Viel Lärm um Miss Sweetly

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Alice zerreißt es schier das Herz, als der Marquis ihre prickelnde Liaison beendet, weil er sich eine standesgemäße Braut suchen muss. Nur wenn sie ihm ihr Geheimnis verraten würde, hätte ihr Glück noch eine Chance - aber sein Ruf wäre dann für immer zerstört!


  • Erscheinungstag 02.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716868
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

London 1811

Razeby, welche Überraschung! Ich habe dich erst später erwartet.“

Sehr viel später

Hektisch legte Alice Sweetly Blatt und Füllfederhalter in die Schublade des Sekretärs und schob sie zu. Ihre Unruhe gründete jedoch nicht auf der Tatsache, dass sie auf den Besuch ihres Galans, des Marquis of Razeby, nicht vorbereitet war, sondern vielmehr darauf, dass er immer noch interessiert zur Schublade herüberblickte. Hastig sprang sie auf und eilte zu ihm hinüber, um ihn davon abzulenken. „Du hast mich erschreckt.“

„Verzeih mir, Alice. Das wollte ich nicht. Du hast so gedankenverloren gewirkt“, sagte Razeby mit seiner wohlklingend tiefen Stimme.

„So vertieft war ich gewiss nicht. Ich habe nur einen Brief an einen Freund geschrieben.“ Durch ihre Nervosität war ihr leichter irischer Akzent stärker zu hören als sonst, und ihre Wangen brannten von heißer, verräterischer Röte bei dieser Lüge.

„Der Glückliche.“ Er schenkte ihr sein unwiderstehliches Lächeln.

Sie befürchtete, dass er ihr weitere Fragen zu dem ausgedachten Brief und dem angeblichen Freund stellen würde, doch ganz seinem großherzigem Naturell entsprechend vertraute Razeby ihr wie immer bedingungslos und warf nicht einmal einen weiteren Blick auf den kleinen Sekretär.

„Beende deinen Brief ruhig. Ich werde mir derweil mit einem Brandy die Zeit vertreiben.“

„Kommt nicht infrage.“ Allein der Gedanke, dass er ihr beim Schreiben zuschauen könnte, verstärkte die glühende Röte in ihrem Gesicht. Sie senkte den Blick auf den schäbigen mottenzerfressenen Wollschal und das altmodische, einst hübsche, aber nun abgetragene Kleid und wechselte hastig das Thema. „Schau nur, wie ich aussehe! Ich trage diesen alten Fetzen bloß, weil ich meine guten Kleider schonen will.“ Da sie in Armut aufgewachsen war, fiel es ihr schwer, mit dieser alten Gewohnheit zu brechen. „Für heute Abend habe ich mir bereits ein hübsches Seidenkleid zurechtgelegt. Ich gehe rasch hoch und ziehe mir etwas Anständiges an.“ Sie wollte an ihm vorübergehen.

Doch Razeby legte ihr den Arm um die Taille und zog sie an sich. „Keine Sorge, Alice. Du siehst wunderschön aus. Wie immer.“ Seine Augen, tiefbraun und aufrichtig, hielten ihren Blick fest. Sanft strich er ihr eine verirrte Strähne aus der Stirn. „Habe ich dir nicht gesagt, dass es mir nicht aufs Äußere ankommt, sondern auf die Frau, die sich darunter verbirgt?“

„Schmeichler“, sagte sie lächelnd. Ein Prickeln durchflutete sie, als sie seinen stattlichen, männlichen Körper so nah spürte.

„Es ist die Wahrheit, und das weißt du auch.“ Razeby konnte mit seinem Charme alles erreichen. Lachend zog er sie noch enger an sich. „Wenn du dir aber neue Kleider wünschst, sollst du sie bekommen.“

„Ich will keine neue Garderobe. Ich habe bereits genug Roben im Schrank, um halb London einkleiden zu können!“

„Mir gefällt es, dir schöne Dinge zu kaufen. Es macht dich glücklich. Und ich möchte, dass du glücklich bist.“ Er umfasste ihre rechte Hand.

Rasch wollte Alice die Hand zur Faust ballen, um die Tintenflecke zu verbergen, aber Razeby rieb bereits mit dem Daumen darüber.

„Mmmm …“ Schmunzelnd blickte er sie an. „Mir scheint, du benötigst einen neuen Füllfederhalter.“

„Nein.“ Sie lachte, aber bei dem Gedanken an den kostbaren silbernen Füllfederhalter, der ihr so viel bedeutete, errötete sie erneut. „Ich will keinen anderen Füllfederhalter. Mir gefällt meiner sehr gut.“

„Das freut mich“, murmelte Razeby rau und führte ihre fleckigen Finger an seine warmen Lippen.

„Du weißt, dass ich glücklich bin. Sehr glücklich sogar …“ Sie hielt inne, ehe sie mit sanfter Stimme hinzufügte: „Und das nicht etwa, weil du mir so viele schöne Dinge kaufst.“ Es war die Wahrheit.

Ein seltsam gequält wirkendes Lächeln trat in sein Gesicht, als er ihr über die Wange strich und tief in die Augen sah.

Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, dass sie bereits seit sechs Monaten seine Mätresse war und seitdem fast jede Nacht mit ihm verbracht hatte. Wenn er sie mit diesem glühenden Blick anschaute, flammte immer noch die gleiche prickelnde Begierde in ihr auf wie bei ihrer ersten Begegnung im Theatre Royal in Covent Garden. Ihre intime Beziehung hatte die Leidenschaft, oder welche Gefühle auch immer zwischen ihnen bestehen mochten, keineswegs gedämpft, sondern vielmehr noch angefacht. In ihrem Bauch tanzten Schmetterlinge, ihre Haut kribbelte überall und ihr wurde ganz heiß. Unvermittelt löste er den Blick und sah mit nachdenklicher, fast finsterer Miene aus dem Fenster. „Alice …“

Was auch immer er hatte sagen wollen, schien vergessen, als sie ihn an sich zog, um mit einem Kuss seine sorgenvolle Miene zu vertreiben.

