Verzauberte Tage in Honolulu

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Nach einem Unfall kann sich Cybele an kaum etwas erinnern, aber sie fühlt sich unwiderstehlich zu dem selbstbewussten Arzt Rodrigo hingezogen. Leidenschaftlich küsst sie ihn - und ahnt nicht, wie gut sie ihn eigentlich kennt …


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757687
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wenn die Frau nicht in eine heftige Diskussion mit der Angestellten der Autovermittlung verstrickt gewesen wäre, hätte Alessandro Conti sie bestimmt nicht bemerkt, davon war er überzeugt. Anscheinend war sie mit dem gleichen Flug wie er aus Los Angeles gekommen. An Bord war sie ihm nicht aufgefallen, doch das war nicht weiter verwunderlich in einer voll ausgebuchten Boeing 747.

Außerdem hatte Alessandro den größten Teil der fünfstündigen Flugzeit nach Honolulu damit verbracht, Morales’ Bericht zu lesen. Er hatte so sehr gehofft, darin einen Hinweis zu entdecken, wo Virginia und Maria sein könnten. Vergeblich. Der Detektiv Morales hatte ihre Spur bis zum Festland verfolgt, doch in San Diego verlor sie sich dann. Alex, wie er von allen genannt wurde, war ziemlich sicher, dass Virginia sich auf dem Weg zur mexikanischen Grenze befand, doch ohne konkretere Hinweise war es unmöglich, sie aufzuspüren.

Deshalb hatte Alex Morales eingeschaltet. Er sollte die beiden finden. Nun hoffte Alex, eine Nachricht zu Hause vorzufinden, um mit Virginia Kontakt aufnehmen zu können. Deshalb stand er jetzt hier in der Ankunftslounge, wartete auf seinen Wagen und beobachtete dabei die Frau, die immer noch mit der kleinen Chinesin von der Autovermietung stritt.

Das Haar dieser Frau war faszinierend. Eine solche Farbe hatte Alex noch nie gesehen. Es war von einem leuchtenden, äußerst lebhaften Rot, und obwohl die Frau es zu einem Zopf geflochten trug, konnte Alex sich gut vorstellen, wie es offen aussah.

Nun gut, dachte er, diese Frau hat rotes Haar, andere sind blond. Das interessiert mich alles nicht. Frauen sind mir ziemlich gleichgültig geworden. Und daran war Virginia schuld. Sie hatte mit ihren steten Forderungen nach Sex in Alex jede Lust getötet, mit ihr zu schlafen. Als er schließlich herausfand, was mit ihr nicht in Ordnung war, starben auch die Zuneigung und die Liebe, die er einmal für sie empfunden hatte.

In letzter Zeit hatte er sich häufig gefragt, ob das Mädchen, das er geheiratet hatte, eigentlich von jeher nur in seiner Vorstellung existiert hatte. Für Virginia war es eine reine Vernunftentscheidung gewesen, ihn zu heiraten, das wusste Alex inzwischen. Sie brauchte ein Heim, Geld, Sicherheit, und er konnte ihr all diese Dinge bieten.

Trotzdem reichte es nicht. Nur, was Virginia suchte, gab es vermutlich gar nicht, und ihre Art, mit dem Problem umzugehen, ließ Alex’ Gefühle erkalten. Vielleicht hatte sie recht mit ihren Vorwürfen, vielleicht sollte er nach sechs Jahren Ehe mehr Verantwortung empfinden. Doch sein Mitgefühl, seine Gutgläubigkeit und seine Geduld hatten Grenzen. Virginia würde sich niemals ändern, weil sie sich gar nicht ändern wollte. Und er war nicht länger der gutgläubige Mensch, den sie geheiratet hatte. Man kann einen Menschen nicht von der Selbstzerstörung abhalten, wenn er keine Hilfe will, dachte Alex.

Als er vor einer Woche nach New York abreiste, war ihm nicht klar, in welchem Spannungszustand Virginia sich befand. Sonst hätte er sie nicht allein gelassen. Andererseits musste er sich aber auch um seine Firma kümmern, er hatte Verpflichtungen.

