Verlobung in der Weihnachtsnacht

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Plötzlich befindet sich Mary inmitten eines amourösen Abenteuers! Auf der Suche nach einem Verlobungsring, den ihre dumme Cousine in den Teig der verschickten Weihnachtskuchen geworfen hat, reist Mary durch England. Doch schon bei der ersten Station trifft sie auf den wagemutigen Marine-Captain Ross Rennie. Er besteht darauf, dass sie zusammen reisen. Und weil sie denselben Nachnamen haben, bekommen sie pikanter Weise ein gemeinsames Schlafgemach! Wo Ross sie so süß küsst, dass Mary von einem eigenen goldenen Ring zum Fest der Liebe träumt …


  • Erscheinungstag 23.10.2018
  • Bandnummer 0589
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733735
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sein untrügliches Ahnungsvermögen sagte Captain Ross Rennie, dass die bevorstehende Heimkehr nach Plymouth anders sein würde als sonst. Ein älterer Fregattenkapitän hatte das seltsame Gefühl, das ihn diesmal erfüllte, vor Jahren einmal treffsicher auf den Punkt gebracht.

Es war bei einem jener kurzen Gespräche geschehen, wie sie bei der Postübergabe von Schiff zu Schiff häufig zustande kamen. Sie hatten über gepökeltes Rindfleisch und schlechtes Trinkwasser geredet, aber auch über ihre jüngsten Gefechte – Scharmützel mit Franzosen oder Spaniern, je nachdem, wessen Bündnistreue gerade wem galt in dem endlosen Krieg. Der ihm an Erfahrung weit überlegene und inzwischen schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilende Captain hatte ihm in die Augen gesehen und gesagt: „Wissen Sie, Rennie, manche Siege unterscheiden sich nur um Haaresbreite von einer Niederlage.“

Statt einer Antwort hatte Ross, damals frisch gebackener Captain, lediglich genickt und sich gefragt, was zum Teufel der Mann damit meinte. Heute, an diesem regnerischen Tag, da seine mit sechsunddreißig Kanonen bestückte Fregatte Abukir auf dem Weg in den Hafen von Plymouth war, wusste er es. Eigentlich hätte er jubeln sollen vor Freude, stattdessen fühlte er sich bedrückt wie nach einer verlorenen Schlacht. Ross überlegte und erkannte, dass die düstere Gemütslage ihm zu schaffen machte, seit er Befehl erhalten hatte, sich dem Konvoi anzuschließen, der Napoleon und sein Gefolge nach Elba ins Exil bringen sollte. Und als er auf der kurzen Fahrt zu der Insel mehrfach die Gelegenheit genutzt hatte, Bonaparte vom Achterdeck der Abukir aus auf Captain Tom Usshers Fregatte, der HMS Undaunted, zu beobachten, war seine dumpfe Besorgnis nur größer geworden.

Dass der Mann seine Aufmerksamkeit in einem solchen Maß zu fesseln vermochte, hatte ihn wütend gemacht. Doch der ehemalige Herrscher schien Beachtung nachgerade zu erzwingen. Schon nach kurzer Zeit fiel Ross auf, dass sich außer seinem eigenen Teleskop auch andere Fernrohre auf den abgedankten Kaiser richteten.

Mit wachsender Beunruhigung beobachtete er Napoleon und geriet, obwohl von Natur aus mit einem eher sonnigen Gemüt gesegnet, in eine zunehmend brütende Stimmung. Dieser kleine, gedrungene Kerl, so dachte er bisweilen voller Ingrimm. Wie in drei Teufels Namen hatte ein derart gewöhnlich aussehender Mensch es vermocht, fünfundzwanzig Jahre lang über sein Leben zu bestimmen?

Denn genau das war der Fall. Seit mehr als zwei Jahrzehnten, seit er als blutjunger Kadett zur Marine gegangen war, dirigierte Bonaparte ihn dahin, wo er ihn haben wollte. Ross hatte sich Gefechte mit französischen und spanischen Kriegsschiffen geliefert, war zweimal in Gefangenschaft geraten, hatte ein Bein verloren, die große Liebe gefunden und sie wieder hergeben müssen. Wie jeder in der Royal Navy war auch er sich darüber im Klaren, dass es ohne Napoleon keinen Krieg gegeben und er selbst wahrscheinlich nie ein Kriegsschiff befehligt hätte. Ohne den untersetzten kleinen Franzosenkaiser wäre Ross Rennie dieser Tage womöglich nichts Aufregenderes als der Kapitän eines Handelsschiffs und hätte wahrscheinlich kein Bein verloren.

„Du hast mein Leben ruiniert, Boney.“ Die Bemerkung rutschte ihm eines Nachmittags, als sie sich nur noch wenige Meilen entfernt von der Insel Elba befanden, unwillkürlich heraus.

Seinem Charakter getreu, erwog Ross sorgfältig das Für und Wider. Aye, er hatte viel Zeit auf Kriegsschiffen verbracht, doch ein solches Leben war mit Sicherheit interessanter als an der englischen und schottischen Küste entlangzusegeln oder gelegentlich eine Fracht nach Amerika zu befördern.

Ohne die Marine wäre er nicht nach Portugal gelangt und hätte niemals Inez Veimira kennengelernt, die Liebe seines Lebens. Und er hätte ganz bestimmt niemals ein Kind gezeugt, den Jungen mit dem lockigen schwarzen Haar, den vollen Lippen und dem olivfarbenen Teint, der in Plymouth auf ihn wartete und dessen dunkle Augen so sehr denen seiner Mutter glichen. Anfangs waren sie für ihn eine schmerzliche Erinnerung an Inez Veimira gewesen, doch dank seines optimistischen Naturells hatte er irgendwann all die kleinen Segnungen sehen können, die ein gesunder Sohn für einen Vater darstellten.

Selbst beim Verlust seines Beins in der Schlacht von Trafalgar 1805 war er glimpflich davongekommen. So jedenfalls betrachtete er die Sache. Der Schiffsarzt hatte das zerfetzte Bein mehrere Inches unterhalb des Knies abnehmen müssen, eine schwierige Operation, der ein langer Aufenthalt in einem Lazarett in Plymouth gefolgt war, doch der Chirurg hatte ihm versichert, dass ein Offizier, der sein Knie noch hatte, nicht nur ein Kriegsschiff kommandieren, sondern auch eine Beförderung erwarten konnte. Seine Voraussage hatte sich bewahrheitet.

Das Beste jedoch war, dass Napoleons überflüssige Kriege ihn zu einer Führungsfigur hatten werden lassen, zu einem absolut zuverlässigen Mann, dem das Wohl seiner Matrosen, Kadetten und Lieutenants am Herzen lag.

In diesem Licht betrachtet, war der Krieg, der sich über die sieben Weltmeere erstreckt, der ein Jahrhundert gehen und das nächste kommen gesehen hatte, vielleicht nicht als komplette Katastrophe zu bewerten. Als Napoleon auf Elba an Land gebracht worden war, hatte Ross sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden. Der Krieg gegen den ehemaligen Kaiser der Franzosen war vorbei, und ihm als verdientem Captain würde die Royal Navy einen neuen Wirkungsbereich zuweisen. Als Vater wollte er zurück nach Plymouth und Zeit mit seinem Sohn verbringen. Es würde sich herausstellen müssen, ob es gelang, beides miteinander zu verbinden, aber er traute es sich zu.

