Verliebt in den Inselarzt

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Zurück nach Wildfire Island! Die paradiesische Insel ist ihr Zuhause und der Ort, an dem Caroline die Liebe kennenlernte. Mit Keanu, bis er verschwand … Doch die Rückkehr hält für die junge Krankenschwester eine Überraschung bereit: Auch Keanu, inzwischen Arzt, ist wieder da!


  • Erscheinungstag 20.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505987
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als die kleine Propellermaschine auf die Insel zuflog, wurde die Last, die Caroline Lockhart seit Monaten bedrückte, leichter. Freude, endlich wieder zu Hause zu sein, erfüllte sie.

Aus der Luft sah die Insel im türkisblauen Meer wie ein kostbarer Edelstein aus. Die schneeweißen Sandstrände im Norden schimmerten wie Satinbänder, die ein liebevoll verpacktes Päckchen schmückten, und der dichte grüne Regenwald war das Geschenkpapier.

Aus Westen kommend überquerten sie jetzt die roten Felsklippen, die bei Sonnenuntergang magisch aufleuchteten und denen die Insel ihren Namen verdankte. Von dem feurigen Glühen fasziniert, hatten Seeleute sie in früher Zeit Wildfire getauft.

Je tiefer es runterging, umso besser waren nun auch die Gebäude zu erkennen. Am augenfälligsten war die palastartige Lockhart-Villa, die Carolines Urgroßvater auf einer Anhöhe an der Südspitze der Insel bauen ließ, nachdem er das riesige Gelände den einheimischen M’Langi abgekauft hatte.

Lockhart House war viele Jahre Carolines Zuhause gewesen, das einzige echte Heim, das sie als Kind gekannt hatte.

Es erhob sich am höchsten Punkt des Plateaus mit atemberaubendem Ausblick auf den Pazifik. Von hier oben sah man, wie die Wellen sich weißschäumend am Korallenriff brachen, und dahinter verteilt die Inseln, kleine und große Juwelen im unendlichen Ozean, die zusammen mit Wildfire die M’Langi-Inselgruppe bildeten.

Etwas tiefer als die Villa lag die Lagune, fast versteckt vom üppigen Regenwald, der sie umgab. Ihre Farbe wechselte mit der Tönung des Himmels, und heute leuchtete das Wasser in einem tiefdunklen Blau.

Grandmas Lagune.

In Wirklichkeit war es ein Kratersee aus der Zeit, als Vulkane in dieser Gegend sehr aktiv waren, aber Grandma hatte ihre Lagune geliebt, und der Name war bis heute geblieben.

Unterhalb des Anwesens stand das Krankenhaus, von Carolines Vater Max Lockhart zum Gedenken an seine verstorbene Frau – Carolines Mutter – errichtet. Kleinere Häuser, die Unterkünfte der Mitarbeiter, umgaben das Hauptgebäude wie eine Schar Küken die Mutterglucke.

Ganz in der Nähe erstreckte sich die Start- und Landebahn.

Weiter nördlich, wo die Anhöhe zum Meer hin flacher wurde, befand sich die Forschungsstation mit dem großen Laborgebäude, Küchen- und Aufenthaltsbaracke und Hütten, in denen Gastforscher aus aller Welt untergebracht waren.

Hier befassten sich Wissenschaftler mit speziellen Tropenkrankheiten, die vor allem auf diesen abgelegenen tropischen Inseln vorkamen. So war zum Beispiel die Wirkung eines Tees erforscht worden, den die M’Langi aus der Rinde eines besonderen Baums herstellten. Man hatte beobachtet, dass die Insulaner, die den Tee regelmäßig tranken, seltener von Moskitos gestochen wurden und deshalb weniger anfällig für die von Mücken übertragene Enzephalitis waren.

Die Station wirkte verändert, wie Caroline verwundert bemerkte. Sie fragte sich, ob überhaupt noch jemand dort arbeitete. Keanus Vater war der Erste gewesen, der sich für die Wirkung des speziellen Tees interessiert hatte.

Keanu …

Sie schüttelte den Kopf, wie um die Erinnerungen an ihn loszuwerden, und überlegte, wer jetzt dort unten wohl forschte. Ihr Vater hatte einen gewissen Luke erwähnt, der dort für kurze Zeit gearbeitet hatte, doch das war auch schon vier, fünf Jahre her.

