Verliebt in den sexy Milliardär

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Verzweifelt sucht Jake Maynard eine Nanny für seine verwaiste Nichte. In der Not bleibt ihm nichts anderes übrig, als die unerfahrene Caro Rivage einzustellen. Etwas zieht ihn unwiderstehlich zu der betörenden jungen Frau hin. Liegt es nur daran, dass sie sich so gut mit seiner kleinen Nichte versteht? Oder ist da mehr? Jake kann nicht leugnen, dass sie ihm unter die Haut geht. Aber er wird das Gefühl nicht los, dass Caro ein Geheimnis verbirgt. Ein Geheimnis, das nicht nur sein Herz in Gefahr bringen könnte …


  • Erscheinungstag 08.09.2020
  • Bandnummer 2457
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714383
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Caro hüllte sich fest in ihren Mantel und verließ das Café. Im Freien schlug ihr eisiger Wind entgegen, doch obwohl ihr kalt und die Haut taub wurde, brannte sie vor Tatendrang.

Die Vorstellung, den Job nicht zu bekommen, war zu entsetzlich.

Sie blieb stehen, zupfte ihre Handschuhe zurecht und hielt sich an einem Laternenpfahl fest, weil sie vor Aufregung bebte.

Die Vernunft sagte ihr, dass es nicht klappen würde.

Wer wagt, gewinnt!

Draufgängerisch war sie nie gewesen. Als Kind hatte man ihr beigebracht, brav zu tun, was man ihr sagte, nicht aufzufallen oder sich in den Vordergrund zu drängen. Ihr einziger Versuch, auszubrechen und eigene Entscheidungen zu treffen, war katastrophal gescheitert.

Doch das lag Jahre zurück. Inzwischen war sie eine andere, hatte sich nach der Tragödie und schmerzlichen Erfahrungen neu erfunden. Diesmal würde sie sich durchkämpfen! Sie atmete die reine Alpenluft tief ein. Sie musste diese Stelle unbedingt bekommen.

Caro blickte die Hauptstraße des exklusiven Schweizer Skiortes entlang, der berüchtigt für astronomische Preise war. Noch tummelten sich staunende Touristen vor den Schaufenstern der Nobelgeschäfte, doch bis abends würden sie verschwunden sein, weil nur wenige Betuchte sich die glamourösen Luxushotels leisten konnten.

Im Nachbartal lag ein weiteres angesagtes Skiparadies der Alpen. Caros Ziel befand sich in der anderen Richtung. Beherzt stapfte sie durch den knirschenden Neuschnee und stieg in ihren kleinen Mietwagen.

Zwanzig Minuten später lenkte Caro den Wagen um eine Hangbiegung und fuhr an einem verlassenen Parkplatz vorbei. Dort boten sich atemberaubende Blicke auf die Berge, doch sie schenkte der malerischen Alpenlandschaft keine Beachtung.

Sie war sicher gewesen, zu einer hochtrabenden Skihütte oder dem ehrgeizigen Prunkbau eines Multimillionärs bestellt worden zu sein, stattdessen sah sie eine hellgraue Steinmauer mit märchenhaft anmutenden Türmchen und Spitzdächern vor sich − und ein Fallgitter, hinter dem sich ein kopfsteingepflasterter Hof öffnete.

Verwundert betrachtete Caro das jahrhundertealte Schloss, das sich nicht als romantische Ruine entpuppte, sondern gepflegt und sorgfältig gewartet wirkte.

Natürlich hatte sie gewusst, dass Jake Maynard reich war. Sie hatte sich im Internet schlau gemacht, doch um hier zu residieren, musste der Mann im Geld schwimmen. Und er hatte die alte Festung nicht geerbt, auch das hatte sie herausgefunden.

Nachdem sie hinter die Kulissen der Berühmten und Reichen geblickt hatte, wusste sie um deren menschliche Schwächen, die überall zu entdecken waren, wenn man genauer hinsah. Reichtum und protziger Luxus konnten Caro nicht beeindrucken.

Das war der feine Vorteil, den sie für sich beanspruchen konnte. Daran hatte sie sich geklammert, als sie ihr Vorhaben in Angriff genommen hatte.