Zwar verzögerte sich die Rückkehr nach Plymouth noch bis November, da die Abukir, wie andere Kriegsschiffe auch, zu Patrouillenfahrten im Ärmelkanal eingeteilt war. Während man in England längst den Sieg über Napoleon bejubelte, blieb man bei der Royal Navy weiterhin skeptisch und fuhr fort, die einheimischen Gewässer zu kontrollieren.

So manche Stunde nach dem Abendbrot hatte Ross in der letzten Zeit mit Nathans Briefen verbracht, die zusammen mit dem Proviant der Versorgungsschiffe gekommen waren, sie immer wieder aufs Neue gelesen in der Hoffnung, dass seinem Sohn die Zeilen, die er von seinem Vater erhielt, ebenso viel bedeuteten, und dass er sich nicht nur über die Orangen und die Süßigkeiten, die er mitschickte, freute. Für Maudie Pritchert, die den Jungen betreute, hatte er Käse aus den Niederlanden und Pralinen aus Brüssel eingepackt.

Hätte nur Ben Pritchert Napoleons Verbannung nach Elba noch erleben dürfen! Ross seufzte schwer. Auf dieser letzten Fahrt vom Ärmelkanal nach Plymouth fehlte ihm Ben mehr denn je. Der Mann war sein Navigator gewesen, ebenfalls Vater, und hatte ihn überredet, den kleinen Nathan aus Portugal mitzunehmen und ihn in Maudies Obhut zu geben. Oporto war 1804, kurz nach der Geburt des Kindes, von einem jener Erdbeben heimgesucht worden, wie sie an der Küste häufig auftraten. Bei Weitem nicht so heftig wie die Katastrophe von 1755, hatte es gleichwohl das Haus der Veimiras zerstört und die Bewohner unter den Trümmern begraben. Den wenige Tage alten Säugling fand man lebend – geschützt vom Körper seiner toten Mutter.

Dies berichteten ihm die Nonnen des nahe gelegenen Klosters, als er nach seiner Ankunft eine Woche später, verzweifelt Inez’ Namen rufend, in den Ruinen herumirrte. Er wusste, dass sie ihm während seines siebenmonatigen Kommandos in der Ostsee ein Kind geboren hatte, aber mehr nicht. Aufgrund seiner unerwarteten Versetzung war aus der geplanten aufwendigen Hochzeit eine überstürzte Eheschließung geworden, weil Inez bereits ihr Kind erwartete. So liefen die Dinge in der Royal Navy, die sich um das Privatleben ihrer Männer nicht scherte. Die Ordensschwestern hatten sich des kleinen Bündels angenommen und ihm seinen Sohn in die Arme gelegt, während ihm die Tränen über die Wangen liefen.

Sie hatten sich rührend um sein Kind, das den Namen Nathan Thomas Fergusson Rennie trug, gekümmert und es, wie von Nonnen nicht anders zu erwarten, katholisch taufen lassen. Drei Monate später, als die HMS Fearless wegen umfassender Reparaturen von Oporto nach Plymouth zurückbeordert wurde, übergaben sie ihm Nathan – und dazu eine Ziege.

Ross verließ sich darauf, dass es den einen oder anderen Matrosen an Bord gab, der wusste, wie man eine Ziege molk, und seine Männer enttäuschten ihn nicht. Die Art und Weise, wie sie Anteil nahmen am Schicksal seines Sohnes, berührte ihn tief. Über einen Mangel an Freiwilligen, die ihm den schreienden Säugling abnahmen, wenn die Erschöpfung ihn übermannte, konnte er sich nicht beklagen. Die ersten englischen Schlaflieder, die sein Sohn zu hören bekam, waren raue Seemannsweisen, die besser niemand kannte, der nicht auf einem Schiff Dienst tat.

Maudie Pritchert hieß das Baby mit offenen Armen willkommen. Zwei Jahre später wurde sie Witwe. Ross erwarb ein ordentliches Haus für sie, ihre vier eigenen Kinder und seinen Sohn. Er zahlte ihr einen anständigen Lohn, damit sie den Jungen, den er nur in großen Abständen sah, für ihn aufzog. Sein Entschluss, Maudie für den Rest ihres Lebens finanziell zu unterstützen, stand fest. Immerhin hatte sie seinem Sohn die Mutter ersetzt.

Aber er stand noch tiefer in ihrer Schuld. Nachdem er mit dem Holzbein gehen gelernt hatte und wieder sicher auf dem Achterdeck stehen konnte, war die Abukir in ein Seegefecht geraten. Eine größere feindliche Fregatte hatte vor der französischen Küste das Feuer auf sie eröffnet, und Ross war mitten im Kampfgeschehen gestürzt, weil er das Gleichgewicht verloren hatte. Ben Pritchert war ihm zu Hilfe geeilt und hatte die tödliche Kugel abbekommen, die sonst ihn getroffen hätte.

Bei der Ankunft im Hafen von Plymouth war ihm wehmütiger zumute, als er hatte ahnen können. Aus alter, lieb gewordener Gewohnheit stand Ross selber am Steuer der Abukir. Er ließ den Blick über die Häuser auf den sanften Hänge außerhalb des Stadtzentrums schweifen und fragte sich, ob Nathan das Einlaufen der Fregatte beobachtete. Bei seinem letzten Besuch vor einem Jahr hatte er seinem Sohn ein Fernrohr mitgebracht. In ein paar Jahren würde er ihm vielleicht einen Sextanten schenken. Maudie sagte, der Junge habe eine Begabung für Mathematik.

An dem Platz, den der Hafenmeister ihm zugewiesen hatte, ging Ross vor Anker, dann glitt sein Blick über das Deck. Er hatte eine Generalüberholung angeordnet, bevor sie in zwei Monaten wieder auslaufen würden – wohin wusste er nicht. Zwei Monate Landgang waren sieben Wochen mehr als jeder Urlaub, den er seit dem Frieden von Amiens im Jahr 1802 genossen hatte.

Mit einem Widerwillen, der ihn selbst überraschte, übergab er das Schiff seinem Ersten Offizier, nicht ohne dem Mann zu versichern, dass er am nächsten Tag da sein würde, um etwaige Schwierigkeiten auf dem Trockendock zu klären. Er wusste, dass seine Offiziere die Abukir genauso schnell verlassen wollten wie er, um nach Hause zu kommen, jedenfalls die, die ein Zuhause hatten. Die anderen würden sich auf den Docks herumtreiben, ihr Geld in Schänken ausgeben und, sofern man sie bis dahin nicht schanghait hatte, froh sein, wenn sie ihn in zwei Monaten wiedersahen.

Sein Oberbootsmann bestand darauf, ihm persönlich Seite zu pfeifen, was nichts weniger als ein Zeichen der Ehrerbietung war. Da er wusste, dass die Blicke der gesamten Mannschaft auf ihn gerichtet waren, tat Ross, was er konnte, um würdevoll die Strickleiter hinunterzuklettern – nicht ganz einfach mit anderthalb Beinen. Als er sicher in der Barkasse saß, die ihn an Land bringen sollte, zog er seinen Hut und grüßte die Mannschaft. Nur zwei Monate, sagte er sich, als ihm unerwartet Tränen in die Augen schossen.