Am Abend vor seiner Abreise machte Virginia einen fast normalen Eindruck. Sie hatten sich sogar während des Dinners unterhalten. Nichts ließ darauf schließen, dass Virginia ihn verlassen wollte. Ein Streit hätte Alex vielleicht misstrauisch gemacht, doch Virginia blieb friedlich.

Sein Magen verkrampfte sich. Nicht im Traum wäre er darauf gekommen, dass sie die Insel verlassen könnte. Schließlich liebte sie trotz allem den Komfort ihres Hauses, den Luxus seidener Bettwäsche und kostspieliger Kleidung.

Es war jedoch nicht die Sorge um seine Frau, die Alex zutiefst bedrückte. Virginia war egoistisch und würde schon aufpassen, dass ihr nichts passierte. Doch sie hatte ihre gemeinsame fünfjährige Tochter mitgenommen. Das Kind interessierte sie immer nur dann, wenn sie es als Waffe gegen Alex ausspielen konnte.

„Signore, hier bin ich.“

Carlo Venturas ruhige Stimme holte Alex aus seinen Gedanken. Alex wandte sich dem Mann zu, der sein ganzes Leben lang der Conti-Familie gedient hatte, schon bevor Alex geboren war.

„Carlo.“

Die rothaarige Frau hatte jetzt ihre Bemühungen bei der Autovermietung aufgegeben und eilte aus dem Gebäude. Hübsche Beine, bemerkte Alex. So ein Quatsch, dachte er dann ärgerlich, was gehen mich die Beine dieser Rothaarigen an. Er reichte Carlo seine Aktentasche, und sie gingen hinaus.

„Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?“

„Nein, Signore.“ Carlo schüttelte bedauernd den grauhaarigen Kopf. „Kein Wort, Signore. Es tut mir leid.“

Alex schwieg. In einer großen Stadt wie San Diego war es leicht, unterzutauchen. Eine allein reisende Frau mit einem Kind erregte keinen Verdacht. Vielleicht sollte er dankbar dafür sein, dass Virginia allein war. Denn wenn ein anderer Mann im Spiel gewesen wäre, müsste er sich wahrscheinlich noch mehr um die Sicherheit seiner Tochter sorgen.

Carlo hatte den dunkelblauen Mercedes vor dem Flughafengebäude geparkt. Als sie einsteigen wollten, entdeckte Alex wieder die Rothaarige, die gerade in ein Taxi stieg. Vermutlich war sie eine Touristin. Hawaii hatte das ganze Jahr über Saison, und die meisten Touristen begannen ihren Urlaub in Oahu. Waikiki war immer noch das beliebteste Ferienziel im ganzen Pazifik.

Die Fremde trug keinen Lei um den Hals, und Alex fragte sich, ob sie schon einmal auf Hawaii gewesen war. Auch Alex war den lächelnden Wahine ausgewichen, doch in seinem Fall war es eher Gewohnheitssache. Die meisten Besucher fanden den Brauch, mit einer Girlande aus Orchideen begrüßt zu werden, ganz reizend. Aber anscheinend war die Ankunft der rothaarigen Frau anders verlaufen.

Alex setzte sich ans Steuer des Wagens, während Carlo den Träger bezahlte, der Alex’ Gepäck transportiert hatte.

„In Ordnung, Signore“, sagte er, als alles verladen war, und stieg neben Alex ein.

Alex fuhr zunächst in die City. Da es laut Carlo zu Hause keine Neuigkeiten gab, wollte Alex zuerst im Büro nachsehen, ob dort eine Nachricht eingetroffen war. Immerhin war es vierundzwanzig Stunden her, seit er zuletzt mit dem Detektiv Morales gesprochen hatte, und in dieser Zeit konnte sich etwas ereignet haben.