Langsam und vorsichtig holperte sie über das uralte Kopfsteinpflaster durch das Gittertor mit den Sicherheitskameras und parkte ihr bescheidenes Gefährt in einer Ecke des Hofes neben einem schnittigen schwarzen Sportwagen.

Erst als sie den Motor ausschaltete und von Schweigen umgeben wurde, merkte sie, dass ihre Hände bebten.

Beherzt griff sie nach ihrer Handtasche und stieß die Fahrertür auf.

Ich schaffe das! Nichts wie los!

Zwei Menschen hingen von ihr ab.

„Ms. Rivage ist hier.“

Auf die Ankündigung seines Sekretärs blickte Jake widerstrebend vom Schreibtisch auf. Neil blieb an der Tür stehen und wartete beharrlich.

Sein Chef hatte die Frau von der Liste gestrichen, weil sie mit den anderen Bewerberinnen nicht mithalten konnte. Ihr fehlte die Erfahrung. Doch eine winzige, aber wichtige Einzelheit hatte Neil aufmerken lassen.

Und schließlich auch Jake. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Na gut − er würde der jungen Frau eine Viertelstunde geben.

Mit einer höflichen Geste ließ er die junge Dame eintreten.

Stirnrunzelnd betrachtete Jake sie. Und fühlte etwas in sich aufsteigen … als befände er sich auf einer Jacht, wenn unverhofft Wind aufkam. In seinem Nacken kribbelte es. Da war etwas, doch er konnte es nicht benennen.

Wie eine Bilderbuch-Nanny sah sie aus − und auch wieder nicht. Jake musterte ihr langweiliges Kostüm, das streng zurückgekämmte Haar, ihr ungeschminktes Gesicht …

Etwas passte hier nicht. Er hatte gelernt, sich auf seine Instinkte zu verlassen. Ja, da war etwas, das spürte er.

Jake stand auf, ging um den Schreibtisch herum und reichte ihr die Hand.

„Ms. Rivage.“

Sie hatte schmale, schlanke Finger und einen überraschend festen Händedruck. Was er bei anderen Bewerberinnen vermisst hatte. Sie gaben sich unterwürfig oder zurückhaltend oder überließen ihm die Führung, während Ms. Rivage ihm offen ins Gesicht blickte.

Aber nur einen Moment. Dann wurden ihre Augen wachsam, und sie senkte den Blick.

Natürlich war sie unsicher. Sie bewarb sich um die Stellung und musste wissen, dass ihre Qualifikation seinen Ansprüchen nicht genügte.

Dennoch sagte ihm sein siebter Sinn: Bei der Bewerberin war mehr im Spiel als Nervosität …

„Bitte, setzen Sie sich, Ms. Rivage.“

Sie nickte. „Danke, Mr. Maynard.“

Ihre Stimme war dunkler, als er erwartet hatte, ihr leicht rauchiger Ton berührte etwas in ihm. Vielleicht war es ihr schwach akzentuiertes Englisch − oder ihre Bombenfigur.

Caro Rivage war unbestreitbar attraktiv, trotz des sackartigen Kostüms, das nur ahnen ließ, was sich darunter verbarg. Sie hatte lange schlanke Beine und war ungefähr einen Kopf kleiner als er. Mit unnachahmlicher Eleganz nahm sie im angebotenen Sessel Platz, was irgendwie nicht zu dem unauffälligen dunklen Kostüm, der strengen Frisur und ihren klaren Zügen passte. Sie mochte sich durchschnittlich geben, doch Jake konnte den Blick nicht von ihr abwenden.

Und wie sie die Beine übereinanderschlug … unerhört weiblich, ohne aufreizend zu wirken. Fasziniert betrachtete er ihre sinnlichen vollen Lippen, die hohen Wagenknochen, die leicht gerötet waren. Er hätte schwören können, dass Caro Rivage ungeschminkt war. Ihre zarte Haut war hell und makellos, nicht wie bei den Australierinnen seiner Heimat, deren Teint nach jahrelangen schonungslosen Sonnenbädern ohne raffiniertes Make-up nicht mehr auskam.

