Verliebt in Paris

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"Sie ist bereits verlobt - mit mir!" Angélique ist schockiert. Dieser attraktive Fremde platzt in ihre exklusive Verlobungsfeier im Eiffelturm und behauptet, sie sei seine Braut. Oder ist es wahr, dass sie Milo einst geliebt hat - und sich jetzt an nichts mehr erinnern kann?


  • Erscheinungstag 22.02.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788018
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jean-Louis feierte seine Verlobungsparty im Eiffelturm. Dass so viele Gäste erschienen waren, lag daran, dass er so berühmt geworden war – fast über Nacht, wie es schien. Natürlich war auch das Bild ausgestellt, und viele Leute waren nur gekommen, um es sich anzuschauen. Es war seine beste Arbeit, und die Kritiker in ganz Frankreich hatten sich begeistert darüber geäußert. Plötzlich war er gefragt, und alle wollten ihn kennenlernen und sich von ihm malen lassen, besonders die Frauen.

Jean-Louis sonnte sich in seinem Erfolg und zog größtmöglichen Nutzen daraus, indem er die Creme der Pariser Gesellschaft und die Freunde, die sich als Künstler schon einen Namen gemacht hatten, eingeladen hatte. Natürlich waren alle fasziniert davon, dass er sein Modell heiratete, denn normalerweise heirateten Künstler die Frauen nicht, die ihnen Modell saßen. Sie nahmen sie als Geliebte, bis sie sich einer anderen Frau zuwandten, die sie inspirierte.

Zahlreiche Gäste hatten sich um das Bild versammelt und äußerten sich begeistert darüber, und viele von ihnen sahen zu Angélique, um Vergleiche zu ziehen. Zuerst war es komisch für sie gewesen, wenn man über sie gesprochen hatte, als wäre sie ein Gegenstand, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, und es machte ihr nichts mehr aus.

Sie hörte, wie eine elegante Frau bemerkte: „Natürlich war er leidenschaftlich in sie verliebt, als er das Bild gemalt hat. Es wirkt so erotisch.“

Daraufhin drehten sich wieder alle zu ihr um. Das war Paris. Hier erwartete man, dass ein Künstler eine Affäre mit seinem Modell hatte, und wäre überrascht gewesen, wenn es nicht der Fall war – oder wenn er sein Modell heiratete. Angélique warf ihr langes blondes Haar zurück, wandte sich ab und ging zu Jean-Louis, der von einer anderen Gruppe umringt war. Nachdem die Leute ihr Platz gemacht hatten, nahm er ihre Hand und führte sie an die Lippen. Er genoss es, das war offensichtlich. Für ihn war dies der Durchbruch gewesen, und nun konnte er sich seine Motive aussuchen und jeden Preis verlangen. Er musste nur dieses Leistungsniveau halten. Er hatte bereits einige Aufträge angenommen.

Besitzergreifend legte er ihr den Arm um die Taille und zog sie beiseite. „Bist du glücklich, chérie?“

„Natürlich. Es ist eine wundervolle Feier.“ Ihr Französisch war fast akzentfrei.

„Arbeiten Sie gerade an einem anderen Gemälde von Mademoiselle Castet?“, fragte ihn einer der Gäste.

Dass man sie als „Mademoiselle“ bezeichnete, amüsierte Angélique. Die Leute zollten ihr nur deswegen Respekt, weil sie Jean-Louis’ Verlobte war. Ansonsten wäre sie lediglich „das Modell“ gewesen.

„Aber selbstverständlich.“ Jean-Louis breitete die Arme aus. „Wie könnte ich sie nicht malen? Sie ist sensationell. Ihre Augen … Man kann ihnen gar nicht gerecht werden.“

Die Leute pflichteten ihm bei und bewunderten die Kunstfertigkeit, mit der er die Farbe und die Leuchtkraft ihrer Augen auf die Leinwand gebannt hatte. Ihre grünen Augen mit den bernsteinfarbenen Sprenkeln waren das Erste gewesen, was ihm an ihr aufgefallen war, und er hatte sie so lange gedrängt, bis sie sich bereit erklärt hatte, ihm Modell zu sitzen. Da sie bereits vorausgesehen hatte, dass er irgendwann einmal bekannt werden würde, und nicht im Rampenlicht stehen wollte, hatte sie zuerst abgelehnt. Es hatte ihn fast genau so frustriert wie die Tatsache, dass sie seine Annäherungsversuche zurückgewiesen hatte. Allerdings nur fast, denn seine Arbeit würde für ihn immer an erster Stelle stehen. Das hatte er zwar nie gesagt, aber sie, Angélique, machte sich in der Hinsicht nichts vor.