Razeby erwiderte den Kuss mit gleicher Inbrunst. Stürmisch eroberten seine warmen Lippen die ihren, so wie damals, als er sie im Mondlicht vor dem Bühneneingang geküsst hatte.

Sie löste sich von ihm und musterte ihn mit schalkhaftem Lächeln, während sie leicht über die harte Wölbung seiner Hose strich und spürte, wie ihn ein Schauer durchrieselte. Leise aufstöhnend bog er sich ihr entgegen, ehe er ihre Hand packte und von der Versuchung fortzog.

Sein Blick verdunkelte sich und in seinen Augen stand das vertraute Funkeln, das die Flammen ihrer Begierde noch höher lodern ließ. „Alice, du bist ein unartiges Mädchen“, flüsterte er an ihrem Ohr. Seine samtige Stimme sandte kleine Schauer über ihre Haut.

„Sehr unartig sogar, Razeby.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „So unartig, dass du mich womöglich übers Knie legen musst.“

„Ich würde meine Pflichten vernachlässigen, wenn ich es nicht täte.“ Sie nahm das Verlangen in seiner Stimme wahr.

„Und wenn dich eines auszeichnet, dann, dass du deine Pflichten immer erfüllst.“ Wieder glaubte sie, einen Schatten in seinen Augen aufblitzen zu sehen, also zog sie die Röcke ein wenig hoch, um ihm einen Blick auf ihre bestrumpften Fesseln zu gewähren. Sie wollte dafür sorgen, dass er vergaß, was auch immer ihn bekümmerte. Und es gelang ihr.

„Sei vorsichtig, Miss Alice Sweetly“, warnte er.

„Ich bin viel lieber wagemutig, James Brundell, Marquis of Razeby. Aber genau diese Eigenschaft gefällt dir ja besonders an mir, nicht wahr?“ Sie hob die Augenbrauen und öffnete spielerisch die obersten Knöpfe ihres Kleides. Der Stoff fiel auseinander und gab die Wölbung ihrer Brüste über dem hauchdünnen Unterkleid preis.

Razebys Blick verschleierte sich. Ohne sie aus den Augen zu lassen, befeuchtete er sich die Lippen. „Alice, du bist eine Versuchung, der ich nicht widerstehen kann.“

„Das will ich hoffen.“ Lachend zog sie die Nadeln aus dem blonden Haar, sodass es ihr wie ein Wasserfall über die Schultern floss.

Razeby schlüpfte aus seinem maßgeschneiderten schwarzen Jackett und warf es hinter sich aufs Sofa. Anschließend zog er seine cremefarbene Weste aus. Alice griff nach seinem kunstvoll gebundenen Halstuch, löste den Knoten und legte es über die Sofalehne. Unter dem blendenden Weiß seines eleganten Hemdes zeichnete sich schwach der dunkle Flaum auf seiner Brust ab. Sie ließ den Blick tiefer gleiten, zu der eng anliegenden wildledernen Reithose, die seine muskulösen Schenkel ebenso erahnen ließ wie seine Erregung. Und schließlich noch ein Stückchen tiefer zu den polierten schwarzen Stiefeln, die durch den Ritt von seinem Stadthaus am Leicester Square zu dem Haus in der Hart Street, das er für sie gemietet hatte, mit Staub überzogen waren.

Sie kannte jeden Zentimeter seines gebräunten Körpers, jeden harten Muskel. Sein Duft war ihr ebenso vertraut wie sein Geschmack. Sie genoss es, seine Haut unter den Fingerspitzen zu fühlen und seinen hämmernden Herzschlag zu spüren, nachdem er sie geliebt hatte. Er erfüllte ihr Herz mit einer tiefen Zuneigung und mit Begehren.

Verführerisch reckte sie den Po empor und schwang die Hüften, um ihn zu necken.

„Du spielst ein gefährliches Spiel, Alice.“

„Gibst du dich etwa schon geschlagen?“, fragte sie über die Schulter hinweg.

Er machte einen Schritt auf sie zu, worauf sie hinter das Sofa zurückwich.

„Wenn ich dich fange, Alice …“

„Falls du mich fängst …“ Lächelnd hob sie die Augenbrauen. „Was wirst du dann tun?“, fragte sie.

„Ich werde dir die Röcke hochschieben.“

„Ja?“, hauchte sie.

„Und dich übers Knie legen.“

„Und dann?“ Vor sehnsuchtsvoller Erwartung war sie ganz atemlos.

Er trat näher ans Sofa heran. Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. „Du weißt, dieses Spiel kann nur auf eine Weise enden, Alice.“

„Tatsächlich? Und wie, Mylord?“

Er griff über das Sofa hinweg nach ihr. Alice wich aus und lief zur Tür des Salons. „Du musst schon ein bisschen flinker sein, Razeby!“

Auf dem Treppenabsatz holte er sie ein. Fest schloss er den Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Sie schrie auf und brach gleich darauf in Lachen aus.

„Kleine, verführerische Hexe“, flüsterte er ihr ins Ohr und küsste die Kuhle an ihrem Hals.

Sie war völlig außer Atem, doch Razeby schien überhaupt nicht angestrengt. Mit einer Leichtigkeit, als sei sie nicht schwerer als eine Feder, hob er sie über die Schulter und trug sie die Treppe hinauf.

