Verführung undercover

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Wenn Ben Callahan nicht ins Zeugenschutzprogramm will, wird er eben undercover beschützt: Joanna heuert als Kellnerin in seiner Bar an. Doch mit diesem Traummann hinterm Tresen wird es für sie nicht nur der heißeste Auftrag in ihrer Laufbahn als Marshal – sondern auch der gefährlichste.


  • Erscheinungstag 30.05.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529662
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Bar hieß „Lucky Break“. Ben Callahan hatte sie von seinem Großvater geerbt. Er blieb im Eingang stehen und versuchte festzustellen, was anders war als sonst.

Da sah er sie.

Kurzer Jeansrock, klasse Beine, super Hintern. Ben war nicht der Einzige, dem das auffiel. Die Männer, die am Tresen Schlange standen – es war Mittagszeit –, warfen der neuen Kellnerin wohlwollende Blicke zu, als sie von Tisch zu Tisch ging und Bestellungen aufnahm.

Ihr dunkelbraunes Haar war locker zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, der ihr bei jeder Bewegung um die Schultern tanzte. Sie war relativ hochgewachsen, hatte aber schmale Schultern und eine schlanke Taille. Trotzdem wirkte ihr Körper irgendwie kraftvoll und geschmeidig.

Oben herum war sie nicht übermäßig ausgestattet, wie Ben feststellte, als sie sich umdrehte. Aber sie machte wirklich das Beste aus dem, was sie hatte.

Charlie, sein bester Freund und rechte Hand in der Bar, hatte sie eingestellt, während Ben verreist war, um mit den Leuten vom FBI zu reden. Unter den derzeitigen Umständen wolle er nicht länger als unbedingt nötig von hier fort sein, hatte er ihnen erklärt.

Zum Glück hatte Charlie eine neue Kellnerin gefunden. Sich mit Bewerberinnen auseinanderzusetzen, war nicht gerade Bens Lieblingsjob, auch wenn die Bar ihm gehörte. Seine Mutter schickte ihm immer wieder Töchter ihrer Freundinnen ins „Lucky Break“, in der Hoffnung, dass mehr daraus werden könnte als ein reines Angestelltenverhältnis. Und dann waren da noch diverse Exfreundinnen, alle Single oder mittlerweile geschieden, die ihn auf der Suche nach einem Job aufsuchten, sobald sie hörten, dass er wieder in der Stadt war.

Diese Probleme gab es, weil er an den Ort zurückgekehrt war, an dem er den Großteil seines Lebens verbracht hatte. Er musste sich erst noch daran gewöhnen, wieder zurück zu sein. Es war erst ein Jahr vergangen, und es war ihm nicht leichtgefallen, die Navy SEALs zu verlassen.

Die Familie, die Tradition, das Land – in Texas gehörte das alles zusammen. Es bedeutete etwas, so wie die Verbundenheit mit seinem Team bei den SEALs ihm etwas – um nicht zu sagen, alles – bedeutet hatte. Das Leben eines Mannes konnte davon abhängen. Mit der Bindung an seine Familie war es ähnlich, jedenfalls betrachtete Ben das so. Er hatte seinem Land gedient, und jetzt diente er seiner Familie.

Und versorgte die Einheimischen mit Bier.

Im Großen und Ganzen hatte Ben sich daran gewöhnt, das zivile Leben zu genießen. Er war in das alte Haus hinter der Bar gezogen und beschäftigte sich in seiner Freizeit wieder mit Rodeo und Lassowerfen. Er brauchte einfach diesen Kick, die Adrenalinschübe. Nebenbei ließen sich dabei Pokale für die Rinderzucht seiner Eltern gewinnen.

Bei der letzten Show, an der er teilgenommen hatte, war der Adrenalinschub allerdings etwas größer ausgefallen als nötig, denn er hatte einen Mord beobachtet. Ein Mitglied der Jury war erschossen, ja regelrecht exekutiert worden. Ben war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und hatte alles mit angesehen, ohne es verhindern zu können.

