Verführt, verliebt, verloren?

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Was ist nur mit ihm los? Erst träumt Flynn von Sabrina, dann küsst er sie … obwohl sie seine Kollegin und beste Freundin ist - und damit absolut tabu! Doch nach diesem Kuss weiß Flynn genau: Gegen die magische Anziehungskraft sind sie beide machtlos. Ab jetzt will der frisch geschiedene Millionenerbe Sabrina jede Nacht in seinem Bett. Sie ist das Gegenteil seiner intriganten Ex-Frau, und er ist einfach verrückt nach ihr! Zum ersten Mal ahnt Flynn, was Liebe wirklich ist. Aber warum zeigt Sabrina ihm plötzlich die kalte Schulter?


  • Erscheinungstag 03.09.2019
  • Bandnummer 2097
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725372
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Zwanzig Minuten sind das Mindeste. Oder du kannst darauf wetten, dass sie jedem erzählt, wie miserabel du im Bett bist.“

„Wenn du länger als sieben Minuten brauchst, du ahnungsloser Brite, bist du wirklich ein hoffnungsloser Fall.“

„Hört sich eher so an, als hättest du keine Ahnung.“

Grinsend lehnte sich Flynn Parker in seinem Sessel zurück, das eingegipste Bein auf einem weichen Hocker abgelegt, und hörte den beiden Freunden zu, die sich über Sex unterhielten. Ihr Thema war, wie Frauen es am liebsten hatten.

„Wenn ihr so genau wisst, wie’s geht, wundert es mich, dass ihr immer noch solo seid.“

Gage Fleming und Reid Singleton stutzten und sahen Flynn überrascht an, als hätten sie vergessen, dass da noch ein Dritter im Raum war. Was kein Wunder war, denn die Whiskeyflasche war fast leer, obgleich nur Reid und Gage getrunken hatten, denn Flynns Medikamente vertrugen sich nicht mit Alkohol.

„Das musst du gerade sagen“, lallte Reid in seinem britischen Akzent. „An deiner linken Hand kann ich auch keinen Ehering mehr entdecken.“

„Eben. Und genau das ist der Grund für unseren Trip.“ Gage stieß mit Reid an und dann mit Flynns Wasserflasche.

Stimmt. Flynn nickte. Dass er sich kürzlich von Veronica getrennt hatte, wollten die Freunde hier oben feiern, auf der Skihütte von Flynns Vater in den Bergen von Colorado. Das letzte Mal waren sie hier als Studenten gewesen, und irgendwie schienen sich die Jahre seitdem in Luft aufgelöst zu haben. Denn die drei fühlten sich unbeschwert und albern wie damals.

Gage und Reid hatten in alten Geschichten geschwelgt und vor allem mit ihren zahllosen Eroberungen angegeben, während Flynn so leichtsinnig gewesen war, sich auf den schwierigsten Hang zu wagen. Und da er keine Übung hatte, war er böse gefallen und hatte sich das Bein gebrochen.

Skilaufen war offenbar nicht seine Stärke.

Und mit Veronica hatte es auch nicht geklappt.

Die Scheidung hatte all das zerstört, was er sich von der Zukunft versprochen hatte. Die beiden Freunde waren gleich gekommen, um ihn abzulenken. Alle drei waren seit dem College unzertrennlich gewesen. Bevor Flynn an Bord ging, um nach Colorado zu fliegen, hatte er noch erfahren müssen, dass die Lungenentzündung seines Vaters in Wahrheit Lungenkrebs war und der Vater bald sterben würde. Das bedeutete, dass Flynn dann die Firma übernehmen musste. Eine Aufgabe, auf die sein Vater ihn nur unzureichend vorbereitet hatte.

