Versprechen der Sehnsucht

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Secrets - Was niemand weiß

Vicki wollte die Scheidung, stattdessen verlangt Caleb eine zweite Chance. Da sie schwanger ist, willigt sie sein. Unter einer Bedingung: Von jetzt an sind sie aufrichtig zueinander. Vicki ahnt nicht, dass Caleb etwas Brisantes vor ihr verbirgt.

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"Nalini Singh hat eine herzerwärmende Geschichte über Leidenschaft und die heilende Kraft der Liebe geschrieben."
Romantic Time Book Reviews

"Diese wundervoll erzählte Geschichte ist das reinste Lesevergnügen."
Romantic Time Book Reviews


  • Erscheinungstag 02.01.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767273
  • Seitenanzahl 528
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

„Ich bin schwanger.“

Caleb Callaghan sah seine Frau verblüfft an. „Wie bitte?“

„Ich sagte, ich bin schwanger. Im dritten Monat – das wurde mir gerade vom Arzt bestätigt.“ Vicki strich sich das schulterlange blonde Haar zurück und setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Allmählich fing Calebs Verstand wieder an zu arbeiten. Das war die Chance, auf die er seit zwei Monaten gewartet hatte, und er würde sie nutzen. Rasch stand er auf, ging um den Schreibtisch herum und kniete sich neben Vickis Stuhl auf den Boden. „Du bekommst unser Kind“, sagte er ergriffen. Mit einem Mal ging es ihm nicht mehr schlecht, sondern er kam sich wie im Paradies vor.

Vicki kann sich nicht scheiden lassen, wenn sie schwanger ist.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, schüttelte sie den Kopf. „Das ändert nichts“, sagte sie, aber in ihrer Stimme schwang Unsicherheit mit.

Caleb packte die Gelegenheit beim Schopf. Keinesfalls würde er aufgeben, dazu stand zu viel auf dem Spiel. „Natürlich tut es das.“ Er nahm ihre Hand.

„Nein.“

„Doch.“ In den beiden Monaten seit ihrer Trennung hatte Caleb alles Mögliche getan, um seine Frau zurückzugewinnen. Leider vergeblich. Aber jetzt konnte Vicki nicht mehr so leicht eine Scheidung durchsetzen. „Natürlich ändert das alles. Du bekommst mein Baby.“

Ihre Hand verkrampfte sich. „Versuch nicht, mich einzuschüchtern, Caleb.“

Alarmiert durch ihren Ton, überlegte er sich rasch noch einmal, wie er sich ihr nähern konnte. Aber er befürchtete, wenn er sie zu sehr bedrängte, würde er sie verlieren. Allerdings hatte seine Frau schon immer ein weiches Herz gehabt. „Ich habe ein Recht, die Schwangerschaft mit dir zu erleben“, sagte er. „Dies ist auch mein erstes Baby. Vielleicht mein letztes.“

Ihre Miene verriet ihm, dass er auf Verständnis stieß, obwohl er das kaum zu hoffen gewagt hatte. „Du willst wieder einziehen?“, sagte sie und meinte damit ihre restaurierte Villa oberhalb von St. Marys Bay, nicht weit von Aucklands Innenstadt.

„Natürlich werde ich wieder einziehen.“ Das stand außer Diskussion. „Ich werde nicht zulassen, dass du dich vor der Geburt unseres Kindes scheiden lässt.“ Das gab ihm sechs Monate, in denen er Vicki davon überzeugen konnte, dass ihre Ehe es wert war, aufrechterhalten zu werden, und dass man eine Beziehung nach fünf Jahren nicht so einfach aufgeben sollte.

Vicki hatte ihn um Abstand gebeten, als sie sich getrennt hatten, und Caleb hatte ihre Bitte erfüllt, soweit ihm das möglich war. Er hatte sich auf einen Telefonanruf täglich beschränkt und auf ein paar Besuche pro Woche, um nachzusehen, ob es ihr gut ging. Doch damit war jetzt Schluss. Er wollte seine Frau zurückhaben. „Dieses Baby ist ein Geschenk, Vicki – unsere Chance, einen neuen Anfang zu machen. Und diese Chance müssen wir nutzen.“

Ihr Blick wurde weich.

Caleb stand auf und zog Vicki in die Arme. Er war größer als sie, und ihre schlanke Gestalt schmiegte sich perfekt an seinen Körper. „Ich werde meine Sachen heute Nachmittag vom Hotel holen lassen.“ Er hasste diesen Ort, weil er sich dort nicht zu Hause fühlte. „Alles wird gut werden“, versicherte er. Egal was passierte, er würde nicht zulassen, dass er Vicki verlor.

Sie bedeutete alles für ihn.

Vicki erlaubte Caleb, sie zu umarmen, obwohl sie fürchtete, damit einen Fehler zu machen. Doch sie hatte die Umarmungen ihres Ehemannes vermisst. Seit zwei Monaten vermisste sie Caleb jeden einzelnen Tag. Jedes Mal wenn er sie zum Essen einlud oder auf einen Kaffee vorbeikam, war ihr klar, dass sie eigentlich ablehnen sollte, doch stattdessen war sie immer einverstanden gewesen. Jetzt schien sich dieses gefährliche Verhaltensmuster fortzusetzen.

„Du brauchst nicht zu Hause zu wohnen, um mit unserem Kind zusammen zu sein“, wandte sie ein.

Er lockerte seine Umarmung so weit, dass sie in seine haselnussbraunen Augen sehen konnte, die eine Spur heller waren als sein Haar. „Doch, natürlich muss ich das. Willst du, dass unser Kind so aufwächst wie du und seinen Vater kaum kennt?“

Vicki atmete tief ein. „Du weißt genau, was du sagen musst, um mich umzustimmen, nicht?“ Sie wollte auf keinen Fall, dass ihr Kind sich von einem Elternteil nicht geliebt fühlte.

Caleb ließ sie los und stützte die Hände auf die Hüften. „Ich werde die Wahrheit nicht schönreden. Wenn du auf dieser Trennung bestehst, wird das früher oder später zur Scheidung führen, und vielleicht wird unser Kind dann zwischen uns hin und her pendeln.“

„Glaubst du, es wäre besser für unser Kind, bei Eltern aufzuwachsen, die sich ständig streiten?“ Derzeit kriselte es sehr in ihrer Ehe, daran gab es keinen Zweifel.

„Natürlich nicht.“ Er hob die Stimme. „Aber du musst dich entscheiden. Entweder lässt du mich wieder zu Hause einziehen und wir arbeiten an unseren Schwierigkeiten, oder du akzeptierst die Alternative.“

„Das geht mir alles zu schnell. Ich brauche Zeit.“

Ein energischer Zug erschien um seinen Mund. „Du hattest bereits zwei Monate.“

Das war nicht einmal annähernd genug, dachte sie. Seit der Trennung hatten sie sich mehrmals pro Woche gesehen, aber ernsthaft über ihre Probleme geredet hatten sie nie. Das mussten sie jetzt dringend nachholen. „Caleb, betrachte die Sache doch mal von meinem Standpunkt aus. Ich habe gerade erfahren, dass ich schwanger bin. Wenn du jetzt auch noch zurückkommst, fühle ich mich dem allen nicht gewachsen.“

„Und je länger du mich ausschließt, desto weniger Zeit haben wir, unsere Schwierigkeiten zu bewältigen, bevor das Baby kommt“, widersprach er. „In diesem Punkt werde ich nicht nachgeben, du kannst also auch gleich Ja sagen.“

Wenn sie nicht bereits eine Entscheidung getroffen hätte, bevor sie die Anwaltskanzlei betreten hatte, die Caleb mit großer Zielstrebigkeit aufgebaut hatte, hätte sein Verhalten sie wahrscheinlich verletzt. Aber auch wenn sie viele Dinge an ihm nicht verstehen konnte, diese Reaktion hatte sie vorhergesehen. Von der Sekunde an, als sie entdeckt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie gewusst, dass Caleb nicht mehr bereit sein würde, getrennt zu leben, selbst wenn sie noch so große Bedenken äußerte.

Aus diesem Grund hatte sie sorgfältig überlegt, unter welchen Bedingungen sie ihn wieder in ihr gemeinsames Haus ziehen lassen würde. „Also gut“, lenkte sie ein. Caleb war eine sehr dominante Persönlichkeit. Wenn man ihm den kleinen Finger reichte, nahm er die ganze Hand. Doch es ging nicht länger nur um sie beide.

„Das ist die richtige Entscheidung, Liebling“, sagte er. „Du wirst sehen. Wir schaffen es.“

Sie runzelte leicht die Stirn und wollte gerade erklären, dass die Dinge diesmal ein bisschen anders laufen würden. „Sieh mal, du kannst einziehen, aber …“

„Pscht.“ Er lächelte und legte eine Hand auf ihren flachen Bauch. Erstaunt nahm Vicki wahr, dass ihre Schwangerschaft ihr jetzt als viel realer erschien. Die Bestätigung des Arztes hatte ihr nicht dieses Gefühl gegeben. „Du willst doch nicht, dass das Kind uns streiten hört, oder?“

Es ist doch immer wieder das Gleiche mit ihm, dachte Vicki. Sie redete, und er hörte nicht zu. „Caleb, ich wollte dir sagen, dass …“

„Später.“ Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Wir haben alle Zeit der Welt.“

Calebs Sachen waren alle im Gästezimmer.

„Was soll denn das?“ Er drehte sich zu Vicki um, die mit verschränkten Armen im Türrahmen stand und ihn beobachtete. Keine Spur war mehr von der Frau zu sehen, die ihm erst vor wenigen Stunden noch erlaubt hatte, sie zu umarmen.

Aufgerichtet und mit erhobenem Kopf begegnete sie seinem Blick. „Das kommt davon, dass du nicht zuhörst. Du hast meine Einwände gegen deine Rückkehr nach Hause einfach niedergewalzt, wie du das immer tust.“ In ihrer Stimme schwang eine Härte mit, die Caleb an ihr nicht kannte. „Später, hast du gesagt. Nun, jetzt ist später. Du kannst hier wohnen, aber erwarte nicht, dass du in mein Leben zurückkehren kannst, als wäre nichts passiert. Soweit es mich betrifft, sind wir immer noch getrennt.“

Er erstarrte. In den fünf Jahren, seit sie verheiratet waren, hatte Vicki niemals so mit ihm gesprochen. „Liebling …“

„Nur damit das ganz klar ist: Ich werde mich von dir nicht zu etwas drängen lassen, wozu ich noch nicht bereit bin“, sagte sie.

„So haben wir aber keine Chance“, wandte er ein. „Wir können kaum an unseren Problemen arbeiten, wenn ich in dieses Zimmer verbannt werde und du mir ständig mit der Scheidung drohst.“ Er warf seine Anzugjacke auf das Bett und begann an seiner Krawatte zu ziehen, während er Vicki nicht aus den Augen ließ.

„Dein Weg ist auch nicht der richtige“, sagte sie gereizt. Ihre Wangen waren gerötet. „Du willst, dass alles wieder so ist, wie es war – als hättest du nicht zwei Monate in einem Hotel gewohnt … Ich war unglücklich in unserer Ehe. Willst du so eine Frau zurückhaben?“

Ihre Worte taten ihm weh. „Du hast nie etwas gesagt, und dann hast du mir plötzlich eröffnet, du wolltest die Scheidung. Woher sollte ich denn wissen, dass du nicht glücklich warst? Ich bin doch kein Hellseher.“ Caleb fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

Vicky ballte die Hände zu Fäusten. „Nein“, erwiderte sie. „Das bist du nicht. Aber das wäre auch nicht nötig, wenn du dir gelegentlich Zeit nehmen und mir zuhören würdest, statt darauf zu bestehen, dass alles so läuft, wie du es willst, oder gar nicht.“

Caleb wurde langsam wütend. „Du wolltest doch nie irgendwelche Entscheidungen treffen, deshalb habe ich das übernommen.“ Seit dem Tag ihrer Hochzeit hatte er sein Bestes getan, um für Vicki zu sorgen und sie zu beschützen, und das war jetzt der Dank dafür?

„Hast du je darüber nachgedacht, ich könnte vielleicht mehr vom Leben wollen, als immer nur Ja und Amen zu allem zu sagen? Menschen verändern sich, Caleb. Hast du nie in Betracht gezogen, dass das auch bei mir der Fall sein könnte?“

Diese Frage ließ ihn aufhorchen. In seiner Vorstellung war Vicki tatsächlich noch immer die wunderschöne neunzehnjährige Braut, die er vor fünf Jahren über die Schwelle seines Hauses getragen hatte. Wegen des Altersunterschiedes zwischen ihnen und seiner größeren Lebenserfahrung war es nur logisch gewesen, dass er die Führung übernommen hatte.

Dabei hatte es Vicki nicht an Willensstärke gemangelt. Tatsächlich war sie für ihr Alter außergewöhnlich reif gewesen und auch vollkommen bereit und fähig, die Rolle der Ehefrau eines ehrgeizigen jungen Rechtsanwaltes zu übernehmen.

Caleb hätte sich nicht zu Vicki hingezogen gefühlt, wenn er hinter ihrem schüchternen Lächeln nicht einen starken Willen erahnt hätte. Aber während er mit seinen neunundzwanzig Jahren bereits die Härte des Lebens erfahren hatte, war sie in einer Welt aufgewachsen, in der sich jeder an die Spielregeln hielt. Außerdem war er es gewöhnt, Entscheidungen zu treffen, da war ihm erst gar nicht in den Sinn gekommen, das in seiner Ehe anders zu machen.

Er sah sie nachdenklich an. Sie war noch so schlank wie damals, als er sie kennengelernt hatte, und eine klassische Schönheit mit ihren blauen Augen und dem seidigen Haar, das er so gern berührte. Aber ihr Blick hatte sich verändert.

Als sie geheiratet hatten, hatte sie bewundernd zu ihm aufgesehen. Jetzt drückte ihr Blick Distanz aus. Zu seinem Schrecken musste er feststellen, dass er keine Ahnung hatte, was für ein Mensch sich hinter ihrem eleganten Äußeren verbarg.

„Nein, ich schätze, das habe ich nicht“, erwiderte er. Normalerweise verließ er sich immer auf seinen Instinkt. Dieses Eingeständnis kostete ihn einige Überwindung.

Vicki wollte etwas erwidern, doch er kam ihr zuvor.

„Aber gib mir nicht die Schuld für alles“, fuhr er fort. Sie waren beide für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich, und wenn sie daran etwas ändern wollten, mussten sie ehrlich sein. „Du kennst mich. Wenn du mir gesagt hättest, was dich stört, hätte ich versucht, es in Ordnung zu bringen. Ich kann es nicht ertragen, wenn du unglücklich bist.“

Das war der Hauptgrund, weshalb er ihr nie Vorwürfe gemacht hatte, dass sie bei der Liebe keine Leidenschaft zeigte, obwohl ihn dieser Mangel mehr als alles andere belastete. Doch er war nicht in der Lage, Vicki zu verletzen, selbst wenn seine Situation dadurch vielleicht verbessert worden wäre. Von dem Augenblick an, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er sie glücklich machen und sie zum Lächeln bringen wollen.

