Verlieb Dich nicht in diesen Mann!

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Breite Schultern, markante Gesichtszüge und ein unendlich verführerisches Lächeln - Luke Marshall ist der attraktivste Mann, dem May Calendar jemals begegnet ist, aber auch bei weitem der gefährlichste. Bei ihrer ersten Begegnung hat es zwischen ihnen so stark geknistert, dass er sie voller Leidenschaft spontan in seine Arme gerissen hat. Aber Vorsicht: Luke hat sich in den Kopf gesetzt, das Gelände der Calendar-Farm zu kaufen…


  • Erscheinungstag 23.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753313
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Haben Sie einen Herzanfall, oder ruhen Sie sich nur aus?“

May hatte das Auto auf den Hof fahren hören und lange genug geblinzelt, um schließlich festzustellen, dass ihr das Fahrzeug unbekannt war. Ihr Besucher hatte sich also verfahren, oder er war Vertreter für Saatgut und Düngemittel. Beide Möglichkeiten gaben ihr nicht genug Schwung, um ihren bequemen Platz auf dem Heuhaufen vor dem Melkschuppen zu verlassen.

„Was halten Sie für wahrscheinlicher?“, fragte sie, indem sie den Kopf etwas zur Seite neigte.

„Ehrlich gesagt, bin ich unsicher.“ Der Mann sagte das in einem Ton, als wäre er selten unsicher und betrachte diesen Zustand daher als Schwäche.

May nahm alle Energie zusammen und blinzelte zum zweiten Mal, um sich von dem unerwarteten Besucher einen Eindruck zu verschaffen. Er mochte Mitte bis Ende dreißig sein, war sehr groß und hatte dichtes schwarzes Haar, das zu Locken neigte. Er besaß dunkle Brauen und klare graue Augen, die Nase wirkte kühn, der Mund fest und das Kinn willensstark.

Er war ein kräftiger Mann mit breiten Schultern, bei dem man sich so etwas wie Unsicherheit absolut nicht vorstellen konnte!

„Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie sich entschieden haben“, seufzte May und schloss wieder die Augen.

„Hm.“ Diesmal klang seine Stimme nachdenklich. „Ich war noch nie Zeuge eines Herzanfalls, aber ich bin sicher, dass er starke Schmerzen verursacht, unter denen Sie nicht zu leiden scheinen. Andererseits stelle ich es mir nicht sehr gemütlich vor, bei zwei oder drei Grad über null auf einem Heuhaufen zu sitzen und zu schlafen.“

May zuckte gleichgültig die Schultern. „Es ist überall gemütlich, wenn man die ganze Nacht wach geblieben ist.“

„Ah!“, murmelte der Mann, als hätte er die Anspielung verstanden.

May öffnete die Augen gerade weit genug, um ihn strafend anzusehen. „Mit dem Tierarzt“, erklärte sie mürrisch.

„Ich verstehe.“

May richtete sich stöhnend auf und rieb sich die müden Augen. Der ganze Körper tat ihr weh. Was wollte der Mann von ihr, und warum machte er einen so sicheren und selbstbewussten Eindruck? Ein Macho, wie er im Buche stand, und damit genau der Typ, der ihr nach einer durchwachten Nacht gefehlt hatte!

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie unfreundlich.

„Das kommt darauf an.“ Offenbar liebte es der Mann, in Rätseln zu sprechen.

„Worauf?“ May runzelte die Stirn. Sie war nicht in der richtigen Verfassung, um sich mit einem verspäteten Touristen oder einem aufdringlichen Vertreter herumzustreiten.

„Ob Sie zufällig Calendar heißen“, antwortete er bestimmt.

Also kein Tourist, sondern doch ein Vertreter für Saatgut und Düngemittel!

„Das könnte sein.“ May stand mühsam auf und musste feststellen, dass der Mann sie immer noch um fünfzehn bis zwanzig Zentimeter überragte. Sie selbst maß einen Meter siebzig.