Alex fuhr den Nimitz Highway entlang, an der Dole Ananaskonservenfabrik vorbei nach Downtown Honolulu. Der Sirupduft, den die Konservenfabrik verströmte, war angenehm vertraut, doch diesmal amüsierte Alex sich nicht über den riesigen Wassertank in Form einer Ananas. Auch den Yachthafen, in dem sein eigenes Boot, die „Maroso“, vor Anker lag, streifte er heute nur mit einem flüchtigen Blick. Am Flughafen war der Himmel noch verhangen gewesen, Honolulu und der nahe Strand von Waikiki lagen jedoch in strahlendem Sonnenschein. Aus diesem Grund war die Insel ja auch so beliebt. Es regnete fast nie, und eine sanfte Brise sorgte dafür, dass es nie unerträglich heiß wurde.

Das Conti-Geschäftsgebäude befand sich am Ala Wai Boulevard, nicht weit von der First Hawaiian Bank. Es war einer der vielen Wolkenkratzer, die in den letzten Jahren entstanden waren. Weithin sichtbar überragten sie die kleineren Gebäude, Kirchen und schattigen Parks, die sie umgaben.

Carlo wartete im Auto, während Alex in sein Büro ging. Die Conti-Corporation, von Alex’ Großvater zwischen den Kriegen gegründet, hatte sich inzwischen äußerst gewinnbringend entwickelt. Es war ein weltweites Unternehmen. Alex war Geschäftsführer, sein Vater, der sich offiziell zwar aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte, behielt den Titel des Präsidenten. Alex war jedoch für alles verantwortlich, und es war sein Wort, das zählte.

Glücklicherweise besaß er fähige Mitarbeiter, an die er auch wichtige Aufgaben delegieren konnte, denn seit Virginias Verschwinden hatte er nur wenig Zeit im Büro verbracht. Bei so weit gestreuten Geschäftsinteressen, wie Kohlebergbau in Europa, Stahlbergwerke in Asien, Öl in Kanada und Smaragde in Kolumbien, war es auch unbedingt notwendig, Spezialisten zu beschäftigen.

„Mr. Conti!“ Sophy Ling, eine der beiden Sekretärinnen, die das Vorzimmer betreuten, lächelte ihm herzlich zu.

„Hallo, Sophy“, grüßte Alex zurück. „Irgendwelche Nachrichten für mich?“

Sophy sah ihn bedauernd an. Anscheinend hatte die Nachricht von Virginias Verschwinden sich inzwischen herumgesprochen. Alex wollte die unliebsame Publicity natürlich vermeiden, und bisher war er auch noch nicht von Reportern verfolgt worden. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis es dazu kam.

„Ist Jeff in seinem Büro?“, fragte er. Rose Fraser, Sophys Kollegin, nickte. Jeff Blaisdell war Alex’ Cousin und persönlicher Assistent und hatte während Alex’ Abwesenheit die Angelegenheiten der Firma vertreten. „In Ordnung. Ich bin in Mr. Blaisdells Büro, falls Sie mich brauchen.“

„Mr. Conti …“, begann Sophy zögernd.

„Ja?“

„Wir … das heißt, Rose und ich … es tut uns so leid mit Mrs. Conti. Wenn wir irgendwie helfen können …“

„Das können Sie nicht.“ Alex zwang sich, ruhig und freundlich zu reagieren, schließlich meinten die Mädchen es gut. „Aber ich danke Ihnen. Ich weiß es zu schätzen.“

Jeffs Büro lag direkt hinter dem Vorzimmer und hatte einen wunderschönen Ausblick über ganz Honolulu. Bei Alex’ Eintreten erhob Jeff sich hinter seinem Schreibtisch. Er war der Sohn von Alex’ Tante und glich in seinem Äußeren mehr seinen Neuenglandvorfahren als dem italienischen Stamm der Familie. Er war fast so groß wie Alex, aber viel hellhäutiger. Seit er vor fünf Jahren in die Firma eingetreten war, hatten die beiden Männer gut zusammengearbeitet. Alex wusste, wie froh seine Tante darüber war. Jeff war bis dahin nämlich nicht sehr an Arbeit interessiert gewesen und hatte häufig den Job gewechselt. Jahrelang war er durch Europa getingelt und nur nach Hause zurückgekommen, wenn er Geld brauchte.