Die kleine Maschine hielt wieder Kurs auf den Süden der Insel und überflog das Dorf, das dort entstanden war, als die Insel Opuru nach einem Tsunami hatte evakuiert werden müssen. Jetzt sah Caroline auch den Eingang zur Goldmine, die tief unter dem Plateau lag.

Die Mine hatte ihrer Familie und den Insulanern Wohlstand gebracht. Jetzt stand dort nur ein riesiger gelber Bulldozer, alles andere war halb versteckt unter Norfolktannen und dichtem Gestrüpp.

Seltsam.

Das Flugzeug ging tiefer, und die Korallenriffe im Meer wurden sichtbar wie ein Wellenmuster auf einem feinen Seidenschal. Vor Carolines geistigem Auge stiegen Bilder von Keanu und ihr auf. Wie oft hatten sie im kristallklaren Wasser geschnorchelt, die geheimnisvolle Unterwasserfauna mit ihren farbenprächtigen Fischen bewundert.

Eine plötzliche Sehnsucht nach ihrer unbeschwerten Kindheit und der Geborgenheit ihres Zuhauses erfasste sie. Warum war sie seit einer Ewigkeit nicht mehr hier gewesen? Weil Keanu nicht mehr da war? Oder weil sie fürchtete, ihm hier zu begegnen?

„Geht’s dir gut?“, fragte Jill.

Caroline wandte sich ihrer Freundin zu. Ihrer besten Freundin, die auch auf eine Entfernung von siebenhundert Meilen ihrer Stimme angehört hatte, wie unglücklich sie war. Jill war diejenige gewesen, die ihr geraten hatte, nach Hause zu fliegen.

Sie hatte sogar darauf bestanden. Allerdings vermutete Caroline, dass Jill ihr auch stolz ihr neues Flugzeug vorführen wollte.

„Ja. Es tut mir nur leid, dass ich so lange weg war.“

„In letzter Zeit war das absolut verständlich. Du musstest dir schon Sorgen machen, dass Steve, diese Ratte, sich jemand anderes angelt, wenn du auch nur eine Woche weg bist.“

Das riss sie aus ihrer sentimentalen Stimmung. „Meinst du das ernst? Glaubst du wirklich, dass ich ihm so egal war?“

Jills Schweigen sprach Bände.

Caroline seufzte. „Du hast recht. Er hat es bewiesen, als er mich wie eine heiße Kartoffel fallen ließ, nachdem in den Zeitungen stand, dass die Wildfire-Goldmine mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat.“

Sie ärgerte sich immer noch darüber, und wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass es auch wehtat. Wie konnte es sein, dass sich hinter dem Mann, der sie mit Blumen, Geschenken und innigen Liebesbeteuerungen umworben hatte, ein solcher Mistkerl verbarg?

War sie so naiv gewesen?

„Vielleicht hat er tatsächlich eine andere kennengelernt“, meinte Caroline. „Kann doch sein, dass er die Wahrheit gesagt hat.“

„Der würde die Wahrheit nicht mal erkennen, wenn sie ihm ins Auge fliegt!“, gab Jill zurück, doch danach schwieg sie zum Glück.

Um sich auf den Landeanflug zu konzentrieren oder ihre Freundin nicht zu verletzen, da war sich Caroline nicht ganz sicher. Tatsache blieb, dass ihr erst später – zu spät – aufgefallen war, wie sehr sich Steve für die Mine ihrer Familie interessierte.

Die Maschine setzte auf dem Asphalt auf, rollte aus, während Jill gleichmäßig bremste.

„Die Bahn ist in guter Verfassung“, meinte sie, als sie ihren Flieger neben der Scheune zum Stehen brachte, wo Wildfire Island seine Besucher willkommen hieß.

Das Gebäude müsste dringend gestrichen werden, dachte Caroline. Ihre anfängliche Euphorie, wieder zu Hause zu sein, verflog, als sie sah, wie heruntergekommen alles wirkte.

Die Landebahn war allerdings erneuert worden.

Ging es mit der Mine wieder aufwärts?