Die zahlreichen Mietdroschken, die nur darauf warteten, ihn zu irgendeinem Ziel in der Stadt zu bringen, winkte Ross fort. Er wollte den Weg vom Hafen zu Maudie Pritcherts Haus zu Fuß zurücklegen, auch wenn sein auf eine harte Probe gestelltes Bein schmerzen würde, ehe er ankam. Aber er brauchte die Bewegung, um seinen schwankenden Gang abzulegen. In einigen Gegenden des Landes, vornehmlich den küstenfernen, würden wankende Männer wie er vermutlich die Aufmerksamkeit der Konstabler erregen. Nicht so in Plymouth mit seinem Marinestützpunkt. Hier wusste jeder, dass Seeleute sich erst wieder daran gewöhnen mussten, auf ebenem Boden, der nicht beständig rollte, zu laufen.

Ein Holzbein bedeutete eine zusätzliche Herausforderung, doch Ross brauchte nicht lange bis zur Flora Street mit ihren hübschen pastellfarbenen Häusern. Wie immer blieb er erst einmal eine Zeit lang stehen und bereitete sich innerlich darauf vor, dass sein Sohn sich verändert hatte. Nathan war inzwischen zehn. Wegen des Erdbebens wusste niemand, wann genau er geboren war. Irgendwann hatten sie sich auf den siebten Juni geeinigt, ein unerwartetes Kompliment, fand Ross, da es sein eigener Geburtstag war.

Als er seinen Sohn gefragt hatte, warum er am gleichen Tag Geburtstag haben wollte wie er, hatte Nathans Antwort ihm den über jeden Zweifel erhabenen Beweis geliefert, dass man einen Schotten an seiner Sparsamkeit erkannte, egal wie weit man ihn fortbrachte aus dem Land seiner Vorfahren. „Ganz einfach, Vater“, hatte sein Sohn gesagt. „Weil es klug ist. Es muss nur einmal im Jahr Kuchen gebacken werden, dafür aber doppelt so viel.“

Die perfekte Antwort. Nathans Mutter, eine dunkelhaarige Tochter Portugals, hatte Kuchen geliebt. Ihr Sohn war eine gelungene Mischung aus dem schottischen Dumfries und dem portugiesischen Oporto.

„Doppelt so viel“, hatte Ross lächelnd bestätigt.

Der Krieg war vorbei, und diesmal hatte er Pläne für den herrlich langen Landurlaub, der vor ihm lag und sich bis weit über die Weihnachtsfeiertage ausdehnte. Nathan und er wollten nach Dumfries fahren, wo seine ältere Schwester Alice Mae lebte, die mit einem Chirurgen verheiratet war. Er hatte sie vor Jahren das letzte Mal gesehen, doch sie standen in regem Kontakt, weil er ein eifriger Briefeschreiber war, genau wie Alice. Sie hatte ihnen einen schönen Aufenthalt versprochen und angedeutet, dass es da ein hübsches Stück Land in der Nähe von Kirkbean gäbe, das einen neuen Besitzer brauche. Mit Meeresblick, hatte sie geschrieben, wie um ihn in Versuchung zu führen.

Er blieb noch einen Moment stehen und hoffte, dass sein Sohn sich seit dem letzten Besuch nicht allzu sehr verändert hatte.

Wie üblich, wenn er angespannt war, atmete Ross tief durch. Dann machte er sich auf den Weg zu dem gelb getünchten Haus, in dessen Vorgarten trotz der Kälte noch Blumen blühten. In Schottland hatten sich die Blumen schon lange dem Winter ergeben, aber Plymouth lag im milden Devon.

Er verlangsamte seine Schritte, weil ihm das Bein wehtat und weil der Moment gekommen war, da er sich fragte, wer ihm die Tür aufmachen würde. Das erste Mal seit Inez’ Tod, das erste Mal nach den schrecklichen Jahren des Krieges und der Zerstörung, wünschte er sich, auch von einer Ehefrau begrüßt zu werden. Es war ein berauschender Gedanke, und er hing ihm nach. Immerhin hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, seinen Offizieren und seinen Tischgenossen in der Schiffsmesse zu versichern, dass er sich eine Frau suchen würde, sobald der Krieg vorbei war. Vielleicht war der richtige Zeitpunkt dafür gekommen.

Vor dem Haus mit der Nummer sechs blieb er stehen und blickte zu dem Fenster im oberen Stock hinauf, von dem er wusste, dass es das von Nathans Zimmer war. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er seinen geliebten Sohn entdeckte, der zu ihm heruntersah. Der Junge verschwand, und Ross behielt die Eingangstür im Auge. Plötzlich wurde sie aufgerissen, Nathan rannte auf ihn zu, in seine ausgebreiteten Arme.

Ich bin endlich zu Hause.

2. KAPITEL

Für jemanden, der es sich nicht aussuchen konnte, hatte Mary die Nase ziemlich voll von ihren Verwandten. Es mochte an der dunklen Jahreszeit liegen oder doch eher an ihrer Cousine Dina. Aber vielleicht war es einfach Zeit für eine Offenbarung.

Ihr vor Jahren verstorbener Vater war Geistlicher in der Kirche von Schottland gewesen. Er hatte sich mit Offenbarungen ausgekannt, namentlich der des Heilige-Drei-Könige-Tages, bei der es um Jesus und die drei Weisen aus dem Morgenland ging. Mary schwebte eine weltlichere Art Offenbarung vor, eine, bei der es ihr wie Schuppen von den Augen fiel und sie plötzlich erkannte, was in ihrem Leben schon seit Jahren hätte anders sein sollen.

Sicher lag es daran, dass sie eine Spätentwicklerin war, doch das änderte nichts daran, dass sie siebenundzwanzig Jahre alt war und ihre Verwandtschaft satthatte, besonders Dina. Und genau das sagte sie auch Mrs. Morison, ihrer einzigen Vertrauten, als sie in der Küche saßen und Kartoffeln schälten.

Mrs. Morison war die Köchin, und normalerweise schälte sie keine Kartoffeln, aber Betty, die Spülmagd, hatte Zahnschmerzen, und Mrs. Morison war immer für einen kleinen Plausch zu haben, besonders an einem regnerischen Herbstnachmittag in Edinburgh, wenn es dabei Tee und Kekse gab. Bis zum Dinner war es noch Stunden hin, und sie konnten gemütlich schälen, plaudern und Tee trinken.

„Ach, meine Liebe, unsere Dina ist mit diesem langweiligen Engländer verlobt. Kein Wunder, wenn sie schlechte Laune hat“, erklärte die Köchin und erhob sich, um noch eine Portion Kekse zu holen. „Trau niemandem, der nicht von hier ist, sage ich immer.“

Mary lächelte in sich hinein. Sie war nie über Schottland hinausgekommen, doch ihr Vater hatte ihr vor Jahren versichert, dass man den Engländern nichts Schlechtes nachsagen konnte und sie durchaus freundliche Menschen waren.