Vor fünf Jahren hatte er jedoch seine Meinung geändert, und Alex hatte ihn, ohne zu zögern, als Assistenten eingestellt. Schließlich gehörte Jeff zur Familie. Natürlich hatten einige erfahrene Mitglieder des Aufsichtsrates ihre Bedenken, doch bis jetzt hatte Jeff das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht.

„Alex.“ Jeff gab seinem Cousin die Hand und bat ihn, auf der Couch Platz zu nehmen. „Gibt es etwas Neues?“

Alex verzog das Gesicht und blieb stehen. „Das wollte ich dich gerade fragen. Ich habe Morales gestern in San Diego verlassen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.“

„San Diego?“ Jeff riss seine blauen Augen vor Erstaunen weit auf. „Ist Virginia denn dort?“

„Ich bezweifle es.“ Alex war erschöpft. „Ich glaube, sie will nach Mexiko. Das ist die einzige logische Schlussfolgerung.“

„Ah …“ Jeff nickte. „Kann ich dir einen Drink anbieten?“

„Nein, danke. Ich wollte dir nur sagen, dass ich zurück bin und dass ich morgen ins Büro kommen werde. Jetzt fahre ich erst einmal nach Hause, um mich etwas auszuruhen. Ich glaube, ich könnte eine ganze Woche lang schlafen.“

„Warum tust du das nicht?“, fragte Jeff prompt. „Ich werde hier mit allem fertig, und mit Rose und Sophy auf den Fersen kann ich mir gar keine Fehler erlauben. Du siehst wirklich müde aus, Alex. Gönn dir eine Pause.“

Alex ging zur Tür. „Ich sehe dich morgen.“ Er lächelte. „Ich bin nur fünf Jahre älter als du, Jeff. Ich bin noch nicht reif fürs Altenteil.“

„Schon gut.“ Jeff hob abwehrend die Hände. „Aber falls du es dir doch noch überlegst, ich bin hier.“

„Danke.“

Alex war allerdings fest entschlossen, ins Büro zu gehen. Ohne Maria war das Haus entsetzlich leer, und er konnte die mitleidigen Gesichter seines Personals kaum ertragen. Außerdem hasste er das Nichtstun und diese Hilflosigkeit, nicht zu wissen, wo seine Tochter war. Während er arbeitete, war er wenigstens ein bisschen abgelenkt.

Als er sein eigenes Büro betrat, läutete gerade das Telefon. Ob das Virginia war?

Es war sein Vater. Alex ließ sich tief in seinen Ledersessel sinken, während er Vittorio Contis aufgebrachter Stimme zuhörte.

„Alex? E tu?“

Si, Papa.“

Vittorio Conti war überzeugt davon, dass fast alle Telefone abgehört wurden, und sprach daher, so oft es möglich war, italienisch.

„Ich habe es zuerst im Haus versucht, doch Mama Lu sagte, du bist noch nicht vom Flughafen zurück“, sagte er jetzt. „Daher nahm ich an, dass du mit Jeff reden wolltest. Gibt es immer noch keine Nachricht von den beiden?“

„Nein“, erwiderte Alex unnötig schroff. Er war immer noch enttäuscht, weil es nicht Virginia war, die angerufen hatte. In knappen Worten schilderte er seinem Vater Morales’ Nachforschungsergebnisse.

„San Diego, eh? Was zum Teufel tut sie da? Sie muss doch wissen, dass wir sie früher oder später aufspüren.“

„Ich glaube, Virginia denkt überhaupt nicht nach“, erwiderte Alex resigniert. „Sie folgt einfach ihrem Instinkt. Sie will etwas haben, und sie versucht, es zu bekommen. Es ist ihr egal, ob sie dabei anderen Schaden zufügt.“

„Aber einfach Maria mitzunehmen …“

„Hör zu, Papa, ich möchte dieses Gespräch jetzt lieber beenden. Ich bin todmüde und will dringend nach Hause. Ich rufe dich und Mum an, sobald ich etwas Neues weiß, okay?“

„Okay.“ Der alte Herr wusste, wann er sich geschlagen geben musste. „Dann also bis später.“

„Ja, bis später“, sagte Alex dankbar. „Ciao, Papa. Und – danke für deinen Anruf.“

Die Weiterfahrt zum Haus verlief schweigend. Carlo kannte Alex gut genug, um jetzt keine Fragen zu stellen. Alex brütete vor sich hin. Er erinnerte sich, wie sehr seine Tochter sich vor den Stimmungsschwankungen ihrer Mutter fürchtete. Ohne Mama Lu als Beschützerin und Vermittlerin war Maria Virginia hilflos ausgeliefert.

