Viel zu gut, um wahr zu sein?

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Eine Frau wie Erin hat Barbesitzer David noch nie getroffen. Die Kindergärtnerin kümmert sich aufopfernd um seinen Neffen. Auch für David ist sie immer da, und ihre Küsse schmecken so heiß … Aber als Mann aus schwierigen Verhältnissen ist er doch sicher nicht gut genug für Erin!


  • Erscheinungstag 26.07.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507738
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Starr nicht so auf den Hintern des heißen Braumeisters.“

Erin MacDonald verschluckte sich daraufhin fast an einem großen Schluck Strawberry Daiquiri. „Ich starre von niemandem den Hintern an“, sagte sie entrüstet, als sie nach einem Stapel Servietten griff und sich das Kinn und ihr T-Shirt abtupfte. „Und sprich gefälligst nicht so laut.“

Melody Cross, Lehrerin einer zweiten Klasse an der Crimson Grundschule schnaubte. „Wir sind an einem Dienstagabend in einer extrem vollen Bar. Niemand kann mich hören.“

Doch Melody hatte die Art von dröhnender Stimme, die eine Horde wild gewordener Achtjähriger kurz vor den Sommerferien zum Schweigen bringen konnte. Sie standen an einem Tisch, der etwa anderthalb Meter von der Bar entfernt war, aber Erin war sich sicher, gesehen zu haben, wie sich die Schultern des Barkeepers nach ihren Worten angespannt hatten.

„Soll ich vielleicht ein Foto von ihm machen?“, fragte Suzie Vitale, eine Kollegin aus der Vorschule, mit einem beschwipsten Lächeln. „Das hält länger.“

Bevor Erin sie davon abhalten konnte, richtete die kurvige Blondine ihr Handy auf den attraktiven Typen, der nicht nur an der Bar arbeitete, sondern gleichzeitig auch der Besitzer der Elevation Brewery war. Der Pub hatte vor etwas mehr als einem Jahr eröffnet und sich schnell zu einem beliebten Treffpunkt von Einheimischen und Touristen im idyllischen Crimson, ein Ort in den Bergen von Colorado, entwickelt.

David McCay war Erin bereits bei ihrem ersten Besuch in dem neurustikalen – und für Colorado sehr modernen – Lokal aufgefallen. Er war groß und schlank, hatte dunkelblonde Haare, die sich bis zum Kragen seiner Flanellhemden, die er bevorzugt trug, lockten. David McCay war so gutaussehend wie ein Filmstar und sein Körper machte den Eindruck, als schleppte er endlos schwere Gerstensäcke – oder was auch immer Bierbrauer so taten.

Erin, deren Körper den Eindruck erweckte, als verbrächte sie ihre gesamte Zeit mit überkreuzten Beinen auf einem Leseteppich, beobachtete ihn jedes Mal heimlich, wenn sie mit ihren Freundinnen und Arbeitskolleginnen für eine der seltenen Happy Hours in die Bar kam oder um auf einen Geburtstag anzustoßen. Er bediente oft an der Theke oder betrat den Pub durch den Hintereingang, bekleidet mit schweren Gummistiefeln und einer verkehrt herum aufgesetzten Baseballmütze, ein Outfit, das er, wie sie schnell feststellte, immer beim Bierbrauen trug.

Colorado war für seine kleinen Bierbrauereien bekannt, und dass das Elevation sich so schnell einen Namen gemacht hatte, sprach für Davids harte Arbeit und für sein Talent.

Zumindest war es das, was Erin glauben wollte. Ihre Mutter wies sie nämlich immer gern darauf hin, dass sie viel zu oft an das Gute in den Menschen glaubte, und diese sie dann aber doch nur benutzten.

Doch David McCay hatte sie noch nie für irgendetwas benutzt, auch wenn es genau das war, was sie sich in ihrer Fantasie gern vorstellte. Sein Neffe Rhett war jetzt in ihrer Klasse, und David war mit ihm und dessen Mutter vor Kurzem beim Informationsabend gewesen. Erin konnte bei David, der die anderen Eltern in ihrem Klassenraum bei Weitem überragte, keinen gescheiten Satz über die Lippen bringen, obwohl er sie noch nicht einmal wirklich beachtet hatte. Verdammt, Erin war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt wusste, dass sie existierte.