„Razeby!“, protestierte sie und strampelte heftig. Zur Antwort bekam sie bloß einen leichten Klaps auf den Po. Wenig später schob er mit dem Fuß die Tür zum Schlafzimmer auf und warf sie aufs Bett.

„Also dann, meine Liebe“, sagte er. „Wir haben noch etwas zu erledigen. Ich glaube, es hatte etwas mit ‚übers Knie legen‘ zu tun.“

„Ach ja?“ Lachend rollte sie auf den Bauch und kroch rasch übers Bett, um ihm auszuweichen.

„Du wirst mir nicht entkommen“, sagte er mit strenger Stimme, während er die Finger um ihre Knöchel schloss und sie wieder zu sich zog, wobei ihre Röcke hochrutschten. Er schob den Stoff noch höher und entblößte die nackte Haut über den Strümpfen und ihr Gesäß.

„Welch herrlicher Anblick“, murmelte er, und ihr stockte der Atem, als er die Finger über ihre Hüften wandern ließ.

Die Matratze sank ein, als er sich setzte. Aufkeuchend spürte sie, wie er sie packte und ihr entblößtes Gesäß an sich zog.

„Habt Gnade, Mylord Razeby, ich bitte Euch“, rief sie schmunzelnd und ganz atemlos vor Erwartung.

„Ich versichere dir, mein Liebes, bei dir kenne ich weder Gnade … noch Zurückhaltung.“ Zärtlich strich er über ihre Rundungen und gab ihr dann mehrere sanfte Klapse.

Sie lachte, und er fiel in ihr Lachen ein, ehe er sie an sich zog und küsste. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und erwiderte den Kuss mit all der Leidenschaft, die in ihr brannte. Gemeinsam sanken sie auf das Bett zurück; liebevoll strich sie ihm über das Gesicht und durchs Haar.

„Alice“, flüsterte er und ließ die Lippen sanft über ihre Wange streifen. Seine dunklen Augen, so samtig braun wie flüssige Schokolade, blickten sie voller Zärtlichkeit und Verlangen an.

„Razeby“, sagte sie weich.

Ihre Blicke verfingen sich und er schenkte ihr einen stürmischen, innigen Kuss. Dann stand er auf und zog sich Hemd und Hose aus. Sie nestelte immer noch an den Knöpfen ihres Kleides, als er zu ihr zurückkehrte.

„Lass mich dir helfen“, bot er an, um gleich darauf wie ein kriegerischer Wikinger das Kleid am Kragen zu packen und es ihr vom Leib zu reißen.

„Wie ungeduldig, Mylord“, tadelte sie.

„Das ist allein deine Schuld, Weib.“

„Als Nächstes wirst du mich noch ans Bett binden.“

Prüfend ließ er den Blick zu der schwarzen Seidenkordel schweifen, die über dem Kopfende des Bettes hing. „Das sparen wir uns für später auf.“

„Wenn Ihr darauf besteht, Mylord.“

„Jawohl, Miss Sweetly.“

Sie lächelte und spürte, wie ihr allein beim Gedanken daran noch heißer wurde.

Brummend schob er den dünnen, zerrissenen Stoff und das raschelnde Unterkleid zur Seite und ließ den hungrigen Blick über ihren nackten Körper gleiten. „Weißt du, was du mit mir machst?“ Sie konnte die Anspannung in seiner Stimme hören und in seinem Gesicht sehen. Spielerisch fuhr er mit den Fingern über ihre Brüste, worauf sich die Spitzen aufrichteten und beinah unerträglich schmerzten.

„Ich habe da so eine Ahnung“, murmelte sie, als er den Kopf senkte und mit der Zunge über ihre Knospen leckte. Ein Stöhnen entfuhr ihr, laut und sehnsuchtsvoll. Sie wölbte sich ihm entgegen, und er umschloss mit den Lippen ihre Brust. Die Finger in sein dunkles Haar gekrallt, zog sie ihn an sich und wünschte, er würde niemals aufhören, sie zu liebkosen. Sie wollte mehr, so viel mehr. Liebevoll neckte er jede der harten, empfindlichen rosigen Spitzen, bis sie das Gefühl hatte, zu zerfließen. Sie versuchte, sich zusammenzunehmen, ihm zu widerstehen. Er erkannte, wie nahe sie davor stand, die Beherrschung zu verlieren, und schenkte ihr ein verruchtes Lächeln.

„Keine Gnade, Alice“, sagte er mit leiser, samtweicher Stimme und bewegte seine Zunge auf derart geschickte Weise, dass sie sich nicht länger beherrschen konnte. Sie ließ sich fallen, und ihr Körper explodierte in einem Feuerwerk der Ekstase. Überwältigende Schauer der Wonne durchfuhren sie, rissen sie mit sich, erfüllten sie von Kopf bis Fuß, und sie keuchte in verwundertem Entzücken laut auf.

Das Prickeln war noch immer nicht verflogen, als er schließlich den Kopf hob und sie ansah. „Razeby“, flüsterte sie liebevoll.

Sie ließ die Hände über seine gebräunten Schultern nach unten zu seinem Bizeps gleiten. Durch all die Fechtübungen, Faustkämpfe und die vielen Stunden hoch zu Ross war sein Körper sehnig und muskulös, so stark und männlich.

„Du bringst mich um den Verstand“, sagte sie.

„Schuldig im Sinne der Anklage“, gab er zu, und seine Augen funkelten verführerisch. Er zog eine Spur Küsse über ihren Hals, über ihre Wangen und ihr Kinn. Wieder spürte sie Verlangen in sich aufsteigen.

Mit den Lippen streifte sie über seine nackte Schulter, während sie eine Hand tiefer gleiten ließ, um seine harte Männlichkeit zu liebkosen. Sie spürte, wie er unwillkürlich zusammenzuckte, und hörte, wie er scharf den Atem einsog.

