Vom Glück bestimmt

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Lisa wünscht sich ein Kind – aber keinen Mann. Jared träumt von einem Sohn – aber nicht von einer Frau. Zufällig treffen sie sich in einer Klinik für künstliche Befruchtung. Durch einen "Unfall" wird nicht die von Jared ausgewählte Leihmutter, sondern Lisa von ihm schwanger. Kann das Baby die beiden zu einem Paar machen?


  • Erscheinungstag 30.11.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783745753868
  • Seitenanzahl 120
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Mit energischen Schritten ging Dr. Clarice Rubin auf den Empfangstresen der „San Diego Klinik für Künstliche Befruchtungen“ zu und hielt der Arzthelferin einen Zettel hin. „Hier, diese Notiz ist wohl versehentlich zwischen die anderen Unterlagen geraten, die Sie mir auf meinen Schreibtisch gelegt haben.“

„Vielen Dank.“ Die junge Frau nahm das Blatt Papier entgegen und warf einen flüchtigen Blick darauf.

Dr. Rubin wollte sich schon wieder abwenden, als sie bemerkte, dass die Arzthelferin mit einem Mal ganz blass geworden war.

„Ach du meine Güte!“

„Was ist denn?“, fragte Dr. Rubin.

„Das ist Sarahs Handschrift. Sie hat mich vertreten, während ich Pause hatte. Es geht um eine Terminänderung. Da Mrs. Wentworth abgesagt hatte, haben wir den Termin mit Miss Langdon vorgezogen. Offensichtlich hat Sarah die Änderung vorgenommen, ehe sie nach Hause ging. Sie fühlte sich nicht wohl und muss wohl vergessen haben, mich von der Terminänderung in Kenntnis zu setzen …“

„Wentworth? Ist das nicht die Frau, die für eine künstliche Befruchtung mit Jared Steeles Samen vorgesehen war?“

„Genau. Mr. Steele war heute Nachmittag hier.“ Die junge Arzthelferin schlug eine Aktenmappe auf, die mit „Wentworth“ beschriftet war. „Wie ich befürchtet hatte: Alle Formulare sind von Lisa Langdon unterschrieben. Sie und Mr. Steele haben sich vorhin unterhalten, und ich dachte, sie gehören zusammen.“ Ihre Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.

„Wollen Sie damit sagen, dass die künstliche Befruchtung von Miss Langdon nicht von einem anonymen Spender, sondern mit Mr. Steeles Sperma erfolgt ist?“

Die Sprechstundenhilfe nickte stumm.

„Das darf doch nicht wahr sein!“ Die verschiedensten Gedanken wirbelten in Dr. Rubins Kopf herum. Nicht auszudenken, wie Jared Steele reagieren würde, wenn er von der Verwechslung erfuhr. „Wie konnte das nur geschehen?“ Die Ärztin war fassungslos. „Wann hat Miss Langdon ihre Nachuntersuchung?“

Die Arzthelferin blätterte hastig in ihrem Kalender. „In zwei Wochen, am 18. April.“

„Dann werden wir diese zwei Wochen abwarten müssen. Sollten wir dann einen positiven Schwangerschaftstest erhalten, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als Jared Steele persönlich anzurufen und ihm die Situation zu schildern.“

„Und Miss Langdon?“

„Ihr müssen wir natürlich auch reinen Wein einschenken. Und den Anwälten, die beide sicher einschalten werden. Das ist eine Katastrophe für den Ruf unserer Klinik! Ich kann dieses eine Mal nur hoffen, dass die Natur ein Einsehen hat und es nicht zu einer Empfängnis gekommen ist. Ich will mir gar nicht näher vorstellen, was passieren wird, wenn zwei sich völlig fremde Menschen herausfinden, dass sie beide das gleiche Baby wollen!“

„Herzlichen Glückwunsch, Lisa, Sie sind schwanger.“ Die Worte von Dr. Rubin hallten in Lisa Langdons Kopf wider, als sie die „San Diego Klinik für Künstliche Befruchtung“ verließ und in den strahlenden Apriltag hinaustrat.

Sie bekam ein Kind!

Vor lauter Freude hätte sie am liebsten getanzt und laut gesungen. Leichtfüßig lief sie auf ihren Nissan zu, schloss die Fahrertür auf und setzte sich hinter das Lenkrad. Wann war sie zuletzt so außer sich vor Glück gewesen, in einer solch überwältigenden Hochstimmung?