Eigentlich war es immer Flynns Lebensziel gewesen, Monarch Consulting zu übernehmen. Mit der Betonung auf war. Denn sosehr er sich auch bemüht hatte, Interesse zu zeigen und seinen Vater zu unterstützen, Emmons Parker hatte davon nichts wissen wollen. Im Gegenteil, er hatte den Sohn in keiner Form in die Arbeit mit einbezogen, sondern ihn eher zurückgestoßen und im Unklaren gelassen, auch weil er sich mit dreiundfünfzig noch zu jung fühlte, um an einen Nachfolger zu denken.

Nun war es zu spät, und die Firma lastete auf Flynns Schultern. Auf seinen allein.

Auf einmal lachte Reid schallend los. Offenbar hatte Gage etwas Komisches gesagt. Das riss Flynn aus seinen trüben Gedanken. Er blickte auf. Nein, er war nicht allein. Er hatte Reid und Gage und seine beste Freundin Sabrina Douglas, die er noch länger als die beiden kannte. Alle drei arbeiteten mit ihm zusammen und würden ihn nie im Stich lassen.

Die älteren Angestellten waren fast ausgeflippt, als herauskam, dass Flynn die Firma als neuer Geschäftsführer übernehmen würde. Er, der als bequem und nachlässig verschrien war, sollte nun für das Wohl und Wehe der Mitarbeiter zuständig sein? Doch Flynn war fest entschlossen, diese neue Aufgabe genauso ernst zu nehmen wie den Pakt, den er mit seinen Freunden geschlossen hatte. Und über den er noch kurz vor dem Sturz nachgegrübelt hatte, was offenbar keine gute Idee gewesen war.

„Erinnert ihr euch noch, was wir uns als Studenten geschworen haben?“ Schmunzelnd sah er seine Freunde an. „Dass wir nie heiraten würden?“

„Allerdings!“ Reid lachte kurz auf. Reid Singleton war fest entschlossen Single zu bleiben. Das war er schon seinem Namen schuldig. „Das war hier, oder? Genau in diesem Raum.“

Gage schürzte die Lippen und kniff die Augen zusammen. „Wir waren damals doch vollkommen besoffen. Möchte nicht wissen, was wir sonst noch alles von uns gegeben haben.“

„Ich habe mich nicht daran gehalten. Ich hätte es tun sollen.“ Ein großer Fehler. Flynn seufzte leise.

„Ich kann verstehen, dass du das jetzt so siehst“, meinte Gage. „Du hast ziemlich viel aushalten müssen. Damals haben wir eigentlich alle nicht daran geglaubt, dass es so etwas wie die ewige Liebe gibt.“

„Wir wollten auch nicht daran glauben“, warf Reid ein.

Flynn wies mit seiner Wasserflasche auf Gage. „Wie lange bist du jetzt schon mit deiner neuen Flamme zusammen? Einen Monat?“

„Ja, ungefähr.“

„Na und?“ Reid leerte sein Whiskeyglas in einem Zug. „Du und ich, Gage, wir haben uns wenigstens an unsere Abmachung gehalten. An deiner Stelle wäre Flynn schon längst wieder verheiratet.“

Das war nicht übertrieben. Flynn und Veronica hatten geheiratet, als sie sich gerade einmal dreißig Tage kannten. Völlig verrückt. Dass die Ehe immerhin drei Jahre gehalten hatte, war Flynns Sturheit zu verdanken und nicht Liebe und Leidenschaft. Aber als Veronica ihn dann mit seinem Bruder betrog, war es auch für ihn vorbei gewesen.

Und wenn schon, dachte er, als ihn die Erinnerung an den Betrug wie ein Messerstich durchfuhr. Er hatte Julian sowieso nie leiden können.

„Er tut es schon wieder“, stieß Reid mit schwerer Zunge hervor. Er wies mit erhobenem Zeigefinger auf Flynn, sah aber Gage an. „Er denkt an sie“, flüsterte er.

„Ich habe alles gehört!“ Flynn richtete sich auf. Schließlich hatte er zwar Veronica verloren, nicht aber sein Gehör. Das heißt, „verloren“ konnte man eigentlich nicht sagen. Veronica und er hatten sich Stück für Stück voneinander entfernt, bis sie sich schließlich seinem älteren Bruder zuwandte, der ihr vom Wesen her ähnlicher war. Ebenso wie sie war er eher ein Künstlertyp, während Flynn sachlich und pragmatisch war. Langweilig und gefühlsarm sei er, hatte Veronica ihm vorgeworfen.