Wie sich herausstellte, war es nicht einfach nur ein Mord gewesen, sondern der Versuch einer kriminellen Organisation, die Rodeoszene zu kontrollieren. Zu diesem Zweck wurden den Tieren heimlich Medikamente verabreicht und die Jurymitglieder unter Druck gesetzt. Der Mann, der getötet worden war, war einer derjenigen gewesen, die sich weigerten, dieses schmutzige Spiel mitzuspielen. Seine drei Kinder mussten nun ohne Vater aufwachsen.

Der Mörder saß in San Antonio in Untersuchungshaft und würde aufgrund von Bens Aussage für längere Zeit im Gefängnis landen. Oder man würde einen Deal aushandeln und damit auch an die Hintermänner herankommen, die den Killer angeheuert hatten. Das FBI war an den Ermittlungen beteiligt. Der Bruchteil einer Sekunde hatte Bens Leben auf den Kopf gestellt.

Er wusste aus seiner Militärzeit, dass oftmals ein kleines Übel in Kauf genommen werden muss, um ein größeres zu beenden. Das war nun mal der Lauf der Welt, aber gut fand er das noch lange nicht.

Er war sich ebenso bewusst, dass er in Gefahr schwebte, denn dieser Deal, und damit der Verlauf des Gerichtsprozesses, hing im Wesentlichen von seiner Aussage ab.

Daher hatte er für den Rest des Jahres seine sämtlichen Rodeoauftritte abgesagt mit der Begründung, er sei beruflich zu sehr eingespannt. Die Regierung hatte ihm Personenschutz angeboten, er könnte also irgendwo in einem abgesicherten Haus leben bis zum Ende des Prozesses. Seiner Familie und seinen Freunden würde das jedoch nichts nützen. Sogar die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm war ihm angeboten worden, doch er war nicht bereit, das Leben aufzugeben, das er sich gerade neu aufgebaut hatte.

Außerdem lief ein SEAL nicht davon, niemals.

Der Prozess würde in drei Wochen beginnen.

„Willkommen zurück, Boss“, sagte Charlie, der gerade aus der Küche kam.

Ben lächelte und drückte seinem Freund die Hand. „Gut zu sehen, dass das Haus noch steht, Charlie.“ Er blickte wieder zu der neuen Kellnerin.

Diesmal bemerkte sie ihn auch. Ihre großen dunklen Augen richteten sich auf ihn, sie lächelte kurz und drehte sich wieder um. „Neues Mädel?“

„Ja. Sie macht ihre Sache bis jetzt sehr gut. Allerdings ist sie erst seit zwei Tagen hier.“

„Ich habe sie hier noch nie gesehen“, bemerkte Ben.

Normalerweise würde Ben niemals eine Fremde für einen Job anheuern, aber im Moment waren sie wirklich knapp an Personal.

„Hat mit ihrem Freund Schluss gemacht und ist von El Paso runtergekommen, um sich einen Job zu suchen. Scheint gut drauf zu sein, und eine wahre Augenweide noch dazu.“ Charlie grinste. „Na ja, ich hab ihr auch das Apartment oben vermietet. Ich dachte mir, was soll’s? So kommt sie jedenfalls immer pünktlich zur Arbeit.“

Ben schwieg und zog die Stirn kraus. Natürlich hatte Charlie keine Ahnung, was los war. Ben wollte nicht, dass irgendjemand Angst bekam, wenn es vielleicht gar keinen Grund dazu gab.

„Ich musste es tun, Ben“, fügte Charlie hinzu. „Sie hat im Auto geschlafen, auf dem Parkplatz. Das konnte ich unmöglich zulassen. Außerdem hat sie gesagt, sie würde zusätzliche Schichten übernehmen, anstatt Miete zu zahlen.“

„Hast du sie abgecheckt?“, fragte Ben beiläufig auf dem Weg zur Küche.

„Seh ich aus wie ein Idiot?“, brummte Charlie.