„Ich weiß, Mrs. Morison.“ Eifrig wandte Mary sich der nächsten Kartoffel zu, steckte sie auf die Spitze der Klinge und wedelte mit dem Messer in Richtung der Köchin. „Aber warum muss ich darunter leiden, dass sie verlobt ist? Sie jammert nur und ändert nichts, und ich weiß nicht, weshalb. Sollte eine künftige Braut nicht fröhlich sein?“

Mrs. Morison musterte sie über den Rand ihrer Brillengläser hinweg und lehnte sich zu ihr vor. „Wenn Sie mich fragen, Miss, dann hat sie Angst vor ihrer Hochzeitsnacht.“

Mary hielt verdutzt inne. „Aber bis dahin dauert es doch noch Monate“, wandte sie nach einem Moment flüsternd ein. „Abgesehen davon, hätte ich angenommen, dass eine Frau sich darum keine Sorgen macht, wenn sie den Mann gefunden hat, den sie liebt.“ Sie lehnte sich zurück, und wieder ging ihr ein Licht auf. „Ach so. Wahrscheinlich liebt sie Mr. Page gar nicht?“

Mrs. Morison schoss ihr einen wissenden Blick zu und schüttelte den Kopf. Leise mit der Zunge schnalzend, fuhr sie fort, Kartoffeln zu schälen.

„Aber warum …?“ Mary ließ ihr Messer sinken. „Du lieber Himmel. Befürchtet sie, keinen anderen Antrag zu bekommen?“

Sie überlegte. Sicher stimmte es. Dina Rennie war keine Schönheit. Mary musste grinsen, als ihr einfiel, wie einer der Straßenfeger im Sommer zu wiehern begonnen hatte, als Dina vorbeigegangen war – ein gemeiner Spaß, der sich auf Dinas langes Gesicht bezog. So jedenfalls hätte ihr Vater es formuliert. Mrs. Morison sagte etwas in ihre Gedanken hinein, und sie blickte auf.

„Sie haben das gute Aussehen der Familie geerbt – ein bisschen von allem, wie ich finde.“ Die Köchin schüttelte den Kopf und schälte die Kartoffel zu Ende.

Das Aussehen vielleicht, aber nicht das Vermögen. Mary wusste, dass die Köchin zu freundlich war, es zu erwähnen. Nicht dass irgendeiner von den Rennies besonders attraktiv gewesen wäre, aber ihr Vater hatte eine Maxwell aus Spring Hill geheiratet, und deshalb waren ihre Lippen voller als die der meisten schottischen Frauen, und sie hatte eine schlanke, biegsame Figur, kastanienbraunes statt des karottenroten Haars der Rennies und wache grüne Augen. Ihre Sommersprossen mochte man als Minuspunkt betrachten, doch ihre Mutter hatte sie stets als fröhliche Sprenkel bezeichnet, die keinen Makel darstellten.

„Ich wünschte, ich hätte Geld“, gestand sie Mrs. Morison, von der sie wusste, dass sie keine Klatschbase war. „Ich bin siebenundzwanzig, und in meinem Leben hätte längst etwas Entscheidendes passieren sollen.“

Als sie an diesem Abend im Bett lag, dachte Mary lange über ihr Alter und die Tatsache, dass sie noch Jungfrau war, nach. Bei der Erinnerung daran, wie umständlich ihre Tante Martha ihr die Fortpflanzung erklärt hatte, wie der Akt vollzogen wurde und die untergeordnete Rolle der Frau bei der ganzen Sache, lächelte sie in der Dunkelheit. Da sie ungefähr in einem Alter waren, hatte auch Dina an dem Gespräch teilgenommen – mit weit aufgerissenen Augen und zu einem perfekten O geschürzten Lippen. Mary hatte den verlegenen Umschreibungen ihrer Tante zugehört und sich ihr Teil gedacht. Ehe sie ihre Mutter mit fünfzehn verloren hatte, war sie aufgeklärt worden.

Der Belehrung über das, was Männer und Frauen miteinander zu tun pflegten, hatte ihre Mutter eine Ermahnung hinzugefügt: „Denk daran, mein Mädchen, eines Tages wirst du einen Mann treffen, der deine Erwartungen erfüllt. Es lohnt sich, auf ihn zu warten.“ Sie hatte keinen Versuch gemacht, dass übermütige Funkeln in ihren Augen zu verbergen.

Leider war ihre Mutter zwei Wochen später von einer tödlichen Krankheit dahingerafft worden. Ihr Vater, der sich nie einer robusten Gesundheit erfreut hatte, war seiner Frau ein halbes Jahr später gefolgt.

„So kam es, dass ich in Edinburgh gelandet bin“, informierte Mary die Zimmerdecke nach diesem Tag der Offenbarungen. „Sie behandeln mich gut, und mir mangelt es an nichts, aber ich bin zu einer Art Möbelstück geworden.“

Die Sache beschäftigte sie noch eine Woche später, nach Allerheiligen. Wiewohl Tante Martha es nie zugegeben hätte, war sie eine abergläubische Frau. Mit ihrem Weihnachtskuchenrezept hätte sie am Vorabend von Allerheiligen, wenn die Geister umgingen, niemals einen Fuß in den Küchentrakt gesetzt, und Mary und Mrs. Morison waren zu höflich, als dass sie der guten Frau gesagt hätten, das nicht einmal die Geister am Weihnachtskuchen der Rennies Interesse hatten.

Ohnehin fand Mary es höchst seltsam, dass ihre Tante das Rezept für den Früchtekuchen in ihrem Schlafzimmer aufbewahrte, als handelte es sich um einen wertvollen Schatz, der an einem unbewachten Ort wie der Küche viel zu leicht gestohlen werden könne. Mrs. Morison hatte das Rezept längst abgeschrieben und bewahrte es in ihrer Sammlung im Küchenschrank auf, ohne jede Vorsichtsmaßnahme gegen Diebstahl oder was auch immer.

„Es ist wieder einmal soweit“, verkündete Tante Martha theatralisch und übergab das zerknitterte Blatt Papier mit typisch schottischer Feierlichkeit. „Ein Dutzend diesmal, bitte.“

Es waren immer zwölf Kuchen, von denen vier im Haus blieben, um in der Weihnachtszeit verzehrt zu werden, nachdem sie sechs Wochen lang geruht hatten. Die anderen acht wurden an Freunde und Verwandte versandt.

Mrs. Morison nickte und nahm das Rezept mit dem Versprechen entgegen, es nach Gebrauch unter der Matratze ihres Betts zu verstecken, bis es sich wieder sicher in Mrs. Rennies Händen befand. „Der Herr möge sie behüten“, murmelte sie, nachdem ihre Brotherrin nach oben gegangen war.

Das Einzige, was den Kuchen die höfliche Ablehnung ersparte, war die dicke Schicht Marzipan, mit der Mrs. Morison zwei der Exemplare überzog, die im Haus in der Wapping Street blieben. Beim ersten Mal hatte Mrs. Rennie missbilligend die Lippen zusammengepresst, doch dann hatte Onkel Samuel anerkennend genickt, und damit war die Sache entschieden.