Der Besitz der Contis befand sich direkt hinter dem Waiahole Valley, einem fruchtbaren Gebiet, mit reichlich Orchideenblüten und Obstbestand. Das Haus lag vor Blicken abgeschirmt zum Meer hin, und die ausgezeichneten Wachleute hinderten ungebetene Besucher daran, hineinzukommen.

Leider hindern sie niemanden daran, herauszukommen, dachte Alex jetzt bedauernd.

Alex hatte von Geburt an in Kumaru gelebt. Als sein Vater sich aus dem Geschäftsleben zurückzog, überließ er das Haus Alex und seiner Frau. Nach seiner Heirat mit Virginia bezog Alex zunächst den neu angebauten Flügel. Er vermutete, dass dieser Bereich ursprünglich einmal als Alterssitz für seine Eltern gedacht gewesen war, doch schon nach kurzer Zeit wurde klar, dass diese beiden Haushalte nicht unter einem Dach existieren konnten. Virginia hatte ihre Schwiegereltern abgelehnt und dies auch stets deutlich gezeigt. Obwohl beide ihr einziges Enkelkind von Herzen liebten, waren sie schließlich in ein kleineres Haus, etwas näher zur Stadt gelegen, umgezogen.

Im Souterrain des Hauses waren eine Sauna und ein Fitnessraum untergebracht, in dem Alex viel von seinen Frustrationen abarbeitete. Hier befanden sich auch Mama Lus Wohnung und ein großes Spielzimmer für Maria. Die alte Hawaiianerin war erst Alex’ Kindermädchen gewesen und jetzt Marias. Gleichzeitig arbeitete sie als unentgeltliche Haushälterin, denn Virginia hatte sich nie dafür interessiert, für ihre Familie zu sorgen. Das alles war ihr viel zu langweilig. Außerdem, warum sollte sie sich mit diesen Dingen belasten, wenn „diese dumme alte Frau“ das doch gern und freiwillig übernahm?

Ja, es hatte sich eine Menge verändert seit der Zeit, als Alex’ Mutter noch dem Haushalt vorstand. Sie war zwar eine Haole, also ein Neuling auf der Insel, und erst nach ihrer Heirat mit Vittorio Conti hierher gekommen. Die neue Mrs. Conti legte jedoch von Anfang an großen Wert darauf, ihrem Mann das gemütliche Heim zu schaffen, welches er nach einem langen Arbeitstag brauchte.

Nicht so Virginia. Sie begrüßte Alex abends stets mit einer Beschwerde über ihn selbst, über Maria oder über einen der Angestellten. Ihr ständiges Verlangen nach Unterhaltung ging mit der Zeit allen auf die Nerven. Wenn sie nicht den Menschen mitgenommen hätte, den Alex am meisten auf der Welt liebte, wäre ihm ihr Fortgehen vielleicht sogar willkommen gewesen. Eine Lösung des Problems wäre es natürlich auch nicht gewesen, aber Alex hätte das Gefühl gehabt, wenigstens einmal, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder frische Luft atmen zu können.

Alex parkte den Wagen. Noch bevor er aussteigen konnte, stürmte ein glatzköpfiger Mann in weiter schwarzer Hose und dunkelgrüner Mandarinjacke die Stufen des Eingangs herab.