Der Mann betrachtete sie prüfend, und dabei glitt ein Lächeln über sein Gesicht. Zu recht, wie May zugeben musste, denn wahrscheinlich glich sie einer Vogelscheuche. Ihre Gummistiefel und Jeans waren voller Schlamm, und sie trug noch dasselbe wie gestern, da sie keine Zeit gefunden hatte, zu duschen und sich umzuziehen.

Die Spuren einer auf dem Scheunenboden verbrachten Nacht waren vermutlich auch ihrem Gesicht anzusehen und ebenso der Wollmütze, die sie sich tief über die Ohren gezogen hatte – einmal gegen die beißende Kälte und zum andern, um ihr langes dunkles Haar zu schützen. Kein Zweifel, sie sah zum Fürchten aus, aber sie war zu erschöpft, um das komisch zu finden.

„Sie scheinen offenbar nicht genau zu wissen, wie Sie heißen“, stellte der Mann belustigt fest.

„Vielleicht weiß ich es, vielleicht auch nicht.“ May reckte ihre müden Glieder. „Was Sie mir auch verkaufen wollen … ich wäre dankbar, wenn Sie morgen wiederkommen würden. Wahrscheinlich brauche ich nichts, aber wir könnten wenigstens darüber sprechen …“

„Verkaufen?“, wiederholte der Mann und runzelte die Stirn. „Ich will nichts ver…“ Er unterbrach sich, denn May gähnte herzhaft und begann gleichzeitig zu schwanken, so dass er ihren Arm umfasste. „Ich habe eine bessere Idee. Wir gehen jetzt ins Haus, und ich brühe Ihnen einen starken Kaffee auf.“ Er betrachtete May genauer und stellte fest, dass sie grüne Augen hatte, die wie dunkle Smaragde aus ihrem blassen Gesicht leuchteten. „Danach können wir uns richtig miteinander bekannt machen.“

May wusste nicht, ob sie sich mit diesem Mann bekannt machen wollte, sei es nun richtig oder falsch, aber sein Angebot, Kaffee zu kochen, war verlockend genug, um ihn wenigstens in die Küche zu lassen. Er machte bestimmt guten Kaffee. Wahrscheinlich machte er alles gut, wenn es darauf ankam. Er sah so aus und wirkte nicht wie ein Mann, der arglose Frauen überfiel. Weit eher fielen die Frauen über ihn her!

„Einverstanden“, willigte sie ein und ließ sich bereitwillig über den Hof in die Küche führen, wo sie sich auf einen Stuhl setzte und zusah, wie ihr Besucher rasch und mühelos den Kaffee zubereitete.

Welch ein himmlischer Duft! dachte sie, als das kräftige Aroma Minuten später die warme Küche durchzog. Zwei oder drei Tassen würden sie vielleicht wach halten, bis sie auch noch ihre Morgenpflichten erledigt hatte.

May hatte eine lange Nacht hinter sich – Gott sei Dank mit glücklichem Ausgang. Nur der Gedanke an die Aufgaben, die noch auf sie warteten, hatte sie veranlasst, sich vorübergehend auf dem Heuhaufen auszuruhen. Natürlich war sie eingeschlafen. Und wie der Mann richtig bemerkt hatte: Ende Januar draußen auf einem Heuhaufen zu schlafen, war nicht sehr gemütlich!

„Hier.“ Der Mann stellte einen Becher mit starkem schwarzem Kaffee vor sie hin, ehe er sich mit einem zweiten Becher ihr gegenüber an den Tisch setzte. Dabei verhielt er sich so natürlich, als wäre er in der kleinen, unaufgeräumten Bauernküche zu Hause. „Ich habe zwei Stück Zucker hineingetan. Sie sehen aus, als würde Ihnen ein kleiner Energieschub gut tun.“

May nahm sonst keinen Zucker zum Kaffee, aber das Argument leuchtete ihr ein. Schon nach wenigen Schlucken fühlte sie, wie der Zucker und das Koffein sie neu belebten.

„Ich habe mich entschieden“, fuhr der Mann unbekümmert fort.