Nun kam ein Fotograf zu ihr, der sie neben dem Bild knipsen wollte. Obwohl er nicht der Erste mit dieser Bitte war, führte Jean-Louis sie begeistert die Treppe hinunter in den Eingangsbereich des Restaurants im ersten Stock, wo das Bild hing, und erklärte ihm, wie sie stehen musste, damit er die größtmögliche Wirkung erzielte. Der Fotograf knipste einen ganzen Film voll, doch Jean-Louis war mittlerweile ins obere Stockwerk zurückgekehrt, weil er sich gelangweilt hatte. Sie nutzte die Gelegenheit, um das Bild noch einmal eingehend zu betrachten.

Jean-Louis Lenée war ein Künstler seiner Zeit. Trotz der expressiven Farbigkeit und Formgebung und der Symbolik – die Hügel im Hintergrund erwiesen sich bei näherer Betrachtung als üppige Frauenkörper – war die Ähnlichkeit unverkennbar. Sie, Angélique, trug ein Kleid, das im Wind flatterte und ihre Figur nur erahnen ließ. Allerdings waren es ihre Augen, die den Betrachter in Bann zogen. Sie funkelten vor Lebenslust und wirkten gleichzeitig bezwingend und geheimnisvoll.

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Das Bild war tatsächlich mit Leidenschaft gemalt, doch diese Leidenschaft resultierte unter anderem aus dem Frust des Künstlers. Jean-Louis war gezwungen gewesen, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, denn sie hatte nie nackt posiert. Vielleicht wirkte das Bild deswegen so erotisch, gleichzeitig aber auch so spröde, dass es die Fantasie des Betrachters anregte.

Im Licht der Abendsonne, das in den Raum fiel, schien Angélique mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Sie trug ein knöchellanges weißes Kleid, das dem auf dem Bild ähnelte, und da der Stoff ziemlich dünn war, konnte man im Gegenlicht die Konturen ihrer endlos langen, schlanken Beine erkennen. Sie wurde zu einem lebenden Gemälde und sah viel schöner aus als ihr Abbild auf der Leinwand.

Im nächsten Moment öffneten sich die Aufzugtüren, und eine weitere Gruppe Neuankömmlinge kam heraus. Nachdem diese ihre Einladungen vorgezeigt hatten, bewunderten sie das Bild und gingen nach oben, um Jean-Louis zu begrüßen. Ein Mann mit einer tiefen Stimme sagte in fließendem Französisch, aber mit englischem Akzent: „Anscheinend habe ich die Einladung vergessen, aber …“ Er verstummte, und Angélique malte sich aus, wie er dem Mann am Eingang einen Geldschein zusteckte. Dann eilte sie wieder nach oben.

Inzwischen hatte Jean-Louis das Büfett eröffnet, der Champagner floss, und der Geräuschpegel war gestiegen. Da der Raum rundum und vom Boden bis zur Decke verglast war, hatte man zwischen den Eisenträgern hindurch einen herrlichen Ausblick auf die Stadt. Die Sonne stand bereits tief am Horizont, und überall gingen die ersten Lichter an. Angélique stand mit einem Drink in der Hand im Schatten eines Eisenträgers und ließ den Blick über die illustre Gästeschar schweifen. Sobald das Büfett geplündert war, würden sich die Mitglieder der Schickeria verabschieden, und die Künstler wären unter sich. Vermutlich würden sie noch in irgendeinen Club gehen und dort bis zum Morgengrauen weiterfeiern. Jean-Louis dagegen hatte an diesem Abend noch etwas anderes vor.

