Vergiss die Schatten der Vergangenheit

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Als Phoebe ihm auf dem Gipfel der Lust gesteht, dass sie ihn liebt, ist Wayne glücklich. Endlich scheint das Schicksal ihm eine Chance zu geben. In Gedanken plant er bereits die gemeinsame Zukunft. Doch schon bald muss er mit einer bitteren Enttäuschung fertig werden: Phoebe lehnt seinen Heiratsantrag ab. Glaubt sie noch immer, dass er den Tod ihrer Zwillingsschwester zu verantworten hat? Wayne ist entschlossen, nicht aufzugeben. Er will Phoebe nicht nur im Bett, sondern für immer an seiner Seite haben ...


  • Erscheinungstag 21.01.2007
  • Bandnummer 1443
  • ISBN / Artikelnummer 9783862959785
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

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1. KAPITEL

Es war nicht das, was er erwartet hatte.

Wayne Donnelly stoppte den Leihwagen, fuhr an den Straßenrand und ließ den Anblick des bescheidenen, gemütlich wirkenden Hauses in der kleinstädtischen Nachbarschaft auf sich wirken.

Er stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen, wobei er sich das Haus genauer anschaute. Die Haustür schmückte ein hübscher herbstlicher Kranz, ein Kürbis mit eingeschnitzter Fratze stand auf der Verandatreppe –ein Hinweis auf das bevorstehende Halloweenfest – , und im Vorgarten leuchteten die Herbstblumen in den unterschiedlichsten Rot- und Goldtönen.

Völlig selbstverständlich war er davon ausgegangen, dass Phoebe in einer Wohnung lebte. Er wusste nicht einmal, warum er das geglaubt hatte, aber jedes Mal, wenn er an sie gedacht hatte, hatte er sie sich in einer Mietwohnung oder einer kleinen Eigentumswohnung vorgestellt. Jedenfalls war ihm nie in den Sinn gekommen, sie in etwas so Dauerhaftem wie diesem Haus zu vermuten.

Als er endlich heimgekommen war, war es ein ziemlicher Schock für ihn gewesen, zu erfahren, dass Phoebe Kalifornien schon vor einigen Monaten verlassen hatte. Dabei war er voller Vorfreude darauf gewesen, sie wiederzusehen. Er mochte gar nicht mehr daran denken, wie miserabel er sich bei dieser Nachricht plötzlich gefühlt hatte. Er war bitter enttäuscht gewesen und hatte den Wunsch verspürt, sich hinzusetzen und zu heulen.

Natürlich würde er das niemals tun. Soldaten weinten nicht. Schon gar nicht Offiziere, die mit Auszeichnungen überschüttet worden waren.

Ohnehin war es schwer für ihn gewesen, denn das letzte Mal, dass er zu Hause gewesen war, war zur Beerdigung seiner Mutter. Nur zwei Monate nach diesem Heimaturlaub war er in Afghanistan mitten in das Kampfgetümmel geraten und schwer verwundet worden. Diesmal hatte man ihn zur Genesung nach Hause geschickt. Sein Vater hatte sich tapfer bemüht, alles normal erscheinen zu lassen, doch seine Mutter hatte eine zu große Lücke hinterlassen, die durch nichts zu füllen war.

Wayne hatte sich überall beiläufig nach Phoebe erkundigt, als er endlich wieder laufen konnte, doch niemand schien zu wissen, wohin sie gezogen war. Eine Woche verstrich, dann die nächste, und nach einem Monat war er schließlich verzweifelt genug gewesen, um intensivere Nachforschungen anzustellen. Die Sekretärin an der Schule, an der Phoebe zuletzt unterrichtet hatte, kannte keine Nachsendeadresse. Auch eine Suche im Internet war erfolglos geblieben. Er hatte sogar in Berkeley angerufen, der Universität, auf der Phoebe gewesen war, doch man wollte oder konnte ihm auch dort keine Auskunft erteilen.

Als er schon mit dem Gedanken gespielt hatte, einen Privatdetektiv anzuheuern, der ihm bei der Suche helfen sollte, fiel ihm June ein. Soweit er sich erinnerte, war sie, abgesehen von Phoebes Zwillingsschwester Melanie, das einzige Mädchen gewesen, mit dem Phoebe auf der Highschool befreundet war. Die schlaksige, kleine June mit den dicken Brillengläsern und dem Einserzeugnis. Ein wirklich nettes Mädchen.