Nein, ihr Vater hatte bestätigt, dass es Probleme gab, als sie ihn auf den Zeitungsartikel ansprach. Der Zustand der Mine schien ihm große Sorgen zu bereiten, auch wenn er die meiste Zeit in Sydney verbrachte. Er arbeitete dort als Internist, um in Christophers Nähe sein zu können. Carolines Zwillingsbruder hatte bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen und war deshalb geistig und körperlich behindert.

Sie erinnerte sich, dass ihr Vater grau vor Müdigkeit gewesen war. Feine Linien hatten sich in sein schmales Gesicht gegraben, ein deutliches Zeichen von dauerhaftem Stress und Überarbeitung. Aber wie alle Lockharts verfügte er über einen ausgeprägten Eigensinn.

„Flieg zur Insel, du gehörst dorthin“, hatte er sanft gesagt. „Und denk daran, mit Schmerz wird man am besten fertig, wenn man hart arbeitet. Das Krankenhaus kann eine zweite Krankenschwester gebrauchen, vor allem seit die Gesundheitsversorgung auf den Nachbarinseln ausgebaut wurde und wir die Zahl unserer Mitarbeiter reduziert haben.“

Harte Arbeit, damit hatte ihr Vater überlebt, seit Carolines Mutter in seinen Armen gestorben war und ihn mit zwei Frühchen, einem gesunden kleinen Mädchen und einem winzigen behinderten Jungen zurückgelassen hatte.

„Vielleicht hat der Besitzer des schicken Helis da drüben ein genauso schickes Flugzeug und hat dafür die Landebahn generalüberholen lassen.“ Jills Stimme holte Caroline aus ihren traurigen Gedanken.

„Schicker Helikopter? Wir hatten immer ganz normale Rettungshubschrauber, und Dad meinte, es ist nur noch einer übrig.“ Als sie Jills ausgestrecktem Finger mit dem Blick folgte, musste sie ihrer Freundin allerdings recht geben. Am Ende der Landebahn stand ein ultraleichter wendiger Hubschrauber, der mit seiner dunkelblauen Lackierung und den im Sonnenlicht glänzenden Goldstreifen wie eine überdimensionale schillernde Libelle wirkte. „Der gehört uns nicht.“

„Aber vielleicht einem mysteriösen Millionär, den dein zwielichtiger Onkel Ian dazu überredet hat, in die Insel zu investieren.“

„Nach allem, was ich gehört habe, wäre eher ein Milliardär nötig“, meinte Caroline düster. Inzwischen hatte sie die Gurte gelöst und öffnete nun die Tür. „Komm doch auf einen Tee mit rauf“, bot sie Jill an.

Die Freundin schüttelte den Kopf. „Ich habe eine Thermosflasche mit Kaffee und ein paar Sandwichs dabei, gut ausgerüstet, wie es sich für eine echte Pfadfinderin gehört. Noch schnell auftanken, dann bin ich weg. Der Flug dauert nur vier Stunden. Da mache ich mich lieber auf den Weg nach Hause zu meiner Familie.“

Caroline nahm ihr Gepäck – ein kleiner Koffer mit den wenigen leichten Sommerkleidern, die sie besaß. In Sydney hatte sie fast ausschließlich Designermode getragen. Steve bestand darauf, dass sie immer modisch und teuer gekleidet war.

Und das habe ich mitgemacht?

Ihr stieg die Schamröte in die Wangen, als sie daran dachte, wie sehr sie sich von ihm hatte dominieren lassen. Das ging so weit, dass sie oft Doppelschichten übernahm, um für ein Wochenende mit ihm wegfahren zu können. Lass uns was Tolles unternehmen, damit fing es immer an und endete doch wieder nur bei einer Cocktailparty mit Leuten, die sie nicht kannte … und auf deren Bekanntschaft sie auch keinen gesteigerten Wert legte.

Aber sie machte mit, weil sie ihn liebte. Oder nur geliebt hatte, dass er sie liebte …

Jill hatte ihren Flieger aufgetankt, wischte sich die Hände an einem alten Lappen ab und wandte sich zu ihr um. „Du passt auf dich auf, ja? Und melde dich. Ich will Anrufe und Mails, keine Infos über Social Media, wo jeder lesen kann, was du treibst. Mich interessiert vor allem das, was Unter Ausschluss der Öffentlichkeit fällt.“ Ihre Freundin umarmte sie herzlich. „Du packst das schon.“

Das klang sehr bestimmt, und dennoch meinte Caroline, einen leisen Zweifel herauszuhören.