Vicki wirkte sehr steif in ihrem weißen Leinenkleid. Sie schüttelte den Kopf. „Genau darum geht es. Ich will nicht, dass du die Dinge für mich in Ordnung bringst. Ich brauche …“

„Was, Vicki? Sag mir, was du brauchst.“ Das habe ich sie noch nie gefragt, schoss es ihm durch den Kopf, und er fragte sich, ob er wirklich ein so guter Partner gewesen war, wie er immer geglaubt hatte.

Sogar im Bett hatte er die Führung übernommen, weil er auf seine Fähigkeit als guter Liebhaber vertraut hatte. Trotzdem hatte er es nie geschafft, dass Vicki ihn mit derselben Leidenschaft begehrte, die er für sie empfand. Was wäre, wenn sie etwas anderes brauchte, etwas, das er ihr nicht geben konnte, weil er nicht wusste, was es war? Vielleicht reagierte sie deshalb auf seine Liebkosungen nicht so, wie er es sich wünschte?

Ihre Miene wurde weich. „Ich brauche deine Liebe. Aber du sollst nicht das Bild der perfekten Ehefrau lieben, das lediglich in deiner Vorstellung existiert, sondern die Frau, die ich wirklich bin.“

Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag. „Ich habe nie versucht, dich zu ändern.“

„Nein. Weil du mich nie so gesehen hast, wie ich wirklich bin.“ Das hatte mehr geschmerzt als alles andere, denn sie liebte Caleb Callaghan von ganzem Herzen, unabhängig davon, was er sagte oder was er tat. Sie liebte sein Lachen, seinen Verstand, seinen Dickkopf und auch seinen Charakter.

Aber das reichte nicht. Eine Liebe wie diese konnte einen Menschen langsam von innen heraus vernichten, wenn sie nicht erwidert wurde. Und genau das war der Fall, egal was Caleb glaubte. Für ihren Ehemann war sie die empfindliche exotische Blume, die ständig beschützt werden musste, selbst vor seinen starken Gefühlen.

Genau wie in diesem Augenblick. Seine Fäuste waren geballt, um seinen Mund lag ein harter Zug, aber er beherrschte sich. „Wenn ich dich nicht gesehen habe, mit wem habe ich dann, verflixt noch mal, die letzten fünf Jahre verbracht? Mit einem Gespenst?“

Diese sarkastisch gemeinte Bemerkung traf leider ziemlich genau den Punkt. „Vielleicht.“

„Was soll das heißen?“

Wie sollte sie ihm etwas erklären, was sie selbst erst anfing zu verstehen? „Wer war ich in dieser Ehe, Caleb?“

„Meine Frau.“ Der Blick seiner haselnussbraunen Augen war so schmerzerfüllt, wie sie es noch nie erlebt hatte. „War das nicht genug?“

„Caleb Callaghans Frau“, sagte sie und schluckte. „War ich das wirklich?“

Er runzelte die Stirn. „Was soll diese Frage? Natürlich warst du meine Frau. Das bist du immer noch, und wenn du diesen Blödsinn mit den getrennten Schlafzimmern endlich beendest, könnten wir anfangen, die Dinge in Ordnung zu bringen.“

Wenn ich deine Frau bin, hätte sie am liebsten geschrien, warum hast du mich dann mit Miranda betrogen? Doch mit diesem Thema konnte sie sich jetzt nicht beschäftigen. Vier Monate Abstand hatten nicht gereicht, um diese Wunde auch nur oberflächlich zu schließen. „Das ist kein Blödsinn, Caleb. Das ist eine Tatsache. Also fang zum ersten Mal in deinem Leben an, deiner Ehe Beachtung zu schenken!“

Sie drehte sich um und verließ den Raum. Hinter sich hörte sie Caleb fluchen und etwas gegen die Wand werfen. Aber er folgte ihr nicht. Erleichtert ging sie ins Schlafzimmer. Sie war kurz davor, zusammenzubrechen. Es war eine Sache, sich theoretisch vorzustellen, wie sie mit Caleb umzugehen hatte, und eine ganz andere, ihm gegenüberzustehen und sich mit seiner starken Persönlichkeit auseinandersetzen zu müssen.

Vicki war während ihrer Ehe nicht in der Lage gewesen, zu sagen, was eigentlich hätte gesagt werden müssen. Sie war zu schwach gewesen, um sich gegen Caleb durchzusetzen. Es machte ihr Angst, dass er wieder zu Hause wohnte. Jederzeit konnte sie zusammenbrechen und alles verlieren, was sie in den Monaten ihrer Trennung gewonnen hatte, während sie ihr Leben kritisch betrachtet hatte.

Was sie gesehen hatte, war nicht gerade schön gewesen. Doch zumindest stellte sie sich jetzt ihren Fehlern und befasste sich mit ihren Eheproblemen. Caleb dazu zu bringen, dasselbe zu tun, würde ein harter Kampf werden. Vor zwei Monaten hatte sie alles auf eine Karte gesetzt und ihn um die Scheidung gebeten.

Das war ein Schritt der Verzweiflung gewesen, weil Caleb sich geweigert hatte, auch nur in irgendeiner Form Probleme zuzugeben. Sie hatte ihn aufrütteln und aus seiner Selbstzufriedenheit reißen wollen, damit er merkte, dass das Leben, das sie führten, gar kein richtiges Leben war. Obwohl sie verletzt war, weil er sie auf der Geschäftsreise nach Wellington mit Miranda betrogen hatte, hatte sie den Traum nicht aufgeben wollen, durch den sie am Anfang überhaupt zusammengefunden hatten.

Doch sie war nicht bereit, für diesen Traum ein Leben zu führen, das pure Fassade war. Sie hatte den ersten Schritt gemacht, um das zu ändern, und nun wartete sie darauf, dass Caleb auf sie zukam.

Er hatte sie nicht fallen lassen. Obwohl er ausgezogen war, hatte er jeden Tag mit ihr Kontakt gehabt. Durch die unerwartete Schwangerschaft war ihnen nun noch mehr Zeit geschenkt worden. Zeit genug für Caleb, um sie, Vicki, kennenzulernen und anzufangen, die Frau zu verstehen, die schon immer unter der spröden Oberfläche verborgen gewesen war.

Und dann musste er entscheiden, ob er noch länger mit ihr verheiratet bleiben wollte oder nicht. Vicki hatte jedenfalls nicht die Absicht, sich jemals wieder damit zu begnügen, die Rolle der Ehefrau eines aufstrebenden Anwalts zu spielen. Die Frage war, ob Caleb nicht vielleicht genau so eine Frau als Ehepartnerin wollte.

Eine Frau, die nichts von ihm forderte als Geld und gesellschaftlichen Status. Eine Frau, die schweigen würde, selbst wenn ihr Mann ihr untreu war. Eine Frau, die nie daran denken würde, ihren gewohnten Lebensstil aufzugeben, indem sie sich von ihrem Mann scheiden ließ, weil er sie nicht liebte.

2. Kapitel

Caleb war schlecht gelaunt. Er hatte eigentlich erwartet, die Nacht mit seiner Frau zu verbringen. Stattdessen drehte er sich im Gästezimmer ruhelos von einer Seite auf die andere, während Vicki nur wenige Meter von ihm entfernt lag. Als er schließlich durch schrilles Weckerläuten aufwachte, war er mit den Nerven am Ende.

Er verstand nicht, weshalb Vicki ihm das antat. So unvernünftig hatte sie sich noch nie verhalten. Wie konnte sie bloß erwarten, ihn auf Abstand zu halten, wenn sie unter einem Dach wohnten und sie ein Baby von ihm bekam? Für ihn gehörten getrennte Betten nicht zu einer Ehe. Außerdem sehnte er sich nach Vicki, verdammt noch mal! Vermisste sie ihn denn überhaupt nicht?

Nach einer raschen Dusche zog er sich an und ging in die Küche, wo er eine kühle Begrüßung von der Frau erwartete, von der er die ganze Nacht geträumt hatte. Vicki stand am Küchentresen und schenkte gerade Kaffee für ihn ein.

Calebs Stimmung hob sich. „Ich hatte schon halb erwartet, du würdest mir sagen, ich solle mich selbst versorgen.“ Das hatte er schließlich während der letzten beiden Monate gemacht.

Sie lächelte. „Ich weiß doch, wenn ich dir kein Frühstück mache, kriegst du nichts Vernünftiges in den Magen.“

Er setzte sich auf einen Hocker auf der anderen Seite des Tresens und genoss das Gefühl, wieder zu Hause zu sein.

„Zählen Snacks aus Automaten als vernünftiges Essen?“, fragte er scherzhaft, um in die frühere Routine zurückzufinden. Die Zeit im Hotel war schrecklich gewesen, und er hatte nicht die Absicht, noch einmal so ein elendes Leben zu führen, egal was er tun musste, um Vicki zurückzugewinnen.

Sie hob die Augenbrauen und warf ihm einen kurzen Blick zu, während sie ein paar Eier in eine Schüssel gab. „Ich hoffe, das soll ein Scherz sein.“

Caleb konnte kochen. Das hatte er gezwungenermaßen schon als kleines Kind gelernt, um für sich und seine jüngere Schwester zu sorgen, weil ihre Eltern zu beschäftigt mit sich selbst waren. Doch vom ersten Tag ihrer Ehe an hatte Vicki die Küche übernommen, und er hatte das bereitwillig zugelassen. Insgeheim hatte er sich immer gefreut, dass seine Frau sich genug aus ihm machte, um ihm gesundes Essen zuzubereiten. Niemand hatte das je zuvor getan.

Als er den Teller mit Rührei und Schinken und eine Tasse Kaffee von ihr entgegennahm, lächelte er sie versuchsweise an. „Leistest du mir nicht Gesellschaft?“ Das Frühstück war eine der wenigen Mahlzeiten, die sie regelmäßig gemeinsam einnahmen.

Sie verzog das Gesicht. „Ich glaube, ich warte lieber noch eine Stunde oder so.“

„Bist du in Ordnung, Liebling?“

Sie lächelte und sah dabei so schön aus, dass er einen Stich im Innern spürte. „Mir ist bloß ein bisschen übel. Das kommt neuerdings öfter am Morgen vor.“

„Ist das nicht immer so?“ Er war fasziniert von dem Leben, das in ihr wuchs, und hoffte, dass sie ihn nicht von dieser neuen Erfahrung ausschloss.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das kommt und geht, wie es will. Aber ich habe Glück, denn mir ist nicht besonders oft schlecht. Iss jetzt, sonst kommst du zu spät.“

Er gehorchte und beobachtete dabei, wie sie in der Küche herumhantierte. Sie trug Jeans und eine flauschige blaugrüne Strickjacke, die ihre zierliche Figur betonte. Dass sie schwanger war, konnte man ihr noch nicht ansehen. Äußerlich wirkte Vicki noch genauso wie vor fünf Jahren, als sie geheiratet hatten.

„Toast?“ Sie nahm zwei Scheiben aus dem Toaster, bestrich sie mit Butter und reichte sie ihm.

Als er sie nahm, fiel sein Blick auf einen blassrosa Umschlag, der am anderen Ende des Küchentresens neben der Obstschale lag. „Was ist das?“

„Eine Karte von Mutter.“

Besorgt musterte er sie. „Was steht darin?“

„Nur dass sie vielleicht in ein, zwei Wochen nach Auckland kommt und dann mit mir Kontakt aufnimmt. Iss.“ Sie winkte ab und steckte den Umschlag in die Gesäßtasche ihrer Jeans.

Caleb überlegte, ob Vicki wirklich so unbeschwert war, wie sie sich gab. Danica Wentworth’ seltene Besuche wühlten Vicki in der Regel immer ziemlich auf. Mehr als einmal hatte er versucht, mit ihr darüber zu reden. Aber das wehrte sie jedes Mal mit einer Heftigkeit ab, die dafür sprach, wie verletzt sie war, und er war nie weiter in sie gedrungen. Auch in seiner Vergangenheit gab es Dinge, über die er absolut nicht sprechen wollte.

Er hatte Verständnis für Vickis Zurückhaltung. Welches Kind würde sich an eine Mutter erinnern wollen, die es wegen eines Liebhabers im Stich gelassen hatte? Obwohl dieser Mann dann eine andere geheiratet hatte, führte Danica bis zum heutigen Tag mit ihm eine Beziehung. Sie hatte ihn nie verlassen, wie sie damals ihre vier Jahre alte Tochter verlassen hatte. Schlimmer, sie hatte Vicki der Mutter ihres Ex-Mannes anvertraut, einer Frau, die so mütterlich war wie eine Schlange.

Vicki warf ihm einen neugierigen Blick zu, weil er sie nachdenklich ansah. „Was ist denn?“

„Nichts.“ Zumindest nichts, das er jetzt in Worte fassen konnte.

Gern wäre er jetzt zu ihr gegangen, hätte Vicki in die Arme genommen und ihr gezeigt, was er für sie empfand. Danach sehnte er sich schon eine Ewigkeit. Aber er hielt sich zurück, weil er wusste, dass sie diesen Vorstoß nicht begrüßen würde.

„Gehst du heute ins Gericht?“ Sie musterte seinen schwarzen Anzug und ging zu seiner Überraschung zu ihm, um seinen Hemdkragen zu richten. Ihr zarter Duft stieg ihm in die Nase.

Caleb nickte und bemühte sich, nicht so verblüfft auszusehen, wie er war. Vicki berührte ihn äußerst selten von sich aus. „Der Fall Dixon gegen McDonald.“

Ihre Blicke trafen sich, und Vicki ließ die Hände sinken, als wäre sie selbst überrascht. „Zwei Firmen, die sich um ein Patent streiten, richtig?“ Eine zarte Röte erschien auf ihren Wangen. Sie ging wieder hinter den Tresen und nahm die Kanne, um ihm Kaffee nachzufüllen. „Glaubst du, ihr werdet gewinnen?“

„Callaghan & Associates gewinnen immer.“ Er lächelte, obwohl er jetzt noch mehr durcheinander war. Vicki war irgendwie völlig anders.

Obwohl sie seinem Blick auswich, lachte sie. „Was macht ihr eigentlich mit einem Patentfall? Ich dachte, das wäre ein echtes Spezialgebiet.“

Wie sehr habe ich ihr Lachen vermisst! dachte Caleb. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie lange er es nicht mehr gehört hatte – schon Monate bevor er ins Hotel gezogen war. „Wann hast du angefangen, meine Akten zu lesen?“, fragte er im Plauderton, obwohl sich sein schlechtes Gewissen meldete. Warum hatte er nicht früher bemerkt, wie unglücklich sie war? Sogar als sie mit ihrer Bitte um Scheidung seine heile Welt erschüttert hatte, war ihm das nicht klar geworden. Warum nicht? War er so beschäftigt mit seiner Arbeit, dass er darüber die Frau vergessen hatte, die er versprochen hatte zu lieben, zu achten und zu ehren?