Auf Wayne hatten die Mädchen damals noch wie Kinder gewirkt, schließlich war er stolze vier Jahre älter als sie. Aber nachdem die Zwillinge ihren Highschool-Abschluss gemacht hatten, war dieser Altersunterschied plötzlich nicht mehr von Bedeutung gewesen.

Wie sich herausstellte, war ihm das Glück hold, als er sich an Phoebes alte Freundin wandte. June hatte eine Weihnachtskarte von ihr bekommen, vier Monate nachdem Phoebe umgezogen war. Und dankenswerterweise hatte sie sich ihre Anschrift notiert.

Phoebes neuer Wohnort hatte ihm dann allerdings den nächsten Schock versetzt. Sie war von Kalifornien aus ans andere Ende des Kontinents in eine Kleinstadt im Staat New York gezogen.

Ironischerweise war ihm die Gegend vertraut. Phoebes neues Heim lag weniger als eine Stunde von West Point entfernt. Dort hatte er vier Jahre während seiner Ausbildung verbracht und sehnsüchtig der Abschlussprüfung entgegengefiebert, denn er wollte endlich ein echter Soldat sein. Vermutlich hätte er sich nicht so ungeduldig nach dem Ende seiner Ausbildung gesehnt, wenn er gewusst hätte, was ihn erwartete.

Wayne sah sich erneut um, dann stieg er langsam die wenigen Stufen der Veranda zu Phoebes Haus empor. Die Ärzte waren zuversichtlich, dass er wieder vollauf genesen würde – zumindest so weit, um fit für ein Leben als Zivilist zu sein. Aber der lange Flug von San Diego nach New York hatte ihn mehr angestrengt, als er erwartet hatte. Es wäre sicherlich vernünftiger gewesen, nicht gleich vom Hotel aus zu Phoebe aufzubrechen, sondern sich erst auszuruhen und sie am nächsten Tag zu besuchen.

Doch er hatte keinen Moment länger warten wollen.

Wayne klopfte an die Haustür und versuchte, durch die kleine Milchglasscheibe einen Blick ins Innere zu werfen. Obwohl man nicht hindurchschauen konnte, hoffte er zu erkennen, ob jemand an die Tür kam. Er wartete eine Weile, dann klopfte er erneut, doch auch nach dem dritten Klopfen rührte sich nichts. Phoebe war offensichtlich nicht zu Hause.

Enttäuschung machte sich in Wayne breit, und er lehnte frustriert den Kopf gegen den Türrahmen. Er hatte sich so darauf gefreut, sie wiederzusehen. Plötzlich kam ihm eine Idee, und er sah auf seine Armbanduhr. Es war noch nicht einmal sechzehn Uhr. Er hatte gar nicht auf die Zeit geachtet.

Als er Phoebe das letzte Mal in Kalifornien gesehen hatte, war sie noch nicht lange mit dem College fertig gewesen und hatte Grundschüler unterrichtet. Wenn sie noch immer als Lehrerin arbeitete – was anzunehmen war –, dann würde sie bald nach Hause kommen.

Vermutlich ist sie noch in der Schule, dachte Wayne erleichtert. Schließlich braucht sie ein Einkommen, wenn sie nicht verheiratet ist, überlegte er weiter und versuchte, sich mit diesen Gedanken aufzumuntern. Ihre Freundin June hatte nichts von einem Ehemann gehört. Sollte Phoebe doch geheiratet haben, dann hatte sie allerdings nicht den Namen ihres Mannes angenommen, was eigentlich nicht zu der ruhigen, traditionsbewussten jungen Frau passte, die er so gut kannte. Das wusste er, weil er sich das örtliche Telefonbuch angeschaut und dort ihren Namen gefunden hatte: P. Merriman.

Okay, sagte er sich. Ich werde einfach warten. Er wollte gerade zum Wagen zurückgehen, als er die Hollywoodschaukel auf der Veranda bemerkte, auf der ein paar Kissen lagen. Statt im Auto zu sitzen, konnte er es sich genauso gut dort gemütlich machen und auf Phoebe warten, entschied er spontan.