Liebe gute Jilly. Sie war ihre erste Freundin geworden, als sie vor so vielen Jahren aufs Internat gekommen war. Heute lebte Jill in Queensland, im Reich der Rinderherden, wo sie aufgewachsen war. Sie hatte einen Rinderzüchter geheiratet, mit dem sie erstklassige Tiere heranzüchtete, und Kinder bekommen.

Caroline erwiderte die Umarmung und sah Jill nach, wie sie in ihre Maschine kletterte, startete und die Asphaltbahn entlangsauste. Sie winkte ihr nach, als das Flugzeug in der Luft war, und blickte sich dann um.

Ja, das Gebäude wirkte heruntergekommen und der Garten vernachlässigt, aber das Gefühl von Frieden und Geborgenheit, das ihr Herz erfüllte, sagte ihr, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Sie war zu Hause.

Als sie sich bückte, um den Koffer anzuheben, fiel ihr auf, dass etwas sehr Vertrautes fehlte. Wo war Harold, der jeden begrüßte, der auf dieser Piste landete? Harold, der Keanu und ihr die alten Legenden der Inseln erzählt und ihnen bunte süßsaure Lollis schenkte, deren Geschmack sie heute noch auf der Zunge hatte.

Keanu …

Sie straffte die Schultern und atmete tief die duftende tropische Luft ein. Das war einmal, und jetzt ist jetzt, dachte sie. Es wurde Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ihr Leben in die Hand zu nehmen und nach vorn zu blicken, wie es ihr Freunde und Freundinnen geraten hatten.

Anscheinend gehörte auch dazu, ihren Koffer selbst den Pfad zur Villa hinaufzutragen. Nicht dass es ihr etwas ausgemacht hätte, doch sie fand es schon seltsam, dass niemand nachsah, wer wohl mit dem Flugzeug gekommen war. Wenn auch nur aus reiner Neugier.

Ausgeschlossen, dass keiner die Maschine gesehen oder gehört hatte.

Oder interessierte es niemanden?

Oder war Harold nicht mehr da?

Wie alt mochte er sein?

Ihr zog sich der Magen zusammen bei der Vorstellung, dass ein Mensch, der in ihrer Kindheit so wichtig für sie war, inzwischen nicht mehr lebte.

Unmöglich. Auch wenn für Kinder alle Erwachsenen alt waren, so konnte Harold nicht älter als vierzig gewesen sein, als Caroline von hier fortging.

Dröhnendes Hupen schickte alle Gedanken an die Vergangenheit in weite Ferne. Caroline drehte sich um. Eine Motor-Rikscha – auf der Insel ein weit verbreitetes Transportmittel – raste aus Richtung der Forschungsstation direkt auf sie zu.

„Sind Sie Ärztin?“, brüllte der Fahrer ihr entgegen.

„Nein, aber Krankenschwester. Kann ich helfen?“

Das Gefährt hielt neben ihr. „Wir haben im Krankenhaus angerufen. Man sagte uns, dass der Doktor uns entgegenkommt. Meinem Kumpel hier ging’s anfangs noch gut, aber jetzt ist er ohnmächtig geworden. Sehen Sie selbst …“ Er deutete auf den Mann, der hinter ihm auf der Rückbank des kleinen blauen Fahrzeugs zusammengesunken war.

Auf den ersten Blick wirkte er unverletzt, doch dann sah Caroline seinen Fuß. Unterhalb des kleinen Zehs hatte ein Nagel ihn durchbohrt und heftete Fuß, Flipflop und das darunterliegende Stück Holz zusammen.

Caroline glitt neben ihn, fühlte ihm den Puls. Der schlug schneller als normal, was bei den Schmerzen, die der Mann ertragen musste, nicht ungewöhnlich war.

„Wir sollten ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen“, riet sie.

Auf dem Weg dorthin tauchte eine Gestalt auf.

Eine Gestalt, die sie kannte, obwohl die vergangenen Jahre aus dem Teenager einen Mann gemacht hatten. Und auch wenn ihr Herz wie verrückt schlug, der Mann war ihr nicht vertraut.