„Nein, aber ich kenne dich und deine Vorliebe für schöne Mädels, mein Lieber.“ Ben lächelte breit.

„Keine Sorge, ich habe sie abgecheckt. Joanne Wallace. Keine besonderen Merkmale oder Vorkommnisse. Die übliche Story. Kurzfristige Jobs in Einzelhandel und Gastronomie. Ansonsten absolut sauber, keine Verurteilungen, keine Verkehrsdelikte. Scheint ganz nett zu sein. Hat wohl ein paarmal die falsche Entscheidung getroffen, was Männer betrifft.“

Ben nickte und blätterte den Poststapel durch, der auf dem Küchentresen lag. Es war nicht schwer, eine Legende zu konstruieren, aber er machte sich wahrscheinlich zu viele Gedanken. Er hatte ein Schild vor dem Haus aufgestellt, und eine junge Frau hatte sich um den Job beworben. Warum nicht?

Außerdem, falls die Mafia ihn ausschalten wollte, dann hätte sie für den Job wohl kaum jemanden wie Joanna ausgesucht. Trotzdem, Ben würde ihren persönlichen Hintergrund mit seinen eigenen Methoden noch einmal überprüfen.

„Danke, Charlie. Ich weiß es zu schätzen, dass du so viel Verantwortung übernimmst“, sagte er.

„Kein Problem, Lisa findet sie übrigens auch nett. Ich hatte sie gebeten, auch ein Gespräch mit ihr zu führen, bevor wir sie eingestellt haben.“

Ben nickte. „Gut.“

Lisa war ihre einzige Vollzeitkraft, doch ihr Mann hatte sie vor Kurzem mit zwei kleinen Kindern allein gelassen. Seitdem arbeitete sie zwar noch mehr, aber für bestimmte Tage und Tageszeiten wurde trotzdem eine zusätzliche Kraft gebraucht. Lisa war wirklich Gold wert, und es war wichtig, dass sie sich mit der Aushilfe gut verstand.

„Mir fehlt zwar ein Bein, aber Verstand hab ich noch genug“, scherzte Charlie. Ein Einsatz im Irak hatte ihn ein Bein gekostet, er beklagte sich jedoch nie, sondern ging immer wieder mit einer scherzhaften Bemerkung darüber hinweg.

„Die Buchführung habe ich allerdings vernachlässigt“, fügte er noch hinzu. „Du weißt ja, in Mathe bin ich nicht besonders gut. Ich dachte, ich überlasse das dir.“

„Tja, ich hätte noch ein paar Tage länger wegbleiben sollen“, erwiderte Ben. Sie lachten beide, und Charlie ging zurück an den Grill.

Ben wollte demnächst einen Buchhalter einstellen. Im Moment kümmerte er sich selbst um Buchhaltung, Bestellungen, Rechnungen und so weiter. Er war als Kind schon oft hier gewesen und hatte seinem Großvater geholfen, und als Jugendlicher hatte er sich hier mit seinen Freunden getroffen. Das „Lucky Break“ war ein wichtiger Teil seines Lebens, allerdings standen dringend einige Verbesserungen an.

Er war selbst erstaunt, wie viel Spaß ihm diese Arbeit machte. Er fand das Leben als SEAL großartig, doch das „wirkliche“ Leben hatte durchaus auch seine Reize. Er verließ die Küche und ging zur Bar. Als er sich hinter dem Tresen die Hände wusch, fiel sein Blick wieder auf die neue Kellnerin.

Lisa, die auch gerade im Einsatz war, zwinkerte ihm zu und winkte. Ben antwortete mit einem freundlichen Nicken und beobachtete dann, wie Joanna mit einer neuen Bestellung an den Tresen kam. Sie war wirklich attraktiv. Ben könnte es Charlie nicht einmal verübeln, falls er sie tatsächlich nur wegen ihres Aussehens eingestellt hätte.