Es war ein langer Weg gewesen, ehe sie sich mit ihrem Kinderwunsch an die Klinik gewandt hatte. Vorher hatte Lisa diese Entscheidung mit all ihren Konsequenzen lange und sorgfältig durchdacht. Natürlich waren da auch das unüberhörbare Ticken ihrer biologischen Uhr und der Wunsch, ihre Einsamkeit zu beenden, mit eingeflossen. Doch ausschlaggebend waren tiefere Bedürfnisse. Sie hatte einem Kind so viel mit auf den Weg zu geben: Intelligenz, Begabung und – Liebe.

Liebe im Übermaß.

Seit sie ihren Entschluss gefasst hatte, war ihr endlich der Sinn des Lebens mit aller Deutlichkeit klar geworden. Und sie wusste, sie würde ihrem Kind eine gute Mutter sein.

„Ich bin schwanger.“ Mit zitternder Stimme sprach Lisa die Worte zum ersten Mal laut aus. „Ich werde Mutter!“

Sie zwang sich, ganz langsam und tief ein- und auszuatmen, um sich wieder ein wenig zu fassen. Minuten vergingen, ehe sie sich in der Lage fühlte, ihr Auto zu starten. Beim Ausparken ging ihr ein oft gehörter Ausspruch ihrer verstorbenen Mutter durch den Kopf: „Jeder Tag ist ein neuer Beginn.“ Die Hoffnung und Zuversicht, die dieser Satz beinhaltete, durchströmte sekundenlang ihr ganzes Sein.

Plötzlich ließ ein Gefühl von Furcht Lisa kurz erschauern. Doch sie weigerte sich, diesen ganz besonderen Augenblick von den anderen – beunruhigenden – Neuigkeiten, die Dr. Rubin ihr eröffnet hatte, überschatten zu lassen …

Jared Steele legte den Telefonhörer auf und sank, von Gefühlen übermannt, zurück in seinen Schreibtischstuhl. Natürlich war er in gewisser Weise auf Dr. Rubins Nachricht vorbereitet gewesen. Dennoch hatte er in den letzten beiden Wochen immer ungeduldiger auf diesen positiven Bescheid gewartet.

Er würde Vater werden!

Jared fuhr sich mit der Hand durchs Haar, als ihm bewusst wurde, was das bedeutete. Zwiespältige Gefühle machten sich in ihm breit. Einerseits fühlte er sich unendlich erleichtert, andererseits jedoch sah er voller Unbehagen den unvermeidlichen Problemen entgegen, die auf ihn zukommen würden. Freudige Erregung machte Furcht, Wut und dem beängstigenden Gefühl Platz, die Dinge nicht kontrollieren zu können.

Er sprang aus seinem Sessel hoch, um den Aufruhr in seinem Innern durch aktives Handeln in den Griff zu bekommen.

„Ich möchte sofort mit Zack reden“, bat er seine Sekretärin.

Während er wartete, lief er ungeduldig zwischen Fenster und Schreibtisch auf und ab.

Wie hatte es nur zu dieser fatalen Verwechslung kommen können? Er hatte alles so sorgfältig bis ins kleinste Detail hinein geplant. Und doch war die Sache nun gründlich schief gelaufen.

„Du wolltest mich sprechen?“ Zack Farrell betrat das Büro.

„Wo hast du bloß so lange gesteckt?“, fuhr Jared ihn an.

„Unten in der Halle.“ Der Chef des Sicherheitsdienstes schloss die Tür hinter sich. „Wo brennt es denn?“

„Du kannst dir nicht vorstellen, was passiert ist.“

„Erzähle.“ Umständlich zog sich Zack einen Stuhl heran.

Jared blieb am Fenster stehen und wartete, bis sein alter Freund Platz genommen hatte. „Sitzt du auch bequem?“, fragte Jared bissig, wobei er es gleichzeitig selbst ziemlich ungerecht fand, seine schlechte Laune an anderen auszulassen.

Zack zuckte jedoch mit keiner Wimper. „Ich arbeite jetzt seit sieben Jahren für dich, und befreundet sind wir schon seit unserer Jugend“, meinte er gelassen. „Wenn ich deine miese Stimmung schon zu spüren bekommen muss, kann ich es mir doch vorher wenigstens etwas gemütlich machen.“

Jared runzelte die Stirn, ließ sich aber auf keine weitere Diskussion ein. Zack hat ja recht, dachte er. Und wenn er die große Neuigkeit erst erfahren hat, wird er auch meine Gereiztheit verstehen.