Diese Frau war eine natürliche Schönheit und rundherum echt.

Nur kurz blickte sie ihn wieder an, senkte jedoch die Lider, als Jake sie weiter musterte.

Hatte sie Angst vor Männern?

Was war nur mit ihm los? Wieso interessierte ihn Ms. Rivages zarte Pfirsichhaut, die sogar eine geradezu magische Wirkung auf ihn hatte?

Er nahm wieder am Schreibtisch Platz, machte es sich im Sessel bequem und streckte entspannt die Beine von sich.

Nun hob sie den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Hitze schoss durch Jakes Inneres.

Gebannt stellte er sich dieser Empfindung. Fühlte er sich zu ihr hingezogen? Dafür war sie zu unbedeutend. Oder? Sie hatte klasse Beine und ein Gesicht, das man nicht so schnell vergaß. Aber irgendwie wirkte sie wachsam.

Etwas an ihr ließ seine Alarmglocken schrillen, machte ihn vorsichtig.

„Erzählen Sie mir von sich, Ms. Rivage.“ Er lehnte sich zurück, legte die Arme auf die Lehnen und beobachtete die junge Frau.

Seine tiefe Stimme faszinierte Caro. Doch als gebranntes Kind ignorierte sie das Gefühl. Angespannt saß Caro da. Dieser Mann versuchte nicht, charmant zu sein oder mit ihr zu flirten, das spürte sie. Immerhin war er bereit, sich ihre Bewerbung anzuhören. Und zur Begrüßung hatte er ihr sogar ein Lächeln geschenkt, was ihre Nervosität weiter steigerte.

Aber vielleicht war es auch die unnachgiebige Musterung, der er sie mit seinen grauen Augen unterzog, als versuchte er, ihre sorgfältig aufgebaute Tarnung zu durchdringen, ihre tiefsten Geheimnisse zu ergründen.

Jetzt galt es, auf der Hut zu sein! Mit eisernem Willen unterdrückte Caro ihren Fluchtinstinkt und verbat es sich, auch nur das kleinste Zeichen von Schwäche preiszugeben.

Sie atmete tief ein, ließ sich nicht anmerken, dass sie sich im ungewohnten Kostüm mit Strumpfhose und flachen Pumps denkbar unbehaglich fühlte, nachdem sie in den vergangenen Jahren nur bequeme Jeans, Sweatshirts und flache Schuhe getragen hatte.

Mit dieser Tarnung hatte sie sich so weit wie nur möglich von ihrem einstigen Leben entfernt.

Jake Maynard zog eine Braue hoch, er erwartete eine Antwort. Der mächtige schwerreiche Mann war es nicht gewohnt, sich zu wiederholen.

Seine eindrucksvolle Erscheinung hatte sie eingeschüchtert, doch nun lächelte er erneut, und auf seiner Wange erschien ein interessantes Grübchen.

Aber welchem Mann konnte man schon vertrauen?

Caro faltete die Hände und begann: „Meine Bewerbung spricht für sich, Mr. Maynard. Ich arbeite gern mit Kindern und verstehe es ausgezeichnet, mit ihnen umzugehen, wie Sie aus meinen Empfehlungsschreiben ersehen.“

Nun blickte sie Jake Maynard wieder an, denn sie war auf Einwände gefasst. Immer noch wirkte in ihr nach, wie erbarmungslos ihr Vater ihr Selbstvertrauen untergraben hatte.

Einen Augenblick lang schaute er sie kühl an, dann nahm er sich ihren Lebenslauf vor. Caro schluckte. Sie musste noch einiges nachlegen, um ihn zu überzeugen, die Richtige für die Stelle zu sein.

Nicht auszudenken, wenn er sie wegschickte! Angespannt wartete Caro, bis er von ihren Unterlagen aufblickte − und zweifelnd die Brauen hochzog.