Sie verließ die Rikscha und nahm auf dem Beifahrersitz Platz, während Keanu sich zu dem Patienten setzte, ihm eine Sauerstoffmaske aufsetzte und das tragbare Sauerstoffgerät einstellte. Ein verwunderter Blick zu Caroline hinüber, ein leichtes Stirnrunzeln – das war die einzige Reaktion darauf, sie nach so langer Zeit unverhofft wiederzusehen.

„Warten wir noch einen Moment, ich gebe ihm ein Schmerzmittel.“

Die Worte waren nichts Besonderes, aber die Stimme, tief und voll, erzeugte ein Prickeln auf Carolines Haut wie eine Liebkosung. Es war die Stimme eines Mannes, nicht eines Jungen … Keanu ist hier?

Sie wusste nicht, ob sie ihn umarmen oder schlagen sollte, doch vor Zeugen konnte sie weder das eine noch das andere tun. Der Wunsch, sich umzudrehen und Keanu noch einmal anzusehen, war allerdings kaum zu bezwingen.

Auch wenn sein Bild klar und deutlich vor ihrem inneren Auge stand.

Keanu war erwachsen geworden, ein Mann mit mandelbrauner Haut, grauen Augen – ein Erbe seiner Mutter –, dunklen Brauen und schwarzem Haar. Dazu eine gerade Nase, ein verlockend voller, fester Mund, breite Schultern, ein flacher Bauch, dessen Muskeln sich unter dem eng anliegenden Poloshirt abzeichneten.

Er sah umwerfend aus.

Mehr noch, er strahlte eine männliche Sinnlichkeit aus, die jeder Frau weiche Knie bescherte, wenn sie ihn nur anblickte.

„Brauchst du Abwechslung vom Großstadtleben?“

Die kühle Frage erledigte das mit den weichen Knien schlagartig, und der sarkastische Unterton machte Caroline ärgerlich.

Mit erhobenem Kopf drehte sie sich zu ihm um, ließ sich nicht anmerken, dass seine Worte sie verletzt hatten.

„Ich bin Krankenschwester und hergekommen, um zu arbeiten. Mich überrascht nur, dich hier zu sehen, nachdem du vor so vielen Jahren alle Verbindungen zur Insel gekappt hast.“

Zum Glück hielten sie vorm Krankenhaus. Caroline war gerade erst klar geworden, dass der Fahrer ihrem Dialog aufmerksam gelauscht hatte.

Der Patient war wach. Sauerstoff und Schmerzmittel hatten geholfen. Keanu bat den Fahrer, mit anzufassen, und zu zweit hievten sie den Mann aus der Rikscha.

„Legen Sie die Arme um unsere Schultern“, forderte Keanu ihn auf.

Caroline hatte das Gefühl, dass er sich auf seinen Patienten konzentrierte, um sie nicht ansehen zu müssen. Fest entschlossen, es sich nicht gefallen zu lassen, dass er – oder ein anderer Mann – ihr wehtat, machte sie die Tür zur Vergangenheit fest zu. Was damals passiert ist, ist lange her, dachte sie. Ich bin ein anderer Mensch geworden, habe mein Leben gelebt und werde genau das auch jetzt tun.

Doch als sie Keanu folgte, konnte sie nicht vermeiden, ihn zu betrachten. Dieser Mann, den sie als Jungen so gut gekannt hatte, war auch von hinten eine Augenweide. Breite Schultern, schma le Hüften, ein knackiger Po und Wadenmuskeln, die nicht nur vom Work-Out im Fitnessstudio stammen konnten. Schon damals hatte Keanu sich viel im Freien bewegt, liebte kilometerlange Joggingstrecken. Beim Laufen fühlt man sich frei, hatte er oft gesagt …

Sie ertappte sich dabei, wie sie immer noch auf seinen Po starrte. Am besten verschwand sie schleunigst von hier!

Kaum hatten sie den Eingang erreicht, drehte sich Keanu jedoch zu ihr um. „Wenn du Krankenschwester bist, solltest du mit reinkommen und dich nützlich machen. Hettie und Sam halten Sprechstunde auf den anderen Inseln. Außer mir ist hier heute nur ein Pflegehelfer.“

Da stand er, groß, fast drohend, und der geringschätzige Tonfall spiegelte sich in seinen Gesichtszügen wider.