„Die Leihmutteragentur hat vorhin angerufen“, begann er. „Diese Wentworth hat gekniffen. Sie ist überhaupt nicht in der Klinik aufgetaucht, sondern hat sich mit dem Vorschuss aus dem Staub gemacht.“

„Pech. Willst du jetzt eine andere Frau anheuern?“

„So einfach ist es leider nicht. Die Oberärztin, Dr. Rubin, hat auch angerufen. Als die Wentworth der Klinik absagte, hat irgendeine Krankenschwester ihren Termin einer anderen Frau gegeben. Leider hat sie niemanden über die Änderung informiert, ehe sie nach Hause ging.“

„Soll das heißen, dass …?“

Jared nahm einen tiefen Atemzug, ehe er mit einem schiefen Grinsen antwortete: „Ich werde Vater.“

Zack stand auf, drückte seinem Freund fest die Hand und schlug ihm dann lächelnd auf den Rücken. „Glückwunsch, alter Kumpel!“

„Danke.“ Jared setzte sich auf die Schreibtischkante. „Aber da ist noch etwas.“

„Was denn? Werden es etwa Zwillinge?“

Angesichts dieser albernen Frage konnte Jared nur verständnislos den Kopf schütteln. „Quatsch! Aber irgendwo da draußen läuft jetzt eine fremde Frau mit meinem Kind unter dem Herzen herum!“ Genau diese Tatsache irritierte ihn. Nicht, dass seine Pläne durchkreuzt worden waren, und er die Situation nicht mehr unter Kontrolle hatte, sondern der Gedanke, dass ein von ihm gezeugtes Kind existierte – und ihm womöglich der Zugang zu diesem Kind verwehrt werden würde.

Das konnte er unter keinen Umständen hinnehmen, niemals wieder!

„Beruhige dich, Jared, die Chancen …“

„Verdammt noch mal, komm mir jetzt bloß nicht mit Statistiken. Ich will wissen, was ich tun soll.“

„Das fragst du mich?“

„Ich bin total verzweifelt.“ Tief seufzend fuhr sich Jared mit den Fingern durch das dichte dunkle Haar.

„Vergiss es einfach“, riet ihm Zack. „Mach einen Termin mit der Leihmutteragentur aus und fang noch einmal bei Null an.“

„Bist du verrückt?“, fuhr Jared seinen Freund an. „Ich kann doch nicht den Rest meines Lebens in dem Wissen verbringen, dass da irgendwo ein Kind von mir existiert. Würdest du das etwa fertig bringen?“

„Nein, aber hier geht es auch nicht um mich. Meiner Meinung nach wäre die einfachste Lösung, diese ganze Sache so schnell wie möglich zu vergessen.“

Ungeduldig stieß sich Jared von der Schreibtischkante ab und setzte sich in seinen Chefsessel. „Hast du mich je die einfachste Lösung wählen sehen?“

„Es gibt immer ein erstes Mal.“

„In diesem Fall aber nicht. Mir ist völlig schleierhaft, wie du mir ernsthaft raten kannst, die Existenz meines eigenen Kindes zu ignorieren. Damit würde ich ja selbst die Motivation für meinen Kinderwunsch infrage stellen.“

„Ehrlich gesagt habe ich deine Gründe dafür ohnehin nie recht verstanden. Glaubst du nicht, du hättest den ewigen Verkuppelungsversuchen deiner Mutter ein Ende bereiten können, auch ohne ihr gleich einen Enkel zu präsentieren, der durch künstliche Befruchtung entstanden ist?“

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Jared seinen Freund. „Hast du etwa vergessen, was sich am letzten Samstag abgespielt hat?“

Ein flüchtiges Grinsen erhellte Zacks Gesicht. „Du kannst den beiden jungen Damen wirklich keinen Vorwurf machen. Sie waren überzeugt, die Einladung käme von dir. Um künftige Verwicklungen zu vermeiden, solltest du deiner Mutter klarmachen, dass es ziemlich ungünstig ist, zwei Frauen für dieselbe Nacht zu buchen.“ Er konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.