„Wie bitte?“ May sah ihn verständnislos an. Offenbar musste sie noch viel mehr gesüßten Kaffee trinken, um wieder ein halbwegs normales Gespräch führen zu können.

„Es war kein Herzanfall. Sie haben vorhin geschlafen.“

May verzog das Gesicht. „Das habe ich bereits zugegeben.“

„Weil Sie die ganze Nacht wach geblieben sind … mit dem Tierarzt.“

Wieder dieser anzügliche Ton. May hätte den Mann umbringen können! „Mit dem Tierarzt und einem Mutterschaf“, erklärte sie unwillig. „Es war eine sehr schwere Geburt.“

John Potter, der Tierarzt, war Anfang fünfzig und seit über zwanzig Jahren verheiratet. Er hatte drei Kinder, die bereits erwachsen waren. Warum sollte May da falsche Gerüchte aufkommen lassen? Sowohl John wie sie selbst hatten einen guten Ruf zu verlieren.

„Mutter und Zwillinge sind wohlauf“, fuhr sie fort, denn sie fühlte sich immer noch unangenehm beobachtet. „Hören Sie. Ich bin Ihnen wirklich dankbar … für den Kaffee und alles andere, aber Sie müssen verstehen, wenn ich jetzt …“

„Gütiger Himmel!“, rief der Mann plötzlich.

„Wie bitte?“ May stutzte. Sie hatte ihre Wollmütze abgenommen, und das lange dunkle Haar fiel ihr weit über Schultern und Rücken.

„Sie … Ich … Einen Moment lang dachte ich, Sie seien jemand anders.“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Wer sind Sie?“

May sah ihn scharf an. „Das müsste ich Sie fragen. Schließlich bin ich hier zu Hause.“

„Ja, natürlich.“ Der Mann nahm sich zusammen, ohne seine Verwirrung ganz verbergen zu können. „Entschuldigen Sie.“

Was ist plötzlich mit ihm los? dachte May. Was hatte sie an sich, das eine so auffällige Reaktion rechtfertigte? Sie hatte langes dunkles Haar, grüne Augen und ein schmales, ebenmäßiges Gesicht, aber das war nichts Besonderes. Ihre beiden Schwestern sahen fast genauso aus, und schmutzig und schlecht angezogen, wie sie war, glich sie beileibe keiner Schönheitskönigin.

Da stand es mit ihrem Besucher ganz anders. Er sah nicht nur gut aus, er war auch teuer und gut angezogen und machte nicht den Eindruck, als würde er wegen einer schlammbespritzten, übernächtigten Frau aus dem Häuschen geraten!

„Nun?“, fragte sie irritiert, als er nicht aufhörte, sie anzustarren.

„Nun … was? Ach so!“ Er rückte auf seinem Stuhl hin und her, als müsste er erst seine Gedanken ordnen. Dabei ließ er den Blick durch die Küche schweifen, an der ihn besonders der mit Fliesen belegte Boden zu interessieren schien.

„Was tun Sie da?“, fragte May schließlich ungeduldig.

Der Blick des Mannes, der sich inzwischen gefasst zu haben schien, kehrte zu ihrem Gesicht zurück. „Ich versuche festzustellen, wo Sie die Leichen versteckt haben könnten.“

May begriff nichts. Schlief sie etwa noch? Hatte sich ihr wunderbarer Traum von einem attraktiven Fremden, der aus dem Nichts aufgetaucht war, um ihr stärkenden Kaffee zu kochen, in einen Albtraum verwandelt? Irgendwann hatte sie den Faden verloren, denn was er eben gesagt hatte, ergab absolut keinen Sinn.

Aber vielleicht schlief sie gar nicht. Vielleicht träumte sie auch nicht, und ihr Ritter war aus einem Irrenhaus entflohen!

„Welche Leichen?“, fragte sie ängstlich.

Der Mann lächelte, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Welche von den drei Schwestern sind Sie?“, fragte er neugierig. „May? March? Oder January?”