Padrone“, rief er aufgeregt, „Padrone, Sie haben einen Gast.“

Alex’ Herz schlug schneller. „Einen Gast?“, wiederholte er. „Was für einen Gast?“

„Was für einen Gast?“ Wong Lee, Alex’ persönlicher Bediensteter und Mama Lus Ehemann, war sichtlich verwirrt. „Was für einen Gast haben Sie denn erwartet?“

„Der Padrone hat überhaupt keinen Gast erwartet“, mischte Carlo sich ein. „Was der Padrone meint – ist es ein privater Gast, oder ist er geschäftlich hier?“

„Danke, Carlo, ich werde das selbst klären.“ Alex wollte keinen Streit heraufbeschwören. Carlo und Wong Lee gerieten ohnehin schon oft aneinander, denn Mama Lu war nach wie vor sehr freizügig mit ihren Gefälligkeiten. Obwohl Carlo und Wong Lee beide in den Sechzigern waren, empfanden sie noch immer so etwas wie sexuelle Rivalität.

„Wer ist dieser Besucher, Lee? Jemand vom Festland?“

„Ja, Sir.“ Wong Lee warf Carlo Ventura einen triumphierenden Blick zu. „Sie sagt, sie ist Mrs. Ginias Cousine. Sie sagt, Mrs. Ginia hat sie eingeladen.“

„Virginias Cousine?“, wiederholte Alex skeptisch. Dann eilte er ins Haus. Er konnte sich nicht daran erinnern, je von einer Cousine gehört zu haben, und ganz bestimmt war sie nicht bei der Hochzeit anwesend gewesen. Soweit er wusste, war Virginias Mutter ein Einzelkind.

Wer ist diese Frau dann? überlegte Alex, während er sein Jackett auf eine polierte japanische Kommode in der Eingangshalle warf.

Mama Lu, eine gebürtige Polynesierin, hatte das Auto gehört und näherte sich jetzt, um Alex zu begrüßen. Das geschah alles recht gemächlich, denn Mama Lu war nicht nur schon älter, sondern wog auch fast zweihundertfünfzig Pfund. Wie schon oft fragte Alex sich, was Mama Lu wohl für Wong Lee und Carlo so unwiderstehlich machte.

„Eine Dame wartet auf Sie.“

„Ich weiß.“ Er atmete tief durch. „Wo ist sie, und vor allem, wer ist sie?“

„Nun … sie sagt, sie ist die Cousine Ihrer Frau.“ Mama Lu deutete auf die Tür zum Salon. „Ich habe sie dort hineingeschickt.“

„Danke.“

Das war eindeutig. Mama Lu, die Alex zu gern begleitet hätte, verstand. Alex bemerkte, dass ihre Augen gerötet waren und erkannte, dass sie sich ebensolche Sorgen machte, wie er selbst.

„Ich sage dir, warum sie hier ist, sobald ich es weiß“, versprach er.

Die junge Frau, die ihn erwartete, stand am Fenster. Demnach musste sie seine Ankunft beobachtet haben und konnte sich auf die Begegnung vorbereiten. Vielleicht war sie deshalb jetzt so ruhig, obwohl sie noch vor Kurzem auf dem Flughafen in heller Aufregung gewesen war? Denn es war die rothaarige Frau von vorhin. Was wollte sie?

Alex war ganz anders, als Camilla ihn sich vorgestellt hatte. Nach Virginias Beschreibung hatte Camilla einen Mann in mittleren Jahren mit Bauchansatz und beginnender Glatze erwartet. Virginia hatte das Bild eines Mannes gezeichnet, der gemein und rücksichtslos war und sich mehr fürs Geldverdienen als für das Glück seiner jungen Frau interessierte. Sie schrieb, er hätte sie nur geheiratet, weil er einen Erben brauchte. Nach der Geburt des Kindes hatte er sich dann nicht mehr um sie gekümmert. Daher war sie einsam und allein auf dem riesigen Besitz und sehnte sich nach einer Freundin.

Vielleicht stimmt das ja alles, dachte Camilla, während sie Alex Conti betrachtete. Nun war Virginia dummerweise nicht da, und Camilla fühlte sich als ungebetener Eindringling.

„Sie sind Virginas Cousine?“, fragte Alex höflich.

Camilla wurde rot. Sie hatte diesen Schwindel erfunden, um von Mama Lu ohne Schwierigkeiten ins Haus gelassen zu werden.

„Nicht … nicht direkt“, gab sie zu. Ach, warum war Virginia ausgerechnet heute nicht zu Hause?