„Alice …“

Keck biss sie ihm in die Schulter.

Mit Inbrunst nahm Razeby ihre Lippen gefangen und eroberte geschickt mit der Zunge ihren Mund, während sie die Beine um ihn schlang und ihn willkommen hieß.

Voller Leidenschaft gaben sie sich diesem sinnlichen Tanz hin, der so alt war wie die Zeit, wurden eins miteinander und teilten alles auf dieser Reise, die nur ein Ziel kannte. Immer schneller bewegten sie sich, immer stürmischer, bis die Erlösung kam und sie seinen Namen rief, während er sich gleichzeitig in ihr ergoss. Erbebend umklammerte sie ihn, drohte in tausend Sternensplitter zu zerbersten, gefangen von einer Magie, die alles andere vergessen machte.

Danach hielt er sie wie immer in seinen starken Armen, als wolle er sie vor der ganzen Welt beschützen. Sie spürte seinen warmen Atem im Haar und seine besitzergreifende Hand auf ihrer Brust, die Wärme seines Körpers und ihr eigenes Glühen. Seine Lippen streiften ihr Haar, und das Herz hüpfte ihr vor Glückseligkeit. Noch enger kuschelte sie sich an ihn und genoss die Wonne ihrer Zweisamkeit.

Aber als sie die Augen öffnete und seinen Blick suchte, sah sie darin dieselbe nachdenkliche Sorge wie zuvor im Salon. Sacht strich sie über seine bartstoppelige Wange. „Was hast du, Razeby?“ Seit mehreren Wochen schien er ihr schon seltsam verändert, ganz anders als gewohnt. „Dich bekümmert doch etwas.“

Forschend musterte er sie, und einen Augenblick lang dachte sie, dass er ihr anvertrauen würde, was ihm auf dem Herzen lag. Dann aber änderte sich seine Miene und er schenkte ihr dieses vertraute betörende Lächeln, bei dem sie innerlich dahinschmolz.

„Nichts, was nicht noch eine Weile warten könnte.“ Er ergriff ihre Hand und drückte sie an seine Lippen.

Von dunkler Vorahnung ergriffen, wollte sie sich nicht so leicht beschwichtigen lassen. „Razeby“, fing sie an, doch er rollte sie auf den Rücken und legte sich auf sie, ohne den Blick von ihr zu nehmen.

„Bitte, jetzt noch nicht“, sagte er. Mit einem Kuss erstickte er ihren Protest. Der Kuss führte zu einem weiteren, und noch einem, bis die Leidenschaft sie erneut verschlang und alles andere unwichtig wurde.

2. KAPITEL

Razeby stand am Fenster seines Arbeitszimmers und beobachtete das rege Treiben auf dem Leicester Square. Aus einer Gasse ratterte ein Kohlenkarren heran, zwei Reiter grüßten einander, Dienstboten eilten über die Gehsteige, um Besorgungen für ihre Herrschaft zu erledigen. Als er ein Dienstmädchen sah, das einen Kinderwagen schob, wandte er sich rasch vom Fenster ab.

Sein Blick fiel auf die Brandykaraffe auf seinem Schreibtisch. Trotz der frühen Stunde füllte er ein Glas und nahm einen Schluck.

Heiß rann der Alkohol durch seine Kehle. Razeby atmete tief durch und stellte das Glas auf den Brief, der vor ihm auf dem Tisch lag. Ein Tropfen rann vom Rand und verwischte die Worte, die ihm sein Cousin Atholl geschrieben hatte. Atholl, der allen Ratschlägen zum Trotz in die Kavallerie eingetreten war, um gegen Napoleon zu kämpfen. Noch eine Erinnerung. Überall, wohin er sah, quälten ihn Erinnerungen.

Das Haus lag totenstill. Nur das gleichmäßige Ticken der Standuhr war zu hören und gemahnte ihn daran, dass ihm die Zeit viel zu schnell durch die Finger rann. Lange hatte er abgewartet, fast zu lange. Er konnte es nicht länger hinausschieben.

Er dachte an Alice, seine Alice; ihre wunderschönen dunkelblauen Augen, ihre Leidenschaft, ihren klugen Geist, ihre Herzlichkeit. So sehr freute sie sich auf das Feuerwerk heute Abend. Er dachte an all das, was sie in den vergangenen Monaten geteilt hatten, und verspürte einen tiefen Schmerz in der Brust. Sein Blick schweifte zu dem schmalen Samtkästchen, das neben dem Füllfederhalter lag. Kurz hielt er inne, um sich für seine Pflicht zu wappnen, dann steckte er das Kästchen in die Tasche seines Fracks.

In einem Schluck leerte er das Glas, doch der Brandy konnte weder die aufsteigende Verbitterung noch sein Unbehagen lindern.

Die Nacht war sternenklar. Samtschwarz, wie ein funkelndes diamantenbesetztes Tuch, in dessen Mitte die zarte Sichel des Mondes prangt, spannte sich der Himmel über London. Razeby half Alice aus dem kleinen Boot, und sie schlenderten zum Eingang der Vauxhall Gardens.

Alice zog den Mantel fester um sich, worauf Razeby sie an sich drückte. „Dir ist kalt.“

„Nur ein wenig.“ Lächelnd schaute sie zu ihm auf. Er blickte sie mit einer seltsam zärtlichen Miene an, als wolle er sich ihr Gesicht in allen Einzelheiten einprägen. „Warum so ernst?“, fragte sie immer noch lächelnd und streichelte über seine bartstoppelige Wange.