„Zwei Bier, eine Cola“, sagte sie. Ihre Blicke trafen sich, als sie die Hand über den Tresen streckte, um Ben zu begrüßen. „Hi, ich bin Joanna. Lisa sagt, Sie sind hier der Boss.“

Er nickte und blickte unwillkürlich auf ihre Lippen. Sie trug keinen Lippenstift, nur ein bisschen Gloss, und auch kein Make-up. Ihr Teint war makellos.

„Ben. Ben Callahan“, sagte er ruhig, obwohl die Berührung ihrer Hand und ihr Blick so stark auf ihn wirkten, dass er fast eine Erektion bekam – und das hier, am Tresen. Sie hatte einen recht festen Händedruck für eine Frau mit schlanken Fingern, aber ihre Haut fühlte sich glatt und weich an.

Ben räusperte sich, ließ ihre Hand los und wandte den Blick ab, um ein paar frische Gläser vom Regal zu holen. Er füllte sie mit Bier und Cola, stellte sie auf ein Tablett und schob es ihr zu. Er war es nicht gewohnt, die Kontrolle zu verlieren, schon gar nicht nach nur einer Berührung.

„Danke“, sagte sie und wollte losgehen.

„Joanna“, sagte er.

„Ja?“ Sie blieb stehen.

„Haben Sie nach Ihrer Schicht ein paar Minuten Zeit? Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten, wenn Sie nichts dagegen haben. Das mache ich immer so, wenn ich jemanden neu einstelle.“

Sie nickte, offenbar unbekümmert. „Klar, kein Problem.“

Als er ihr nachblickte, hatte er ein ungutes Gefühl. Er verstand selbst nicht recht, warum, aber diese Frau wirkte keineswegs so, als ob sie gerade eine Pechsträhne hätte. Sie wirkte auch nicht wie eins dieser Mädels, die sich immer wieder mit dem falschen Mann einließen. Im Gegenteil, sie wirkte ausgesprochen smart und selbstbewusst.

Und sie hatte eine starke sexuelle Ausstrahlung. Sicher war schon mehr als ein Mann vor ihr auf die Knie gegangen. Ben stellte sich vor, was er selbst gern auf Knien vor Joanna Wallace tun würde, und schüttelte den Kopf über sich selbst.

Die Reaktion seines Körpers auf eine schöne Frau war sicher nicht unnormal. Er hatte schon eine ganze Weile keine Frau mehr gehabt. Dazu war er einfach zu beschäftigt.

Während seines letzten Urlaubs als Navy SEAL hatte er einen One-Night-Stand gehabt, und das war schon über ein Jahr her. Seitdem war alles irgendwie nicht normal gelaufen. Nicht dass es keine Gelegenheiten gegeben hätte, seit er wieder zu Hause war, aber er wollte die Dinge nicht noch komplizierter machen. Außerdem hatte keine der Frauen ihn wirklich inspiriert.

Joanna Wallace jedoch inspirierte ihn, und wie. Immer noch verspürte er trotz aller Skepsis ein Prickeln an Stellen, wo er es gerade gar nicht brauchen konnte.

Er beobachtete sie, während er weiter am Tresen arbeitete. Sie stand an einem Tisch voller Männer, die offensichtlich vollkommen von ihr hingerissen waren. Sie scherzte mit ihnen. Ihr Lachen war durch den ganzen Raum zu hören. Wieder begegnete ihr Blick seinem, als ob sie gespürt hätte, dass sie beobachtet wurde. Sie war sich also seiner Anwesenheit genauso deutlich bewusst wie umgekehrt.

Interessant.

Ihre Haltung, ein leichtes Hochziehen der Schulter, wenn sie zu ihm herüberblickte, sagte ihm, was er wissen wollte: Sie verbarg etwas vor ihm. Bis zum Ende dieses Nachmittags würde er he­rausfinden, was das war.