„Sehr witzig! Ich kann mich aber nicht erinnern, dass du auch nur halb so laut gelacht hast, als Mutter dir am Samstag die Aufgabe übertrug, dich um die zweite Lady zu kümmern.“

„Weil mir der Ausdruck in ihren Augen nicht gefiel. Was ist eigentlich in letzter Zeit mit deiner Mutter los, Jared? Vor einem Jahr noch wäre ihr ein solcher Fehler nicht unterlaufen.“

„Ach Zack …“ Jared seufzte und schüttelte ratlos den Kopf. Er war immer so stolz gewesen auf seine schöne, lebenslustige Mutter. Umso mehr betrübte ihn, dass ihre Energie seit Kurzem rapide nachzulassen schien. Nachdem seine Schwester von zu Hause ausgezogen war, wurde dies von Woche zu Woche offensichtlicher. „Dr. Rubin nannte es ein ‚Leeres-Nest-Syndrom‘.“

„War das vor oder nach eurer Diskussion über moderne Methoden der Fortpflanzung?“

Zacks Frage brachte Jared wieder auf sein gegenwärtiges Problem zurück. Er runzelte die Stirn. „Mein Entschluss, auf diesem Weg Nachwuchs zu bekommen, hat nichts mit meiner Mutter zu tun. Obwohl ich zugegebenermaßen hoffte, ein Enkelkind würde sich vorteilhaft auf ihre Psyche auswirken. Nein, der wahre Grund ist, dass ich niemals heiraten werde.“

Nicht nach dem entsetzlichen Fehlschlag seiner Verlobung, nachdem er betrogen und verlassen worden war. Jared hatte seine Lektion wahrlich gelernt. „Soll ich aber deshalb ganz ohne Familie leben müssen?“, fügte er hinzu. „Ich habe einem Kind viel zu geben, ganz abzusehen davon, dass diese Firma kein schlechtes Erbe sein wird.“

Und darüber hinaus hoffte er, damit endgültig das Gefühl der Leere und der Schuld zu besiegen, das ihn so lange schon quälte.

Jared sah seinem Freund offen in die Augen, wohl wissend, welchen Dienst er von ihm verlangte. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Finde heraus, wer diese Frau ist, die mit meinem Kind schwanger ist. Ich will alles über sie wissen, Zack: Name, Adresse, Beruf, Alter, welche Zahnpasta sie benutzt. Einfach alles.“

Zacks Miene war ausdruckslos.

Jared hielt seinem Blick stand. Ein Gesetzesbruch kümmerte ihn nicht, dazu lag ihm die Angelegenheit viel zu sehr am Herzen. Und als ehemaliger Agent der Regierung verfügte Zack über Mittel und Wege, alle möglichen Informationen über diese Frau einzuholen.

„So wichtig ist dir die Sache?“, fragte Zack.

„Ja.“ Jared hasste es, seinen Freund um diesen Gefallen zu bitten. Dass er es dennoch tat, zeugte vom hohen Grad seiner Verzweiflung.

„Ich werde sehen, was ich tun kann“, erwiderte der Sicherheitschef nach einem Moment des Zögerns. „Hast du irgendwelche Anhaltspunkte für mich?“

„Wenige. Ich bin der Frau in der Klinik begegnet. Sie ist mittelgroß und schlank, hat blondes, langes Haar. Hübsche Augen in einem ungewöhnlichen Bernsteinton. Außer ihr habe ich dort niemanden gesehen, also kann nur sie die betreffende Person sein.“

„Ziemlich genaue Beschreibung für eine Zufallsbegegnung. Wieso ist sie dir überhaupt aufgefallen? Scheint doch gar nicht dein Typ zu sein.“

Jared hob die Schultern. „Sie hat mich angesprochen. Als ich sie dabei ertappte, wie sie mich unverblümt anstarrte, entschuldigte sie sich und erklärte, sie wäre Künstlerin. Sie sagte, ihr gefiele meine Nase.“

„Deine Nase?“

Ein vernichtender Blick traf Zack. „Auf jeden Fall gehört sie zu der Sorte Menschen, die man nicht vergisst.“

„Warum das?“, fragt Zack interessiert.

„Weil sie einem direkt in die Augen sieht, und weil ihr Lächeln ehrlich ist und von Herzen kommt.“ Jared durchforschte jeden Winkel seines Gedächtnisses nach weiteren Einzelheiten. „Sie sagte übrigens, dass Dr. Rubin eines ihrer Bilder besitzt.“

Mit betont langsamen Bewegungen erhob sich Zack aus seinem Sessel. „Nicht schlecht für den Anfang. In einer Woche hörst du von mir.“ Er ging zur Tür.