„He, Flynn!“ Gage schnippte mit den Fingern. „Hör auf mit dem Trübsinn. Wir sind doch hier, um deine Scheidung zu feiern, und nicht, um zuzusehen, wie du in Depressionen verfällst.“

„Tu ich doch gar nicht.“ Flynn hatte lange über seine Situation nachgedacht und war jetzt der Überzeugung, dass das Schicksal ihm quasi einen Tritt versetzt und ihn endlich wachgerüttelt hatte. „Ich erneuere den Pakt“, sagte er mit düsterer Stimme, sodass selbst Reid aufhörte zu lächeln. „Ich bleibe ledig. Eine Ehe ist die ganze Quälerei nicht wert. Auch nicht, dass man sich deshalb das Bein bricht. Da verbringe ich meine Zeit lieber mit den beiden schlimmsten Typen im ganzen Universum.“

Seine Freunde sahen ihn beleidigt an. „Das war nicht nötig, Parker“, sagte Reid, und Gage nickte.

Flynn lehnte sich so weit vor, wie es das hochgelegte Bein zuließ. „Auf keinen Fall sollt ihr so was durchmachen wie ich. Nie.“

„Du meinst es also wirklich ernst.“ Gage sah ihn nachdenklich an und wirkte auf einmal stocknüchtern. Flynn schwieg. „Okay. Wie lautete der Schwur?“

„Das letzte Mal haben wir uns versprochen, niemals zu heiraten“, meinte Reid. „Und dann schwörten wir auf unser bestes Stück.“

„Das bedeutet, dass deins längst abgefallen sein müsste.“ Reid musterte Flynn mit gespielt angestrengtem Gesicht. „Ist es aber nicht, oder?“

„Nein, ist es nicht“, sagte Flynn genervt.

„Puh.“ Reid wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn.

„Kopf hoch, Parker. Du warst doch nicht zurechnungsfähig.“ Gage schlug Flynn freundschaftlich auf die Schulter. „Deine Mutter war damals krank und dein Vater unglücklich. Und Natalie hatte mich gerade sitzen gelassen. Wir waren damals alle schlecht drauf.“ Er warf Reid einen schnellen Blick zu. „Bis auf Reid. Keine Ahnung, warum er mitgemacht hat.“

„Wollte sowieso nie heiraten“, brummte Reid. „Alle für einen, einer für alle.“

„Also? Erneuern wir den Pakt“, sagte Flynn ernst. „Auf euer bestes Stück, groß oder klein.“

Reid grinste.

Beim ersten Mal hatten sie alle drei nicht gewusst, was echter Herzenskummer bedeutete. Wenn die Freundin Schluss machte, war das zwar nicht angenehm. Aber zu heiraten und dann betrogen zu werden, das war um einiges schlimmer. Reid und Gage hatten auch heute noch keine Ahnung, wie schlimm, und Flynn wünschte ihnen von Herzen, so etwas nie durchmachen zu müssen. Die letzten drei Monate waren für ihn die Hölle gewesen. All das hätte er nicht ertragen müssen, wenn er ihren Pakt ernst genommen hätte.

Wahrscheinlich würden die beiden nie mit Frauen zusammen sein, die sie mit Familienmitgliedern betrogen. Aber aus welchen Gründen auch immer Scheidungen zustande kamen, sie waren schmerzhaft. Rein statistisch wurden mehr als fünfzig Prozent aller Ehen geschieden. Zwar behaupteten manche, dass diese Erfahrung für sie wichtig gewesen sei und sie weitergebracht habe. Aber das war totaler Blödsinn.