Die beiden anderen Kuchen fanden noch viel größeren Anklang bei ihm. In dem verzweifelten Versuch, das knochentrockene Gebäck schmackhafter zu machen, hatte Mrs. Morison Rum darüber gegossen – weit mehr als die sparsame Menge, die das Rezept vorsah. „Ich fürchte, mir ist die Hand ausgerutscht“, hatte sie behauptet, als sie ihrem Arbeitgeber das erste Mal eine Portion davon vorgesetzt hatte.

Woraufhin Onkel Samuel nicht nur anerkennend genickt, sondern sogar Nachschlag verlangt und sie mit nur ganz leicht verwaschener Aussprache ermuntert hatte, ruhig ein bisschen mehr von dem Rum zu nehmen.

Und so wurde der Weihnachtskuchen der Rennies mit reichlich Rum getränkt und mit einer dicken Schicht Marzipan überzogen. Die Kuchen, die verschickt wurden, enthielten ebenfalls Rum, aber nicht ganz so viel.

Die Kuchen herzustellen dauerte eine Woche. Montag und Dienstag wurden Berge von Sultaninen, Rosinen, kandierten Kirschen, Orangeat und Zitronat gehackt und Mandeln halbiert. Mrs. Morison war dazu übergegangen, auch bei den beiden Exemplaren für die Familie, die ihren Marzipanüberzug erst kurz vor Weihnachten bekamen, reichlich Rum zu verwenden.

Mary hatte der Köchin und der Spülmagd bei den Vorbereitungen geholfen. Dina fehlte für das viele Hacken und Würfeln die Geduld, was Mary eher erleichternd fand. Sie hatte ihre Cousine gern, aber ein paar Stunden ihres unausgesetzten Geplappers reichten für heftige Kopfschmerzen. Überdies war Dina entschieden streitsüchtig und quengelig seit ihrer Verlobung.

Aber vielleicht bin ich auch nur neidisch. Der Gedanke war ihr durch den Kopf gegangen, während Mary Kirschen und Zitronat hackte, genau wie Mrs. Morison es angewiesen hatte. Ja, sie wünschte sich einen Ehemann, weil sie dann Kinder haben könnte, und sie liebte Kinder.

Am Donnerstag waren vier weitere Kuchen gebacken, mit Rum beträufelt und an einen dunklen Ort gestellt worden, damit sie das richtige Aroma entwickelten.

Die letzten vier Kuchen dieses Jahres waren am Freitag in Arbeit, als Dina in die Küche gestürmt kam und alles durcheinanderbrachte. Mary schlug die Eier am Schüsselrand auf und gab sie zu der weichen Butter und dem feinen Zucker, dann begann sie zu rühren, während Mrs. Morison langsam das Mehl einrieseln ließ. Unterdessen tigerte Dina mit wütendem Blick durch die Küche und wedelte mit einem kleinen Gegenstand in ihrer Hand. Mary hätte es begrüßt, wenn sie gleich wieder gegangen wäre. Das Glattrühren des Teigs, der nach Butter und Vanille roch, war der schönste Teil der Arbeit, und sie hätte ihn gern in Ruhe genossen.

Aber Dina brauchte Publikum, das wusste Mary. Es gab ihr einen Stich, als ihr klar wurde, dass sie diese Rolle viel zu lange und gegen ihren Willen gespielt hatte. Sie war wirklich zu nachsichtig. Was ihre Cousine wohl tun würde, wenn sie sich einfach auf dem Absatz umdrehte und ging?

Sie würde es niemals erfahren, denn nun standen Dina Tränen in den Augen.

„Sag mir, hat es je einen geizigeren Verlobten gegeben als Algernon Page?“ Ein Aufstampfen des Fußes begleitete die Frage.

„Was ist denn los, meine Liebe?“, rang Mary sich schließlich zu fragen durch, weil es von ihr erwartet wurde. Sie rührte weiterhin ihren Teig in der Hoffnung, dass Dina den Fingerzeig verstand.

Aber da kannte sie ihre Cousine schlecht. Dina hielt ihr einen schmalen Goldreif hin. „Da, sieh ihn dir an. Diesen wertlosen Plunder schenkt der Geizhals mir! Er glaubt tatsächlich, ich würde ihn tragen.“

Mary besah sich den Ring. Er war tatsächlich schmal, und das Gold wies zahlreiche kleine Kratzer auf. Sie kniff die Augen zusammen. Nein, es war eine Gravur, Blätter oder Zweige. „Nun ja, vielleicht hat er eine persönliche Bedeutung für ihn“, sagte sie begütigend.

„Leider besteht die ganze Familie aus Knausern“, schoss Dina wütend zurück. „Würdest du so etwas Schäbiges tragen?“

Selbstverständlich, wenn ich meinen zukünftigen Ehemann liebe. Aber Mary wusste sehr gut, dass sie besser daran tat, den Satz nicht laut zu sagen. Stattdessen murmelte sie etwas Unverständliches, das zumindest die Stille füllte und Dina das Gefühl gab, sie habe eine Antwort erhalten.

„Ich stecke ihn mir jedenfalls nicht an den Finger.“ Dinas Gesicht war wenn möglich noch länger. Sie hielt den Blick starr auf den Kuchenteig gerichtet, als wollte sie ihn warnen, ihr zu widersprechen. Plötzlich verengte sie die Augen und warf den verabscheuten Ring in den Teig. „Da! Soll ihn doch tragen, wer will.“

Ohne einen Blick zurück stürmte sie aus der Küche, während Mary fassungslos in die Kuchenschüssel blickte, dann Mrs. Morison ansah. „Das kann sie unmöglich ernst meinen.“

„Der arme Mr. Page.“ Die Köchin schüttelte seufzend den Kopf. „Er kann sich auf etwas gefasst machen.“ Sie lachte in sich hinein und griff nach dem Holzlöffel, den Mary gegen den Rand der Schüssel gelehnt hatte, begann zu rühren und schickte Mary in die Vorratskammer, ein Säckchen Mehl zu holen.

„Rühren Sie weiter, Miss Mary“, wies sie sie anschließend an.

„Wirklich?“, fragte Mary erstaunt über Mrs. Morisons Kühnheit.

Die Köchin nickte. „Es ist kein Verlust.“ Sie lachte etwas lauter. „Hoffen wir, dass niemand fest zubeißt!“

Mary fiel in das Lachen ein. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand, dem wir die Kuchen schicken, sie anrührt. Sie?“

„Keine Ahnung, und wenn ich es wüsste, würde ich es Ihrer Tante gegenüber niemals erwähnen.“

Nachdem alle Zutaten untergerührt waren, löffelte Mrs. Morison den Teig in vier zerbeulte altehrwürdige Kuchenformen aus Blech, die vermutlich seit dem Mittelalter im Dienste der Familie standen. Als Mrs. Morison die Rumflasche entkorkte, zögerte Mary.