Einige Gäste kamen zu ihr, um sie in ein Gespräch zu verwickeln, zogen sich jedoch wieder zurück, als Angélique ihnen zu verstehen gab, dass sie lieber allein sein wolle. Schließlich wurde eine riesige Torte in Form einer Malerpalette auf einem Servierwagen hereingebracht, und Jean-Louis sah sich suchend nach ihr um: „Angélique? Wo bist du?“

Angélique trat widerstrebend einen Schritt vor, und ehe sie sich’s versah, wurde sie unter allgemeinem Gelächter in die Mitte des Raumes gezogen. Sie erkannte einige Gesichter, aber die meisten Gäste waren ihr fremd.

Jean-Louis kam ihr entgegen und legte ihr den Arm um die Schultern. Er maß knapp einen Meter achtzig, war also ein bisschen größer als sie und hatte eine drahtige Figur. Das Haar reichte ihm bis zum Kragen, und wie viele Franzosen hatte er ein schmales Gesicht und schmale Lippen. Sein elegantes Outfit hatte er mit dem Vorschuss von der Galerie gekauft, in der er seine nächste Ausstellung machen würde.

Der Galerist, Jean-Louis’ Sponsor, der auch das Büfett spendiert hatte, hielt nun eine Rede, in der er seinem Schützling zu seinem Erfolg gratulierte und ihm eine vielversprechende Zukunft voraussagte. Zum Schluss erinnerte er die Anwesenden daran, dass es sich auch um eine Verlobungsfeier handele, und sprach Jean-Louis und Angélique seine Glückwünsche aus. Nachdem Jean-Louis ebenfalls eine kurze Ansprache gehalten hatte, wollte er die Torte anschneiden.

„Moment mal!“, ließ sich in diesem Moment ein Mann vernehmen, dessen scharfer Tonfall keinen Widerspruch duldete. Angélique erkannte die Stimme des ungeladenen Gasts mit dem englischen Akzent.

Nun trat der Mann hervor. Er war Anfang dreißig, dunkelhaarig, groß und athletisch und sehr attraktiv. Sein markantes Kinn ließ auf ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und enorme Willenskraft schließen. Er trug einen perfekt sitzenden dunklen Anzug und wirkte in dieser Umgebung ziemlich deplatziert, denn er sah typisch englisch aus.

Bei seinem Auftritt waren alle Gäste verstummt und beobachteten jetzt erwartungsvoll, wie er auf Angélique und Jean-Louis zuging. Dabei sah er Angélique eindringlich an, während sie seinen Blick unbefangen erwiderte. Er runzelte die Stirn und wandte sich schließlich an Jean-Louis. „Ich fürchte, diese Frau ist eine Betrügerin.“

Jean-Louis lachte ungläubig. „Wovon reden Sie? Angélique ist meine Verlobte. Wir wollen heiraten.“

„Dann gibt es ein Problem.“ Der Fremde drehte sich wieder zu ihr um. „Sie ist nämlich schon mit mir verlobt.“

2. KAPITEL

Einen Moment lang war es ganz still, und dann erhob sich allgemeines Gemurmel.

„Wer sind Sie?“, fragte Jean-Louis schließlich, während er den Fremden stirnrunzelnd ansah. „Ich kenne Sie nicht.“

„Mein Name ist Milo Caine. Ich komme aus England.“

„Kennst du ihn? Stimmt das, was er behauptet?“

Jean-Louis hatte sich an Angélique gewandt, und der Engländer sah sie ebenfalls an. Sein Blick war sehr eindringlich.

Sie lachte auf. „Natürlich nicht. Ich bin ihm noch nie begegnet. Wahrscheinlich ist er ein Spinner. Jedenfalls wurde er nicht eingeladen. Warum lässt du ihn nicht einfach rauswerfen?“ Sie umfasste seinen Arm und lächelte Jean-Louis an. „Alle warten schon. Lass uns die Torte anschneiden.“

„Sicher.“ Er kehrte dem Fremden den Rücken zu, um die Torte anzuschneiden. Die umstehenden Gäste applaudierten, wirkten allerdings sichtlich enttäuscht, weil es keine Szene gegeben hatte.

Nachdem er das erste Stück abgeschnitten hatte, tauchte er einen Finger in den Zuckerguss und hielt ihn Angélique an die Lippen. Lachend nahm sie seine Hand und machte sich mit einem verführerischen Augenaufschlag daran, den Finger abzulecken.

„Vielleicht sollten Sie sich das hier mal ansehen“, ließ Milo Caine sich in dem Moment wieder vernehmen.