Wenn Phoebe inzwischen geheiratet hätte, dann wäre ich nicht hergekommen, versicherte er sich. Dann hätte er nicht versucht, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen.

Aber er war inzwischen ziemlich sicher, dass sie noch immer ledig war.

Allerdings gab es viele gute Gründe, weshalb er Phoebe Merriman besser in Ruhe ließe. Und es war eine unbestrittene Tatsache, dass er sich bei ihrem letzten Zusammentreffen wie ein Idiot benommen hatte. Doch es gelang ihm nicht, sie zu vergessen. Während der langen Zeit seiner Genesung hatte er an nichts anderes denken können. Schon da hatte er mit ihr Verbindung aufnehmen wollen, doch irgendwie hatte er sich davor gescheut, per Telefon oder E-Mail Kontakt zu ihr zu suchen.

Er wollte Phoebe in die Augen schauen, wenn er sie fragte, ob eine Chance bestand, dass sie ihn wieder an ihrem Leben teilhaben ließ.

Seufzend zog Wayne eins der Kissen zurecht und lehnte seinen Kopf dagegen. Wenn die ganze Sache damals nur am Ende nicht so völlig aus dem Ruder gelaufen wäre, dachte er traurig.

Es war schon schlimm genug, dass ihn eine Mitschuld am Tod ihrer Zwillingsschwester Melanie traf. Es war zwar nur indirekt sein Fehler gewesen, trotzdem fühlte er sich dafür verantwortlich.

Und dann hatte er die Katastrophe perfekt gemacht, indem er nach Melanies Beerdigung mit Phoebe geschlafen hatte. Anschließend hatten ihn die Schuldgefühle derart geplagt, dass er das Weite gesucht hatte.

Phoebe Merriman zuckte zusammen, als die Jazzmelodie erklang, die sie als Klingelton auf ihrem Handy eingegeben hatte. Es klingelte fast nie. Sie hatte es sich eigentlich nur angeschafft, damit ihr Babysitter sie in einem Notfall erreichen konnte.

Besorgt nahm sie eine Hand vom Lenkrad und griff nach dem Handy. Ein schneller Blick auf das Display bestätigte ihre Befürchtungen. Dort wurde ihre eigene Telefonnummer angezeigt. „Hallo?“

„Phoebe?“ Angie, die Babysitterin, klang atemlos.

„Angie, was ist los?“ Phoebe fuhr an den Straßenrand und hielt an.

„Da sitzt ein Mann auf deiner Hollywoodschaukel.“

Phoebe atmete erleichtert auf, denn sie hatte schon damit gerechnet, dass Bridget plötzlich krank geworden war.

„Aha. Und sonst?“

„Nichts.“

Phoebe merkte, dass Angie nicht atemlos war, sondern flüsterte.

„Er hat an die Tür geklopft, doch ich habe nicht aufgemacht, also hat er sich auf die Schaukel gesetzt. Ich dachte, ich rufe dich lieber an.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig.

Phoebe erinnerte sich daran, wie jung ihre Babysitterin war. Sie hatte gerade die Highschool abgeschlossen und lebte noch bei ihren Eltern. Abends besuchte sie Kurse am örtlichen College.

„Du hast genau das Richtige getan“, versicherte sie Angie. „Wenn er nur dasitzt, bleib einfach drinnen und lass die Türen geschlossen. Ich bin gleich zu Hause.“

Sie hielt die Telefonverbindung zu Angie während der kurzen Fahrt aufrecht und bog wenige Minuten später auf ihre Einfahrt. Ein grauer Wagen mit dem Schriftzug einer Leihwagenfirma stand vor ihrem Haus, und sie nahm an, er gehörte dem Mann, der auf ihrer Veranda wartete.

„Okay, Angie“, sagte sie. „Ich bin zu Hause. Du bleibst einfach, wo du bist, bis ich hineinkomme.“

Sie atmete tief durch. Sollte sie die Polizei rufen? Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass derjenige, der auf ihrer Veranda saß, kein Krimineller war. Sonst wäre er nicht mitten am Tag erschienen, wo alle Nachbarn ihn und das Nummernschild seines Wagens sehen konnten. Trotzdem nahm sie ihr Schlüsselbund fest in die Hand und ließ einen Schlüssel zwischen ihren Fingern herausragen, so wie sie es damals im College in einem Selbstverteidigungskurs gelernt hatte. Dann ging sie zum Haus.