Außer jetzt in diesem Moment, als sie aufsah und er sie plötzlich geradewegs anstarrte. Auf einmal schien jeder Zentimeter ihres Körpers zu glühen. Er zog eine Augenbraue hoch, als ob er ihre Gedanken lesen könnte. Was äußerst unwahrscheinlich war, da sein eindringlicher Blick dafür gesorgt hatte, dass jede ihrer Gehirnzellen spontan in Flammen aufgegangen war.

Sie hörte, wie Melody hinter ihr kicherte, und spürte, wie Suzie sie leicht anstupste. David stand regungslos am Rand der Bar, nur wenige Meter von ihr entfernt, während um ihn herum alles seinen Lauf nahm. Die Gäste standen zusammen, lachten und unterhielten sich lautstark. Eine Kellnerin stellte ihr Tablett auf der hölzernen Theke ab. Eine Gruppe von Frauen am Rand der Bar buhlte um Davids Aufmerksamkeit, doch er wendete seinen Blick nicht von Erin ab.

Dann blockierte plötzlich etwas – oder besser gesagt, jemand – ihre Sicht. Cole Bennett, Crimsons kürzlich ernannter Sheriff, sprach nun mit David. Cole war ebenfalls groß und breit und, um es mit den Worten ihrer Mutter zu sagen: Er gab eine bessere Tür als ein Fenster ab.

Erin beugte sich nach rechts, als sie hörte, wie Cole Rhett, Davids Neffen, erwähnte. Davids Gesichtsausdruck wurde daraufhin ernst, und er presste die Lippen zusammen. Wie ferngesteuert bewegte sich Erin nun auf die beiden zu, vorbei an einem Paar, das auf dem Weg zur Bar war, und einer Gruppe von Männern in den Zwanzigern, die aussahen, als kämen sie gerade erst von einer Wanderung zurück, bis sie schließlich direkt hinter dem Sheriff stand.

In den Clogs, die sie gern zur Arbeit trug, war sie 1,65 Meter groß, sodass beide Männer sie weit überragten und überhaupt nicht bemerkten, dass sie ihre Unterhaltung gerade belauschte. Unsichtbarkeit war sozusagen Erins unabsichtliche Superkraft. Sie wusste aus diesem Grund weitaus mehr über ihre Kollegen und Nachbarn, als sie sollte, einfach weil die Leute sie so oft nicht bemerkten.

„Rhett ist in Sicherheit“, sagte Cole gerade zu David, „aber sie können ihn einfach nicht dazu überreden, herauszukommen.“

„Was, verdammt noch mal, hat Jenna sich denn dabei gedacht?“, fragte David aufgebracht und fuhr sich über das Kinn. „Nein, sag einfach nichts.“

„Sie ist in Schwierigkeiten, David. Die Leute, mit denen sie verkehrt …“

„Ich kümmere mich schon darum.“ Er kramte in seiner braunen Cargo-Hose nach seinen Schlüsseln. „Ich muss nur eben Tracie Bescheid sagen. Ich werde heute Nacht bei Rhett bleiben.“

„Ich muss dennoch das Jugendamt informieren“, sagte Cole vorsichtig und Erin spürte sofort, wie sich die Spannung zwischen den beiden verstärkte.

„Gib mir bitte erst etwas Zeit mit ihm, okay?“

„Kannst du …“

„Ich kümmere mich schon darum“, wiederholte David. Er ging hastig hinter die Bar und sprach mit der Frau, die gerade zwei Krüge am Zapfhahn füllte.

Der Sheriff verließ nun die Bar wieder, und die Stammkunden machten ihm instinktiv den Weg frei, obwohl er an diesem Abend gar keine Uniform trug.

Als Erin aufsah, stand David McCay plötzlich direkt vor ihr. Sie musste wohl unwillkürlich einen Schritt vorwärtsgegangen sein und versperrte ihm deshalb jetzt den Weg.

In ihren Tagträumen verglich sie seine Augen immer mit dem strahlenden Sommerhimmel über dem zackigen Gipfel des Crimson Mountain oder mit dem schillernden Kobaltblau einer tropischen Lagune. Aber jetzt war sein Blick eher wie das Eisblau eines Gletschers, so kalt, dass Erin unweigerlich eine Gänsehaut bekam.