„Sind Sie sicher?“

Die Köchin zuckte mit den Schultern, woraufhin Mary die Formen vor ihr aufreihte. „Ich bewahre die vier gesondert auf. Wenn unsere Miss Oberflächlich ihre Meinung ändert, können wir den Ring immer noch suchen.“

„Aber das ist …“

„Eine Verschwendung? Nein, eher eine Zerstreuung.“ Mit verengten Augen blickte Mrs. Morison zur Decke hinauf. „Ihre Cousine schuldet uns etwas.“ Sie stellte die Flasche ab und hob beide Hände an die Lippen. „Ist Ihnen klar, dass wir Dinas Launen bis zu ihrer Hochzeit im März ausgeliefert sein werden?“

Die Sache mit dem Ring ging ihr noch im Kopf herum, als Mary spät am Abend, die Nachthaube bereits auf dem Kopf, Dinas Zimmer betrat, um nachzusehen, ob die Cousine noch etwas brauchte. Warum tue ich das bloß? fragte sie sich missmutig und wäre beinahe umgekehrt. Mrs. Morisons Worte fielen ihr ein, und sie ermahnte sich, Ruhe zu bewahren. Bis März war es noch lange hin.

„Mir egal“, erwiderte ihre Cousine wegwerfend, als sie ihr sagte, dass es noch immer möglich war, den Ring wiederzufinden. „Gib mir die Decke, Mary.“

Sie tat, wie ihr geheißen, und fragte sich, wann Dina aufgehört hatte, sich für die vielen kleinen Handreichungen zu bedanken. Komisch, dass sie sich, ehe es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen war, nie Gedanken darüber gemacht hatte. Sie wartete einen Moment, doch Dina wedelte nur gebieterisch mit der Hand. „Bitte, gern geschehen“, murmelte Mary sarkastisch. Den Ring erwähnte sie nicht mehr.

Nachdem sie zwei Wochen geruht hatten, wurden die Kuchen, die für den Hausgebrauch bestimmt waren, in Schachteln verpackt und in der Vorratskammer gelagert. Die zweite Ladung brachte der jüngst eingestellte Lakai in aller Feierlichkeit zum Postamt an der Royal Mile. Als die restlichen Kuchen an der Reihe waren, fragte Mary ihre Cousine, ob sie ihre Meinung geändert habe. Dina winkte lässig mit der unberingten Hand und schloss sich Tante Martha an, die sie zu einer Anprobe begleiten wollte. Die Verlobung mit Mr. Page sollte bei einer Silvesterparty angekündigt werden, und dafür brauchte Dina ein neues Kleid.

„Du willst es nicht anders.“ Mary zuckte mit den Schultern und übergab dem Lakaien die letzten vier rumgetränkten, in Gaze gewickelten, säuberlich verpackten Kuchen zusammen mit dem abgezählten Portogeld. Dann ging sie hinauf in ihr Zimmer und nahm stirnrunzelnd ihre dürftige Garderobe in Augenschein. Was sollte sie bloß anziehen bei der Silvesterparty? Tante Martha würde ihr selbstverständlich auch ein neues Kleid schneidern lassen, aber Mary hätte es schöner gefunden, nicht danach fragen zu müssen.

Ihr Blick schweifte zum Fenster. Auf der anderen Straßenseite marschierte der Lakai zielstrebig in Richtung Postamt. Mary dachte an den Ring. „Aus und vorbei“, murmelte sie schulterzuckend.

Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte.

Als sie am Tag darauf ihren Platz in der Postkutsche einnahm, entschied Mary, dass dieser Donnerstag, der 1. Dezember des Jahres 1814, den Bewohnern der Wapping Street noch lange in Erinnerung bleiben würde, und ließ die Ereignisse des Vormittags vor ihrem geistigen Auge Revue passieren. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, das Frühstück in der Küche einzunehmen, weil sie Mrs. Morison mochte. Im Speisesalon war Onkel Samuel ohnehin ihre einzige Gesellschaft, und alles, was er tat, war, sie gelegentlich über den Rand seiner Zeitung hinweg anzublicken, kurz zu nicken und wieder hinter der Zeitung zu verschwinden. Dina pflegte erst gegen zehn aufzustehen, wenn die Post eintraf.

Wenn Mary morgens in die Küche kam, gab Mrs. Morison ihr für gewöhnlich eine kurze Zusammenfassung der Sachlage im Hause Rennie, und wenn nicht, ging die Köchin die Speisefolge des Tages mit ihr durch und wies ihr ein paar nützliche Pflichten zu, die ihr die Langeweile ersparten, die das komfortable Familienleben ihrer Verwandten ihr sonst beschert hätte.

Da das Weihnachtsfest nicht mehr fern war, hatte Mrs. Morison sie mit der angenehmen Aufgabe betraut, eine Inventur der Gewürzvorräte vorzunehmen. Seit ihrer Ankunft im Haushalt der Rennies war es ihre Pflicht, jedes der wohlriechenden kleinen Schubfächer des Gewürzschranks zu öffnen und, indem sie tief den Geruch einsog, zu entscheiden, welches Gewürz sein Aroma verloren hatte und welches noch ein Jahr brauchbar sein würde.

Sie hatte soeben die Schublade mit den Nelken aufgezogen, als aus einem der Schlafgemächer im oberen Stockwerk ein gellender Schrei ertönte, der eindeutig überreizt klang und in eine immer höhere Tonart kletterte.

„Grundgütiger.“ Sie schloss die Schublade und eilte in die Küche, wo Mrs. Morison stand und zur Decke starrte.

Über ihnen fiel krachend eine Tür ins Schloss, eine andere wurde geöffnet und ebenfalls zugeknallt. Ein paar Augenblicke vergingen, dann ertönte wieder ein gellender Schrei. Mrs. Morison bekreuzigte sich, und das, obwohl sie nicht einmal katholisch war.

„Sollten wir … sollten wir nicht … nach oben gehen?“, fragte Mary unsicher.

In unausgesprochener Übereinstimmung blieben sie, wo sie waren. Wieder fiel krachend eine Tür ins Schloss, dann kam es anscheinend zu einem Tumult auf der Treppe, der sich mit Besorgnis erregender Geschwindigkeit dem Küchentrakt näherte.

Mary und Mrs. Morison sahen einander verständnislos an. Sie standen vor einem Rätsel. „Was haben wir getan?“, fragte Mary kopfschüttelnd.

Sie fassten sich bei den Händen, als der Aufruhr die Küchentreppe herunterpolterte. Dann flog die Tür auf, und Tante Martha und Dina quetschten sich gleichzeitig hindurch. Mary sog entsetzt den Atem ein. Tante Marthas Augen loderten vor Zorn. Dina war weiß wie die Wand.

Wäre sie nicht so komplett überrumpelt gewesen, Mary hätte vermutlich lachen müssen, als sie sah, dass Tante Martha ihre Tochter bei den Haaren gepackt hielt und sie heftig schüttelte. Doch so stand sie nur offenen Mundes da, als ihre Tante eine Verwünschung ausstieß, die normalerweise niemals über ihre Lippen kam, und ihr einen Brief in die Hand drückte.

Mary entfaltete ihn und hielt ihn so, dass Mrs. Morison ihn mitlesen konnte. Es war ein gestelztes Schreiben von Dinas Verlobtem, nicht dazu angetan, romantische Empfindungen in einer Frau zu erwecken, geschweige denn sonst etwas. Mary überflog die Zeilen und wurde blass. Und während sich eine bedrohliche Düsternis über die Küche zu senken schien, las sie die Epistel noch einmal.