May blieb weiter auf der Hut. Ein entflohener Irrer würde zwar kaum ihren Namen und die Namen ihrer Schwestern kennen, aber man konnte nie wissen …

„Ich bin May“, antwortete sie mutiger, als sie sich fühlte. „Aber March und January wollten jeden Augenblick zurück sein …“

Das war natürlich eine Lüge. January und ihr Verlobter machten noch Ferien in der Karibik, und March war mit ihrem Verlobten nach London gefahren, um ihre zukünftigen Schwiegereltern kennen zu lernen. May war völlig allein auf dem Hof, aber solange sie nicht wusste, wer der Fremde war und was er von ihr wollte, würde sie das verschweigen.

Der Mann lächelte wieder, aber es war ein kaltes Lächeln. „Das glaube ich nicht“, sagte er, und dabei trat ein wachsamer Ausdruck in seine silbergrauen Augen. „Sie sind also May.“

„Wie ich eben sagte“, erwiderte sie, während sie sich mit jeder Sekunde unbehaglicher fühlte. „Und Sie sind …“

„Ja, ich bin.“ Mehr sagte er nicht. Ihre zunehmende Verlegenheit schien ihm zu gefallen.

May stand unvermittelt auf. Es war ein Vorteil, wenigstens vorübergehend größer als ihr seltsamer Besucher zu sein. „Das ist keine Antwort. Ich habe Sie nicht hergebeten …“

„O doch“, unterbrach er sie mit einer Stimme, die dem sanften Schnurren eines Tigers glich. Dabei leuchteten seine Augen gefährlich auf. „Ich weiß aus zwei zuverlässigen Quellen, dass Sie den ausdrücklichen Wunsch geäußert haben, mir Auge in Auge gegenüberzustehen.“

„Tatsächlich?“, fragte May ungläubig und wurde plötzlich ganz still. Ein fantastischer Gedanke durchzuckte sie. Aus zwei zuverlässigen Quellen? Sie hätte es nicht beschwören können, aber …

Mitte bis Ende dreißig, selbstsicher, wohlhabend und noch teurer angezogen, als sie bisher bemerkt hatte. Die weiche Lederjacke, die Designerjeans … Vor allem aber: Er hatte schon bei seiner Ankunft gewusst, dass sie eine der Calendar-Schwestern war!

Plötzlich war sie aufs Höchste alarmiert. Sie wusste, wer dieser Mann war …

„Luke Marshall“, stellte sich der Mann vor, stand auf und streckte die Hand aus. Dabei konnte er an Mays entsetztem Gesicht erkennen, dass diese Vorstellung überflüssig war.

Unter anderen Umständen hätte Mays Gesichtsausdruck komisch wirken können, aber Luke lachte nicht. Er kannte diese Reaktion. Die meisten Frauen reagierten so, wenn sie hörten, wer er war. Vor allem schöne Frauen, und May Calendar war ungewöhnlich schön – sogar noch in ihrem übermüdeten Zustand.

Sie blickte ihn starr an, ohne die ausgestreckte Hand zu beachten. „Aber … Sie sind Engländer!“, stieß sie endlich hervor, als wäre das eine persönliche Beleidigung.

Luke ließ die Hand sinken und setzte sich wieder hin. „Darüber ließe sich streiten“, meinte er mit zufriedenem Lächeln, denn Mays Reaktion entsprach ganz seinen Wünschen.

„Entweder sind Sie Engländer oder nicht“, beharrte May. Sie war sichtlich bemüht, ihre Fassung zurückzugewinnen. Plötzlich den Mann vor sich zu sehen, der seit zwei Monaten versuchte, den Calendar-Hof zu kaufen, hatte sie zutiefst erschüttert.

Luke zuckte die Schultern. „Meine Mutter ist Amerikanerin und mein Vater Engländer“, erklärte er. „Ich wurde in Amerika geboren, aber in England erzogen. Ich bin oft in Amerika, sowohl beruflich wie privat, aber mein Lebensmittelpunkt ist London. Was sagen Sie dazu?“

„Lieber gar nichts!“, antwortete May mit aufbrausendem Zorn. „Sie würden es doch nicht gern hören.“

„Nein“, gab er zu. „Wahrscheinlich nicht.“

May zog ihren Mantel aus, der bis jetzt verborgen hatte, wie schlank sie war. Der grüne Pullover, den sie darunter trug, hatte genau die Farbe ihrer Augen, und die ausgeblichenen Jeans betonten ihre schmalen Hüften und die langen Beine.

