Verrückt vor Liebe und Leidenschaft

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Wie kann ihn ein City-Girl nur so verrückt machen? Riley McMann steht vor einem Rätsel. Schließlich weiß er genau: Holly Stone wird niemals für immer in der Kleinstadt Little Paradise bleiben. Es sei denn, ihm fällt etwas Unwiderstehliches ein, das Holly einfach schwach macht …


  • Erscheinungstag 18.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736231
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ziemlich ratlos fuhr Holly an den Straßenrand, öffnete eine Flasche Mineralwasser und überlegte, was sie nun tun sollte. Sie könnte natürlich die ausgebreitete Straßenkarte auf dem Beifahrersitz studieren. Aber dann müsste sie sich selbst eingestehen, dass sie sich hoffnungslos verfahren hatte. Das brachte sie nicht über sich. Jedenfalls noch nicht. Sie trank einen großen Schluck Wasser und atmete tief durch.

Holly Stone wusste immer ganz genau, wo sie sich befand, woher sie kam und wohin sie wollte. Zwar hatte ihr diese Überzeugung den Ruf eingebracht, ziemlich stur zu sein. Aber sie konnte nichts daran ändern.

Im Moment jedoch hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie nach Little Paradise gelangen sollte. Es war vielleicht eine gute Idee, das Handy einzuschalten. Aber wen sollte sie anrufen? Jemanden aus ihrer Familie? Ganz bestimmt nicht. Ihr Anruf wäre ein gefundenes Fressen für jeden Einzelnen von ihnen. Holly, das hübsche blonde Dummerchen, hat sich verfahren.

Ihre Eltern trauten ihr sowieso nichts zu und würden nur einmal mehr resigniert den Kopf schütteln. Und ihre geliebten Geschwister würden triumphierend fragen, ob sie es nicht für nötig gehalten hätte, vor der Fahrt auf die Karte zu sehen. Holly, die immer planlos loslegte und eine Sache ruinierte, noch bevor sie richtig begonnen hatte.

Nein. Sie konnte jetzt niemanden aus ihrer Familie gebrauchen. Und auch keine guten Ratschläge und kritischen Kommentare.

Und enge Freunde? Holly musste sich eingestehen, dass sie keine hatte. Sie öffnete sich ihren Mitmenschen gegenüber nur zögerlich. Der Umgang mit anderen Menschen fiel ihr schwer. Das war schon im Kindergarten so gewesen. Ihre Schwierigkeiten, einvernehmlich mit den anderen Kindern zu spielen, hatten sich in der Schule fortgesetzt. Und später, im Berufsleben, hatte sich das Problem eher verstärkt. In keinem ihrer Jobs – und sie hatte bisher einige davon gehabt – war sie mit ihren Kollegen wirklich gut zurechtgekommen. Sie hatte in ihrem jungen Leben in einer Bank gearbeitet, in einer Fotoagentur, in einem Buchverlag und zuletzt als Bürokraft in einer kleinen privaten Fluggesellschaft.

Nirgendwo war sie bei ihren Vorgesetzten oder Kollegen wirklich beliebt gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie immer versuchte, ihren eigenen Kopf durchzusetzen. Besonders Männer schienen das nicht besonders zu mögen.

Aber sie war eben, wie sie war. Mit einem Schulterzucken stieg Holly aus dem Wagen, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Es war ein langer Weg von Südkalifornien bis zu dieser gottverlassenen Gegend hier in Arizona. Nach acht Stunden Fahrt mit nur kurzen Unterbrechungen taten ihr allmählich Beine und Rücken weh.

Die Sonne blendete sie, und die Hitze machte ihr sofort zu schaffen, als sie den Wagen verlassen hatte. Unschlüssig blickte sie sich um und ging ihre Möglichkeiten durch. Die schienen leider sehr eingeschränkt zu sein. Sie befand sich ganz allein inmitten der Wüste von Arizona, umgeben von nichts als Eidechsen, Kakteen und Präriegras. Sie tat bestimmt gut daran, einen kühlen Kopf zu bewahren. Zumindest ein Versuch konnte nicht schaden.

Sie würde sich wie immer einfach darauf konzentrieren, gut auf sich achtzugeben. Darin hatte sie Übung. Sie würde die Straßenkarte zu Hilfe nehmen und den Weg nach Little Paradise finden. Es konnte schließlich nicht mehr weit sein.