Während sie die Verandastufen hinaufstieg, konnte sie die Schaukel nicht sehen, weil sie von der Kletterrose verdeckt wurde. Aus eigener Erfahrung wusste sie allerdings, dass derjenige, der auf der Schaukel saß, sie durchaus sehen konnte.

Sie trat auf die Veranda und bemerkte einen großen Mann. Ihr Adrenalinspiegel stieg beträchtlich, als er sich von der Schaukel erhob.

„Was machen Sie … Wayne!“

Als sie ihn erkannte, traf sie fast der Schlag. Das konnte doch nicht wahr sein!

Ihre Beine fühlten sich an, als würden sie gleich unter ihr nachgeben, und sie tastete nach dem Geländer. Die Schlüssel fielen laut klirrend auf den Boden. „Du … du bist Wayne.“ Eine dämliche Bemerkung. Natürlich war es Wayne.

Wayne lächelte, doch sein Blick blieb wachsam. Zögernd trat er auf sie zu. „Ja, ich bin’s. Hallo, Phoebe.“

„Aber … aber …“

Sein Lächeln verschwand, als sie einen Schritt zurückwich. Gleichzeitig hob er irritiert eine Augenbraue. Diese Geste war Phoebe so vertraut wie ihr eigenes Lächeln im Spiegel. Dieser fragende Ausdruck war nur eines der vielen Dinge gewesen, die sie an Wayne Donnelly geliebt hatte.

„Aber was?“, fragte er ruhig.

„Ich dachte, du wärst tot!“, platzte sie heraus. Ihre Knie gaben nach, und Phoebe sank auf die oberste Stufe der Verandatreppe. Sie ließ den Kopf auf die Knie fallen und bemühte sich krampfhaft, nicht in hysterisches Schluchzen auszubrechen. Dennoch registrierte sie seine hastigen Schritte und dann das Knarren der Holzdielen, als Wayne sich zu ihr setzte. Dann spürte sie seine große Hand auf ihrem Rücken.

„Du meine Güte“, sagte sie benommen. „Du bist tatsächlich hier, oder?“

„Ich bin wirklich hier, ja.“

Es war eindeutig Wayne, seine tiefe männliche Stimme hätte sie überall wiedererkannt. Er streichelte erneut ihren Rücken – es war eine zarte, unsichere Berührung – , und Phoebe unterdrückte nur mit Mühe den Impuls, sich in seine Arme zu werfen.

Er hat nie wirklich zu mir gehört, sagte sie sich.

„Es tut mir leid, dass mein Auftauchen solch ein Schock für dich war.“ Wayne sagte es ruhig und mit aufrichtigem Bedauern. „Man hatte mich einige Tage lang für tot gehalten. Doch das war ein Irrtum. Es gelang mir, zu meiner Einheit zurückzukehren. Aber das ist doch schon Monate her.“

„Wie lange bist du schon zu Hause?“ Phoebe wusste, dass er damals direkt nach Melanies Beerdigung nach Afghanistan einberufen worden war. Eine Reihe von Erinnerungen wurde wach. Erinnerungen, die sie sofort zu verdrängen versuchte. Sie konzentrierte sich auf Waynes Antwort, wobei sie sich zwang, nicht an die Vergangenheit zu denken.

„Gut fünf Wochen. Ich habe dich gesucht.“ Er zögerte einen Moment. „June hat mir deine Adresse gegeben. Sie wusste, dass ich überlebt habe. Ich nahm an, dass sie –oder jemand von zu Hause – es dir erzählt hatte.“

„Nein.“ Phoebe schüttelte den Kopf. Sie hatte an dem Tag aufgehört, die Zeitung ihrer alten Heimat zu lesen, als sie auf Waynes Nachruf gestoßen war. Und obwohl sie June eine Weihnachtskarte geschickt hatte, hatten sie ansonsten keinen weiteren Kontakt gehabt.

Eine Weile schwiegen sie beide. Phoebe spürte, dass Wayne genauso wenig wusste, was er sagen sollte, wie sie.