Wütend drehte Jean-Louis sich um, um den Kellnern ein Zeichen zu geben, dass sie ihn hinauswerfen sollten. Als er das Foto sah, das Milo Caine ihm hinhielt, erstarrte er jedoch. Es handelte sich um eine großformatige Schwarz-Weiß-Aufnahme, die vermutlich in einem Studio entstanden war und einen Mann und eine Frau zeigte. Der Mann hatte der Frau den Arm um die Taille gelegt und blickte voller Besitzerstolz auf sie herab. Die Frau dagegen sah lächelnd in die Kamera. Allerdings wirkte ihr Lächeln nicht glücklich, sondern vielmehr nervös. Der Mann war Milo Caine – und die Frau war Angélique.

„Und das hier.“ Milo Caine hielt Jean-Louis einen Zeitungsausschnitt unter die Nase, und als dieser ihn nicht entgegennahm, ließ er ihn fallen, sodass er auf die Torte flatterte. Dann nahm er weitere Fotos aus der Tasche, die er auch auf die Torte fallen ließ. Es handelte sich um farbige Schnappschüsse von Angélique und ihm.

Daraufhin stieß Jean-Louis einen wütenden Laut aus und stieß das Messer mitten durch das Schwarz-Weiß-Foto in die Torte.

„Vielleicht können wir irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind“, sagte Caine schnell, bevor Angélique etwas erwidern konnte.

Jean-Louis breitete die Arme aus – eine für Franzosen typische Geste – und sagte mit einem drohenden Unterton: „Wie können Sie es wagen, hier aufzutauchen und so etwas zu behaupten? Glauben Sie, es interessiert mich, ob Angélique Sie kennt? Sie ist jetzt meine Verlobte. Sie bedeuten ihr nichts. Ich bin derjenige, den sie heiraten wird. Angélique ist …“

„Sie ist nicht Angélique Castet“, unterbrach Caine ihn eisig. „Außerdem ist sie nur Halbfranzösin. Ihre Mutter ist Engländerin, und ihr richtiger Name ist Kim Chandos.“

Beide Männer hatten sich ihr zugewandt, doch Angélique merkte es nicht, weil sie die Fotos betrachtete. Schließlich nahm sie eins in die Hand, um es sich genauer anzusehen. Es schien vor längerer Zeit aufgenommen worden zu sein, denn sie sah wesentlich jünger aus. Dass Abendkleid aus Spitze, das sie trug, ließ darauf schließen, dass es auf einer vornehmen Party entstanden war. Neben ihr stand Milo Caine. Er trug einen dunklen Abendanzug und lächelte entspannt, während sie genauso wie auf dem anderen Foto ziemlich nervös wirkte.

Plötzlich ließ sie es fallen, als hätte sie sich verbrannt, und klammerte sich an Jean-Louis. „Ich verstehe das nicht!“, rief sie verzweifelt. „Wo wurden diese Fotos gemacht? Ich kenne diesen Mann nicht.“

Dieser sah sie verwirrt, aber auch ungläubig an. „Aber du musst ihn kennen.“

„Nein, ich kenne ihn nicht. Es ist irgendein Trick. Sag ihm, dass er verschwinden soll.“

Nun war sein Kampfgeist erwacht, und Jean-Louis wandte sich Caine zu, der größer und kräftiger war als er und ihn drohend ansah. Plötzlich besann Jean-Louis sich darauf, dass nicht nur diverse Reporter anwesend waren, sondern auch viele vermögende, einflussreiche Leute, die seiner Karriere sehr förderlich sein konnten. Daher wäre es unklug gewesen, sich in der Öffentlichkeit mit Caine zu schlagen – vor allem wenn dessen Anschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen waren oder wenn er ihm unterlag und sich dadurch blamierte.

„Wollen wir irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind?“, schlug Caine wieder vor. „Vielleicht ins Büro des Geschäftsführers?“

Die Gäste machten ihnen Platz, und mit einer ärgerlichen Geste nahm Jean-Louis Angélique bei der Hand und führte sie hinaus. Milo Caine folgte ihnen, nachdem er die Fotos wieder eingesammelt hatte.