Nach einer Weile hob sie den Kopf. „Schon immer.“

„Aber du hast nie mit mir über irgendeinen Fall gesprochen.“ Sie hatte auch nie über die Anwaltskanzlei gesprochen, die er mit so viel Mühe und Schweiß aufgebaut hatte, obwohl sie Teil ihres gemeinsamen Lebens war. „Selbst wenn du Dinnerpartys für meine Mandanten gegeben hast, hast du kaum Fragen gestellt.“

„Weil ich nicht dumm wirken wollte. Schließlich habe ich keine juristische Ausbildung. Außerdem hatte ich den Eindruck, du wolltest nie über deine Arbeit reden, wenn du nach Hause gekommen bist. Ich dachte immer, das hätte vielleicht irgendetwas mit Vertraulichkeit zu tun.“

Erstaunt über ihren unsicheren Ton sah er auf. „Du könntest nicht einmal dumm wirken, wenn du das wolltest. Außerdem hält uns die Schweigepflicht nicht davon ab, Dinge im Allgemeinen zu diskutieren, wie wir das gerade gemacht haben. Ich habe nie über meine Arbeit gesprochen, weil ich dachte, das würde dich nicht interessieren.“ Warum habe ich das eigentlich gedacht? überlegte er.

Darauf fiel ihm keine Antwort ein, aber er entschied, diesen Fehler wiedergutzumachen. „Der Grund, weshalb wir in diesen Fall verwickelt sind, ist der, dass der Mandant bei Marsha Henrikkson geblieben ist, als sie in unsere Kanzlei wechselte.“ Marsha Henrikkson war der Name einer neuen Mitarbeiterin. „Sie ist eine sehr kompetente Patentanwältin.“

Vicki strahlte ihn an.

„Was denn?“, fragte Caleb. Er freute sich, weil er seine Frau zum Lächeln gebracht hatte. Sonnenlicht fiel auf die hölzerne Oberfläche des Küchentresens, und mit einem Mal überkam ihn eine bittersüße Erinnerung. Er dachte daran, als er die Oberfläche des Tresens selbst abgeschliffen hatte. Er hatte hochgesehen und Vicki entdeckt, die ihn lächelnd dabei beobachtet hatte. Damals hatte er noch voller Hoffnung in die Zukunft geblickt, und übermütig hatte er seine Frau in die Arme genommen und sie umhergewirbelt, bis sie erschöpft und lachend zu Boden gesunken waren.

„Nichts.“ Sie lächelte immer noch, als sie fragte, ob er noch mehr Toast haben wollte.

Die Erinnerung verblasste. „Nein, das reicht mir.“ Er nahm einen letzten Schluck Kaffee und stand auf. Leider hatte er am Morgen einen Termin, denn er wäre viel lieber noch geblieben. Viel zu lange war es her, seit sie so unbeschwert miteinander umgegangen waren. „Ich rufe an, falls es spät wird.“

„Aha.“

Er bemerkte ihren spitzen Ton. „Was soll das heißen?“ Wenn direkte Fragen nötig waren, um mehr über diese faszinierende Frau zu erfahren, die heute mehr Feuer und Leidenschaft gezeigt hatte als während ihrer ganzen Ehe, dann würde er so viele stellen, wie nötig waren.

Ihr Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an. „Du kommst immer spät, Caleb. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal zusammen zu Abend gegessen haben, ohne dass ein geschäftlicher Anlass dahintersteckte.“

Er hatte nicht gewusst, dass sie sich etwas daraus machte, ob er da war oder nicht. Schließlich konnte sie es kaum ertragen, wenn er sie anfasste. Doch wenn er mit ihr zusammen war, wollte er sie berühren. Ihre Abneigung gegen seine Zärtlichkeiten tat ihm unendlich weh. Trotzdem war sie immer noch die einzige Frau, mit der er verheiratet sein wollte. „Willst du, dass ich zum Abendessen zu Hause bin?“

„Natürlich will ich das!“ Sie runzelte die Stirn. „Du bist mein Mann.“

„Dann werde ich zu Hause sein.“

Ein unerwartetes Lächeln hellte ihre Miene auf. „Wirklich?“

„Versprochen.“ Am liebsten hätte er sie jetzt einfach auf den hübschen Mund geküsst.

Sie trat einen Schritt näher. „Ich werde auf dich warten.“

Er sehnte sich danach, dass sie ihn berührte, ihn umarmte, irgendetwas in dieser Richtung. Aber solche Gesten waren Vicki fremd, und schließlich hatte Caleb gelernt, sein eigenes Naturell zu unterdrücken und Vicki nicht um Dinge zu bitten, die sie nicht geben konnte. Selbst wenn ihn das tief im Innern verletzte.

Vicki beobachtete, wie Caleb in seine dunkle Limousine stieg und wegfuhr. Dass er, ohne zu zögern, versprochen hatte, früh nach Hause zu kommen, hatte sie völlig verblüfft, wenn man bedachte, wie sehr er in seiner Arbeit aufging.

Vicki hasste es, dass seine Anwaltskanzlei für ihn an erster Stelle stand. Dieses Gefühl war so stark, dass sie bestimmt verbittert geworden wäre, wenn sie nicht beschlossen hätte, etwas dagegen zu tun. Calebs bereitwilliges Versprechen, rechtzeitig zum Abendessen nach Hause zu kommen, ließ sie hoffen, dass ihr Kampf nicht so aussichtslos war, wie sie bisher gedacht hatte. Vielleicht würde Caleb ihr jetzt endlich zuhören.

Aber höre ich ihm zu? schoss es ihr durch den Kopf. Als Caleb sie vorhin in der Küche angeschaut hatte, hatte etwas Rätselhaftes in seinem Blick gelegen. Er hatte ausgesehen, als wollte er etwas sagen oder etwas tun, aber er hatte sich zurückgehalten. Diesen Eindruck hatte sie oft in seiner Gegenwart.

So war das nicht immer gewesen. Am Anfang ihrer Ehe war sie fast erdrückt worden von Calebs starken Emotionen. Beinahe hatte sie Angst gehabt, weil er sich so sehr auf sie konzentriert hatte. Doch gleichzeitig hatte sie das auch sehr genossen. Dann hatte sich etwas zwischen ihnen verändert, so als wäre etwas kaputtgegangen.

Wenn sie beispielsweise früher zu ihm gegangen wäre, um seinen Hemdkragen zu richten, hätte er sie auf den Schoß gezogen und sie geküsst, bis sie um Gnade gefleht hätte, ganz egal wie wütend sie vorher aufeinander gewesen wären. Vicki hatte ihn heute Morgen absichtlich berührt. Das war ein Test gewesen, wie viel noch von der früheren Leidenschaft übrig war. Das Ergebnis war niederschmetternd gewesen.

Was war nur mit dem Feuer passiert, das einst zwischen ihnen gelodert hatte? Hatte sie es zerstört? Sie wusste nicht, was sie denken sollte, denn in ihr kämpften zwei Seelen. Auf der einen Seite stand ihre Erfahrung und auf der anderen das, was sie als Kind über anständiges Benehmen gelernt hatte. Wozu vor allem gehörte, dass man die Kontrolle über seine Gefühle behielt. Das Einzige, was sie wusste, war, dass ihr das Leben nicht mehr gefallen würde, wenn sie Caleb nicht wieder so viel bedeutete wie früher.

Er hatte recht. Er war nicht der Einzige, der in ihrer Ehe Fehler gemacht hatte.

3. Kapitel

Als Caleb an diesem Abend nach Hause kam, fand er Vicki im Wohnzimmer am Telefon vor. Sie trug ein ärmelloses schwarzes Kleid, das sich eng an ihre Kurven schmiegte, und sah einfach zum Anbeißen aus. Caleb schluckte. Was mochte es wohl bedeuten, dass sie so ein verführerisches Kleid zum Abendessen angezogen hatte?

„Ist etwas los?“ Er warf seine Aktentasche auf das Sofa und zog Mantel und Jackett aus. Der Herbst ging langsam in den Winter über, und die Brise, die von der Bucht her wehte, wurde immer frischer. Doch im Haus war es warm, und Sonnenlicht fiel durch die Fenster und die Oberlichter.

„Deine Sekretärin hat gerade angerufen. Sie sagte, sie habe vergessen, dir zu sagen, dass sie es geschafft hat, einen neuen Termin mit Mr. Johnson zu vereinbaren. Das Treffen findet jetzt morgen früh um acht Uhr statt.“

Das war die Verabredung, die Caleb abgesagt hatte, um zum Abendessen zu Hause zu sein. „Danke, dass du die Nachricht entgegengenommen hast. Mein Handy funktioniert nicht. Ich habe vergessen, den Akku aufzuladen.“ Er zog die Krawatte aus und legte sie ebenfalls aufs Sofa. Dann öffnete er die beiden obersten Hemdknöpfe und ging zu Vicki. „Warum dieses Kleid?“ Wie gern hätte er jetzt ihre nackten Arme gestreichelt!

„Es war nicht Miranda, die mich anrief“, sagte sie und sah ihn stumm an, in Erwartung einer Erklärung.

Wenn es eine Sache gab, über die er nicht diskutieren wollte, dann war das seine frühere Sekretärin. „Nein. Sie hat uns schon vor einer Weile verlassen.“ Er erlag der Versuchung und strich mit der Hand über die seidige Haut ihrer Schulter. Vicki erschauerte, aber sie entzog sich nicht. Doch das tat sie nie.

Vicki wollte fragen, warum Miranda weggegangen war, doch der Mut verließ sie, als ihr ein neuer Gedanke kam: Was wäre, wenn Miranda nicht länger Calebs Sekretärin war, weil sie inzwischen eine andere Rolle übernommen hatte? Solche Arrangements waren nicht unüblich in den Kreisen, in denen sie aufgewachsen war. Ihre eigene Mutter war ein perfektes Beispiel dafür. Außerdem hatte Caleb zwei Monate getrennt von ihr gelebt. Vielleicht war er des Wartens müde geworden.

„Vicki?“

Die Bemerkung, die sie hatte machen wollen, war ihr entfallen. Verzweifelt senkte sie den Blick, um die Fassung wiederzuerlangen. Doch plötzlich schien sich um sie herum alles zu drehen. „Ich muss mich setzen …“ Dann konnte sie nicht mehr sprechen.

Caleb fluchte laut. Er fing sie auf und trug sie zum Sofa. Dort setzte er sich und hielt sie fest. „Vicki, was hast du? Sprich mit mir. Komm schon, Liebling.“

Sie holte ein paar Mal tief Atem und überließ sich der Umarmung ihres Mannes, der als Einziger je zärtlich zu ihr gewesen war. „Ich bin in Ordnung. Gib mir nur einen Moment.“

„Bist du vielleicht krank? Stimmt irgendetwas mit dem Baby nicht?“

„Nein, nein. Mir geht es gut. Uns beiden geht es gut.“ Als Vicki merkte, dass sich einige Strähnen aus ihrem sorgfältig hochgesteckten Haar lösten, hob sie die Hand, um sie wieder festzustecken. Caleb folgte mit dem Blick ihrer Bewegung.

Da erinnerte sie sich an etwas.

Statt ihre elegante Frisur zu ordnen, zog sie alle Haarnadeln heraus und ließ das Haar offen auf die Schultern fallen. Caleb hatte es immer gemocht, wenn sie das Haar offen trug, obwohl er das nie laut ausgesprochen hatte. Manche Dinge wusste eine Frau einfach.

„Wenn ihr beide in Ordnung seid, warum hattest du dann einen Schwächeanfall?“

Weil mir gerade klar geworden ist, dass du eine Geliebte haben könntest, dachte sie, sprach es aber nicht aus. In den vergangenen Monaten war sie vielleicht stärker geworden, aber sie war nicht stark genug, um seine Erwiderung auf diese Behauptung zu hören. Noch nicht. Solange sie nichts darüber sagte, konnte Caleb sie auch nicht anlügen und damit den Neuanfang ihrer Beziehung zerstören.

„Ich glaube, ich habe mich zu sehr angestrengt“, erklärte sie ausweichend. „Ich hätte mich während des Tages wahrscheinlich öfter hinsetzen sollen.“

„Bist du sicher, dass das alles ist?“ Liebevoll massierte er ihr den Nacken, und wie immer löste er mit seiner Berührung sinnliche Empfindungen in ihr aus, die ihr gefielen, die ihr aber gleichzeitig auch Angst machten.

Hat er das ebenfalls bei Miranda getan? Hör auf, befahl sie sich. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Befürchtungen und ihre Eifersucht die Entscheidung beeinflussten, die sie ganz bewusst getroffen hatte.

Während sie von Caleb getrennt gewesen war, hatte sie trotz ihres Schmerzes und ihrer Wut auf ihn akzeptiert, dass sie ihn zutiefst liebte. Diese Erkenntnis hatte sie angespornt, um ihre Ehe zu kämpfen. Doch sie würde sie nicht davon abhalten, zu gehen, wenn sie scheiterte. Wenn sie sich jetzt jedoch von der Vergangenheit beherrschen ließ, dann würde ihre Ehe mit Sicherheit zerbrechen. Um ihres Kindes willen musste sie über Calebs Beziehung zu Miranda hinwegkommen.

„Woran denkst du, Liebling? Ist wirklich alles in Ordnung?“

Sie wollte nicken, aber ihre Lippen formten ein „Nein“. Es gab eine Wunde, über die sie vielleicht niemals bereit wäre zu sprechen, aber ein anderes Thema musste endlich offengelegt werden. „Ich habe heute viel über uns nachgedacht.“

Sein Blick schien etwas härter zu werden, aber Caleb hörte nicht auf, Vickis Nacken zu massieren. „Was gibt es da nachzudenken? Wir sind verheiratet, und du bekommst unser Kind.“

„Nein, Caleb. Bitte fang nicht wieder an. Hör mir zu.“

„Sprich.“

„Du warst wegen der getrennten Betten letzte Nacht wütend.“ Aber nicht wütend genug, um woanders hinzugehen, fügte sie im Stillen als Trost für sich hinzu.

„Ich will mit meiner Frau in einem Bett schlafen. Was ist daran falsch?“

„Das Bett war nicht gerade der glücklichste Ort für uns, oder? Ich war niemals … Frau genug für dich. Ich konnte dich nie befriedigen.“ Vicki kostete es unglaublich viel Überwindung, das auszusprechen, aber es führte kein Weg daran vorbei.

„Liebe Güte, Vicki.“

„Du weißt, dass ich recht habe.“ Egal, wie demütigend es für sie war, das zuzugeben, ihr Versagen im Bett hatte dazu beigetragen, ihn in die Arme einer anderen Frau zu treiben. Wenn Vicki Caleb zurückhaben wollte, musste sie sich damit auseinandersetzen.

Caleb wusste nicht, was er tun sollte. Er war es gewohnt, die Führung zu übernehmen, aber in diesem Moment kam er sich ziemlich verloren vor. Er streichelte Vickis Wange. „Mach nicht so ein trauriges Gesicht, Liebling.“ In den letzten Jahren hatte er oft einen gequälten Ausdruck an ihr bemerkt.