„Zack?“ Jared wartete, bis sein Freund sich umgedreht hatte. „Danke.“

„Ashley, Ashley, stell dir nur vor, es hat geklappt!“ Während Lisa den Telefonhörer mit beiden Händen umklammerte, kuschelte sie sich tief in ihr Sofa. Sie wünschte nur, ihre beste Freundin und Agentin Ashley Todd möge hier bei ihr in San Diego und nicht gerade in New York sein, damit sie sich ihr in die Arme werfen könnte.

„Ich freue mich so für dich, kleine Mama. Sobald ich zurück bin, feiern wir, okay? Wissen es die Mitarbeiter in der Galerie schon?“

„Nein, ich will noch ein wenig warten, bis die Schwangerschaft weiter fortgeschritten ist.“ Lisa lachte. „Schließlich liegen noch achteinhalb Monate vor mir. Nur du als meine beste Freundin sollst vorläufig davon wissen.“ Sie schluckte und versuchte, die unheilvollen Gedanken daran beiseite zu schieben, dass es womöglich noch jemanden gab, der Anspruch auf ihr Baby erheben könnte. „Wahrscheinlich bin ich einfach nur abergläubisch und will nichts zerreden.“

„Stimmt etwas nicht, Lisa?“

„Doch, doch, alles ist bestens.“ Sie versuchte, ihre Stimme zuversichtlich klingen zu lassen, um sich selbst und auch ihre Freundin davon zu überzeugen. „Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen und mit dir zu feiern.“

„Mir geht es ganz genauso. In einer Woche bin ich spätestens zurück in San Diego. Pass inzwischen gut auf dich und das Kleine auf, hörst du?“

„Keine Sorge, das werde ich. Es gibt nichts Wichtigeres für mich auf dieser Welt als dieses Baby!“

Jared starrte auf die Ledermappe, die Zack ihm vor wenigen Minuten übergeben hatte. Endlich! Fast eine Woche hatte es gedauert – sechs Tage und Nächte, von denen ihm jede Sekunde wie eine Ewigkeit erschienen war.

Mit gemischten Gefühlen zog er den Schreibhefter hervor und schlug die erste Seite auf. Lisa Langdons Gesicht starrte ihm entgegen. Er nahm das Foto in die Hand, um es aus der Nähe zu betrachten. Der Fotograf hatte gute Arbeit geleistet; soweit Jared sich erinnern konnte, war die Frau lebensgetreu abgelichtet. Ihr blondes hüftlanges Haar war in einem Knoten zusammengefasst, einige kürzere lose Strähnen umrahmten ein Gesicht, das vor Gesundheit und Lebensfreude nur so strahlte.

Zack hatte recht gehabt, sie war tatsächlich nicht Jareds Typ. Er zog Frauen von kultivierter, eleganter Schönheit der unschuldigen Natürlichkeit einer Lisa Langdon vor.

Entspannt lehnte er sich zurück, blätterte weiter und begann schließlich zu lesen. Lisa Langdon war dreißig Jahre alt. Im Alter von zehn war sie durch einen tragischen Verkehrsunfall, bei dem ihre Eltern starben, zur Waise geworden. Von da an hatte sie in verschiedenen Kinderheimen gelebt. Zur Zeit arbeitete sie als Buchhalterin in einer renommierten Kunstgalerie in der City von San Diego, widmete sich jedoch in ihrer Freizeit ganz der Malerei.

Jared interessierte sich besonders dafür, welchen gesellschaftlichen Umgang sie pflegte. Zack hatte herausgefunden, dass Lisa ihre Gewohnheiten im vergangenen Jahr grundlegend geändert hatte. War sie vorher nur gelegentlich ausgegangen, so hatte sie sich plötzlich immer häufiger mit verschiedenen Männern getroffen. Dieses Muster änderte sich erst wieder im Januar. Nach ihrem ersten Besuch in der Klinik traf Lisa Langdon überhaupt keine Verabredungen mehr mit Männern.

„Fakten“, murmelte er enttäuscht vor sich hin. Wie war es nur möglich, so viele Informationen über eine Frau zu haben und dennoch nichts von ihr zu wissen?