„Sie haben keinen beruflichen Abschluss?“

„Einen Abschluss in Pädagogik?“ Sie schüttelte den Kopf. „Meine Ausbildung gründet sich auf praktische Erfahrungen. Doch wie Sie feststellen werden, habe ich Kurse für verschiedene Kindererziehungsbereiche absolviert.“

Jake Maynard machte sich nicht die Mühe, ihre Unterlagen durchzugehen, sondern ließ sie achtlos auf den Schreibtisch fallen. Caro verbarg, wie entsetzt sie war. War es das? So leicht würde sie sich nicht abwimmeln lassen. Er sollte ihre Unterlagen wenigstens ansehen, ein richtiges Bewerbungsgespräch mit ihr führen.

„Vielleicht sollte ich Ihnen verraten, dass die anderen Bewerberinnen neben einer abgeschlossenen Berufsausbildung auch jahrelange Praxiserfahrung haben.“

Aha! Jetzt kam die befürchtete Ablehnung! Caro fühlte sich elend.

Jake Maynard wies sie ab.

„Haben Sie meine Referenzen gelesen?“, versuchte sie es mit einer anderen Taktik. „Die müssten Sie überzeugen.“

Er lehnte sich wieder bequem zurück, würdigte ihre Unterlagen keines Blickes. Machte es ihm Spaß, sie zu quälen?

Caro musterte seine gebräunte Haut, das dunkle Jackett …

Sein Verhalten war unverschämt, einfach beleidigend. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, kleine Teufelchen in seinen Augen zu entdecken − was nicht recht zu seiner gepflegten Bibliothek voller alter Lederbände passte.

„Sollte es mir imponieren, dass eine Empfehlung von einer Gräfin stammt?“ Überrascht merkte Caro auf. Also hatte Jake Maynard sich ihre Bewerbungsunterlagen doch angesehen! „Leider kann ein Adelstitel mich nicht beeindrucken, Ms. Rivage.“

Das saß. Stephanie, die ihr netterweise die Empfehlung geschrieben hatte, war mehr als ihre Freundin. Caro setzte sich noch aufrechter hin und hielt seinem Blick stand.

„Das Entscheidende an diesem Empfehlungsschreiben ist die Beschreibung meiner Arbeit, Mr. Maynard, nicht der Titel meiner Arbeitgeberin.“

Befremdet zog er die Brauen hoch. Hatte er erwartet, sie würde brav dasitzen, während er nicht nur ihre Bewerbung, sondern auch ihre Freundin auseinandernahm?

„Ihr Sohn war sehr schwierig, als ich mit ihm zu arbeiten begann“, fuhr sie betont selbstsicher fort. „Gemeinsam haben wir erstaunliche Fortschritte erzielt.“

„Dank Ihrer Bemühungen?“

„Nein. Natürlich in gezielter Teamarbeit, zu der auch externe Spezialprogramme gehörten. Aber ich war täglich und ständig um ihn.“

Das klang weniger großspurig als „Ich habe es ganz allein geschafft“, war aber die Wahrheit.

Kein Anzeichen von Anerkennung zeigte sich in Jake Maynards Zügen. Doch vielleicht war das seine Art nachzudenken – die Brauen zusammengezogen, die Lippen geschürzt, was sein markantes Kinn und die Wangenknochen betonte. Und Caro an das Gemälde des Ritters erinnerte, der mit gezückter Lanze auf einen Drachenwinzling losging. Natürlich hatten ihre Sympathien dem Drachen gegolten …

„Sie glauben also, dass vier, fünf Jahre Tätigkeit als Nanny und Kindergartenassistentin Sie zur idealen Betreuerin meiner Nichte machen?“

Sie hatte sich geirrt. Der stählerne Ausdruck in seinen Augen war noch herablassender als der des mittelalterlichen Ritters in einer dunklen Ecke des Obergeschossganges ihres Elternhauses. Er erinnerte Caro an den kalten Blick ihres Vaters, der sie als Kind zu schüchternem Schweigen verdonnert hatte.

Für einen Moment straffte Caro ihre Schultern, dann lehnte sie sich locker zurück und schlug ein Bein über das andere, sodass die Strumpfhose sich an ihren Schenkeln rieb.

In Jake Maynards grauen Augen blitzte es auf, er beobachtete sie scharf.