Er hatte gedacht, Vicki würde aufblühen, sobald sie nicht mehr unter dem Einfluss ihrer rigiden Großmutter stand. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Ihr Strahlen war immer mehr verblasst, und Caleb fürchtete, er hätte irgendetwas in ihr zerstört. „Das ist nichts, was wir nicht in Ordnung bringen können.“

„Denkst du das wirklich?“

„Ja. Aber wir schaffen das nicht, wenn du mich nicht in dein Bett lässt.“ Als sie keine Antwort gab, startete er einen weiteren Annäherungsversuch. „Wir fangen ganz neu an – alles wird anders.“

„Ja, das muss es, nicht wahr?“ Sie schlang die Arme um seinen Nacken und legte den Kopf an seine Schulter. „Ach, Caleb, ohne dich habe ich mich so einsam gefühlt.“

Er kannte sie gut genug, um die Botschaft zu verstehen, die ihr anschmiegsamer Körper aussandte. Caleb hoffte bloß, dass er sich nicht täuschte. Weiter würde Vicki niemals gehen, um den ersten Schritt zu machen. Er nahm sie auf seine Arme und trug sie ins gemeinsame Schlafzimmer. Als sie sich fester an ihn klammerte, fühlte er sich erleichtert.

Vielleicht würde es diesmal anders werden, nachdem sie endlich dieses schmerzliche Thema angesprochen hatten. Vielleicht würde Vicki jetzt auf seine Zärtlichkeiten in einer Weise reagieren, nach der er sich immer bei ihr gesehnt hatte.

Sie sagte kein Wort, als er sie herunterließ. Eine ganze Weile sahen sie sich schweigend an. Sie kamen sich vor wie zwei Hungernde vor einem Festessen. Im selben Augenblick, als Caleb die Arme nach Vicki ausstreckte, schloss sie die Augen und sank in seine Arme.

Mit den Händen umrahmte er ihr Gesicht und küsste sie auf den Mund. Darauf hatte Vicki immer reagiert, und auch jetzt erwiderte sie seinen Kuss mit großer Leidenschaft. Er genoss ihre Küsse. Während sie sich liebten, war das der einzige Hinweis darauf, dass sie ihn begehrte.

Deshalb küsste er sie jetzt lange und intensiv … und hoffte. Als sie leise seufzte und eine kleine, unsichere Bewegung machte, glitt er mit den Händen zum Rücken ihres Kleides und öffnete den Reißverschluss. Dann strich er mit den Fingern ihre Wirbelsäule hoch. Ihre Haut fühlte sich wundervoll zart an, und er hätte dieses Gefühl, sie zu berühren, gern noch länger ausgekostet. Doch irgendwie hatte er eine Ahnung, er müsse sich beeilen. Er sagte sich, dass er später noch Zeit haben würde, Vicki ausgiebig zu streicheln. Dann streifte er ihr das Kleid über die Schultern und die Arme. Vicki ließ ihn nur so lange los, wie es nötig war, das Kleid auszuziehen.

Raschelnd glitt das Kleid auf den Boden und bauschte sich um ihre nackten Füße. Der Anblick ihres fast nackten Körpers überraschte ihn. Sie hatte hübsche kleine Brüste und trug deshalb oft keinen BH … so wie heute Abend. Das machte ihn fast verrückt vor Begierde.

Wieder küsste er Vicki und begann mit den Daumen ihre Knospen zu streicheln. Seufzend holte sie Atem, aber sonst zeigte sie keine Reaktion. Ihre Hände lagen immer noch um seinen Nacken, doch sie presste sich nicht fester an ihn. Aber Caleb gab nicht auf.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, schlüpfte er aus seinem Hemd. Anschließend zog er Vicki noch dichter zu sich heran. Ihre Brüste streiften seinen Oberkörper. Doch ihr Körper reagierte nicht auf seine Liebkosungen, nur die Art, wie Vicki seine Küsse erwiderte, ließ ihn hoffen.

Schließlich gab er ihre Lippen frei, hob Vicki hoch und legte sie auf das breite Bett, das sie kurz vor ihrer Hochzeit gemeinsam ausgesucht hatten.

Calebs Hände zitterten leicht, als er Vickis Slip herunterzog. Zwei Monate Enthaltsamkeit steigerten seine Begierde. Vicki war die schönste Frau, die er je gesehen hatte, und er wollte sich ausgiebig mit jedem Zentimeter ihres herrlichen Körpers beschäftigen. Doch ein langsames, gefühlvolles Liebesspiel erforderte mehr als nur Bereitschaft. Völlige Akzeptanz und gegenseitiges Vertrauen auf einer sehr intimen Basis wären nötig. Aber sogar heute Abend hielt Vicki ihn auf Abstand und verschloss sich vor ihm.

Seit fünf Jahren liebte er seine Frau so selten wie möglich, obwohl er sie mehr brauchte als die Luft zum Atmen. Doch er wollte sie mit seinem Verlangen nicht belasten. Ihre Küsse waren immer leidenschaftlich, und sie war immer bereit für ihn, wenn er in sie eindrang. Doch sonst zeigte sie keine Reaktion, egal wie sehr er sich anstrengte.

Da spielte es auch keine Rolle, dass sie jedes Mal zum Höhepunkt kam. Für ihn zählte, wie sehr sie jedes Vergnügen bekämpfte, das er ihr zu schenken versuchte, und dass sie niemals von Verlangen nach ihm überwältigt wurde. Selbst im Schlafzimmer, wenn sie sich so nahe waren wie sonst nie, weigerte seine Frau sich, ihre kühle Eleganz abzulegen.

Trotzdem gab er die Hoffnung nicht auf. Er streifte die Schuhe ab und legte sich halb über Vicki gebeugt auf das Bett. Als er sie in die Arme nahm, küsste er sie und glitt streichelnd mit der Hand über ihren Körper. Zärtlich umfasste er ihren Po, dann berührte er ihre Hand.

Sie war zur Faust geballt.

4. Kapitel

Frustriert rollte sich Caleb weg. „Verdammt!“ Er würde Vicki nicht lieben, wenn sie den Akt einfach nur duldsam ertrug. Vor der Trennung hatte sie sich wenigstens an ihn geklammert, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Dadurch hatte er sich immer einreden können, dass sie ihn begehrte. Aber so … nein, so nicht. Etwas in ihm zerbrach. Nach all den Jahren war er an seine Grenze gelangt.

Er hörte, wie Vicki sich bewegte, und glaubte, ein unterdrücktes Schluchzen zu hören, während sie unter die Bettdecke schlüpfte. Caleb hatte das Gefühl, dass ein Messer in seinen Eingeweiden steckte. Er fuhr sich mit den Händen durch das Haar, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Er wusste nicht, ob er mit so viel Enttäuschung fertigwerden würde. Nach ein paar Minuten blickte er zu Vicki. Sie lag auf der Seite und hatte ihm den Rücken zugewandt.

Caleb dachte daran, wie oft sie ihm schon im Bett den Rücken zugewandt hatte, und wurde plötzlich wütend. „Warum hast du mich geheiratet, wenn du meine Berührungen nicht ertragen kannst?“

Vicki versteifte sich, und erschrocken drehte sie sich zu ihm um. „Ich liebe es, wenn du mich berührst.“

Er lachte verbittert auf. „Ja, genau. Deshalb kannst du es immer nicht erwarten, dass ich fertig bin, wenn wir uns lieben, damit du dich wieder wegdrehen und so tun kannst, als wäre nichts gewesen.“

Unfähig, ihr zu sagen, was sie mit ihrem Verhalten bei ihm anrichtete, hatte er seine ganze Kraft auf die Arbeit konzentriert. In fünf Jahren hatte er mit seiner Anwaltskanzlei mehr erreicht als viele andere in ihrem ganzen Leben. Doch niemand wusste, wie es in seinem Inneren aussah und dass sein phänomenaler Erfolg auf Selbstverrat beruhte, weil er ständig seine leidenschaftlichen Gefühle unterdrückte.

Vicki rüttelte Caleb an der Schulter und zwang ihn, sie anzusehen. Ihr Blick wirkte gequält. „Nein, das ist nicht wahr. Ich habe nie … ich genieße es, wenn du mich liebst.“

Sie hatte mit dem Thema angefangen, richtig, aber wenn sie nicht bereit war, sich die Tiefe ihrer Probleme einzugestehen, sah er keinen Ausweg. Caleb setzte sich auf. „Ich werde eine kleine Fahrt machen.“ Seine Stimme war rau, er war längst nicht mehr erregt. Rasch griff er nach seinem Hemd, schlüpfte in die Ärmel und verließ das Zimmer.

„Caleb, warte!“

Er fühlte sich abgelehnt, und da er nicht wollte, dass sie ihn in diesem Zustand sah, tat er so, als hätte er nichts gehört, und ging einfach weiter.

Ungefähr um zwei Uhr morgens gab Vicky den Versuch auf, einzuschlafen. Caleb war schon lange wieder zurück, doch sie hatten nicht zusammen gegessen und den Abend gemeinsam verbracht, für den sie sich mit so viel Hoffnung hübsch gemacht hatte. Wie so oft in der Vergangenheit war auch dieser Abend misslungen, außer dass diesmal nicht Calebs Arbeit daran schuld war, sondern ihre eigene Feigheit.

Sie lag auf dem Rücken und starrte mit tränenfeuchten Augen zur dunklen Zimmerdecke. Was war nur aus ihrem Leben geworden? Es hatte keinen Sinn, so zu tun, als wäre Caleb für ihre zerstörten Träume und das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich. Sie, Vicki, war mindestens ebenso schuld daran, wenn nicht sogar mehr. Wenn sie Caleb nur von Anfang an erzählt hätte, was sie fühlte! Dann wäre er niemals auf die Idee gekommen, dass sie ihn nicht begehrte.

Wie hatte er das nur ausgehalten?

„Er ist stark“, flüsterte sie. Stark und gewohnt, für alles im Leben zu kämpfen. Doch er war nicht in der Lage gewesen, sie von ihren Hemmungen zu befreien, die das Ergebnis von Großmutter Adas erbarmungsloser Erziehung waren.

Warum hatte Caleb ihr nie gesagt, was sie ihm antat? Und warum hatte sie ihn nie gefragt, was er sich im Bett wünschte? Weil sie gewohnt war, dass er die Führung übernahm, hatte sie ihm immer nur erlaubt, sie zu befriedigen. Aber wann hatte sie versucht, ihm Vergnügen zu bereiten?

Nie.

Sie spürte einen Stich im Innern. Ihre Unerfahrenheit war keine Entschuldigung, denn sie hatte schon bald gemerkt, dass Caleb sich etwas von ihr wünschte, von dem sie nicht wusste, wie sie es ihm geben sollte. Statt ihn zu fragen, hatte sie den Kopf in den Sand gesteckt und so getan, als wäre alles okay. Sie hatte die Taktik benutzt, die ihr geholfen hatte zu überleben, nachdem ihre Mutter sie Adas Obhut überlassen hatte. Doch nur zu überleben, das genügte ihr nicht länger. Sie wollte glücklich sein.

Sie schob die Decke beiseite, stand auf und ging barfuß, nur mit einem dünnen Pyjama bekleidet, den Flur entlang zur Küche. Der Mond schimmerte durch die Fenster und verbreitete eine romantische Atmosphäre, als wollte er Vicki verspotten. Sie nahm die Milch aus dem Kühlschrank und goss sich ein Glas ein. Dann stellte sie die Milch zurück und legte anschließend die kühlen Finger auf die Augenlider.

Die Dielen knarrten am anderen Ende des Flurs, und im nächsten Moment kam Caleb, nur mit schwarzen Boxershorts bekleidet, in die Küche. „Was machst du denn noch hier?“ Seine Stimme klang rau, sein Haar war zerzaust.

„Ich konnte nicht schlafen.“ Als Erklärung hob sie ihr Glas. „Möchtest du auch etwas trinken?“ Caleb stand nur wenige Meter von ihr entfernt, und trotzdem war er meilenweit weg. Vicki wusste nicht, ob sie den Mut hatte, den Abstand zu überbrücken und zu ihm zu gehen.

Er machte eine ablehnende Geste.

Vicki trank ihr Glas leer und stellte es in die Spüle. „Habe ich dich aufgeweckt?“ Wollte sie jetzt tatsächlich so tun, als hätte er sie nicht nackt und allein im Bett zurückgelassen? Wollte sie weiterhin ein Leben in ihrer eigenen Fantasiewelt führen? Oder würde sie sich endlich dazu überwinden, zu sagen, was gesagt werden musste?

„Nein, du hast mich nicht geweckt.“

Caleb war unglaublich schön, doch sie hatte Angst, ihn zu berühren. Sie schluckte und ging über die kühlen Bodenfliesen, bis sie nur noch eine Armlänge von ihm entfernt war. „Bestimmt hast du morgen einen anstrengenden Tag. Du solltest versuchen zu schlafen.“ Warum konnte sie bloß nicht sagen, was sie so verzweifelt gern sagen wollte?

Sie bemühte sich, die Wahrheit herauszubringen, kämpfte gegen die jahrelange Erziehung an, durch die ihr eingetrichtert worden war, Leidenschaft und Begierde seien gefährlich und schlecht. Sie spürte, wie sich Worte in ihr bildeten, aber wie sehr sie sich auch bemühte, die Angst schnürte ihr die Kehle zu, und sie brachte keinen Ton heraus.

Ein enttäuschter Ausdruck erschien auf Calebs Gesicht, doch Vicki war sich nicht sicher, ob sie in dem halbdunklen Raum richtig sah. Caleb trat einen Schritt beiseite, um sie durchzulassen, dann folgte er ihr. Nachdem sie die Tür zum Schlafzimmer geschlossen und sich dagegengelehnt hatte, hörte sie, wie er wenige Sekunden später das Gästezimmer betrat.

Tränen brannten ihr in den Augen, doch sie weinte nicht. Was war nur mit ihr los? War sie so feige, dass sie nicht einmal die notwendigen Schritte unternehmen konnte, um ihre Ehe zu retten? Wollte sie in dem unbefriedigenden Zustand verharren und ihren Mann weiter glauben lassen, sie würde seine Berührungen nicht ertragen?

Sie war unglaublich wütend auf sich selbst. Am liebsten hätte sie geschrien. Sie zwang sich, sich an die beiden Monate zu erinnern, die sie allein in diesem Haus verbracht hatte. An jedem einzelnen Tag war sie in dieses Schlafzimmer gekommen, hatte sich in dieses Bett gelegt und sich nach Caleb gesehnt. Sie hatte auf seiner Seite des Bettes geschlafen, hatte seine alten Hemden getragen und die ganze Nacht davon geträumt, wie sie sich liebten.

Wollte sie erneut so ein Leben führen? Zweifellos würde ihr Mann nicht zurück in ihr Bett kommen, bevor sie ihn davon überzeugt hatte, dass sie ihn wirklich begehrte. Sie hatte ihn zu sehr verletzt.

Der Gedanke daran, wie schlecht Caleb sich fühlen mochte, veranlasste sie, sich aufzurichten. Sie strich sich die Haare hinter die Ohren, straffte die Schultern und öffnete die Tür.

Calebs Tür war offen, und Vicki wusste, warum. Selbst in seinem Ärger wollte er hören, ob sie ihn brauchte. Das ist ein gutes Zeichen, sagte sie sich, als sie das Zimmer betrat. Er lag auf der Seite und wandte ihr den Rücken zu, doch sie wusste, dass er sie kommen hörte, auch wenn er sich nicht bewegte. Zum ersten Mal, seit sie verheiratet waren, drehte Caleb ihr den Rücken zu.