Joanna erinnerte sich nicht, jemals so nervös gewesen zu sein, dass ihre Handflächen feucht wurden. Sie war in Wirklichkeit nicht als Kellnerin hier, sondern als U.S. Marshal. Ihr Job war es, auf Ben Callahan aufzupassen, der als Zeuge eines Auftragsmordes in großer Gefahr war, jedoch jede Form von Personenschutz hartnäckig ablehnte. Ein Bodyguard würde viel zu sehr auffallen und für Aufsehen sorgen, und Schutzhaft würde nur ihn selbst schützen, aber nicht seine Familie und seine Freunde. Er führte auf der Ranch seiner Eltern eine Restaurant-Bar, ein Roadhouse. Dort sollte Joanna als Kellnerin anheuern, um undercover für seine Sicherheit zu sorgen.

Auf diesen Einsatz hatte sie überhaupt keine Lust gehabt. Normalerweise jagte sie böse Jungs. Aber ihren letzten Einsatz hatte sie vermasselt und eine Schusswunde davongetragen. Don, ihr Chef, hatte sie gewarnt. Sie brauche erstens eine Pause und müsse sich zweitens bei diesem Einsatz bewähren, bevor man über ihre nächste Beförderung reden könne. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als diesen Callahan zu babysitten.

Als sie in den Pausenraum ging, um sich mit Ben Callahan zu treffen, musste sie den Impuls bekämpfen, sich etwas überzuziehen. Ihr rückenfreies Top bedeckte in der Tat nur sehr wenig Haut. Es war eindeutig nicht ihr Ding, so etwas zu tragen. Lacey, die Frau ihres Bruders Jarod, hatte behauptet, es sei perfekt für eine Kellnerin in einem Roadhouse. Nun ja, sie hatte sich auch sehr wohl damit gefühlt, bis Ben Callahan sie angeblickt hatte. Seitdem fühlte sie sich in mehr als einer Hinsicht unbehaglich.

Mit Charlie und Lisa auszukommen, war kein Problem gewesen, aber wenn Ben sie ansah, hatte sie das Gefühl, als wüsste er auf Anhieb, dass sie nicht die war, für die sie sich ausgab. Keine Kellnerin – und auch nicht Joanna Wallace. Halb rechnete sie damit, dass er ihr das gleich auf den Kopf zu sagen würde, aber nein, ihre Tarnung war solide. Er konnte sie ruhig ausfragen und auch Informationen einholen.

Jetzt würde sie also unter vier Augen mit ihm reden. Sie musste ihn überzeugen, dass sie echt war. Wie Don gesagt hatte, hing ihre Karriere davon ab. Sie schloss die Tür hinter sich und ging zu dem dicken Holztisch, an dem er saß. Vor ihm dufteten zwei von den Hamburger Specials, die sie den ganzen Nachmittag über serviert hatte. Ihr Magen knurrte. Sie war hungrig. Kellnern, das hatte sie seit ihrer Collegezeit nicht mehr gemacht. Es war verdammt harte Arbeit.

„Hi, ich hoffe, Sie haben nichts gegen einen Hamburger“, sagte Ben freundlich, doch sein Blick drückte Misstrauen aus.

Kein Problem, er musste ja misstrauisch sein wegen seiner Erfahrung beim Militär. Ihm war klar, dass er aufgrund dessen, was er bei dem Rodeo gesehen hatte, in Gefahr war. Deshalb musste er besonders vorsichtig sein im Umgang mit jeder Person, die er nicht kannte. Damit hatte Joanna gerechnet.

„Wundervoll, danke.“ Sie lächelte und setzte sich ihm gegenüber.

„Essen Sie erst mal, dann können wir reden“, sagte er und biss selbst herzhaft zu.

„Ich weiß nicht, wie Charlie das macht, aber für seine Burger hat er eine Medaille verdient“, sagte Joanna, um das Eis zu brechen.