Bridget! Schockiert, dass sie ihr eigenes Kind für einen Moment vergessen hatte – besonders in diesem Augenblick –, sprang Phoebe auf.

„Warte kurz. Ich bringe nur schnell meine Sachen rein“, stammelte sie und ignorierte Waynes verwunderten Ausruf. „Dann können wir reden.“

Ihre Hände zitterten, als sie dem Mann den Rücken zukehrte, den sie fast ihr ganzes Leben lang geliebt hatte. Die Schlüssel waren glitschig von ihren schweißnassen Händen und entglitten ihr. Bevor sie reagieren konnte, trat Wayne zu ihr und bückte sich nach dem Schlüsselbund.

„Hier.“

„Danke.“ Sie nahm es entgegen, sorgsam darauf bedacht, Waynes Hand nicht zu berühren, und schob den richtigen Schlüssel mit zitternden Fingern ins Schloss, um die Haustür aufzuschließen.

Die ganze Situation war ein einziger Schock. Wayne Donnelly war am Leben und wartete darauf, mit ihr zu reden. Und sie musste ihm erzählen, dass sie sein Kind zur Welt gebracht hatte.

Angie kam herbeigeeilt, als Phoebe zur Tür hereinkam und sie hastig hinter sich schloss. Bevor die Babysitterin etwas sagen konnte, legte Phoebe einen Finger an ihre Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie ging durch die vorderen Räume des kleinen Hauses und legte ihre Sachen auf den Küchentisch. „Hör zu“, sagte sie leise zu Angie, „es besteht kein Anlass zur Sorge. Er ist ein alter Freund, den ich lange nicht gesehen habe. Kannst du noch ein bisschen länger bleiben, falls Bridget aufwacht?“

Angie nickte mit weit aufgerissenen Augen. „Sicher.“

„Wir werden uns draußen unterhalten. Ich möchte … ich möchte ihn nicht hereinbitten, und ich möchte auch nicht unbedingt, dass er von Bridget erfährt, also sei so lieb und komm nicht nach draußen.“ Angie nickte, während ein für sie uncharakteristisches wissendes Lächeln über ihre Lippen huschte. „Kein Problem. Ich will dir keinen Ärger bereiten.“

Phoebe, die bereits wieder auf dem Weg nach draußen war, blieb stehen. „Mir Ärger bereiten?“, fragte sie verwirrt.

„Na ja, mit den Leuten von dort, wo du herkommst.“ Angie machte eine vage Handbewegung. „Ich meine, ich weiß, dass heutzutage viele Frauen Babys bekommen, ohne verheiratet zu sein, aber wenn du nicht willst, dass jemand aus deiner Heimatstadt darüber Bescheid weiß, dann ist das ganz allein deine Angelegenheit.“

Phoebe zog die Augenbrauen hoch. Sie öffnete den Mund und schloss ihn abrupt wieder, weil sie sonst in hysterisches Lachen ausgebrochen wäre. Die arme, unschuldige Angie dachte, sie versteckte Bridget, weil sie sich schämte, ein uneheliches Kind zu haben. Wenn es doch nur so einfach wäre!

Sie musste schlucken, als sie wieder aus der Haustür trat und sie fest hinter sich schloss. Wayne lehnte jetzt an einem der Pfosten und wirkte wie ein Riese auf der engen Veranda. Himmel, sie hatte ganz vergessen, wie groß er war.

Wie gebannt starrte sie ihn an und versuchte, die Trauer, die sie während der vergangenen sechs Monate wie eine schwere Last mit sich herumgeschleppt hatte, mit der Tatsache zu vereinbaren, dass Wayne gesund und munter vor ihr stand. Sein welliges dunkles Haar war erheblich kürzer als die langen, wilden Locken, die er früher getragen hatte, aber immer noch länger als beim letzten Mal, als sie ihn gesehen hatte. Damals hatte er eine militärische Kurzhaarfrisur gehabt, bei der man nicht mehr erkennen konnte, wie lockig sein Haar war. Wenn er auch nur ein Gramm mehr wog als damals, dann war es nicht erkennbar; seine Schultern waren noch immer breit und muskulös, seine Hüften schmal und sein Bauch flach. Seine Beine sahen noch immer genauso kräftig aus wie damals, als er für das Footballteam der Highschool gekämpft hatte. Das war mehr als zehn Jahre her, und sie war zu der Zeit noch ein alberner Teenager gewesen, der schon damals hoffnungslos in den attraktiven sportlichen Nachbarsjungen verliebt gewesen war.