Leise setzte sie sich auf den Bettrand. Dann schlüpfte sie unter die Decke und kuschelte sich an seinen Rücken.

„Was willst du hier, Vicki?“

Noch nie hatte sie ihn so unwirsch sprechen hören. Ihr Selbstvertrauen schrumpfte, aber da sie nun schon mal so weit gekommen war, konnte sie auch weitermachen. „Du bist weggegangen, ohne mir die Möglichkeit einer Erklärung zu geben.“

„Was gibt es da zu erklären?“

So viel, dachte sie, dass ich gar nicht die Worte finde. „Ich wusste nicht …“, flüsterte sie. „Ich wusste nicht, dass du dachtest, ich würde dich nicht begehren. Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung.“ Sie hatte immer befürchtet, etwas falsch zu machen, und hatte sich deshalb ständig zurückgehalten, um ihm nicht zu nahe zu treten. Dabei war ihr gar nicht klar geworden, was sie damit anrichtete.

Caleb nahm sie nicht in die Arme, wie er das früher so oft gemacht hatte. Sie sehnte sich danach, von ihm gehalten zu werden, denn es war sehr schwer für sie, plötzlich die Gefühle zu äußern, die sie ihr ganzes Leben lang versucht hatte zu verstecken.

„Jetzt weißt du es.“

Sie musste den nächsten Schritt machen.

Das Problem war nur, Vicki wusste nicht, wie sie diesen nächsten Schritt machen sollte, wie sie die zerstörte Brücke zwischen ihnen wieder reparieren sollte. Sie hatte sich ihm nie anvertraut und nie die Gelegenheit ergriffen, mit ihm über ihren Stolz, ihre Empfindungen und ihre tiefe Unsicherheit zu sprechen.

„Du musst mir helfen“, sagte sie leise. Falls sie ihren Ehemann verlor, dann sollte das nicht daran liegen, dass sie nichts riskieren wollte. „Ich kann das nicht ohne dich tun.“

Endlich drehte er sich um. Doch er nahm sie nicht in die Arme, sondern stützte sich mit einem Ellbogen ab. „Zwischen uns hat es genug Lügen gegeben. Jetzt sag mir einfach die Wahrheit. Warum?“

Warum hast du mich geheiratet, wenn du meine Berührungen nicht ertragen kannst? Die Worte, die er vorhin im Ärger gesprochen hatte, standen noch immer zwischen ihnen.

„Ich liebe es, wenn du mich berührst“, wiederholte sie. Als er sich erneut abwenden wollte, hielt sie ihn an der Schulter fest. „Nicht, Caleb.“

Caleb zögerte. Er merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. Egal wie sehr es ihn verletzte, neben ihr zu liegen und sie zu begehren, während sie nichts für ihn empfand, so würde er es doch tun, wenn er sie damit vom Weinen abhalten konnte. Gegen ihre Tränen war er machtlos, da er genau wusste, was sie sie kosteten.

Als sie frisch verheiratet waren, hatte sie ihm gegenüber einmal gestanden, dass sie als Kind nicht geweint hatte, weil ihre Tränen das Einzige gewesen waren, über das sie selbst Kontrolle hatte. Egal was sie gesagt oder getan hatte, ihre Großmutter hatte es nie geschafft, ihren Willen zu brechen.

„Ich bin hier“, sagte er. „Weine nicht, Liebling.“

„Ich weine nicht.“ Ihre Stimme klang rau. „Ich muss das jetzt nur sagen. Ich habe das schon so lange versucht.“

„Was denn?“ Er gab einem Impuls nach und nahm sie nun doch in die Arme. Bereitwillig schmiegte sie sich an ihn. Diese vertraute Geste löste bittersüße Erinnerungen in ihm aus. Wie oft war er nachts spät nach Hause gekommen, und wenn er schließlich ins Bett geschlüpft war, war Vicki schläfrig näher gerückt, damit er sie in die Arme nehmen konnte.

„So wie ich im Bett bin … das liegt nicht an dir.“

Was sollte denn das bedeuten?

Sie holte tief Atem. „Großmutter …“

Der abrupte Themenwechsel irritierte ihn. „Was ist mit ihr?“

Caleb mochte Ada Wentworth nicht besonders, obwohl sie ihn mit Vicki bekannt gemacht und bereitwillig ihren Segen zu ihrer Verbindung gegeben hatte. Er wusste, Ada hatte nur darüber hinweggesehen, dass er nicht aus der oberen Gesellschaftsklasse stammte, weil er vermögend war und über Beziehungen verfügte. Aber das war ihm egal gewesen. Trotz des Altersunterschiedes von zehn Jahren hatte er sich Hals über Kopf in Vicki verliebt.

Sie legte die Hand auf den Arm, den er um ihre Taille geschlungen hatte. „Sie sagte, mein Vater habe meine Mutter verlassen, weil sie eine Schlampe sei. Eine Hure, die ihre Beine für jeden breit mache.“

Caleb unterdrückte einen Fluch. „Wie alt warst du da?“ Er wusste, dass sie vier Jahre alt gewesen war, als man sie kurz nach der Scheidung ihrer Eltern zu Ada geschickt hatte.

„Ich kann mich nicht an das erste Mal erinnern. Aber während ich aufwuchs, hörte ich sie ständig sagen: ‚Wie die Mutter, so die Tochter.‘ Ich vermute, ich war noch sehr klein, als sie damit anfing. Solange ich zurückdenken kann, wusste ich, was sie von meiner Mutter hielt und was sie von mir halten würde, sollte ich mich jemals danebenbenehmen.“

Es erstaunte Caleb, was für Wunden in Vickis Innerem verborgen waren.

„Sie sagte auch“, fuhr Vicki fort, bevor er noch etwas erwidern konnte, „wenn ich nicht eine mustergültige Ehefrau sei, würdest du mich ebenfalls verlassen. Sie erklärte mir, Männer wollten keine Huren zur Frau. Wenn ich dich halten wolle, würde ich mich besser immer wie eine Dame benehmen und niemals wie eine Schlampe.“

„Vicki …“

„Als ich zehn war, heiratete mein Vater Claire. Sie ist so vollkommen, dass ich manchmal glaube, sie ist gar kein richtiger Mensch und hat Eiswasser in den Adern. Ich habe niemals gesehen, dass sie eine starke Gefühlsregung zeigte. Großmutter hat mir oft gesagt, ich solle mir ein Beispiel an Claire nehmen. ‚Sieh dir Claire an und dann Danica, deine Mutter‘, hat sie gesagt. ‚Männer schlafen mit Schlampen, aber sie heiraten Frauen aus gutem Haus.‘ Ich habe ihr geglaubt.“

Caleb verspürte Lust, Ada bei nächster Gelegenheit zu erwürgen. „Ich habe dich geheiratet“, entgegnete er, weil er ihren Schmerz mindern wollte. „Ich habe nie gewollt, dass du jemand anderes bist.“

„Das ist es ja gerade, Caleb“, sagte Vicki traurig. „Du warst so stolz, die Frau zu heiraten, in die meine Großmutter mich verwandelt hat. Dir hat mein Benehmen und meine Art zu reden gefallen. Ich wollte, dass du mich liebst, deshalb habe ich versucht, diese Frau zu spielen, obwohl ich das in Wirklichkeit gar nicht bin.“

Sie schluckte. „Und die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich dir nicht geben kann, was du dir wünschst. Aber ich habe nicht verstanden, was ich falsch gemacht habe. Ich habe mich mehr und mehr angestrengt, aber du hast dich trotzdem immer weiter von mir entfernt. Dann wurde mir eines Tages klar, wenn ich mich noch stärker bemühen würde, jemand anderes zu sein, würde es mich als Person bald wirklich nicht mehr geben.“

Er legte beide Hände auf ihre Schultern und drehte Vicki auf den Rücken. Sie wich seinem Blick aus. Doch er drehte behutsam ihr Gesicht so, dass sie ihn ansah. „Für mich brauchst du dich nicht zu verstellen. Alles, was ich je von dir wollte, war, dass du deine Abwehr fallen lässt und mir vertraust.“

Erstaunt sah sie ihn an. Dann hob sie zögernd die Hand und streichelte seine Wange, auf der sich schon leichte Bartstoppeln bildeten. Normalerweise duschte er und rasierte sich, bevor er zu ihr ging, weil er glaubte, dass das für sie wichtig sei.

„Wirklich?“ Zweifelnd blickte sie ihn an.

Liebevoll strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. „Glaubst du nicht, ich hätte nicht gemerkt, was Ada versucht hat, aus dir zu machen? Was mich an dir angezogen hat, war dein Verstand und deine Weigerung, dich Ada völlig zu unterwerfen. Ich war so stolz, dich zur Frau zu bekommen. Dich, nicht die wohlerzogene, elegante Puppe.“

„Und ich war stolz, dich zum Mann zu haben.“ Vicki berührte seine Schulter. „Stolz darauf, was du alles mit deiner Energie und Willenskraft erreicht hast. Wusstest du, dass ich bei den anderen Frauen mit deinen Erfolgen geprahlt habe? Manchmal habe ich mich in die hinteren Reihen des Gerichtssaales gesetzt, um dich bei der Arbeit zu beobachten, und dann habe ich mir immer voller Stolz gesagt, dass du mein Mann bist.“

Calebs ganzes Weltbild änderte sich in diesem Moment. „Vicki“, sagte er leise. Noch nie war jemand auf ihn stolz gewesen. Seine Familie kam zu ihm, um ihn um Geld zu bitten. Aber keiner von ihnen hatte ihm je gesagt, wie gut er seine Sache macht. Kein einziges Familienmitglied war je zu einer Gerichtsverhandlung von ihm gekommen, ganz zu schweigen davon, dass er von ihnen jemals anderen gegenüber gelobt worden war.

„Tut mir so leid, wie sich unsere Beziehung entwickelt hat“, sagte Vicki jetzt. „Mir tut alles so leid.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe genauso viel Schuld daran wie du. Ich habe gedrängt und gedrängt, wie ich das immer mache.“ Als Kind war Aggressivität die einzige Möglichkeit für Caleb gewesen, von seinem Vater wahrgenommen zu werden. Häufig war Max wütend geworden über seinen dickköpfigen Sohn. Doch damals war Wut immer noch besser gewesen, als gar nicht beachtet zu werden. Diese Erfahrung hatte Caleb Angst gemacht, und sobald es um Gefühle ging, reagierte er leicht ungeduldig und gereizt gegenüber den Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Und das galt vor allem für Vicki.

„Aber ich habe das zugelassen“, erwiderte sie. „Jedes Mal, wenn ich versucht habe, darüber zu sprechen, wurde ich nervös. Wenn du mich dann beruhigt hast und mir sagtest, wir könnten über alles noch später reden, war ich immer einverstanden. Aber ‚später‘ kam nie.“

So schwer es Caleb fiel, auch er musste jetzt einen Fehler eingestehen. „Liebling, ich wusste, dass du mir etwas sagen willst … aber ich wollte es nicht hören. Ich dachte …“, er ließ den Kopf aufs Kissen fallen. „Ich habe befürchtet, du willst mir sagen, dir würde es im Bett mit mir keinen Spaß machen. Deshalb habe ich jedes Mal versucht, deine Meinung zu ändern.“ Das war schon ein bisschen anmaßend von mir, dachte er und begann langsam zu begreifen, welche negativen Verhaltensmuster sich zwischen ihnen eingeschlichen hatten.

Überrascht sah sie ihn an. „Und was passiert jetzt als Nächstes?“

„Ich möchte mit dir verheiratet sein, Vicki.“ Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um den heißen Brei herumzureden. „Willst du mit mir verheiratet bleiben?“

Die Pause, die entstand, war winzig. „Ja.“ Vicki holte tief Atem. „Ja.“

Das war nicht das Geständnis, das er sich wünschte, aber es war besser als Vickis frühere Aussage, sie wären immer noch getrennt. „Dann dürfen wir nicht aufgeben.“ Das war für ihn sowieso nie infrage gekommen, und er konnte sich nicht vorstellen, dass es bei Vicki anders war.

„Caleb …“ Zögernd legte sie die Hand auf seinen Arm. „Möchtest du …? Wir können es noch einmal versuchen.“

Er merkte deutlich, wie verletzbar sie im Augenblick war, und das erschütterte ihn. Im Augenblick hätte er alles von ihr verlangen können, und sie hätte sich bemüht, seine Wünsche zu erfüllen. Aber er wollte nicht, dass seine Frau sich ihm aus Schuldgefühlen hingab. Er wollte die Distanz zu ihr überbrücken, nicht vergrößern.

„Ich möchte jetzt nur, dass du in meinen Armen schläfst.“ Sanft küsste er sie auf die Lippen, obwohl ihm das sehr schwerfiel, denn ein Teil von ihm – der Teil, der seit Jahren zu kurz gekommen war – flüsterte ihm zu, dass er die Gelegenheit ergreifen sollte, die vielleicht nie wieder kam. Die anschmiegsame Frau in seinen Armen würde sich am Morgen wieder in die kühle, elegante Dame verwandeln, die er kaum zu berühren wagte.

Beunruhigt sah sie ihn an. „Caleb, ich kann …“

„Pscht.“ Er legte sich auf den Rücken und bettete ihren Kopf auf seine Brust. „Schlaf einfach. Das reicht für heute Nacht.“ Seine Frau war es gewohnt, ihre Gefühle gut unter Kontrolle zu halten. Trotzdem war sie heute zu ihm gekommen.

Endlich.

5. Kapitel

Vicki wachte auf, als sie Caleb duschen hörte. Wie immer stellte sie sich vor, sie würde ins Badezimmer gehen, sich nackt ausziehen und zu ihm in die Duschkabine steigen. Was würde sie dafür geben, seine Haut einzuseifen und seinen wunderschönen nassen Körper zu erforschen! Aber wie immer stand sie auf, ging in die Küche und setzte Kaffee auf.

„Eines Tages tue ich es“, versprach sie sich leise selbst, als sie die Kaffeemaschine einschaltete. Sie hätte Caleb gern damit überrascht, dass sie mit ihm duschte. Das würde er niemals erwarten. Wahrscheinlich hatte er damit sogar recht – sie besaß nicht das Selbstvertrauen, das nötig gewesen wäre, um sich ohne Angst vor Zurückweisung einem Mann zu nähern.

Als sie Brot aus der Vorratskammer holte, fiel ihr Blick auf ihre Hände. Ihre perfekt geformten Nägel waren in einem hellen Farbton lackiert. Außer einem geschmackvollen Ehering trug sie keinen Schmuck. Vicki kam es so vor, als wäre sie genauso wie ihre Hände: sehr gepflegt, langweilig und ohne jeden Charakter. Sie war keine Frau, die aufregende Dinge tat, wie zum Beispiel ihren Ehemann in der Dusche zu überraschen.