Flynn bedauerte zutiefst, dass er geheiratet hatte. Dass Veronica sich für seinen Bruder entschieden hatte, hätte er im Nachhinein besser ertragen können, wenn sie ihm gleich gesagt hätte, dass sein Bruder sie interessiere. Und nicht erst nach drei unerträglichen Ehejahren.

„Ich schwöre, ich werde niemals heiraten.“ Reid stieß mit dem Glas gegen Flynns Wasserflasche und sah Gage erwartungsvoll an.

„Okay. Das Ganze ist verrückt, aber ich bin dabei.“ Gage hob das Glas.

„Du musst es sagen“, drängte Flynn. „Sonst gilt es nicht.“

„Ich verspreche es. Ich werde nicht heiraten.“

„Niemals. Du hast niemals vergessen.“ Flynn verzog keine Miene.

„Moment mal!“ Reid hob den Zeigefinger. „Was, wenn einer von uns wieder schwach wird? So wie unser romantischer Gage hier, frisch verliebt.“

„Halt die Klappe, Reid!“

„Aber wer weiß, vielleicht ist eine von deinen Vier-Wochen-Flammen plötzlich die Richtige. Wenn du nicht aufpasst.“

„Ich passe aber auf“, brummte Gage.

„Das will ich dir auch geraten haben.“ Flynn warf ihm einen strengen Blick zu. Alle schwiegen, als sei ihnen erst jetzt die Bedeutung dieses Schwurs bewusst geworden. „Bis dass der Tod euch scheidet ist eine Lüge und die Sache letzten Endes nicht wert.“

Reid sah nachdenklich auf Flynns eingegipstes Bein, irgendwie auch eine Folge der verkorksten Ehe. Dann warf er einen schnellen Blick auf Gage. Sie bedeuteten Flynn mehr als sein eigener Bruder. Sie würden alles für ihn tun – auch schwören, dass eine Ehe für sie nicht infrage kam.

„Niemals!“, sagte Gage mit Nachdruck und hob sein Glas.

Flynn und Reid nickten zufrieden und stießen mit ihm an.

1. KAPITEL

Flynn Parker zitterten die Hände, als er versuchte, seine Krawatte mit einem doppelten Windsorknoten zu binden. Kein Wunder, er hatte zu viel Kaffee getrunken und entsprechend wenig geschlafen. Außerdem war es heiß in dem kleinen Hinterzimmer der Kapelle. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und seine Hände waren feucht. Er schloss die Augen und atmete ein paarmal tief durch.

Immerhin, die Trauerfeier hatte er schon mal überstanden. Aber das Schlimmste stand ihm noch bevor. Dabei zu sein, wenn man den Sarg in die Erde hinabließ. Sicher, er hatte sich oft mit seinem Vater gestritten. Aber am offenen Grab zu stehen und zuzusehen, wie sein Sarg hinabgelassen wurde, hatte so etwas entsetzlich Endgültiges. Irgendwie endgültiger als der Tod selbst.

„Da bist du ja.“ Sabrina Douglas, Flynns gute alte Freundin aus Collegezeiten, trat in den Raum. „Kann ich dir helfen?“

„Warum ist es hier drinnen bloß so heiß!“, stöhnte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Sie schnalzte mit der Zunge wegen seiner übertriebenen Reaktion. Auch wenn sie in den letzten Jahren privat wenig miteinander zu tun gehabt hatten, so war sie doch immer ein Teil seines Lebens gewesen und an seiner Seite, wenn er sie brauchte. Sie hatte ihn unterstützt, als er versuchte, sich in die Aufgaben der Beratungsfirma einzuarbeiten, die ihm jetzt gehörte und deren Geschäftsführer er war. Sie war bei seiner Hochzeit mit Veronica dabei gewesen. Damals waren sie dreißig gewesen. Sie waren im selben Jahr, sogar am selben Tag und fast zur selben Uhrzeit geboren worden. Sie war vier Minuten älter als er und hatte ihn oft damit aufgezogen.

Doch das konnte ihre Freundschaft nicht erschüttern.

Sie hob die Augenbrauen über der schwarzen Brille, lächelte leicht und griff nach seiner Krawatte.