Phoebe bemerkte, dass Wayne sie dabei beobachtete, wie sie ihn anstarrte, die grauen Augen so klar und durchdringend wie immer. Sie errötete und verschränkte verlegen die Arme vor der Brust.

Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, sprach sie die Frage aus, die ihr auf der Seele brannte: „Warum hat man dich für tot erklärt, wenn man gar nicht sicher sein konnte?“ Ihre Stimme zitterte in Erinnerung an den Schmerz, den sie empfunden hatte, als man ihr gesagt hatte, dass Wayne für immer von ihnen gegangen war. „Ich habe von deiner Beerdigung gelesen …“ Sie ließ den Satz unvollendet, als ihr klar wurde, dass sie nur etwas über die Pläne für seine Beerdigung gelesen hatte, und zwar in seinem Nachruf.

Wayne blinzelte, doch bevor er wegsehen konnte, bemerkte sie einen Anflug von Schmerz in seinem Blick.

„Ein Fehler im Kampfgetümmel“, erklärte er. „Sie haben meine Marke gefunden, aber nicht meine Leiche. Als der Fehler endlich bemerkt wurde, hatte man bereits verlauten lassen, ich sei im Kampf gefallen.“

Phoebe presste eine Hand auf ihren Mund und kämpfte mit den Tränen. All die schrecklichen Monate, in denen sie geglaubt hatte, er sei tot …

„Ich war verletzt worden“, fuhr Wayne fort. „Im Chaos, das der Explosion folgte, wurde ich von einem Afghanen, der uns freundlich gesonnen war, gerettet und versteckt. Drei Tage hat der Mann gebraucht, um Kontakt mit den amerikanischen Truppen aufzunehmen, und erst dann entdeckte man den Fehler, den man gemacht hatte. Der arme Kerl, der gestorben ist und den sie für mich gehalten hatten, war bereits nach Deutschland zur Autopsie geflogen worden. Irgendwann hätten sie den Fehler bemerkt. Die ganze Sache hat wohl einer Reihe von Leuten einen ziemlichen Schock bereitet.“ Er räusperte sich, dann fügte er hinzu: „Mom und Dad haben keine Beerdigung arrangiert. Sie war geplant, wurde dann aber abgesagt. Ich nehme an, du warst nicht da, sonst hättest du es erfahren.“

Phoebe schüttelte den Kopf. Ihr war noch immer nach Weinen zumute. Ich bekam gerade dein Kind war irgendwie nicht das, was sie jetzt über die Lippen bringen konnte.

Verstohlen schaute sie zu Wayne auf und erschrak über den Schmerz in seinem Blick. Weil sie nicht ertragen konnte, der Grund für diesen Schmerz zu sein, sagte sie hastig: „Ich konnte nicht zu der Beerdigung fahren.“ Sie drehte sich um und setzte sich auf die Hollywoodschaukel. „Ich hatte all mein Geld zusammenkratzen müssen, um meinen Umzug zu finanzieren.“ Nun, das war immerhin keine Lüge. Sie hatte Glück gehabt, dieses Haus hier zu finden, und noch mehr Glück, dass sie, obwohl sie kaum Eigenkapital besaß, mit Unterstützung der Lehrergewerkschaft ein Darlehen bekommen hatte. Ebenfalls vorteilhaft war die Tatsache, dass das Leben hier sehr viel billiger war als in Kalifornien. Wäre sie an der Westküste geblieben, hätte sie sich niemals ein Haus leisten können, nicht einmal solch ein bescheidenes Heim wie dieses hier.

„Warum bist du umgezogen?“, fragte Wayne plötzlich. „Und dann auch noch ganz bis ans andere Ende des Kontinents? Ich weiß, du hast keine Familie, die dich in Kalifornien gehalten hätte, aber dort bist du doch aufgewachsen, dort sind deine Wurzeln. Vermisst du es gar nicht?“

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