Sie nahm den Duft von Calebs Aftershave wahr, als er die Küche betrat. Ohne nachzudenken, drehte sie sich um und fragte: „Bin ich langweilig, Caleb?“

Erstaunt musterte er sie. „Wie kommst du denn darauf, Liebling?“

„Sag mir eine Sache, die ich getan habe und die außergewöhnlich war.“ Sie legte das Brot auf die Anrichte. „Etwas, das ich getan habe und das du nie von mir erwartet hättest.“

„Du hast mich um die Scheidung gebeten.“ Er nahm zwei Scheiben Brot und steckte sie in den Toaster. „Dann hast du mir gesagt, ich solle im Gästezimmer schlafen. Damit hast du mich ziemlich überrascht, aber nicht positiv.“

Am liebsten hätte sie ihn jetzt bei der seriösen blauen Krawatte gepackt, ihn zu sich gezogen und ihn leidenschaftlich geküsst. Caleb sah auch im Anzug verflixt gut aus. „Hm“, sagte sie, während sie beobachtete, wie er zwei Kaffeebecher aus dem oberen Regal holte. „Caleb?“

Er stellte die beiden Becher auf die Anrichte. „Ja?“

„Werden wir so tun, als hätte es die vergangene Nacht nicht gegeben?“

Er betrachtete sie eine Weile lang. Als sie dachte, er würde etwas sagen, umrahmte er stattdessen ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie. Vicki schmiegte sich an ihn und schlang die Arme um seine Taille. Normalerweise überließ Caleb die Kontrolle über ihre Küsse ihr. Doch heute küsste er sie, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Als sie beide nach Luft schnappten, sah er sie liebevoll an. „Was denkst du?“

Atemlos deutete sie auf den Toaster. „Dein Toast ist fertig.“

Aus irgendeinem Grund brachte ihn das zum Lächeln. „Ich habe für dich auch eine Scheibe getoastet.“ Er strich Butter darauf und hielt sie ihr an die Lippen. „Du isst jetzt für zwei, Mrs. Callaghan.“

Über seine Sorge um sie musste sie nun selbst lächeln, und in dieser Stimmung schickte sie ihren Mann an diesem Tag zur Arbeit.

Zum ersten Mal seit langer Zeit lächelten sie, als sie sich zum Abschied küssten, und freuten sich auf den Abend.

Zu Vickis Freude kam Caleb rechtzeitig zum Abendessen nach Hause. Sie saßen gerade am Küchentisch, als das Telefon läutete. Caleb stand auf und nahm den Hörer ab.

„Ja, ich höre.“

Sein Ton ließ Vicki aufhorchen. Verflogen war die gute Laune. Caleb straffte die Schultern und klang mit einem Mal steif, fast gefühllos. Nur wenige Menschen schafften es, ihn in diese Stimmung zu bringen. „Deine Familie? Lara?“, formte sie lautlos mit den Lippen.

Er nickte kurz. „Wie viel?“

Sofort wusste Vicki Bescheid. Lara rief aus demselben Grund an wie immer. Jedes Mitglied von Calebs Familie meldete sich bei ihnen nur aus einem Grund. Vicki kannte Calebs Eltern und seine Schwester. Bevor sie heirateten, hatte Caleb sie in die heruntergekommene Gegend mitgenommen, in der er aufgewachsen war, und hatte sie seiner Familie und deren Freunden vorgestellt.

Vicki wusste, dass Max Bildhauer war und Calebs Mutter Dichterin. Leider hatte es keiner von beiden zu beruflichem Erfolg gebracht. Auf Vicki hatten Max und Carmen immer scheinheilig gewirkt mit ihrer Behauptung, sie würden sich für die Kunst aufopfern. Was sie wirklich opferten, war das Wohl ihrer Kinder. Caleb redete nur selten über seine Kindheit, aber aus den wenigen Bemerkungen schloss Vicki, dass er manchmal ziemlich hungrig gewesen war.

Anders als Caleb hatte seine Schwester Lara den heimischen Herd nicht verlassen. Sie schlug sich als Sängerin durch, hatte zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern und hatte nie von dem Glauben abgelassen, der Weg ihrer Eltern – Armut und Leiden als einzige Möglichkeit eines kreativen Genies – sei der richtige.

„Was wollte sie?“, fragte Vicki, als Caleb den Hörer auflegte.

Er seufzte. „Na, was sie halt immer will. Geld natürlich. Da ich nun mal zu den Kapitalisten gewechselt sei, sei es doch das Mindeste, was ich tun könne, ihr ab und zu mal auszuhelfen.“ Sein Ton war ausdruckslos.

Vicki kannte diesen Spruch. Oft genug hatte sie ihn selbst aus Laras Mund gehört. Bisher hatte sie immer geschwiegen und beschlossen, sich nicht in Calebs Beziehung zu seiner Familie einzumischen. Aber jetzt, wo sie sah, wie sehr ihr Ehemann dadurch belastet wurde, entschied sie, dass sie diese Sache sehr wohl etwas anging.

Sie stand auf und legte die Hand auf seinen Oberkörper, damit er sie ansah. „Warum lässt du dich von ihnen so behandeln?“ Eine Ahnung verriet ihr, dass mehr dahintersteckte, als sie wusste. Die Sprüche und politischen Phrasen der Callaghans boten keine Erklärung für die Feindseligkeit, mit der seine Familie ihn oft behandelte. Was verschwieg er?

Vicki wusste, dass sie kein Recht hatte, ihn zum Reden zu drängen. Sie hatten gerade mal angefangen, darüber zu sprechen, wie sie die Risse in ihrer Ehe kitten wollten. Solange diese Wunden nicht verheilt waren, mussten sie sehr sanft miteinander umgehen. Aber das bedeutete nicht, dass sie schweigen musste.

Er zuckte die Achseln. „Sie sind meine Familie.“

„Nein“, widersprach sie. „Sie haben dich aufgegeben, als du gewagt hast, anders zu sein als sie.“ Wie sie wusste, war er mit sechzehn von zu Hause weggegangen und hatte sich mit allen möglichen Jobs über Wasser gehalten, während er noch zur Schule ging. Seine Eltern hatten ihn rausgeworfen, als er angefangen hatte, mit ihnen darüber zu streiten, was er sich vom Leben wünschte. „Sie sind nie für dich da gewesen.“

Seine Miene wurde düster. „Sie sind alles, was ich habe.“

Heftig schüttelte sie den Kopf. „Wir sind deine Familie, Caleb. Ich und unser Baby.“

„Aber du lässt dich vielleicht von mir scheiden.“ Das war nicht herausfordernd gemeint, sondern eine Erinnerung an ihre unsichere Situation. Bevor er etwas dagegen tun konnte, fühlte Caleb sich mit einem Mal verzweifelt, und das hatte nichts mit Lara oder seinen Eltern zu tun, sondern ausschließlich mit Vicki.

Sie spürte einen Stich im Innern. Caleb war ein stolzer Mann. Und er war dickköpfig. Nicht einmal in den zwei Monaten ihrer Trennung hatte er auch nur den geringsten Hinweis darauf gegeben, wie sehr er darunter gelitten hatte. Andererseits hatte sie ihm auch niemals gesagt, wie sehr er sie damit verletzt hatte, dass er mit Miranda ins Bett gegangen war. Sie waren beide sehr gut darin, ihre Gefühle zu verbergen.

Aber das ist Vergangenheit, dachte sie mit neuer Entschlossenheit. Die Zukunft zählte, und zwar eine Zukunft, die auf Vertrauen basierte, auf gegenseitiger Hilfe und auf Hoffnung. Möglicherweise war die Bitte, sich zu trennen, der einzige Weg gewesen, der ihr geblieben war, um Caleb dazu zu bekommen, ihrer Ehe und vor allem ihr Aufmerksamkeit zu schenken.

Genug der Theorie. Jetzt wurde es Zeit, etwas zu unternehmen. Trotz ihrer Befürchtung, das Falsche zu tun und damit den Waffenstillstand zu stören, schüttelte sie den Kopf. „Nein, das werde ich nicht. Ich habe dir gesagt, ich will mit dir verheiratet bleiben. Du bist mein Mann, meine Familie. Ich habe auch niemand anderen.“

Er nahm sie fest in die Arme und drückte mit seinem Körper aus, was er nicht in Worte fassen konnte. Schon seit Langem sprach er auf diese Weise mit ihr, aber sie hatte nicht zugehört. Doch ab sofort würde sie auf jede noch so kleine Geste achten.

„Ich mache mir wegen Laras Kindern Sorgen. Sie kann für sich selbst sorgen, aber was ist mit ihnen?“

Derselbe Gedanke hatte auch Vicki immer bewegt. „Wie wäre es mit einem Treuhandvermögen? Für Ausbildung und alles andere, was die Kinder brauchen könnten. Dann kann deine Familie dich nicht länger als offenes Scheckbuch betrachten.“ Vicki ging es gar nicht um das Geld, sondern um die Art, wie sie Caleb behandelten, als wäre es seine Pflicht sie zu unterstützen, während sie ihm nicht einmal dafür dankten.

Caleb schwieg einen Augenblick lang. Dann meinte er: „Wenn wir die Treuhänder wären, könnten wir sicherstellen, dass das Geld für den richtigen Zweck verwendet wird.“

Keiner von ihnen musste auf ihre Befürchtungen hinweisen, dass Lara Drogen nahm. Aber bis jetzt hatte sie ihren Kindern noch nie geschadet, sondern schien sogar eine hingebungsvolle Mutter zu sein.

„Ja“, stimmte Vicki zu. Dann beschloss sie, etwas zu sagen, das sie sich schon lange überlegt hatte. „Du darfst dich von ihnen nicht runterziehen lassen, nur weil du dir mehr vom Leben erträumst, als sie sich vorstellen können. Sei stolz auf dich.“ Die Motive der Callaghans spielten für sie keine Rolle. Es gab keine Entschuldigung dafür, dass sie Caleb vernachlässigt hatten und er ihretwegen so oft litt.

Er zog Vicki an sich und legte das Kinn auf ihren Scheitel. „Sie werden immer zu meinem Leben gehören.“

„Ich werde auch nie versuchen, das zu ändern. Wir haben beide Verwandte, mit denen wir uns abfinden müssen, ob uns das gefällt oder nicht. Aber sie müssen lernen, dich mit dem notwendigen Respekt zu behandeln.“ In diesem Punkt würde sie nicht nachgeben. „Das nächste Mal, wenn einer von ihnen anruft, werde ich das Gespräch entgegennehmen. Dies war die letzte Gelegenheit, die sie hatten, um dir wehzutun.“

Caleb war erstaunt von der kalten Wut, die er in ihrer Stimme hörte. Vicki war immer so sanft gewesen, so harmoniebedürftig. Andererseits wurde dadurch in ihm ein Hoffnungsschimmer geweckt. Sie hatte recht. Er hielt seine neue Familie in den Armen. Ihre Ehe mochte schwierig sein, aber sie hatten einander versprochen, alle Probleme durchzustehen. Vickis überzeugende Haltung gab ihm die Sicherheit zurück, die er in dem Moment verloren hatte, als sie ihn um die Scheidung gebeten hatte.

„Ich möchte dich etwas fragen“, sagte er, weil er gerade an die kühle Frau dachte, die er geheiratet hatte. Damals hatte er Funken der Leidenschaft in ihr erkannt. Doch die Funken waren während ihrer Ehe eher erstickt als entfacht worden.

„Was denn?“

Sein Gewissen meldete sich. „Was hat denn deine Großmutter dir erzählt, als sie mich zu der Dinnerparty einlud, bei der wir uns vorgestellt wurden?“ In letzter Zeit hatte er sich gefragt, ob Ada gelogen hatte, damit Vicki genug Vertrauen zu ihm hatte, um sich von ihm den Hof machen zu lassen. Wie sonst sollte er sich nur ihren Glauben an ihn erklären, den sie von Anfang an gehabt hatte? Besonders da sein dominanter Charakter doch sehr offensichtlich gewesen sein musste.

Lachend legte sie den Kopf in den Nacken und sah ihm in die Augen. „Sie sagte, sie habe den perfekten Mann für mich gefunden. Ich bräuchte eine harte Hand, und du würdest dafür sorgen, dass ich nicht so werden würde wie meine Mutter. Ach ja, und außerdem würdest du gut für mich sorgen.“

Er zuckte zusammen. Das waren kaum geeignete Worte, um Vertrauen aufzubauen. „Hat sie dich gezwungen …“

„Ich habe mich innerhalb der ersten zehn Sekunden in dich verliebt, nachdem du mit mir geredet hattest. Ada sah einen Mann, der seine Stärke benutzt, um andere zu unterdrücken. Ich sah jemanden, der seine Stärke benutzt, um andere zu beschützen.“ Sie lächelte. „Du hattest so viel Energie, so viel Herz, und zum ersten Mal im Leben habe ich mich wirklich lebendig gefühlt. Ich konnte mir bald gar nicht mehr vorstellen, wie es war, bevor ich dich kennenlernte.“

Trotz des Vorsatzes, ehrlich zu sein, brachte Caleb es nicht über sich, ihr die nächste Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge lag. Wie war es jetzt? Vertraute die Frau, die sie geworden war, ihm noch genauso wie das Mädchen, das sie bei ihrer Hochzeit gewesen war? Oder war die Liebe im Lauf der Ehejahre zerbröckelt, weil Vicki so unglücklich geworden war?

Statt zu fragen, machte er lieber einen Scherz. „Da bin ich aber froh, denn sobald ich dich gesehen habe, war die Sache sowieso entschieden.“

„Gut.“ Ihr Lachen war wie ein Geschenk. Nachdem sie ihn noch einmal fest umarmt hatte, löste sie sich von ihm. „Komm jetzt, lass uns essen. Ich bin am Verhungern. Unser Baby ist ein hungriges kleines Ding.“

„Wie fühlt es sich denn an?“, fragte er neugierig.

„Das Baby? Ich glaube, ich kann spüren, wie sie sich bewegt, aber das bilde ich mir wahrscheinlich ein. Nach den Büchern ist es noch viel zu früh dafür.“

„Sie?“ So rasch war ihr Baby zu einer wirklichen kleinen Person geworden mit Hoffnungen und Träumen und einem Herzen, dem man mit einem unbedachten Wort Schmerzen zufügen konnte.

Schüchtern lächelte sie ihn an. „Ich habe angefangen, an ein Mädchen zu denken. Was hättest du lieber, ein Mädchen oder einen Jungen?“

„Das ist mir gleich“, erwiderte er ehrlich. „Ich wünsche mir nur, dass das Baby gesund ist.“

„Ich auch.“ Ihre Miene wurde ernst. „Ein bisschen Angst macht mir die Vorstellung schon, dass ich bald vollkommen für ein Kind verantwortlich bin.“

„Wir.“ Sanft drückte er sie auf den Stuhl nieder. „Aber es stimmt schon, keiner von uns hatte ein gutes Vorbild. Sind diese Babybücher eigentlich auch für Väter gedacht?“

Sie lächelte strahlend. „Ja, ich kann dir ein gutes geben.“

Er setzte sich ihr gegenüber und nickte. „Gut.“ Das ist genug Gerede über Babys für heute Abend, entschied Caleb. „Hattest du irgendwelche interessanten Anrufe?“ Mit dieser Frage wollte er nur ein zwangloses Gespräch beginnen, doch Vickis Miene wurde erneut ernst.