„Ja, er ist wirklich gut am Grill“, stimmte Ben zu und hielt den Blickkontakt. „Erzählen Sie mir von sich“, forderte er sie auf. „Ich weiß, Charlie hat Ihnen auch schon auf den Zahn gefühlt, aber ich möchte eben selbst gern wissen, wer für mich arbeitet.“

Sie zuckte mit den Achseln. „Was möchten Sie wissen?“

„Sie sind eindeutig aus Texas, aber nicht von hier. Wo sind Sie aufgewachsen?“

„In der Nähe von Corpus Christi, aber die letzten acht Jahre habe ich in San Diego gelebt. Bin dann mit meinem Freund Lenny nach El Paso gezogen. Es hat nicht geklappt.“

Lügen funktioniert am besten, wenn man so viel Wahrheit wie möglich hineinmischt. Joanna hatte tatsächlich in San Diego gewohnt, als sie angeschossen wurde, und sie hatte auch einmal einen Freund gehabt, der Lenny hieß. Der Rest war reine Fiktion. Sie wartete auf Bens Antwort.

Plötzlich wurde ihr Mund ganz trocken, und sie hob ihr Glas und trank. Ben sah verdammt gut aus. Ein typischer Texaner, ext­rem männlich und über eins achtzig.

Sie war von zwei Männern großgezogen worden. Ihr Vater und ihr älterer Bruder Jarod waren ihre ganze Familie, nachdem ihre Mutter sie verlassen hatte, als Joanna sieben war. Vermutlich hatte sie sich daher schon immer in männlicher Gesellschaft wohlgefühlt.

In ihrem Job arbeitete sie mit vielen sehr attraktiven Männern zusammen – genauso attraktiv wie Ben Callahan –, aber das waren Marshals wie sie, und sie kam nicht auf die Idee, mit ihnen zu flirten. Selbst an der Highschool war sie lieber mit Jungen zusammen gewesen, und sie hatte immer mehr Freunde als Freundinnen gehabt.

Aus diesem Grund hielt sich auch die Anzahl ihrer Dates in Grenzen. Sie war schon zur Hälfte mit dem College fertig gewesen, als sie das erste Mal mit einem Mann geschlafen hatte, und auch der war für sie eigentlich eher ein Freund als ein Lover gewesen. Er war inzwischen Staatsanwalt und lebte in Houston – verheiratet mit vier Kindern.

So ein Leben hatte nie zu Joannas Zielen gehört. Ihr ging es nur um ihren Job, genau wie ihrem Vater und ihrem Bruder.

Allerdings war Jarod jetzt verheiratet, und sogar ihr Vater hatte wieder eine Frau kennengelernt.

Das war gut. Sie freute sich für die beiden, und sie liebte ihre Schwägerin Lacey. Aber für sie war ein Familienleben nicht das Richtige.

Deshalb war es auch niederschmetternd, dass sie vergaß weiterzuatmen, als Ben sich über den Tisch beugte und ihr plötzlich ganz nah war. Sie presste die Lippen zusammen, als ihr bewusst wurde, dass sie soeben mit der Zunge daübergefahren war.

Spiel es aus. Es gehört zu deiner Rolle, dass du jetzt nervös bist. Spiel deine Rolle.

Callahan musste glauben, dass sie nur eine Kellnerin war, ein Mädchen, das Pech gehabt hatte, das ein paar falsche Entscheidungen getroffen hatte und diesen Job unbedingt brauchte. Wenn sie das jetzt nicht hinbekam, würde man ihr als Marshal so schnell nichts mehr zutrauen.

Eine seiner dunkelblonden Locken fiel Ben in die Stirn, er schob sie zurück. Jeder einzelne Muskel an seinem Arm zeichnete sich dabei ab. Joanna meinte sehen zu können, wie sich seine Bauchmuskeln unter dem weißen T-Shirt, das er trug, bewegten.

Sie hatte seine Akte natürlich auswendig gelernt, allerdings wurde ihm keines der darin enthaltenen Fotos gerecht. Er war seit einem knappen Jahr nicht mehr bei den SEALs, aber offenbar nach wie vor in Bestform.