„Normalerweise kann ich das“, stieß er verärgert hervor. „Ich mach es doch jeden Morgen.“ Sabrinas fruchtiges Parfüm kitzelte ihn in der Nase. Mm, sie roch immer so gut, was ihm länger schon nicht mehr aufgefallen war. Eigentlich viel zu lange …

Solange er mit Veronica verheiratet gewesen war, hatten Sabrina und er sich außerhalb der Arbeitszeit kaum gesehen. Mit Reid und Gage hatte er sich nach wie vor getroffen, aber aus irgendeinem Grund war Sabrina nicht mehr willkommen gewesen in ihrem engsten Freundeskreis. Darüber hatten sie nie gesprochen, war wohl so etwas wie eine geheime Abmachung zwischen Veronica und Sabrina. Wieso eigentlich? Er runzelte die Stirn.

„Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist“, brummte er.

„Aber Flynn …“

Er bedeckte ihre Hände mit seinen. „Nicht“, sagte er leise. Ihm war jetzt nicht nach reden zumute.

Sabrina sah ihn an, und zum ersten Mal fiel ihm auf, was für schöne Augen sie hatte, haselnussbraun mit einem Hauch grün. Hinter den Brillengläsern wirkten ihre Augen groß. Was hatte sie nicht schon alles mit ihm mitgemacht. Während seiner Scheidung war sie an seiner Seite gewesen, auch während der schweren Krankheit seines Vaters und dessen Tod. In den letzten Monaten war sich Flynn wirklich wie der unglückliche Hiob aus der Bibel vorgekommen, der vom Pech verfolgt wurde. Konnte es noch schlimmer kommen?

Der alte Emmons Parker hatte gewusst, wie schlecht seine beiden Söhne miteinander auskamen. Deshalb hatte er vor seinem Tod bestimmt, die Testamentsverlesung auf zwei Tage zu verteilen. Am Sonntag war Flynn dran gewesen, am Montag Julian. Julian erbte die vom Vater geliebte Oldtimersammlung und das große Haus, in dem sie aufgewachsen waren, mit dem Kirschbaum im Vorgarten. Flynn erbte die Skihütte in Colorado, das Penthouse in der Innenstadt und vor allem die Firma. Da Julian vorhatte, „eine Familie zu gründen“, so ähnlich hatte es im Testament gestanden, bekam er das geliebte Elternhaus, das die Mutter mit in die Ehe gebracht hatte. Obgleich er zwar der ältere, aber der weniger verlässliche der Söhne war, wie der Vater wusste.

Der Sohn, der nun mit Flynns früherer Frau eine Familie gründen würde.

Nach der Trauerfeier hatten Freunde und Familienangehörige Flynn herzlich umarmt und ihm ihr Beileid ausgedrückt. Auch Julian und Veronica waren da, aber Flynn war beiden aus dem Weg gegangen. Er wusste zwar, dass Veronica ihn nicht aus den Augen ließ, aber er hatte keine Lust, auf sie zuzugehen. Mit ihrem schlechten Gewissen musste sie schon allein fertigwerden.

„Ich würde dich so gern trösten“, stieß Sabrina leise hervor und schluckte. „Aber ich weiß nicht wie.“ Sie presste die Lippen zusammen. „Es tut mir alles so leid.“

Flynn zog sie in die Arme und wiegte sie sanft hin und her. Es tat ihm gut, ihren warmen Körper zu spüren und zu wissen, sie würde immer zu ihm halten. Sie hielt sich an ihm fest, als würde sie zu Boden sinken, wenn sie ihn losließ. Und so strich er ihr liebevoll über den Rücken und murmelte: „Du tust genau das, was ich jetzt brauche, Sabrina. Du bist hier, und das ist genug.“

Sie schniefte leise und löste sich langsam aus seiner Umarmung. Während sie die Brille anhob und sich mit einem Taschentuch vorsichtig die Augen betupfte, betrachtete sie sich im Spiegel. „Aber das ist keine Hilfe“, sagte sie leise.