Sie setzte sich wieder ins Auto und schaltete die Klimaanlage an. Dann tupfte sie sich den Schweiß von Schläfen und Nacken. Fast augenblicklich fühlte sie sich besser.

Sie hatte immer gehört, dass es in Arizona sehr heiß sein sollte. Eigentlich war sie von Südkalifornien an hohe Temperaturen gewöhnt. Aber diese Hitze hier war etwas anderes. Trocken und schwer lastete sie über der Landschaft und machte jede Bewegung zur Qual. Holly war sich sicher, dass ihr Teint innerhalb einer Woche ruiniert sein würde.

Aber sie hatte ein Versprechen gegeben. Und sie gehörte nicht zu den Menschen, die ein Versprechen brachen. Holly hatte ihren Eltern fest zugesagt, dass sie diese Aufgabe übernehmen würde. Sie wusste sehr genau, ihre Eltern rechneten nicht ernsthaft damit, dass sie Wort hielt. Das war ein weiterer Grund für sie, die Zähne zusammenzubeißen und nicht aufzugeben. Sie würde es schon schaffen. Dies konnte ein Wendepunkt in ihrem Leben sein. Bisher war sie immer nur schön und blond und total unterschätzt gewesen. Es war an der Zeit, zu beweisen, dass sie hart arbeiten, Verantwortung übernehmen und durchhalten konnte. Sie wollte sich endlich einmal Vertrauen und Respekt verdienen.

Nach einem längeren Blick auf die Straßenkarte war sie sich ziemlich sicher, dass Little Paradise nur ein paar Kilometer weiter in Fahrtrichtung liegen musste.

Dennoch war sie sehr erleichtert, als nach einer halbstündigen Fahrt auf der einsamen Wüstenstraße ein grünes Ortsschild in Sicht kam. „Little Paradise, 856 Einwohner“ stand darauf.

Holly ließ die Schultern sinken und entspannte sich. Es sah ganz so aus, als hätte sie sich doch nicht verirrt. Sie war zweifellos auf der richtigen Straße in die richtige Richtung gefahren.

„Little Paradise“, flüsterte sie vor sich in.

Bestimmt hatte sich jemand mit diesem Namen einen schlechten Scherz erlaubt.

Denn Little Paradise sah auf den ersten Blick eher so aus, wie sie sich die Hölle vorstellte.

Sheriff Riley McMann warf einen Blick auf die Uhr. Sein Magen hatte bereits zum dritten Mal innerhalb einer Viertelstunde vernehmlich geknurrt. Kein Wunder, es war schon zwei Uhr. Seit dem hastigen Frühstück im Morgengrauen hatte er nichts mehr zu sich genommen.

Das Telefon hatte ihn an diesem Morgen ganz früh aus dem Schlaf gerissen. Eine Kuh war in eine Felsenschlucht geraten. Und er hatte bei ihrer Rettung helfen müssen. Pflichten wie diese verrichtete er den ganzen Tag.

Tatsächlich machte es ihm jedoch nichts aus, einen schroffen Felsen hinunterzuklettern, Staub zu schlucken und sich vor den Tritten einer in Panik geratenen Kuh in Acht zu nehmen. Das gefiel ihm viel besser, als Büroarbeit zu erledigen. Er warf einen unwilligen Blick auf den Aktenstapel, der sich auf seinem Schreibtisch türmte. Sheriff in einer ländlichen Gemeinde wie Little Paradise zu sein, stellte keine großen Herausforderungen an seine kriminalistischen Fähigkeiten. Aber er konnte einen Großteil des Tages draußen an der frischen Luft verbringen.

Außerdem ermöglichte ihm das ruhige, friedliche Landleben die Bewirtschaftung seiner eigenen kleinen Ranch. Auch das gefiel ihm sehr.

Sein Magen knurrte ein weiteres Mal hörbar. Nun gut, er war hungrig, sehr hungrig sogar. Mit einem sehnsüchtigen Blick schaute er aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Restaurant. Es hieß Café Nirvana und war das einzige Restaurant der Stadt.

Es schien schon immer da gewesen zu sein. Es gehörte zu Little Paradise wie der heiße Wüstenwind und die staubigen Straßen. Aber nachdem Marge und Edward Mendoza mehr als fünfzig Jahre lang für die Einwohner des Städtchens gekocht hatten, wollten sie nun ihren wohlverdienten Ruhestand antreten. Sie hatten die Absicht, das Restaurant zu verkaufen und nach Montana umzuziehen. Dort lebten Familienangehörige.