Meine kostbare Auserwählte,

der kleine Goldreif, den ich Ihnen sandte, ist ein Geschenk Königin Elizabeths an meinen Urururururgroßvater. Es ist mir ein Herzensanliegen – und eine Tradition in der Familie Page –, ihn an Ihrem Finger zu sehen, wenn wir am 31. Dezember unsere Verlobung bekannt geben.

Hochachtungsvoll, Ihr Algernon Page

„Ach, du lieber Himmel.“ Mary hob den Blick zu ihrer Tante.

Wieder schüttelte Tante Martha ihre Tochter. „Ich kann nicht glauben, was Dina mir soeben erzählte. Sagt mir, dass es nicht stimmt.“

„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein“, erwiderte Mary, als ihr klar wurde, dass niemand sonst sich zu sprechen getraute.

„Dann sind wir ruiniert.“ Tante Martha sank auf den Stuhl, den Mary geistesgegenwärtig hinter sie schob.

Dina fing an zu heulen, woraufhin ihre Mutter sie mit einer schallenden Ohrfeige zum Schweigen brachte. „Du Ausbund an Dämlichkeit“, fauchte Tante Martha erbost. „Was sollen wir jetzt bloß machen?“

Betretene Stille senkte sich über den Raum, bis Mrs. Morison sich schließlich räusperte.

„Ganz einfach. Wir schicken Mary den vier Kuchen hinterher, damit sie den Ring zurückholt. Gleich morgen bricht sie auf.“

Entsetzt starrte Mary die Köchin an. Mrs. Morison lächelte und tätschelte ihr die Hand.

„Sie sind längst fällig für ein Abenteuer, meine Liebe, finden Sie nicht auch?“

3. KAPITEL

Ross konnte gut nachvollziehen, dass die Fahrt mit einer Kutsche der Royal Mail für einen zehnjährigen Jungen ein großes Abenteuer war. Er selbst hätte die reguläre Postkutsche vorgezogen, aber von Mrs. Pritchert wusste er, dass Nathan schon lange davon träumte, einmal mit der Royal Mail zu fahren.

„Wenn wir am Hafen sind, spitzt er die Ohren wie ein Luchs, um das Horn des Postillions ja nicht zu überhören“, hatte Maudie ihm anvertraut. „Und manchmal könnte man glauben, er habe Augen am Hinterkopf, so genau hält er nach den Pferden Ausschau. Aber erst die Uniformen! Schon als er fünf war, wollte er eine haben.“

Als ob er eine Erklärung brauchte. Im letzten Jahrhundert, als die Welt noch ein friedlicher Ort und er ein kleiner Junge in Dumfries gewesen war, war es ihm genauso gegangen. Ross konnte kaum glauben, dass es einmal eine solche Zeit gegeben hatte. Gott sei Dank hatte er einen Sohn, der ihn daran erinnerte.

„Aye, Nathan, wir fahren mit der Kutsche der Royal Mail“, versicherte er seinem Sohn, der daraufhin vor Freude umhersprang.

Für einen Mann, der sich nach mehr als einem Jahrzehnt Krieg nach nichts anderem sehnte als ein wenig Komfort, war es eine unbequeme Art zu reisen. Als sie am 6. Dezember in Carlisle eintrafen, spürte Captain Rennie jedes einzelne seiner achtunddreißig harten Lebensjahre. Im Gegensatz zu ihm strahlte Nathan noch genau wie an dem Morgen, als sie, begleitet von Mrs. Pritcherts Tränen und guten Wünschen, in Plymouth losgefahren waren.

„So sind Frauen“, hatte Ross seinem Sohn erklärt, während dieser blinzelnd beobachtet hatte, wie die Stadt in der Ferne verschwand. „Sie weinen und jammern, wenn sie dich gehen lassen müssen.“

„Sie ist gar nicht meine richtige Mutter“, hatte Nathan trotzig erwidert und sein Taschentuch aus der Jacke gefischt. „Ich habe mich erkältet.“

Ross hatte das leise Schniefen seines Sohnes geflissentlich überhört. Die Erkenntnis indes, wie sehr der Junge an der freundlichen Mrs. Pritchert hing, hatte ihm einen Stich gegeben. Nathan kannte keine andere Mutter. Er hatte den Jungen um den Nacken gefasst und ihn zärtlich geschüttelt. „In ein paar Wochen sind wir zurück in Plymouth, mein Kleiner, dann wirst du sehen, dass sie dich nicht vergessen hat, verlass dich darauf.“

Sie legten Meile um Meile zurück, und zu seinem Erstaunen gab Ross auch die Erkenntnis, dass er den Anblick des Meeres vermisste, einen Stich. Er erzählte es Nathan, und der Junge musterte ihn auf die gleiche Art, wie Ross ihn gemustert hatte, als Mrs. Pritchert ihren Blicken entschwunden war.

„Wir werden eine schöne Zeit verbringen“, versicherte Nathan ihm seinerseits, und sie lächelten einander zufrieden zu.

Am ersten gemeinsamen Tag mit seinem Sohn pflegte Ross sehr vorsichtig zu sein. Als Nathan noch jünger gewesen war, hatte es mehrere Tage, viele angefangene Sätze, die nicht beendet wurden, und viele scheue Blicke von ihnen beiden gebraucht, um einen selbstverständlichen Umgang miteinander zu finden. Nun war Nathan zehn und nach wenigen Stunden mit ihm vertraut. Am Ende des ersten Tages ihrer gemeinsamen Reise nach Norden lachte er unbeschwert und erzählte ihm, was er im vergangenen Jahr in der Schule erlebt, wie er Bibeltexte auswendig gelernt und die Schiffe im Hafen mit seinem Fernrohr beobachtet hatte. Als er müde wurde, schmiegte er sich ihm in den Arm und seufzte zufrieden. Aber vielleicht war er es auch selbst gewesen, der geseufzt hatte.

Ehe sie in Plymouth aufgebrochen waren, hatten sie eine Abmachung getroffen. Nathan durfte mit der Royal-Mail-Kutsche reisen, aber die Nächte würden sie in einem ordentlichen Gasthaus verbringen. Ross liebte seine Schwester, doch so eilig, nach Dumfries zu gelangen, dass sie nachts durchfahren mussten, hatte er es nicht. Er kannte die Strecke und wusste, wo er eine gute Mahlzeit und ein weiches Bett bekam. Aber wichtiger noch, diesmal hatte er eine Liste. Nicht irgendeine, sondern die Liste.

Am 6. Dezember also trafen sie in Carlisle ein, dem letzten bedeutenden Halt, ehe sie nach Schottland kamen. Ross hatte Nathan eine Karte von England und Schottland geschenkt, weil er fand, dass der Junge alt genug war, den Reiseverlauf kartografisch mitzuverfolgen. Der protestierende Blick, mit dem Nathan seine Ankündigung kritisierte, dass sie im „Guardian“ absteigen würden, erstaunte ihn wenig.

„Aber Vater, wenn wir heute Nacht durchfahren, sind wir schon …“

„… morgen früh in Dumfries“, beendete Ross den Satz. „Das ist wahr.“ Er beugte sich zu dem Jungen. „Aber wahr ist auch, dass ich seit Jahren von einer echten Cumberland-Bratwurstschnecke träume – und zwar vier Fuß lang, wie es sich gehört.“

„Vier Fuß lange Wurst?“, erkundigte Nathan sich ungläubig.