Eine erdrückende Enge breitete sich in ihrer Brust aus und machte ihr das Atmen schwer. Gib dir jetzt bloß keine Blöße!

Übertrieben heiter erwiderte sie: „Zu anderen Bewerberinnen kann ich mich nicht äußern. Aber wenn Sie mir Gelegenheit geben, Ihre Nichte liebevoll zu betreuen, werden Sie es nicht bereuen.“

„Eine starke Behauptung.“

„Ich weiß, was ich kann und leiste, Mr. Maynard. Vor allem Letzteres qualifiziert mich überragend für den Job.“

Ihr Magen begann wieder zu flattern. Beeindruckt wirkte ihr Gegenüber nicht. Warum auch? Der Mann konnte auf Heere von Spezialisten zurückgreifen. Im Moment sah es so aus, als würde sie abgewiesen, ohne sich beweisen zu können. Was dann? Welche Möglichkeiten blieben ihr dann noch?

Caro hob energisch ihr Kinn. „Meine Bewerbung hat Sie immerhin interessiert − sonst hätten Sie mich nicht hergebeten.“

Das Blut donnerte in ihren Ohren. Aufgeben kommt nicht infrage! Ihre Chancen waren gering, das hatte sie gewusst. Dennoch klammerte sie sich an einen Hoffnungsschimmer − die letzte Gelegenheit, ihre Situation zu retten. Wenn Jake Maynard ahnte, wer sie wirklich war, würde er sie vor die Tür setzen, ehe sie Luft holen konnte.

Ein Gedanke schoss Caro durch den Kopf. Ist seine Nichte hier im Haus?

„Vielleicht interessierte mich die Frau, die trotz der wenig überzeugenden Bewerbung so selbstbewusst auftrat.“

Caro erstarrte innerlich. Er sprach in einem fast gelangweilten Ton, doch seine Worte trafen sie wie Harpunen.

Gut, dass sie so leicht nichts mehr umwerfen konnte.

„Ich bin sicher, Mr. Maynard, dass Sie keine Bewerberin aus einer Laune heraus in diese Alpenwildnis locken würden.“

Das hoffte sie jedenfalls.

Hatte sie doch noch eine Chance?

„‚Wildnis‘?“ Missbilligend schüttelte er den Kopf. „Gefällt es Ihnen hier nicht? Aus der Anzeige ging klar hervor, dass Sie hier wohnen müssen.“

Falls er einen Vorwand suchte, sie loszuwerden, lag er falsch.

„Nein, Mr. Maynard. Ich lebe gern auf dem Land. Genau genommen habe ich es fast immer getan.“

Er sah sie eindringlich an, doch sie hielt seinem Blick stand, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug und ihre Handflächen feucht wurden. Ganz ruhig bleiben!

„Ich dachte, Ihre Nichte lebt in St. Ancilla …“

„Woher wissen Sie das?“ Er beugte sich vor und schlug mit der Faust krachend auf die polierte Schreibtischplatte.

Endlich hatte Caro ein klares Bild vor sich. Mit seiner kühlen Art hatte Maynard zu überspielen versucht, wo er zu packen war. Er wollte seine Nichte schützen.

Vielleicht war sein Verhalten typisch für einen reichen attraktiven Junggesellen, der ein lohnendes Ziel für die Papparazzi darstellte. Dennoch spürte Caro, dass seine Nichte ihm wirklich am Herzen lag. Jake Maynard wurde ihr ein bisschen sympathischer. Schön, dass jemand sich für das Kind einsetzte!

Empfindungen wallten in Caro auf, die sie sich nicht leisten durfte. Weil sie damit ihren Schwachpunkt preisgegeben hätte …

„Wollen Sie mir nicht antworten, Ms. Rivage?“

Caro riss sich zusammen, blickte ihn entschlossen an. „Vor meiner Bewerbung bei Ihnen habe ich natürlich Nachforschungen über Ihre Nichte angestellt.“

Zum ersten Mal wirkte der gewandte Mann betroffen. „Diese Dinge sind geheim.“

Sicherheitshalber schwieg Caro. Hatte sie sich zu weit vorgewagt? Blitzschnell überlegte sie, ließ ihre Aussage Revue passieren.