Man erzählte sich in der Stadt, dass ihre Tochter jemanden gefunden hatte, der das Restaurant bis zum endgültigen Verkauf weiterführen würde. Marges und Edwards Tochter putzte das Haus eines wohlhabenden Doktorenehepaars in Kalifornien und hatte weitreichende Beziehungen. Bis jetzt war allerdings noch niemand aufgekreuzt, der das Restaurant übernehmen wollte. Riley gefiel der Gedanke an eine Veränderung überhaupt nicht. Das Café Nirvana war das Herz und die Seele von Little Paradise.

„Jetzt hör schon auf, die ganze Zeit hinüberzusehen, und geh endlich hin“, sagte Jud, der gerade das Büro betrat. Der fünfundsechzig Jahre alte Deputy lächelte Riley auffordernd zu und zog sich die ewig rutschenden Hosen hoch. „Man kann dein Magenknurren bis zur anderen Straßenseite hören.“

„Ich habe keine Zeit, zu Mittag zu essen.“

Juds Grinsen wurde eine Spur breiter. „Ja, man weiß nie genau, wann sich die nächste Kuh in eine Schlucht verirrt.“

„Ich muss jede Menge Papierkram erledigen“, sagte Riley geduldig.

„Der läuft dir bestimmt nicht weg“, erwiderte Jud mit unbestreitbarer Logik.

Das stimmte allerdings, musste Riley sich eingestehen. Er legte die Hand auf seinen knurrenden Magen. Ein Schweinekotelett wäre jetzt nicht schlecht. Oder Hackbraten. Oder irgendetwas. „Was steht denn heute auf der Tageskarte?“

Jud spähte aus dem Fenster und stieß einen leisen Pfiff aus. „Das nenne ich eine langbeinige Blondine. Mit Kurven an den richtigen Stellen.“

„Wie?“ Riley stand auf und stellte sich neben seinen Deputy. Jetzt verstand er, was Jud gemeint hatte. Eine wirklich sehr langbeinige Blondine stieg gerade aus einem roten Jeep und strich sich das sorgfältig frisierte Haar zurück. Dann glättete sie ihren roten Seidenrock und griff nach einer Handtasche, die perfekt zu den hochhackigen Pumps passte.

Sie sah aus, als sei sie gerade eben einem Modemagazin entstiegen. Riley hatte eigentlich kein Problem damit, schöne Frauen anzusehen. Schließlich war er ein gesunder amerikanischer Mann von zweiunddreißig Jahren. Aber die Frau vor dem Café Nirvana wirkte dort so fehl am Platz wie ein Schneemann mitten in der Wüste von Arizona.

Er hegte auf Anhieb nicht sehr viel Sympathie für sie. Sie stolzierte einher auf ihren langen Beinen und mit wiegenden Hüften, als gehörte ihr die Welt. Ihr Verhalten und ihre Garderobe waren eindeutige Hinweise darauf, dass sie aus der Großstadt kam. Riley wusste aus eigener schmerzlicher Erfahrung, dass eine Großstadtpflanze wie diese Frau nicht nach Little Paradise passte. Das beste Beispiel dafür war seine Mutter. Sie hatte es hier nicht lange ausgehalten. Riley war gerade eine Woche alt gewesen, als seine Mutter ihn und seinen Vater verließ.

„Was kann sie nur hier wollen?“, fragte Jud und kratzte sich am Kinn.

„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat sie von dem guten Essen im Café Nirvana gehört“, witzelte Riley.

Jud lachte. „Sie sieht nicht so aus, als ob sie viel essen würde. Aber es muss irgendeinen Grund für ihre Anwesenheit geben. Sie ist bestimmt nicht aus Versehen hier gelandet.“

Dieser Ansicht war Riley auch. Aber er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, warum diese Frau nach Little Paradise gekommen sein mochte.

„Ich gehe mal rüber und finde heraus, wer sie ist“, sagte er und nahm seinen Hut.

„Tu das. Aber sei vorsichtig. Sie könnte bewaffnet und gefährlich sein“, sagte Jud mit einem breiten Grinsen.

Riley schüttelte nur den Kopf und ging zur Tür.

„Am besten durchsuchst du sie gründlich. Für alle Fälle.“ Jud lachte lauthals und zog sich die rutschenden Hosen hoch.