Der Geschäftsführer überließ ihnen mehr oder weniger freiwillig sein Büro, lehnte die Tür jedoch nur an. Caine machte sie zu und lehnte sich für einen Moment dagegen.

„Was wollen Sie?“, fragte Jean-Louis wütend.

„Kim soll zugeben, dass wir verlobt sind.“ Caine schob die Hände in die Hosentaschen und sah Angélique grimmig an. „Und ich will wissen, warum sie verschwunden ist und ihre Familie und ihre Freunde im Stich gelassen hat – und mich.“ Obwohl er keine Miene verzog, spürte sie, wie wütend er war.

„Ich kenne Sie nicht“, erwiderte sie heftig. „Sie müssen mich mit jemandem verwechseln, der mir ähnlich sieht.“

Nun machte er einen Schritt auf sie zu. „Jeder, der die Fotos gesehen hat, weiß, dass du die Frau auf dem Foto bist.“

„Nein, das stimmt nicht. Die Frau ist viel jünger als ich.“

„Es liegt schon etwas länger zurück. Warum bist du weggelaufen?“

Sie sah, dass er die Hände in den Taschen zu Fäusten geballt hatte. Der drohende Ausdruck in seinen Augen machte ihr Angst, und sie wich einen Schritt zurück. „Sie irren sich. Mein Name ist Angélique Castet, und ich bin Französin. Fragen Sie doch Jean-Louis.“

Er beachtete Jean-Louis überhaupt nicht und packte stattdessen ihren Arm. „Ich kann es beweisen.“

„Was soll das heißen?“, erkundigte sich Jean-Louis.

„Kim Chandos hat eine auffällige runde Narbe an der linken Schulter, weil sie als Kind mit dem Fahrrad gestürzt ist.“ Unvermittelt zog Caine sie an sich und hielt sie fest, während er ihr den Ärmel herunterzog.

Angélique schrie empört auf, während Jean-Louis versuchte, Caine wegzuziehen. Als dieser ihre Schulter entblößte, verharrte er plötzlich. Milo Caine fand als Erster die Sprache wieder. „Soso. Wie … praktisch!“ Verächtlich blickte er sie an. „Ein Marienkäfer! Ein hübscher dicker, runder Marienkäfer. Ich frage mich, seit wann du dieses Tattoo hast.“

„Das hat sie schon, seit ich sie kenne“, antwortete Jean-Louis an ihrer Stelle.

„Und wie lange kennen Sie sie?“

„Einige Monate.“

„Kim Chandos ist vor etwas über einem Jahr verschwunden.“

Angélique befreite sich aus seinem Griff und zog den Ärmel wieder hoch. „Ich bin nicht die Frau, die Sie kennen. Sie müssen verrückt sein. Ich bin Ihnen noch nie begegnet.“ Trotzig wandte sie sich ab. „Warum lassen Sie uns nicht in Ruhe?“

„Leugnest du etwa, dass du Kim Chandos bist?“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, wer ich bin!“

„In dem Fall wird es dir sicher nichts ausmachen, wenn ich deine Fingerabdrücke überprüfen lasse, oder?“

„Meine Fingerabdrücke?“, wiederholte sie entgeistert.

„Ja. Die kann man nämlich nicht verfälschen oder verbergen.“

Im nächsten Moment klopfte es an der Tür, und der Galerist kam herein. „Jean-Louis, die amerikanische Millionärin sucht dich“, erklärte er ungeduldig. „Sie möchte, dass du sie porträtierst, und zwar sofort, bevor sie in die Staaten zurückkehrt.“

„Mon dieu! Ausgerechnet heute Abend muss dieses Problem auftauchen.“ Gereizt wandte Jean-Louis sich an Angélique. „Kümmer dich darum. Es interessiert mich nicht, ob du diesen Mann kennst oder nicht.“ Dann wollte er gehen, aber sie hielt ihn zurück.

„Warte! Du kannst mich doch nicht mit ihm allein lassen.“

Ungeduldig befreite er sich aus ihrem Griff. „Draußen sind über zweihundert Leute. Schrei einfach, wenn du Hilfe brauchst.“

„Nein, ich komme mit.“ Sie wollte ihm folgen, doch Caine hielt sie fest.