„Ich habe jetzt keine Zeit, Schätzchen. Du und deine Freundinnen müsst euer Mutproben-Spielchen wohl mit jemand anderem spielen.“

„Das ist aber kein Spiel“, entgegnete Erin.

„Süße, du hast einen Tussi-Drink in meiner Bar bestellt. Das ist entweder ein Spiel oder ein Scherz.“

Sie standen nah beieinander und durch die Hitze und Frustration, die David ausstrahlte, fühlte sie sich auf einmal ganz anders als die Frau, die sie eigentlich war. Sie spürte ihren Körper jetzt auf eine Weise, die zugleich vollkommen neu, aber auch aufregend war. Sie wollte mehr. Sie wollte … etwas, das sie nicht benennen konnte. Aber allein die Aussicht darauf, ließ sie schwach vor Verlangen werden.

Sie ließ sie außerdem mutiger werden als jemals zuvor, oder vielleicht war verrückt auch das bessere Wort dafür, denn als er sich gerade in Bewegung setzen wollte, um an ihr vorbeizugehen, legte sie ihm die Hand auf den Arm.

„Ich kann dir mit deinem Neffen helfen.“

Er hatte die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, seine Haut fühlte sich heiß an, und die rauen Haare auf seinem Arm kitzelten sie an den Fingern.

Eine elektrisierende Spannung durchfuhr ihn, eine Kraft, die Erin traf, als schlüge ein Blitz ein. Er beruhigte sich und die Kraft, die er brauchte, um sich zu zügeln, ließ in Erin zugleich Stärke aufwallen.

„Lass mich dir helfen, David.“ Zum ersten Mal sprach sie seinen Namen laut aus. Für ihre Freundinnen war er einfach nur „der heiße Braumeister“.

„Du bist betrunken“, entgegnete er, während sein Blick starr auf der Stelle verharrte, wo sie ihre Finger um seinen Arm gelegt hatte.

„Nein. Ich hatte nur einen Drink. Mir geht’s gut. Versprochen.“ Sie ließ von seinem Arm ab. „Rhett ist in meiner Klasse“, erklärte sie, falls dieser äußerst wütende Mann tatsächlich keine Ahnung haben sollte, wer sie war.

„Ich weiß.“ Fast hätte er gelächelt. „Ich war beim Informationsabend.“

Also war sie für David McCay nicht ganz so unsichtbar, wie sie befürchtet hatte. Ein leichter Schauer lief Erin daraufhin den Rücken hinab. „Ich habe einen Draht zu ihm. Er hört auf mich.“

David sah sie mit seinen kühlen blauen Augen an und nickte kurz. „Na dann los.“

Erin schluckte schwer. Das passierte gerade wirklich. „Ich muss nur eben kurz meinen Freundinnen Bescheid sagen.“

„Mein Truck steht vorne“, murmelte er etwas genervt, dann drehte er sich um, und ging weg. Erin hatte das vage Gefühl, er würde sie einfach zurücklassen, wenn sie sich nicht beeilen würde, und das würde sie auf keinen Fall zulassen.

„Ich muss leider los“, sagte sie, als sie zu Melody und Suzie eilte, die mit offenem Mund dastanden. Sie griff nach ihrer Handtasche, die auf dem Stehtisch lag.

„Etwa mit dem heißen Braumeister?“, fragte Melody mit piepsiger Stimme.

Suzie machte eine Siegerfaust. „Heute Abend wird offenbar nicht lange gefackelt.“

„Es ist nicht das, wonach es aussieht.“ Erin sah über die Schulter, aber David war bereits zur Tür hinausgegangen. „Ich kann es jetzt nicht erklären. Bis morgen.“

Bevor die Freundinnen noch etwas sagen konnten, lief sie schon in Richtung Tür. Die junge, makellose Brünette am Tresen musterte sie von oben bis unten und zog anschließend eine Augenbraue hoch. Damit wollte sie ihr zu verstehen geben, dass eine Frau wie Erin bei einem Mann wie David McCay keinerlei Chance hatte.