Sie senkte den Blick und betrachtete seine Hände, die er auf den Tisch gelegt hatte. Dabei ging ihr durch den Sinn, wie oft sie in den letzten vier oder fünf Wochen hätte Sex haben können.

Joanna mochte Sex, aber für sie war es eher wie Sport, etwas, das man tat, um ein Bedürfnis zu stillen. Um ehrlich zu sein, hätte sie noch bis vor zwei Minuten keinen Gedanken daran verschwendet. Ben Callahan verströmte Sex aus jeder Pore.

Er redete mit ihr, und sie war so damit beschäftigt, ihn zu begehren, dass sie gar nicht darauf achtete, was er sagte. Schließlich riss sie sich jedoch zusammen und konzentrierte sich.

„Charlie sagt, Sie haben im Auto übernachtet. Deshalb hat er Ihnen die Wohnung im oberen Stockwerk vermietet?“

„Ja, er ist schwer in Ordnung“, erwiderte sie.

„Sie haben also keine Familie, die Sie unterstützt, keinen anderen Ort, wo sie wohnen könnten?“

Joanna rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Sie musste ihm etwas anbieten, das er ihr abkaufen konnte.

„Nun ja, ich habe einen Bruder, aber ehrlich gesagt legt der nicht sehr viel Wert auf meine Anwesenheit. Außerdem möchte ich eine Weile untertauchen. Ich will nicht, dass Lenny mich findet. Nicht dass ich damit rechne, dass er es versucht, aber sicher ist sicher.“

„Warum?“ Ben verengte ein klein wenig die Augen.

„Na ja, ich dachte, ich gebe ihm Geld, damit er seinen Truck reparieren kann, aber es stellte sich heraus, dass er es für Drogendeals ausgibt. Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung“, sagte sie schnell und tat ihr Bestes, um verzweifelt zu wirken. „Ich hatte keine Ahnung, dass er dieses Zeug kaufte und weiterverkaufte. Bis er richtig, richtig sauer wurde, als er wieder in Schwierigkeiten war und ich mich weigerte, ihm zu helfen.“

„Und dann?“

„Tja, es wurde ein bisschen heftig. Da wusste ich, wenn ich bei ihm bleibe, habe ich ein ernsthaftes Problem. Also habe ich seinen Truck geklaut, um von dort wegzukommen. Er hatte Schulden bei mir, wissen Sie? Mehrere Hundert Dollar.“

„Und Sie hatten keine Ahnung, dass er mit Drogen handelte?“

„Bestimmt nicht. Er hatte ein paarmal welche genommen, aber das heißt ja noch lange nicht, dass man damit dealt. Und ich habe mit dem Zeug nichts zu tun“, sagte sie. „Ich dachte, er sei ein netter Junge, aber ich habe mich geirrt.“

Ben schaute sie lange schweigend an. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, eine nicht ganz unechte Darstellung von innerer Anspannung.

„Und wo ist der Truck jetzt?“

„Ich habe ihn bei einem Gebrauchtwagenhändler gegen mein jetziges Auto eingetauscht – Sie wissen schon, einer von diesen Typen, die keine Fragen stellen. Der Truck war ja auch viel mehr wert. Ich habe ihm extra noch etwas gezahlt, damit er es nicht weitererzählt. Irgendwann hatte ich kein Geld und keine Lust mehr, im Auto zu übernachten. Also habe ich mich nach einem Job umgesehen.“

Sie bemerkte, dass Ben die Schultern straffte. „Verstehe. Sie haben also Angst, dass dieser Kerl Ihnen nachstellt? Dieser … Lenny?“

„Es ist eher unwahrscheinlich, aber falls er es tut, wird er nie auf die Idee kommen, dass ich hier sein könnte.“ Joanna lächelte triumphierend. „Er wird denken, ich bin zurück nach San Diego.“

Ben erwiderte ihr Lächeln nicht.