Er nahm noch einmal das Foto zur Hand und ertappte sich plötzlich dabei, dass er schmunzelte. Ihr strahlendes Lächeln forderte den Betrachter geradezu auf, in ihre aufrichtige, überschäumende Lebensfreude mit einzustimmen. Der Ausdruck ihrer bernsteinfarbenen Augen schien eine Seele widerzuspiegeln, die ehrlich und rein war, ohne den Schatten eines Geheimnisses oder Zweifels.

Mit großen Schritten ging Jared in seinem Büro auf und ab und sah sich dabei immer wieder das Foto an. Natürlich interpretierst du viel zu viel in diese künstlerisch gelungene Aufnahme hinein, alter Junge, mahnte er sich selbst zu mehr Objektivität.

Vor einer Woche hatte er Dr. Rubin gebeten, Miss Langdon seinen Namen, seine Adresse und Telefonnummer zu geben. Seitdem wartete er auf Lisas Anruf.

Jared holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch das dichte Haar. Ihm war klar, dass sie Zeit brauchte, um die Neuigkeiten zu verdauen.

Aber inzwischen war eine ganze Woche vergangen!

„So geht es auch wieder nicht“, brach es zehn Minuten später aus ihm heraus. Wer war er eigentlich, dass er hier wie ein geduldiges Lamm saß und darauf wartete, dass die Gnädigste über seine Zukunft und die seines Kindes entschied? Und wenn sich diese Möchtegernmalerin am Ende überhaupt nicht bei ihm meldete?

Unruhig lief Jared in seinem Büro auf und ab und starrte auf das schweigsame Telefon. Nein, er würde nicht mehr länger warten. Er war noch nie der Typ gewesen, der untätig zusehen konnte, wie wichtige Dinge über seinen Kopf hinweg entschieden wurden. Außerdem war da jener Vorfall in seiner Vergangenheit, den er einfach nicht vergessen konnte.

„Ich werde keinerlei Druck auf sie ausüben“, sagte er laut zu sich selbst. „Ich werde ihr nur dabei helfen, die Fakten richtig zu verstehen.“

Kaum hatte er konkrete Pläne gemacht, fühlte er sich schon erheblich besser. Er verließ sein Büro und bat beim Hinausgehen seine Sekretärin, alle Termine für den heutigen Tag abzusagen.

2. KAPITEL

Mit Schwung parkte Lisa ihren Wagen in der Auffahrt und stieg glücklich lächelnd aus. Sie kam gerade von einem Abendessen mit Ashley, die am frühen Nachmittag endlich aus New York zurückgekehrt war. Wie schön war es gewesen, sich endlich mit der Freundin persönlich unterhalten zu können! Ashley war nämlich fast so begeistert über die Schwangerschaft wie Lisa selbst.

Leise vor sich hin summend ging sie auf die Haustür zu und kramte dabei in ihrer Handtasche nach den Hausschlüsseln.

„Endlich!“

Abrupt hob Lisa den Kopf und blieb stehen.

Ein Mann versperrte ihr den Weg.

„Oh.“ Überrascht ließ sie die Schlüssel fallen. Als sich Lisa bückte, um sie aufzuheben, fiel ihr Blick auf ein Paar auf Hochglanz polierte Lederslipper und die Aufschläge einer Hose mit feinen Nadelstreifen. Langsam schaute Lisa an der Bügelfalte empor, während der Mann vor Ungeduld auf den Zehenspitzen wippte und die Hände in die Hosentaschen schob.

Rasch richtete sich Lisa auf. Wer mochte das sein? Neugierig musterte sie sein Gesicht, bemerkte kühn geschwungene Lippen und eine perfekt geformte Nase … Da machte es „Klick!“, und sie erinnerte sich. Der Mann aus der Klinik.

„Jared Steele“, entfuhr es ihr.

Erschrocken trat sie einen Schritt zurück und hielt instinktiv die Hände schützend über ihren Unterleib. Was wollte der Typ hier? Dumme Frage; im Grunde hätte sie längst mit seinem Auftauchen rechnen müssen. Natürlich war er wegen des Babys gekommen – ihres Babys …

„Genau“, erwiderte Jared. „Ich habe auf Ihren Anruf gewartet.“ Er rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle.

Dennoch wich Lisa weiter vor ihm zurück. „Woher wissen Sie, wer ich bin und wo ich wohne? Dr. Rubin hat mir absolute Diskretion zugesichert.“

„Dr. Rubin hat mir Ihre Adresse auch nicht genannt.“ Er machte eine vage Handbewegung, worauf Lisa sofort zurückzuckte.

