

„Hannah“, warf Sutherlands Anwalt ein, „als neuer Besitzer der Sutherland-Farm hat Mr Jacobs uneingeschränkten Zugang zu den Personalakten.“

„Aber …“

„Mit Ihrer Akte fange ich an. Ich kann mir gut vorstellen, was darin steht. Privatschulen, Studentinnenverbindungen, Europareisen auf Kosten der Sutherland-Farm …“

Wütend sah Hannah ihn an. Ihr schlanker, sportlicher Körper wirkte angespannt. Ihre Brüste hoben und senkten sich schnell, und trotz seiner Abneigung gegen verwöhnte Frauen und des Ärgers über seine missliche Lage spürte Wyatt ihre körperliche Gegenwart mehr als deutlich.

Irgendetwas an Hannah berührte ihn. Ihre unaufdringliche Grazie und Eleganz faszinierten ihn – und stießen ihn gleichzeitig ab. Zu viele schlechte Erfahrungen hatte er mit Frauen ihres Typs gemacht.

„Ich habe an einer renommierten Uni meinen Abschluss in Tiermedizin gemacht. Meine Zeugnisse sind beglaubigt, und da Warmblüter hauptsächlich in Europa gezüchtet werden, gehört es zu meinem Job, mich dort bei erfolgreichen Gestüten über deren Zucht zu informieren und Pferde mit passendem Erbgut für uns zu finden.“

„Ich bin sicher, Sie haben Referenzen von früheren Arbeitgebern, um Ihre Fähigkeiten als Mitarbeiterin zu beweisen.“

Sie reckte das Kinn ein wenig vor und schaute ihn auf die Art von oben herab an, wie es nur reiche Frauen vermochten. Diese Lektion hatte er schon mit siebzehn gelernt, als er im Stall seines Stiefvaters gearbeitet hatte. Damals war er noch zu naiv gewesen, um zu wissen, dass Töchter reicher Daddys keine Jungs heirateten, die die Ställe ihrer Stiefväter ausmisteten, egal, wie intim die Beziehung sein mochte.

„Ich arbeite seit meinem Abschluss hier – seit fast fünf Jahren, und ich verstehe mein Handwerk.“

„Das müssen Sie mich schon selbst beurteilen lassen.“

„Sagen Sie, Mr Jacobs, was genau befähigt Sie zu beurteilen, ob ein Mitarbeiter gut arbeitet oder nicht?“

„Ich leite die Triple Crown Distillery. In dieser Whiskey-Brennerei habe ich über sechshundert Mitarbeiter. Ich erkenne auf Anhieb, wer unfähig ist und bummelt.“

Vor Wut wurde sie rot. „Wie schon gesagt, auf der Sutherland-Farm gibt es keine Schwachstellen. Wir sind ein eingespieltes Team.“

„Das wird sich zeigen.“ Hätte er bloß eines der anderen Gestüte gekauft, die ihm der Immobilienmakler angeboten hatte. Aber keines davon hätte Sam gefallen, und alle hätte er selbst leiten müssen. Und dazu hatte er keine Zeit und auch keine Lust.

Wenn sein Stiefvater von der Farm in Kentucky erzählte, auf der er einst Vollblüter gezüchtet hatte, war er geistig so klar, dass man fast vergessen konnte, dass er zusehends abbaute. Die Sutherland-Farm ähnelte Sams alter Farm mehr als all die anderen, und er verdiente es, sich wohlzufühlen, glücklich und geborgen zu sein – für die Zeit, die ihm noch blieb. Das war Wyatt ihm schuldig.

Er würde sich nicht von Hannah Sutherland davon abhalten lassen, für den Mann zu sorgen, der ihm ein besserer Vater war als sein leiblicher Vater.

„Sehen Sie sich vor, Doc. Ihr Vater war vielleicht nachsichtig mit Ihnen, aber ich werde es nicht sein. Sie werden für Ihr Geld arbeiten, wenn Sie hier angestellt bleiben wollen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe Akten durchzusehen, und Sie müssen zurück an die Arbeit.“

Erschöpft trottete Hannah den Weg zu ihrem Cottage hinauf. Sie freute sich auf ein heißes Bad und ein Glas Wein.

Es war eine harte Woche gewesen. Neben ihren normalen Aufgaben hatte sie unerwartet neue übernehmen müssen. Die Mitarbeiter waren mit vielen Fragen zu ihr gekommen – doch sie hatte keine Antworten.

Weil Wyatt Jacobs sich immer noch nicht hatte blicken lassen, wurde die Stimmung in den Stallungen mit jedem Tag gedrückter und gereizter. Selbst die Pferde spürten das, und der Umgang mit ihnen war schwieriger als sonst. Hannah wünschte, Jacobs würde sich endlich den Mitarbeitern vorstellen, damit sich die Spannung löste. Nicht, dass sie ihn wiedersehen wollte.

Ihr Handy vibrierte. Das Display zeigte an, dass es ein privater Anrufer war.

Sie meldete sich.

„Wyatt Jacobs. Kommen Sie in mein Büro im Haus. Jetzt sofort.“

Mit zusammengekniffenen Augen sah sie zum Haupthaus hinüber. Im Büro ihres Vaters – in Wyatt Jacobs’ Büro – brannte Licht.

Der Eindringling war angekommen. Und er hatte einfach aufgelegt. Unverschämt. Hannah wurde wütend. Wie konnte er es so spät am Abend wagen, sie ins Büro zu zitieren?

Am liebsten hätte sie zurückgerufen, um ihm zu sagen, dass sie Feierabend hatte und morgen zu ihm kommen würde. Doch gemäß der Klausel in ihrem neuen Vertrag konnte sie es nicht ablehnen, beim Boss zu erscheinen, ohne ihren Job zu gefährden.

Sie besah sich ihre schmutzige Kleidung. Wäre sie daran interessiert, einen guten Eindruck zu machen, würde sie sich schnell umziehen.

Autor

Emilie Rose
Ihre Liebe zu romantischen Geschichten hat Emilie bereits im Alter von zwölf Jahren entdeckt. Zu der Zeit las sie einen Liebesroman nach dem anderen, sodass ihre Mutter die Bücher bald unter den Sofakissen versteckte, sobald Emilie ins Wohnzimmer kam.

Dabei verbrachte sie damals viel Zeit in der freien Natur, wenn sie...
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