„Es mag hier nicht bekannt sein, doch in St. Ancilla weiß es jeder.“ Jetzt musste sie sehr behutsam vorgehen. „Über den Unfall, bei dem ihre Eltern ums Leben kamen, wurde in der Lokalpresse spekuliert.“ Als Jake Maynard nichts sagte, fuhr Caro fort: „Mein aufrichtiges Beileid, Mr. Maynard. Das Ganze muss für Sie und Ihre Nichte ein grausamer Schicksalsschlag gewesen sein.“

Jetzt war es klüger, sich zurückzuhalten …

Die Kleine war zweifach verwaist: Erst als Neugeborene, und dann vor einem Monat, als ihre Adoptiveltern bei einem Orkan umkamen. Das arme Kind hatte einen traurigen Start ins Leben gehabt.

Caro war entschlossen, alles zu tun, um der Kleinen den Weg in eine bessere Zukunft zu ebnen.

„Und diese Presseinformationen haben Sie mit meiner Anzeige verbunden? Ich erinnere mich nicht, dass mein Name in der Presse von St. Ancilla erwähnt wurde“, bemerkte Jake Maynard zweifelnd.

Dass er misstrauisch wurde, fehlte ihr noch! Der Mann war ein Multimilliardär, der es aus eigenen Kräften an die Spitze der internationalen Finanzwelt gebracht hatte. Und das erreichte man nur mit Können, Wissen und Menschenkenntnis. Wie hatte sie sich vormachen können, ihn geschickt auszutricksen?

Die Antwort war einfach: Weil ihr nichts anderes übrig blieb.

Caro strich sich die Kostümjacke glatt, um Zeit zu gewinnen.

„Eine Freundin von mir lebt in St. Ancilla und erwähnte Sie als Arianes Vormund.“ Ihre Stimme bebte leicht, als sie den Namen des Mädchens aussprach. Caro wartete. Gefühle durfte sie nicht ins Spiel bringen. Auf eine Schwäche würde der Mann sofort anspringen. Sie blickte ihn fest an und spreizte die Finger. „Als ich Ihre Anzeige später entdeckte, habe ich eins und eins zusammengezählt.“

„Ich verstehe.“ Jake Maynard lehnte sich wieder zurück, und Caro versuchte, nicht auf seine mächtigen Schultern zu blicken. „Sie kommen herum, könnte man sagen. St. Ancilla und jetzt die Schweiz.“

Nun horchte Caro auf. Wieso war er auf einmal so nett und entgegenkommend? War er doch bereit, eine Nanny aus Arianes Inselheimat im Mittelmeer einzustellen?

Sie lächelte höflich, wie sie es als Kind gelernt hatte. Auf die Art, die ihr Vater forderte, wenn sie für die Presse die Glückliche spielen musste.

Bloß nicht zugeben, dass sie zu Ariane wollte und rein zufällig auf Jake Maynard gestoßen war, der eine Nanny suchte. Sollte er ruhig glauben, sie wäre aus einem anderen Grund in die Schweiz gekommen.

„Erfreulicherweise sind günstige Flüge und das Internet inzwischen jedermann zugänglich, Mr. Maynard.“

Nun lächelte er sogar, und Caro glaubte, ein Aufblitzen in seinen Augen zu erkennen, das ihn fast sympathisch machte.

Überrascht atmete sie aus und spürte ihren BH überdeutlich an ihren plötzlich empfindsamen Brüsten. Ihr wurde heiß, nicht, weil sie nervös war, sondern weil ihre lange verdrängte Weiblichkeit zu erwachen schien.

Doch das bildete sie sich wohl nur ein. Gegen Männer war sie immun.

„Sie meinen, ich sollte Ihnen den Job geben, weil Sie aus demselben Land wie meine Nichte stammen?“

Caro zupfte ihren Ärmel zurecht, um sich Jake Maynards durchdringendem Blick zu entziehen.