„Nicht direkt?“ Fragend und fast ein wenig drohend sah Alex Conti Camilla an. „Entweder sind Sie ihre Cousine, oder Sie sind es nicht. Wissen Sie es denn nicht?“

„Ich heiße Camilla Richards.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“ Sie wollte sich nicht einschüchtern lassen. „Virginia und ich sind zusammen zur Schule gegangen. Wir kennen uns seit … seit fünfzehn Jahren.“

Alex’ Gesichtsausdruck blieb undurchdringlich. Camilla hatte den Eindruck, durch ihr Erscheinen etwas Unverzeihliches getan zu haben. Sie kam zu der Überzeugung, dass Virginia doch nicht übertrieben hatte.

„Sie sind also nicht die Cousine meiner Frau“, stellte er fest. „Würden Sie mir dann bitte sagen, was Sie hier suchen?“

Camilla schluckte. „Also wirklich …“

„Also wirklich was? Hat Virginia Sie geschickt? Ist es das? Hat sie Ihnen aufgetragen, auf jeden Fall hier einzudringen, egal mit welchen Mitteln? Was will sie? Sind Sie ihre Botschafterin? Denn in diesem Fall, Miss Richards …“

„Nein!“ Mit einem heftigen Ausruf unterbrach Camilla diese Flut von Anschuldigungen. „Nein, natürlich hat Virginia mich nicht geschickt. Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden. Virginia hat mich eingeladen, zu ihr zu kommen. Ich bin ihr Gast. Und als Ihre Haushälterin mich nicht hereinlassen wollte, habe ich eben gesagt, ich sei Virginias Cousine. Es schien das einzige Vernünftige.“

Alessandro Conti sah sie misstrauisch an. „Wollen Sie mir dieses Märchen wirklich verkaufen? Virginia soll Sie eingeladen haben?“

„Natürlich.“ Camilla warf den Kopf zurück. Dabei bemerkte sie, dass ihr Haarknoten sich zu lösen begann und ihr einige feuerrote Strähnen ins Gesicht hingen. „Wie ich schon sagte, sind wir zusammen zur Schule gegangen. Und als sie mir jetzt schrieb und berichtete …“

„Was berichtete?“

„Dass … dass …“ Camilla war ratlos. Sie konnte Alex Conti unmöglich verraten, was Virginia geschrieben hatte. Andererseits musste sie ihm eine glaubhafte Erklärung für ihre unangemeldete Ankunft aus London liefern. „Sie … ach, sie fragte einfach, ob ich nicht mal Urlaub auf Hawaii machen wollte. Es wäre nett, von alten Zeiten zu sprechen. Ich dachte natürlich, Sie wüssten über mich Bescheid.“

Alex fuhr sich mit einer Hand durch das dichte schwarze Haar. Er war wirklich ein überaus attraktiver Mann, stellte Camilla fest. Exklusive, anscheinend maßgeschneiderte Kleidung betonte seine sportliche Figur.

„Ich?“, fragte er kopfschüttelnd. „Glauben Sie wirklich, Virginia hätte darüber mit mir gesprochen?“

„Ja.“ Camilla fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.

„Dann kennen Sie Ihre sogenannte Freundin nicht besonders gut“, entgegnete Alex. „Wann wurde diese Einladung denn ausgesprochen? Und was beabsichtigen Sie jetzt zu tun?“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Ich sagte …“

„Ich weiß, was Sie sagten. Soll das heißen, ich kann nicht hier bleiben?“

Verständnislos sah Alex Camilla an. „Haben Sie etwa die Absicht, zu bleiben? Unter diesen Umständen?“

Hilflos hob sie die Schultern. „Was denn für Umstände?“

„Die Tatsache, dass Virginia nicht hier ist“, erklärte Alessandro Conti ungeduldig. „Ich dachte, das hätte Ihnen bereits jemand gesagt.“

„Ja, schon.“ Camilla war verwirrt. „Aber sie wird doch bald zurückkommen, nicht wahr?“

„Wird sie das?“ Alex kam ein paar Schritte näher und wirkte plötzlich sehr bedrohlich. „Reden Sie. Wann wird sie zurückkommen?“

Camilla wich zurück. „Ich weiß es natürlich nicht genau. Heute irgendwann, nehme ich an.“

„Heute noch?“

Er war jetzt nur noch auf Armeslänge von ihr entfernt, und obwohl er keinerlei aggressive Gebärden machte, bekam Camilla es mit der Angst zu tun.