„Ich glaube nicht. Du musst mir einiges erklären.“

Erst nachdem er die Tür geschlossen und sich dagegen gelehnt hatte, ließ er Angélique los. Sie rieb sich das schmerzende Handgelenk und sah ihn misstrauisch an. „Was für ein Spielchen spielen Sie eigentlich?“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Dasselbe wollte ich dich fragen. Was für ein Spielchen spielst du, Kim?“

„Hören Sie auf, mich so zu nennen. Das ist nicht mein Name.“

Jetzt wurde er wieder wütend und machte einen Schritt auf sie zu. „Lass das! Du weißt genau, wer du bist. Und du weißt genau, dass du mich heiraten wolltest. Warum hast du es getan? Warum?“ Sie wollte sich die Ohren zuhalten, aber er umfasste ihre Handgelenke und zog sie herunter. „Weißt du denn nicht, was für einen Kummer du uns bereitet hast? Einfach zu verschwinden, und das eine Woche vor der Hochzeit! Wir haben überall nach dir gesucht, und das Einzige, was wir gefunden haben, war dein Wagen. Ich dachte, du wärst …“

„Hören Sie auf!“, rief sie. „Schreien Sie mich nicht an. Ich bekomme davon Kopfschmerzen.“

Als er sie losließ, legte Angélique die Hände an die Schläfen, machte die Augen zu und lehnte sich an die Wand.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich nach einer Weile widerstrebend. „Möchtest du ein Glas Wasser?“

„Nein danke. Es geht gleich wieder weg.“

Caine betrachtete sie stirnrunzelnd. „Bekommst du oft Kopfschmerzen?“

„Mittlerweile nicht mehr, zumindest nicht tagsüber. Aber nachts …“ Sie verstummte, weil sie bereits zu viel gesagt hatte. Schließlich kannte sie ihn überhaupt nicht.

„Aber nachts bekommst du Kopfschmerzen?“, hakte er nach.

„Es ist nichts. Nur Albträume.“

Nun beugte er sich vor und sah sie eindringlich an. „Wovon träumst du?“

Angélique richtete sich auf und lachte spöttisch. „Sie fragen mich, wovon ich träume? Sie sind tatsächlich verrückt, Engländer.“

„So, bin ich das? Vielleicht.“ Er sprach jetzt Englisch. „Ich habe deinen Pass dabei. Willst du ihn sehen?“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Ich glaube, doch.“ Er nahm einen englischen Pass aus der Tasche und zeigte ihr das Foto darin. „Es wurde nur wenige Wochen vor deinem Verschwinden gemacht. Du brauchtest den Pass, weil wir unsere Flitterwochen in Amerika verbringen wollten.“

Da sie nicht reagierte, drückte er ihr den Pass in die Hand. Die Frau auf dem Foto lächelte nicht und schien nur widerstrebend in die Kamera zu blicken.

„Die Beschreibung trifft exakt auf dich zu.“

„Ich verstehe nicht, was da steht.“

„Unsinn! Hör endlich auf, so zu tun, als könntest du kein Englisch, Kim!“

Caine streckte die Hände nach ihr aus, doch sie ließ den Pass fallen und wich zurück. „Nein! Bitte! Ich kenne Sie nicht. Es tut mir leid, aber es ist so.“ Sie machte eine abwehrende Geste. „Bitte lassen Sie mich in Ruhe.“

Als er merkte, wie aufgewühlt sie war, zügelte er seine Wut und wechselte wieder zu Französisch: „Tut mir leid, ich wollte dir keine Angst machen. Aber du musst aufhören, mich zu belügen, Kim.“

„Ich lüge nicht.“

Seine grauen Augen funkelten zornig, doch er riss sich zusammen. „Also gut. Wie wär’s, wenn du mir sagst, wer du bist.“

„Das habe ich bereits getan.“

„Ja, ich weiß. Aber ich möchte mehr über dich erfahren, zum Beispiel wo du geboren wurdest, wie alt du bist. Erzähl mir von deiner Familie, von deiner Arbeit.“

Angélique runzelte die Stirn. „Nein. Warum sollte ich?“

„Um mich ein für alle Mal davon zu überzeugen, dass ich mich irre.“

„Warum muss ich Sie überzeugen?“, fuhr sie ihn an. „Sie sind doch derjenige, der diese albernen Behauptungen aufgestellt hat.“

„Wenn du es nicht tust, werde ich dich so lange verfolgen, bis du zugibst, dass du Kim Chandos bist“, sagte er ruhig, aber mit einem drohenden Unterton.