„Ich halte es für vorteilhaft, weil ich ihre Sprache spreche und die Kultur verstehe. Wenn man einen Menschen verloren hat, kann einen das manchmal trösten und sogar aufbauen.“ Caro legte eine Kunstpause ein. „Selbst wenn Ariane nicht mehr dort lebt, spräche vieles dafür, dass es gut für sie wäre, sich in ihrer Muttersprache unterhalten zu können.“

Zögernd nickte Jake Maynard, schien ihr da sogar recht zu geben. „Offen gestanden ist das der einzige Grund, warum ich Sie hergebeten habe, Ms. Rivage. Weil Ariane jemanden braucht, der beides spricht − Ancillanisch und Englisch. Ihr wurden die Eltern genommen, da soll sie nicht auch noch ihre Muttersprache verlieren.“

Er redete jetzt sehr ernst, und etwas geschah mit Caro. Zum ersten Mal, seit sie sein bemerkenswertes Arbeitszimmer betreten hatte, regte sich bei ihr so etwas wie Sympathie. Seine Miene blieb unnahbar, doch etwas in seinem Ton klang wie Trauer.

Mit seinem Machogehabe erinnerte er sie an einen verwegenen Freibeuter − doch sie sollte ihm zugutehalten, dass er kürzlich seine Schwester und den Schwager verloren hatte − und dann wohl aus heiterem Himmel die Verantwortung und das Sorgerecht für seine Nichte übernehmen musste.

Und deshalb war er nicht in bester Verfassung.

„Ich habe Erfahrung mit Trauerarbeit, Mr. Maynard. Wenn Sie mir die Chance geben, mich um Ihre Nichte zu kümmern, werde ich alles tun, um ihr zu helfen, sich wieder im Leben zurechtzufinden.“

Erneut betrachtete er sie forschend, und Caro spürte, dass seine ablehnende Haltung ins Wanken geriet.

Doch sie sollte nicht herausfinden, was Jake dachte, denn es klopfte an der Tür, und Neil Thompkins, Maynards Sekretär, der sie hereingeführt hatte, kündigte an: „Verzeihung, Mr. Maynard − ein wichtiger Anruf für Sie. Das Genfer Konsortium.“

Jake Maynard schob seinen Sessel zurück und stand auf. „Bitte entschuldigen Sie mich, Ms. Rivage. Sie haben einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Das Telefonat ist für mich äußerst wichtig.“

Eins musste Caro ihm lassen: Ehe er den Raum verließ, wartete er ihre Antwort ab.

„Natürlich. Mr. Maynard.“

„Ich werde Sie nicht lange warten lassen“, versprach er ihr immerhin, folgte dem Sekretär und ließ die schwere Eichentür hinter sich zufallen.

Sobald Caro allein war, sprang sie befreit auf. Gefasst dazusitzen und Jake Maynards eiskaltes Verhör über sich ergehen zu lassen, hatte sie mitgenommen. Sie ließ die Handtasche neben dem Sessel stehen und ging im Raum auf und ab. Nun konnte sie auch den atemberaubenden Blick auf die schneebedeckten Schweizer Berge genießen, die in krassem Gegensatz zu ihrer Mittelmeerheimat standen.

In Gedanken ließ sie das Gespräch mit Jake Maynard nochmals ablaufen − was er gesagt und sie für sich in die Waagschale zu werfen gewagt hatte.

Falls andere Bewerberinnen weit erfahrener waren als sie, würde er ihr seine kostbare Nichte wohl nicht anvertrauen. Andererseits war Ancillanisch eine seltene Sprache mit uralten Wurzeln im Altgriechischen, die im Laufe der Jahrhunderte von antiken Handelsbeziehungen und Eroberungszügen alter Völker wie Italienern, Arabern und sogar Wikingern beeinflusst worden war. Und da sie die einzige Bewerberin zu sein schien, die diese Sprache beherrschte, hatte sie eine Chance.

Unvermittelt flog die Tür auf, und Caro fuhr herum. Doch es war nicht Jake Maynard, der zurückkehrte, und niemand aus seinem Vorzimmer stürmte herein, sondern ein zerzaustes flüchtendes Mädchen im zerknautschten Rüschenkleid und mit aufgelösten Zöpfen, das Caro mit den wild fliegenden rötlich-goldenen Locken wie eine Lichtgestalt erschien.