„Sehen Ihre Schwestern Ihnen irgendwie ähnlich?“, fragte Luke versonnen.

„Sie gleichen …“ May verstummte, denn sie hätte fast zu viel gesagt. Sie durfte Luke Marshall keinen Augenblick trauen. „Warum wollen Sie das wissen?“

„Aus reiner Neugierde.“

„Das stimmt nicht“, widersprach May. „Sie haben eben von versteckten Leichen gesprochen. Meinten Sie da zufällig Ihren Anwalt Max Golding und Ihren Architekten Will Davenport?“

Nicht nur schön, sondern auch intelligent, stellte Luke zufrieden fest. Die Calendar-Schwestern – zumindest die eine, die er bis jetzt kennen gelernt hatte – waren keineswegs die drei alten Jungfern, die er immer vor sich gesehen hatte. Kein Wunder, dass sie sich seinem Plan, ihren Hof zu kaufen, so hartnäckig widersetzten!

„Halten Sie das für möglich?“, fragte er, um Zeit zu gewinnen.

„Sie lieben es, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, nicht wahr?“ May hatte ihren Mantel an die Tür gehängt und ging zum Herd, um sich frischen Kaffee einzuschenken.

Wieder musste sich Luke über ihre Hellsichtigkeit wundern. Er hatte diese Taktik tatsächlich bewusst entwickelt, um seine Gesprächspartner besser aushorchen zu können, ohne viel von sich selbst preiszugeben.

„Sie scheinen dieselbe Vorliebe zu besitzen“, erklärte er ausweichend.

May zuckte die Schultern. „Wir könnten den ganzen Vormittag so weitermachen, Mr. Marshall, aber leider fehlt mir die Zeit für Spitzfindigkeiten und alberne Wortgefechte.“

Luke nickte. „Weil Sie mit dem Tierarzt eine schlaflose Nacht verbracht haben.“

Mays Wangen, die sonst die Farbe weißer Magnolienblüten hatten, hatten sich leicht gerötet. „Ich habe Ihnen das schon einmal erklärt“, antwortete sie zurechtweisend, „und werde es nicht noch einmal tun. Was wollen Sie von mir, Mr. Marshall?“

Wenn Luke das gewusst hätte! Seit er die älteste Calendar-Schwester kannte und seine bisherigen Vorurteile von Grund auf revidiert hatte, spürte er eine ungewohnte und ärgerliche Unsicherheit.

„Sie könnten mir zuerst sagen, wo sich Max und Will aufhalten“, schlug er vor.

„Sofern sie nicht als Leichen unter den Bodenfliesen liegen“, ergänzte May spitz.

„Ganz recht“, bestätigte Luke mit dem für ihn typischen kalten Lächeln.

May schüttelte den Kopf. „Zu Ihrer Beruhigung … da sind sie nicht.“

„Wo denn dann?“, fragte Luke, als May ihren Worten nichts hinzufügte.

Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Max ist in der Karibik und Will in London“, antwortete sie nach reiflicher Überlegung.

Luke machte eine ungeduldige Handbewegung. „Und wo sind Ihre Schwestern?“

„January ist in der Karibik, und March ist in London.“

„Welch ein Zufall!“, spottete Luke.

Er wusste natürlich längst, wo Max und Will steckten und wen sie jeweils bei sich hatten. Seine Frage hatte nur dazu gedient, May Calendars Ehrlichkeit zu prüfen. Offenbar war sie ehrlich!