Normalerweise würde Erin ihr sofort zustimmen, aber es ging hier schließlich gerade um mehr, als um ihre heimliche Schwärmerei für diesen Mann. Es ging darum, einem fünf Jahre alten Jungen zu helfen. Erins Gruppenkinder waren für sie wie eine Familie und die Verantwortung für sie nahm sie deshalb sehr ernst. Sie hatte schon immer einen sechsten Sinn für die Kinder besessen, die etwas mehr Aufmerksamkeit brauchten. Egal, ob es sich um das Kind selbst oder um die Familienumstände handelte, Erins Ziel war es, zu jedem ihrer Schützlinge eine richtige Verbindung aufzubauen.

Von dem Moment an, als Rhett McCay am Arm seiner wunderschönen Mutter in ihren Gruppenraum geschlichen war, hatte Erins Radar sofort Alarm geschlagen. Jenna McCay liebte ihren Sohn zweifellos, doch die Frau schien absolut neurotisch und unberechenbar zu sein. Erin hatte den Eindruck, als habe Rhett ein Zuhause, das alles andere als stabil war.

Sie hatte vielleicht nicht den Mut, allein mit David zu sprechen, doch wenn es um ihre Kinder ging, war sie absolut furchtlos.

Ein großer Chevy-Truck stand mit laufendem Motor am Bordstein. Erin wusste instinktiv, dass David hinter dem Steuer saß. Nicht, weil sie eine Stalkerin war, aber Crimson war nun einmal ein kleiner Ort und sie hatte einige Male gesehen, wie er Rhett zum Kindergarten gebracht und wieder abgeholt hatte.

„Ich bin furchtlos“, flüsterte sie sich selbst zu, als ihre Beine vor Aufregung einfach das Laufen verweigern wollten.

Es war jetzt Ende September und die Luft am Abend schon recht kühl, ein herbstlicher Duft ging damit einher.

Wäre Erin eine Eissorte gewesen, wäre sie ohne Zweifel Vanille, denn alles in ihrem Leben war absolut gewöhnlich, geordnet und überaus normal. Irgendwie wusste sie, dass, ihr Leben mehr Fahrt aufnehmen würde, wenn sie jetzt tatsächlich in Davids Truck stieg. Sie war vielleicht auf der Suche nach einem Abenteuer, aber das hatte sie sich doch anders vorgestellt.

Aber dann dachte sie an Rhetts süßes Gesicht, mit dem zerzausten blonden Topfschnitt und den verschmitzten blauen Augen. Sie atmete einmal tief durch, ging zum Auto und stieg dann ein.

„Bereit?“, fragte David sie mit tiefer Stimme, die sie unwillkürlich an heißen Karamellsirup erinnerte.

Überhaupt nicht, dachte Erin.

„Ich bin bereit“, antwortete sie.

David würde seine kleine Schwester umbringen, für das, was sie schon wieder angestellt hatte.

Er konzentrierte sich darauf, den Weg von der Bar zu Jennas kleinem Apartment-Komplex am Rande von Crimson so schnell wie möglich zu bewältigen, ohne dabei irgendwelche Gesetze zu brechen. Er atmete langsam tief ein und aus, um sich wieder zu beruhigen. Natürlich würde er ihr nichts antun, obwohl sie wirklich ständig in Schwierigkeiten geriet.

Das war eine Sache gewesen, als sie noch Teenager waren, doch jetzt hatte Jenna die Verantwortung für Rhett. Die endlose Aneinanderreihung von aussichtslosen Jobs, nichtsnutzigen Liebhabern und wilden Partys schadete mittlerweile nicht mehr nur ihr. Der Gedanke Rhett könnte eines Tages deshalb einen irreparablen Schaden erleiden, ließ David mehr Nächte nicht schlafen, als er zugeben wollte.

Er war vor fast zwei Jahren von Pittsburgh nach Crimson gezogen, um auf ihn aufpassen zu können, doch neben der Zeit, die er in die Eröffnung der Brauerei gesteckt hatte, und wegen Jennas Groll darüber, dass sie glaubte, er versuche ihr Leben zu kontrollieren, hatte er nicht ansatzweise so viel Zeit mit ihnen verbringen können, wie er es vorgehabt hatte.

Am meisten Sorgen bereitete ihm allerdings, dass er bei seinem Neffen genauso versagen könnte wie bei Jenna.