Caros Herz setzte einen Schlag aus. Wie versteinert stand sie am Fenster und atmete hilflos durch, als das blauäugige kleine Mädchen mit tränenüberströmtem Gesicht auf sie zustürzte.

Bebend schluckte Caro einige Male, weil ihr Mund sich so trocken anfühlte.

Nichts hatte sie auf diese Begegnung, diesen Schock vorbereitet.

Die Augen, das Haar …

Sie wurde in ihre eigene Kindheit zurückkatapultiert, sah das einzige Wesen vor sich, das sie je geliebt hatte, durchlebte scheue Berührungen, zärtliche Laute.

„Wo ist Onkel Jake?“, rief die Kleine aufgelöst.

Das holte Caro in die Gegenwart zurück. Sie versuchte zu lächeln, doch ihre Lippen bebten, sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Ergriffen legte sie ihre Hand an die Brust, bemühte sich, ihr Gefühlschaos zu bändigen, suchte Halt am Sofa beim Fenster.

„Er ist gleich wieder da“, brachte sie matt hervor.

Verblüfft sah das Kind sie an. „Du sprichst wie ich!“

In der Aufregung hatte Caro Ancillanisch geredet.

Und nun kam das Mädchen, von dem sie erst vor Wochen erfahren hatte, für das sie um die halbe Welt gereist war, zögernd auf sie zu.

Vor Erleichterung wurde Caro heiß und kalt, sie war den Tränen nahe.

Es gab noch Wunder!

Sollte sie die Kleine in die Arme reißen, um sie nie mehr gehen zu lassen?

2. KAPITEL

Verzweifelt hielt Ariane ihr den strapazierten Teddy hin und schien Caros Schockstarre nicht zu bemerken.

„Maxims Arm ist ab.“ Ihre Unterlippe bebte, als sie Caro das abgetrennte Fellteil aufdrängte. „Können Sie ihn heil machen?“

Caro brauchte einen Moment, bis sie sich wieder gefangen hatte. Fassungslos betrachtete sie das herzförmige Gesicht des Mädchens, die großen irisierenden Augen und die Sommersprossen auf der Stupsnase.

Trotz der unzweifelhaften Beweise traute Caro ihren Augen nicht. Täuschte sie sich nicht doch? So etwas gab es doch gar nicht, dass schmerzlich vermisste Angehörige plötzlich auftauchten, skandalöse Geheimnisse sich unerwartet lüfteten …

Doch die Augen der Kleinen, das Haar, selbst ihre scheue erwartungsvolle Kopfhaltung ließen Caros Zweifel schwinden. Unmöglich, dass ein Kind eine Geste, die Körperhaltung so unverkennbar von der Familie geerbt hatte, die es nie kennengelernt hatte.

Aber das Unmögliche war Wirklichkeit und stand vor ihr: überzeugend lebendig. Überwältigt rang Caro um Atem; sie hatte das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Dann kamen ihr die Tränen − das erste Mal nach Jahren.

Alarmiert wich das kleine Mädchen vor ihr zurück.

Was Caro half, sich in den Griff zu bekommen und ein schwaches Lächeln zustande zu bringen.

„Bitte entschuldige, Ariane. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Unauffällig wischte Caro sich übers Gesicht, blinzelte die Tränen fort. „Ich muss etwas ins Auge bekommen haben. So, und nun erzähle mir von deinem Teddy. Er heißt Maxim?“

Ariane nickte, hielt jedoch Abstand.

„Ein hübscher Name.“ Caro hütete sich, der Kleinen näher zu kommen, die sie offenbar erschreckt hatte. Auf keinen Fall durfte sie etwas überstürzen, das Mädchen in überschäumender Glückseligkeit an sich drücken. „Wusstest du, dass es einen König gab, der auch Maxim hieß? Er war sehr tapfer und bekämpfte die Piraten, die St. Ancilla erobern wollten.“

Autor

Annie West
<p>Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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