„Eigentlich kein Zufall“, erklärte sie jetzt. „January und March wollten sich natürlich nicht von ihren Verlobten trennen.“

Natürlich nicht. Luke hatte sich sein Teil gedacht, als er erst von Max und dann von Will angerufen worden war, die ihn jeweils über ihre Verlobung mit einer der Calendar-Schwestern informiert hatten. Dass er überrascht gewesen war, wäre eine sträfliche Untertreibung gewesen. Max und Will verlobt! Seine beiden besten Freunde, die er seit der Schulzeit kannte und mit denen er ein Gelübde abgelegt hatte, sich niemals zu verlieben oder sogar zu heiraten.

Offensichtlich hatten sie das Gelübde gebrochen, was ihn zum Narren stempelte. Das war das Schlimmste daran.

„Sie haben mich eben gefragt, was ich will“, sagte er schroff und stand auf. „Ich will genau das, weswegen ich Max vor Wochen herübergeschickt habe – leider umsonst, denn er hatte nichts Besseres zu tun, als sich in Ihre Schwester zu verlieben. Ich will diesen Hof kaufen.“

May sah ihn scharf an. „Hat er Ihnen nicht mitgeteilt, dass der Hof unverkäuflich ist?“

„Doch, das hat er getan.“

„Also?“

Die kämpferische Herausforderung war nicht zu überhören, ebenso wenig wie die kaum verhehlte Abneigung. Beides, musste Luke zugeben, würde ihn keinen Schritt weiterbringen. Deshalb ließ er seinen bewährten Charme spielen.

„Ich bitte Sie, May. Sie müssen inzwischen festgestellt haben, dass Sie den Hof unmöglich allein bewirtschaften können.“

May richtete sich zornig auf, ihre grünen Augen sprühten Feuer. „Was ich kann oder nicht kann, hat Sie nicht zu kümmern, Mr. Marshall! Außerdem kann ich mich nicht erinnern, Ihnen erlaubt zu haben, mich mit meinem Vornamen anzureden.“

Luke unterdrückte eine scharfe Antwort, denn insgeheim bewunderte er May für ihren Mut. Noch keine Frau hatte es fertig gebracht, ihn so wütend zu machen. Gewöhnlich beherrschte er sich und hatte sich vollkommen in der Gewalt. Seiner Erfahrung nach sicherte ihm das die unbedingte Überlegenheit über seinen … ja, was? Hatte er Gegner sagen wollen?

Dann war May Calendar ein Gegner?

Wie müde sie aussah! Ihr Gesicht mit den Schatten unter den Augen wirkte fast durchsichtig, und sie war viel zu dünn. Gefährlich dünn. Sah ein Gegner so aus? Musste er sich nicht selbst anklagen, dass er ihr zu allen Problemen, die sie zu bewältigen hatte, noch mehr auf die schmalen Schultern lud?

Doch Selbstvorwürfe waren gefährlich und gehörten nicht zu Luke Marshalls Methoden.

„Vielleicht ist dies kein günstiger Augenblick für ein Gespräch“, räumte er ein. „Sie sind müde und haben zu tun, und wenn …“

„Sie morgen wiederkommen, um mich in besserer Verfassung anzutreffen, werden Sie genau dieselbe Antwort erhalten“, unterbrach May ihn scharf. „Ich kann nur wiederholen, was ich schon Ihrem Anwalt und Ihrem Architekten gesagt habe: Der Hof ist nicht zu verkaufen!“

Luke runzelte die Stirn. May Calendar war wirklich die eigensinnigste, dickköpfigste …

„Schon gar nicht an einen Mann wie Sie“, fuhr May zornig fort. „Wir brauchen kein Luxushotel mit Wellnessbereich, Golfplatz und anderem Schnickschnack für verwöhnte Touristen. Dafür ist das ehemalige Land der Hanworths viel zu schade. Und unser Land auch“, fügte sie bebend hinzu.

Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht, dachte Luke halb bewundernd. Genau das hatte er mit dem Land vor. Es sei denn …

Nein, er konnte sich sowohl auf Max wie auf Will verlassen. Auch wenn sich beide unerwartet mit der Calendar-Familie verbunden hatten, würden sie das in sie gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen. Sie waren und blieben seine Partner. Deshalb hatte er Max’ Kündigungsgesuch abgelehnt und sich die Mühe gemacht, Wills Alternativplan zu studieren, bei dem das Land der Calendar-Schwestern ausgespart blieb.