Er gab ihr einen Kuss auf die Handfläche. „Der Tag war nicht sehr angenehm.“

„Dann sollten wir sicherstellen, dass wir den Abend genießen.“

„Jede einzelne kostbare Minute.“ Er murmelte die Worte so leise, dass sie genau hinhören musste, um sie zu verstehen. Hand in Hand schauten sie Jongleuren und Messerwerfern zu, Tänzern und Musikanten. Ein Leierkastenmann mit einem Äffchen auf der Schulter, das einen Anzug und einen passenden Hut trug, hatte eine große Menschenmenge um sich geschart.

Razeby zog eine Flasche Champagner aus der Tasche. „Leider habe ich keine Gläser, wir müssen wohl aus der Flasche trinken, obwohl es der beste Champagner aus deinem Weinkeller ist.“

„Du meinst wohl aus deinem Keller“, erwiderte sie und lachte, als er das Ploppen des Korkens genau auf das Krachen der Feuerwerksraketen abstimmte.

Der Schaum rann über den Rand der Flasche. Razeby hielt sie ihr hin, und Alice nahm einen Schluck. Der perlende Champagner brachte sie zum Husten.

Nachdem auch Razeby einen Schluck Champagner getrunken hatte, lehnte sie sich an ihn. Liebevoll legte er seinen Arm um sie, während sie das prächtige Farbenspiel der Raketen am Himmel genossen. Von überallher waren Ah- und Oh-Rufe zu hören; Schwefelgeruch und Rauchschwaden füllten die Luft.

Razeby beugte sich zu ihr und küsste sie heiß, leidenschaftlich, voller Sehnsucht. Er schmeckte nach Sommer, Erdbeeren und Champagner … nach allem, was wundervoll im Leben war. Kurz vor Ende des Feuerwerks nahm er ihre Hand und führte sie zurück zu den Booten, damit sie nicht in dem Gedränge warten mussten, das nach Ende des Feuerwerks zu erwarten war.

In ihrem Schlafzimmer in der Hart Street tauchte der Feuerschein Alices Haar in ein rötliches Gold. Razeby griff nach einer Strähne, die sich aus den Nadeln gelöst hatte, und ließ sie spielerisch durch die Finger gleiten, ehe er sie ihr hinters Ohr strich. Sanft streichelte er mit dem Daumen ihre Wange. Sie schloss die Augen und schmiegte sich einen Atemzug lang an ihn, bevor sie sich ihm wieder entzog.

Er schlüpfte aus dem mitternachtsblauen Frack und warf ihn auf einen Stuhl. Dabei fiel das schmale braune Etui aus der Tasche.

Lächelnd betrachtete Alice das Kästchen. „Du hast mir wieder ein Geschenk gekauft. Was hab ich dir erst neulich gesagt?“

Er hob das Kästchen auf und fühlte sich nicht in der Lage, auf ihre Neckerei einzugehen.

„Ehrlich, Razeby, das ist nicht nötig.“

Mit schmalem Lächeln reichte er ihr das Etui.

„Ich frage mich, was wohl darin sein mag.“ Sie fuhr mit den Fingern über den Samt, ehe sie den Deckel öffnete und das funkelnde Diamantarmband entdeckte.

Erstaunt keuchte sie auf. „Oh, Razeby! Es ist wundervoll.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Das muss ein Vermögen gekostet haben.“

„Du bist jeden Penny wert, und noch viel mehr.“

„Es ist wunderschön.“ Zärtlich umfasste sie sein Gesicht und suchte seinen Blick. „Danke.“

Sein Herz zog sich zusammen.

Langsam senkte sie die Lippen auf die seinen.

„Alice“, murmelte er, zog sie an sich und küsste sie stürmisch. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, wollte sie nie wieder loslassen, verlor sich in ihr, so wie immer. Sie ließ ihn alles andere vergessen, seine Pflichten und die Verantwortung, die schwer auf seinen Schultern lastete, die dunklen Tage, die ihm bevorstanden. Ihre Augen waren voller Leidenschaft und Begierde, die der seinen in nichts nachstand.

„Liebe mich, Razeby.“

Er brachte es nicht über sich, ihr den Wunsch zu verweigern. Oder sich selbst. Er konnte seine Gefühle für sie nicht unterdrücken. Schweigend ihren Blick erwidernd, entkleidete er sie und hob sie sanft aufs Bett. Ohne die Augen von ihr zu nehmen, legte er Weste, Hemd und Krawatte ab und schlüpfte aus Hose und Unterwäsche.

Sanft, voller Ehrfurcht und Zärtlichkeit, eroberte er sie, wobei die Macht, die sie verband, nur noch größer und stärker zu werden schien. Er machte sie zu der seinen, schenkte ihr so viel von sich, wie ihm möglich war, damit keiner von ihnen diesen Augenblick je vergessen würde. Sie wölbte sich ihm entgegen, und er gab ihr alles, hielt nichts zurück. Alice tat es ihm gleich, erwiderte seine Leidenschaft mit ebensolcher Inbrunst. Für diese Frau hätte er die Sonne, den Mond und die Sterne vom Himmel geholt.

Ihre Körper waren füreinander geschaffen. Dafür geschaffen, eins zu werden. Sie war seine andere Hälfte, und er die ihre. Gemeinsam schwelgten sie in einem Paradies, fern von dieser Welt, das sie alles andere vergessen ließ. In dieser Nacht trug sie ihr Liebesspiel in höhere Sphären als je zuvor. Es war fast schmerzlich schön, etwas ganz Besonderes, ein Band, das sie vereinte wie kein anderes. Als ob sie einen tief verborgenen Teil in ihm berührte, von dessen Existenz er bisher nichts geahnt hatte. Sie klammerten sich aneinander, bewegten sich im selben Rhythmus und schauten sich in die Augen, während sie dem Gipfel der Lust entgegenstrebten, bis die Ekstase sie mit solch heftiger Wucht packte, dass sie gleichzeitig aufschrien. Er spürte, wie ihr Herz und das seine im Gleichtakt schlugen, als sie danach ineinander verschlungen dem Flackern der Flammen zuschauten, deren Schein über ihre nackte Haut tanzte.