„Aber es könnte sein, dass er hier auftaucht. Ich lege keinen Wert darauf, in derlei Probleme mit hineingezogen und nicht darüber informiert zu werden. Sie waren Charlie gegenüber nicht ganz ehrlich.“

Joanna wurde ernst und beugte sich ebenfalls vor. Bens Pupillen wurden ein klein wenig größer. Das und seine Blicke zuvor sagten ihr, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Dadurch war sie ein wenig im Vorteil.

„Ich weiß“, sagte sie. „Das tut mir leid.“ Wieder fuhr sie sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. „Aber ich musste einfach weg. Ich habe getan, was ich tun musste. Ich wollte nur mein altes Leben zurück. Ich glaube wirklich nicht, dass Lenny mich hier suchen wird. So ehrgeizig ist er nicht. Er wird inzwischen jemand anderen gefunden haben, schätze ich.“

Natürlich gab es diesen Lenny nicht, Joanna war also hundertprozentig sicher, dass niemand hinter ihr her war.

Ben nickte zögernd. „Er hat Sie nicht angezeigt wegen des Diebstahls?“

Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. „Dann müsste er damit rechnen, dass ich eine Aussage über seine Drogengeschäfte mache.“

„Das ist richtig.“ Ben nickte wieder. „Nun, freut mich für Sie, dass Sie es geschafft haben. Und Sie machen Ihre Sache gut. Ich habe nichts dagegen, dass Sie bleiben. Aber wenn dieser Mann hier auftaucht, wenn es irgendwelche Probleme gibt …“

„Bin ich weg“, versprach sie.

„Nein. Dann sagen Sie uns – mir oder Charlie – sofort Bescheid.“

Er ist süß, dachte sie. Dadurch würde der Aufenthalt hier für sie leichter werden, aber das Lügen schwerer.

„Oh, in Ordnung. Das werde ich tun.“

„Gut. Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?“

„Ich bin als Kellnerin wirklich gut. Ich werde hart arbeiten und die Finger von der Kasse lassen. Ich habe noch nie auch nur einen Cent gestohlen, nur diesen Truck. Ich muss einfach wieder auf die Füße kommen“, erklärte sie in der Hoffnung, damit genau den richtigen Punkt bei Ben zu treffen.

Er nickte und lehnte sich zurück. „Was ist mit Ihrem Bruder?“

„Es hat ihn nie interessiert, was mit mir passiert, nachdem unsere Eltern tot waren.“

Tut mir leid, Jarod, flehte sie insgeheim, denn ihr Bruder war wirklich der Beste. Sie liebte ihn sehr. Aber sie wusste, es gab viele Familien, in denen Geschwister keineswegs zusammenhielten.

„Das ist hart. Nun ja, sie können den Job haben.“

Joanna lächelte erleichtert. Callahan hatte ihr die Story abgekauft.

„Danke. Vielen Dank. Und was die Miete betrifft … ich wollte nicht in ein Motel ziehen. Das nächste ist zehn Meilen entfernt, hat Charlie gesagt, und bei den Benzinpreisen …“

„Es ist gut, dass jemand diese Wohnung benutzt. Falls Sie noch etwas brauchen – sie ist nicht gerade luxuriös ausgestattet.“

„Ich brauche nicht viel“, erwiderte sie. „Allerdings muss ich mir noch ein paar Ventilatoren besorgen. Die Nächte sind ziemlich heiß.“ Sie strich eine Strähne aus ihrem Gesicht.

Sein Blick folgte der Bewegung ihrer Hand. Prompt überlief sie ein Schauer.

„Kann sein, dass ich ein oder zwei übrig habe. Ich bringe Sie Ihnen heute Abend.“

Autor

Samantha Hunter
<p>Bevor Samantha Hunter sich voll und ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie zehn Jahre als Lehrerin für kreatives Schreiben an der Universität. Ihr erster Liebesroman, Virtually Perfect, den sie 2004 fertigstellte, wurde direkt veröffentlicht. Sieben weitere Liebesromane folgten bis heute. Samantha Hunter ist mit Leib und Seele Autorin. Und wenn...
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