Er runzelte die Stirn. „Können wir nicht hineingehen? Wir müssen miteinander reden.“

Spontan schüttelte sie den Kopf, denn sie war nicht vorbereitet auf dieses Zusammentreffen. Warum nur hatte sie Dr. Rubin nicht besser zugehört oder sich wenigstens die Zeit genommen, die Unterlagen durchzulesen, die sie von ihr erhalten hatte?

Weil ich ein wenig Zeit haben wollte, um die freudige Nachricht meiner Schwangerschaft auszukosten, ehe ich mich der Wirklichkeit stellen und Jared Steele gegenübertreten muss, gab sie sich selbst die Antwort.

„Sie hätten nicht kommen dürfen.“

„Sie hätten mich anrufen sollen.“

„Ich hatte noch keine Zeit zum Überlegen. Gehen Sie bitte!“

„Nein.“

„Dann rufe ich die Polizei.“

„Und ich meinen Anwalt.“

Nein! Lisa stockte vor Angst der Atem. Nur das nicht! Sie wollte keine gerichtliche Auseinandersetzung. Ihr Herz hämmerte, und ihr langsam erwachender Mutterinstinkt riet ihr dringend, einfach davonzulaufen.

„Hören Sie, wenn Sie nicht mit mir allein sein wollen“, sagte Jared, „dann können wir uns auch in einem Restaurant unterhalten. Auf jeden Fall brauchen Sie wirklich keine Angst zu haben, ich werde Ihnen nichts tun.“ Er hatte Mühe, seine Ungeduld zu verbergen.

„Das will ich hoffen – schließlich bin ich mit Ihrem Kind schwanger.“

Lisa richtete sich kerzengerade auf. Wie seltsam, diese Worte an einen Fremden zu richten. Im Grunde blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzugeben, dass er recht hatte. Sie mussten wirklich miteinander reden. Es war sinnlos, sich noch länger vor der Wahrheit zu verstecken.

„Wir bleiben lieber hier“, entschied sie. „Über solche persönlichen Dinge sollte man sich besser nicht in einem öffentlichen Lokal unterhalten.“

Sie schloss die Tür auf und ging ihm ins Haus voran.

„Machen Sie es sich bequem.“ Lisa wies auf ihr pfirsichfarbenes Sofa, wobei sie bemerkte, dass ihre Hand leicht zitterte. „Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich möchte mich ein bisschen frisch machen“, sagte sie und verließ mit raschen Schritten das Zimmer.

Sie brauchte unbedingt ein paar Minuten für sich allein.

Aus der Frisierkommode im Schlafzimmer holte sie die Unterlagen, die Dr. Rubin ihr gegeben hatte, dann lief sie damit ins Bad und schloss sich ein. Nachdem sie Gesicht und Hände mit kaltem Wasser gekühlt hatte, setzte sie sich auf den Wannenrand und schlug die Mappe auf. Nach kurzer Zeit musste sie jedoch feststellen, dass sich kaum mehr darin befand als Jared Steeles Name und Anschrift samt Telefonnummer.

Mist! Sie hatte mehr erwartet. Angestrengt versuchte sich Lisa an das Gespräch mit Dr. Rubin zu erinnern, in dem sie über die unglückselige Verwechslung gesprochen hatten.

Die ganze Geschichte hatte nur passieren können, weil sie und Steele gleichzeitig in der Klinik gewesen waren. Die Frau, die für die künstliche Befruchtung mit Steeles Sperma vorgesehen war, hatte ihren Termin kurzfristig abgesagt.

Lisa war gern eingesprungen, da sie ihren ursprünglichen Klinikbesuch wegen einer unerwarteten Steuerprüfung in der Galerie hatte absagen müssen. Noch heute konnte sie sich gut an ihre Erleichterung erinnern, nicht weitere vier Wochen auf einen neuen Termin warten zu müssen.

Autor

Teresa Carpenter
<p>Teresa Carpenters Familie lebt seit fünf Generationen in Kalifornien. Auch sie selbst wohnt dort: in San Diego an der Küste. Teresas große Verwandtschaft unterstützt sie in allem und gibt ihr Kraft. Besonders stolz macht es sie, ihre Nichten und Neffen zu beobachten, die allesamt klug, sportlich und für eine strahlende...
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