Zärtlich streichelte sie ihm über die Arme.

„Alice …“, setzte er an, und seine Brust war plötzlich wie zugeschnürt.

„Hast du die Karten für morgen Abend bekommen?“

„Ja.“

„Gut, das freut mich.“ Sie lächelte, doch Razeby gelang es nicht, ihr Lächeln zu erwidern. „Wir werden uns köstlich amüsieren. Ellen hat erzählt, die Pferde seien fantastisch und zu unglaublichen Kunststücken fähig.“

Er schloss die Augen, holte tief Luft und zwang sich, die Worte auszusprechen, ehe er es sich wieder anders überlegte. „Ich kann dich morgen Abend nicht begleiten.“

„Ich dachte, du hast Karten für uns besorgt.“

„Ja, das habe ich. Aber es gibt … eine andere Verpflichtung, der ich nachkommen muss.“

„Welche Verpflichtung?“

Er seufzte. „Ein Ball bei Almack’s.“

„Um Almack’s machst du doch gewöhnlich einen großen Bogen.“ Sie lachte auf. „All diese Debütantinnen und furienhaften Matronen, die eine gute Partie für ihre Töchter angeln wollen. Will Devlin endlich Ausschau nach einer Braut halten?“

„Ich gehe nicht mit Devlin, sondern mit Linwood.“ Viscount Linwood hatte vor knapp sechs Monaten Alices beste Freundin, die ehemals gefeierte Schauspieldiva Venetia Fox geehelicht.

Er spürte, wie sich Alice von ihm zurückzog, und las in ihrem Gesicht, dass sie bereits wusste, was dies bedeutete, noch ehe er sich dazu überwunden hatte, die Worte auszusprechen. „Ich muss dir etwas sagen, Alice.“

3. KAPITEL

Razeby zog seine Hose wieder an und setzte sich aufs Bett. Er lehnte sich gegen das massive Kopfteil und streckte seine langen Beine aus, die immer noch in den Stiefeln steckten.

Alice spürte einen Hauch kalter Luft, nun, da er sie nicht mehr wärmte, und zog sich rasch die Decke über den nackten Körper. Dann richtete sie sich auf und lehnte sich wie er ans Kopfteil.

Obwohl er seine Hand mit der ihren verschränkte, verspürte sie ein flaues Gefühl in der Magengrube, und ein eiskaltes Band schien sich um ihr Herz zu spannen. Während sie darauf wartete, dass Razeby ihre dunkle Vorahnung aussprach, hoffte sie von ganzem Herzen, sie hätte sich getäuscht.

„Am besten sagst du mir rundheraus, was dir auf dem Herzen liegt.“ Trotz ihrer Befürchtungen gelang ihr ein Lächeln.

„Ich habe eine Verpflichtung, Alice, gegenüber meinem Titel, meinen Ländereien und den Menschen, die darauf leben. Eine Verpflichtung, die Ländereien für zukünftige Generationen zu bewahren. Zu meinen Pflichten gehört es auch, zu heiraten und einen Erben zu zeugen.“

„Natürlich.“ Sie hatte es immer gewusst, beide hatten sie es immer gewusst, dass er irgendwann in den Stand der Ehe treten musste. Aber dieses Ereignis hatte für sie in weiter Zukunft gelegen, nicht im Hier und Jetzt, nicht, solange ihre Gefühle füreinander noch so frisch und ungestüm waren. „Allerdings bist du noch jung. Die Erfüllung dieser Pflicht wird doch sicherlich noch ein wenig warten können?“

„In einem halben Jahr werde ich dreißig.“ Er wandte den Blick ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Warum ist dein dreißigster Geburtstag von solch großer Bedeutung? Gibt es irgendeine Bestimmung, dass du bis zu diesem Termin verheiratet sein und einen Sohn haben musst?“

Ein Schatten umwölkte seine Augen. „In gewisser Weise“, antwortete er. „Atholl kommt auf einer Trage nach Hause. Es hätte ebenso gut ein Sarg werden können.“

„Du meinst deinen Cousin, der in der Schlacht angeschossen wurde.“

„Im Moment ist er mein einziger Erbe, Alice.“

„Ich dachte, er sei auf dem Wege der Genesung.“

„Das ist er, doch lange Zeit stand es schlecht um ihn. Und was Atholl zugestoßen ist … Es hat mich zum Nachdenken gezwungen. Ich habe meine Pflicht schon zu lange vernachlässigt; ich kann mich nicht länger davor drücken. Ich muss eine Braut finden.“

Immer noch waren ihre Finger verschränkt. Keiner von ihnen hatte sich bewegt. Sie lehnten am Kopfteil des Bettes, als führten sie ein ganz gewöhnliches Gespräch, so wie Tausende Male zuvor. Reglos saß sie da und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie tief seine Worte sie erschreckten und aufwühlten.

„Das heißt, du gibst mir den Laufpass?“ Sie lächelte in der Hoffnung, dass er es abstreiten würde. Ihr Blick streifte die Bettdecke, die vom Staub seiner Stiefel verschmutzt war.

Aber er stritt es nicht ab. „Es tut mir leid, Alice.“

Sie löste ihre Hand aus der seinen und sah ihn an. Doch er hielt die Augen weiter nach vorn gerichtet und wich ihrem Blick aus.

Keine fünf Minuten zuvor waren ihre Körper, ihre Herzen, ihre Atemzüge im intimsten aller Momente vereint gewesen. Und nun zog er sich einfach von ihr zurück. Ihr war zumute, als hätte sie mit voller Wucht einen Schlag in den Magen bekommen.