„Mutter hat angerufen und ihren Besuch bestätigt.“

Er musterte sie. „Was hat sie sonst noch gesagt?“

Vicki hob kurz die Schultern. „Nicht viel – du kennst sie doch. Willst du noch mehr Salat?“

Er ließ zu, dass sie das Thema wechselte, weil er wusste, dass sie nicht gern über ihre Mutter sprach. Danica meldete sich jedes Jahr ein- bis zweimal und hinterließ unweigerlich ein Durcheinander. Nach ihrem letzten Besuch hatte Vicki sich in ihrem Arbeitszimmer eingeschlossen und geweint, als wäre ihr das Herz gebrochen worden. Obwohl er versucht hatte, mit ihr darüber zu reden, hatte sie später so getan, als wäre nichts passiert. Ihre abwehrende Haltung frustrierte ihn, aber bisher war es ihm nicht gelungen, ihr in dieser Beziehung näherzukommen.

Doch auch wenn Caleb das Gefühl hatte, hinter Vickis Verhalten steckte ein traumatisches Erlebnis, hatten sie im Augenblick andere Probleme zu bewältigen, und so stellte er keine weiteren Fragen.

Als sie sich an diesem Abend fertig zum Schlafen machten, waren sie beide aufgeregt. Vicki kam sich fast wieder wie eine Jungfrau vor, nervös und völlig ahnungslos, wie sie sich verhalten sollte. Sie wartete, bis Caleb ins Badezimmer ging, um sich die Zähne zu putzen, bevor sie ihren Pyjama anzog.

Dann schlüpfte sie unter die Decke und machte alle Lichter aus, bis auf die Lampe auf Calebs Nachttisch. Sekunden später wurde die Tür des Bades geöffnet, und Caleb kam ins Schlafzimmer.

Er schaltete das Licht aus, legte sich ebenfalls ins Bett und zog Vicki zärtlich an sich. Ein heißer Schauer überlief sie. Caleb trug nur Boxershorts, und die Haare auf seinem nackten Arm kitzelten sie am Bauch, weil das Oberteil ihres Pyjamas hochgerutscht war.

„Caleb?“

„Ja?“

„Ich habe Angst.“

Vickis Geständnis machte ihn nervöser, als er sowieso schon war. Ein Teil von ihm konnte immer noch nicht glauben, dass Vicki ihn als Mann begehrte, wo er doch jahrelang auf ein solches Zeichen gewartet hatte.

„Du musst keine Angst haben. Lass dich einfach von deinem Körper leiten.“ Worüber er nicht nachdenken wollte, war die Aussicht, dass ihr Körper ihn weiterhin ablehnen würde.

Vicki drehte sich in seinen Armen um und sah ihn an. In der Dunkelheit konnte er ihr Gesicht kaum erkennen. „Ich will dich so sehr, Caleb. Bitte gib mich nicht auf.“

„Ich glaube nicht, dass ich das jemals könnte.“ Er strich ihr durchs Haar, beugte sich über sie und küsste sie auf den Mund.

Feuer und Leidenschaft, Erregung und Lust – ihr Kuss drückte alles aus, was er sich wünschte. Aber Caleb kam nicht mit der Tatsache zurecht, dass Vicki die Arme reglos neben ihrem Körper liegen ließ.

Er löste sich von ihr. Im ersten Moment wollte er wegrücken, um nicht erneut enttäuscht zu werden. Doch dann fiel ihm ein, dass sie ihn in der vorangegangenen Nacht um Hilfe gebeten hatte.

Er hob ihren Arm und legte ihn über seine Schulter. „Oh“, seufzte sie leise und hob sofort den zweiten Arm. „Tut mir leid“, hauchte sie dann. „Ich vergesse immer alles um mich herum, wenn du mich küsst.“

Nun, ein Mann konnte schlechtere Dinge im Bett hören. Er beugte sich vor und küsste sie erneut, aber diesmal überließ er ihr die Führung. Mit jeder Faser seines Körpers konzentrierte er sich auf Vicki.

„So funktioniert das nicht“, sagte sie mit einem Mal und löste sich von ihm. „Wir sind beide viel zu verkrampft.“

Er wollte widersprechen, aber eigentlich wusste er, dass sie recht hatte. Er atmete tief ein und rollte sich auf den Rücken. Beide starrten die Decke an. Was jetzt?

„Vielleicht sollten wir reden, bevor wir … Wir haben nie geredet, Caleb.“ Die Worte kamen zögernd, aber ihr Ton klang überzeugend. Vielleicht war Vicki bereit, sich mit allem auseinanderzusetzen, was er von ihr brauchte. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.

Die Frage war nur, was dabei herauskam. Caleb wusste, es war nicht einfach, mit ihm zu leben, ihn zu lieben. Er war zu fordernd, zu fürsorglich und gelegentlich auch absolut dominant.

Die Frau, die er vor fünf Jahren geheiratet hatte, hatte sein Herz mit ihrer scheuen Art gewonnen, aber sie hatte nicht das Rückgrat gehabt, sich gegen ihn aufzulehnen. Statt zu kämpfen, hatte sie sich zurückgezogen. Jetzt kam langsam eine Vicki zum Vorschein, die sich so lange versteckt hatte. Sie würden erfahren, was das für ihre Ehe bedeutete.

„Warum hast du mich nie im Bett berührt?“, fragte er. „Ich kann verstehen, wie sehr Ada dich verunsichert hat, aber ich habe dich nie davon abgehalten, mich anzufassen. Ich habe dich sogar darum gebeten.“

Ihr Atem beschleunigte sich, doch sie zog sich nicht zurück. „Ich hatte Angst, etwas Falsches zu machen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich es für mich wäre, wenn ich dich anwidern würde. Du warst so wichtig für mich, und alles, was ich wusste, war das, was Großmutter mir gesagt hatte und was ich von Claire und Vater gesehen hatte. Claire und Vater haben getrennte Schlafzimmer und führen getrennte Leben.“

Caleb merkte, wie nervös sie war, und am liebsten hätte er sie beruhigt. Doch erst musste er ihr zuhören.

„Ich war zu schüchtern, um mit Freundinnen über so intime Dinge zu reden. Natürlich habe ich ferngesehen und Zeitschriften gelesen, aber Großmutter hat mir eingetrichtert, ich wäre mit Makeln behaftet und deshalb müsste ich mich immer absolut korrekt benehmen. Jeder Fehler meinerseits könnte zum totalen Kontrollverlust führen. Dann würde ich zurückgewiesen werden und enden wie meine Mutter – als Geliebte eines verheirateten Mannes. Diese Drohung saß, denn ich wollte einen Ehemann und eine Familie.“

Caleb sah das Bild eines einsamen Mädchens vor sich, das als Teenager niemanden hatte außer einer verbitterten alten Frau. Gern hätte er Vickis Qualen weggeküsst. Aber sie war noch nicht fertig.

Sie streichelte ihn an der Schulter. „Deshalb habe ich versucht zu tun, was Ada sagte. Aber sie hat mir nicht gesagt, wie weit ich mit meinem Mann gehen darf und was ich nicht tun sollte. Ich kannte die Regeln nicht und wusste nicht weiter. Nach einer Weile hast du aufgehört, mir zu helfen.“

Das stimmte. Von sich überzeugt hatte er erwartet, sie werde seiner Führung folgen, obwohl er nie gefragt hatte, was sie sich vielleicht wünschte oder was sie brauchte. Dieser Fehler konnte allerdings wiedergutgemacht werden. „Sag mir, was es dir erleichtern würde.“

Sie hörte auf, ihn zu streicheln. Caleb legte sich schließlich über sie. „Hör jetzt nicht auf, mit mir zu reden“, forderte er sie auf, obwohl er nicht wusste, ob er eine neue Enttäuschung ertragen konnte. Sein männlicher Stolz war bereits ziemlich angeschlagen.

„Das ist schwer zu sagen“, erwiderte sie leise. „Das, was ich am meisten von dir brauche, ist Geduld.“

„Langsam, Liebling? Ist es das, was du willst?“

Sie schob die Hände zwischen ihre Oberkörper. „Ja.“

Caleb zeichnete mit der Fingerspitze Muster auf ihren Hals. Er begehrte Vicki und wollte sie ganz intensiv spüren. „Willst du mich wirklich, Vicki?“

Er brauchte eine Antwort auf diese Frage, selbst wenn sie ihn zerstörte. Vorsichtig bewegte er sich so, dass Vicki spüren konnte, welche körperliche Wirkung sie auf ihn hatte.

Sie zuckte zusammen. „Caleb.“ Ihre Haut fühlte sich heiß an. Sie legte beide Hände auf seine Schultern. Eine Sekunde lang glaubte er, sie würde ihn wegschieben. Doch dann zog sie ihn näher. „Wie schaffst du das nur immer wieder? Wir sind doch schon seit fünf Jahren zusammen.“

„Was denn?“ Fasziniert spürte er, wie ihr Körper anschmiegsamer wurde.

Eine Weile lang herrschte Schweigen, doch diesmal schien die Luft erfüllt mit Leidenschaft und Begierde. „So heiß und feucht …“, stieß sie schließlich aus. „Ich sehne mich nach dir.“

6. Kapitel

Caleb war so erregt, dass er nicht sprechen konnte, und so drückte er das, was er empfand, mit seinen Liebkosungen aus. Mit gespreizten Fingern streichelte er Vickis flachen Bauch. Bald schon würde sich ihr Bauch runden, und Caleb wollte die Veränderung jeden einzelnen Tag miterleben, ohne sich Sorgen zu machen, seine Zärtlichkeiten könnten unerwünscht sein.

Ein wundervolles kleines Wesen wuchs im Körper seiner Frau heran. Dieses kleine Wesen war so begierig darauf, geboren zu werden, dass es alle Vorsichtsmaßnahmen umgangen hatte, die Vicki und er getroffen hatten. Caleb war bereits stolz auf die Dickköpfigkeit des gemeinsamen Kindes.

„Ich fühle mich wie beim ersten Mal“, sagte Vicki leise.

Er sah ihr in die Augen. „Das geht uns beiden so.“ Sie küssten sich.

Der Kuss war wunderschön. Doch nun war ein neuer Aspekt dazugekommen. Vicki war nicht länger das schüchterne Mädchen, das herrlich küssen konnte, sondern jetzt war sie eine erwachsene Frau, die damit ihre Begierde ausdrückte. Seine Erregung wuchs. Ein bisschen war es so, als würde er mit einer Unbekannten im Bett liegen. Dieser Gedanke bot noch einen zusätzlichen erotischen Reiz.

Zögernd fing Vicki an, seinen Oberkörper zu streicheln. Nachdem Caleb sich jahrelang nach Vickis Berührungen gesehnt hatte, konnte er sich jetzt kaum beherrschen. Vicki umrundete mit den Fingerkuppen seine Brustwarzen, und er sog heftig die Luft ein.

Sie unterbrach den Kuss. „Caleb?“

„Bitte hör nicht auf, Vicki. Ich wünsche mir schon so lange, dass du mich berührst.“ Damit gestand er ihr ein Bedürfnis, das er bisher aus Stolz immer vor ihr verborgen hatte.

„Wirst du mir sagen, wenn ich etwas tue, was du nicht willst?“

Ihr Mut erstaunte ihn. „Ich schwöre dir, mir wird alles gefallen, was du mit mir machst.“

Sie lächelte. „Eigentlich ist es mir immer sehr schwergefallen, dich nicht zu streicheln.“ Erneut glitt sie streichelnd mit den Händen über seinen Körper. „So oft wollte ich dir das sagen. Aber ich dachte immer, eine Dame redet nicht über Sex und du würdest dich von mir abgestoßen fühlen. Wie konnte ich nur so dumm sein?“

„Pst.“ Er küsste sie. „Du hast dir Sorgen gemacht, weil du so unerfahren bist, und ich bin ja auch nicht gerade ein Mann, mit dem man leicht reden kann. Aber vergiss die Vergangenheit. Von jetzt an gibt es in diesem Bett nur noch dich und mich, keine Lügen mehr und keine Reue.“

„Keine Reue.“ Mit ihren schlanken Fingern wanderte sie zu seiner Taille und dann zu seinem Rücken.

Auch wenn es ihm schwerfiel, hielt Caleb sich zurück, um Vicki Zeit zu lassen, seinen Körper zu erforschen. Erneut küsste er sie. Wie immer versprach ihr Kuss herrliche Freuden, doch diesmal wusste Caleb, dass dieses Versprechen erfüllt werden würde, wenn er nur geduldig war.

Vicki streichelte seinen Rücken, bevor sie sich wieder seiner Brust zuwandte. Caleb sehnte sich nach intimeren Berührungen. Doch er wusste, dass diese Zärtlichkeiten von ihr ausgehen mussten. In seiner Lust fühlte er sich fast ausgeliefert.

Sie wanderte mit der Hand unterhalb seiner Taille.

„Tiefer“, stieß er aus, weil er nicht länger warten konnte. „Entschuldige.“

Sie küsste ihn aufs Kinn. „Nein, ich will, dass du mir sagst, was du möchtest.“

In der momentanen Situation konnte er kaum einen klaren Gedanken fassen. Dann zog Vicki mit einem Finger am Elastikbund seiner Boxershorts, und er stöhnte: „Tiefer, Liebling.“ Seine Stimme klang so rau, dass er sie fast selbst nicht erkannte.

„Du meinst so?“

Er erschauerte, als sie mit der Hand in seine Shorts schlüpfte und ihn vorsichtig umfasste. Caleb versuchte gleichmäßig zu atmen, als sie ihn langsam zu streicheln begann. Mit den Fäusten umklammerte er die Bettdecke, weil er fürchtete, Vicki wehzutun, so heftig war seine Leidenschaft.

Ihre Brüste pressten sich an seinen Oberkörper, und selbst durch den Pyjama spürte Caleb die harten, aufgerichteten Spitzen. Doch er war so mit dem unerwarteten Vergnügen beschäftigt, das Vicki ihm bereitete, dass er ihren Brüsten nicht die Aufmerksamkeit schenken konnte, die sie verdienten. Mit einem Mal überwältigte ihn die Leidenschaft, und es passierte etwas, das ihm noch nie während seiner Ehe passiert war – er verlor die Kontrolle.

Der Höhepunkt war so intensiv, dass er danach schwer atmend auf Vicki sank. Sein Herz raste wie verrückt. „Tut mir leid“, sagte er, als er endlich wieder sprechen konnte.

Zu seiner Überraschung küsste sie ihn auf den Hals und meinte: „Macht es dir wirklich so viel Spaß mit mir?“ Mit der freien Hand strich sie ihm eine Haarsträhne aus der schweißfeuchten Stirn.

„Mir hat es immer Spaß mit dir gemacht.“ Der einzige Grund, weshalb er sich noch nie seiner Lust so völlig hingegeben hatte, war, dass er die Leidenschaft für einseitig gehalten hatte. Diese Vorstellung hatte sein Vergnügen immer gedämpft.