In Caroline zerbrach etwas. War dies wirklich Keanu, der geliebte Freund und Gefährte in Kindheitstagen? Keanu, der immer sanft und freundlich gewesen war, sich um sie gekümmert hatte, wenn sie einsam und allein war? Pass gut auf Caroline auf, sagte seine Mutter damals oft, und Keanu, zwei Jahre älter als seine Freundin, nahm das sehr ernst.

Vielleicht hatte es deshalb so wehgetan, als er auf Nimmerwiedersehen aus ihrem Leben verschwand. Eine Zeit lang hatte sie sogar bezweifelt, dass sie jemals darüber hinwegkommen würde.

Mit gesenktem Kopf, um ihre Gefühle nicht zu verraten, eilte sie die Treppenstufen hinauf und begleitete die drei Männer in den kleinen, jedoch mit allem Nötigen ausgestatteten Raum, der als Notaufnahme und Ambulanz zugleich diente. Der Fahrer half ihnen, seinen Kollegen auf die Untersuchungsliege zu legen, murmelte etwas davon, dass er zurück zur Arbeit müsse, und verschwand.

Caroline war mit Keanu allein bei dem Patienten.

Keanu, der sie mehr oder weniger ignorierte, während sich in ihr ein emotionaler Tumult abspielte.

„Nagelpistole?“, fragte er, als er den Fuß untersuchte.

Der Mann nickte.

„Haben Sie noch nie von Stahlkappen-Arbeitsschuhen gehört? Ich dachte, auf der Baustelle ist kein anderes Schuhwerk erlaubt.“

„Da draußen?“ Der Mann schnaubte. „Wer soll das kontrollieren?“

„Heb das Bein an, umfass die Wade.“ Zweifellos eine Anweisung an die Krankenschwester, ohne dass Keanu sich die Mühe machte, sie dabei anzuschauen.

„Was ist dem Wörtchen Bitte passiert?“, entgegnete Caroline zuckersüß und hob das Bein, damit er sehen konnte, wie weit der Nagel ins Holz gedrungen war.

Anscheinend hatte sie einen Nerv getroffen, denn Keanu blickte auf, mit ausdrucksloser Miene. Nur seine Augen verrieten ihn.

Also war sie nicht die Einzige, die verwirrt war.

„Okay, leg es wieder ab.“ Noch ein Befehl. Vielleicht hatte sie sich getäuscht, und Keanu war nicht verwirrt. „Bitte“, fügte er da hinzu, und plötzlich war er wieder der Keanu, wie sie ihn kannte: neckend, mit dem Hauch eines Lächelns in den Mundwinkeln.

Vollends durcheinander wünschte sie sich, dass Jill geblieben wäre. Caroline war auf die Insel gekommen, um Ruhe und Frieden zu finden, sich zu erholen nach der Demütigung, auf einen Mann hereingefallen zu sein, der nur hinter dem Geld ihrer Familie her war.

„Hier ist ein Schlüssel.“

Keanus Finger berührten ihre, und es war wie ein Stromschlag, der durch ihren ganzen Körper ging. „In Schrank B auf dem zweiten Regal findest du Ampullen mit einem Lokalanästhetikum. Bring zwei mit, nein, besser drei, er ist ein großer Kerl. Und Spritzen. Antiseptikum, Verbandsmaterial und Tupfer sind im Schrank daneben. Er ist nicht abgeschlossen. Wenn du meinst, dass wir noch etwas brauchen, hol auch das. Ich sehe mich mal nach einer Säge um.“

Der Patient keuchte erschrocken auf, aber Keanu war schon aus dem Zimmer.