„Ich schätze mal, du und deine Schwester steht euch ziemlich nah?“

David blinzelte und sah verwirrt zu der Frau hinüber, die neben ihm saß. Er war so versunken in seine Gedanken gewesen, dass er seinen ungebetenen Gast beinahe wieder vergessen hätte. Was um alles in der Welt hatte er sich nur dabei gedacht, Rhetts Kindergärtnerin zu erlauben, mitzukommen?

David war immerhin ein wahrer Meister darin, jeden in seinem Leben auf Abstand zu halten, sogar Jenna und Rhett. Wie hatte diese kleine Frau mit dem dicken Pferdeschwanz und den dazu passenden großen, ahornsirupfarbenen Augen es also geschafft, durch seine Verteidigung zu schlüpfen?

„Wir sind irische Zwillinge“, entgegnete er. „Wir sind zehn Monate auseinander.“

„Es muss toll gewesen sein, zusammen aufzuwachsen“, sagte sie mit sanfter Stimme. Genau mit der Stimme, mit der sie eine ganze Klasse unruhiger Kinder dazu bekam, sich in einen Kreis zu setzen und absolut still zu sein. Bei den meisten Kindern funktionierte es zumindest. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sogar der quirlige Rhett dazu in der Lage war, sich so zu beruhigen, dass er stillsitzen konnte.

„Nicht für unsere Mutter.“

Erin schmunzelte. „Wenn Rhett nach euch zweien kommt, dann hatte deine Mutter eindeutig alle Hände voll zu tun.“

„Ja“, stimmte er ihr zu und spürte plötzlich, wie sich der Knoten in seiner Brust löste, als er die Zuneigung in ihrer Stimme hörte. David hatte kein Problem mit dem wilden Charakter seines Neffen, aber damit war er leider meistens allein.

Er sagte nichts weiter, und auch Erin sprach einige Minuten lang nicht. David mochte die Stille, aber ausgenommen von Tracie aus der Bar, konnten sie die meisten Frauen wohl einfach nicht ertragen. Die Stille in seinem Truck war auf seltsame Weise behaglich … so wie eine zusätzliche Decke, die man in einer kalten Winternacht über das Bett wirft. Doch wie alle guten Dinge, hielt sie leider nicht lange an.

„Was ist heute Abend denn genau passiert? Ist deine Schwester in Schwierigkeiten? Geht es Rhett gut?“

David seufzte. Er hatte gewusst, dass diese Fragen irgendwann kommen würden, und er war der Lehrerin mit der sanften Stimme natürlich auch eine Erklärung schuldig, bevor sie das Apartment erreichten. „Wie viel hast du von Cole mitbekommen?“

„Keine Einzelheiten, nur, dass es ein Problem gibt und Rhett nicht kooperiert.“

„Er versteckt sich“, sagte er und versuchte vergeblich, sich seine Wut und die Frustration dabei nicht anmerken zu lassen. Er spürte nämlich, wie sie bereits jede Zelle seines Körpers einnahmen und sein Blut zum Kochen brachten. „Er soll wohl gerade unter der Küchenspüle kauern. Jenna hat eine Party geschmissen, die offenbar aus dem Ruder gelaufen ist. Die Polizei hat sie beendet und dabei Drogen gefunden.“

Erin sog scharf die Luft ein, was seine Wut nur noch mehr anheizte, so wie bei einem Feuer, das explosionsartig außer Kontrolle gerät. „Jenna liebt den Jungen wirklich von ganzem Herzen, aber sie ist irgendwann vom richtigen Weg abgekommen. Dass ist auch der Grund, warum ich überhaupt erst nach Crimson gezogen bin.“

„Um deiner Schwester zu helfen?“

Um sie zu retten, wollte er ihr antworten, doch er nickte stattdessen nur. David kannte seine Grenzen schließlich besser als jeder andere, und er war bestimmt niemandes Held.

„Sie ist jetzt schon seit fast zwei Jahren clean gewesen“, erklärte er emotionslos. „Es war wirklich hart, aber ich dachte, sie hätte sich jetzt wieder im Griff. Cole hat alle Partygäste mit auf die Polizeistation genommen. Sie haben Rhett erst bemerkt, als alle weg waren und er ein Geräusch gemacht hat. Die Cops haben daraufhin versucht, ihn da unten herauszukriegen, aber er hat sich wohl so sehr erschrocken, dass er einen der Officer gekratzt hat. Ich kenne Cole schon lange, deshalb hat er erst mich und nicht das Jugendamt kontaktiert.“

Er kaute auf der Innenseite seiner Wange herum und wartete auf die Schuldzuweisungen, die er verdiente. Er hätte die Anzeichen erkennen müssen, dass Jenna wieder kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren. Er kannte sie schließlich besser als jeder andere. Warum konnte er sie dann nicht beschützen?