„Ich teile sie mit dir“, versicherte Ross seinem Sohn großzügig und zerzauste ihm das Haar. „Würdest du einem altgedienten Captain ein solches Mahl abschlagen, nachdem er sich jahrelang mit madenzerfressenem Schiffszwieback und fauligem Wasser begnügen musste?“

„Niemals, Dad.“

„Und wenn es noch einen süßen Karamellpudding zum Nachtisch gibt …“

An der Grenze hielt die Kutsche der Royal Mail an, und nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie am Morgen Anschluss nach Dumfries haben würden, führte Ross seinen Sohn die High Street entlang in Richtung „Guardian“, wo es die beste Cumberland-Bratwurstschnecke gab, die er jemals gegessen hatte.

Er machte gar nicht erst den Versuch, Nathan zu erklären, wie unbändig er sich darauf freute, weil er wusste, dass der Zehnjährige es nicht verstehen würde. Es hatte Zeiten gegeben, während der ermüdenden Seeblockade, aber auch mitten auf dem Pazifik, da hatte er in die Ferne gestarrt und versucht, sich eine Cumberland-Bratwurstschnecke herbeizuwünschen. Daran zu denken, war ihm jetzt peinlich, aber so lagen die Dinge nun einmal. Und er wusste, er war nicht der Einzige, der im Krieg solchen Zwangsvorstellungen erlegen war.

Sie bogen in eine Seitenstraße ab, und plötzlich fragte sich Ross, ob das „Guardian“ überhaupt noch existierte, ob es dort noch die himmlische Bratwurst gab. Als das altehrwürdige Gebäude vor ihnen auftauchte, grinste er erleichtert.

Er nahm seinen hohen Zweispitz gerade noch rechtzeitig ab, ehe er durch die niedrige Eingangstür trat. Er hätte ihn ohnehin abgesetzt, und sei es nur aus Achtung vor der Bratwurstschnecke, deren Duft ihm bereits in die Nase stieg.

„Ein Zimmer bitte und einen Privatsalon“, wandte er sich an den Wirt, der ihm vage bekannt vorkam. „Und Abendessen, natürlich.“

Anscheinend beeindruckte der prächtig gekleidete Gast in seiner Schankstube – sofern man einen Marinemantel als prächtig bezeichnen konnte – den Wirt über die Maßen. Wie gebannt starrte er auf den Zweispitz, den Ross auf den Tresen gelegt hatte.

„Es gibt doch hoffentlich Cumberland-Bratwurstschnecke?“ Ross versuchte die Frage beiläufig klingen zu lassen.

„Selbstverständlich, Admiral.“

„Einfach nur Captain.“

Einfach nur. Niemand hier im Norden, so weit im Inland, konnte sich vorstellen, wie schwer es für ihn gewesen war, den Rang eines Fregatten-Kapitäns zu erlangen und damit das Recht, zwei Epauletten statt einer zu tragen. Seine zynische Seite gewann die Oberhand. Ein Kamerad, ebenfalls Captain, der während der Blockade gefallen war, hatte einmal in der Offiziersmesse gesagt: „Mit zwei Epauletten können Sie wenigstens davon ausgehen, dass Ihre Männer Ihnen eine zusätzliche Kanonenkugel ins Leichentuch nähen, damit Sie schneller untergehen.“

Der Wirt schlug das Gästebuch auf, drehte es zu ihm um und hielt ihm einen Federkiel hin. Ross tauchte ihn in die Tinte, dann trug er seinen Namen ein.

Sein Blick blieb an dem Namen in der Zeile darüber hängen.

„Mary Rennie?“

Stirnrunzelnd ließ der Wirt den Blick über das Register gleiten. „Oh! Verzeihung, Sir. Die Dame erwähnte, dass sie auf einen Gentleman wartet. Aber Sie sind pünktlicher, als ich dachte. Ich nehme an, Sie werden sich in den Privatsalon zu ihr gesellen.“ Er strahlte Nathan an. „Und dies ist Ihr Sohn?“

Ross nickte. „Aye.“

Vielleicht war es der gleiche Nachname, der den Wirt zur Vertraulichkeiten ermutigte. „Er sieht Ihnen beiden nicht ähnlich.“

„Sir, ich …“, setzte Ross an, verstummte jedoch, als der Wirt unbeeindruckt weiterredete.

„Wahrscheinlich werden Sie auch das Schlafzimmer teilen wollen.“

„Nein, ich …“

Aber der Wirt war bereits auf dem Weg aus der Schankstube. Ross sah seinen Sohn an und hob die Schultern. Es mangelte ihm nicht an Persönlichkeit und Befehlsgewohnheit, um den Mann aufzuhalten, indem er ihm einen Kraftausdruck hinterherbellte – einen von der Sorte, mit denen er seine Lieutenants eingeschüchtert hatte –, doch irgendetwas hielt ihn davon ab.

„Dann wollen wir einmal herausfinden, wer diese Mary Rennie ist“, flüsterte er Nathan zu, der sein Grinsen verschwörerisch erwiderte. „Wer weiß, vielleicht mögen wir sie.“

Vor einer geschlossenen Tür blieb der Wirt stehen und machte eine großartige Handbewegung. „Ich werde Ihnen Ihr Dinner in diesem Salon servieren, Captain.“ Er schlug die Hacken zusammen und vollführte eine scharfe Kehrtwendung, die jedoch darunter litt, dass er aufgrund seiner Beleibtheit hin und her schwankte.

Ross stand unentschlossen da, und plötzlich klopfte Nathan an.

„Mr. Barraclough? Sie sind früh“, sagte eine Stimme auf der anderen Seite der Tür, dann waren rasche Schritte zu hören.

Jedenfalls glaubte Ross, dass er diese Sätze vernommen hatte, aber wegen des ausgeprägten Akzents war er nicht sicher. Ein Blick auf seinen Sohn, und er wusste, dass Nathan kein Wort verstanden hatte.

Die Tür ging auf, und Ross sah sich einer unerwartet schönen Frau gegenüber. Gegen seinen Willen entschlüpfte ihm ein Laut der Anerkennung.

Er unterzog Mary Rennie einer raschen Musterung. Sie anzustarren wäre der Gipfel der Unhöflichkeit gewesen. Doch das Leben auf See hatte ihn schnelle Einschätzungen gelehrt, und in einer Zeitspanne, die so kurz war wie die zwischen den Befehlen „Laden!“ und „Feuern!“ bemerkte er prächtiges rotbraunes Haar und Augen, die so grün waren wie die Pinien in einer ganz bestimmten Bucht in der Nähe von Neapel. Mary Rennies Blick war klar, unverwandt und ließ keinerlei Misstrauen erkennen. Was Ross jedoch am meisten faszinierte, waren die Sommersprossen auf ihrer Nase.

Er hütete sich, den Blick auf ihre Brust zu richten. Aber was er von ihrem Gesicht gesehen hatte, ließ vermuten, dass der Rest genauso hübsch war.

Autor

Carla Kelly
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