Als Riley nach draußen trat, war die Blondine um ihren Jeep herumgegangen und stand vor dem Café. Sie war größer, als er zunächst vermutet hatte. Und sie hatte tatsächlich sehr lange Beine. Und eine atemberaubende Figur. Ihr enger roter Rock und die gleichfarbige Bluse ließen in dieser Hinsicht keine Fragen offen.

Zu ihren Füßen saß Harry. Harry war ein übergewichtiger, hässlicher roter Kater, an dem alle Einwohner des Städtchens mit abgöttischer Liebe hingen. Er gehörte gleichsam zum Inventar des Cafés. Nicht zuletzt darauf waren Harrys massive Gewichtsprobleme zurückzuführen. Aber der Kater verstand es durchaus, auch anderswo Leckerbissen zu erbetteln.

„Geh weg“, sagte die Frau in Rot und versuchte, Harry mit heftigen Handbewegungen fortzuscheuchen.

Harry blinzelte indessen ungerührt in die Sonne und legte sich auf den Boden. Mit einem geräuschvollen Grunzen drehte er sich auf den Rücken und präsentierte seinen voluminösen Bauch. Das hieß üblicherweise, dass er gestreichelt werden wollte. Aber die Blondine tat nichts dergleichen.

„Verschwinde“, zischte sie ihm zu und wedelte mit ihren manikürten Händen.

Harry schnurrte nur wie ein defekter Motor, und Riley grinste breit.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, bot er höflich an und trat einen Schritt näher. „Mein Name ist Riley McMann. Ich bin hier der Sheriff.“

Sie wandte ihm das Gesicht zu. Riley hielt kurz den Atem an. Sie war eine wirkliche Schönheit. Ihr hellblondes, kinnlanges Haar umspielte ein fein geschnittenes ovales Gesicht. Ihre großen Augen waren von einem strahlenden Blau, und ihre sinnlichen roten Lippen wirkten wie ein Versprechen.

Sie unterzog Riley einer eingehenden Musterung und blickte schließlich skeptisch auf sein Dienstabzeichen. „Ist dieser Ort groß genug für einen eigenen Sheriff?“

Ihre Stimme war sanft und verführerisch. Die Art, wie sie sprach, bestätigte Rileys Verdacht. Sie kam eindeutig aus der Großstadt. Riley fand ihre Frage ziemlich herablassend. Eigentlich war er immer freundlich und zuvorkommend zu seinen Mitmenschen. Unhöflichkeit entsprach nicht seiner Art. Aber diese Frau hatte etwas an sich, das ihn ärgerte. Er kannte diese Art von Frauen. Und er hatte nicht sehr viel für sie übrig.

„Oh, ja. Wir sind groß genug für Ärger aller Art“, antwortete er betont höflich. „Kann ich Ihnen vielleicht mit einer Wegbeschreibung helfen?“

Am liebsten mit der Wegbeschreibung zur Autobahn, setzte er in Gedanken hinzu.

Sie deutete auf das Café Nirvana. „Das ist das einzige Restaurant im Ort?“

Riley folgte ihrem Blick und betrachtete die bunt bemalte Fensterscheibe. Das Café war der soziale Mittelpunkt von Little Paradise. Hier trafen sich die Leute, tauschten Neuigkeiten aus, schlossen Geschäfte ab und verbreiteten die neusten Gerüchte. Die neugierigen Gesichter der Gäste drinnen waren ausnahmslos der Blondine und ihm zugewandt. Riley entdeckte die Bibliothekarin Mindy, Dan, den einzigen Automechaniker im Umkreis von dreihundert Kilometern, den Postbeamten Lou und Mike, den örtlichen Bauunternehmer und Hobbymaler. Alle verfolgten seine Unterhaltung mit der Blonden sichtlich interessiert.

„Bitte sagen Sie mir, dass es noch ein Restaurant gibt“, sagte die Frau in seine Gedanken hinein.

„Nein, tut mir leid. Nicht im Umkreis von hundert Kilometern. Sie müssen schon mit dem Café Nirvana vorliebnehmen.“

Sie gab ein seltsames Geräusch von sich. Es klang wie eine Mischung aus entsetztem Stöhnen und spöttischem Lachen. „Café Nirvana?“

Er konnte ein amüsiertes Grinsen nicht unterdrücken. „Genau.“

„Das Café Nirvana in einem Ort namens Little Paradise?“, fragte sie fassungslos.