„Oh, doch.“ Sie war unglaublich sensibel und voller Mitgefühl. Manchmal machte er sich deshalb Sorgen um sie. Denn Menschen wie Sabrina konnten zu leicht ausgenutzt werden. Er begegnete ihrem Blick im Spiegel und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie sich selbst wohl auch so sah. Sie war groß und schlank, ihr dunkelbraunes Haar umrahmte ein ebenmäßiges Gesicht von klarer Schönheit. Und die dunkle Brille gab ihr etwas Verletzliches und gleichzeitig Intellektuelles. Sie trug ein schwarzes schmales Kleid, dazu Schuhe mit hohen Absätzen, mit denen sie fast so groß war wie er.

Jetzt putzte sie sich energisch die Nase und sah Flynn an. „Ist schon gut, ich bin wieder okay.“ Sie atmete noch einmal tief durch. „Also, wenn ich irgendetwas für dich tun kann …“

„Lass uns abhauen …“, platzte er plötzlich heraus und war selbst überrascht. Wo kam das jetzt her? Aber warum eigentlich nicht?

„Du meinst, einfach so? Ohne zum Grab mitzugehen?“

„Ja, warum nicht?“ Er hatte mit jedem gesprochen. Er hatte sich anhören müssen, wie der Pfarrer seinen Vater wie einen Heiligen darstellte. Das hatte er nur schwer ertragen können, ebenso wie die verlogene Lobhudelei der anderen Trauergäste.

Sabrina wollte etwas erwidern, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Ich würde auch die nächsten Stunden noch überstehen, aber ich will es nicht. So einfach ist das.“

Sie musterte ihn kurz und nickte dann. „Gut, dann lass uns abhauen.“ Als er erleichtert aufatmete, lachte sie leise. „Wollen wir zu Chaz’s gehen? Für Fisch und Chips würde ich jetzt mein Leben lassen.“ Erschreckt legte sie sich die Hand auf den Mund. „Entschuldige, das ist wirklich ein unpassender Ausdruck bei einer Beerdigung.“

Unwillkürlich musste er lachen. Gleichzeitig wurde ihm klar, wie lange er sie schon nicht mehr außerhalb der Büroräume gesehen hatte. „Ja, gern. Komm.“

In diesem Moment trat Julian in die Tür und sah seinen Bruder empört an. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Du verlässt die Beerdigung deines eigenen Vaters? Das gehört sich nicht!“

Du hast es nötig, mir Moral zu predigen! Flynn wollte gerade etwas erwidern, als Veronica ihren blonden Kopf von hinten auf Julians Schulter legte. Ihr Blick glitt von Sabrina zu Flynn, dem es eiskalt über den Rücken lief. „Liebster“, wisperte sie in Julians Ohr, „lass gut sein. Nicht hier.“

Liebster! Auch das noch. Flynn spürte, wie Sabrina neben ihn trat. Auch wenn er seine Sache allein verfechten konnte, tat es doch gut, ihre Unterstützung zu spüren.

Julian trat einen Schritt vor und starrte den Bruder drohend an. „Du willst nicht am Grab deines Vaters stehen und ihm ein letztes Lebewohl sagen? Das tut man einfach nicht.“ Es hätte nicht viel gefehlt, und Julian hätte vor seinem Bruder ausgespuckt. Wieder flüsterte Veronica ein begütigendes „Liebster“, aber Julian achtete nicht auf sie.

„So? Du hast mehr als deutlich gemacht, dass es mich nichts angeht, was du tust oder nicht tust.“ Flynn warf einen wütenden Blick auf Veronica. „Das gilt für euch beide. Und ich finde, mir steht das gleiche Recht zu.“

Veronica riss die blauen Augen auf. Flynn betrachtet sie. Mein Gott, wie hatte er sie früher angehimmelt, diese elegante Erscheinung mit dem vollen blonden Haar und dem immer perfekten Make-up … Bis er sah, was sich darunter verbarg. Egoismus, Betrug, Lügen. „Irgendwie sahst du früher besser aus“, bemerkte er – und erschrak. Das hatte er nicht laut sagen wollen.