„Ich möchte dir noch einmal so viel Lust schenken“, sagte sie leise und begann spielerisch an seinem Ohrläppchen zu knabbern. „Ich will spüren, wie du mich begehrst. Du musst mir sagen, dass du es magst, wenn ich … wenn ich so etwas tue.“ Sie schluckte. „Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es okay ist, wenn ich mich so benehme.“ Sie machte eine kleine Bewegung mit der Hand.

Heftig sog er die Luft ein, als ihm bewusst wurde, dass sie ihn immer noch umfasste. „Liebling, glaub mir, ich würde dir gern den Gefallen tun. Aber ich brauche ein bisschen Zeit, um mich zu erholen.“

Sie fing an, ihn zu streicheln, und überzog seine Wange mit Küssen. „Bitte, Caleb.“

Während er noch überlegte, wie er ihr erklären sollte, dass sich sein Körper daran gewöhnt hatte, schon mit wenig zufrieden zu sein, erwachte sein Verlangen erneut.

„Ich möchte dir …“, begann er.

Sie streichelte ihn noch begieriger, und heiße Schauer durchströmten ihn. „Du hast mir genug Lust geschenkt“, unterbrach sie ihn. „Ich schulde dir etwas. Lass mich einfach, Liebling.“

Erregt wie er war, blieb ihm gar keine andere Wahl.

Als Caleb am nächsten Morgen erwachte, war Vicki schon aufgestanden, und er hörte sie in der Küche singen. Er stand ebenfalls auf und kam sich wie ein Teenager vor, weil er unwillkürlich glücklich lächelte. Zwar hatten sie sich in der letzten Nacht nicht richtig geliebt, doch darüber beschwerte er sich nicht. Das würde noch kommen.

Wenn er geduldig war.

Geduld war allerdings noch nie seine Stärke gewesen. Doch diesmal würde er in dieser Disziplin die Goldmedaille gewinnen, das schwor er sich. Immer noch strahlend, trat er unter die Dusche. Fünfzehn Minuten später band er sich eine Krawatte um und ging in die Küche.

Vicki stand am Herd und backte Pfannkuchen. Er liebte Pfannkuchen, doch normalerweise machte Vicki nur am Wochenende welche. Caleb trat hinter sie, schlang die Arme um ihre Taille und küsste sie auf den Nacken. „Guten Morgen.“

Sie errötete. „Guten Morgen“, erwiderte sie seinen Gruß. Dann wandte sie sich vom Herd weg und ließ die Pfannkuchen auf einen Teller gleiten.

„Ich freue mich schon sehr darauf, heute Abend wieder geduldig zu sein.“

„Caleb Callaghan!“ Sie wirbelte in seinen Armen herum und hob das Kinn. „Du sollst dich nicht über mich lustig machen.“

Amüsiert betrachtete Caleb sie. „Warum denn nicht?“

„Weil ich dir Pfannkuchen gemacht habe.“

Er konnte nicht widerstehen und küsste sie. Vicki legte die Arme um ihn. Zwar zögernd, doch immerhin. Und ihr Mund … ihr Mund war die reinste Verführung. Caleb küsste sie leidenschaftlich.

Als sie sich voneinander lösten, waren Vickis Lippen geschwollen, und sie sah ihn mit großen Augen an. Nur ungern ließ Caleb sie los. Sie war seine Frau, und er liebte sie. Wenn sie ihre Probleme in den Griff bekamen, konnten sie zusammen alles erreichen. „Wir werden es schaffen.“

„Caleb, wir haben nicht nur ein Problem im Schlafzimmer. Vielleicht ist das sogar das geringste Problem. Ich habe dich immer begehrt. Ich wusste einfach bloß nicht, wie ich das zeigen sollte.“

Erstaunt stellte er fest, wie ähnlich ihre Gedanken waren. „Aber wenn wir nach so langer Zeit endlich darüber reden können, können wir auch über alles andere sprechen.“

„Wirklich?“ Wolken verdunkelten ihr liebenswertes Gesicht. „Man kann dich nicht gerade offen nennen. Trotz der gemeinsamen Jahre kenne ich dich immer noch kaum. Ich habe das Gefühl, als wärst du lediglich bereit, die einfachen Seiten von dir mit mir zu teilen. Alles andere hältst du fest verschlossen.“

Er lehnte seine Stirn gegen ihre. „Ich kämpfe um dich, Vicki. Du musst auch um mich kämpfen.“ Das war eine Aufforderung, die nun ungeahnte Folgen nach sich ziehen konnte. Was würde geschehen, wenn sie erfuhr, von wem er wirklich abstammte – ein Geheimnis, das ihn seit seiner frühesten Kindheit belastete, auch wenn er noch so sehr versucht hatte, es zu vergessen?

Calebs gute Stimmung schwand, eine Stunde nachdem er sein Büro betreten hatte. Bei einem sehr wichtigen Fall gab es große Schwierigkeiten, und ihm blieb nichts anderes übrig, als bis ungefähr ein Uhr morgens zu arbeiten, um das Schlimmste zu verhindern.

Müde und hungrig, weil er weder zu Mittag noch zu Abend gegessen hatte, parkte er seinen Wagen auf der Auffahrt zu seiner Villa. Als er den Weg zur Tür hochging, wurde die Vordertür geöffnet, und Vicki erschien. Sie trug eines seiner alten Rugbytrikots und sah zum Anbeißen aus. Trotzdem hatte Caleb kein gutes Gefühl, sie zu sehen. „Warum bist du denn noch auf?“

Vicki bemerkte sofort die Spuren der Erschöpfung auf seinem Gesicht und sagte sich, sie müsse jetzt ruhig bleiben. „Ich habe auf dich gewartet.“ Sie schloss hinter ihm die Tür und ging zum Schlafzimmer.

Caleb folgte ihr. „Du bist schwanger. Du brauchst deinen Schlaf.“ Sobald er den Raum betreten hatte, begann er, sich auszuziehen.

Vicki legte sich ins Bett und wartete, bis er Schuhe, Gürtel, Jackett und Krawatte abgelegt hatte, bevor sie erneut etwas sagte. „Du tust es schon wieder.“

„Was?“ Zerstreut strich er sich das Haar zurück.

Früher hatte sie ihn immer allein gelassen, wenn er in dieser Stimmung war, weil sie vermutete, er sei mit sehr wichtigen Dingen beschäftigt. Doch inzwischen war ihr klar geworden, dass nichts wichtiger war als ihre Ehe. „Das, was uns überhaupt in Schwierigkeiten gebracht hat.“

Er knöpfte sein Hemd auf. „Liebe Güte, Vicki. Ich will einfach nur ein paar Stunden schlafen, und du willst deswegen einen Streit anfangen?“

Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Ich versuche nur sicherzustellen, dass wir nicht zweimal denselben Fehler machen. Behandle mich bitte nicht, als wäre ich es nicht wert, dass man mir zuhört.“

„Bitte?“ Ärgerlich drehte er sich um. „Ich habe bis ein Uhr morgens geschuftet, und du willst mich ins Kreuzverhör nehmen? Ich mache nur meinen Job! Du weißt genau, dass wir für einige Fälle wochenlang Tag und Nacht arbeiten müssen. Tut mir leid, dass ich dich nicht angerufen habe, aber im Büro war es unglaublich hektisch.“

Vicki entnahm seinen Worten, dass er nicht einmal an sie gedacht hatte, sobald er wieder in der Arbeit gewesen war. Die Erkenntnis tat weh, aber sie wollte davor nicht die Augen verschließen. Calebs Leidenschaft war seine Arbeit, und damit wollte sie sich nicht länger abfinden. „Hör dir bloß mal selbst zu!“ Sie warf die Decke beiseite und kniete sich ins Bett. Ihr Bauch schmerzte mit einem Mal, so angespannt war sie. „Ich glaube, ein Mann, der wochenlang Tag und Nacht arbeitet, eignet sich nicht zum Ehemann.“

Er stieß eine Verwünschung aus, zog sich mit einem Ruck das Hemd aus und warf es beiseite. „Was willst du von mir? Soll ich kündigen?“

„Nein. Ich will bloß, dass du nachdenkst!“ Um sich zu beruhigen, atmete sie ein paar Mal tief durch. Der Anblick seines straffen muskulösen Körpers ließ sie innehalten, und mit einem Mal fiel ihr wieder ein, wie schön die vorangegangene Nacht gewesen war. Doch sie durfte sich nicht ablenken lassen, dazu war dieses Gespräch zu wichtig. „Wenn du so weitermachst, wie willst du dann jemals ein Vater sein? Oder muss ich beides sein, Mutter und Vater?“

„Du hast schließlich genug Zeit“, antwortete er wütend. „Oder würde das deine Treffen mit irgendwelchen Freundinnen stören?“

Sie schnappte nach Luft und warf ein Kissen nach ihm. „Geh raus!“

„Das werde ich nicht tun! Das ist mein Schlafzimmer.“

„Gut!“ Sie stand auf und ging zur Tür. „Dann gehe ich.“

„Vicki“, rief er ihr nach.

Sie war zu wütend, um darauf zu achten. Sie riss die Tür auf und ging zum Gästezimmer. Caleb folgte ihr, schlang die Arme um sie und hielt sie fest. „Jetzt benimm dich nicht so melodramatisch“, sagte er und ärgerte Vicki damit nur noch mehr. „Lass uns ins Bett gehen. Wir sprechen später darüber.“

Wie oft hatten sie das schon gesagt? Enttäuscht darüber, wie wenig bereit er war, auch nur zu versuchen, die Dinge aus ihrer Perspektive zu sehen, befreite sie sich aus seiner Umarmung. „Ich will allein sein.“ Sie ging ins Gästezimmer und legte sich mit dem Gesicht zur Wand auf das Bett.

Natürlich folgte er ihr und legte sich neben sie. Sie hörte ihn seufzen. „Tut mir leid wegen des dummen Spruchs vorhin.“

Sie zuckte die Schultern. Eigentlich wusste sie, dass sie sich verletzt fühlte, weil Caleb recht hatte. Sie machte nichts, während er den ganzen Tag arbeitete. „Ich will keine gelangweilte Hausfrau sein“, brach es aus ihr heraus. „Es macht mich wütend, dass du mich so siehst.“

„Entschuldige, Liebling. Ehrlich.“ Er legte den Arm um sie.

„Ja, nun, aber es stimmt, nicht wahr? Zu was bin ich denn schon nütze? Zu nichts.“

„Komm schon, Vicki …“

„Vergiss es, Caleb.“ Sie war nicht bereit, mit ihm darüber zu reden. Warum hatte sie dieses Thema überhaupt zur Sprache gebracht? „Hör einfach auf, zu drängen, und lass mich nachdenken.“

Sie spürte, dass er sich anspannte. „Damit du dir wieder so etwas Idiotisches ausdenken kannst wie unsere Trennung?“

Erneut flammte ihr Zorn auf. „Du findest es idiotisch, wenn ich arbeiten gehen will?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Aber so ist es bei mir angekommen. Arme dumme Vicki. Wenn du mich in meinen Bedürfnissen unterstützt hättest, wäre ich vielleicht nie auf die Idee gekommen, die Scheidung von dir zu verlangen.“

„Jetzt ist wohl alles meine Schuld.“

Obwohl sie wusste, wie kindisch das war, erwiderte sie: „Ja.“

„Liebe Güte.“ Caleb zog den Arm nicht zurück, den er um sie gelegt hatte, aber Vicki spürte, wie verärgert er war. „Ich bin einfach zu müde zum Streiten.“

„Gut.“

Sie merkte, dass er wenige Minuten später einschlief, während sie, wie ihr vorkam, noch stundenlang wach lag. Wut, Frustration und Eifersucht tobten in ihr, während ihr eine neue Erkenntnis kam. Ihr Mann mochte mit Miranda geschlafen haben und tat das vielleicht immer noch, aber seine Arbeit war seine wahre Geliebte.

Wie sollte sie dagegen ankommen?

7. Kapitel

Am nächsten Morgen kochte Vicki Kaffee für Caleb und reichte ihm seinen Toast, während sie eine Scheibe Brot aß. Sie war nicht gerade in besonders versöhnlicher Stimmung, aber sie hätte es albern gefunden, wenn sie nur Frühstück für sich gemacht und Caleb ignoriert hätte.

Er aß rasch und stand dann auf, nahm seinen Mantel und wandte sich zum Gehen. Vor der Haustür blieb er jedoch stehen. „Ich fange besser ganz früh an – gestern sind eine Menge Dinge liegen geblieben, weil ich an einem sehr wichtigen Fall gearbeitet habe.“

Vicki wurde nicht gern daran erinnert, wie wichtig ihrem Mann die Arbeit war, doch sie zwang sich, ihm einen guten Tag zu wünschen, und begleitete ihn zur Tür. Sie war immer noch verletzt wegen ihrer Auseinandersetzung, und es fiel ihr schwer, so zu tun, als wäre alles in Ordnung.

Er legte die Hand auf die Türklinke, hielt dann jedoch inne. „Ich habe dir gestern Nacht zugehört. Zum Abendessen werde ich zu Hause sein, aber vielleicht muss ich anschließend wieder ins Büro.“ Ihre Blicke trafen sich. „Ich kann meine Lebensgewohnheiten nicht über Nacht ändern.“

Ihre Miene hellte sich auf. Zumindest bemühte Caleb sich, ihren Standpunkt zu verstehen. Ihr machte es nichts aus, wenn er manchmal sehr lange arbeitete. Das Problem mit Caleb war, dass aus „manchmal“ sehr leicht „immer“ wurde. Diese schmerzliche Erfahrung hatte sie schon bald nach der Hochzeit gemacht. „Betrachte es als Übung, zum Abendessen zu Hause zu sein. Oder zumindest, wenn es Zeit wird, ins Bett zu gehen.“ Wenn er bereit war, auf sie zuzugehen, würde sie ihm entgegenkommen.

Die Anspannung wich aus seinem Gesicht. „Möchtest du heute zum Abendessen ausgehen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich verbringe lieber einen ruhigen Abend zu Hause. Und du?“

„Zu Hause. Ich werde versuchen, um sechs Uhr da zu sein.“

„Ich werde warten.“

Nachdem er gegangen war, machte Vicki sich an die Hausarbeit. Das Thema, das sie schon gestern beschäftigt hatte, ging ihr immer noch im Kopf herum. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun konnte, um ihre Situation zu verbessern. Sie hatte kein Studium und hatte nie gearbeitet.

Sie war eine perfekte Gastgeberin. Sie wusste, wie man Leute zum Lachen brachte, wie man sie unterhielt, wie man Kontakte knüpfte und dafür sorgte, dass sich die richtigen Leute beim Abendessen oder auf Partys trafen. Sie wusste sogar, wie man gereizte Gemüter beruhigte, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Aber für welchen Beruf war dieses Können nützlich?

Autor

Nalini Singh
<p>Die internationale Bestsellerautorin verbrachte ihre Kindheit in Neuseeland. Drei Jahre lebte und arbeitete sie unter anderem in Japan und bereiste in dieser Zeit wiederholt den Fernen Osten. Bislang hat sie als Anwältin, Bibliothekarin, in einer Süßwarenfabrik und in einer Bank gearbeitet -- eine Quelle von Erfahrungen, aus der Nalini Singh...
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