Riley bemühte sich um Gelassenheit. „So ist es.“

Sie legte den Kopf zurück und warf einen Hilfe suchenden Blick in den strahlend blauen Himmel. „Das muss ein Scherz sein. Ein sehr merkwürdiger Scherz.“ Sie sah ihn hoffnungsvoll an. Als er bedächtig den Kopf schüttelte, verfinsterte sich ihre Miene.

Nein, dachte Riley. Kein Scherz.

„Kosmische Gerechtigkeit“, sagte sie leise und schloss kurz die Augen. „Schicksal. Karma. Wie auch immer man es nennen mag, ich scheine es magisch anzuziehen.“ Sie nickte ihm lässig zu und ging davon. Aber wie es schien, hatte sie nicht die Absicht, aus seinem Leben zu verschwinden. Denn sie begab sich geradewegs ins Café Nirvana.

Die fette rote Katze folgte ihr auf dem Fuß.

„Verschwinde“, zischte Holly erneut.

Aber das Tier machte keine Anstalten. Stattdessen schlüpfte es zwischen ihren Beinen hindurch ins Innere des Restaurants. Holly konnte sich glücklich schätzen, dass sie nicht über das Ungetüm stolperte.

Die Gerüche, die ihr entgegendrangen, nahmen ihr den Atem und ließen sie ihren Ärger über die aufdringliche Katze augenblicklich vergessen. Gebratener Speck, Steaks, Spiegeleier, Zwiebel, Knoblauch, Chili. Holly rümpfte die Nase. Das waren fast ausnahmslos Nahrungsmittel, die sie niemals zu sich nahm.

Das lag nicht daran, dass sie eine Kostverächterin oder besonders wählerisch war. Verschiedentlich war ihr das schon zum Vorwurf gemacht worden. Aber es entsprach nicht der Wahrheit. Nein, es lag ganz einfach daran, dass sie sehr auf ihre Figur achten musste. Wenn sie sich nicht in Acht nahm, lief sie Gefahr, innerhalb kürzester Zeit Miss Piggy Konkurrenz zu machen. Trotzdem lief ihr bei den sie umgebenden Düften unwillkürlich das Wasser im Mund zusammen. Und wieder einmal dachte sie, dass sie einen sehr hohen Preis für ihre gute Figur bezahlte.

Die Gäste des Restaurants, die noch vor wenigen Sekunden neugierig auf die Straße gestarrt hatten, senkten bei ihrem Eintreten hastig die Köpfe und gaben vor, sehr mit ihrem Essen, Getränk oder einer Zeitschrift beschäftigt zu sein.

Kleinstädte, dachte Holly bei sich. Nicht, dass sie viel über Kleinstädte und das Leben darin wusste. Aber so ähnlich hatte sie es sich vorgestellt.

Die Inneneinrichtung des Restaurants entsprach den Befürchtungen, die Holly hegte, seit sie die Außenfassade erblickt hatte. Alles wirkte billig und ein wenig abgenutzt. Das Café Nirvana trennten Welten von den eleganten und exklusiven Restaurants, die sie sonst bevorzugte.

Die ehemals weiß getünchten Wände hatten sich im Laufe der Jahre durch die Essensdünste gelblich verfärbt. Die Sitznischen zierte ein Bezug aus abgeschabtem blassrotem Vinyl. Die Sitzflächen wirkten, als ob man sich besser nicht mit Nylonstrümpfen daraufsetzte. Es sei denn, man legte gesteigerten Wert auf Laufmaschen. Die Tische waren aus schlechtem Holz und stark zerkratzt. Die sie umgebenden wackeligen Stühle passten weder zu den Tischen noch zueinander. Außer ein paar verblichenen Landschaftsaufnahmen in einfachen Rahmen gab es keinerlei Dekoration.

Entzückend, dachte Holly. Das hier schlug ihren schlimmsten Albtraum um Längen. Ihre Absätze verursachten auf dem billigen, aber dankenswerterweise sauberen Linoleum ein vernehmliches Klicken. Holly ging auf den Tresen zu, von dem aus sie eine Kellnerin in einer geschmacklosen pinkfarbenen Uniform kritisch beäugte.