Er parkte jetzt vor dem schäbigen Apartment-Komplex. Es gab zwei Gebäude, beide mit verblichenen Fassaden und Balkonen, die den Eindruck machten, als könnten sie nicht einmal das Gewicht eines kleinen Kätzchens tragen. Er hatte Jenna angefleht, dass er ihr helfen durfte, an einen besseren Ort zu ziehen, aber seine Schwester war unglaublich stur gewesen und hatte es ihm jedes Mal übel genommen, wenn er versucht hatte „die Kontrolle“ über ihr Leben zu übernehmen.

„Wir sorgen dafür, dass er in Sicherheit kommt“, sagte Erin nun, als David den Motor ausstellte.

Sicherheit. Dieses Wort verfolgte ihn jetzt schon seit zehn Jahren – und hatte jede Beziehung in seinem Leben verdorben. Jetzt bot diese süße Frau, die viel zu gut für ihn war, genau das seinem Neffen an, als ob sie diese Art von Macht besäße. Verdammt, er hoffte, dass es wahr wäre.

Er drehte sich jetzt zu ihr, das schwache Licht vom Parkplatz schien auf ihr Gesicht, sodass ihre cremefarbene Haut wie ein Traum erschien. Er konnte nicht widerstehen, sanft mit dem Daumen über ihren Wangenknochen zu streicheln und darüber zu staunen, wie weich sich ihre Haut anfühlte.

Sie strahlte eine Güte aus, die ihn auf eine Weise magisch anzog und zugleich wegschob. Jemand wie Erin MacDonald gingen die schmutzigen Details der Bemühungen seiner Schwester einfach nichts an. Sie war nur Rhetts Lehrerin und sonst nichts weiter. Aber er konnte sie noch nicht gehen lassen. Heute Abend war sie nämlich sein Glücksbringer. Er musste einfach daran glauben, dass ihre Nähe heute die Dunkelheit aus seinem Leben fernhalten würde.

Er ließ die Hand wieder sinken, und sie stiegen gemeinsam aus dem Truck aus und gingen zu Jennas Apartment … zu dem kleinen Jungen, den David um jeden Preis in Sicherheit bringen wollte.

2. KAPITEL

„Komm schon, Kumpel. Du musst da wieder rauskommen.“

Davids muskulöse Schultern zeichneten sich deutlich unter seinem Hemd ab, als er sich mit einem Arm abstützte und sich vorbeugte, um in den Schrank unter der Küchenspüle zu greifen.

Ein hoher Schrei war jetzt zu hören, und ein paar Flaschen Haushaltsreiniger fielen aus dem Schrank auf den abgewetzten Linoleumboden.

David richtete sich leise fluchend auf. „Er hat mich gebissen“, sagte er fassungslos und betrachtete seinen Handrücken, auf dem deutlich ein halbkreisförmiger Kieferabdruck zu sehen war.

„Das Gleiche ist mir auch passiert“, flüsterte Cole Bennett. Er hatte in Jenna McCays beengtem Apartment auf sie gewartet und hatte gerade die anderen Officer weggeschickt, als David und Erin eingetroffen waren. „Ich wollte ihn nicht mit Gewalt da rausziehen, weil ich Angst hatte, er könnte sich wehren und sich dabei den Kopf an den Rohren stoßen.“

Die zwei Männer, beide unglaublich stark, sahen jetzt ziemlich ratlos aus. Erin schaute sich kurz in dem Apartment um und unterdrückte dabei einen Schauer. Überall standen leere Bierflaschen, rote Plastikbecher, Fast-Food-Verpackungen und leere Chipstüten lagen herum. Es sah aus wie im Haus einer Collegeverbindung am Morgen nach einer großen Party. Die bunten Zeichnungen am Kühlschrank waren der einzige Hinweis darauf, dass hier auch ein Vorschulkind wohnte.