„Das reicht!“ Julian stürzte auf ihn zu und wollte ihn schlagen, doch Flynn parierte den Hieb leicht. Sein Bruder hatte nur schwache Muskeln. Kein Wunder, er musste nur einen Pinsel halten. Flynn duckte sich, als Julian nun mit der linken Faust zuschlug, dann kam er hoch und traf den Bruder mit einer Rechten aufs Kinn. Julian taumelte, machte ein paar Schritte rückwärts, verlor die Balance und fiel zu Boden.

Veronica schrie auf und kniete sich neben ihn. „Liebster, was ist? Sag doch was.“

Flynn biss die Zähne zusammen. Er wusste nicht, was ihn mehr anwiderte. Dass die Frau, die ihm ewige Treue geschworen hatte, sich über den verhassten Bruder beugte. Oder dass er die Fassung verloren und Julian geschlagen hatte.

„Flynn?“ Sabrina sah ihn besorgt an. „Alles okay?“

Es war ihm sehr unangenehm, dass sie ihn in diesem Zustand sehen musste, irgendwie kaputt und schwach, so wie er sich schon seit Monaten fühlte. „Ja, alles bestens.“ Er nahm sie bei der Hand und verließ mit ihr den Raum, ohne weiter auf Julian und Veronica zu achten. Draußen kamen ihnen Reid und Gage mit schnellen Schritten entgegen.

„Jemand hat geschrien“, Reid hatte die Fäuste geballt und sah die beiden aufgebracht an. „Was ist los?“

Auch Gage wirkte beunruhigt und sah sich nach allen Seiten um, ob irgendwo Gefahr lauerte. Dann wandte er sich an Sabrina. „Und du? Bist du okay?“

„Ja. Ich habe nicht geschrien. Das war Veronica.“

„Mit uns ist alles in Ordnung“, sagte Flynn schnell. „Aber ich fürchte, ich habe Julian die Nase gebrochen.“

„Gebrochen?“ Reid war verblüfft. Dann grinste er und schlug Flynn anerkennend auf die Schulter.

„Und was machen wir jetzt?“ Gage warf einen kurzen Blick auf den angrenzenden Raum, aus dem Jammern und Stöhnen drang.

„Wir verlassen diese Veranstaltung“, meinte Flynn. „Wer hat Appetit auf Fisch und Chips bei Chaz’s?“

„Ich natürlich.“ Als Engländer liebte Reid sein Fisch und Chips.

Gage, wie immer der vorsichtige, umsichtige Freund, sah Flynn prüfend an. „Hast du dir das auch gut überlegt?“

Unwillkürlich musste Flynn an seinen Vater denken, an dessen Wutausbrüche und Beschimpfungen. Wie einsam war Emmons gewesen, nachdem Mom vor fünfzehn Jahren an Krebs gestorben war. Jetzt hatte der Krebs auch ihn erwischt, aber im Gegensatz zu seiner Mom hatte sein Vater nie begriffen, was im Leben wirklich wichtig war. Er war als verbitterter alter Mann gestorben. Vielleicht konnte Flynn deshalb diesen endgültigen Abschied nicht ertragen.

Sabrina nahm seine Hand und drückte sie. „Was auch immer du willst, uns ist es recht.“

Reid und Gage nickten.

„Dann lasst uns zu Chaz’s gehen.“

„Also los.“

Sie gingen um die Menge herum, die darauf wartete, dass Flynn seinen Platz als Sargträger einnahm, vorbei an irgendwelchen Verwandten, von denen Flynn noch nie etwas gehört hatte und die wie die Geier aufgetaucht waren. Eine Freundin von Veronica hielt ihn kurz an. „Wo sind denn Veronica und Julian?“

Er wies mit dem Kopf auf die Tür. „Da drinnen.“

Ohne nach rechts oder links zu sehen, ging er mit Sabrina an der Hand auf seinen Wagen zu und schloss auf. Sabrina stieg vorn und die Freunde hinten ein. Dann verließen sie den Parkplatz und fuhren direkt zu Chaz’s.