„Das mag Ihre persönliche Meinung sein, Miss Calendar …“

May schüttelte den Kopf. „Hören Sie sich nur gründlich in der Gegend um, Mr. Marshall. Sie werden meine Meinung überall bestätigt finden.“

Dazu hatte Luke keine Zeit. Er stand auf und zog ärgerlich den Reißverschluss seiner Lederjacke zu. Er verstand jetzt besser, warum Max und Will mit ihren Bemühungen, dieses Land für eine zukunftsweisende Entwicklung zu kaufen, gescheitert waren.

Man lief bei den Calendar-Schwestern offenbar gegen eine Wand!

Doch May würde rasch merken, dass er aus härterem Holz geschnitzt war als seine beiden Vorboten. Er ließ sich nicht so leicht durch weibliche Hilflosigkeit und weiblichen Starrsinn aus der Bahn werfen.

„Wir unterhalten uns ein anderes Mal, Miss Calendar“, erklärte er selbstsicher und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. „Für den Augenblick genügt es, dass wir uns persönlich kennen gelernt haben.“

Und dass Sie jetzt wissen, mit welchem Gegner Sie rechnen müssen, fügte er insgeheim hinzu. Es fiel ihm nicht im Traum ein, die Pläne aufzugeben, derentwegen er das Hanworth-Land erworben hatte und die den Calendar-Hof notwendigerweise einschlossen.

Die drei Schwestern würden sich noch wundern!

2. KAPITEL

May ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken, nachdem Luke Marshall so plötzlich verschwunden war. Eine schöne Bescherung, dachte sie. Ich hätte gern darauf verzichtet.

Ausgerechnet Luke Marshall! Nie im Leben hätte sie damit gerechnet, ihm hier und jetzt gegenüberzustehen.

Luke Marshall, der Chef der nach ihm benannten „Corporation“, war während der letzten zwei Monate zu einem Albtraum für die Calendar-Schwestern geworden. Zu einem schwer fassbaren bösen Geist, der ihr Leben vergiftete, weil er unbedingt ihren Hof kaufen wollte, der nie zum Verkauf angeboten worden war.

Der Brief mit dem ersten Kaufangebot war aus Philadelphia gekommen. Die Schwestern hatten deshalb angenommen, dass die „Corporation“ dort ihren Sitz habe und dass Luke Marshall Amerikaner sei. Aber kein Amerikaner sprach so reines Englisch wie der Mann, der May eben verlassen hatte, und wenn er sich nicht vorgestellt hätte, wäre sie niemals auf den Gedanken gekommen, ihren ärgsten Feind vor sich zu haben.

Luke Marshall war eine Überraschung – in mehr als einer Hinsicht. Einmal hatte May nicht erwartet, dass er so atemberaubend gut aussehen würde. Zum andern wunderte sie sich immer noch, wie natürlich und selbstverständlich er ihr den Kaffee zubereitet hatte, als läge ihm einzig und allein ihr Wohl am Herzen!

Abgesehen davon hatte er natürlich recht. Sie konnte den Hof nicht allein bewirtschaften, obwohl sie ihm das niemals eingestanden hätte. Seit March in London war, um Wills Eltern kennen zu lernen, fehlte ihr die letzte Stütze. January war schon länger fort und hatte gerade aus der Karibik angerufen und erklärt, dass sie und Max noch eine weitere Woche bleiben würden.

Ihre Stimme hatte dabei so fröhlich geklungen, dass May nicht gewagt hatte, sie an ihre Pflichten zu Hause zu erinnern. Sie hatte ihr und Max weiter gute Erholung gewünscht und mit der Überzeugung eingehängt, dass sie selbst diese Erholung sehr viel nötiger bräuchte.