Eines der Buntstiftkunstwerke brachte Erin schließlich auf eine Idee. Sie lief durch den schmalen Flur und stieg über Berge von Müll. bis sie schließlich an eine halb geöffnete Zimmertür kam. Der Raum war ordentlich und sauber, unberührt vom Durcheinander im Rest der Wohnung. Auf der einen Seite befanden sich Spielsachen und auf der anderen ein kleines Bett, auf dem eine mit Fußbällen bedruckte Decke lag. Sie nahm einen blauen Plüschhund, der auf dem Kissen saß, und lief zurück in die Küche.

David befand sich wieder auf allen Vieren vor dem Schrank und sprach so sanft auf den Jungen ein, dass sie seine Worte nicht verstehen konnte, sie hörte nur das raue und doch überraschend sanfte Brummen seiner Stimme.

Sie hockte sich neben ihn und drehte den Kopf, bis sie Rhetts Augen sehen konnte. Sie waren geweitet und immer noch angsterfüllt.

„Rhett“, sagte sie leise, „ich bin’s, Ms. MacDonald. Ich habe deinen Plüschhund gefunden und wollte dir nur sagen, dass er okay ist.“

Ein leises Wimmern war jetzt aus dem Schrank zu hören. „Ruffie“, flüsterte der Junge gequält.

„Ruffie ist in Sicherheit“, fuhr Erin im gleichen Tonfall fort, in dem sie auch Kindern, die am ersten Schultag ihre Mütter nicht loslassen wollten, Mut zusprach. „Du bist jetzt auch in Sicherheit. Dein Onkel David wird auf dich aufpassen. Aber du musst zuerst rauskommen.“

Der Junge drückte sich daraufhin noch weiter in die Ecke, als könne er dadurch unsichtbar werden. David legte seine große Hand auf ihren Rücken, und der leichte Druck und die Wärme waren noch angenehmer, als sie gedacht hätte.

„Ruffie braucht dich aber.“ Sie stellte den Hund vor sich hin, genau an den Rand des Schranks. „Er hat nämlich Angst und braucht dringend eine Umarmung. Kannst du das für ihn tun?“

Sie hielt die Luft an, was sich wie eine Ewigkeit anfühlte, dann atmete sie erleichtert wieder aus, als der Junge sich langsam in Bewegung setzte und aus dem Schrank kletterte. Das Plüschtier hielt sie dabei am Hinterbein fest, damit Rhett nicht versuchte, es einfach zu packen und wieder im Schrank zu verschwinden.

Im Licht der Küche sah Erin jetzt sein schmutziges Kinn und die verschmierten Tränen auf seinen roten Wagen. Beim Gedanken daran, was der kleine Junge in seinem Leben schon gesehen und erlebt haben musste, brach ihr das Herz. David hob seinen Neffen jetzt zusammen mit dem zerzausten Hund hoch. Als ob in Rhett ein Damm brach, fing er nun am ganzen Körper an zu zittern und vergrub sich so fest er konnte in Davids Armen.

Erin stellte sich gerade hin, und trat etwas beiseite. Irgendwie fühlte es sich plötzlich nicht richtig an, diesem intimen Moment zwischen Rhett und David beizuwohnen. Es war offensichtlich, dass David versuchte, seine Emotionen vor ihr zu verbergen, doch der Schmerz und die Schuldgefühle standen ihm dennoch in sein wunderschönes Gesicht geschrieben, wie ein leuchtendes Stoppschild bei Nacht.

„Gut gemacht“, sagte Cole Bennett leise zu ihr und legte ihre die Hand an den Ellenbogen, um sie in Richtung Apartmenttür zu führen. „Sie sind wohl eine Vorschulkinderflüsterin.“ Erin wollte gerade gehen, blieb jedoch abrupt stehen, als sie David sagen hörte: „Bleib.“

Ein einziges Wort, doch die Intensität traf sie unvermittelt heftig.

„Ich bleibe gern“, entgegnete sie.

Cole nickte. „Jemand vom Jugendamt wird bald hier sein. Ich werde sie dann hereinlassen. Sie wollen mit David und dem Jungen sprechen.“

„Wir sind bereit“, antwortete Erin viel selbstbewusster, als sie sich gerade fühlte.

Autor

Michelle Major
<p>Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.</p>
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