Caroline lächelte beruhigend, als sie den Schrank aufschloss. „Er wird Ihnen nicht den Fuß abnehmen“, sagte sie und legte alles, was sie brauchte, auf einen Instrumentenwagen, den sie dann zur Liege rollte. „In jedem Krankenhaus gibt es alle möglichen Arten von Sägen. Die mit der Diamantschneide benutzen wir, um Gipsverbände abzunehmen, oder elektrische Sägen und Bohrer bei Knie- und Hüftoperationen. Die wir hier natürlich nicht durchführen. Ich schätze, dass der Doktor Ihr Bein von der Wade abwärts betäuben und dann den Nagel zwischen Ihrem Flipflop und dem Holzstück abtrennen wird. Der Nagel lässt sich aus Ihrem Fuß und der Gummisohle leichter herausziehen als aus dem Holz.“

Das schien ihn nicht besonders zu beruhigen. Caroline holte sich einen Patientenbogen, um Name, Alter und Adresse in Erfahrung zu bringen und ob der Mann irgendwelche Medikamente einnahm. Damit hoffte sie, ihn ein wenig abzulenken. Zum Schluss konnte sie nicht widerstehen und fragte, was ihn auf die Insel geführt hatte.

„Wir reparieren die kleinen Häuser“, antwortete er in dem Moment, als Keanu mit einer kleinen batteriebetriebenen Säge und einem tragbaren Röntgengerät zurückkehrte.

„Bei der Forschungsstation“, fügte der Bauarbeiter hinzu, bevor Caroline genauer nachfragen konnte.

„Die Station wird auf Vordermann gebracht, obwohl nicht genug Geld da ist, um das Krankenhaus vernünftig zu führen?“

Ihre Verblüffung schien sich auch in ihrem Gesicht abzuzeichnen. Keanu warf ihr nur ein knappes „Später!“ zu und wandte sich wieder seinem Patienten zu.

Nachdem er das untere Bein narkotisiert hatte, erklärte er, was er vorhatte.

„Die Schwester hat’s mir schon gesagt. Bringen wir’s hinter uns.“

Keanu bat Caroline, das Holz in Position zu halten, und beugte sich tiefer über den malträtierten Fuß, um die Säge richtig anzusetzen. Sein Kopf versperrte Caroline die Sicht, und ihr Blick fiel auf die feine Narbe am Haaransatz, ein Andenken an ihren Versuch, ihm mit dem Rasiermesser ihres Großvaters die Haare zu scheren.

Ehe sie sich in weiteren Erinnerungen verlieren konnte, hatte er den Nagel vom Holz getrennt und richtete sich wieder auf. Caroline warf das Holzstück in den Abfalleimer. Als sie sich umdrehte, war Keanu bereits dabei, das Röntgengerät vorzubereiten.

„Wir müssen wissen, ob der Nagel durch einen Knochen gegangen ist“, erklärte er und half ihr damit, sich wieder auf ihre Rolle als Krankenschwester zu besinnen. „Oder ob Sehnen beschädigt sind.“

„Und wozu?“ Der Patient hatte, zumindest vorübergehend, keine Schmerzen mehr und wurde ungeduldig.

„Um zu entscheiden, ob wir ihn herausziehen oder herausschneiden müssen.“

„Nichts da, ziehen Sie das verdammte Ding einfach raus!“

Keanu ignorierte ihn und lenkte den Röntgenkopf auf den verletzten Fuß.

„Ich dachte, im Krankenhaus gibt es einen speziellen Röntgenraum“, sagte Caroline.

Keanu blickte auf. „Das ist richtig, aber ich möchte stark bezweifeln, dass wir beide ihn auf die Liege heben können. Und da sein Bein betäubt ist, kann er uns kaum helfen, sondern würde eher auf die Nase fallen.“

Darauf hätte ich auch selbst kommen können, dachte sie und fühlte sich auf ihren Platz verwiesen.

„Zurück!“

Sie entfernte sich die vorgeschriebenen zwei Meter vom Röntgengerät. Keanu, durch eine Bleischürze geschützt, machte aus verschiedenen Blickwinkeln Aufnahmen. Danach schob er den Apparat in eine Ecke des Zimmers, hängte die Schürze weg und betrachtete die Bilder auf dem Computermonitor.

„Sieh dir das an. Was meinst du?“

Caroline stellte sich neben ihn, konnte es immer noch nicht recht glauben, dass es wirklich Keanu war. Keanu, der in den ersten zwölf Jahren der wichtigste Mensch in ihrem Leben gewesen war. Weil er anders als ihr Vater oder auch Christopher immer für sie da war, ihr bester Freund, der mit ihr durch dick und dünn ging.

Bis er eines Tages verschwand.

Aber dieser Keanu … Es war seltsam. Fast unheimlich. Und es tat ein bisschen weh …

Autor

Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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