Die letzten Tage hatten ihr einen deutlichen Vorgeschmack davon gegeben, wie es nach Januarys und Marchs Hochzeit sein würde. Hart. Äußerst hart, um genau zu sein. Doch das war kein Grund, Luke Marshalls Drängen nachzugeben und den Hof an ihn zu verkaufen. Seit sie ihn persönlich kannte, war sie mehr denn je entschlossen, bei ihrer Weigerung zu bleiben.

Mehr denn je? Als May am späten Nachmittag aus dem Stall kam und über den Hof wankte, zweifelte sie auch daran. Der lange Tag hatte ihr den Rest gegeben. Sie war zu erschöpft, um noch für sich zu kochen, und beschloss, sich mit dem restlichen Kaffee zu begnügen. Er stand noch lauwarm auf dem Herd und würde köstlich schmecken.

Er schmeckte nicht köstlich, sondern widerlich. May verzog das Gesicht, schob den Becher fort und legte den Kopf auf die ausgestreckten Arme. Einen Moment ausruhen, nur einige Minuten, dann würde sie sich wieder kräftiger fühlen. Nur einige Minuten …

„Wachen Sie auf, May!“, mahnte plötzlich eine freundliche Stimme, die von überall her kommen konnte.

May runzelte die Stirn, denn die Bilder ihres Traums verwischten sich. Es war ein wunderbarer Traum gewesen. Sie hatte an einem weißen Strand gelegen, die Sonne hatte ihren Körper gewärmt und das türkisblaue Meer mit leise rauschenden Wellen ihre Füße umspielt. Aber es war eben nur ein Traum gewesen, das merkte sie, weil ihr die Arme eingeschlafen waren und ihr der Rücken schrecklich wehtat.

„May, wenn Sie nicht sofort aufwachen, muss ich annehmen, dass Sie diesmal wirklich einen Herzanfall haben“, fuhr die Stimme spöttisch fort. „Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als es mit Mund-zu-Mund-Beatmung zu versuchen.“

Luke Marshalls Stimme!

May erkannte sein geschliffenes Englisch sofort und hob den Kopf, um ihm einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Sie musste inzwischen noch schlimmer aussehen als am Morgen – immer noch in derselben Kleidung, immer noch ungewaschen und nun auch noch mit Druckspuren im Gesicht, weil sie in einer so unbequemen Stellung geschlafen hatte.

Luke sah lächelnd auf sie hinunter. „Ich habe mir gedacht, dass die Androhung von Mund-zu-Mund-Beatmung Sie neu beleben würde“, meinte er unbekümmert.

May richtete sich seufzend auf. „Was wollen Sie, Mr. Marshall?“

„Das scheint Ihre Lieblingsfrage zu sein.“ Luke zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Begrüßt man so einen Mann, der das Abendessen ins Haus bringt?“ Er schwenkte eine große Plastiktüte. „Chinesisch, um es gleich zu sagen. Sie sahen heute Morgen so müde aus. Ich war ziemlich sicher, dass Sie ohne warme Mahlzeit schlafen gehen würden.“

May sah ihn misstrauisch an. Sie war noch nicht ganz wach, aber ihr inneres Warnsystem funktionierte bereits. Was hatte Luke Marshalls neuerliches Erscheinen zu bedeuten? Seine Annahme, dass sie heute nicht mehr für sich gekocht hätte, war richtig, aber musste er deshalb so reagieren?

„Und was geht Sie das an, Mr. Marshall?“, fragte sie nervös. Ihre Müdigkeit war längst einer unnatürlichen Wachheit gewichen.

„Hören Sie endlich auf, dummes Zeug zu reden.“ Luke stellte die Plastiktüte mitten auf den Tisch. „Sagen Sie mir lieber, wo die Teller sind, damit ich auftun kann, bevor alles kalt ist.“

„Zweiter Schrank von rechts“, gab May gehorsam Auskunft. Warum hatte er „die Teller“ gesagt? Wollte er etwa gemeinsam mit ihr essen?

Luke beantwortete diese stumme Frage, indem er zwei Plätze deckte und dann die sorgsam verpackten Gerichte aus der Tüte nahm.

„Mr. Marshall …“

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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