Wütend funkelte sie ihn an. Schließlich zuckte sie die Schultern. „Na gut. Ich bin dreiundzwanzig und komme aus der Normandie.“

„Ach tatsächlich? Woher genau?“

„Aus Lisieux.“

„Das kenne ich gut. Wo wohnst du?“

„Ich wohne nicht mehr dort. Dort wurde ich geboren.“

„Trotzdem musst du es kennen. Wo hast du gewohnt? In der Nähe der Kathedrale?“

Caine betrachtete sie so eindringlich, dass sie misstrauisch wurde. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß es nicht. Wir müssen aus Lisieux weggezogen sein, als ich noch klein war. Ich erinnere mich nicht mehr daran.“

„Du bist nie wieder da gewesen?“

„Nein.“

„Und wer ist ‚wir‘?“

Wieder runzelte sie die Stirn. „Ich glaube, meine Familie.“

„Du glaubst? Weißt du es denn nicht?“

„Doch, natürlich“, erwiderte sie gereizt. „Meine Familie. Meine Eltern.“

„Und wo sind deine Eltern jetzt?“

Ein gequälter Ausdruck trat in ihre Augen. „Sie sind tot.“

„Hast du sonst noch Verwandte? Geschwister? Tanten? Onkel?“

Langsam schüttelte Angélique den Kopf. „Nein, niemanden. Ich erinn…“ Sie verstummte und blickte auf. „Ich habe Jean-Louis. Ich werde ihn heiraten.“

„Ja, das sagtest du bereits. Wo bist du zur Schule gegangen?“

„Hier und dort. Jetzt lebe ich in Paris.“

Caine kniff die Augen zusammen. „Wohnst du mit Jean-Louis zusammen?“

„Nein, ich habe ein Zimmer gemietet“, erklärte sie kühl.

Er entspannte sich ein wenig. „Bist du auch in Paris zur Schule gegangen?“

Offenbar war das ein Stichwort für sie. „Ja. Ja, ich bin hier zur Schule gegangen.“

„In welche Schule?“

„Ich war auf verschiedenen Schulen.“ Nun begann sie, nervös im Raum auf und ab zu gehen.

„Nenn mir die Namen.“

„An die Namen erinnere ich mich nicht mehr.“ Wütend drehte sie sich zu ihm um. „Lassen Sie mich durch. Ich möchte zurück zu den Gästen.“

Caine wich nicht von der Tür. „Du musst dich doch an die Namen erinnern.“

„Tue ich aber nicht!“, rief sie und fasste sich dann wieder an die Schläfe.

„Also gut. Erzähl mir von deiner Arbeit. Was machst du?“

Diesmal kam die Antwort prompt. „Ich arbeite im Le Martin Pêcheur.“

„Was ist das?“

„Ein großes Restaurant mit einer Tanzbar am Quai Victor Hugo.“

„Du arbeitest als Hostess?“

Angélique wirkte überrascht. „Nein, als Kellnerin. Dort habe ich auch Jean-Louis kennengelernt. Er hat dort gemalt.“

„Ach so. Wie lange bist du schon dort?“

Sie zuckte unmerklich die Schultern. „Zehn … elf Monate.“

„Und was hast du vorher gemacht?“

„Ich war arbeitslos.“

„Wie lange?“

„Ich … ich weiß nicht. Einige Wochen. Davor …“

„Ja? Was war davor?“

„Davor war ich krank“, sagte sie langsam und fasste sich erneut an die Schläfe.

„Du warst krank?“, wiederholte Milo Caine leise.

„Ja. Man sagte mir, ich hätte einen Unfall gehabt.“

„Wer hat das gesagt?“

Autor

Sally Wentworth
Ihren ersten Liebesroman „Island Masquerade“ veröffentlichte Sally Wentworth 1977 bei Mills & Boon. Nachdem ihre ersten Romane für sich stehende Geschichten waren, entdeckte sie in den neunziger Jahren ihre Leidenschaft für Serien, deren Schauplätze hauptsachlich in Großbritannien, auf den Kanarischen Inseln oder in Griechenland liegen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Donald...
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