2. KAPITEL

Sechs Monate später

Flynn drückte auf die Taste der Espressomaschine. Hier in dem angrenzenden Extraraum seines Büros hatte sein Vater sich immer aufgehalten, wenn er sich entspannen wollte. Keinem der Mitarbeiter von Monarch Consulting war der Zutritt erlaubt gewesen, auch dem eigenen Sohn nicht.

Das hatte Flynn grundsätzlich geändert. Seine drei engsten Mitarbeiter, Reid, Sabrina und Gage, konnten selbstverständlich kommen, wann immer sie wollten. Sie hatten ihre Büros auch hier auf dem obersten Stockwerk, das sein Vater früher für sich reserviert hatte. Ob der eine oder andere Angestellte darin eine Bevorzugung sah, war Flynn egal. Als er aus Colorado zurückgekehrt war, nun als der neue Geschäftsführer der Firma, hatte er diese Büros eingerichtet. Es tat ihm gut, die Freunde um sich zu haben und täglich daran erinnert zu werden, dass er nicht allein war.

Dies war jetzt seine Firma, mit der er tun und lassen konnte, was er wollte. Was Emmons weiß Gott jahrelang in übertriebenem Maße gemacht hatte. Monarch Consulting beriet Firmen in Bezug auf ihre Geschäftsstrategien, mit dem Ziel, besseres Marketing und damit auch bessere Ergebnisse zu erzielen. Dazu waren oft auch ganz neue Wege nötig, und das war etwas, wo Emmons Parker oft passen musste. Seine Strategien hatten sich seit Jahrzehnten nicht geändert.

Gage Fleming hatte sich um neue Klienten zu bemühen, und charmant und liebenswürdig, wie er war, war dieser Job ideal für ihn. Reid kümmerte sich um die Website der Firma und um regelmäßige Marketing-Analysen. Und Sabrina war für die sozialen Medien und die Darstellung der Firma auf allen Internetplätzen zuständig.

Flynn nahm die kleine Espressotasse aus dem Apparat, rührte braunen Zucker in das dunkle Gebräu und dachte an die Freunde, ohne die er nicht das geschafft hätte, was er im letzten halben Jahr aus der Firma gemacht hatte.

„Was gibt’s, Bruder?“

Flynn fuhr herum. Gage war hereingekommen und grinste ihn breit an. Ja, wenn du doch mein biologischer Bruder wärst, ging es Flynn nicht zum ersten Mal durch den Kopf. Und nicht Julian …

Gage trug sein ehemals sehr kurzes Haar seit einiger Zeit etwas länger, sodass es sich an den Enden kringelte, was ihm noch zusätzlich jungenhaften Charme verlieh. Der Mann konnte wirklich jeden um den Finger wickeln, Flynn kannte niemanden, der mit ihm nicht auskam. Und auf ihn selbst hatte Gage einen beruhigenden Einfluss, den er in der letzten Zeit gut gebrauchen konnte.

Gage gab seinem Freund einen Klaps auf den Rücken. „Wundert mich, dass du nach dem letzten Wochenende schon wieder aufrecht bist.“

An dem langen Wochenende hatten sie die Scheidung von Veronica und Flynn gefeiert, die endlich durch war. Flynn war eigentlich nicht zum Feiern zumute gewesen, denn er empfand das Scheitern seiner Ehe als eigenes Versagen. Aber Reid und Gage hatten darauf bestanden, und so hatten sie sich in ihrer Lieblingskneipe so richtig volllaufen lassen. Und irgendwie hatte es Flynn dann doch gutgetan.

„Ich lande immer auf den Füßen“, brummelte Flynn, der todmüde war und sicher noch einen Kater hatte.

Autor

Jessica Lemmon
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