„Erwarten Sie sie denn nicht jeden Augenblick zurück?“ Am liebsten hätte sie schützend die Arme vor das Gesicht gehalten. Um Himmels willen, was hatte sie nur getan? Der Mann führte sich ja so auf, als wäre sie für Virginias Abwesenheit verantwortlich.

Einen Moment lang schwiegen sie beide. Camilla kämpfte mit dem Impuls, davonzulaufen.

Schließlich sagte Alessandro: „Da Virginia vor fast einer Woche verschwunden ist, werde ich sie wohl kaum ausgerechnet heute zurück erwarten, oder?“

2. KAPITEL

Das Zimmer, in das man sie geführt hatte, war ganz anders als jeder Raum, den Camilla bislang bewohnt hatte. Sie arbeitete als einigermaßen erfolgreiche Anwältin in Lincolns Inn in London und hatte sich von ihrem recht großzügigen Gehalt Reisen durch ganz Europa geleistet. Einmal war sie mit einer Freundin sogar auf Sri Lanka gewesen. Doch in keinem Hotelzimmer hatte sie auch nur annähernd den Luxus vorgefunden, wie ihn dieses Zimmer in Alessandro Contis Haus bot. Gegen ihren Willen war Camilla beeindruckt.

Das ist fantastisch, staunte Camilla, nachdem die gewichtige Haushälterin, die sich trotz ihrer Beleibtheit mit der für Polynesierinnen typischen Behändigkeit bewegte, gegangen war. Camilla war zwar ziemlich weit gereist, doch an riesige Zimmer, in denen Stufen zum zweiten, höher gelegenen Teil des Raumes führten, war sie nicht gewöhnt. Auch nicht an chinesische Seidentapeten oder an Betten von der Größe eines mittleren Schlafzimmers, die Baldachine trugen und völlig von Vorhängen umschlossen wurden, sodass man von der Sonne nicht geblendet wurde.

Im Augenblick war es allerdings dunkel draußen, so dunkel, dass Camilla sich nicht davon überzeugen konnte, ob die Aussicht ebenso prachtvoll war wie das Zimmer. Irgendwo unterhalb der Terrasse hörte sie das Meer rauschen. Trotz der unglücklichen Umstände fühlte sie sich sehr wohl hier und fast in Ferienstimmung.

Schließlich war sie auf Oahu, nur wenige Meilen vom berühmten Strand von Waikiki entfernt. Und obwohl Virginias Verschwinden Camilla beunruhigte, war sie dennoch verständlicherweise von ihrer Umgebung beeindruckt. Hawaii war eine Insel, die fast jeder ein Mal im Leben besuchen möchte, und bisher hatte sie Camillas Erwartungen weit übertroffen.

Was sie von ihrem Gastgeber halten sollte, konnte Camilla noch nicht recht beurteilen. Alessandro Conti schien das genaue Gegenteil dessen zu sein, was Virginia in ihrem Brief geschrieben hatte. Camilla wusste nicht, wie sie die unterschiedlichen Eindrücke miteinander vereinbaren sollte.

Sie wusste natürlich, wie sehr das Aussehen eines Menschen trügen konnte. In ihrer Arbeit als Anwältin musste sie oft zwischen einer klugen Lüge und einer unklugen Wahrheit unterscheiden, und die unwahrscheinlichste Geschichte war manchmal doch zutreffend.

Camilla hatte keinen Grund, die Dinge, die Virginia ihr geschrieben hatte, nicht zu glauben. Im Gegenteil, sie konnte sich Alessandro Conti durchaus gewalttätig vorstellen, und einen winzigen Moment lang hatte sie sich während ihres Gesprächs mit ihm tatsächlich bedroht gefühlt.

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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