„Ich bin auf der Suche nach Mr. und Mrs. Mendoza. Können Sie mir sagen, ob ich sie hier antreffe?“, fragte sie und versuchte, die neugierigen Blicke der anwesenden Gäste zu ignorieren. Das gelang ihr nicht ganz, sie spürte sie wie Nadelstiche auf dem Rücken.

Was war nur mit diesen Leuten los? Sah sie etwa aus, als käme sie vom Mars? Zumindest, das musste sie zugeben, fühlte sie sich so. Wie auf einem fremden Planeten, mit all dem Staub und der Hitze. Sie war an Los Angeles gewöhnt. Dort wuchsen Palmen, und die Menschen hatten freundliche Gesichter.

Die Kellnerin war eine mollige Frau in mittleren Jahren, die das graue Haar zu einem Knoten gesteckt am Hinterkopf trug. Sie stemmte die Hände in die beachtlichen Hüften und runzelte die Stirn.

„Wer möchte das wissen?“, gab die Kellnerin ungehalten zurück. „Falls Sie vom Ordnungsamt sind …“

„Nein, nein“, unterbrach Holly den wütenden Wortschwall. „Mein Name ist Holly Stone.“

„Und weiter? Dieser Name sagt mir nichts.“

Holly unterdrückte ein Seufzen. „Ich bin hier, weil Mr. und Mrs. Stone, meine Eltern, mich geschickt haben. Ich soll das Restaurant führen, bis es verkauft wird. Die Tochter von Mr. und Mrs. Mendoza ist Reinigungskraft bei meinen Eltern. Sie wollten ihr damit einen Gefallen tun.“

„Sie sind Mr. und Mrs. Stones Tochter?“, fragte die Kellnerin fassungslos.

Holly nickte tapfer. „Ja.“

Die Kellnerin brach in Gelächter aus. Holly verdrehte kurz die Augen und schluckte trocken. Sie war an solche Reaktionen gewöhnt. Schon ihr ganzes Leben lang zeigten sich die Leute amüsiert darüber, wie wenig sie mit ihren Eltern gemeinsam hatte.

Mr. und Mrs. Stone waren beide Ärzte und verbrachten ihre Zeit damit, anderen Menschen zu helfen. Ihre letzte gute Tat hatte darin bestanden, die Eltern ihrer Putzfrau dazu zu nötigen, noch vor dem Verkauf ihres Restaurants in den Ruhestand zu gehen. Die Mendozas hatten das, so fanden sie, nach einem über fünfzigjährigen Arbeitsleben ohne nennenswerten Urlaub redlich verdient.

Hollys zwei ältere Schwestern waren in die Fußstapfen der Eltern getreten und ebenfalls Ärztinnen geworden. Die beiden hielten sich gerade in einer unterentwickelten afrikanischen Region auf, wo sie sich an einer Impfaktion für die bedürftige Landbevölkerung beteiligten. Sonst wäre bestimmt eine von ihnen in die Bresche gesprungen, um den gestressten Mendozas den Rückzug ins Privatleben zu ermöglichen. Sie waren beide geradezu besessen davon, anderen zu helfen.

Und dann war da noch Hollys Bruder. Auch er hatte in seinem Leben kaum etwas Eigennütziges getan. Nein, als Gehirnchirurg war er der Stolz der ganzen Familie. Von ihm konnte niemand erwarten, dass er in einem gottverlassenen Nest mitten in der Wüste Spiegeleier servierte.

Und was war aus ihr selbst geworden? Ohne Frage das schwarze Schaf der Familie.

Zweifellos um ihr diesen ohnehin schon wundervollen Tag noch zu versüßen, betrat in diesem Moment der Sheriff das Restaurant. Er entsprach dem Bild des amerikanischen Cowboys in perfekter Weise. Seine Jeans waren durch permanentes Tragen verblichen und fadenscheinig. Er hatte abgetragene Cowboystiefel an und den breitkrempigen Hut weit nach hinten geschoben. Sein markantes Gesicht war vom ständigen Aufenthalt in der Sonne gebräunt, und um seine Augen stand ein Kranz von Lachfältchen. Holly wagte zu bezweifeln, dass er sich an diesem Morgen rasiert hatte. Darüber, wann sein dichtes, hellbraunes Haar zuletzt einen Kamm gesehen hatte, konnte sie nur Vermutungen anstellen.

Er wirkte sehr ruhig und gelassen und unterschied sich in jeder Beziehung von den Männern, die Holly sonst kannte. Sie war an Männer gewöhnt, die sich gern reden hörten. Männer, denen es wichtig war, wie sie wirkten und aussahen. Diesen Mann hier schienen solche Fragen nicht im Geringsten zu interessieren.