Sie schaute auf das Diamantarmband, das so wunderschön glitzerte wie die Sterne. „Deshalb hast du mir das Armband geschenkt!“ Sie lachte freudlos auf. „Du wolltest dich freikaufen.“

Unerträglich zog sich das Schweigen in die Länge.

Sie legte das Armband ab. Im Schein des Feuers warfen die Diamanten schimmernde Lichtfunken an die dunklen Wände, als sie es auf die Bettdecke fallen ließ.

Sie konnte nicht mehr klar denken. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab bei dem Versuch, das Ausmaß seiner Worte zu begreifen. „Du wolltest mir das gestern schon sagen, nicht wahr? Deshalb bist du so unerwartet vorbeigekommen.“

Erneut leugnete er es nicht, sondern sah sie lediglich mit dunklen, ernsten Augen an.

Ein bitteres Lachen entfuhr ihr, und sie schüttelte den Kopf, fürchtete, in der Flut der widerstreitenden Emotionen in ihrem Inneren zu ertrinken. Sie wandte sich ab. Nur mit Mühe gelang es ihr, die fassungslose Wut, vor allem aber ihren quälenden Kummer zu verbergen. Wie hatte sie nur so blind sein können? Sechs Monate lang hatte sie sich wie im siebten Himmel gefühlt und geglaubt, dass sie glücklich wären. Sie hatte gedacht, dass er dieselben Gefühle hegte. Der Gedanke einer Trennung war ihr unerträglich.

„Du kannst hier wohnen bleiben, bis du eine andere Unterkunft gefunden hast“, sagte er. „Es besteht kein Anlass zur Eile.“

„Wie überaus großzügig von dir.“

Er ignorierte ihren spöttischen Ton. „Natürlich wirst du von mir eine Abfindung erhalten.“

„Ich will dein Geld nicht, Razeby.“

„Es steht dir zu. Das ist Teil unseres Vertrages.“

„Oh, tatsächlich?“ Sie dachte an das Dokument mit der schönen schwarzen Schrift, ordentlich verschnürt mit einem grünen Band, das in ihrem Schreibtisch lag. „Wie habe ich das nur vergessen können?“

Die Stille schien zwischen ihnen zu vibrieren. So viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf, so viele Worte lagen ihr auf der Zunge. Fest presste sie die Lippen zusammen, damit sie ihr nicht unversehens herausrutschten.

Sie kletterte aus dem Bett, griff sich ihren alten Morgenmantel und schlüpfte hinein. Dann ging sie zum Fenster und blickte auf die von Lampen beschienene Straße hinaus. Gelegentlich schlenderten Passanten vorbei, vermutlich Theaterbesucher, die nach der Abendvorstellung noch einen anderen geselligen Ort aufgesucht hatten. Oder Frauen, die trotz ihrer eleganten Kleider Halbweltdamen waren und ihrem Geschäft nachgingen. Mit fachkundigem Auge konnte Alice sie erkennen – wie man immer seinesgleichen erkannte.

Sie hörte, wie Razeby aufstand, und drehte sich zu ihm um. Ihr Blick glitt von seiner dunklen Hose zu seiner nackten Brust und schließlich hinauf zum Gesicht, dessen rauer Charme sie von Anfang an in seinen Bann gezogen hatte. Trotz seiner Worte spürte sie, wie sich ihr verräterischer Körper nach ihm sehnte.

„Beziehungen wie die unsere sind nie von Dauer, Alice.“

„Allerdings“, stimmte sie zu.

„Ich muss meine Pflicht tun.“ Ein gepeinigter, jedoch entschlossener Zug lag um seinen Mund, der sonst nie um ein Lächeln verlegen war. Sein Blick war undurchdringlich.

Ihr Herz raste so schnell wie ein Pferd im wilden Galopp. „Vielleicht hättest du schon vor sechs Monaten an deine Pflicht denken sollen.“ Ehe er nach der Vorstellung im Theater auf sie gewartet und sie mit seinem Charme betört hatte. Nur wenige Wochen nach ihrer ersten Begegnung hatte er sie zu seiner Mätresse gemacht.

„Vielleicht wäre das besser gewesen.“

Sein ruhiges Eingeständnis traf sie mitten ins Herz. Lange Zeit blickten sie einander schweigend an. Sein Gesicht war so grimmig und ernst, wie sie es nie zuvor gesehen hatte.

„Es tut mir aufrichtig leid, Alice.“

„Das sagtest du bereits.“

Er schluckte schwer. „Danke für alles.“ Ohne den Blick von ihr zu nehmen, trat er auf sie zu und hob eine Hand, als wolle er sie berühren.

Alice wich zurück und schaute auf seine langen Finger, die leicht gebräunte Haut. Mit dieser Hand hatte er sie liebkost und an den intimsten Stellen berührt. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich zu beherrschen und seine Hand nicht mit aller Kraft von sich zu schlagen.

Sie hob den Kopf und erwiderte seinen Blick mit finsterer Miene.

Er schaute zu Boden und ließ die Hand sinken. „Wenn du noch etwas brauchst …“

„Ich brauche nichts. Du solltest jetzt besser gehen.“ Sie bemühte sich, die Fassung zu wahren, indem sie sich wieder dem Fenster zuwandte. Blicklos schaute sie auf die Straße hinab und wartete darauf, dass er ging.

Aber er ging nicht.

Sie gewahrte, wie er hinter sie trat. Obwohl er sie nicht berührte, drohte die Wärme seines Körpers sie schier zu verbrennen.

„Alice …“ Er zögerte kurz, ehe er fortfuhr: „Ich hoffe, ich habe dich nicht … verletzt.“

Sie wandte sich ihm zu und sah ihm fest in die Augen. „Mich verletzt? Du schmeichelst dir selbst, Razeby. Wir hatten eine schöne Zeit, aber …“ Sie zuckte mit den Schultern, als sei ihr die Trennung egal, während sie sich auf die Unterlippe beißen musste, um nicht in Tränen auszubrechen.

Sie sah, wie sein Adamsapfel in der Kehle hüpfte, wie sein dunkler Blick sie forschend musterte.

„Wenigstens ein kleiner Trost.“ Er nickte. „Lebe wohl, Alice.“

„Lebe wohl, Razeby.“ Die Worte klangen steif. Sie bemühte sich um ein Lächeln und wandte sich wieder dem Fenster zu, als gäbe es nichts Fesselnderes auf der Welt als die im Dunkeln liegende Straße.

Er drehte sich um und ging. Im Fenster konnte sie sehen, wie er das Zimmer verließ, und sie sah auch ihr eigenes Spiegelbild; bleich und fahl wie ein Geist blickte es ihr entgegen.

Mit leisem Klicken schloss sich die Tür hinter ihm, doch ihr erschien das Geräusch so laut, als hätte er sie krachend ins Schloss geworfen.

Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, und sie presste sich rasch die Hand auf den Mund, um es zu unterdrücken. Erst als sie seine Schritte im Flur verhallen hörte und kurz darauf die Vordertür zufiel, lehnte sie sich an die Wand und ließ den Tränen freien Lauf.

Die restliche Nacht verbrachte Alice in dem kleinen blauen Ohrensessel vor dem Feuer und starrte in die Flammen. Allerdings konnte die Wärme des Feuers die Kälte in ihrem Inneren nicht vertreiben, ebenso wenig wie der Morgenmantel oder der Wollschal, den sie fest um ihre Schultern geschlungen hatte. Es ist die Aufregung, sagte sie zu sich. Und die Wut. Eine Flut von Gedanken kreiste in ihrem Kopf und raubte ihr den Schlaf.

Wag es nicht, auch nur noch eine einzige Träne um ihn zu vergießen!

Doch ihre Augen waren bereits wieder feucht, und sie hatte Mühe, den Kloß in ihrer Kehle herunterzuschlucken. Auf ihrer Brust schien ein Gewicht zu lasten, das ihr die Luft zum Atmen nahm.

Es war ihm nur darum gegangen, sie zu verführen. Immer schon. Ihr Kummer, das Gefühl, dass ihr Herz in tausend Stücke gerissen war, war allein auf diese Erkenntnis zurückzuführen. Razebys Worte waren so überraschend gekommen, hatten sie unerwartet tief getroffen.

Tief durchatmend versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie hatte schon Schlimmeres überstanden. Ihre Gedanken schweiften zu ihrer Familie in Irland; Alice war nach London gekommen, um eine Arbeit zu finden und sie zu unterstützen. Sie dachte an den Hunger und die Verzweiflung, die sie erlebt hatte. Anfangs hatte sie sich ihr Geld als maskierte Miss Rouge in Mrs Silvers noblem Freudenhaus verdienen müssen und hinter dieser Maske ihre Identität vor der Welt verborgen. Nur wenige Menschen wussten davon. Razeby war einer von ihnen. Nun bedauerte sie zutiefst, dass sie sich ihm anvertraut hatte.

Ihr Blick fiel auf das von ihrem Liebesspiel immer noch zerwühlte Bett. Zwischen den Laken konnte sie das Diamantarmband funkeln sehen, so glänzend und wunderschön und teuer. Ein zittriges Lachen entwich ihr, und sie schüttelte den Kopf beim Gedanken daran, was für eine Närrin sie doch gewesen war,.

Lass sie nie merken, wie sehr sie dich verletzt haben. Das waren die Worte, die ihre Mutter ihr ein Leben lang eingebläut hatte. Die Bastarde können dir deinen Stolz nur nehmen, wenn du es zulässt. Schau ihnen geradewegs ins Gesicht, Alice, und lächle. Immer!

Alice war nicht klug. Sie war nicht schlau. Doch sie war praktisch veranlagt und entschlossen und war es ein Leben lang gewohnt, hart zu arbeiten. Außerdem besaß sie noch immer ihren Stolz.

Sie wandte das Gesicht vom Bett ab, schaute in die goldenen Flammen und begann, Pläne für die Zukunft zu schmieden.

4. KAPITEL

Die heiligen Hallen von Almack’s Ballsaal erstrahlten im Lichterglanz zahlreicher Kerzen. Sie brachten die riesigen Kristallkronleuchter zum Funkeln, die an drei großen Stuckrosetten von der Decke hingen. Weitere Leuchter waren in regelmäßigen Abständen an den creme- und goldfarbenen Wänden angebracht, und überall im Raum verteilt fanden sich Stühle und kleine Tische. Das Orchester auf der Empore erfüllte den Saal mit melodischen Klängen, die quälende Erinnerungen in Razeby aufsteigen ließen.

„Ich war mir nicht sicher, ob man dir überhaupt Einlass gewähren würde“, sagte er zu Linwood, der neben ihm stand.

„Ich musste tatsächlich einige Gefallen einfordern.“

„Danke, dass du es getan hast“, erwiderte Razeby.

Autor

Margaret Mc Phee
<p>Margaret McPhee lebt mit ihrem Ehemann an der Westküste Schottlands. Ganz besonders stolz ist sie auf ihre Kaninchendame Gwinnie, die mit ihren acht Jahren eine alte Lady unter ihren Artgenossen ist. Als Wissenschaftlerin ausgebildet, hatte sie trotzdem immer eine romantische Ader. Ihrem Mann begegnete sie zum ersten Mal auf der...
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