Trotz seiner lässigen Ausstrahlung umgab ihn etwas Wildes und Ungezähmtes. Holly ahnte, dass er sehr hart sein konnte, wenn es darauf ankam. Hart und zupackend.

Außerdem sah er unverschämt gut aus mit seinem zerzausten, von der Sonne gebleichten Haar und seinen dunklen, tiefgründigen Augen. Es gab bestimmt Frauen, denen bei seinem Lächeln die Knie weich wurden. Sie selbst gehörte nicht dazu.

Es war nicht so, dass Holly Männer nicht mochte. Dem war ganz und gar nicht so. Aber sie misstraute ihnen auch. Und ihre bisherigen Erfahrungen hatten ihr gezeigt, dass sie gut daran tat. Der wiegende Gang dieses Sheriffs war unerhört sexy. Und wenn er lächelte, strahlte er einen entwaffnenden Charme aus. Er war, ehrlich gesagt, der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Aber sie war immun gegen sein gutes Aussehen und seinen Charme.

Jedenfalls fast.

Bei ihrer ersten Begegnung hatte er bei ihrem Anblick keine Reaktion gezeigt. Das versetzte Hollys Ego doch einen Stich. Seit ihrer Pubertät spürte Holly, dass Männer sie als attraktive Frau wahrnahmen, und zwar ausnahmslos. Nicht so dieser Sheriff. Dennoch hatte sie den Eindruck, dass er nur ihretwegen hereingekommen war. Als sie sich ihm zuwandte, grinste er und winkte ihr zu.

Sie führte ihren beschleunigten Pulsschlag auf ihren Ärger zurück. Keineswegs hatte er etwas mit der Anwesenheit dieses Cowboys zu tun. Mochte er noch so sexy sein.

„Sind die Mendozas nun hier oder nicht?“, wiederholte sie ihre Frage, wandte sich wieder an die Kellnerin und ignorierte den Sheriff.

Die pinkfarben gewandete Frau begrüßte ihn wie einen alten Bekannten.

Schließlich wandte die Kellnerin sich wieder Holly zu. Das war auch Zeit, denn Holly war nahe daran, die Geduld zu verlieren.

„Meine Tochter hat mir erzählt, dass ihre wunderbaren Arbeitgeber uns eine Aushilfe schicken würden, damit wir nach Montana ziehen können. Dort lebt nämlich meine Schwester. Und diese Aushilfe sind dann wohl Sie, oder?“

In diesem Moment hörten die Gäste im Raum auf, vorzugeben, sie würden nicht lauschen. Mit unverhohlener Neugier wandten sich alle Gesichter zu Holly und der Kellnerin.

Der Sheriff lehnte am Tresen und nippte an einem Becher, den die Kellnerin ihm gereicht hatte. Er schien ebenfalls auf Hollys Antwort zu warten.

Hollys Gedanken überschlugen sich. Eine Aushilfe? Das hatten ihre Eltern also den Mendozas erzählt? Sie hatte ihr Leben und ihren Job in Kalifornien aufgegeben, um sich ein für alle Mal die Anerkennung ihrer Eltern zu verdienen – nur, um in einem gottverlassenen Wüstennest als Aushilfe bezeichnet zu werden? Einem Nest, in dem es wohlgemerkt nicht einmal ein chinesisches Restaurant, eine Reinigung oder auch nur eine vernünftig sortierte Drogerie gab.

„Sie haben Ihnen übrigens eine Nachricht hinterlassen“, bemerkte die Kellnerin.

Gut, dachte Holly. Eine Nachricht war gut. Immerhin etwas. Holly hatte ihre Eltern im vergangenen Jahr kaum gesehen. Das lag zum einen daran, dass sie pausenlos damit beschäftigt waren, Leben zu retten. Zum anderen war es jedoch einfach so, dass Holly ein Zusammentreffen mit ihnen wohlweislich vermied. Diese Tatsache verursachte ihr einiges Unbehagen. Zwar tat sie immer so, als würde es sie nicht weiter interessieren, dass ihre Eltern sie nicht für voll nahmen. Aber es machte ihr etwas aus, sogar sehr viel. Und deshalb war sie nicht gern mit ihren Eltern zusammen.

Autor

Jill Shalvis
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